An der Indianergrenze An der Indianergrenze

von

Armand



Capitel 1.

Der nächtliche Reiter. - Das Lager der Lepan-Indianer. - Der Häuptling Wallingo. - Die Indianerin. - Der verschmähte Liebhaber. - Die Berathung. - Die Zusammenkunft. - Der Abschied. - Farnwald. - Die Ansiedelung.


Der Mond stand hoch an dem, mit funkelnden Sternen übersäeten Himmel, nur einzelne leichte durchsichtige Wölkchen zogen perlenweiß, wie Schwäne unter ihm hin und schienen von Zeit zu Zeit schmeichelnd an seinem hellglänzenden Antlitz vorüberzugleiten, ohne es zu wagen, dasselbe auch nur für Augenblicke zu bedecken und das beinahe tageshelle Licht, welches er still und friedlich auf die südwestlichen Gebirgsgegenden Amerikas goß, zu trüben. Von seinem Silberlicht beschienen, lenkte ein Reiter sein schneeweißes Pferd durch das lose umherliegende Granitgeröll eines Thales, welches sich ostwärts nach einem der mächtigen westlichen Ströme Amerikas, die ihre Fluthen dem Golf von Mexico zuführen, hinwand. Der Reiter, obgleich in Gedanken versunken, schien demungeachtet seine Blicke und sein Gehör in größter Thätigkeit zu erhalten, denn er sah häufig um sich, hob oft die Hand über die Augen, um

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schärfer durch das Mondlicht in die Ferne spähen zu können, und hielt manchmal plötzlich den eiligen Schritt seines Rosses an, um irgend einem fernen Ton zu lauschen, der sein Gehör berührt hatte.

Er war ein schlanker, kräftiger junger Mann, dessen Aeußeres die Stellung in der menschlichen Gesellschaft verrieth, welcher er jetzt angehörte. Er war ein Mann von der äußersten Frontier, von der Grenze der Civilisation Nord-Amerikas, war in Hirschleder gekleidet, trug ein Paar Revolver in dem Gürtel um den Leib, ein langes Jagdmesser an der Seite und eine Doppelbüchse schaukelnd vor sich auf dem Sattel. Der lange schwarze Bart und der schwarze Filz, dessen breiter Rand sein Gesicht überschattete, gaben seiner Erscheinung fast etwas Finsteres, im Widerspruch damit standen jedoch die Liebkosungen, die er seinem Pferde durch Klopfen und Streichen mit der Hand zukommen ließ, und die freundlichen Worte, die er einem ungewöhnlich großen gelben Hunde, der vor ihm hinrannte und von Zeit zu Zeit zu ihm zurückkehrte, zurief.

Der Namen dieses Reiters war Farnwald. »Ho ho, war recht mein alter Kerl! Ist die Luft dort vor uns rein? Dahin, dahin, Joe!« sagte er zu dem ungeheuren Bluthund, wenn derselbe vor dem Pferde in die Höhe sprang, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und winkte ihm dann mit der Hand vorwärts,

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worauf das schöne Thier wieder dahinsauste und bald in der Ferne vor dem Blicke seines Herrn verschwand. Dann sprach der Reiter seinem Hengst wieder freundlich zu und ermunterte ihn in seinem Schritt, denn das viele lose Gestein, welches den Boden hier bedeckte, ließ keine größere Eile zu, so sehr Farnwald sie auch wohl von dem Thiere gewünscht hatte.

Zu beiden Seiten dieses steinigen Grundes zogen sich Striche dichten hohen Waldes im Thale entlang, aus deren dunkeln Purpurmassen einzelne schlanke Palmen ihre riesenhaften Stämme hervorstreckten, über denen die fächerartigen Kronen in der leichten kühlen Nachtluft rauschten, während die Berge, zwischen welchen das Thal sich gebildet hatte, steil und schroff aufstiegen und deren glitzerndes Gestein in dem Mondlicht glänzte.

Ueber eine kurze mit Gras überwachsene Strecke hin war das Pferd in Trab gefallen, als sein Reiter es plötzlich im Zügel zurückriß und in demselben Moment, seine Büchse über dessen Kopf erhebend, nach einer dunkeln Gestalt hinblickte, die aus dem Walde von seiner linken Seite hervortrat.

Das Pferd stand im Augenblick unbeweglich und Farnwald spähete starr mit verhaltenem Athem nach der Richtung hin, in welcher die Gestalt jetzt hinter großen Felsblöcken verschwunden war; doch wenige

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Augenblicke später senkte er ruhig die Büchse, spannte sie ab und legte sie wieder vor sich auf den Sattel.

Es war ein schwarzer Bär, der nun hinter dem Gestein hervortrat und nach dem hin der Hengst aufmerksam seine Ohren spitzte.

»Alter Bursche, mach daß du fortkommst,« sagte Farnwald zu dem kaum vierzig Schritt vor ihm vorüberziehenden Bär, der sich erschrocken nach dem Reiter umwendete, und dann in einem schwerfälligen Galopp eilig dem Walde gegenüber zufloh.

Bald war es ein vorüberziehender Hirsch, bald ein davoneilender Büffel, bald der rasch auf der Erde schwebende schwarze Schatten eines über ihn hinfliegenden Uhus, der den Reiter für Augenblicke in seinem Ritt aufhielt, doch desto eiliger trieb er dann gleich wieder sein Pferd in westlicher Richtung vorwärts dem sehr engen Passe zu, in welchem sich das Thal zusammendrängte und wo die Felsen sich kahl und schroff nahe gegenüberstanden.

Am Eingänge dieses schmalen Durchgangs erwartete Joe, der Bluthund, seinen Herrn und sah, seine mächtige Ruthe hin[-] und herschlagend, zu ihm auf, als wolle er sich neue Befehle von ihm holen.

»Hin, hin, mein Joe!« rief Farnwald dem treuen Thiere zu, indem er mit der Hand vorwärts winkte, dann einen seiner Revolver aus dem Gürtel zog, ihn

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spannte und, die Zügel seines Hengstes verkürzend, dem einige hundert Schritte vorangeeilten Hunde im Galopp in den Engpaß hinein folgte.

Wohl eine halbe Meile lang wand sich die Schlucht durch die Felsen hin und her, bis sie sich plötzlich in ein unabsehbar weites Thal öffnete, hinter dem in nebelichter Ferne die Gebirgszüge der Cordilleren sich wie schweres Gewölk in duftig verschwommenen Conturen zum Himmel aufthürmten und ihre hell im Mondlicht glänzenden Eiskuppen über sich erhoben.

Hier erwartete der Bluthund abermals seinen Herrn, der jetzt sein Pferd anhielt und aufmerksam durch das weite flache Thal vor sich hin spähend, nach irgend einem fernen Tone zu horchen schien. Doch eine Todtenstille lag auf der weiten Landschaft, kein Laut ließ sich hören, selbst das Heulen jagender Wölfe nicht, welches während der Nächte in diesen Ländern nur selten verstummt.

Nach einer Weile unbeweglichen Spähens und Lauschens steckte Farnwald den Revolver wieder in den Gürtel, winkte Joe seitwärts durch das üppige Gras nach einer hohen Baumgruppe hin die sich in einiger Entfernung daraus erhob, und, als ob der Hund diesen Weg schon oft gewandert sei, sprang er in lustigen Bogensätzen dem bezeichneten Wäldchen zu, in dessen

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dunkeln Schatten er bald darauf verschwand, während sein Herr ihm langsam nachfolgte.

Auch dieser hatte das Gehölz bald erreicht, durchritt den silberhellen Bach, der sich vor demselben hinschlängelte, stieg von dem Hengst, und leitete ihn durch die dichten Massen von riesenhaften Aloes, Cactussen und andern Stachelpflanzen, die dasselbe umgaben, in das Innere des Dickichts auf einen kleinen Grasplatz, wo er dem Pferde die Zügel auf dem Nacken zusammenband und es, den Hals ihm klopfend, sich selbst überließ.

Die Büchse hatte er an den silbergrauen Stamm einer Magnolie gestellt, auf welchem einzelne helle Flecken des Mondlichtes mit der Bewegung des rauschenden dunkeln Laubes über ihm zitterten, dann schritt er zurück durch die Oeffnung zwischen den Stachelpflanzen, die durch Menschenhand erzeugt war, wie links und rechts liegende abgehauene verwelkte Reste solcher Gewächse andeuteten, trat, dem Bache folgend, hinaus in das Mondlicht, und sandte seine Blicke über die weite Grasfläche.

Etwa drei Meilen weiter westlich, nahe an einem wild schäumenden krystallklaren Flusse, überdacht von uralten Platanen, Expressen, Magnolien und Palmen, standen wohl fünfzig weiße, von Büffelleder verfertigte große Zelte in den Waldstreifen, der dessen Ufer bedeckte,

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hineingedrängt, und vor ihnen flackerten helle Feuer, die das Dunkel aus ihrer Umgebung verdrängten und das saftige frische Grün des Laubes, so wie die wundervollen Blumen, die in mannigfachen Farben aus ihm hervorsahen, magisch beleuchteten.

Es war das Lager eines Stammes von Lepan-Indianern, eines der kriegerischsten wilden Völker, die diese paradiesisch schönen Länder als ihr, bis jetzt noch nicht von den Weißen bestrittenes, Eigenthum durchzogen. Nur östlich des Stromes, in dessen Nähe Farnwald wohnte, waren die weißen Ansiedler sehr einzeln selbst bis an dessen Ufer vorgedrungen, doch westlich war noch keine einzige Hütte von ihnen aufgeschlagen worden. Jäger wagten sich wohl in diese Gegenden, die sie als Feindes Land betraten; denn die rothen Urbewohner derselben verfolgten und hetzten sie als Vorläufer der Weißen, gleichwie wilde Raubthiere.

Um die Feuer herum lagerten die braunen Gestalten vieler dieser Indianer, auf Thierhäuten hingestreckt, andere saßen vor den Eingängen der Zelte, und Kinder rannten, sich jagend und spielend, hin und her.

Während sich die Männer einer vollkommenen Ruhe hingegeben hatten, rauchten, ober zuweilen eine wortkarge Unterhaltung untereinander führten, waren die bei weitem zahlreicheren Frauen und Mädchen beinahe sämmtlich noch thätig. Viele derselben beschäftigten sich

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mit Zubereiten von Thierhäuten, andere verfertigten aus gegerbten Fellen Anzüge für sich, oder für die Männer, bemalten solche mit bunten grellen Farben, oder verzierten sie mit blitzenden Steinen und Muscheln, während wieder andere Wildbret an Stöcken über Kohlen rösteten.

Bei dem Feuer vor dem größten und auch am schönsten geschmückten Zelte, welches das Wallingos, des Häuptlings dieses Stammes war, lag dieser auf einer glänzend buntgefleckten Jaguarhaut hingestreckt, und neben ihm im Kreise um die flackernden Flammen ruhten eine Menge alter Krieger, die großes Interesse an der nun begonnenen Unterhaltung zu nehmen schienen, welche von ihnen augenblicklich mit dem Häuptling gepflogen wurde.

Nur wenige Schritte seitwärts von dieser Gruppe in dem Schatten einer dichtbelaubten rothen Ulme stand ein Mädchen von siebzehn Jahren, beschäftigt, aus Lederstreifen, die an einem Aste über ihr angebunden waren, einen Lasso zu flechten. Es war Owaja, die Enkelin des Häuptlings und zugleich seine Pflegetochter, deren Vater, der Sohn Wallingos, schon vor Jahren bei einem Angriff, den die Lepans auf eine Niederlassung der Weißen gemacht hatten, von diesen erschossen worden war.

Sanft, freundlich und liebenswürdig, wie sie war,

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wurde sie von Alt und Jung in dem Stamme geliebt, die Mädchen schlossen sich ihr herzlich an, denn sie war eine treue, hülfreiche Freundin und in deren fröhlichen Zusammenkünften war sie das belebende Element, die Frauen waren ihr alle liebevoll zugethan, weil sie es verstand, sich durch tausenderlei Aufmerksamkeiten und kleine Dienste ihnen stets angenehm zu machen; die Männer hatten sie wegen ihrer muntern Laune und ihrer Scherze gern um sich und ihre ungewöhnliche Schönheit machte die Jünglinge sämmtlich zu ihren Verehrern.

Sie war schlank und edel gebaut; über einer vollen Büste und langem zartem Nacken trug sie ihren kleinen Kopf frei, graziös und keck, etwas im Widerspruch mit dem tief gefühlvollen Aussdruck ihrer großen dunkeln Augen; ihre Bewegungen waren leicht, doch elegant, und ihre Füße und Hände zart, schön geformt und auffallend klein. Keine ihrer Gespielinnen wußte sich mit so vielem Geschmack zu kleiden, als Owaja; ihr glänzend schwarzes schlichtes Haar, auf einer Seite des Kopfes zusammengebunden, war stets über dem rothen Lederband, welches es hielt, mit einer Quaste schönerer Federn geschmückt, als Jene aufweisen konnten, es hing länger über ihre Hüften herab, als das eines andern Mädchens, und ihr kurzes Lederröckchen war reicher mit Franzen und bunten Farben verziert, als eines ihrer

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Freundinnen; die Perlen um ihren Nacken waren besser geordnet, die Spangen um ihre vollen zarten Arme saßen fester, und die Mocassins, in denen ihre niedlichen Füßchen steckten, waren zierlicher geschnitten und reicher gestickt, als die ihrer Gefährtinnen. Dabei war sie gewandter und flüchtiger, als Jene, so daß sie bei deren Spielen stets den Preis davon trug, ihren Pfeil sandte sie mit größerer Sicherheit zu einem fernen Ziele, als selbst die jungen Krieger es vermochten und zu Pferde konnte es ihr Niemand zuvorthun. Sie war leidenschaftlich, ausgelassen fröhlich und leicht aufgeregt, und doch wieder zu Zeiten in sich versunken, still und suchte dann die Einsamkeit.

Viele Jünglinge hatten ihr schon die Hochzeitsfackel vor den Eingang ihres Zeltes getragen, doch immer hatte sie deren Anträge freundlich und dankend abgelehnt, obgleich der alte Häuptling oft den Wunsch gegen sie ausgesprochen hatte, daß sie sich verheirathen möge. Einer ihrer Anbeter war der junge Hargo, der sie fortwährend mit seiner Liebe bestürmte und trotz aller Einwendungen, aller abschlägigen Antworten seine Werbungen um ihre Hand immer wieder erneuert hatte. Doch er war Owaja im Grunde ihres Herzens zuwider, weil er gefühllos, grausam und roh war, drei Eigenschaften, die zu des Mädchens sanftem, gefühlvollem, hingebendem Gemüth durchaus nicht paßten.

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Um ihm nicht wehe zu thun, hatte sie immer nur ihren Entschluß, unverheirathet zu bleiben, als Grund ihrer Weigerung, die Seine zu werden, vorgeschützt, doch immer wieder von Neuem bestürmt, erklärte sie ihm endlich, daß sie ihn nicht leiden könne und nun und nimmermehr seine Frau werden würde.

Hargo hielt sich jetzt fern von ihr, aber die Leidenschaft, die in seiner Brust für sie lebte, wurde nur um so mehr angefacht, es gesellte sich ein Groll, eine innere Verbissenheit hinzu, die sich gegen jeden jungen Mann Luft machte, der sich ihr nahte, oder ein freundliches Wort mit ihr wechselte. Häufiger Zank und Streit waren die Folgen davon gewesen, so daß der alte Häuptling sich zuletzt ins Mittel gelegt und Hargo bei Strafe der Verbannung aus dem Stamme, Friede mit seinen Kameraden geboten hatte.

Hargo stand mit untergeschlagenen Armen an der andern Seite des Feuers, um welches sich der Häuptling mit seinen alten Kriegern gelagert hatte, und hielt seine glühenden Blicke unbeweglich auf Owaja geheftet, die geschickt und flink an dem Lederstrick flechtend, mit einem unangenehmen Gefühl bemerkte, daß des verschmähten Liebhabers Augen auf ihr ruhten, sorgsam aber dabei vermied, seinen Blicken zu begegnen.

Sie schien überhaupt ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Unterhaltung an diesem Feuer zu richten, und

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absichtlich durch Geräuschlosigkeit und ihr Verweilen in dem Schatten des Baumes von ihrer Gegenwart so wenig Kunde, als möglich, geben zu wollen.

»Ehe die Wälder im Norden zum zweiten Male absterben und Schnee ihre Prairien zum zweiten Male bedeckt, werden die bleichen Gesichter den Strom hier überschreiten und die rothen Kinder aus diesem Thale, dem Land unserer Väter, verjagen. Sie mehren sich wie die Bienen der Wälder und ziehen, wie diese unaufhaltsam vorwärts, um neue Zelte aufzuschlagen,« sagte der alte Häuptling mit ernster Stimme und sah mit zusammengezogenen Brauen vor sich in die Gluth der Kohlen.

»Und doch sind es nur Wenige, die an der andern Seite des Stromes wohnen, warum weichen die rothen Männer denn vor diesen Wenigen zurück? Haben sie Weiberherzen in ihrer Brust, oder sind die Spitzen ihrer Lanzen und Pfeile abgestumpft?« antwortete ein alter Krieger.

»Die Lanzen und Pfeile der Lepans sind noch scharf, ihre Herzen sind noch stark und ihre Pferde noch die flüchtigsten, aber der große Geist ist den Bleichgesichtern holder und unsere Väter haben es gesagt, daß jene Fremdlinge die rothen Kinder in die nackten Gebirge treiben würden, damit sie dort mit dem Büffel verhungern sollten. Schon sind wir den Bergen nahe.

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Noch vor wenigen Jahren gingen die Pferde der Lepans ungestört in dem hohen Grase an der andern Seite des Stromes und das flüchtigste unter ihnen konnte in drei Tagen nicht das erste Zelt der Weißen erreichen, da kam der große Bär, der sich Farnwald nennt, von Osten her, baute sein Wigwam zwischen uns auf und umsonst ließen wir unsere Pfeile nach ihm fliegen, der große Geist zerbrach sie, ehe sie ihn erreichten. Wer von den Lepans hat auf seinem besten Pferde den weißen Hengst des großen Bären jemals einholen können, welcher Lepan vermochte den Kugeln dieses Bleichgesichts auszuweichen. Wie die Wandertauben kamen ihm seine weißen Brüder nach wenigen Jahren nachgefolgt, um sich in seiner Nähe niederzulassen und die rothen Kinder mußten über den Strom herüberziehen,« sagte Wallingo.

»Noch leben an diesem Strome hundert rothe Männer für ein Bleichgesicht, warum dulden wir die Fremden in unserm Lande, warum rufen wir nicht unsere mächtigen Vettern, die Comantschen zu Hülfe, und erdrücken die bleiche Brut in ihren Wigwams? Steht es nicht in unserer Macht, oder werden wir durch das Klopfen unserer feigen Herzen zurückgehalten?« antwortete ein anderer alter Krieger.

»Der große Geist hat Farnwald, den Bären, in seinen Schutz genommen und ihm mehr Gewalt über die rothen Kinder gegeben, als allen andern bleichen

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Männern. Und erschlügen wir auch die Fremdlinge alle, die an dem Strome wohnen, so würde er doch leben und in dieses Thal herüberziehen und bald würden ihm wieder Hunderte seiner Brüder nachfolgen. Seine Kugeln sind es nicht, welche die rothen Männer zu fürchten haben, es sind die geheimen Kräfte, die ihm der große Geist gegeben hat, um uns damit aus unserer Väter Land zu vertreiben. Waren nicht der Comantschen Lanzen und Pfeile auch gegen ihn gerichtet? Haben nicht unsere Vettern, die Mescaleros gleichfalls nach seinem Herzen gesucht? Habe ich ihn nicht selbst auf meinem besten Roß mit Hunderten von Euch verfolgt, und habe ich ihn nicht an der Waldspitze mit seinem weißen Hengst vor mir durch die Luft davon fliegen sehen, so daß seines Pferdes Hufe den Boden nicht mehr drückten und die rothen Männer seiner Fährte nicht weiter folgen konnten? Hat er doch die Mescaleros und die Comantschen unter sich selbst in Streit gebracht und für sich Freundschaft in die Herzen ihrer Häuptlinge gegossen, die ebenso, wie wir nach seinem Blut gedürstet haben. Hat er nicht die Kranken der Comantschen und der Mescaleros wieder gesund gemacht und ihnen die Kräfte wiedergegeben, den Büffel und den Bären zu jagen? Glaubt mir, es ist umsonst, unsere Bogen gegen ihn zu spannen, sein

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Blick lähmt unsern Arm und seine Zunge erstickt den Haß in unsrer Brust!« sagte der Häuptling sich über die Kohlengluth kauernd.

Owaja waren die Lederstreifen aus der Hand gefallen, sie stand unbeweglich gegen den Stamm der Ulme gelehnt, hatte ihre Hand fest auf ihr Herz gepreßt und hielt ihre großen Augen, in denen sich die Gluth des Feuers spiegelte, auf den Häuptling geheftet.

Dieser erhob sich schweigend von seinem Lager, nahm die Jaguarhaut auf seinen Arm und schritt in sein Zelt, während die Krieger wortlos das Feuer verließen, um ihre Nachtlager aufzusuchen.

Hargo allein war zurückgeblieben und blickte mit untergeschlagenen Armen nach Owaja hin, die jetzt ihre noch nicht beendigte Arbeit von dem Aste losband und damit dem Häuptling in das Zelt folgte.

Bald darauf lag Ruhe und Schweigen über dem ganzen Lager, die Feuer glühten nur noch in Kohlenhaufen, ohne die tiefen Schatten, welche die dichten hohen Bäume auf die Zelte warfen, verdrängen zu können und keine Bewegung war in ihrer düstern Umgebung mehr sichtbar, als das Zittern des von der leicht säuselnden Nachtluft bewegten Laubes.

Da glitt geräuschlos, wie der Hauch der Luft, Owaja aus dem Zelt des Häuptlings hervor, huschte in das nahe Gebüsch und eilte leicht, wie die fliehende

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Antilope, durch dessen Dunkel hin, bis sie ungesehen und ungehört den Saum des Waldes erreichte, vor welchem ihres Stammes zahlreiche Heerde von Pferden und Maulthieren in der offenen Prairie im hohen Grase lag.

Um ihre zarte braune Schulter hing ein reich verzierter Köcher mit Bogen und Pfeilen, und in ihrer Hand trug sie einen, glänzend mit Muscheln und Steinen geschmückten, Zaum.

Leichten Trittes eilte sie bei dem hellen Mondlicht zwischen den ruhenden Thieren, die vertraut zu ihr aufblickten, hin, blieb dann stehen, sah sich im Kreise um, und ließ nun einen leisen Pfiff auf einer Muschel, die sie an einem Bande um ihren Nacken trug, ertönen.

Kaum schallte der Laut über die Fläche, als in kurzer Entfernung ein Pferd aus dem Grase aufsprang, zu der Indianerin hineilte und ihr seinen kleinen goldbraunen Kopf zutraulich auf die Schulter legte.

Owaja schlang ihre Arme liebkosend um des schönen Thieres Hals, drückte es schmeichelnd gegen ihre Brust, legte ihm dann den Zaum an, und die Hand auf seinen glatten Rücken pressend, schwang sie sich leicht auf dasselbe hinauf.

Noch einen Blick warf sie nach dem dunkeln Walde zurück, in welchem das Lager stand, gab dem Pferde die Zügel und fort sauste sie über das wogende Gras

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der Prairie, daß dessen schwere Thautropfen vor den Hufen des flüchtigen Thieres, wie ein Brillantenregen im Mondlichte glänzend, weit um sie her spritzten.

Farnwald stand in Gedanken versunken an den Stamm einer Cypresse, die sich an dem Ufer des Baches erhob, angelehnt und schaute immer noch in derselben Richtung über die nebelige helle Fläche vor sich, als plötzlich, wie ein elektrischer Funke ein ferner Ton sein Ohr berührte und er, eifrig lauschend und die Hand über die Augen erhebend, seine spähenden Blicke nach jener Richtung hinsandte.

Näher und näher kam der rauschende Ton, schneller und lauter pochte Farnwalds Herz, ein eilender Schatten wurde in der Ferne sichtbar, es war ein flüchtiges Roß, über ihm wehte das lange Haar eines Mädchens; es war Owaja, die Erwartete, die Ersehnte, die Heißgeliebte! Fort flog Farnwald über das Gras ihr entgegen, sie warf sich vom Pferde, fiel ihm in die Arme und in überströmender Wonne schlugen ihre Herzen zusammen. Wieder und wieder drückte Farnwald das liebliche Mädchen an seine Brust, wieder schlang sie ihre zarten Arme um seinen Nacken und ihre Lippen brannten in innigen Küssen zusammengepreßt, als wollten sie sich nimmer wieder trennen.

»Aber Du bist lange ausgeblieben, himmlisches Mädchen,« sagte Farnwald in ihrer Sprache, die er durch

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einen befreundeten Indianer, der mehrere Jahre bei ihm gelebt, erlernt hatte, und strich die Wange der schönen Wilden, »ich zweifelte schon, ob Du kommen würdest.«

»Wallingo blieb so lange auf, er sprach zu den Kriegern und sprach auch von Dir, mein Geliebter,« antwortete Owaja, indem sie sich in Farnwalds Arm schmiegte und mit ihm, von ihrem Pferde gefolgt, der Baumgruppe zuschritt, unter deren Schutz Jener seinen Hengst und seinen Hund zurückgelassen hatte.

»Nun, was sagte er denn von mir?« fragte der glückliche junge Mann, als er sich bei seiner Büchse auf eine Baumwurzel setzte und die Geliebte in seinen Armen zu sich niederzog, »ist er noch so bös auf mich?«

»Du weißt es, mein Theurer, daß Dich die rothen Kinder hassen, weil Du ihnen ihr Land an der andern Seite des Stromes genommen hast, doch sie fürchten Dich, weil Dir der große Geist mehr Kräfte gegeben hat, als Deinen Brüdern. Der Häuptling sagte, daß Du den Arm der rothen Männer lähmtest und den Haß gegen Dich in ihrer Brust ersticktest. Hat er doch nicht Unrecht, denn auch ich habe Dich gehaßt, und wie liebe ich Dich jetzt!« sagte Owaja und preßte, Farnwald in ihre Arme drückend, ihre Granatblüthenlippen auf seinen Mund.

»O Du süßer. Du reizender Engel, ist Deine

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Liebe zu mir doch nur der Wiederschein der meinigen zu Dir, für die ich tausend Leben wagen würde.«

In wonnigem Schweigen versunken hatten die Glücklichen eine Zeit lang gesessen, als Owaja sagte:

»Die alten Krieger riethen dem Häuptling, die Comantschen und die Mescaleros aufzufordern, mit uns gemeinschaftliche Sache zu machen und über Euch Weiße herzufallen, doch Wallingo sagte ihnen, daß Viele von deren Häuptlingen Deine Freunde geworden wären - und daß es umsonst sein würde, Etwas gegen Dich zu unternehmen. Er fürchtete, daß Du über den Strom herüberziehen und uns auch aus diesem Lande verdrängen würdest. Nicht wahr, Du thust es nicht, mein Geliebter, Du leidest nicht, daß Deine Brüder dies Land betreten? Sieh, Deine Owaja würde ihrem[sic!] guten Großvater oder Dich, ihr Alles, verlassen müssen. Nicht wahr, Du versprichst es mir, Farnwald?«

»Was Du willst, verspreche ich Dir, mein süßes Leben, ich verlasse das Land, wo ich jetzt wohne, wenn Du es willst, ich ziehe mit Dir, wenn es sein muß, fort in die Gebirge, wo weder die rothen, noch die weißen Männer unserer Liebe feindlich entgegentreten können, nur mit Dir allein kann ich glücklich sein!« sagte Farnwald liebkosend zu der Indianerin, als Joe seinen mächtigen Kopf zwischen ihnen durchdrängte und mit seinen schwarzen Augen zu seinem Herrn aufsah.

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»Nein Joe, ich habe dich nicht vergessen, ehrliches, braves Thier, du hast mich durch deine Liebe, durch deine Treue immer geschützt, du sollst auch mein neues Glück bewachen und dafür unserer Beider Liebe erhalten,« sagte Farnwald zu dem Hunde, indem er dessen breiten Nacken klopfte, während Owaja seinen Kopf liebkosend an sich drückte und sagte:

»Du böser, guter Joe, auch ich danke dir mein Leben, denn durch deinen muthigen Angriff auf den Jaguar, vor dem ich mich im verflossenen Herbst auf jenen Baum flüchtete, hieltest du ihn ab, mir zu folgen, bis deine Stimme deinen Herrn herbeigerufen und dann seine Kugel das grimmige Thier todt niederstreckte. Als du mich aber auf dem Baume bemerktest, kehrte dein Zorn sich gegen mich und gern hättest du mich zerrissen. Es hat mich seitdem viele gute Worte gekostet, bis du Freundschaft mit mir gemacht hast.«

Dann hob die Indianerin ihre Augen zu Farnwald auf und fuhr fort:

» Wie habe ich damals gezittert und mich vor Euch Beiden gefürchtet und doch, wie schnell hatten Deine milden Worte mir die Furcht benommen und wie gern stieg ich zu Dir von dem Baume herab, um mein Herz, welches bald in Liebe zu Dir entbrannte, Deinen süßen Reden zu öffnen. Du hattest mich ja vor dem bösen Thiere geschützt und mir mein Leben erhalten. Du

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warst der erste bleiche Mann, der jemals zu mir sprach, und hast meine Seele mit der Deinigen verbunden, Ach, mein Geliebter, immer kommt mir wieder der alte Zweifel, über den wir schon so oft auf diesem Platze geredet haben: wie wird es dereinst mit unsern Seelen werden? Die Deinige kann mir nicht in die ewigen Jagdgründe meiner Väter folgen, wird man die Indianerin in Deinem Himmel zulassen?«

Bei diesen Worten hatte Owaja ihren Kopf gegen ihres Geliebten Brust sinken lassen und ihre Thränen fielen auf seine Hand.

» Doch, doch, theures Mädchen,« antwortete dieser, sie an sich drückend, »der große Geist ist unser Aller Vater und wir Alle gehen in seinen Himmel ein, vor ihm ist kein Unterschied zwischen seinen Kindern, weiß, roth oder schwarz, er liebt sie Alle mit gleicher Liebe.«

»Meine Seele würde auch sterben, sollte sie wieder von der Deinigen losgerissen werden,« sagte das Mädchen mit weicher Stimme und schmiegte sich fester an den Geliebten an.

Leise umwehte der gewürzige Duft der Nachtluft die Glücklichen, funkelnd und blitzend, wie fliegende Brillanten umschwirrten sie die leuchtenden Insekten und hoch sprangen die silbernen Forellen aus des Baches glänzend gekräuselter Fluth, doch die Liebenden hatten die Welt um sich vergessen, sie waren in einen

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Traum von Seligkeit und Wonne versunken und dachten nicht daran, daß der Augenblick nahe war, der so unbegrenztes Glück stören und sie wieder trennen sollte.

Da zwitscherte ein Vogel leise über ihnen in dem dunkeln Laub der Magnolie, erschrocken fuhren sie auf und blickten nach Osten nach des Himmels Rande, dessen bleicher Schein den nahenden Tag verkündete.

»O scheiden,« sagte Owaja, ihren Geliebten an ihr Herz drückend, »wanu soll ich Dich wiedersehen?«

»In der nächsten Nacht und, wenn Du willst, in jeder Nacht, die das Jahr bringt; o könnte ich die Sonne in ihrem Laufe zurückhalten, damit es niemals Tag würde! Wie möchte ich eine Nacht anderswo verbringen, als hier? und sehe ich Dich auch einmal nicht, so bleibt mir doch die Hoffnung Dich das nächste Mal an mein Herz zu drücken. Sei nur vorsichtig, Owaja, damit Du keinen Verdacht in dem Lager erregst, unser Glück könnte sonst gestört werden.«

»Sei unbesorgt, die Liebe hat leise und leichte Tritte und ihre Flügel sind mächtig. Gedenke mein, mein Leben!«

»Auf Wiedersehen, meine süße Owaja,« sagte Farnwald, schloß die liebliche Wilde nochmals in seine Arme, hob sie dann auf ihr scharrendes Pferd und, mit ihrer kleinen Hand nach ihm zurückwinkend, flog sie auf dem

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flüchtigen Thiere durch den Nebel, der jetzt, wie ein weißer Schleier die Prairie bedeckte, worauf sie bald den Blicken ihres Geliebten entschwand.

Auch Farnwald hatte schnell sein Roß bestiegen, lenkte es nach dem Engpaß zurück, sandte seinen treuen Wächter wieder voraus und durcheilte abermals mit gezogenem Revolver die Schlucht im Galopp.

Das erste Dämmerlicht des Morgens zitterte über die Erde, als er das Ufer des Flusses erreichte um seinen Hengst auf der wohlbekannten Furt in die reißende Fluth zu lenken. Doch das Wasser des breiten Stromes war seicht und befeuchtete kaum die wollene Decke, die über des Reiters Sattel lag. Bald hatte er das andere Ufer erreicht, dessen vierzig Fuß hohen Abhang auf dem uralten Büffelpfad erklommen, und zog nun in einem raschen Paßgange seiner Niederlassung zu, die nur wenige Meilen von dem Strome entfernt, an einem Nebenflüsse desselben gelegen war.

Farnwald, ein geborener Deutscher, hatte schon seit vielen Jahren seiner Heimath und seinen Lieben in derselben Lebewohl gesagt, um sich in Amerika eine neue, seinem thatenlustigen, willenskräftigen Geiste mehr zusagende zu gründen.

Vom Norden dieser neuen Welt hatte ihn sein Geschick unerwartet von Jahr zu Jahr weiter südwestlich gefühlt, durch Widerwärtigkeiten, Unglücksfälle und

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bittere Lebenserfahrungen ihn mehr und mehr mit der civilisirten Welt zerfallen lassen und ihn zuletzt hinaus in diese fast noch unbekannte Wildniß getrieben, wo er, entfernt von den äußersten Grenzansiedelungen der Amerikaner in diesem paradiesischen Himmelsstrich, umgeben von tropischer Riesenvegetation, von ewig blumenbedeckten, saftig grünen Prairien und im Angesicht der eisgekrönten sonnigen Häupter der Cordilleren, seinen einsamen Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Hier war er zwar vielfach von den wilden Indianerstämmen dieser Gegend hart bedrängt worden, die in ihm den Vorboten der weißen Menschenrace erkannten, die sie langsam, doch unfehlbar immer weiter dem nackten Gestein der Anden zutrieb und ihnen von den üppigen Ländern, die sie von der Natur zu ihrer Heimath angewiesen erhalten hatten, ein Stück nach dem andern raubte; doch hatte ihn immer eine unsichtbare schützende Hand behütet, und bei jeder Gelegenheit hatte die Civilisation über die Rohheit den Sieg davon getragen.

Mehrere Jahre hindurch hatte Farnwald hier mit nur wenigen Colonisten in einem verpallisadirten hölzernen Fort gewohnt, hatte seine Lebensbedürfnisse mit Leichtigkeit aus einem kleinen Garten und Feld gezogen, so wie solche in der Umgegend mit seiner, ihn zum Herrn dieses Landes erhebenden Büchse erworben und freigebig von der Natur köstliche Früchte, gewürzigen Honig,

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herrliche Fische und Schildkröten erhalten. Alle Sorgen und Schicksale, die ihn auf seiner Wanderschaft durch das civilisirte Amerika begleitet und im Verein mit Leidenschaften und Aufregungen aller Art in diese Einsamkeit getrieben hatten, waren hier von ihm vergessen und statt ihrer hatte er jene Ruhe gefunden, welche dem Menschen zu Theil wird, der sich den Gefahren und Widerwärtigkeiten, die ihn bedrohen, überlegen fühlt.

Der glückliche Erfolg seines Unternehmens hatte nicht verfehlt die Aufmerksamkeit der Bewohner der östlichen Staaten auf die großen Vorzüge, die unvergleichlichen Reize und Annehmlichkeiten dieser Länder zu lenken, und ein reicher hochstehender Eigenthümer und Redacteur einer der besten Zeitungen der Vereinigten Staaten fühlte sich veranlaßt, Farnwald in seiner Einsamkeit aufzusuchen, um durch eigene Anschauung ein richtiges Urtheil über dessen neue Heimath zu gewinnen, und die Vorzüge derselben in seinen Blättern vielseitig zu besprechen. Auswanderungslustige und Landspeculanten folgten bald dem Beispiel des Redacteurs, um von Farnwald Auskunft über die Gegend, und was ihnen sonst wünschenswerth erschien, zu erhalten. Im dritten Jahre seit dessen Niederlassung schlug der erste Nachbar eine Stunde entfernt von seiner Besitzung seine Hütte auf, und in dem darauf

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folgenden bezogen mehrere große und kleine Farmer die Umgegend, um welche Zeit Farnwald auch das Fort verließ und sich etwas weiter unterhalb am Fluße seine jetzige schöne Wohnung mit netter Stacketen-Einzäunung und herrlichem Garten schuf.

Vor seinem Zuge in die Wildniß hatte er in den Vereinigten Staaten Arzneiwissenschaft studirt, um bei vorkommenden Krankheitsfällen oder Verletzungen sich selber helfen zu können. Unbedeutende Verwundungen aber abgerechnet, war er bis jetzt noch nicht in die Nothwendigkeit versetzt worden, zu seinen eignen Gunsten von dieser seiner erlangten arzneiwissenschaftlichen Kenntniß Gebrauch zu machen; oft hatte er aber in der letzten Zeit Gelegenheit gefunden, seinen Nachbarn, so wie auch leidenden Indianern damit hülfreich zu werden und namentlich hatten sich ihm einige kranke Häuptlinge der Comantschen anvertraut, denen er in kurzer Zeit ihre Gesundheit wieder verschafft hatte. Die Kunde hiervon verbreitete sich rasch unter den Wilden, sie sahen in Farnwald einen, von dem großen Geiste höher Begabten und Bevorzugten, sie legten ihm übernatürliche Kräfte bei und erklärten es sich jetzt durch diese, weshalb ihre Waffen niemals siegreich gegen ihn gewesen waren. Sie verließen die Gegend, in welcher er lebte, stellten ihre Jagden in den Bezirken ein, welche er durchstreifte und kamen nur einzeln zu seiner

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Ansiedlung gezogen, um Freundschaft mit ihm zu machen, oder um seine Hülfe in Anspruch zu nehmen.

Als Farnwald seine Niederlassung erreicht hatte, erwartete ihn hier Addisson, ein hübscher Negerknabe, vor der Einzäunung, welche das noch ganz neue Wohngebäude umgab, und führte den Hengst unter Liebkosungen hinter das Haus, um ihn dort von Sattel und Zeug zu befreien, während sein Herr unter den dichten, das Gebäude umstehenden Bäumen die breite Veranda desselben erreichte und über sie in sein Wohnzimmer schritt, wo er sich der Waffen entledigte, Hut und Lederjacke ablegte und sich in einen großen Schaukelstuhl warf, um das Frühstück zu erwarten.

Eine schwerfällige alte Negerin, Charity mit Namen, deckte den Tisch, trug die Speisen auf, und bediente ihren Herrn, während Joe, der treue Gefährte, an dessen Seite saß, um hergebrachtermaßen seinen Antheil davon zu empfangen.

Nach dem Frühstück ging Farnwald in den, unweit des Hauses gelegenen schönen Garten, welchen ein alter deutscher Gärtner, Namens Paulmann, ein Hannoveraner, der vom Schicksal hierher verschlagen war, für ihn in den Stand gesetzt und bis jetzt gepflegt hatte. Der alte Mann empfing ihn, indem er seinen Strohhut vom Kopfe nahm, mit einem freundlichen Gruß, zog seinen baumwollenen blauen Rock glatt, auf dessen

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Brusttheil die Medaille von der Schlacht bei Waterloo hing, und reichte seinem Dienstherrn die Hand, an welcher ein Finger fehlte, den er in jener Schlacht durch eine Kugel der Franzosen verloren hatte.

»Nun Paulmann,« redete ihn Farnwald an, »was machen die Rosen?«

»Ei, Herr Farnwald, sehen Sie nur diese Büschl an, sie sind ja noch zweimal so hoch, als ich bin; ich habe sie mit Stricken zusammenbinden müssen, damit sie die Wege frei lassen und man sieht ja vor Blüthen kaum noch die Blätter. Wenn so Etwas in Deutschland zu sehen wäre, so würden die Leute weite Reisen deshalb machen. Und doch ist es jetzt Wintertag. Betrachten Sie nur diese Centifolie, diese gelbe gefüllte Rose, diese Theerose, Alles ist ja mit Blumen übersäet. Die Erdbeeren dort haben schon Blüthen und die Pfirsichbäume treiben Knospen. Dieses Frühjahr hoffe ich den Garten zu Ihrer Zufriedenheit im besten Stand zu haben.«

»Das ist jetzt schon der Fall, lieber Paulmann, er kann nicht schöner werden. Es fehlt Euch doch an Nichts und die alte Negerin sorgt doch gut für Euch? Wenn Etwas nicht in der Ordnung ist, müßt Ihr es mir sagen.«

»Ach nein, Herr Farnwald, wenn ich es nur bis an mein Ende so habe.«

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»Das sollt Ihr, Paulmann, wenn Ihr mir nicht davon lauft.«

»Das hat gute Wege, wer einmal so vom Mißgeschick in diesem wilden Lande umhergeworfen ist, wie ich, der dankt seinem Gott, wenn er einen Ruheplatz gefunden hat,« sagte der alte Hannoveraner. Farnwald wünschte ihm einen guten Morgen und ging nach dem Felde, wo einige Neger beschäftigt waren, das Land zur Aussaat von Mais und Baumwolle vorzubereiten.

Nachdem er dort seine Befehle gegeben, eilte er zu seiner Wohnung zurück, sagte der alten Negerin, daß sie ihn nicht wecken möge, wenn nicht eine besondere Ursache dazu vorhanden wäre, und suchte dann sein Lager auf, um sich durch das Andenken an seine heißgeliebte, wilde Schöne in süße Träume wiegen zu lassen.

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Capitel 2.

Die Comantsche-Indianer. - Der Häuptling Kiwakia. - Der Kranke. - Der Trost. - Ritt durch den angeschwollenen Fluß. - Die Glücklichen. - Die Entdeckung. - Die wilden Gäste. - Fest. - Der Verdacht. - Das Nachtlager in der Wildniß. - Die überlisteten Indianer.


Es war beinahe zwei Uhr Nachmittags, die Zeit, zu welcher Farnwald zu speisen gewohnt war, als Joe, den eine starke eiserne Kette an dem Bettpfosten befestigt hielt, auffuhr und hoch in die Höhe springend, seine furchtbare Stimme wüthend ertönen ließ.

Farnwald fuhr auf, eilte nach dem Fenster und erblickte einen kleinen Trupp Indianer, die zu Pferde vor der Einzäunung hielten. Einer derselben hatte einen, in eine Büffelhaut eingehüllten Mann vor sich auf dem Sattel sitzen und hielt diesen gegen seine Brust gelehnt, in seinen Armen.

Es waren Comantsche-Indianer, mit denen die Weißen, welche, wie früher erwähnt worden, immer noch einzeln und weit von einander entfernt in dieser Gegend wohnten, in Feindschaft lebten, wogegen Farnwald schon mit einigen ihrer Stämme Friede gemacht

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hatte und mit deren Häuptlingen in freundliche Beziehung getreten war.

»Freunde!« riefen die Wilden Farnwald entgegen, als sie ihn aus dem Fenster blicken sahen und legten ihre Hände gekreuzt auf die Schultern, welches Zeichen unter ihnen als das der Freundschaft gilt.

»Zu welchem Stamme gehört Ihr?« fragte dieser die Indianer.

»Ich bin Kiwakia, der Häuptling eines Stammes der Comantschen,« antwortete der Wilde, der den Mann vor sich auf dem Pferde sitzen hatte.

Farnwald schnallte den Gürtel mit seinen Revolvern um, nahm seine Doppelbüchse von der Wand und schritt zu den Comantschen hinaus.

Kiwakia war ein nicht sehr großer, doch kräftiger schöner Mann von freundlichem angenehmem Aeußern. Sein langes rabenschwarzes schlichtes Haar hing in zwei schweren glänzenden Flechten zu beiden Seiten vor seiner hochgewölbten breiten, rothbraunen Brust herab, ein Paar große dunkle Augen sahen lebendig unter seinen fein gebogenen Brauen hervor und die Adlernase, so wie die blendend weißen Zähne zwischen den vollen Lippen gaben seinem edel geformten Gesicht etwas Bestimmtes und Entschlossenes. Sein Haupt war mit einem Busch von Adlerfedern geziert, sein Schmuck bestand aus großen goldenen Ohrringen, einer

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breiten weißen Perlenschnur um den Nacken und glänzenden Metallringen um die Oberarme, während er zu seiner Bekleidung nur ein gegerbtes Leder um seine Hüften geschlungen und eine große weiche Büffelhaut um seine Schultern gehangen hatte.

»Großer Häuptling,« sagte Kiwakia, »ich bringe Dir meinen kranken Bruder Ureumsi, damit Du ihm neues Leben geben mögest, wie Du es schon vielen rothen Kindern gegeben hast. Hilf Du ihm, er ist mein einziger geliebter Bruder und die Comantschen sollen Deine Jagdgründe heilig halten. Deine Pferde sollen im hohen Grase gehen, und Deine Frauen und Kinder sollen fett werden. Soweit die Comantschen lagern, magst Du Dich bei dem hellen Feuer schlafen legen und Dein Herz kann ruhig schlagen!«

Farnwald bedeutete die Indianer, von ihren Pferden abzusteigen, wies ihnen unweit seines Hauses unter schattigen Bäumen einen Platz an, wo sie ihr Zelt aufschlagen könnten und ging dann in das Haus zurück, um Speisen für die Wilden zu bestellen.

Freudig folgte Kiwakia dieser Aufforderung; mit Hülfe noch zweier Gefährten, die ihn hierher begleitet hatten und seiner kleinen, sehr hübschen Frau, Zarika, war rasch ein großes Zelt von Büffelleder auf dem angewiesenen Platze aufgeschlagen, darin ein Lager von Thierfellen bereitet und der Kranke darauf niedergelegt.

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Als Farnwald zu diesem zurückkehrte, um ihn zu untersuchen, fand er ihn zu einem lebenden Skelett abgemagert und so sehr aller Kräfte beraubt, daß er weder Hand, noch Fuß bewegen konnte.

Er hatte schon über ein halbes Jahr an der blutigen Ruhr gelitten, eine Krankheit, die nicht selten unter den Wilden vorkommt, wurde von einem anhaltenden Fieber, dem gewöhnlichen Begleiter dieses Leidens, noch vollends aufgerieben und war seiner Auflösung sehr nahe.

Farnwald gab Kiwakia sein Bedenken über den sehr gefährlichen Zustand des Bruders zu erkennen, versicherte ihn jedoch zu gleicher Zeit, daß er sein Möglichstes thun würde, um ihn wieder herzustellen.

Der Häuptling sah ihn dabei ängstlich und flehend an, fiel plötzlich vor ihm nieder, umklammerte seine Knie und rief mit bebender Stimme:

»Du kannst ihm das Leben wiedergeben, großer Häuptling, o hasse ihn nicht darum, weil er nach Deinem Herzen gesucht, weil er seine Pfeile nach Dir geschossen hat, sieh' hier, wo Deine Kugel in seine Brust gedrungen war, die ihn an die Grenze der ewigen Jagdgründe brachte; damals kannten Dich aber die rothen Kinder noch nicht, sie waren noch blind und sündigten gegen Dich, ohne zu wissen, daß sie Unrecht thaten. O vergieb ihm, sein Herz ist groß und

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sein Dank wird unendlich sein, wie die Wellen des Stromes.«

Abermals versicherte Farnwald dem Bittenden, daß er Alles versuchen werde, um seinem Bruder zu helfen und eilte nach seiner Wohnung zurück, um die nöthigen Mittel für den Kranken zu holen.

Innere und äußere Anwendung von kaltem Wasser, Erregung der Hautthätigkeit, kleine, öfters wiederholte Gaben von Mineralsäuren und Opiaten, so wie der Gebrauch von schleimigen, nährenden Substanzen, waren die Mittel, welche Farnwald vorerst anzuwenden beschloß. Der Kranke wurde in nasse Tücher und wollene Decken eingehüllt und ihm Arznei gereicht.

Für die übrigen Indianer brachte Addisson Speisen, so wie auch, zu ihrem großen Genuß, Kaffee, ein Getränk, was ihnen bis jetzt noch fremd gewesen war.

Nachdem sie neben dem, vor dem Zelt angezündeten Feuer das Mahl beendigt hatten, bestiegen die beiden Begleiter Kiwakias ihre Pferde, sagten zu ihm: er möge ihnen bald mit seinem Bruder nachfolgen, und ritten von dannen.

Mit thränenfeuchten Augen und einer, bei weißen Menschen kaum anzutreffenden herzinnigen Anhänglichkeit kauerten die beiden Zurückgebliebenen neben dem geliebten Kranken, bewachten ängstlich jeden seiner Blicke, krümmten sich im Mitgefühl seiner Schmerzensausdrücke

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und zählten die Züge seines Athems; doch als gegen Abend der Leidende in einen ruhigen Schlaf gesunken war, faßte Kiwakia mit freudestrahlendem Blick seine Frau bei der Hand, und zog sie leise mit sich fort aus dem Zelte, um den Ruhenden nicht zufällig durch ein Geräusch zu stören.

Als Farnwald sich wieder zu ihnen hinbegab, rannte ihm schon von weitem das glückliche Indianerpaar entgegen, benachrichtigte ihn, daß der Bruder ruhig schlafe, was er seit langer Zeit nicht gethan habe, und Kiwakia sagte, daß der große Geist seine Hand freundlich auf dessen Augen und auf dessen Herz gelegt habe.

Der Kranke schlief wirklich ruhig und zeigte weniger Fieberhitze, was Farnwald, da Jener noch jung und stets ein kräftiger gesunder Mann gewesen war, Hoffnung auf seine Genesung gab. Er ertheilte Kiwakia und dessen Frau die nöthigen Verhaltungsmaßregeln für die Nacht, rieth ihnen, daß sie während derselben nicht nach seiner Wohnung gehen möchten, indem dort böse Hunde von ihren Ketten gelöst würden, und eilte dann, wiederholt nach der sinkenden Sonne blickend, zu seiner Wohnung zurück.

»Schnell Addisson, bring mir den Hengst,« rief er dem Negerknaben zu, nahm seine Waffen, befreite Joe von der Kette, und ehe zehn Minuten vergingen, trug

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der edle Berber auf flüchtigen Füßen ihn wieder seiner reizenden Owaja zu.

Diese Stelldichein wiederholten sich oft, und ungestört war den Liebenden in dieser Weise wieder ein Monat verstrichen, während welchem zu Farnwalds großer Freude und zu der beiden Comantschen höchstem Glücke der Kranke sich sehr erholt hatte, so daß er wieder umhergehen konnte und bei der guten Nahrung, die ihm sein Wirth reichte, seine Kräfte rasch zunahmen.

Ungewöhnlich schwere Gewitter hatten in den letzten Tagen diese Gegenden durchzogen, so daß der Strom dadurch angeschwollen war und Farnwalds Hengst eines Morgens auf dem Rückwege eine nicht unbedeutende Strecke in dem Flusse hatte durchschwimmen müssen. Da die Gewitter größtentheils von Norden gekommen waren, so konnte Farnwald sicher voraussetzen, daß der Strom heute noch bedeutend wachsen würde, welche Anschwellungen oft in kurzer Zeit eine Höhe von wohl dreißig Fuß erreichten. Demungeachtet ließ er, als der Abend nahte, den braven Hengst wieder satteln, um seiner Sehnsucht zu folgen, wovon ihn die Elemente nicht zurückzuhalten vermochten. Doch seinen treuen Begleiter, Joe, ließ er diesmal zurück, um ihn nicht der Anstrengung, die reißende Fluth zu durchschwimmen, auszusetzen.

Zeitiger, als gewöhnlich, verließ er seine Behausung,

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damit er noch vor einbrechender Nacht den Fluß durchreiten könne und erreichte denselben, als die Sonne hinter den fernen blauen Gebirgen kaum versunken war.

Nie zuvor hatte er den Strom so angeschwollen, so reißend gesehen, seine hohen Bänke sahen nur wenige Fuß über der weiten dahinschießenden Wasserfläche hervor, und ein schmaler Einschnitt in dem jenseitigen Ufer, Farnwald gegenüber, bezeichnete den Büffelpfad, auf dem er stets dasselbe erklommen hatte, während wohl eine Meile weit stromabwärts bis zu der Biegung desselben keine andere Oeffnung an der Uferbank zu erkennen war. In ungeheurer Breite drängten sich die fliegend dahin rauschenden Wassermassen durch die niedrigen Wände, die sie zusammenhielten, und rollend wälzten sich riesenhafte Baumstämme, ihre Wurzeln und Aeste emporstreckend, in ihren Fluthen den Strom hinab.

Farnwald sah mit Unmuth auf das gewaltige aufgeregte Element, das sich hindernd zwischen ihn und seine Liebe drängte, er maß mit den Blicken dessen Breite, dessen Schnelligkeit, aber er kannte auch seines Hengstes Kraft, seine Ausdauer, er dachte an Owaja, die Theuere, die Heißgeliebte, und verschwunden war die Gefahr vor seiner liebenden Seele, wäre der Strom auch noch einmal so breit gewesen.

Entschlossen, dem Element Trotz zu bieten, ritt er

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weit an dem Ufer des Flusses hinauf, ermessend, wie schnell ihn dessen Strömung mit sich fortreißen würde, damit er das jenseitige Ufer erreiche, ehe er die Oeffnung in demselben, wo der Büffelpfad hinaufführte, passirt habe, denn weiter unten an der schroffen, wenn auch nicht hohen Bank das Land zu erklimmen, war unmöglich.

Er hatte eine Stelle erreicht, wo das Wasser über das schräg abschießende Ufer getreten war, so daß sein Pferd ohne Absprung die Fluth gewinnen konnte. Den Gürtel mit den Revolvern schnallte er ab, hing ihn um den Nacken, that dasselbe mit seiner Kugeltasche, hob die Büchse in seiner Rechten empor und im nächsten Augenblick sank er auf seinem Hengst bis unter die Achseln in die Wogen.

Das edle Thier aber hob sich schnell, so daß sein ganzer Rücken aus dem Wasser hervorsah und, halb gegen den Strom gewandt, theilte es schnaubend mit seinen straffen Gliedern die Wellen.

Die Hauptströmung hatte jetzt Reiter und Pferd erfaßt, mit Pfeiles Schnelle flogen sie an den Ufern vorüber, doch gewaltig theilte der Hengst die Fluth und hatte bald die Mitte des Stromes erreicht.

Nur noch die Hälfte der noch vorliegenden Entfernung mußte durchschwommen werden, um ruhigeres Wasser in dem Bogen des Flusses zu gewinnen;

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Farnwald sprach dem Hengst aufmunternd zu, klopfte dessen breiten, festen Hals und mit mächtigerem Ausgreifen und lauterem Schnauben beantwortete das treue Thier seines Herrn Wunsch. Bald aber ward sein Rücken von den Wellen überspült, sein Nacken war in der Fluth versunken und nur die Hälfte seines kleinen Kopfes sah noch aus derselben hervor.

Mit verhaltenem Athem und messendem Blick hielt Farnwald die Oeffnung im jenseitigen Ufer im Auge, der er sich jetzt mit rasender Eile näherte.

Würde er sie noch erreichen oder sollte er an ihr vorübertreiben? Es mußte glücken, nochmals sprach er dem Hengst zu und hielt ihn schärfer gegen den Strom, nochmals kämpfte das Thier mit aller Gewalt gegen die Wogen, noch wenige Schritte fehlten bis zum Ufer, als Hengst und Reiter bei der Oeffnung vorüberschossen und jeder Gedanke, sie gegen die Strömung zu gewinnen, verschwunden war.

Herum mit dem Kopf, den Fluß hinab, wandte jetzt Farnwald sein Roß und dahin glitt er mit dem reißenden Element ohne Aussicht, ob und wann er es wieder verlassen könne.

Schwerer athmete der Hengst, tiefer sank der Reiter mit ihm in der Fluth, die ihn mit fliegender Eile dahin schwemmte, in wenigen Minuten hatte er die Wendung des Flusses erreicht; er suchte dem Ufer nahe zu bleiben,

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lenkte sein Pferd aus der Strömung um die Biegung und war mit seinem Liebling gerettet, denn er befand sich in ruhigem Wasser, welches über das hier schräge bewaldete Ufer getreten war. Das erschöpfte Thier hatte Grund gefaßt, hob sich mühsam auf das trockene Land hinauf, und Farnwald sprang aus dem Sattel, um es nach dem hohen frischen Grase zu führen, damit es sich dort erhole, denn seine Flanken schlugen hoch, weit waren seine rothen Nüstern ausgedehnt und heftig bebten seine feinen Glieder.

Hier hatte es bald die Erschlaffung überwunden, schüttelte sich kräftig und biß, laut das Wasser aus seinen Nüstern blasend, begierig in das saftige Gras.

Gern gönnte ihm sein Herr die Ruhe, es war ja noch früher, als er gewöhnlich den Fluß zu durchreiten pflegte. Er nahm den Sattel von des Thieres Rücken, rang das Wasser aus der großen wollenen Decke, die darüber lag und drückte dasselbe, so viel als thunlich aus dem Lederanzug, den er trug.

Da stieg der Mond über einer silbergesäumten Wolkenbank am östlichen Himmel auf und mit seinem Erscheinen begann das Herz Farnwalds stärker zu klopfen.

Rasch hatte er den Hengst gesattelt, sich hinauf geschwungen, und vergessen war Gefahr und Nässe; seiner Owaja eilte er entgegen, um an ihrem Herzen wieder zu erwarmen.

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Heute ließ die Indianerin ihn nicht lange warten; kaum hatte er auf dem trauten Grasplatz sein Pferd zurückgelassen und war aus dem Wäldchen hinaus an die offene Prairie getreten, als auch schon die flüchtigen Tritte ihres heraneilenden Rosses zu Farnwalds Ohren drangen und er bald darauf die Geliebte von dessen Rücken hob und an sein Herz drückte.

»Aber Deine Kleidung ist ja ganz naß, Farnwald, ist der Strom so hoch?« fragte das zärtliche Mädchen, als sie ihren Arm um ihn schlang.

»Das Wasser ist sehr angeschwollen, leicht hätte es geschehen können, daß wir uns nicht wieder gesehen hätten; die Strömung riß mich mit sich fort, und erst in der Biegung des Flusses konnte ich landen.«

»Dann hättest Du aber auch nicht kommen sollen, wie leicht konnten Dich die Wogen verschlingen. Deine Owaja würde Dir bald gefolgt sein; hätte Deine Seele auch jenseits auf die meinige gewartet, um sie mit in Deinen Himmel zu nehmen?«

»Sicher, theures Mädchen, Du weißt ja, daß kein Gedanke mehr ohne Dich in mir lebt.«

»Wo ist denn der treue Joe, hast Du ihn nicht mitgebracht?« fragte Owaja, als sie sich neben Farnwald unter der Magnolie niederließ.

»Ich habe ihn zu Hause gelassen, da ich ihn der

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Strömung des Flusses nicht aussetzen wollte; das ehrliche Thier ist schon alt.«

»Ich vermisse ihn ungern in Deiner Nähe, wie leicht könnten Dir die Lepans in der Schlucht auflauern, wenn sie zufällig die vielen Hin- und Herfährten Deines Hengstes dort bemerken sollten. Du weißt, sie würden Alles daransetzen, um Deiner habhaft zu werden.«

»Sorge nicht, süßer Engel, der Gott der Liebe schützt uns, sonst wären wir schon längst verrathen. Sei Du nur vorsichtig.«

»Mir droht keine Gefahr, die Männer der Lepans lassen sich durch die Sonne wecken, und die Frauen wissen, daß es mir von jeher Freude machte, früh herumzuwandern, wenn der Thau noch glänzend auf den Blumen hing und die Vögel sich ihren ersten Gruß zuriefen. In der nächsten Nacht werde ich nicht zu Dir kommen können, wir erwarten morgen Freunde; ein kleiner Stamm Lepans vom Norden wird uns besuchen und dann bleiben unsere Leute sicher länger auf, als gewöhnlich; aber übermorgen in der Nacht muß ich Dich wiedersehen, und kostete es mein Leben.«

»Ich werde an dieser Seite des Flusses verweilen, um mein Pferd nicht unnöthiger Gefahr auszusetzen.«

»Bleibe aber nicht hier in diesem Holze, unsere Jäger könnten Dich auffinden.«

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»Ich will zurück nach dem Flusse reiten und mich in dem Gehölz, wo ich heute gelandet bin, aufhalten, das Gras ist dort gut, und das Versteck abgelegen. Wie wird mir aber so allein die Zeit lang werden; zwei ganze Tage und eine Nacht ohne Dich!«

»Ich bin ja mit meiner ganzen Seele bei Dir, mein einzig Geliebter; o brauchte ich Dich doch nimmer wieder zu verlassen! Wie gern zöge ich mit Dir in Dein Wigwam; es würde aber meinen guten Großvater todten und die Lepans würden nicht ruhen und nicht rasten, bis sie sich an Dir dafür gerächt hätten. Erst nach diesem Leben, Farnwald, werden wir uns für immer angehören!«

Inniger schmiegte sich die schöne Wilde an ihres Geliebten Brust, und fester schlang er seine Arme um ihren zarten Körper, als fürchte er, daß man sie bald von seinem Herzen reißen würde; denn es gehörte so wenig dazu, um ihre Liebe zu verrathen, und dann war es sicher zu Ende mit ihrem Glück.

Doch sie vergaßen die bange Zukunft in dem Wonnetraum der Gegenwart und mußten erst wieder durch die erwachenden Vögel daran erinnert werden, daß der verrätherische Tag im Herannahen sei.

»Lebwohl für so lange Zeit, mein einziges Glück!« sagte Owaja, Farnwalds Nacken umschlingend, als er

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sie in seinen Armen auf ihr Roß hob. »Morgen in der Nacht aber ist Owaja wieder bei Dir.«

Noch einmal beugte sie sich zu ihm nieder, drückte ihren kleinen frischen Mund auf den seinigen und schoß dann auf ihrem schnellen Pferde hinweg über das wogende Gras, so daß sie bald in dem verbleichenden Mondschein vor seinen Blicken verschwand.

Der neue Tag warf schon sein Dämmerlicht über die Prairie, als Owaja zwischen den noch ruhenden Pferden und Maulthieren der Lepans von ihrem schaumbedeckten Renner sprang, ihn den Zügel vom Kopfe nahm, seine Nüstern gegen ihre Wange drückte und fliegenden Trittes dem Walde zueilte, in dessen Schatten sie, dem Flusse folgend, bald die Nähe des Zeltes ihres Großvaters erreichte.

Sie sprang aus dem Gebüsch hinter demselben hervor, wandte sich dem Eingang zu, als ihr Blick auf Hargo, ihren verschmähten Anbeter fiel, der in kurzer Entfernung unbeweglich an einem Baumstamm stand und seine finstern Augen auf sie geheftet hielt.

Wie ein Blitzschlag traf sein Anblick das erschrockene Mädchen, kalt und mit Unheil ahnendem Gefühl fuhr es ihr durch die Glieder, sie drückte den Zaum, um ihn zu verbergen, an ihre Seite, und wankte in das Zelt ihrem Lager zu, auf dem sie in die Knie sank

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und ihre bebenden Hände über der Brust faltend, die mit Thränen gefüllten dunkeln Augen nach Oben hob.

Sie flehte den großen Geist um Schutz an, nicht für sich, nur für ihren Geliebten, denn sie wußte, daß Hargo jetzt schon zu ihrem Pferde eilen und dessen Spur nach dem Gehölz folgen würde, von wo aus ihm die Fährte von Farnwalds Hengst nicht unbemerkt bleiben konnte.

Lange lag sie zitternd in inbrünstigem Gebet, dann sprang sie plötzlich auf, schlang den abgeworfenen Köcher mit Bogen und Pfeilen abermals um ihre Schulter, und mit entschlossenem Ausdruck und wild blitzenden Augen trat sie aus dem Zelt heraus und eilte zu ihrem Pferde zurück.

An dem Saume des Waldes blieb sie stehen und spähte über die Grasfläche in der Richtung nach dem Gehölz, in welchem sie den Geliebten verlassen hatte, doch außer der grasenden Heerde konnte sie weit und breit kein lebendes Wesen bemerken. Sie eilte zwischen den Pferden hin, und verfolgte die Spur, welche ihr Roß im Grase zurückgelassen hatte; die Halmen, von dessen Hufen niedergebeugt, hingen sämmtlich noch in derselben Richtung, und links und rechts war keine zweite Fährte zu erkennen. Hargo konnte also noch nicht hier gewesen sein; sollte er wirklich den Zügel in ihrer Hand nicht bemerkt, sollte er wegen ihrer nächtlichen

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Wanderung keinen Verdacht gegen sie geschöpft haben? Owaja hoffte es und athmete freier; sie wollte es so gern glauben, weil ja ihr Glück, vielleicht das Leben ihres Geliebten von der Entscheidung dieser Frage abhing.

Sie schritt nach dem Lager zurück, brach Blumen auf dem Wege, band sie zu einem großen Strauß zusammen und, denselben zur Schau tragend, ging sie an den Zelten vorüber, begrüßte hier und dort eine Freundin, und warf ihr auch wohl im Vorübergehen eine der Blüthen zu. Dabei spähte ihr scharfes Auge eifrig in allen Richtungen nach dem gefürchteten Hargo, nirgends war er zu erblicken, auch nicht in seinem eignen Zelte; erst, als sie in die Nähe von des Häuptlings Wigwam kam, sah sie ihn in einiger Entfernung ruhig bei dem Feuer eines andern Indianers sitzen und ein Stück Fleisch über der Kohlengluth rösten.

Neue Hoffnung füllte bei diesem Anblick das Herz des geängstigten Mädchens, aber so sehr sie auch die Zweifel daraus zu verbannen suchte, so sagte ihr doch eine innere Stimme, daß sie sich keiner Beruhigung hingeben dürfe, daß die Unbefangenheit Hargos nur Verstellung sei, und daß sie von seiner Eifersucht, seinem Rachedurst Alles zu erwarten habe.

Owaja war aber selbst Indianerin, sie konnte sich

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auf die Schärfe ihrer Sinne, ihres Verstandes verlassen, woran ihr keiner ihres Stammes gleich kam. Sie war entschlossen, alle Bewegungen im Lager zu beobachten, einem jeden Schritt, der gegen den theuren Geliebten unternommen werden sollte, zuvorzukommen und ihn sogar mit dem eigenen Leben gegen Gefahr zu schützen.

Nachdem sie sich festlich zum Empfang der erwarteten Freunde geschmückt hatte, trat sie, wenn auch aufgeregter, als gewöhnlich, mit heiterem freundlichen Gruße unter ihre Gespielinnen, das Mahl, womit man die Erwarteten bewillkommnen wollte, wurde gemeinschaftlich bereitet, der Platz im Walde, wo es eingenommen werden sollte, wurde mit Blumenkränzen, mit Waffen und mit prächtigen Thierhäuten geziert, Trommelfelle wurden über Reife gespannt, Kürbisse zum Rappeln mit Steinchen gefüllt, und auch Pfeifen und Flöten geschnitten, um die Fremden mit Musik zu überraschen.

Owaja betheiligte sich bei allen diesen Beschäftigungen, ließ aber dabei Hargo keinen Moment aus den Augen; durch ihre Freundinnen und die ihr ergebenen Indianer ließ sie denselben immer in ihrer Nähe halten und beschäftigen, und aufmerksam folgten ihre Blicke zugleich den Bewegungen und den Mienen der übrigen Lepans.

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Jetzt erschienen die erwarteten Freunde, man zog ihnen entgegen, führte sie feierlich in das Lager und geleitete sie darauf zu dem geschmückten Grasplatz, wo die Friedenspfeife geraucht und die Mahlzeit eingenommen wurde. Darauf lagerten sich die bejahrten Männer zusammen, um ihre Kriegs- und Jagdzüge zu besprechen, die Frauen zeigten einander ihre Schmucksachen, ihre künstlich aus Leder verfertigten Kleidungsstücke, so wie die von ihnen bereiteten schönen Thierhäute, und die jungen Männer und Mädchen gingen hinaus nach der offenen Grasflur, um sich durch mannigfaltige Spiele, durch Wettlaufen, Pfeilschießen und Reiterkünste zu belustigen.

Owajas scharfer Blick hatte bis jetzt noch keinen ihrer Leute vermißt und Hargo noch keinen Augenblick in verdächtiger, oder nur vertrauter Unterhaltung getroffen, als Nachmittags zwei der Jäger ihres Stammes, mit Bogen und Pfeilen bewaffnet, vor Aller Augen zu ihren Pferden gingen, dieselben bestiegen und längs des Waldes davon ritten.

Owaja hielt dabei ihre Blicke fest auf Hargo geheftet, ob sie nicht in seinen Bewegungen, in seinen Augen ein Einverständniß mit den beiden Davonreitenden erkennen könne; dieser aber schien deren Entfernen gar nicht zu bemerken, und sein ganzes Interesse nur auf ein Spiel mit kleinen Steinen zu verwenden, bei

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dem er augenblicklich mit zwei jungen Indianerinnen begriffen war.

Owajas Herz hatte seine Schläge mehrere Male ausgesetzt, und dann um so heftiger gepocht, als sie die beiden Reiter davon ziehen sah, denn sie kannte die Verstellungskunst der Indianer, sie wußte, daß selbst die stürmischsten Gefühle ihrer Brust, wenn sie solche verbergen wollen, sich niemals äußerlich kund geben, und sie erinnerte sich, daß ihr Einziggeliebter heute ohne seinen treuen wachsamen Begleiter, den Bluthund, war. Sie bemühte sich, ruhig und heiter zu erscheinen, nahm Theil an den Spielen, lachte und zeigte sich ausgelassen lustig, aber in ihrer Brust lag eine Welt von Bangigkeit und Sorgen, die deren Raum zu zersprengen drohten; ihr Herz tobte bald in wilder Aufregung, bald schien es ihr mit kalten Händen zusammengepreßt zu werden; ihre Seele, ihre Gedanken waren nur bei dem Geliebten, und als die Sonne sich hinter dem hohen Walde am Flusse verbarg, da zog es sie mit gewaltigem, fast unwiderstehlichem Sehnen nach ihm hin. Aber sie konnte, sie durfte sich jetzt ja nicht entfernen, wollte sie nicht Aller Aufmerksamkeit auf sich lenken und einen Verdacht erzeugen, der möglicherweise noch nicht gegen sie rege geworden war. Sie blieb und hoffte auf die baldige Rückkehr der Jäger.

Farnwald hatte sich, wie er Owaja gesagt, in dem

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kleinen Gehölz an dem Strome, aus dessen Fluthen er hervorgestiegen war, niedergelassen, um dort ruhig die ewig lange Zeit, bis zu der zweiten Nacht versteckt hinzubringen, hatte frühzeitig am Morgen einen fetten Truthahn geschossen und den Tag unter Zubereitung desselben mit liebendem Andenken an seine schöne Wilde und mit durch sie zauberisch und wonnig belebten Träumen hingebracht.

Als die Sonne hinter der Felsenreihe versank, welche das Fluß[t]thal von der weiten Ebene, in der die Geliebte wohnte, trennte, saß er vor dem kleinen Feuer im Grase, beschäftigt, ein Stück Fleisch am Spieße zu rösten und blickte von Zeit zu Zeit dem scheidenden Gestirn nach. Plötzlich glaubte er an der etwas entfernten Felswand in einer zerrissenen Schlucht die Bewegung eines Gegenstandes zu bemerken, so sehr er aber auch seine Augen anstrengte, so konnte er doch weiter nichts davon gewahren.

Durch sein langjähriges gefahrvolles Leben in der Nähe der Wilden war ihm Mißtrauen und Vorsicht zur andern Natur geworden; schnell warf er das Feuer auseinander, bedeckte die stark rauchenden Brände mit Erde, damit die aufsteigende Rauchsäule ihn nicht verrathen möge, und hielt unverwandt seine Blicke auf die Bergwand gegenüber geheftet.

Die Schatten der hereinbrechenden Nacht hatten

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sich schon düster über den Abhang gelegt, als Farnwald in derselben Schlucht, doch etwas weiter nach unten, abermals einen beweglichen dunkeln Gegenstand bemerkte, den er für einen Menschen hielt, der jedoch gleich darauf wieder verschwand.

Der Gedanke, daß er von Indianern beobachtet werde, war in ihm aufgestiegen und er überlegte, auf welche Weise er sich aus ihrem Bereiche entfernen könne. Zuerst gedachte er nach eingebrochener Dunkelheit, ehe der Mond aufgehen würde, sein Pferd zu besteigen und sich weiter am Flusse hinab ein Nachtlager zu suchen, aber das Ufer dorthin war ihm zu wenig bekannt, um zwischen dem vielen losen Gestein seinem Pferde den gefährlichen Marsch zuzumuthen und wurde er wirklich von Wilden beobachtet, so konnte er darauf rechnen, daß diese ihm ebenso gut nach einem andern Lagerplatz folgen würden.

Er beschloß daher hier zu bleiben, während der Nacht zu wachen, und einen etwa gegen ihn gerichteten Ueberfall mit den Waffen zurückzuweisen; ersann aber zugleich eine List, um vorsichtig nahende Feinde irre zu leiten.

Er fachte nämlich, als es dunkel wurde, sein Lagerfeuer auf der Mitte des Grasplatzes wieder an und wälzte einen schweren Baumstamm dabei, damit es während der Nacht nicht erlöschen möge; rollte dann

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in seine große weiße wollene Decke genug Gras und Blätter, um ihr die Stärke eines darin eingehüllten Mannes zu geben, legte sie vor das Feuer, mit dem einen Ende auf seinen Sattel, und setzte seinen großen schwarzen Filzhut so darauf, daß die Rolle vollkommen das Ansehn hatte, als ob er selbst, in die Decke eingehüllt, vor dem Feuer schliefe.

Darauf band er sein Pferd in einiger Entfernung davon vor dem Dickicht an einen Baum und legte sich selbst mit seinen bereit gehaltenen Waffen hinter dasselbe in die Büsche.

Die Nacht brach herein, Alles um ihn her blieb ruhig und lautlos; nur einzeln schallte der krächzende Ruf eines Wasserraben, eines aufgestörten Reihers, oder das Hohnlachen eines Uhus durch das Flußthal.

Farnwalds Gedanken waren hinüber zu seiner geliebten Owaja gezogen, dennoch hielt er sein scharfes Gehör so aufmerksam auf seine Umgebung gerichtet, daß ihm selbst der leise Ton eines fallenden Blattes nicht entging.

Der Mond stieg roth und feurig über dem dunkeln Horizont auf, hob sich höher am Himmel, sein Antlitz wurde allmälig glänzender und silberweiß, und sein Licht legte sich klar und hell über die Riesenpflanzen, die auf- und absteigenden kolossalen Rankengeflechte und luftigen Palmenwipfel, die den Grasplatz umgaben. Jetzt hatte

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er seinen Schein auf die weiße wollene Decke vor dem Feuer geworfen, als Farnwald durch die Stille der Nacht das Zerbrechen trockenen Reisholzes gehört zu haben glaubte. Er horchte schärfer nach der Richtung an der andern Seite des Platzes hin, von welcher her der Ton gekommen war; doch nichts mehr unterbrach die Todtenstille.

Wohl eine halbe Stunde war ohne den mindesten verdächtigen Laut verstrichen, als abermals das Knacken von Reisholz hörbar wurde und zwar in nicht großer Entfernung.

Farnwald hielt mit verhaltenem Athem die Doppelbüchse in seine Hände gepreßt und blickte starr und unbeweglich auf die Büsche, hinter welchen er den Ton gehört hatte. Es war Alles wieder still, nur die berstende Rinde des Baumstammes vor dem Feuer ließ ihr Knistern und Knacken hören.

Farnwalds Gehör war zu geübt und bei Lebensfragen zu oft auf die Probe gestellt worden, als daß er über das Zerbrechen von Reisholz, welches er vernommen, hätte im Zweifel sein können; er wußte gewiß, daß ein lebendes Wesen von einem gewissen Gewicht den Ton veranlaßt hatte und daß dasselbe noch in seiner Nähe war, da der Ton sich nicht in größerer Entfernung wiederholt hatte.

Jetzt rauschte es über ihm und ein mächtiger Uhu

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schwang sich auf einen Baumstumpf, der aus der Dickung gegenüber hervorsah, doch wenige Augenblicke später hob derselbe, wie es schien, durch irgend Etwas erschreckt, wieder seine breiten Schwingen und zog lautlos in dem Thal dahin.

»Man hat gefürchtet, daß der Ruf des Vogels mich aus meinem Schlafe wecken könnte, weshalb man ihn verscheucht hat,« dachte Farnwald, unverwandt nach den Büschen hinsehend, als deren Riesenblätter sich leise bewegten, sich theilten und das helle Weiß von zwei menschlichen Augen aus ihnen hervorblickte.

Alsbald erschien auch der Kopf eines Wilden, dann seine ganze dunkele Gestalt und neben ihm trat lautlos ein Zweiter zwischen den Pflanzen hervor.

Der Erste von ihnen zeigte mit der Rechten auf die wollene Decke vor dem Feuer, indem er mit der Linken einen Bogen und Pfeile vor sich hielt.

Beide traten bis auf wenige Schritte zu dem Feuer hin, legten Pfeile auf ihre Bogen, zogen sie auf der strammen Sehne, gegen die weiße Decke gerichtet, zurück, und in ein und demselben Moment hatten sich beide Geschosse bis an ihr Gefieder in derselben vergraben. Doch im nächsten Augenblick blitzte es aus dem Busche hinter dem Hengst, mit dem Krach von Farnwalds Doppelbüchse sank der erste Indianer zu Boden und der Zweite hatte sich mit einem lauten

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Schrei kaum umgewendet, als die zweite Kugel ihn erreichte und er taumelnd in das Dickicht zurückstürzte. Der erlegte Wilde krümmte sich im Todeskampfe neben dem Feuer, doch Farnwald trat nicht aus seinem Versteck hervor; wohl schallte der helle Ton seines Ladestocks, womit er aufs Neue die Kugeln in die Rohre trieb, und das Klingen der Schlösser an seinem Gewehr aus dem Dickicht; doch er selbst erschien nicht.

Mit verdoppelter Aufmerksamkeit lauschte er, unter die Büsche gekauert, jedem fernen und nahen Laut; das Zirpen und Summen der Insekten um ihn her, das Rasseln einer Maus im Laube, den Metallton der Eidechsen, die ihn umhuschten, er prüfte Alles genau und kein vorüberfliegender Leuchtkäfer, keine dahin flatternde Fledermaus entging seinem spähenden Blick.

Die Nacht war verstrichen der Morgen graute und das Tageslicht hatte die düstern Schatten unter den Büschen verdrängt, als Farnwald, platt an dem Erdboden liegend, vorsichtig durch die Büsche um den Rasenplatz kroch, um einen dort etwa noch lauernden Feind zu erspähen und ihn bei zeitigem Erkennen unschädlich zu machen. Doch das Gehölz war durchsucht, ohne daß sich weiter ein Indianer dort vorgefunden hätte, worauf Farnwald zu dem Getödteten hintrat und in ihm einen Lepan erkannte, während die blutige Spur des Andern, die er durch das Dickicht und ein Stück

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Weges an dem Strom hinauf verfolgte, andeutete, daß auch er schwer getroffen sei.

War sein Einverständniß mit Owaja verrathen, oder hatte nur der Zufall diese Beiden auf seine Fährte geführt? das war die Frage, die sich ihm beängstigend aufdrängte, und worüber er vor dem Wiedererscheinen des Mondes keinen Aufschluß erhalten konnte. Keinesfalls durfte er aber länger hier verweilen, da leicht die Kameraden dieser Beiden dieselben suchen, und ihrer Fährte hierher folgen konnten.

Farnwald zog den Leichnam nach dem Strome hin und versenkte ihn in die Wogen. Dann sattelte er sein Pferd und war einen Augenblick unschlüssig, ob er durch den Fluß, der bedeutend gefallen war, zurückreiten, oder am diesseitigen Ufer verweilen solle. Aber das Wasser hätte möglicherweise abermals schnell wachsen können und so beschloß er, an dieser Seite desselben zu bleiben.

Er lenkte sein Pferd zwischen dem losen Steingeröll hin am Wasser hinunter, bis er mehrere Meilen von seinem Nachtlager einen hohen, sehr dichten Wald erreichte, der ihm hinreichend Schutz bot, für den Fall, daß man ihn verfolgen sollte, und nahm seinem Pferde den Sattel ab, um den Abend dort zu erwarten.

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Capitel 3.

Die Besorgniß. - Auffinden der Spur. - Verrath. - Der Liebe Angst. - Der Pfeilschuß. - Das verwundete Mädchen. - Die Flucht. - Vertheidigung. - Die Ankunft. - Der Tod. - Das Grab. - Theilnahme. - Gram. - Der alte Freund. - Die Plantage. - Sklavenmusterung.


In dem Lager der Lepans war in vergangener Nacht schon Alles längst zur Ruhe gegangen, als nur noch zwei Personen, wenn auch mit ganz verschiedenen Gefühlen, doch beide in größter Aufregung der Rückkehr der beiden Jäger entgegensahen. Diese zwei Personen waren Owaja und Hargo, welche Beide in dem Eingang ihrer Zelte lagen und spähend durch die stille Nacht lauschten, ob sie nicht den Tritt von nahenden Pferden hören könnten. Keiner der von ihnen erwarteten Jäger kam zurück.

Hargo war wiederholt hinaus vor sein Zelt getreten, um nach Osten hinzublicken und kaum zeigte sich dort am Himmel der erste bleiche Schimmer des Morgens, als er, mit Bogen und Pfeilen bewaffnet, nach der Prairie eilte, seinem Pferde dort den Zaum auflegte, und durch das Gras nach dem Felsenpaß hinsprengte,

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von welcher Richtung her er am vergangenen Morgen Owaja hatte über die Ebene kommen sehen, und wohin er am Tage vorher die beiden Jäger zum Spüren gesandt hatte.

Es war Tag, als er die Schlucht erreichte, von seinem Rosse stieg und mit scharfem Blicke die dort in den Boden gedrückten Pferdespuren forschend untersuchte.

Bald hatte er die der beiden Jäger als die frischesten erkannt, zugleich aber fand er den Abdruck eines zierlich geformten und schön geschnittenen Hufes, der sich hin und her bewegt hatte, und zwar öfters wiederholt und zu verschiedenen Zeiten.

»Der weiße Hengst des großen Bären, kein andres Pferd hat solchen Huf; bei unserm Kriegsgott, es ist der weiße Hengst, kein anderer!« rief der Indianer sich vor der Spur niederknieend, und seine Finger in den scharfen Abdruck legend. »Wer anders, als der große Bär, konnte auch das Herz der stolzen Owaja erweichen; wer hätte es vermocht, sie durch ihres Herzens Klopfen von ihrem Lager aufzujagen und durch die Nacht weit von ihrem Zelte zu sich hinzuziehen? Er ist's, der ihre Brust mir verschlossen, der ihre Augen von mir abgewendet hat, doch Hargos Herz ist noch stark, sein Pfeil noch spitz, und sein Auge gleich dem des Adlers.«

Bei diesen Worten, die der Wilde mit unterdrückter

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Wuth sprach, folgte er der Spur des Hengstes zurück in das Gras, und erreichte bald das Gehölz an dem Bache, in welchem er den Fleck entdeckte, wo die Liebenden so oft in unbegrenztem Glück zusammen gesessen hatten. Die Spuren Farnwalds, so wie die Owajas wurden deutlich von dem Indianer erkannt und ohne länger zu verweilen, warf er sich auf sein Pferd, sprengte nach dem Walde zurück, in welchem das Lager stand, befreite sein Reitthier von dem Zaum und schlich, denselben nebst seinen Waffen im Holze zurücklassend, durch das Gebüsch zu dem nächsten Zelte, wo er sich bei dessen Bewohnern ruhig an dem Feuer niederlegte.

Owaja hatte Hargo mit Schrecken und Angst im ganzen Lager gesucht, als sie ihn endlich vor dem letzten Zelte liegend bemerkte. Er konnte sie aber nicht durch seine Ruhe täuschen, sie wußte es wohl, daß er vor Tagesanbruch thätig gewesen war, sein finsterer Blick aber sagte ihr, daß er für sie keine Trauerkunde über ihren Geliebten in der Brust trug; denn was ihr das Herz gebrochen hätte, würde sich triumphirend und glänzend in seinen Augen gespiegelt haben.

Heiterkeit und Frohsinn hatte sich wieder im Lager verbreitet, festliche Mahle, Spiel und Tanz wechselten zu Ehren des Besuches wä[h]rend des Tages, und Owaja mußte, ob sie wollte oder nicht, sich mit in die Reihen

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der Fröhlichen stellen. Hargo hielt sich heute von allem diesem fern, so daß Owaja seine Schritte zu beobachten nicht im Stande war.

Nach dem Mittagsessen, als die alten Krieger sich um Wallingos Feuer gelagert hatten und die jungen Leute, Owaja in ihrer Mitte, hinaus nach der Prairie gezogen waren, trat plötzlich Hargo zu dem Häuptling und bat ihn, mit ihm in sein Zelt zu gehen, da er ihm ein großes Geheimniß zu entdecken habe.

Wallingo folgte der Aufforderung, wenn auch mit Widerwillen, denn Hargo war ihm verhaßt, doch that er es, weil dieser ihm sagte, seine Mittheilung sei für ihr Volk von größter Wichtigkeit.

Sie hatten im Zelte des Häuptlings auf Büffelhäuten Platz genommen, als Hargo zu diesem sagte:

»Der große Bär hat seinen Schritt schon auf unser Land an dieser Seite des Stromes gesetzt und wird nun bald sein Wigwam hier aufschlagen. Ich habe seines Hengstes Fuß gespürt und den Platz gefunden, auf dem er selbst während der Nächte ruht. Er hat Liebe in das Herz unsres schönsten Mädchens gegossen, und zieht sie von ihrem Lager neben ihrem Großvater weg zu sich hin, in seine Arme.«

Wallingo hatte die Brauen zornig zusammengezogen und sah mit finsterm Blick auf den Sprecher, dann sagte er:

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»Es giebt nur ein schönstes Mädchen unter den Lepans und die ist so fleckenlos, wie der Schnee, der auf jenen Gebirgen glänzt. Hüte Dich, den Schnee ihrer Tugend mit Deiner falschen Zunge zu beschmutzen.«

»Wallingos Messer mag mir den Leib aufreißen, er mag mir das Gewürm des Waldes in die Eingeweide setzen und die Geier mögen meine Augen aushacken, wenn ich mit zwei Zungen geredet habe. Es ist Owaja, die ihr Herz dem großen Bären geöffnet hat, und sein Lager in jenem Gehölz an der Schlucht vor dem Strome theilt. Gestern zogen zwei unserer Jäger nach ihm aus, um seinen Schritt zu sehen; sie sind nicht zurückgekehrt; gieb Du mir zwölf Deiner Krieger, und ich bringe Dir morgen früh den Scalp des großen Bären und seinen weißen Hengst, den kein Pferd der Lepans bis jetzt einzuholen vermochte.«

Der Häuptling hatte sich erhoben und stand mit untergeschlagenen Armen, eine Zeit lang schweigend seine zornigen Blicke auf Hargo heftend, dann sagte er:

»Wallingo wird selbst sehen, ob sein eigen Blut sich gegen sein Herz gerichtet hat, um es zu zerbrechen; er wird selbst sehen, ob das Kind, das er an seiner Brust erzogen hat, zur Schlange geworden ist, und ob sein Stolz ihm nicht in die ewigen Jagdgründe seiner Väter folgen darf. Wenn Hargos Zunge falsch geredet hat, so wird Wallingo sie ihm ausreißen und den

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Hunden als Speise vorwerfen, hat sein Auge falsch gesehen, so wird Wallingo heiße Steine darauflegen und hat er falsch gehört, so wird Wallingo ihm siedendes Oel in die Ohren gießen. Die zwölf Krieger sollen Dich begleiten, Du kannst sie selbst wählen; Owajas Augen aber dürfen Euren Schritt nicht sehen und ihre Ohren Eurer Rosse Tritte nicht hören.«

Mit diesen Worten winkte der Häuptling dem Indianer sich zu entfernen, schritt selbst zu dem Feuer zurück und legte sich, anscheinend ruhig, wieder auf seine Jaguarhaut nieder.

In dichtgeschlossenen Reihen hatte ein Tanz unter den jungen Leuten in der Prairie begonnen, Owaja befand sich in ihrer Mitte, und lustig erklangen die Trommeln, die mit Steinen gefüllten Kürbisse und die Pfeifen zwischen den auf- und niederspringenden, dicht zusammengedrängten Tänzern.

Während dieser Zeit, und als die Sonne schon ihre letzten Strahlen hinter dem Urwalde am Flusse verbarg und dieser seine langen Schatten über die Prairie streckte, hatte Hargo die Krieger einzeln ihre Rosse besteigen lassen, und einzeln und unbemerkt hatten sie alle das Lager verlassen, sich an einer entfernten Waldspitze gesammelt und zogen nun, außer dem Gesichtskreis der fröhlichen Menge über die Prairie dem Gehölz zu, in welchem Hargo die Spuren von Farnwald und

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Owaja gefunden hatte. Dort banden sie ihre Pferde an, nahmen ihre Bogen, Pfeile und Streitäxte, und eilten nach der schmalen Schlucht, die durch die Felsen zu dem Flusse führte. Wo dieselbe am engsten war, vertheilten sich die Indianer zu beiden Seiten und verbargen sich hinter dem Gestein.

Die Nacht hatte sich über die Gegend gelegt, als der Tanz unweit des Lagers der Lepans zu Ende war, die Tänzer mit ihren Bogen und Pfeilen, denn sie hatten vor dem Tanze auch nach einem Ziele geschossen, nach den Zelten zurückwandelten und Owaja von einer bangen Sehnsucht, einer Angst befallen wurde, die sie länger nicht einen Augenblick hätte bemeistern können. Sie war unbemerkt hinter den Andern zurückgeblieben und sah gen Osten nach der fernen Bergschlucht hin, der Mond stieg über der Felsenreihe auf, es war ihr, als winke er ihr zu kommen, als rufe er sie zu dem Geliebten; rasch sprang sie durch das Gras zu den Pferden, rief in gewohnter Weise ihr Roß herbei, nahm schnell das lange Lederband, welches ihr Haar zusammenhielt, von ihrem Kopfe, band es in seiner Mitte um den Unterkiefer des Pferdes, schlang die beiden Enden als Zügel auf dessen Nacken zusammen und auf des Thieres Rücken springend, jagte sie mit ihm dem aufsteigenden Monde entgegen.

In fliegendem Laufe hatte das edle Thier das Gehölz

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vor der Schlucht erreicht, wo Owaja mit Entsetzen die angebundenen Pferde der Krieger gewahrte.

»Großer Geist, hilf mir den Geliebten schützen!« rief sie in Verzweiflung aus, wandte ihr Roß in rasender Eile dem Engpaß zu und jagte über Stein und Geröll in sausender Carriere in denselben hinein.

»Zurück, Owaja, bei Deinem Leben zurück!« schrie ihr die nur zu wohl bekannte Stimme ihres verschmähten Liebhabers entgegen, doch als Antwort ließ sie einen verzweifelten gellenden Schrei wiederholt ertönen, der weit in den Felsen wiederhallte, hieb mit ihrem Bogen auf das dahin rasende Pferd, und stürmte mit fliegenden Haaren zwischen den Kriegern durch, so daß das Gestein hinter den Hufen des Rosses weit umherflog.

Da schwirrte ein Pfeil, es klang die Sehne eines Bogens und der gefiederte Todesbote vergrub seine scharfe Spitze in der weichen Seite des treuen Mädchens.

Mit einem neuen noch lauter tönenden Schrei, nach dem Ausgang der Schlucht gerichtet, ergriff die Indianerin das Geschoß, riß es aus der Wunde, preßte das Ende ihres Lederröckchens vor deren Oeffnung und trieb dann wieder ihr Pferd in fliegender Eile vorwärts.

»Farnwald, mein Geliebter!« schrie sie, als sie aus

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der Schlucht hervor und in dem Thale dahinjagte und blickte verzweifelnd vor sich durch das Mondlicht.

Da glänzte es hell vor ihr, der weiße Fleck kam rasch näher, es war des Geliebten Roß, es war Farnwald, der Heißersehnte, den es ihr entgegentrug und in dessen Arme sie bald darauf blutend vom Pferde sank.

»Eile, Geliebter, über den Strom zurück, verweile keine Minute, die Krieger der Lepans werden bald hier sein; leb wohl, meine Seele wartet jenseits auf die Deinige, um mit Dir in Deinen Himmel zu gehen,« sagte Owaja mit schwacher Stimme und hielt sich mit ihrem Arm an Farnwalds Schulter aufrecht.

»Großer Gott, Owaja, Du bist verwundet?« rief dieser in höchster Verzweiflung, jetzt erst das Blut bemerkend, welches aus des Mädchens Seite floß.

»Es war Hargos Geschoß, das er für Dich, mein Geliebter, geschärft hatte. Der große Geist hat mein Gebet erhört und hat gnädig die Spitze von Dir abgewandt. Fliehe Farnwald, ich warte Deiner jenseits,« sagte Owaja, seinen Nacken umklammernd, als aus weiter Ferne das höllische Kriegsgeschrei der Lepans durch die Schlucht herüberschallte.

»Sie kommen, Farnwald, rette Dich und wache über Hargos Pfeil.«

»Nicht ohne Dich, Owaja, mein Hengst trägt uns Beide, oder Keines von uns hier weg,« sagte Farnwald,

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hob das bebende Mädchen auf sein Pferd, schwang sich hinter dasselbe in den Sattel und, sie in dem Arme gegen seine Brust pressend, sprengte er im Galopp dem Flusse zu.

Die Furt war bald erreicht, das Wasser war verlaufen, es näßte kaum die Hälfte des Sattels und Farnwald hatte mit seiner theuern Bürde das jenseitige hohe steile Ufer auf dem einzigen Zugang, dem Büffelpfade, erstiegen, als Hargo und seine Krieger sämmtlich zu Rosse mit Wuthgeheul in der Schlucht herab dem Flusse zugesprengt kamen und ihn im Mondlicht auf der Höhe erkannten. Einen Augenblick nur hielten die Wilden ihre Pferde an dem Ufer an, dann stieß Hargo einen wilden gellenden Kriegsschrei aus und trieb sein Roß auf der schmalen Furt in die Wogen.

»Es ist Hargo, flieh, Geliebter, laß mich zurück, oder sie holen Dich ein,« sagte Owaja, sich aus den Armen Farnwalds windend, und ließ sich von dem Pferde sinken.

Doch auch dieser war im Augenblick abgesprungen, hatte das treue Mädchen gegen ein Felsstück niedergesetzt und war mit der Doppelbüchse an den schroffen Abhang getreten, als Hargo sein Pferd auf dem Pfad an demselben herauf trieb und seine wilden Gefährten ihm hintereinander mit dem furchtbarsten Geschrei folgten.

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Hargo hatte die Hälfte der Höhe erreicht, als Farnwalds Büchse krachte und ihre Kugel dem Indianer den Schädel zerschmetterte, so daß der Wilde rücklings vom Pferde und hinab in den Fluß rollte, während dieses sich erschreckt vor dem Feuer umwendete und seinen Kameraden entgegensprang. Die zweite Büchsenkugel Farnwalds brachte einen zweiten Wilden von dem Rücken seines Thieres, während die Uebrigen, denen Jener noch einige Revolverschüsse nachsandte, jetzt in toller Flucht durch den Strom zurück das jenseitige Ufer zu erreichen strebten.

»Hat Deine Kugel Hargos Herz getroffen?« fragte Owaja, die Arme nach Farnwald ausstreckend, als er zu ihr zurückeilte.

»Die beiden Ersten, die an dem Abhange heraufkamen, sind getödtet, theures Mädchen.«

»Dem großen Geist sei dafür gedankt, denn Hargo war der erste. Nimm mich mit Dir, mein Geliebter, laß mich in Deiner Nähe ruhen, laß die Lepans meinen Körper nicht verstümmeln, Owaja ist ja Dein im Leben und im Tode.«

»Du wirst nicht sterben, meine Owaja, komm laß uns eilen,« sagte Farnwald außer sich, legte sein zusammengefaltetes Taschentuch auf die Wunde des geliebten Mädchens und band sein Halstuch darüber um ihren Leib. Dann hob er die Theure wieder auf sein

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Roß, schwang sich hinter sie und eilte in raschem Paßgange seiner Ansiedlung zu.

»Hallo, Addisson, Charity, wo seid Ihr? aufgemacht!« schrie er vor der Einzäunung nach den Gebäuden hin, während die Hunde in derselben einen rasenden Lärm schlugen und Joe, an seiner Kette hochaufspringend seine tiefe Baßstimme dazwischen tönen ließ.

»Mein Gott, Herr Farnwald, sind Sie es?« rief Paulmann, der aus dem Bette gesprungen war und durch den Schatten der Bäume dem Eingänge zueilte.

»Wir sind recht besorgt um Sie gewesen; der Comantsche sagte, er wäre Ihrer Spur bis an den Fluß gefolgt, der so hoch angeschwollen sei, daß er fürchte, es wäre Ihnen beim Durchreiten desselben ein Unglück zugestoßen. Aber was bringen Sie denn da?« fuhr der Gärtner, nach der Indianerin aufsehend, fort, und öffnete die Thür der Einzäunung.

»Nur schnell, Paulmann, nimm mir das Mädchen ab, doch thue ihr nicht wehe,« sagte Farnwald zu dem Alten und ließ Owaja in dessen Arme gleiten.

»Großer Gott, eine Indianerin!« rief dieser aus, indem er sie umfing und ihr auf das gesenkte Antlitz sah.

»So, nun rufe schnell Addisson und Charity herbei,« sagte Farnwald, nahm Owaja auf seinen Arm

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und eilte mit ihr nach seinem Zimmer, wo er sie auf dem in der Mitte des Gemaches stehenden Bette niederlegte.

Addisson und Charity kamen bestürzt herbeigeeilt, brachten Lichter und blickten verwundert auf die kranke Fremde. Farnwald untersuchte die Wunde, sie war tief und aller Wahrscheinlichkeit nach tödtlich. Er verband sie mit thränenfeuchten Augen und legte kalte Umschläge darüber.

»Weine nicht, mein Geliebter, die Wunde schmerzt mich nicht; denn sie hat den Pfeil von Dir zurückgehalten und Deine Owaja geht Dir gern voran, damit sie gewiß ist, Dich jenseits zu treffen. Wärst Du ihr vorausgeeilt, so hätte man sie ja allein in Deinen Himmel nicht eingelassen,« sagte sie mit matter Stimme, schlang ihre zarten Anne um ihres Geliebten Nacken und zog ihn mit inniger Liebe zu sich nieder. »Deine Owaja wird stets um Dich sein, sie wird sich in Deine Gedanken drängen, sie wird Dich auf Deinem schönen Hengst begleiten und sie wird mit Joe für Dich wachen, damit Dein Herz ruhig schlagen kann.«

Seelenvoller und inniger preßte die liebende Wilde den Geliebten an ihr Herz, fester drückte sie ihre kalt werdenden Lippen gegen seinen Mund, ihre letzten Thränen entquollen ihren schönen großen Augen und Farnwald hielt das treue Mädchen todt in seinem Arm.

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»Owaja, theure Owaja!« rief er in höchster Verzweiflung, legte seine Hände um ihre Schläfe und drückte seine Lippen wieder und wieder auf ihre schöne Stirn, aus ihre geschlossenen gewölbten Augen, auf ihre bleichen Lippen, »o süßer Engel, warum mußtest Du für mich sterben?«

Den ganzen Tag hatte er bei verschlossenen Thüren allein bei der Verblichenen in tiefem Gram und Schmerz zugebracht, die Sonne war versunken und die Schauer der herannahenden Nacht hatten sich über die Ansiedlung gelegt, als Farnwald die Thür nach der Veranda öffnete und im Hinaustreten die drei Comantsche-Indianer dicht neben dem Eingänge zusammengekauert schluchzend und weinend auf dem Fußboden sitzen sah.

Schweigend blickten sie an ihm auf, ergriffen seine Hände und ließen ihre Thränen auf sie fallen.

»Des großen Häuptlings Herz blutet und die Herzen der Comantschen zittern und thuen ihnen wehe. Die schönste Tochter unsrer Vettern, der Lepans, hatte Liebe in seine Brust gegossen und hat den Pfeil des Todes von ihm abgewehrt. Der große Häuptling hat die rothen Kinder der Comantschen geliebt und nun werden diese seine Brust beschützen,« sagte Kiwakia mit wehmüthiger Stimme und legte die Hand auf sein Herz. Dann fuhr er nach einer Weile entschlossen fort:

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»Ich lasse Dir meinen Bruder und meine Frau hier zurück, ich selbst muß jetzt zu Wallingo, dem Häuptling der Lepans, reiten, um ihm zu sagen, daß die Comantschen Deine Freunde sind und daß sie für jeden Tropfen Blut, den jene Dir rauben, einen ihrer Krieger tödten werden.«

Mit diesen Worten verließ der Indianer das Haus, ging nach seinem Zelt, nahm seine Waffen, bestieg sein Pferd und ritt eiligst auf dem Wege nach dem Flusse davon.

Farnwald ließ unweit seines Hauses im Schatten einer dichtbelaubten Baumgruppe das Grab für Owaja bereiten und am folgenden Morgen, ehe die Sonne den Thau von den Pflanzen gesogen hatte, trug er die Theure auf seinen Armen dorthin, drückte zum letzten Male seine Lippen auf ihren kalten Mund, ließ seine Thränen nochmals auf ihren schönen Körper fallen, und legte sie dann in die Erde. Das Grab füllte er über ihr auf, pflanzte seine schönsten Blumen auf dessen Hügel und ließ die Baumgruppe mit einer Einzäunung umgeben.

Kiwakia kehrte nach einigen Tagen zu dem trauernden Farnwald zurück, sagte zu ihm, daß auch Wallingos Herz blute, daß er um die schöne Owaja weine und den Wald mit seinen Jammertönen erfülle; er sagte ihm, daß die Lepans nach Rache gedürstet hätten, doch daß sie nun

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die Jagdgründe Farnwalds nicht betreten würden, da dieselben den Comantschen heilig wären und diese den großen Häuptling liebten.

Der Bruder Kiwakias hatte sich bald vollkommen wieder erholt, war stark und kräftig geworden und Farnwald hatte ihm gesagt, daß er nichts weiter für seine Gesundheit zu thun brauche, worauf die Wilden ihre Abreise auf den folgenden Morgen bestimmten.

Es war Abend, Farnwald saß, in ernsten Betrachtungen versunken, unter den Bäumen vor dem Hause, als Kiwakia zu ihm kam und ihn bat, mit ihm nach seinem Zelte zu gehen.

Sie hatten dasselbe erreicht, der Indianer winkte ihm, sich bei seinem Bruder neben das Feuer zu setzen, rief dann seine Frau zu sich in das Zelt hinein, trug mit ihr einen ledernen sehr schweren Sack aus demselben hervor und legte ihn zu den Füßen Farnwalds nieder.

»Die weißen Männer lieben das Silber,« sagte er zu diesem, »Kiwakia hat dieses Silber weit im Innern von Mexico geholt und hofft, daß es das Herz des großen Häuptlings erfreuen möge.«

Der Sack war mit Mexicanischen Thalern angefüllt.

»Ich lasse mich von meinen Freunden für Dienste, die ich ihnen geleistet habe, nicht bezahlen,« sagte Farnwald

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zu dem Indianer. »Euer Dank und Eure Freundschaft ist mir hinreichende Belohnung,«

Kiwakia sah verwundert und, wie es schien, unangenehm berührt nach ihm hin, winkte dann seiner Frau, den Sack wieder anzufassen und trug ihn mit ihrer Hülfe in das Zelt zurück. Darauf setzte er sich zu Farnwald nieder, erwähnte des Geldes nicht weiter und sprach von seiner Abreise, die er am nächsten Morgen sehr zeitig anzutreten gedenke.

Als Farnwald sich erhob, um nach seinem Hause zurückzukehren, fielen die drei Wilden vor ihm nieder, umklammerten seine Knie, sagten ihm, wie ihre Herzen in Dankbarkeit hoch schlügen, nannten ihn Vater und bemühten sich, ihm in jeder möglichen Weise ihre herzinnigen Dankgefühle zu erkennen zu geben. Nach einem langen, ergreifenden Abschied gingen sie in ihr Zelt, und als am nächsten Morgen der Tag graute, waren sie abgereist.

Niedergebeugt von Gram und Schmerz über den Verlust der innig geliebten, treuen Owaja, verbrachte Farnwald die Tage in Einsamkeit und tiefer Trauer. Nichts hatte Interesse mehr für ihn; was ihm früher Freude gemacht hatte, war ihm gleichgültig, sein herrliches Vieh, seine schönen Pferde kamen Abends mit dem hellen Klang ihrer Glocken von der Weide, ohne daß er hinausging, um, wie früher, seine Lieblinge

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unter ihnen zu begrüßen, zu liebkosen; die wundervollen Blumen in seinem Garten öffneten sich, verwelkten und fielen an die Erde, ohne daß er sich, wie sonst, über ihre Schönheit, über ihren lieblichen Duft gefreut hatte; das Hifthorn und die Jagdhunde, deren jodelnder Ton seinen Ohren die lieblichste Musik gewesen war, führte er nicht mehr in den Wald und der Hengst und Joe folgten ihm oft stundenlang auf seinen einsamen Wanderungen in der Umgebung der Niederlassung, ohne daß er ein Wort zu ihnen gesagt hätte. Spät bis in die Nächte hinein saß er an dem Grabe der unvergeßlichen Geliebten, und es war ihm dann, als säße sie bei ihm, als sagte sie ihm, daß ihr Geist ihn umschwebe, als bäte sie ihn, bald zu ihr zu kommen, damit sie zusammen in seinen Himmel gehen könnten. Des Morgens, wenn die Vögel sich ihren ersten Gruß zuriefen, der Himmel sich im Osten färbte und die Sterne verblichen, mischten sich oft seine Thränen mit den Thauperlen, die an den Blumen auf ihrem Grabe hingen, und wo er ging, wo er stand, selbst in seinen Träumen verließ ihn das liebliche Bild des süßen Mädchens nicht.

Seine Nachbarn, wie sich die oft stundenwegs von einander entfernt wohnenden Ansiedler nannten, besuchte er nicht mehr, er nahm nicht, wie sonst, warmes und thätiges Interesse an ihrem Aufkommen, an dem Gedeihen

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ihrer Niederlassungen, und weit und breit wurde die auffallende gänzliche Veränderung in seinem Wesen als ein großer Verlust gefühlt.

Nicht, daß er ihnen seine Hülfe bei Krankheitsfällen, oder seinen Rath, wenn sie ihn wünschten, versagt hätte, immer noch war er bei Tag und Nacht gern bereit seine Dienste zu leisten, aber aus eigenem Antriebe näherte er sich ihnen nicht mehr und seine ganze Lebensthätigkeit zog seinem verlorenen Glücke nach.

Da wurde ihm eines Morgens durch einen entfernt wohnenden Nachbar ein Brief gebracht, den derselbe in der, noch weiter entfernten Postoffice hatte liegen sehen und mit sich genommen hatte, da er geglaubt, Farnwald einen Gefallen durch dessen Ueberbringung zu erzeigen.

Der Brief kam von einem alten Freunde, Namens Renard, in New Orleans, der ihm vor seiner Auswanderung in diese Wildniß viele Gefälligkeiten erwiesen hatte. Dieser schrieb darin, daß er beabsichtige Farnwalds Nachbar zu werden, indem er in Unterhandlung stände, eine große Plantage, einige siebzig Meilen weiter unten am Flusse zu kaufen, und ersuchte ihn zugleich dringend, bis zu einer bestimmten Zeit unfehlbar dort einzutreffen, da er seiner Hülfe und seines Rathes bei Abschluß des Kaufes bedürfe und sicher darauf rechne. Die gesetzte Frist lief schon nach wenigen

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Tagen ab, dem Freunde konnte Farnwald den Dienst unmöglich verweigern, es blieb ihm kaum Zeit, zu überlegen oder zu zögern, er mußte sich aus seiner Unthätigkeit, aus seinen erschlaffenden Träumereien herausreißen, und schon am nächsten Morgen bestieg er seinen Hengst und folgte, von dem treuen Joe begleitet, der rohen Straße, die sich von Ansiedlung zu Ansiedlung hin und her am Strom hinunterwand.

Am zweiten Abend schon zog er längs des ungeheuern Baumwollenfeldes der alten Wittwe Morrier, der Eigenthümerin jener Plantage, an dem niedrigen Flußufer hin und wurde von weitem laut und jubelnd von seinem Freunde Renard, der unter der luftigen Veranda des schönen Wohngebäudes saß, begrüßt. Dessen Freude über Farnwalds Erscheinen war außerordentlich groß, da er schon die Hoffnung auf dasselbe aufgegeben hatte, und ihm doch so sehr Viel an seiner Anwesenheit bei dem Handel gelegen war.

Die beiden Freunde waren sich recht herzlich zugethan und ihr Interesse für einander durch die langjährige Trennung nur gesteigert, während welcher sie gar Nichts von einander gehört und sich gegenseitig ihre Schicksale so oft in ihrer Phantasie ausgemalt hatten. Sie theilten sich dieselben jetzt in großen Umrissen einander mit und es stellte sich heraus, daß Beide, was die materiellen Güter des Lebens anbetraf, gleich

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sehr von dem Glück begünstigt worden waren; Renard hatte sich ein sehr bedeutendes Vermögen in baarem Gelde geschaffen und Farnwald hatte große Ländereien, beträchtliche Viehheerden und eine sehr gut eingerichtete Farm erworben. Was aber das innere Glück anbelangte, so stand Renard augenblicklich sehr im Vorzug, der sich inzwischen eine junge, sehr liebenswürdige Frau genommen hatte und dessen Tochter aus erster Ehe, Anäis, zu einer äußerst talentvollen, geistreichen Jungfrau herangewachsen war, die sein häusliches Leben durch ihr heiteres, elegant gebildetes Wesen beglückte. Renard selbst war von dem unverwüstlich sorglosen und munteren Temperament beseelt, welches den französischen Creolen, denen er angehörte, eigen ist.

»Wo ist aber Ihr Scherz und die heitere Laune, welche ich an Ihnen gewohnt bin, haben die Bären und Wilden Ihnen dieselbe abgejagt?« fragte Renard nach einer Weile ihres Zusammenseins.

»Man wird ernster mit den Jahren und wenn der Mensch so ganz allein steht, verlernt er das Lachen,« antwortete Farnwald ausweichend.

»Das ist Ihre eigne Schuld, Freund, Sie hätten es schon längst machen sollen, wie ich, und sich eine liebe junge Frau nehmen, die mit ihren zarten Händen jede Grille von Ihrer Stirn streichen würde. Nun, wenn ich erst hier wohne, werde ich das Amt der

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Frauen übernehmen und Ihnen zu einer Gattin verhelfen,« antwortete Renard und setzte dann seinen Freund von der Angelegenheit, wegen welcher er hier war, in genauere Kenntniß.

Die Plantage nebst einigen hundert Negern, beträchtlichem Viehstand und vollständigem Inventar war das Eigenthum einer alten Wittwe Morrier, einer Mulattin, die in San Domingo von einem französischen Officier dieses Namens geheirathet und vor vielen Jahren mit ihm und einem Dutzend Negern hierhergezogen war. Den sehr bedeutenden Landstrich, der zu dieser Plantage gehörte, hatte Morrier damals für einen geringen Preis an sich gebracht, und die Zahl der Neger hatte sich mit solcher Schnelligkeit vermehrt, daß er bei seinem Tode ein sehr beträchtliches Vermögen hinterließ.

Die Wittwe, jetzt eine Frau von siebzig Jahren, die seit der Ansiedlung ununterbrochen hier gelebt und seit dem Tode ihres Gatten niemals diesen Platz verlassen hatte, war mit einem Male das einsame Landleben überdrüssig geworden und hatte sich entschlossen, die Plantage zu verkaufen und nach New Orleans zu ziehen.

Nach kurzer Auseinandersetzung der, den Ankauf betreffenden Verhältnisse, führte Renard seinen Freund in das Haus, um ihn der Wittwe vorzustellen. Sie

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trafen diese in ihrem Gemache, in einem großen altmodischen Schaukelstuhl sitzend, eine hohe, dunkelfarbige Frau, mit langem, lockigem, trotz ihres Alters noch schwarzem Haar, lebendigen dunkeln Augen und stark gebogener Nase. Ihrer hohen Jahre und der faltigen Haut ihres Gesichts und ihrer Hände ungeachtet, ließ sie immer noch die Spuren früherer großer Schönheit sehen und ihre Haltung hatte etwas Vornehmes.

Um sie her auf dem Fußboden saßen und lagen wohl ein Dutzend Negerkinder verschiedenen Alters, die größern nur mit einem Röckchen angethan, die kleinern jedoch gänzlich ohne alle Kleidung, wie der junge Zuwachs von Sklaven gewöhnlich auf den Plantagen des Tages über, wenn die Eltern an der Arbeit sind, in der Nähe der Herrschaft versammelt wird.

Neben ihr an dem Schaukelstuhl stand ein farbiges Mädchen von etwa sech[s]zehn Jahren, einen langen Pfauenschweif in der Hand, mit dem sie von ihrer Herrin die Fliegen abwehrte und durch ihre höchst vortheilhafte Erscheinung Farnwalds ganze Aufmerksamkeit fesselte.

Milly, so hieß diese Sklavin, war Quadrone und gehörte jener unglücklichen gemischten Menschenrace an, welche die Natur durch so viele Reize, durch hohe geistige und körperliche Vorzüge den Weißen in manchen

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Stücken überlegen machte, während die Gesetze Amerikas sie mit dem Fluch der Sklaverei und der Verachtung verfolgt und sie herabwürdigt, hart an der Seite der Thiere zu stehen.

Milly war groß und schlank, wie die Palme Afrikas, des Landes ihrer Vorfahren, ihre leicht gelbliche, durchsichtig zarte Haut ließ noch ihre Abkunft von dem schwarzen Menschengeschlechte erkennen, doch ihre edlen Gesichtszüge, die eleganten weichen Formen ihrer Gestalt verwischten jede Erinnerung an dieselbe und bekundeten das edlere, gekreuzte weiße Blut. Auf zartem Halse hob sich ihr kleiner Kopf über einer vollen Büste, ihre lange Taille konnte man umspannen, die Formen ihrer Hüfte waren üppig und der zierlichste Fuß trug die liebliche Erscheinung. Die ungewöhnliche Fülle ihres glänzend schwarzen Haares schien durch dessen Wellenform dem Einzwängen in die schweren Flechten zu widerstreben, während zu beiden Seiten ihres schönen Gesichts seine Locken in anmuthigen Ringeln herabfielen und bei jeder ihrer Bewegungen Schultern und Busen umspielten. Die Lebhaftigkeit ihrer großen schwarzen Augen und deren gefühlvoller melancholischer Ausdruck sprachen eine schwere Anklage der Sklavin gegen die Gerechtigkeit der weißen Christen aus. Sie war in ein einfaches kurzes Gewand von buntem Kattun gekleidet, welches durch ein Band um ihren schlanken Leib

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zusammengehalten wurde und aus dessen kurzen weiten Aermeln ihre vollen zarten Arme hervorsahen. Beim Erscheinen der beiden Männer war das Mädchen hinter den Schaukelstuhl ihrer Herrin getreten und hielt den langen Federbusch vor sich, indem sie ihr liebliches Gesicht neigte und ihre zarten Finger durch die Federn strich, als ob sie dieselben ordne.

Renard stellte der Wittwe seinen Freund vor und sagte scherzend zu ihr:

»Madame Morrier, Sie mögen, wenn es beliebt, mit meinem Freunde den Handel abschließen, er versteht mehr von diesen Sachen, als ich, und was er festsetzt, soll meine Zustimmung haben.«

»Es wird mir angenehm sein, wenn ich ihn geneigter zu einem Abschluß finde, als Sie, denn mit Ihnen käme ich nimmer zu einem Ende,« erwiederte die Alte, wendete sich dann in ihrem Stuhl zu Milly und befahl ihr das Abendessen auftragen zu lassen, worauf das Mädchen mit leichtem, kaum hörbarem Schritt aus dem Zimmer eilte.

»Meine Forderung von hundert und fünfzig Tausend Dollar ist nicht unbillig für das schöne reiche Land, das viele Vieh, die Pferde und Maulthiere und hundert und zwei und neunzig Neger,« fuhr die Wittwe fort, »Sie bekommen wohl niemals wieder eine so vortheilhafte Gelegenheit zum Kaufe. Die Neger habe ich meist

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selbst hier groß gezogen, sie fühlen sich sämmtlich, wie zu einer Familie gehörig, sind alle gut, alle gesund. Wenn ich meinen Preis für sie hier nicht bekomme, so nehme ich sie mit mir nach New Orleans und lasse sie dort einzeln in Auction verkaufen, dann erhalte ich ohne Zweifel noch mehr dafür. Nur der vielen Mühe wegen die ich dadurch haben würde, ziehe ich es vor, sie hier gleich zusammen zu veräußern.«

Milly kam nach kurzer Zeit zurück, um ihrer Herrin anzuzeigen, daß das Abendessen auf sie warte, worauf sie derselben half aus dem Stuhl aufzustehen, sich neben sie stellte, damit die alte Frau sich auf ihre Schulter stützen konnte, und sie nach dem Speisezimmer geleitete.

Während der Tafel wartete die Quadrone den Speisenden auf, bewegte sich flink und graziös von Einem zum Andern, bewachte ihre Blicke, um rasch ihren Wünschen nachzukommen und verwendete dabei die größte Aufmerksamkeit auf ihre Herrin, der sie ungeheißen die Speisen zutrug, welche dieselbe besonders liebte.

Die Sklavin war nach der Küche gegangen, um dort etwas für Madame Morrier zu bestellen, als diese sagte:

»Dieses Mädchen allein ist über tausend Dollar werth und wenn ich nicht schon Domestiquen in New Orleans hätte, so würde ich sie mit mir nehmen: sie ist

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eine ganz vortreffliche Köchin, keine Andere näht so fein und flink, sie versteht zu waschen und zu bügeln, sie kann lesen und schreiben, was ich ihr alles meist selbst gelehrt habe. Dabei ist sie gut und fromm, klug und verständig und von erprobter Treue und Anhänglichkeit. Ich wünsche auch, daß es ihr recht gut gehe. Sie glaubt, ich würde sie nicht mit den andern Sklaven verkaufen, bei welchem Glauben wir sie lassen wollen, um unnöthige, unangenehme Scenen zu vermeiden. Das Mädchen ist sehr leidenschaftlich.«

Den Abend verbrachten die Freunde zusammen, indem sie sich in der Umgebung des Hauses ergingen, welche mit blühenden Creppmyrten, Granatbäumen, Capjasmin und vielen andern Blüthenbäumen begrenzt war, dem Hengste Farnwalds und dem angeketteten Joe einen Besuch abstatteten, und sich dann unter der luftigen Veranda der Kühlung erfreuten, die frisch und duftgewürzt darüber hinzog.

»Hören Sie, Renard, eine Bedingung stelle ich Ihnen, für den Fall, daß ich den Handel für Sie zu Stande bringe,« sagte Farnwald zu seinem Freunde.

»Und die wäre?« fragte dieser.

»Daß Sie mir Milly, die Quadrone, für einen mäßigen Preis verkaufen. Schon lange habe ich mir ein solches Mädchen gewünscht: tüchtig und geschickt genug, um ihr die Führung meines Haushalts zu

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übertragen, zuverlässig und verständig, um ihr die Aufsicht über das Haus während meiner öfteren Abwesenheiten anzuvertrauen und dabei anmuthig und gebildet, um sie zu meiner unmittelbaren Bedienung zu verwenden. Sie, lieber Renard, haben es nie gefühlt, was es heißt, mit seinem Umgang ganz und gar auf sich selbst beschränkt zu sein; es ist eine harte Stellung im Leben, in der man nach und nach für die Außenwelt abstirbt. Ein talentvolles Mädchen, wie diese Quadrone, bedarf nur wenig Mittel und Hülfe, um sich eine solche Bildung anzueignen, wie sie zu dem täglichen Umgänge mit einem Manne von unsern Ansprüchen unbedingt nothwendig ist.«

»Darauf sollte ich nicht eingehen, denn meine Pläne, bald eine Frau an Ihre Seite zu bringen, würden dann scheitern. Haben Sie erst eine solche Haushälterin um sich, dann bleiben Sie gar für immer Junggeselle.«

»Nein, im Ernste, lieber Renard, Sie müssen es mir versprechen.«

»Nun, wenn Sie nicht anders wollen, so mag es darum sein. Sie sollen sie billig haben.«

Das erste Grauen des folgenden Morgens rief Farnwald gewohnter Weise hinaus in das Freie, und wenn er auch nicht zu dem Grabe seiner theuren Geliebten eilen konnte, so war er doch mit seiner ganzen

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Seele bei ihr, denn jetzt war er noch ungestört und allein, die feierliche Stille, die ihn umgab, that seinem kranken Herzen wohl und die Schauer des Dämmerlichts harmonirten mit seinen trüben Gefühlen. In sehnsüchtigem, schmerzlichem Andenken stand er unter einer mächtigen Cypresse, die ihre Aeste weit über den Strom hinaushängen ließ und sah dessen Fluthen bei sich vorübereilen; er meinte, er müsse die Blutstropfen schen können, die von der Geliebten in die Wogen gefallen waren, er dachte der seligen Gefühle, womit er die Wellen so oft durcheilt hatte, um in die Arme des theuren Mädchens zu fliegen und er glaubte, er sähe Hargo, ihren Mörder, mit zerschossenem Schädel vorübertreiben.

Da klopfte ihm Renard auf die Schulter. »So in Gedanken, alter Freund?« sagte er lächelnd, »wenn ich nur wüßte, was Sie so ernsthaft gemacht hat, ich habe ja noch nicht einen Scherz, nicht eine Ihrer tausend Anekdoten von Ihnen gehört; wenn ich erst hier wohne, muß ich Sie einmal auf längere Zeit bei mir haben, damit meine Damen die Schatten von Ihrer Stirn verscheuchen können. Kommen Sie, lassen Sie uns nach der Plantage gehen, ehe die Heerden zur Weide ziehen, damit wir eine ungefähre Uebersicht bekommen, was für ein Bestand davon vorhanden ist.«

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Hiermit nahm er Farnwalds Arm und wanderte mit ihm nach den Negerhütten, unweit welchen das Rindvieh, die Pferde, Maulthiere und Schweine neben der Einzäunung, theils in dem Staube lagen und theils ihrer Nahrung nachgingen, denn nur die Arbeitsthiere wurden innerhalb Einzäunungen zurückgehalten und dort von den Negern mit Futter versehen. Das Hornvieh war von reiner Durham Race, fett und glänzend, als ob es gestriegelt und gebürstet sei, die Pferde waren gemischt, doch von edlem Blut, die Maulthiere sämmtlich groß und schwer, wie man sie in Kentucky zieht und die vielen hundert Schweine waren von guter englischer Zucht.

Dann wanderten die Freunde in dem breiten staubigen Wege zwischen den zwei langen Reihen alter vermoderter Blockhäuser, den Wohnungen der Sklaven, hin, aus deren niedrigen, von Lehm aufgeführten Kaminschornsteinen hier und dort eine leichte Rauchwolke aufstieg.

Wie vor Bienenstöcken deren Bewohner, so hatten sich vor den Thurm dieser Hütten die Sklaven zusammengedrängt. Ihrer Kleidung nach hätte man glauben sollen, es sei heute ein Festtag für sie, doch ihre bangen ernsten Gesichter zeigten vom Gegentheil und mit scheuen forschenden Blicken sahen sie nach den vorübergehenden beiden Fremden hin, an welche sie, wie sie

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gehört hatten, von ihrer alten Herrin sämmtlich verkauft werden sollten. Sie blickten bald auf Renard bald auf Farnwald, als suchten sie zu erforschen, was sie von ihnen, ihren neuen Herren, wohl zu erwarten hätten? Die Mütter zogen ihre Kinder zu sich heran und drückten sie ängstlich an sich, als bäten sie die Vorübergehenden, sie nicht von einander zu trennen, doch Niemand sagte ein Wort, als wüßten sie, daß es ja doch nicht beachtet werden wurde.

Weiter machten die Freunde einen Gang an den Feldern hin und kehrten nach dem Wohngebäude zurück, wo schon das Frühstück aufgetragen war. Madame Morrier empfing sie im Speisezimmer in ihrem großen Armstuhl vor dem Tische, bat sie Platz zu nehmen und sagte, sie habe den Befehl an die Sklaven erlassen, daß sie sämmtlich zu Hause bleiben sollten, damit sie nach dem Frühstück den Herren zur Besichtigung vorgeführt werden könnten.

Das Essen war vorüber, Madame Morrier erhob sich mit Hülfe der jungen Quadrone und schritt, von dieser geleitet und von Renard und Farnwald gefolgt, nach der Veranda vor dem Hause, wohin sie sich den großen Schaukelstuhl bringen ließ, um der Musterung ihrer Sklaven beizuwohnen.

Diese erschienen jetzt in einem langen hin und her wogenden Zuge und stellten sich den Winken ihrer

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Herrin gewärtig, familienweise auf dem Grasplatze vor dem Hause auf. Ihre Namen wurden nun einzeln nach einer Liste, welche Madame Morrier an Renard gegeben hatte, von diesem aufgerufen; der jedesmal Genannte trat zu der Veranda hin, um über sein Alter, seine Fähigkeiten, seine Gebrechen und Fehler Auskunft zu geben, die in die verschiedenen Rubriken der Schätzungsliste eingetragen wurden.

Diese Menschen bekundeten bei ihrem Herantreten die allerverschiedensten Gefühle. Einige von ihnen kamen sehr darniedergebeugt, traurig und schweigend heran. Andere gleichgültig, mit höhnisch lachenden Mienen, als wollten sie sagen, daß ihnen der Wechsel ihres Herrn einerlei wäre, da sie so, wie so, Sklaven blieben und nicht tiefer erniedrigt werden könnten. Wieder Andere kamen mit trotzigem, finsterm und verwünschendem Blick herbei, und noch Andere wankten weinend und laut wehklagend heran, kaum fähig, bei ihrem Schluchzen die Fragen zu beantworten, die man an sie richtete.

»Ihr bleibt Alle zusammen,« sagte Madame Morrier wiederholt zu diesen ihr so nahe stehenden langjährig treuen Dienern, die sie meist alle als Kinder auf ihrem Schooße gehabt, die sie sämmtlich Mutter genannt hatten, und die in ihrer unmittelbaren Nähe groß geworden waren. Sie wollte sie durch diese Worte aufmerksam darauf machen, welch ein großes Glück es

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für sie sei, daß sie zusammen verkauft und nicht auf den Markt nach New Orleans, Vater, Mutter und Kind, ein jedes allein unter dem Hammer öffentlich ausgeboten werden sollten.

Sie saß hart und fühllos da, wie die Verkäuferinnen auf Märkten bei ihren Waaren zu sitzen pflegen und machte für sich selbst mit Bleistift auf einem Papier Notizen über den Werth jedes einzelnen vorgeführten Sklaven. Es kam ihr aber nicht in den Sinn, daß ihre eigene Mutter eine Negerin gewesen war, und daß sie selbst in diesem Lande nicht einmal berechtigt sei, unter ihrem Namen auch nur für einen Dollar freies Eigenthum zu haben, indem nach hiesigem Gesetz einem jeden freien Farbigen ein weißer Vormund bestellt wird, ohne dessen Consens er keine Geschäfte treiben, Grundeigenthum besitzen und Sklaven halten darf.

Milly, die Quadrone, stand bleich und betrübt hinter der Alten und wischte, indem sie den Pfauschweif über derselben hin[-] und herschwang, oft mit ihrer kleinen Hand die Thränen von ihren Wangen, die ihren großen schönen Augen entquollen. Sie hatte zwar keine Verwandte unter den Sklaven, denn ihre Mutter, eine Mulattin, von Herrn Morrier in New Orleans gekauft als sie Milly unter ihrem Herzen trug, war bei deren Geburt hier auf der Plantage gestorben. Wer aber der weiße Vater Millys war, wußte man nicht. Dennoch

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besaß das Mädchen eine große Anhänglichkeit zu Vielen dieser ihrer Gefährten, und hatte oft durch ihren Einfluß bei Madame Morrier schwere Strafen und Peitschenhiebe von ihnen abgewendet, welche die schwarzen Aufseher über sie verhängt hatten.

Eine Familie nach der andern wurde vorgeführt und gemustert, wobei Einzelne dieser feil gebotenen Menschen sich durch Worte, durch Mienen und Geberden bemühten, Momente aus vergangenen Zeiten der alten Wittwe ins Gedächtniß zurückzurufen, in denen sie ihr einmal als begünstigte Diener, als Vertraute, oder durch aufopfernde Anhänglichkeit näher gestanden hatten, doch umsonst, die Antwort war nur ein Wink mit der Hand, abzutreten und dem Folgenden Platz zu machen.

»Da ist auch noch der lahme Guillaume, der vor vielen Jahren Sie und Herrn Morrier aus dem Flusse rettete, als Ihr Boot umgeschlagen war; er steht nicht auf der Liste,« sagte der schwarze Aufseher, seinen Strohhut abnehmend, zu der alten Frau.

»Wird mit verkauft,« antwortete diese, »er ist immer noch Etwas werth,« worauf sie dem alten Diener winkte und derselbe auf seiner Krücke herangewankt kam, um sich gleichfalls untersuchen und schätzen zu lassen.

Die Musterung war vorüber, Madame Morrier ließ sich von Milly zurück in ihr Wohnzimmer führen, wohin Renard und Farnwald ihr folgten, und wo nun

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die Unterhandlungen wegen des Verkaufs begannen. Die Neger waren von Farnwald auf 80,000 Dollar geschätzt, das Land auf 20,000 Dollar und das Vieh mit dem sonstigen Inventar auf zehntausend, wodurch sich ein Gesammtpreis von Hundert und zehntausend Dollar herausstellte, den Renard zu geben bereit war. Doch Madame Morrier war weit davon entfernt, auf dieses Gebot einzugehen, sondern bestand auf ihrer Forderung, und erklärte abermals, daß sie die Neger lieber in New Orleans auf dem Markte verkaufen würde. Renard wurde leidenschaftlich und heftig, sagte ihr zuletzt, sie möge thun, was ihr beliebe, und verließ aufgebracht das Zimmer, während Farnwald seine Ruhe behielt und unterhandelnd bei der Alten zurückblieb. Er legte ihr nun die einzelnen Abschätzungen vor, setzte ihr auseinander, daß dieselben in richtigem Verhältniß zu dem wirklichen Werth der Neger standen, und suchte sie zu überzeugen, daß sie in New Orleans nicht mehr dafür bekommen würde, wobei sie noch Gefahr liefe, daß Krankheit unter die Sklaven käme, und daß sie eine große Zahl derselben durch den Tod verlieren könne. Außerdem machte er sie auf die bedeutenden Kosten aufmerksam, welche durch die Reise, so wie durch den Aufenthalt der vielen Menschen in New Orleans entstehen würden und bemerkte dann noch zuletzt, daß die Neger, wenn man sie dort verkaufte, von einander getrennt, ihre Familien zerrissen würden und Madame Morrier durch das viele Herzeleid, welches sie dadurch über die Unglücklichen brächte, eine schwere Verantwortlichkeit auf sich lade.

Die alte Mulattin sah Farnwald bei dieser Bemerkung groß und verwundert an, als verstände sie nicht, was er damit sagen wolle. »Neger zu verkaufen, ist doch wohl nichts Unrechtes?« sagte sie darauf. »Neger haben keine Familien, sie sind ja nicht verheirathet.«

Farnwald schwebte es auf der Zunge, sie daran zu erinnern, daß ihre Mutter wahrscheinlich auch nicht verheirathet gewesen sei und daß sie selbst in diesem Lande sich niemals hätte verheirathen können, so wie, daß ihre in Westindien geschlossene Ehe hier ja gar nicht gültig sei. Doch er bemeisterte sich, da möglicher Weise der Abschluß des ganzen Geschäfts dadurch zerschlagen worden wäre und beleuchtete nur den Geldvortheil, der der Alten durch einen Verkauf hier an Ort und Stelle erwachsen würde, wobei er alle seine Beredsamkeit und Ueberzeugungsgabe aufbot.

Es war kurz vor dem Mittagsessen, als Madame Morrier endlich in das Gebot einwilligte, Farnwald einen vorläufigen kurzen, jedoch bündigen, Contract aufsetzte und dann seinen Freund herbeirief, damit derselbe zugleich mit der Verkäuferin ihn unterzeichne. worauf auch Farnwald als Zeuge seinen Namen daruntersetzte.

»Nun meinen Glückwunsch, lieber Renard,« sagte Jener zu ihm, als sie nach beendigtem Geschäft hinaus unter die Veranda getreten waren.

»Und Ihnen, mein bester Farnwald, meinen innigsten Dank für Ihre Bemühung, denn ohne Sie würde ich mit dem alten Weibe niemals zurecht gekommen sein,« antwortete Dieser.

»Morgen müssen wir nun ein genaues Inventar aufnehmen und dann sobald, als möglich, den Kauf dem Gerichte anzeigen, denn meine Gegenwart zu Hause ist dringend nöthig.«

»Ich hoffe, Sie werden mich nach New Orleans begleiten, um meine Familie hierherzuholen und meine junge Frau kennen zu lernen.«

»Das geht nicht, so gern ich es auch thun möchte; Sie wissen, ich habe Niemanden zum Schutz meines Hauses, auf den ich mich völlig verlassen könnte und die Indianer haben in letzter Zeit sich mir sehr feindselig gezeigt,« sagte Farnwald, indem sich ein düsterer Ausdruck auf sein Gesicht legte.

»Die Indianer machen Sie noch ganz zum Grillenfänger, ich wollte, Sie könnten hier in meine Nähe ziehen, da sollte es bald wieder heiterer Himmel bei

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Ihnen sein. Ich hoffe, es werden einige junge Freundinnen meine Frau hierher begleiten, um ihr den Unterschied zwischen dem Stadt- und Landleben erträglicher zu machen. Sie müssen mich wenigstens bald, nachdem ich mich hier häuslich niedergelassen habe, besuchen,« sagte Renard, in seiner unerschöpflich guten Laune nicht bemerkend, daß Farnwald in Gedanken versunken, gar nicht hörte, was er zu ihm sprach.

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Capitel 4.

Die Quadrone. - Abschied. - Beruhigung. - Neue Heimath. - Der Jaguar. - Der Pflanzersohn. - Die Jagd. - Die Pflanzerfamilie. - Der Rath.


Die den Verkauf der Plantage betreffenden Arbeiten waren beendigt, der vollständige Kaufcontract gerichtlich ausgefertigt und in die Gerichtsbücher eingetragen, es war Alles vollbracht, wobei Farnwalds Hülfe, oder Rath nöthig gewesen wär und seine Abreise war auf den folgenden Morgen festgesetzt. Er hatte sich über den Ankauf von Milly mit Renard verständigt und sie zu einem mäßigen Preise von demselben überlassen bekommen.

»Es ist mir unangenehm, daß die Alte das Mädchen getäuscht und sie in dem Glauben gelassen hat, sie sei nicht mitverkauft worden, denn nun wird sie die Kenntniß davon um so härter treffen, da sie zugleich erfährt, daß sie diese ihre Heimath und ihre Freunde verlassen muß. Jedenfalls wünsche ich, die Wittwe möge sie heute noch von ihrem Schicksale benachrichtigen,« sagte Farnwald zu Renard.

»Es ist mir auch leid, das Mädchen hat mehr Bildung und mehr Gefühl, als andere ihres Gleichen, und ich fürchte, sie wird sich die Nachricht sehr zu Herzen nehmen. Ich will gleich die Wittwe bitten, daß sie es ihr mittheilt,« antwortete Renard, eilte nach der Alten Zimmer und bat sie, der Sklavin zu sagen, daß sie mit den Uebrigen an ihn verkauft sei, und daß er sie seinem Freunde Farnwald überlassen habe, mit dem sie morgen in dessen Heimath reisen würde. Madame Morrier versprach es baldigst zu thun.

Beim Abendessen jedoch war in dem Benehmen Millys keine Veränderung zu sehen, dieselbe freundliche Ruhe lag auf ihrem schönen Gesicht und mit derselben Aufmerksamkeit bediente sie die Gäste, so wie insbesondere ihre Herrin.

Renard und Farnwald waren zur Ruh gegangen, die Diener waren sämmtlich schon in Schlaf gesunken und in dem ganzen Hause herrschte ununterbrochene Stille, als Madame Morrier sich in ihrem Schaukelstuhle umwandte und Milly bei Namen rief, die unweit ihr neben einem Stuhle auf dem Fußboden sitzend eingeschlafen war, indem ihr Kopf über ihrem Arm auf dem Sessel ruhte.

Die Quadrone sprang rasch auf, um den Befehlen ihrer Herrin Folge zu leisten.

»Es ist Zeit, daß ich zu Bett gehe, Milly,« sagte die Wittwe, sich aus dem Stuhle erhebend, schritt mit Hülfe der Sklavin in ihr Schlafzimmer zu ihrem Toilettentisch, frischte das Licht der düster brennenden Oellampe auf und machte die gewohnten Vorbereitungen, um sich zur Ruhe zu begeben, wobei das Mädchen ihr flink und geschickt zur Hand ging. Dann half es ihr, das in der Mitte der Stube stehende große Bett zu besteigen, stellte das Licht neben sie auf das Tischchen, setzte ein Glas Wasser dabei und fragte die Herrin, ob sie sonst noch Etwas wünsche.

»Ja Milly, ich wollte Dir noch Etwas sagen,« antwortete die Alte, indem sie ihr Kopfkissen zurecht schob. »Du wirst nicht mit mir nach New Orleans gehen, da ich dort schon zu viele Neger ausgemiethet habe, die ich bei meiner Dorthinkunft zu mir nehmen werde. Ich habe Dich an Herrn Renard verkauft.«

Das Wort »verkauft« fiel wie ein Donnerschlag auf die Sklavin, ein Schrei des Schreckens erstickte in ihrem halbgeöffneten Munde, jeder Blutstropfen war unter der zarten Haut ihres Gesichts verschwunden, mit starrem Blick stierte sie nach der Alten hin, streckte ihre krampfhaft zusammengepreßten Hände nach ihr aus, stammelte mit zitternder Stimme:

»Verkauft?« und stürzte vor dem Bett der Wittwe jammernd und wehklagend auf den Teppich.

Eine Zeit lang hatte die Wittwe, in ihrer halb

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sitzenden Lage vor sich auf die Bettdecke blickend, den verzweifelten Ausbrüchen des Schmerzes und des Unglücks der Sklavin zugehört, dann rief sie:

»Milly,[«] es ist nun genug, ich will Deine Albernheiten nicht länger mehr anhören.«

Doch die Quadrone hörte sie in dem Sturm der herzzerreißenden Gefühle, der ihr Brust und Hirn durchtobte, nicht, sie erhob ihren Kopf, nach Oben blickend, um ihn dann wieder mit den Händen zu umklammern und an den Fußboden sinken zu lassen, sie griff in ihrer Verzweiflung mit ihren kleinen Fingern in ihre schönen langen Haare, sie weinte, sie schluchzte und stöhnte immer wieder:

»Verkauft, verkauft!«

»Milly, ich sage Dir, es ist nun genug!« rief die Alte, heftig werdend, und klopfte mit dem Wasserglas wiederholt auf den Tisch.

»Ach Herrin, Erbarmen!« schrie Milly, die Stimme der Mulattin hörend, hob sich knieend zu ihr auf, ergriff zitternd die Hand derselben und preßte ihre Lippen darauf.

»Gut, so sei vernünftig. Du bekommst einen guten Herrn, Renard hat Dich an seinen Freund Farnwald verkauft, dem Du morgen nach seiner Besitzung folgen wirst.«

»Gerechter, großer Gott! abermals verkauft?« schrie jetzt das unglückliche Geschöpf, sprang auf und warf

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sich über die Wittwe hin, die sie mit ihren mageren Händen von sich abzuwehren suchte.

»Milly, wenn Du nun nicht vernünftig wirst, so rufe ich und lasse Dir fünfundzwanzig aufzählen, Ich habe Dich zu gut behandelt und Du hast darüber vergessen, daß Du eine Negerin bist. Sogleich gehe von meinem Bett, oder ich rufe!« sagte Madame Morrier jetzt zornig, »keinen Laut will ich mehr hören, das rathe ich Dir!«

Hiermit stieß sie mit aller ihr zu Gebote stehenden Gewalt die Quadrone von sich, die nun, gänzlich außer sich und verwirrt, aus dem Zimmer hinaus durch den Gang der Veranda zustürzte, wo sie plötzlich durch eine Hand am Arm zurückgehalten wurde. Es war Farnwald, der auf ihr Schreien und lautes Klagen sein Zimmer verlassen hatte und ihr hier entgegentrat.

»Komm, armes Kind,« sagte er theilnehmend zu ihr, »beruhige Dich, Du wirst einen guten Herrn an mir bekommen.«

Dabei strich er ihr zutraulich mit der Hand über ihr lockiges Haar und klopfte ihr freundlich auf die Schulter.

»Ich glaube, Du wirst lieber bei mir sein, als hier unter den vielen Negern; Du sollst mir mein Hauswesen hübsch in Ordnung halten, nach den Blumen in meinem schönen Garten sehen und, wenn ich abwesend

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bin, mein Eigenthum überwachen. Ich habe Niemanden zu Hause, auf den ich mich verlassen könnte; Milly, soll ich auf Dich rechnen können?«

Farnwald sprach diese Worte mit so viel Milde und so vertrauenerweckend, daß sie nicht verfehlten, beruhigend auf die stürmisch bewegten Gefühle der Sklavin zu wirken, sie schluchzte tief, ließ ihre gefalteten Hände vor sich herabsinken und blickte, unbeweglich dastehend, zur Erde nieder.

»Sei guten Muthes, Milly, ich hintergehe Dich nicht und verspreche Dir Nichts, was ich nicht halten werde. Du wirst es gut bei mir haben und Dich niemals wieder von mir wegwünschen, wenn Du selbst gut bleibst. Sei nun brav und leg Dich zur Ruhe, es ist dies der erste Dienst, den ich von Dir fordere, und wodurch Du mich erfreuen wirst.«

Ein heftiger Thränenstrom war die Antwort der Quadrone, Farnwald legte seine Hand abermals auf ihre Schulter, leitete sie nach der Stubenthür zurück, indem er sagte:

»Komm, Milly, sei brav,« und das Mädchen ging schweigend und weinend in das Zimmer der Madame Morrier.

Nach zeitig eingenommenem Frühstück machte Farnwald Anstalt zu seiner Abreise. Renard hatte ihm ein Pferd für die Quadrone zugesagt, welches jener versprach

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gelegentlich wieder zurückzusenden; dasselbe war gesattelt vorgeführt, Farnwald hatte selbst seinen Hengst und Joe aus dem Stalle herbeigeholt, legte Ersterem das Reitzeug auf und ging dann zu Madame Morrier in das Zimmer, um ihr Lebewohl zu sagen.

Dort fand er Milly an dem offenen Fenster angelehnt und mit thränenschweren Blicken nach den beiden Reihen der Negerhütten hinsehend.

Nachdem er von der Wittwe Abschied genommen hatte, schritt er zu der Quadrone, faßte sie freundlich bei der Hand und sagte:

»Es ist Zeit, Milly, daß wir uns auf den Weg machen, denn es wird einen heißen Tag geben.«

Schweigend trat das arme Mädchen zu der Wittwe, reichte ihr bebend die Hand hin und Thränen entquollen ihren Augen.

»Ich wünsche, daß Dein Herr zufrieden mit Dir sein wird, Milly, vergiß niemals, daß Du eine Negerin bist,« sagte die Alte gleichgültig, indem sie der Sklavin die Hand drückte, doch das Herz der Quadrone hing treu an der Herrin, die sie erzogen und an sich gewöhnt hatte, sie sah in der Alten die einzige, wenn auch hartherzige Mutter, die sie jemals gekannt, die alleinige Stütze, um die sich ihr Leben gedreht hatte und von der sie jetzt auf immer scheiden sollte.

Es war ihr, als müßte sie von Allem in der Welt

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Abschied nehmen, sie zitterte, fiel vor der Mulattin nieder, senkte ihr Gesicht in deren Schooß und schluchzte und weinte bitterlich.

Doch die Alte drängte sie zurück, ließ sie aufstehen, und sagte:

»Dein Herr wartet auf Dich, Milly, ich wünsche, daß es Dir gut gehe,« und winkte ihr, sich zu entfernen.

Das unglückliche Mädchen wankte nach der Thür und hinaus, wo die Pferde standen. Ihre Thränen waren versiegt, sie stand mit dumpfer verzweifelnder Ergebung in ihr Schicksal da und erwartete die Befehle ihres neuen Herrn.

Farnwald war ergriffen und tief bewegt durch die Abschiedsscene zwischen der Sklavin und ihrer früheren Herrin; der herbe Abschied, den er selbst vor nicht langer Zeit hatte nehmen müssen, war ihm lebendig wieder vor die Seele getreten, und die abermalige Trennung von seinem alten Freunde trug nicht dazu bei, seine Gefühle zu beruhigen. Er nahm von diesem einen raschen Abschied, winkte Milly, ihr Pferd zu besteigen, schwang sich auf seinen Hengst und ließ denselben, indem er seinem Freunde noch Grüße zuwinkte, eilig davon traben.

Die Quadrone folgte ihm, nicht links noch rechts um sich schauend, denn jeder Vusch, jeder Baum, ja jeder Stein schien noch einen Blick von ihr zu fordern,

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um noch einmal tausend fröhliche, glückliche Augenblicke in ihrer Erinnerung wach zu rufen. Bald hatten sie die äußerste Grenze ihrer Wanderungen um ihren Geburtsplatz überschritten, die Welt war ihr nun unbekannt und sie fühlte sich ein Fremdling in derselben.

Farnwald war freundlich und sorgsam für die Sklavin, unterhielt sich häufig mit ihr und ließ sie, wo es der Weg erlaubte, an seiner Seite reiten. Sie mußte ihm aus ihrem Leben erzählen, er theilte ihr dagegen Begebenheiten aus dem seinigen mit, namentlich, wie ihn so wiederholt Unglück und Mißgeschick verfolgt und ihn dabei doch stets eine unsichtbare Höhere Hand beschützt habe, und that Alles, um die Aufmerksamkeit des Mädchens so zu fesseln, daß ihrem Geiste keine Zeit blieb, dem Kummer und der Betrübniß ihres Herzens nachzuhängen.

Sie erreichten das Städtchen L***, das letzte von einiger Bedeutung, welches nur noch eine kleine Tagereise von Farnwalds Heimath an dem Strome lag, und da es noch ziemlich zeitig war, so nahm dieser die Quadrone mit sich in verschiedene Kaufmannsläden, ließ sie nach ihrem Geschmacke Kleiderstoffe, Tücher, Schuhe und andere Artikel für ihren Gebrauch auswählen, schenkte ihr außerdem eine sehr hübsch eingebundene Bibel, ein Gebetbuch, ein niedliches Nähkästchen mit den nöthigen Instrumenten versehen, und fügte noch einen

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silbernen Pfeil hinzu, um mit demselben ihre schweren Haarflechten zu befestigen. Milly war ebenso überrascht, als erfreut über alle diese Sachen, die ihr wirkliches Eigenthum sein sollten; denn bis jetzt hatte sie noch keines in der Welt besessen. Sie hatte keine Worte, um ihren Dank dafür auszusprechen, ihr freudiger milder Blick aber und die Thräne unter ihren langen Wimpern bezeugten die Gefühle, die ihre Brust bewegten.

Beim Abendtisch in dem Gasthause, wobei sie ihrem Herrn aufwartete, war sie flink und lebendig und reichte dem großen Bluthunde der neben Farnwald saß, den sie bisher immer furchtsam gemieden hatte, oft ein Stück Fleisch, einen Knochen hin, und strich ihm mit ihrer Hand über den Kopf, denn der Hund war ihrem Herrn theuer, und sie glaubte, diesen durch ihre Sorge für das Thier zu erfreuen.

»Der wird Dich bald lieb gewinnen, Milly, und dann ist er jeden Augenblick bereit, sein Leben für Dich zu lassen; wer weiß, wo Du seinen Beistand einmal nöthig hast? Mir hat er schon manchmal das Leben gerettet, nicht wahr alter guter Joe?« sagte Farnwald, den riesigen Kopf des Hundes an sich drückend.

»Ich habe mich vor ihm gefürchtet, Herr, doch er scheint nicht böse auf mich zu sein. Ich werde gewiß gut für ihn sorgen.«

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»Und auch für meinen Schimmel, Milly, dem habe ich eben so viel zu danken,«

»Ei ja, wer sollte denn ein so schönes Thier nicht lieb haben? Sein Haar glänzt ja wie Atlas,« erwiederte die Quadrone.

Noch ehe am andern Morgen die Sonne aufstieg, waren die Reisenden schon wieder unterwegs, um einen tüchtigen Ritt zu machen, bevor die Tageshitze ihren Höhepunkt erreichen würde. Die Ansiedlungen wurden hier immer seltener, doch die Grüße, die deren Bewohner Farnwald beim Vorüberreiten zuriefen, wurden immer herzlicher, immer vertraulicher. Mitunter ritt er zu ihren bescheidenen Wohnungen hin, um sich einen frischen Trunk zu erbitten, zu erfragen, was es Neues in der Gegend gäbe, und ob man etwas von den Indianern vernommen habe.

Gegen Mittag verweilte er an einem frischen klaren Bache in dem Schatten uralter Bäume, ließ Milly Kaffee bereiten, was ihr große Freude machte, und als die Sonne weniger heiß schien, begaben sie sich wieder auf den Weg, um der Heimath zuzueilen.

Je näher das Ziel kam, desto stiller wurde Farnwald, desto drückender zog wieder Owajas Bild vor seiner Seele auf, und träumend ließ er dem Hengste die Zügel, der seine Schritte beeilte, um bald den ihm

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wohlbekannten Weg nach seiner Einzäunung und seinem Bretterhaus zurückzulegen.

Der Quadrone Gedanken aber wurden mit der Annäherung an ihre neue Heimath immer reger und gespannter; mit wachsendem Interesse durchzog sie jeden Strich Waldes, spähend überblickte sie die weiten, mit Blumen bedeckten Prairien und schaute wieder weiter nach den fernen, hinter denselben aufsteigenden Baummassen, stets in der Erwartung, daß dort der Platz sei, auf dem sie ihre Zukunft verbringen sollte, bis sie demselben wieder vorbeigeeilt war und sich ihre Blicke abermals auf die Ferne richteten.

Endlich, als die Sonne sank, verließen die Reisenden einen dichten hohen Wald und eilten hinaus in die offene Prairie, als Farnwald seinen eilenden Hengst etwas zurückhielt, sich nach Milly umwendete, und sagte:

»Dort, wo die hohen Bäume über der Grasfläche auftauchen, da liegt meine Wohnung, Milly. Ich hoffe und wünsche, daß Du dort eine angenehme und liebe Heimath finden mögest.«

»Sicher, Herr, werde ich es, und zwar mit einem dankbaren Herzen,« antwortete die Quadrone und trieb ihr Pferd an, damit es dem, jetzt fliegend im Paßgang dahin eilenden Hengst nahe bleibe.

Der Lärm der von den Ketten befreiten Hunde innerhalb der Einzäunung, welche Farnwalds Ansiedlung

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umgab, zeigte Paulmann und den Negern an, daß Fremde herannaheten, und so hatten diese sich schon an den Eingang gestellt, als ihr Herr, den sie mit überaus großer Freude begrüßten, denselben erreichte,

»Nichts vorgefallen, Paulmann?« fragte dieser den alten Gärtner.

»Nichts Ungewöhnliches, Herr Farnwald,« antwortete derselbe, »die Fuchsstute hat ein sehr hübsches Füllen bekommen, es sind eine Menge Sauen mit Ferkeln aus dem Walde angelangt und ein Jaguar hat ganz hier in der Nähe einige Kälber zerrissen. Ich habe gestern mit Addisson die sämmtlichen Hunde hinaus auf seine Fährte gebracht und zugehetzt, aber, wie es schien, hatten sie keine große Lust, ohne ihren Herrn zu jagen, den sie kehrten bald wieder zu uns zurück.«

»Da muß ich ihm doch morgen zu Gefallen gehen, er könnte mir an die Pferde gerathen,« sagte Farnwald, übergab Addisson die beiden Reitthiere und schritt, von Milly gefolgt, in seine Wohnung.

Darauf wies er der Quadrone ihr Gemach an, ging in sein Zimmer, wo er sich seiner Waffen und Reise-Effecten entledigte und schritt dann mit dem Andenken an die Geliebte hinaus unter die hohen Bäume.

Er fühlte sich sehr niedergebeugt, es schien ihm, als sei das Glück seines ganzen Lebens mit der Verblichenen dahingeschwunden, als würde er niemals wieder

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Freude an den vielen Dingen, die ihn früher so leicht entzückt hatten, haben können und trotzdem, daß seine Vernunft ihm in das Gedächtniß rief, wie er in so vieler Hinsicht vom Glücke begünstigt und vor tausend Andern ein beneidenswerthes Loos habe, so fiel er doch immer wieder in das Gefühl zurück, daß er allein und verlassen in der Welt stehe, in der ihm Alles ohne die Dahingeschiedene Nichts werth war.

Er war eine Zeit lang mit Joe umhergewandelt, die Nacht hatte sich finster, feierlich und still über die Gegend gelegt und die Sterne blitzten und glänzten in außerordentlicher Pracht, als plötzlich in gar nicht großer Entfernung das laute Klagegeschrei eines Rindes ertönte und mit jedem Augenblicke heftiger und kläglicher zu Farnwalds Ohren drang. Dieser sprang in das Haus, riß die Doppelbüchse von der Wand, rannte durch die Einzäunung hinaus zwischen dem Rindvieh, den Pferden, Maulthieren und Schweinen hin, die sich Nachts stets in der Nahe derselben lagerten, jetzt aber erschreckt aufgesprungen und zusammengetreten waren und eilte, Joe hinter sich, den Klagetönen zu, die nur noch im Ersterben erklangen. Er hatte spähend das Ende der Garteneinzäunung erreicht, als er vor sich in dem Fahrwege eine sich bewegende dunkle Masse durch die Finsterniß erkannte, von welcher her das Schreien, welches nun ganz verhallt war, erschollen zu sein schien.

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Er drückte sich an das Spalier, richtete seine Büchse aufs Ungefähre nach dem dunkeln Haufen hin und feuerte. Ein eiliges Davonspringen in langen Sätzen war alles, was er nach dem Schuß gewahrte und, zu dem noch in der staubigen Straße liegenden schwarzen Punkt tretend, fand er eines seiner Rinder, welches dort von einem Raubthiere erwürgt war. Er ließ dasselbe durch die Neger in die Einzäunung bringen, damit es in dem Haushalte verwendet werde und begab sich dann mit der Weisung zur Ruhe, ihn am andern Morgen frühzeitig zu wecken.

Kaum graute der Tag, als Farnwald das schon seit geraumer Zeit ruhende Jagdzeug herbeiholte, seine Waffen untersuchte und Addisson auftrug, die Jagdhunde zu füttern. Die Frechheit des Raubthiers, welches ohne Zweifel jener Jaguar sein mußte, von dem Paulmann ihm gesagt, hatte ihn angeregt und seine alte Leidenschaft für die Jagd wieder angefacht. Er war fertig gerüstet, als Milly mit einem freundlichen Gruß in das Zimmer trat, um zum ersten Male für ihren neuen Herrn den Tisch zu decken und ihm beim Frühstück aufzuwarten.

»Guten Morgen, Milly, hast Du gut geschlafen?« erwiederte ihr Herr, »Du sollst eine bessere Wohnung haben, als Deine jetzige; ich werde Dir ein hübsches Zimmer neben die Küche bauen lassen, damit Du es Dir

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recht nett und sauber einrichten kannst. Sieh, Du bist schon im Garten gewesen? Du hast eine von den gelben Rosen im Haar.«

»Ach, Herr, wie schön ist es dort, so herrliche Blumen habe ich niemals vorher gesehen,«

»Du mußt sie als Dein Eigenthum betrachten und sie hübsch pflegen.«

»O, wie gern will ich es thun, haben mir doch die wilden Blumen bei uns in den Wäldern und im Grase schon so viele Freude gemacht,« antwortete die Quadrone, deckte schnell den Tisch, holte die Speisen und den Kaffee aus der Küche und ergriff den Pfauenschweif, um, während sie ihrem Herrn aufwartete, zugleich die Fliegen von ihm fern zu halten. Joe theilte seine Aufmerksamkeit zwischen seinem Herrn und der Sklavin, da Beide ihm abwechselnd Leckerbissen zureichten und als Ersterer sich erhob und den Gürtel mit den Revolvern umschnallte, stimmte der Hund, um ihn herspringend, ein lautes Freudengebell an.

Farnwald hatte das Hifthorn umgehangen und einige Male kräftig hineingestoßen, als die große Zahl Hunde aus der Umgebung des Hauses lärmend und bellend zu dessen Eingang gerannt kam, freudig ihren Herrn erwartend, der sie so lange vernachlässigt hatte.

Der Hengst wurde vorgeführt und Farnwald war im Begriff, ihn zu besteigen, als ein Reiter zu der Einzäunung

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geritten kam, in welchem er Robert Swarton, den ältesten Sohn eines Nachbarn, der nur einige Meilen von ihm entfernt wohnte, erkannte.

»Guten Morgen, Robert, was bringen Sie mir?« fragte Farnwald den schönen kräftigen zwanzigjährigen Jüngling, der mit seinen klaren hellblauen, von schwarzen Wimpern überschatteten Augen freundlich nach diesem herblickte und ihm die Hand entgegenhielt.

»Vor Allem tausend herzliche Grüße von den Meinigen und von Mutter noch eine besondere Empfehlung mit der Bitte, ihr doch das Recept zu dem Kuchen zu senden, von welchem sie, als sie mit Vater zuletzt hier bei Ihnen war, ein Stück gekostet hat. In einigen Tagen ist meiner Schwester Virginia Geburtstag und da wollte Mutter einen solchen Kuchen backen.«

»Mit Freuden gebe ich es ihr, ich will es schnell aus meinem Kochbuch abschreiben,« erwiederte Farnwald, indem er dem jungen Manne einen Stuhl hinsetzte, an seinen Schreibtisch trat, das gewünschte Recept anfertigte und es Jenem übergab.

»Wenn Sie Zeit haben,« sagte er zu ihm, »so sollten Sie mit mir reiten; ich habe einen Jaguar hier in der Nahe, der mir vielen Schaden an meinem Vieh thut. Er zerriß in letzter Nacht ein starkes Rind ganz nahe an meinem Garten und da ich ihn dabei durch einen Büchsenschuß gestört habe, so bin ich überzeugt,

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daß er nicht weit von hier sitzt. Sie könnten meine große Doppelflinte nehmen, deren Läufe jeder mit zwölf Pistolenkugeln geladen ist, sie knallt doch zweimal; außerdem schießt Ihre lange einfache Büchse ein zu kleines Blei.«

»Mit dem Recept hat es keine große Eile,« erwiederte der junge Mann, »und ich bin schon so lange nicht mit Ihnen auf der Jagd gewesen, daß ich Sie diesmal gern begleite. Sie müssen mir aber auch Kugeln zu der Flinte geben und noch ein paar Schuß Pulver.«

»Hier, hängen Sie diesen Ranzen um, darin finden Sie alles, was Sie nöthig haben. Lassen Sie ihre Kugeltasche und Büchse hier. Nun, Milly, halte gut Haus während meiner Abwesenheit, und sollte Jemand nach mir fragen, so bittest Du ihn, seine Wünsche auf die Schiefertafel dort niederzuschreiben,« sagte Farnwald sich dann zu der Quadrone wendend, die flink nach der Thür in der Einzäunung sprang, um diese für ihren Herrn zu öffnen, der bereits seinen Hengst bestiegen und mit Swarton derselben zuritt.

Bellend und in voller Freude umschwärmten die Jagdhunde die beiden Reiter, während Joe sich ernst an die Seite des Rosses seines Herrn begab. Farnwald hatte die Hunde sämmtlich zurück hinter die Pferde gehen lassen, hielt an der Stelle, wo das Rind getödtet

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war, seinen Hengst an, um sich zu überzeugen, ob dies wirklich durch einen Jaguar geschehen sei und fand auch gleich dessen mächtige Fährte, flüchtig nach dem nächsten Gehölz hinstehend, in dem Staube abgedrückt. Er rief nun einen alten start dog (Finder), Namens Milo, herbei, zeigte mit der Hand auf die Spur des Raubthieres, der alte Hund drückte seine Nase wiederholt in dieselbe hinein und setzte sich dann, mit lautem Klänge seiner jodelnden Stimme in einen gemessenen Galopp, während die ganze Meute der Jagdhunde ihm, als ob sie seine reiferen Erfahrungen anerkannten, in kurzer Entfernung, hell Hals gebend, folgten.

Der Jagdgeist war mit dem ersten Tone der Hunde bei diesen sowohl, als bei den Rossen und den Jägern angefacht, Farnwald ließ seinen Ruf wiederholt erschallen, flüchtig zog er mit seinen Gefährten dem Gehölze zu, durch dasselbe hin, über die sich dahinter öffnende Prairie und erreichte den Wald, der sich an den Fuß der Berge lehnte. Kaum waren die Hunde in das Dickicht gerannt, als sie plötzlich ein wildes wüthendes Gebell anstimmten und gleich darauf in fliegender Jagd davon eilten.

»Sie haben den Jaguar vor sich, jetzt heißt es Eile, Robert!« rief Farnwald seinem Begleiter zu, gab dem Hengste die Zügel und sauste mit ihm durch den Wald der Jagd nach, sich hin und her um die Dickichte windend

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und Lichtungen erspähend, um der lustig tönenden Musik der Hunde so nahe als möglich zu bleiben. Berg auf Berg ab ging es in stürmischer Hast über umgefallene Baumstämme, durch wildbrausende Bäche, über Gräben und loses Gestein wohl über eine halbe Stunde im Galopp vorwärts, immer hatten die Jäger, wenn auch in der Ferne, die Jagd vor sich, als sie einen Strich Cedernwald erreichten, durch welchen vor einem Jahre ein Orkan gezogen war und die mächtigen Bäume darin mit den Wurzeln nach oben kreuz und quer durcheinander geworfen hatte. Die Jagd ging geraden Wegs durch die unzugängliche Wildniß hindurch, die Jäger konnten ihr nicht folgen, sie mußten an dem Saume des Holzes hineilen und es auf einem Umwege von mehreren Meilen umreiten. Unter Sporn und Peitsche schnaubten die Rosse dahin und erreichten schaumbedeckt und fast ganz erschöpft die andere Seite des Cedernwaldes, wo ihre Reiter sie anhielten, um nach der Jagd zu lauschen, doch es war von den Hunden kein Laut mehr zu vernehmen. Farnwald sandte Joe jetzt in kurzer Entfernung an dem Holze voran, worauf derselbe bald stehen blieb und die Spur andeutete, auf welcher das Raubthier das Dickicht verlassen hatte und der kahlen steinigen Höhe zugezogen war. Die Jäger folgten ihr rasch und erreichten den Gipfel des Bergrückens, wo sie abermals in das jenseitige Thal

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hinunter horchten, Farnwald ließ sein Horn ertönen, und war im Begriff der Spur weiter nachzuziehen, als mehrere der Hunde verwundet und blutend zurückkamen und sich furchtsam ihrem Herrn naheten.

»Die Hunde haben ihn gestellt, wir müssen ihnen rasch nach, sonst tödtet er die meisten,« sagte Farnwald, ließ seinen Ruf abermals ertönen, die Jagdhunde nahmen die Fährte wieder auf und fort ging es in das Thal hinunter nach der jenseitigen Wand hin, deren Höhe die Reiter kaum erreicht hatten, als aus dem bewaldeten tiefen Thale, das sich zu ihren Füßen ausdehnte, die wilden Stimmen der Meute deutlich hervorschallten.

»Sie haben ihn fest, sie sind standlaut,« rief Farnwald, gab seinem Hengste die Sporen, jagte von Swarton gefolgt, den Berg hinab dem Walde zu und durch denselben hin dem lauten Verbellen der Hunde entgegen. Bald hatten die Jäger die tiefe Schlucht des Thales erreicht, stürmten in derselben hinauf dem Lärmen der Meute näher und näher und erreichten plötzlich einen freien Grasplatz, auf dessen Mitte sämmtliche Hunde unter einer uralten Eiche, nach deren Aesten aufsehend, wüthend bellend umherrannten.

Beide Jäger sprangen von ihren Pferden, eilten mit gespannten Gewehren der Eiche zu und erkannten zugleich das königliche, buntgefleckte Thier, den

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Jaguar, der auf einem der Hauptäste des Baumes ausgestreckt lag und mit grimmigen Blicken und drohendem Gebiß auf seine Verfolger hinabblickte.

»Drücken Sie beide Läufe auf ihn ab,« sagte Farnwald zu Robert und nahm selbst die Büchse an die Schulter.

Mit dem Donnerkrach von Swartons Gewehr flog der Jaguar vom Aste herab, Farnwalds Kugel erreichte ihn, noch ehe er zur Erde stürzte, und im nächsten Augenblicke war er mit den Hunden gedeckt. Der Knäuel der Meute wälzte sich mit dem kämpfenden Raubthiere auf der Wiese hin, die wüthenden Jagdhunde hatten sämmtlich gefaßt, doch wurde bald hier, bald dort einer derselben verwundet und heulend von dem grimmigen Feinde abgeschlagen, ohne daß Farnwald ihnen durch einen Schuß hätte zu Hülfe kommen können. Nur mit den heftigsten Drohungen konnte er Joe davon zurückhalten, Theil an dem Kampfe zu nehmen, als der Jaguar einen Baum erreicht hatte und, denselben mit den Vordertatzen erfassend, ihn zu erklimmen versuchte. In demselben Moment aber fuhr Farnwalds Büchsenkugel dem Tiger durch den Schädel und streckte ihn leblos zu Boden. Es war ein mächtiges schönes Thier, doch sein Tod hatte das Leben von vier ausgezeichneten Hunden gekostet, während die größere Hahl der übrigen verwundet war.

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Swarton begab sich nun daran, das erlegte Thier seiner schönen Haut zu entkleiden, Farnwald dagegen holte sein Verbindzeug aus dem Pistolenholfter hervor, um die, schweren Wunden der Hunde zu heften.

Beides war nach einiger Zeit vollbracht, die Pferde hatten sich in dem üppigen Grase erholt, die große prachtvolle Haut des Tigers hing hinter Farnwalds Sattel und die Jäger bestiegen ihre Rosse, um sich auf den Heimweg zu begeben.

»Ich glaube, es wird Ihnen nicht vom Wege abliegen, wenn Sie mit mir nach Hause reiten und zu Mittag bei uns vorlieb nehmen. Die Meinigen werden sich unendlich freuen. Sie einmal wieder bei sich zu sehen. Wie lange ist es auch, daß Sie nicht bei uns waren!« sagte Robert zu Farnwald.

»Nun, wenn es auch nicht mein directer Weg nach Hause ist, so sehe ich doch Ihre Familie gern und will mit Ihnen reiten,« antwortete dieser. »Ich muß gestehen, ich weiß nicht genau, wo wir eigentlich sind; Ihr Haus muß in südöstlicher Richtung von dem Cedernwalde liegen.«

Bei diesen Worten hielt er seinen Hengst an, hob den Kolben seiner Büchse in die Höhe und sah nach dem Compaß, der in denselben eingelassen war.

»Ganz recht, wir müssen der Schlucht hier folgen und uns dann links von jener Kuppe halten,« fuhr er

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fort, legte seine Büchse wieder vor sich auf den Sattel und zog mit Swarton und von den Hunden gefolgt, langsam in dem Thale hinab.

Der Vater Roberts war einer der ersten Ansiedler gewesen, die sich nach Farnwald in dieser Gegend niedergelassen hatten. Mit einem leichten Wagen, einem Pferde, einem Pfluge, wenigem Kochgeschirr, Büchse, Hunden und seiner Frau und vier Kindern, war der alte Swarton damals nach einer langen, mühseligen Reise von Tenessee zu Farnwald gekommen und hatte ihn um seinen Rath und seinen Beistand gebeten; dieser hatte ihm ein schönes Stück Gouvernementsland gezeigt, war ihm behülflich gewesen sein Blockhaus darauf aufzuschlagen, hatte ihm eine Kuh, eine Sau, einige Hühner gegeben und ihn mit Mais versehen, um Brod daraus zu bereiten, so wie auch um seine erste Aussaat damit zu bestellen.

Fleißig und arbeitsam, wie die Familie Swarton war, hatte sie ihre kleine Ansiedlung nach wenigen Jahren zu einer netten Farm erhoben, zog vielen Mais und gute Baumwolle, besaß schönes Rindvieh, Pferde und Maulthiere und hatte gegenwärtig Alles, was zu einem sorgenfreien Leben nothwendig ist, im Ueberfluß. Dabei waren sie stille, bescheidene und friedsame Menschen, die die Liebe und die Achtung ihrer guten Nachbarn

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genossen und gern den Neuankommenden hülfreiche Hand leisteten.

Ganz in der Nähe ihrer Besitzung hatte in neuerer Zeit ein Speculant auf seinen Ländereien ein Städtchen entstehen lassen, hatte die Straßen desselben ausgesteckt, verkaufte die daran liegenden einzelnen Bauplätze und, da es eine passende und angenehme Lage war, so hatten sich dort schon Kaufleute und Handwerker niedergelassen, es war eine Postoffice errichtet, Kost- und Trinkhäuser und ein Gasthof waren entstanden und ein Gerichtshaus dort erbaut worden.

Das Land in der Umgebung dieses Städtchens, welches man C*** nannte, worunter sich auch das Swartons befand, war von dem Gouvernements-Feldmesser in ganzen, halben und Viertelssectionen vermessen und, mit laufenden Nummern versehen, in die Karten der County eingetragen worden.

Swarton hatte bei seiner Hierherkunft das Land, worauf er wohnte, wie es die meisten Ansiedler an der Frontier thun, in Besitz genommen, ohne der Regierung den Preis dafür zu bezahlen, wozu man überhaupt vor Ablauf der ersten drei Jahre nicht verpflichtet ist. Auch später fällt es dem Gouvernement niemals ein, den Preis für das in Besitz genommene Land einzufordern, indem Jenes recht gut weiß, daß der Eigenthümer, sobald das Land zu einem wirklichen Werthe gelangt ist,

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bald von selbst das Geld dafür bringt, damit nicht ein Anderer etwa ihm zuvorkommt, die Zahlung leistet, und ihn dann aus seinem Besitze verdrängt, denn nur drei Jahre lang räumt die Regierung dem Squatter, wie diese Ansiedler genannt werden, das sogenannte Vorzugsrecht ein, nach Ablauf derselben darf aber ein Jeder das Land gegen baares Geld kaufen.

Swarton hatte die ganze Section Nummer Zwei und Dreißig, die er bewohnte, auf seinen Namen in der Landoffice eintragen lassen, aber bis auf diesen Tag das Geld dafür zu entrichten versäumt. Mit seinem jährlichen Verdienste hatte er sich einige Neger, edles Vieh und seine Zuchtstuten angeschafft und gar nicht daran gedacht, daß es Jemanden einfallen würde, das Land zu kaufen und das Geld dafür zu bezahlen.

Wohl hatten die Freunde Swartons ihn oft auf die Gefahr aufmerksam gemacht, daß irgend ein Fremder, ein Speculant, das Land, auf dem er wohne, durch Baarzahlung dafür an sich reißen könne, da die drei Vorzugsjahre schon lange abgelaufen seien; doch er hatte immer dazu gelacht und gesagt: »Das untersteht sich Niemand an der Frontier.«

So lange die Gegend auch noch wirkliche Frontier, das heißt eine Reihe weit von einander abgelegener Ansiedelungen an der Grenze der Indianergebiete war, hätte auch in der That Niemand daran gedacht, in dieser

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Weise einen solchen Squatter zu verdrängen, denn, da dort Jeder das Recht auf der Büchse und dem Jagdmesser mit sich trägt, so würde ein solcher Eindringling als Belohnung für seine Hinterlist bald eine tödtliche Büchsenkugel haben pfeifen hören; hier aber waren die ursprünglichen Zustände des eigentlichen Frontierlebens schon in Folge der zahlreichen Ansiedelungen zum Theil gewichen, obgleich noch Niemand es gewagt hatte, über den mächtigen, nicht sehr weit entfernten Strom, der dieses Land von der Urwildniß trennte, zu gehen, um sich dort anzubauen.

Durch die Entstehung des Städtchens war das Land in dessen Umgebung zu einem nicht unbedeutenden Werthe gestiegen, zumal, da es ausgezeichnet reichen Boden enthielt, und kleine Farmer drängten sich dorthin, um Gemüse, Früchte, Federvieh, Eier und andere Producte für den Bedarf der Einwohner von C*** zu erzeugen.

Der alte Herr Swarton stand an der Thür der Einzäunung, die seine Wohngebäude umgab, als sein Sohn mit Farnwald sich der Farm näherte und sobald er Letzteren erkannte, eilte er ihm mit großer Freude und Herzlichkeit entgegen.

»Endlich einmal sehen wir Sie wieder bei uns, lieber Freund, wir hatten schon fast alle Hoffnung auf dieses Vergnügen aufgegeben,« sagte er zu seinem Gaste, indem er ihm die Hand reichte. »Kommen Sie herein

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zu meinen Damen, die sich eben so sehr nach Ihrem Besuche gesehnt haben, wie ich selbst. Aber, der Taunsend, was haben Sie denn da? das ist ja eine prächtige Jaguarhaut, dazu gratulire ich uns Beiden, denn der Bursche hatte auch meinem Vieh sehr gefährlich werden können.«

»Mir hat er schon Schaden genug gethan und zuletzt hat er mir noch vier gute Hunde getödtet. Ich bin sehr froh, daß wir ihn bekommen haben, er war ein gefährlicher Gesell,« antwortete Farnwald, rief dann seine Hunde zu sich heran und schritt mit Swarton nach dem Wohnhause, während Robert die Sorge für den Hengst übernahm.

»Bill!« rief der alte Swarton seinem zweiten Sohne, einem frischen Jungen von achtzehn Jahren zu, »nimm unsere Hunde mit Dir aus der Einzäunung und sperre sie in den alten Pferdestall, damit es keine Beißerei giebt,« worauf er mit dem Gaste seine Wohnung betrat, in deren Eingang Madame Swarton und ihre einzige Tochter Virginia diesen auf das Herzlichste begrüßten.

»Ich bringe Ihnen das ... « begann Farnwald zu Madame Swarton gewendet, doch diese unterbrach ihn, indem sie den Finger auf den Mund legte und seitwärts nach Virginia hinblickte, um ihm anzudeuten, daß diese mit dem bewußten Kuchen überrascht werden und nicht wissen solle, daß sie um das Recept gebeten hatte.

»Ja, endlich bringen Sie Sich uns Einmal,« sagte sie, ihm die Hand reichend. »Sie haben uns lange genug auf diesen Besuch hoffen lassen. Ich sprach kürzlich mit Virginia und Charles, meinem jüngsten Sohne, in Ihrem Hause vor, als wir von Flannigins kamen, doch Ihr alter Gärtner sagte uns, Sie seien verreist,« bemerkte Madame Swarton.

»Ich war weit an dem Flusse hinuntergereist, um einem Freunde beim Ankauf einer Plantage behülflich zu sein und bin erst gestern Abend zurückgekehrt,« erwiederte Farnwald und setzte sich zu den Damen unter die Veranda, wo auch Herr Swarton, der in das Haus gegangen war, um einen Rock anzuziehen, sich einfand. Auch Robert, Bill und Charles setzten sich in die Reihe, Farnwald mußte von seiner Reise erzählen, es wurde über die Indianer gesprochen und bald wandte die Unterhaltung sich auf die häuslichen Angelegenheiten der Familie Swarton selbst.

»Wie steht es mit Ihrem Lande, lieber Swarton?« fragte Farnwald diesen; »haben Sie die Sache abgemacht?«

»Noch nicht, lieber Freund, doch ich bin entschlossen, es bald zu thun, es kommen zu viel Leute hierher, die

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Land suchen. Das Städtchen drüben hat in unserer Gegend manche Veränderung hervorgebracht,« antwortete der Pflanzer.

»Versäumen Sie es ja nicht, es ist höchst gefährlich, denken Sie nur daran, daß es einem Jeden frei steht, dies Ihr Land mit Feldern, Häusern und Allem, was darauf fest ist, für die Taxe als Gouvernementsland zu kaufen. Aufrichtig gesagt, wundert es mich sehr, daß es nicht schon geschehen ist. Sie sollten wahrlich keine Stunde verlieren.«

»Nein, nein, ich bezahle das Land in diesen Tagen, ich bin besorgt geworden.«

»Was zahlt man jetzt in der Nähe des Städtchens für den Acker?«

»Nun, darnach es ist und liegt, fünf Dollar, auch wohl acht bis zehn,« antwortete Swarton.

»Und das Gouvernement nimmt nur zwei Dollar. Versäumen Sie es um des Himmels Willen nicht, Ihr Land zu bezahlen, die Gefahr ist zu groß,« sagte Farnwald, als die Negerin auf die Veranda trat und anzeigte, daß das Mittagessen aufgetragen sei.

»Kommen Sie, Herr Farnwald,« sagte Madame Swarton zu ihm, »nehmen Sie mit unserer einfachen Hausmannskost vorlieb, unsere freundlichen Blicke, einen so lieben Gast bei uns zu sehen, müssen das Beste dabei thun.«

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Hiermit schritt sie voran nach einem, neben der Küche befindlichen zweiten Blockhause, welches, inwendig sauber getüncht und geweißt, zum Speisezimmer diente. Man setzte sich um den Tisch, Herr Swarton sprach ein kurzes Gebet, wobei sich Alle andächtig über ihre gefalteten Hände beugten und dann ließ man sich den mit Rübenkraut abgekochten Schinken, die süßen Kartoffeln, den Kaffee, die Buttermilch und den Honig, aus welchen Gegenständen das Mahl bestand, gut schmecken. Zum Des[s]ert wurden herrliche Erdbeeren aufgetragen, dazu Honig und süße Milch gereicht und noch eine Tasse starken Kaffee beschloß das Mahl. Dann begab man sich unter die Veranda des Wohngebäudes zurück, die Männer zündeten ihre Pfeifen an, Madame Swarton nahm die Hecheln und Baumwolle, um diese zu reinigen und zum Spinnen vorzubereiten, während Virginia das große Rad herbeitrug und die Wolle darauf zu einem Faden drehte. »Schon wieder fleißig, Fräulein Virginia?« sagte Farnwald zu dem schönen jungen Mädchen.

»Dazu hat uns der liebe Gott bestimmt, und ohne unsere Arbeit würden wir zu Nichts gekommen sein,« antwortete die Mutter, »Von der Arbeit werden die Kinder stark und gesund, und ein fleißiges Mädchen wird dereinst eine gute Hausfrau.«

»Die Amerikanerinnen in den großen Städten denken aber nicht so,« bemerkte Farnwald.

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»Im Allgemeinen haben Sie Recht, doch es giebt auch Ausnahmen. Ich bin auch in einer großen Stadt erzogen, aber meine Mutter hätte mich schnell aus dem Schaukelstuhle aufjagen wollen, wenn ich mich während des Tages hineingesetzt hätte. Es kommt Alles darauf an, wie man die Kinder gewöhnt; die meinigen haben von Jugend auf gearbeitet und thun es gern. Charles hat schon seit zwei Jahren allein gepflügt und führt die Axt gleich mit jedem Manne und Bill geht in der Arbeit keinem Neger aus dem Wege. Nun, der Himmel hat sie auch groß und stark werden lassen, der gütige Gott erhalte sie nur gesund, dann habe ich Nichts zu klagen,« sagte die Hausfrau mit freudigem Blick auf die schönen Jungen sehend; dann wendete sie sich zu Charles und sagte:

»Du kannst jetzt wohl dem Pferde unseres Freundes Mais geben, es wird sich bereits abgekühlt haben.«

»Bill,« sagte sie dann zu diesem, »hole uns einen frischen Trunk von der Quelle. Nimm dort den Eimer, schöpfe aber vorsichtig, damit das Wasser hübsch klar bleibt.«

Der Nachmittag verstrich in traulicher Unterhaltung und die Sonne schien nicht mehr so heiß, als Farnwald sein Pferd sattelte und Madame Swarton zu ihm trat, und ihm für das Recept dankte.

»Der Geburtstag von Virginia ist nächsten Mittwoch und da müssen Sie herüberkommen, Herr Farnwald,

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dann sollen Sie auch ein besseres Mittagsessen erhalten, als ich Ihnen heute vorsetzen konnte; ich hatte aber keine Ahnung davon, daß Sie uns mit Ihrem Besuche erfreuen würden. Nicht wahr, Sie kommen bis Mittwoch zu uns? Sie werden Blanchards wahrscheinlich auch hier treffen.«

»Ich werde beim Nachhausereiten dort vorsprechen, haben Sie Etwas an sie zu bestellen?«

»Sagen Sie ihnen, daß ich Mittwoch sicher auf ihren Besuch rechne; sie möchten aber Alle kommen.«

Farnwald versprach dann der freundlichen Frau, sich zu dem Geburtstage einzufinden, nahm Abschied von den herzlichen Leuten und eilte in dem leichten kühlenden Abendwinde fort der Niederlassung der Familie Blanchard zu, welche etwas seitwärts von dem Wege lag, der zu seiner eignen Wohnung führte.

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Capitel 5.

Die Familie Blanchard. - Heimkehr. - Sonntagmorgen. - Der Geburtstag. - Die brennenden Bäume. - Fackelritt.


Bald hatte Farnwald den Fluß erreicht, an welchem sich die Farm befand; er war aus der offenen heißen Prairie in den wohlthuenden Schatten des Riesenwaldes gelangt, der dessen Ufer bedeckte, und mit vollen Zügen den balsamischen Duft in diesen luftigen frisch grünen Räumen einathmend, legte er dem Hengste die Zügel auf den Hals und ließ ihn nach Belieben dem Wege folgen, indem er die Hunde zurückhielt, um sie nicht durch eine unnöthige Jagd zu ermüden und dadurch aufgehalten zu werden.

Die Strahlen der untergehenden Sonne strichen schräg durch die üppigen dunkeln Laubmassen, sie beleuchteten in glühender, bunter Farbenpracht die reiche Blumensaat, die jene schmückte und hefteten sich blendend auf die silbergrauen glänzenden Stämme der Magnolie, auf die kolossalen weißen Körper uralter Platanen, auf die schlanken Schafte der Palmen, während sie in dem leicht bewegten verworrenen Rankengeflechte, welches wie

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ein schwebender Wald von Baum zu Baum, von Ast zu Ast hing, zitterten und dessen tausendfältigen Blumenflor erglänzen ließen. Der herannahende Frühling hatte bereits die Blüthenknospen der Bäume, Sträucher und Pflanzen erschlossen, zwischen dem dunkelgrünen glänzenden Laub der Magnolien prangten deren saftige weiße ungeheure Rosen, die zum Himmel aufstrebenden Tulpenbäume waren mit goldenen Blüthen übersäet, die Corneliuskirsche streckte an ihren langen Zweigen die schneeweißen Blumensterne durch die laubüberdachten Räume und, wohin sich auch das Auge wendete, lachte ihm der Frühling in seinem lieblich bunten Kleide entgegen. Auch die Thierwelt schien sich dieses Abends zu erfreuen, die buntglänzenden Vögel flatterten, schwirrten und schossen schillernd und blitzend hin und her durch die glühenden einzelnen Sonnenstrahlen, die grauen Eichhörnchen schwangen sich in fliegenden Sprüngen von Ranke zu Ranke und glänzend farbige Schmetterlinge schwebten von Blume zu Blume,

Tief in Gedanken versunken zog Farnwald durch den Wald dahin und hatte, ohne es zu bemerken, die Ansiedlung Blanchards erreicht, die an dem Saume desselben lag und noch von dessen hohen Bäumen überschattet wurde.

»Ei, ei, Herr Farnwald, wie kommen wir zu der Ehre?« rief Madame Blanchard, eine Wittwe von etwa vierzig Jahren, freundlich von der Veranda des Hauses

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ihm entgegen, als er vom Pferde stieg und dessen Zügel an die zierliche Einzäunung schlang, die das Gebäude in einiger Entfernung umgab. Die Dame eilte durch den, dicht von hohen Bäumen überdachten, herrlichen Blumengarten, auf Farnwald zu und begrüßte ihn, freudig seine Hände erfassend, aufs Herzlichste.

»Die Jagd hat Sie zufällig einmal wieder zu uns verschlagen, sonst hätten wir wohl noch lange auf Ihren Besuch warten dürfen.«

»Doch nicht, Madame Blanchard, die Jagd brachte mich zu Swartons, von wo ich hier herritt, um Sie einmal wiederzusehen; Sie wissen, der Weg von dort nach meinem Hause geht nicht hier vorüber. Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie?«

»Gottlob, wir sind sämmtlich gesund. Doch kommen Sie herein, Inez wird sich sehr freuen, Sie wieder zu sehen. Mein Sohn George ist nach dem Städtchen geritten und der jüngere, John, wollte sehen, ob er uns einen Hirsch holen könnte, er ist noch nicht lange fort.«

Mit diesen Worten führte die Frau ihren Gast unter die Veranda vor dem schönen großen, wenn auch nur von Holz aufgeführten Wohngebäude, ließ ihn neben sich Platz nehmen und rief einem im Garten beschäftigten Negermädchen zu, ihre Tochter Inez von dem Besuch Farnwalds zu benachrichtigen.

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Die Familie Blanchard war mit einer großen Zahl Sklaven vor vier Jahren von Louisiana ausgewandert, hatte ein bedeutendes Stück Landes von der Regierung gekauft und sich hier aus einer Wildniß in kurzer Zeit einen reizenden Wohnort geschaffen. Der alte Herr Blanchard aber war schon im zweiten Jahre seines Hierseins durch den Tod abgerufen worden, so daß seiner Wittwe die Sorge für die Familie sehr schwer oblag; denn Georg, der älteste Sohn, war damals erst vierzehn Jahre alt. Farnwald jedoch, der ihnen von Anbeginn ihres Hierseins ein treuer Freund, Helfer und Rathgeber gewesen war, nahm sich der Familie an und unterstützte die Wittwe in Anordnung und Leitung der vielen Geschäfte, die ihr oblagen, bis sie mit Hülfe ihres thätigen Sohnes George seines Beistandes nicht mehr bedurfte.

Farnwald wurde deshalb von diesen Leuten hoch geschätzt und wie zu ihrer Familie gehörend angesehen; denn in den ersten Zeiten ihrer Ansiedlung verging fast kein Tag, an dem er nicht bei ihnen gewesen wäre. Doch, wie er sich seit einiger Zeit von allen seinen Nachbarn zurückgezogen hatte, so war es auch mit diesen der Fall gewesen und sein heutiger unerwarteter Besuch erfreute um so mehr Madame Blanchard und ihre Tochter Inez, die nach wenigen Minuten herbeigeeilt kam.

»Aber sagen Sie mir, Herr Farnwald, ist Ihr Benehmen

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gegen uns das eines Freundes?« fragte Inez halb im Scherz und halb im Ernst, indem sie ihm zutraulich die Hand reichte. »In Monaten haben wir Sie ja nicht zu sehen bekommen. Meine Brüder sind oftmals auf Ihrer Farm gewesen, da hieß es aber immer: >HerrFarnwald ist auf der Jager ist eben von der Jagd gekommen und hat sich schlafen gelegt.< Kurz Niemand hat Sie sehen oder sprechen können. Andere Nachbarn haben sich eben so sehr von Ihnen vernachlässigt gefühlt, aber es hat wohl Keiner derselben so gegründete Ursache dazu, als wir. Haben wir Ihnen denn Etwas zu Leide gethan?«

»Nein, wahrlich nicht, Inez,« antwortete Farnwald verlegen, »es waren nur zufällig zusammentreffende Verhältnisse, die mich von meinen Freunden fern gehalten haben; wie können Sie denken, daß ich Etwas gegen Sie hätte! Sie kennen meine Gesinnungen gegen Sie zu gut, um dies zu glauben.

Ich bringe Ihnen eine Einladung auf nächsten Mittwoch von unsern Freunden Swartons; es ist dann der Geburtstag von Virginia, der gefeiert werden soll und ihre Mutter läßt Ihnen sagen, daß sie Sie sämmtlich unfehlbar erwartet.«

»Wir haben schon die Einladung von der lieben Frau bekommen und freuen uns sehr auf den Tag. Ich bin gar zu gern bei den guten Leuten,« antwortete Inez.

»So werden wir Sie dort sehen, lieber Herr Farnwald?« fragte Madame Blanchard, »das ist ein Grund mehr für uns, um nicht zu fehlen. Sie dürfen uns nicht wieder so vernachlässigen, das müssen Sie mir versprechen.«

»Und mir auch, dann sollen Sie auch einen recht schönen Blumenstrauß haben,« sagte Inez, warf ihre schweren schwarzen Locken zurück und sprang von der Veranda in den Garten hinab, wo sie schnell und geschmackvoll ein Bouquet für Farnwald zusammenband.

»Hier sind die Blumen, so hübsch wie ich sie finden konnte, nun müssen Sie aber auch wieder, wie Sie es früher thaten, oft zu uns kommen. Wo haben Sie denn Joe, meinen alten Freund?«

»Er liegt draußen vor der Einzäunung bei meinem Pferde und hält die Jagdhunde in Frieden, denn, so lange er in deren Nähe ist, rührt sich keiner von ihnen.«

»Wenn Sie aber wiederkommen, müssen Sie ihn allein mitbringen, damit ich ihn einmal wieder lieb haben kann,« bemerkte Inez, während ihre Mutter aufgestanden war und zu ihrem Gaste sagte:

»Sie werden mich einen Augenblick entschuldigen, lieber Herr Farnwald, ich will nur der Köchin sagen, daß sie die Schnitten so backt, wie Sie dieselben immer gern gegessen haben.«

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»Ich kann unmöglich zum Abendessen bleiben, es ist schon spät und ich werde zu Hause erwartet,« antwortete Farnwald aufspringend.

»Nein, nein, da wird nun einmal Nichts daraus, Sie bleiben bei uns. Ihre alte Charity kann wohl warten,« sagte Madame Blanchard und eilte in das Haus.

Die Sonne war versunken, die Sterne fingen an zu blitzen und die Kühlung der Nacht legte sich wohlthuend über die durchglühte Erde, Blumen schlossen, als ob sie schlafen wollten, ihre Kelche, und andere öffneten sich, um die frische thauige Nachtluft einzusaugen und ihr dagegen die lieblichsten Düfte mitzutheilen. Die Säulen der Veranda, unter welcher Farnwald mit der lieblichen Inez saß, waren mit üppigen Lianen umrankt, namentlich mit einem goldig blühenden Jasmin, welcher alle andern Blumen in seinem Bereich an Wohlgeruch übertraf, doch aus der Höhe senkte sich jetzt noch lieblich der Duft der weißen Rosen, die an den Magnolien vor dem Hause prangten und zog mit dem süßen Aroma der Orangen und Citronenblüthen über die Gallerie.

»Wie reizend ist es doch hier, liebe Inez, und wie manche angenehme Stunde habe ich hier verbracht,« sagte Farnwald zu der jungen Freundin.

»Und doch konnten Sie diesen Platz so lange meiden? Sie müssen wohl irgend wo anders einen schönern gefunden haben, der Ihnen lieber war,« antwortete Inez

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mit einem Tone des Vorwurfs, Farnwald aber schwieg und verlor sich mit seinen Gedanken in die Vergangenheit. Nach einer Weile fuhr das Mädchen fort:

»Man soll alte Freunde über neue Bekanntschaften nicht vergessen, und wenn diese auch werthvoller scheinen; jene sind erprobt.«

»Sie thun mir Unrecht, Inez, die Freundschaft Ihrer Familie ist meinem Herzen stets gleich werth gewesen und wird es ewig bleiben. Unsere Handlungen mögen zu Zeiten Gefühle, die in uns leben, nicht bekunden, was diesen aber keineswegs ihr Dasein abspricht, gleichwie wir nur dann die Luft fühlen, wenn sie be wegt wird und uns die Sterne nur dann sichtbar werden, wenn die Sonne verschwindet und Nacht sich über die Erde legt. Ich werde Ihnen aber nie wieder Ursache geben, sich über meine seltenen Besuche zu beklagen, nehmen Sie sich in Acht, daß dieselben Ihnen nicht lästig werden.

»Es ist mir lange nicht so wohl gewesen, als gerade jetzt.«

»Diesen Platz, der so viel Anziehendes für Sie hat, können Sie ja jeder Zeit erreichen; wenn es weiter Nichts bedarf um Sie glücklich zu machen, so sind Sie der glücklichste Mann auf Erden,« antwortete Inez munter nach Farnwald sehend, als die Mutter aus dem Corridor trat und ihren Gast einlud, ihr zum Abendessen zu folgen.

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In diesem Augenblicke ließ Joe seine Baßstimme ertönen und die Jagdhunde stimmten sogleich mit ein.

»Da kommt Jemand, ich will nach dem Eingange gehen, Joe ist gefährlich,« sagte Farnwald und sprang, den Hunden Ruhe gebietend, nach der Einzäunung hin.

Es waren die beiden Söhne der Madame Blanchard, die herangeritten kamen und zwar Charles mit einem stolzen Hirsche hinter sich auf dem Pferde.

»Mein Gott, Farnwald!« riefen die jungen Leute, »willkommen, willkommen!«

Dieser reichte Beiden die Hand, ließ sie in die Einzäunung reiten und schloß dann wieder deren Thür, um seinen Hunden den Eingang zu wehren.

Mit großer Herzlichkeit und Freude führten die beiden hübschen Burschen Farnwald in das Speisezimmer, begrüßten dort Mutter und Schwester und nahmen dann, ihren Freund zwischen sich, Platz an dem Tische. Madame Blanchard und Inez setzten sich ihnen gegenüber und ein sauber gekleidetes Negermädchen wartete auf.

Die Ausstattung dieses Zimmers, so wie die Einrichtung im ganzen Hause zeigte durch geschmackvolle Einfachheit, daß es dessen Bewohnern nicht darum zu thun war, ihren großen Reichthum, der in mehreren hundert Sklaven, herrlichem Vieh, kostbaren Pferden und alljährlich in sehr werthvollen Baumwollenernten

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bestand, zur Schau zu tragen, sondern, daß sie mehr Werth darauf legten, Alles gut, zweckmäßig und wirklich schön zu haben.

»Da sind wir endlich einmal wieder zusammen, wie früher, hat denn die Köchin auch Schnitten für Farnwald gebacken,« fragte John, sich an seine Mutter wendend.

»Ei ja freilich, wie kannst Du glauben, daß wir das vergessen hätten,« antwortete Madame Blanchard, »die traurige erste Zeit nach Vaters Tode, in der unser Freund dies Haus mit so viel Aufopferung, mit so vieler Freundschaft zu seinem Aufenthalte machte, steht mit innigstem Danke in meinem Herzen eingeschrieben, so daß ich niemals etwas vergessen könnte, was ihm Freude macht; wenn er uns nur öfters Gelegenheit gäbe, ihm durch die That zu zeigen, wie werth er uns ist.«

»Inez muß Ihnen einmal wieder Erdbeeren-Crême bereiten, es ist jetzt gerade die Zeit dazu,« sagte John zu Farnwald.

»Ich glaube er hat seiner Charity alle diese Sachen so gut zu machen gelehrt, daß er unserer dazu nicht mehr bedarf,« bemerkte Inez scherzend.

»Doch fehlen in meiner Einsiedelei die zarten Hände, um mir diese Leckerbissen zu reichen, Inez, und die

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schönen Augen, um deren Genuß zu würzen,« antwortete Farnwald in demselben Tone.

»Sie haben mir auch einen Ableger von der herrlichen gelben Rankenrose versprochen, die Sie aus Saamen gezogen haben, Sie müssen ihn mir bald bringen,« sagte Madame Blanchard.

»Und mir haben Sie schon so lange zu zeigen versprochen, auf welche Weise Sie das Hirschleder so schön und weich bereiten,« bemerkte George.

»Sie sehen, Sie müssen bald wieder zu uns kommen, Herr Farnwald, wenn Sie auch lieber zu Hause oder auf der Jagd sind,« fiel Inez ein und unter Scherzen und Ergüssen der freundschaftlichsten Gefühle wurde das Abendessen beendet.

»Kommen Sie, Herr Farnwald,« sagte Inez dann zu ihm, »ich will Ihren Lieblingswalzer spielen und Ihnen auch etwas singen, wenn Sie versprechen, uns nicht so bald wieder zu vergessen.« Sie ging darauf mit ihm über den Corridor in das Zimmer gegenüber zu dem Piano und spielte mit großer Fertigkeit und vielem Geschmack, während sich Madame Blanchard mit ihren Söhnen unter die Veranda, die jetzt von einer kleinen Ampel matt beleuchtet wurde, vor die offenen Fenster des Zimmers setzte, um von dort der Musik zuzuhören.

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Nur zu bald mußte Farnwald von diesen lieben Freunden Abschied nehmen, er bestieg sein Pferd und eilte auf dem wohlbekannten Pfade durch die Prairie seiner drei Meilen entfernten Niederlassung zu.

Vor deren Einzäunung, an die Thür gelehnt, stand Milly auf ihren Herrn wartend. Sie begrüßte ihn freudig, öffnete den Eingang, sprang, während Addisson ihm das Pferd abnahm, in das Haus und hatte schon Lichter angezündet, als Farnwald in das Zimmer trat.

Der Tisch, auf dem die Kerzen brannten, war nett und sauber für das Abendessen gedeckt, es prangten darauf in einer Vase die herrlichsten Blumen, in gleicher Weise war auch das Gesimse über dem Kamine geschmückt, das ganze Zimmer war aufgeräumt, Alles schien auf seinem richtigen Platze zu stehen und Farnwald blickte auf die hier herrschende Ordnung mit Verwunderung.

»Du hast ja aufgeräumt, Milly,« sagte er lächelnd zu der Quadrone, »es that auch sehr nöthig. Nur um Eins muß ich Dich bitten: rühre Nichts auf meinem Schreibtisch an, und wenn die Unordnung darauf auch noch so groß erscheint; es könnte dadurch leicht einmal ein Papier von Wichtigkeit verlegt werden. Im Uebrigen überlasse ich Alles Deiner Anordnung, bedenke aber stets, daß meine Gewehre sämmtlich geladen sind.«

»Wie Du befiehlst, Herr, so wird es geschehen; soll ich das Abendessen jetzt auftragen?« fragte das Mädchen.

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»Ich habe schon zu Nacht gespeist, Milly, Du kannst mir aber ein Glas Milch bringen,« antwortete Farnwald und rief der davoneilenden Sklavin noch nach »und bring das Abendbrod für Joe mit.«

Darauf ließ er sich bei dem Tische in dem Armstuhle nieder und blickte mit Wohlgefallen auf die Blumen, die vor ihm standen, so wie auf die über dem Kamine, zu denen er auch das mitgebrachte Bouquet gesellte.

Die Aufmerksamkeit des Mädchens that ihm wohl und der Geschmack, mit dem die Blumen gewählt und zusammengefügt waren, hob die Quadrone noch mehr in der guten Meinung, die er von ihr hatte. Mit kaum hörbarem leichtem Schritt kam sie bald zurück, hielt freundlich ihrem Herrn den Teller hin, auf welchem das Glas mit Milch stand, und sagte:

» Zuerst der Herr und dann der treue Diener,« wandte sich hiermit zu Joe, klopfte ihm auf den Kopf und glitt wieder aus dem Zimmer, um das Fleisch für den Hund zu holen.

»Hier Joe, das ist etwas Gutes,« sagte sie, in das Zimmer tretend, zu ihm, indem sie den großen Napf vor ihn an die Erde setzte, sich neben dem Thiere auf ein Knie niederließ und ihm den Rücken strich,

Farnwald blickte auf das schöne gemüthvolle Mädchen nieder, der Gedanke, daß ein, von der Natur an Geist und Körper vor tausend weißen Menschen so sehr bevorzugtes

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Wesen mit dem fluchvollen Brandmal der Sklaverei gestempelt sei, war seinem Gefühle widerstrebend, und daß er sich selbst ihren Käufer, ihren Eigenthümer nennen mußte, war ihm verhaßt, ja unerträglich. Das Wort drängte sich ihm gewaltsam nach den Lippen, um ihr zu sagen, daß sie frei sei, und daß er ihr den Freibrief für ihre Lebenszeit gerichtlich ausstellen wolle. Würde es aber eine Wohlthat für sie sein? dachte er dann, konnte sie die schöne golddurchschimmerte Haut weiß waschen, konnte sie ihre Abkunft von schwarzen Menschen verleugnen, und blieb sie nicht, frei oder Sklavin, immer doch gleich verachtet und erniedrigt vor den Menschen und vor den Gesetzen? vor deren herabwürdigenden Angriffen sie als seine Sklavin mehr geschützt war, als wenn sie, dem Zufalle überlassen, aus einer Hand in die andere wanderte.

Farnwald schwieg, aber war entschlossen, der Quadrone niemals fühlen zu lassen, daß sie sein Eigenthum sei, mit dem er schalten und walten könne wie er wolle; durch seine liebevolle Behandlung sollte sie ihre Abhängigkeit vergessen und zu der Ueberzeugung gelangen, daß er sie mit keiner andern Gewalt zu seiner Dienerin machen wolle, als derjenigen, die ihre Dankbarkeit gegen ihn über sie ausüben würde.

»Nicht wahr Joe, das hat Dir behagt?« sagte sie, die leere Schüssel aufnehmend, zu dem Hunde, der,

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seine langen Lefzen leckend und mit der Ruthe hin[-] und herschlagend, dankbar nach ihr aufblickte.

»Du mußt Dir Deine Kleider nun anfertigen, Milly,« sagte Farnwald zu ihr, »ich sehe Dich gern immer recht sauber und nett.«

»Sauber ist dies Kleid, Herr, doch es ist alt und abgetragen, ich habe es vor einem Jahre von Madame Morrier geschenkt bekommen, als sie es ablegte. Morgen Abend hoffe ich mit dem einen Kleide fertig zu sein; ich habe während des ganzen Tages unter dem Maulbeerbaume vor der Einzäunung recht fleißig daran genäht; von dort konnte ich sehen, ob Du kämest, Herr.«

Bei diesen Worten strich sie mit der zarten Hand über ihr glänzendes Haar, berührte ordnend mit ihren kleinen Fingern die weiße Rose und den silbernen Pfeil in demselben, deckte dann behend den Tisch ab und trug das Geschirr nach der Küche.

Farnwald folgte ihr an die Thür und rief ihr nach:

»Sage Addisson, er sollte die Jaguarhaut, so wie auch die nöthigen Stöcke, um sie auszuspannen, unter die Veranda bringen und komme dann selbst zurück, damit Du mir dabei behülflich sein kannst.«

Die schöne ungewöhnlich große Haut trug der Negerknabe herbei, Farnwald breitete sie auf dem Fußboden der Veranda aus, spannte sie mit gekreuzten Stöcken, deren gespitzte Enden er in den Rand derselben

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einstach, auseinander, und ließ sie dann durch Addisson unter den Bänmen neben dem Hause an einen hohen Ast zum Trocknen aufhängen.

Es war spät geworden, als Farnwald die Arbeit beendigt hatte und sich zur Ruhe begab.

Demungeachtet schritt er schon, als der Tag graute, hinaus unter die Bäume, um sich an der frischen Morgenluft zu laben und war in die Nähe der Ruhestätte seiner unvergeßlichen Owaja getreten, als er auf dem Hügel einen schön geflochtenen Blumenkranz bemerkte. Er hob ihn auf und betrachtete ihn genau, die Blumen waren frisch gepflückt, denn der Thau war von ihren Blättern gewichen; Niemand anders als Milly konnte denselben schon so früh gewunden und hierher getragen haben.

Es that seinem Herzen wohl, daß noch Jemand außer ihm die Verblichene betrauerte. Milly mußte durch den Gärtner oder durch die Neger von dem Schicksale der Indianerin, so wie von Farnwalds Gram unterrichtet worden sein, und hatte durch den Kranz ihr Mitgefühl aussprechen wollen.

Es war der Morgen ein Sonntag; Farnwald fühlte sich ungewöhnlich bewegt, er dachte an das Glockengeläute in seiner Vaterstadt, er dachte an seine Lieben, die er dort vor vielen Jahren zurückgelassen hatte und neigte in andächtigem Gebet seinen Kopf über seine

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gefalteten Hände. Da schallte die ernste Melodie einer Methodisten-Hymne, von den Sklaven gesungen, feierlich zu seinen Ohren, und wehmüthig lauschte er ihren trüben Klängen. Auch der alte Paulmann saß in Andacht versunken in der Thür seines Blockhauses mit einem alten deutschen Gebetbuche, dem letzten Ueberreste seiner, aus der Heimath mitgenommenen Habe in der Hand, und feierte den Sabbath.

Als der Mittwoch, der Geburtstag von Virginia Swarton, herangekommen war, ritt Farnwald schon ehe die Sonne aufging, von Joe gefolgt, auf dem Wege nach dem neuen Städtchen hin, da er eine Menge kleiner Geschäfte dort zu besorgen hatte, namentlich aber, weil er für Virginia ein kleines Geschenk auswählen wollte. Der Morgen war erfrischend, die Luft war stark bewegt und der schwere Thau auf Gras und Büschen hielt sie noch feucht und kühl. Der Hengst Farnwalds, als wüßte er, daß er seinen Lauf noch vor eintretender Hitze beenden könne, schüttelte den Hals, biß ungeduldig auf die Stange und versuchte durch Schlagen mit dem Kopfe seinem Herrn die Zügel durch die Hand zu ziehen, damit er freier davoneilen könne, doch dieser wollte weder ihn, noch Joe ermüden, nahm sich die Zeit und erreichte dennoch das Städtchen, ehe die Sonne lästig wurde.

Er ritt sogleich bei dem bedeutendsten Kaufmanne vor, befestigte sein Pferd an einem der Pfosten, auf

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welchem das Sonnendach vor dem Blockhause, in dem sich der Laden befand, ruhte, und ließ Joe sich dabei niederlegen.

»Willkommen, Herr Farnwald!« rief ihm der Kaufmann entgegen; »wie kommen Sie denn einmal wieder hierher, es ist ja eine ganze Ewigkeit, daß wir Sie nicht sahen.«

»Ich war verreist, Herr Harris, und komme, um mir verschiedene Bedürfnisse bei Ihnen zu kaufen.«

»Ist mir doppelt angenehm, doch Leute wie Sie sind mir jeder Zeit willkommen. Womit kann ich dienen?«

Farnwald ließ sich nun verschiedene Gegenstände, die sich zu Geschenken eigneten, vorlegen und wählte schönes Zeug zu einem Kleide für Virginia aus, welches der Kaufmann in Papier einschlug und zierlich zu einem Paquet formte. Dann kaufte er noch vielerlei Kleinigkeiten für Haushalt und Farm und fragte den Kaufmann, nachdem er ihn bezahlt hatte, ob der County clerk (Secretair des Districts) schon in seinem Geschäftslocale sei.

»Ich habe ihn schon vor einer halben Stunde in das Gerichtshaus gehen sehen. Sie werden ihn demnach jedenfalls dort in seiner Office treffen,« antwortete der Kaufmann. Farnwald nahm sein Pferd an den Zügel, schritt nach dem großen hölzernen Gebäude, befestigte

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den Hengst in dessen Nähe an einen Baum und eilte in dasselbe nach dem Local des Beamten.

»Guten Morgen Herr Barry«, sagte er zu dem Clerk,« ich komme, um Ihnen die Steuer für mein Land zu zahlen.«

»Sie sind immer sehr eilig damit, Herr Farnwald, bis jetzt haben sich nur noch Wenige dazu gemeldet. Die Leute können immer noch nicht vergessen, daß es hier aufgehört hat, Frontier zu sein.«

»Swarton hat doch stets seine Steuer bezahlt?«

»Bis auf den Tag pünktlich,« antwortete der Clerk.

Farnwald hatte bald sein Geld entrichtet, die Quittung dafür empfangen, wünschte dem Beamten einen vergnügten Tag und bestieg sein Pferd wieder, um sich zu seinen Freunden Swartons zu begeben.

Von den einzeln stehenden Häusern her riefen und winkten ihm beim Vorüberreiten die Leute freundliche Grüße zu; an der Post, die von einem Schneider gehalten wurde, fragte er nach Briefen und setzte dann seinen Hengst in einen raschen Paßgang, damit er möglichst schnell den schon drückend werdenden Sonnenstrahlen entgehe.

Es war gegen eilf Uhr, als er sich der Ansiedlung nahte, an deren Einzäunung ihn die ganze Familie Swarton, so wie auch sämmtliche Blanchards jubelnd begrüßten. Bill und Charles stritten sich darum, wer

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von ihnen den Hengst zum Stalle führen solle, Virginia und Inez kamen zu Farnwald gesprungen und schlangen ihre Arme in die seinigen, um ihn nach dem Hause zu führen. Madame Swarton, so wie Madame Blanchard waren erfreut, Recht gehabt zu haben, indem sie Beide fest an sein Kommen geglaubt hatten, während die Andern darüber im Zweifel gewesen waren.

Außer Blanchards hatten sich noch verschiedene andere Nachbarn eingefunden, unter ihnen auch ein Herr Jerson, der sich erst ganz kürzlich in der Nähe niedergelassen hatte. Er war in Georgien Juwelier und Uhrmacher gewesen, hatte sich bei seiner Hierherkunft an Herrn Swarton um Rath gewandt und war von diesem zu dem heutigen Feste eingeladen worden. Nach den ersten allgemeinen Begrüßungen sprach Farnwald seine besten Glückwünsche gegen Virginia aus und überreichte ihr das Geschenk, wodurch er sie in großes Erstaunen und Freude versetzte. Der Stoff wurde von den Damen betrachtet, wurde dem Mädchen über Brust und Schulter gelegt, um zu sehen, wie er sie kleide, und nachdem Alle darin übereinstimmten, daß er ganz wie für Virginia angefertigt sei, führte diese den Geber in das Zimmer, um ihm die übrigen Herrlichkeiten zu zeigen, womit man sie beschenkt hatte. Blanchards waren beim Spenden nicht zurückgeblieben. Inez hatte ihr feine gestickte Taschentücher, ihre Mutter

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ein schönes Halstuch, John einen goldenen Fingerhut gebracht, doch George war am freigebigsten gewesen, indem er ihr ein werthvolles goldenes Armband verehrt hatte. Auf der Mitte des Tisches prangte der große, herrlich gerathene Kuchen, das Geschenk der Madame Swarton. Virginia war überaus glücklich, denn sie war niemals vorher so reich beschenkt worden. Immer trat sie wieder zu dem Tische, auf dem die Gaben lagen und besah sie von Neuem, um dann dem betreffenden Spender abermals dafür zu danken.

»Wann denken Sie nach L*** zu reiten und in der Landoffice Ihr Land zu bezahlen?« fragte Farnwald den alten Swarton, mit dem er sich unter die Veranda gesetzt hatte.

»In wenigen Tagen; ich muß nur vorher noch Geld eincassiren, welches fällig ist,« antwortete der Farmer.

»Sie sollten lieber morgen, als übermorgen die Sache abmachen. Ein Tag kann Viel zu spät sein. Im Nothfalle will ich Ihnen für den fehlenden Betrag meine Note geben, die man in der Landoffice sicher als Zahlung annehmen wird.«

»Ich danke herzlich, lieber Herr Farnwald, ein Tag wird wohl keinen Unterschied machen.«

»Wie Sie wollen, doch ich würde es nicht länger aufschieben, es steht zu viel auf dem Spiele,« antwortete

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Farnwald und sagte dann auf das gegenüberliegende Feld zeigend:

»Ich sehe, Sie haben Feuer an die alten Baumstämme in dem Felde gelegt; es räumt sie allerdings schneller aus dem Wege, doch wird es für Sie ein tüchtiges Stück Arbeit geben, denn viele davon werden umfallen, worauf Sie dieselben in Stücke hauen, zusammenrollen und verbrennen müssen, ehe Sie an das Pflügen gehen können; es stehen gewaltige Stämme darunter.«

»Dennoch thue ich diese Arbeit lieber, als daß ich die Bäume während des Sommers in den gut gepflegten Mais fallen und mir einen großen Theil der Ernte zerstören lasse. Außerdem bleibt es immer ein höchst gefährliches Ding zwischen diesen alten Gerippen zu arbeiten, oder im Herbst das Vieh zwischen ihnen gehen zu lassen; wie oft sind schon Menschen und Thiere durch einen solchen Baum erschlagen worden? Es bleiben doch sicher noch über die Hälfte davon stehen, denn die starken Bäume wird man unter vier bis fünf Jahren, trotz wiederholten Anzündens, mit aller Mühe nicht los.«

Madame Swarton rief jetzt zur Mittagstafel. Farnwald reichte Inez die Hand, Georg führte Virginia und der alte Swarton geleitete Madame Blanchard zu dem Speisezimmer. Ein herrliches Essen erwartete hier

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die Gäste; Schildkrötensuppe, Hirschwildpret, wilder Truthahn, Fasanen, Forellen, Büffelfische, Bohnen, Erbsen, Salat mit Eiern, zum Dessert Erdbeertorten, Erdbeeren mit Rahm und vor Allem der vortreffliche Geburtstagskuchen, von Madame Swarton selbst gebacken. Wein war ein Artikel, der sich noch nicht in dieser einfachen ländlichen Niederlassung eingefunden hatte, doch war der Kaffee, den man beim Essen herumreichte, desto stärker und die Buttermilch und süße Milch, die zugleich gegeben wurde, konnte nicht übertroffen werden.

Eine überaus frohe Laune würzte das Mahl, die Gäste thaten der Hausfrau alle mögliche Ehre an und sammelten sich nach beendigter Tafel unter der Veranda, wo sie sich einer behaglichen Ruhe hingaben. Madame Blanchard und Madame Swarton hatten die beiden Schaukelstühle in Besitz genommen, einige der jungen Damen schwangen sich in den Hängematten, andere ruhten auf Steppdecken, die für sie auf dem Fußboden ausgebreitet waren und die Männer hatten sich mit ihren dampfenden kleinen Pfeifen auf Bären- und Büffelhäuten ausgestreckt.

In dieser Weise wurden die Stunden der großen Hitze verbracht, doch als die Sonne längere Schatten warf, kam wieder reges fröhliches Leben in die Gesellschaft, es wurden Spaziergänge gemacht, Blumen gesammelt, Sträuße gebunden, sich gegenseitig geneckt,

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gescherzt und gelacht, und nachdem die Lichter angezündet waren, rief man den alten Neger Jerry (Jeremias) mit seiner Violine herbei, damit er für die junge Gesellschaft einen Cotillon (Contretanz) aufspielen solle.

Farnwald führte Inez, Georg Virginia zum Tanze, Robert Swarton und sein Bruder Bill hatten hübsche Nachbarstöchter zu ihren Tänzerinnen erwählt, die Geige erklang lustig, die Tacte wurden immer schneller und jubelnd und freudig ausgelassen sprangen die Tanzenden zwischen einander hin, ohne sich darum zu kümmern, auf welche Weise sie ihre Füße setzten. Nach dem Tanze begaben sich die jungen Leute zurück zu der übrigen Gesellschaft unter die Veranda, wo in der kühl wehenden Nachtluft Rahmmilch, Erdbeerencrême und andere Erfrischungen herumgereicht wurden.

Der zunehmende Wind hatte in dem Felde gegenüber das Feuer an den vielen hundert Baumstämmen angefacht und die Flammen züngelten bis in die Spitzen der trocknen ungeheuren Aeste hinauf. Durch die Dunkelheit der Nacht wurde das Schauspiel noch verschönert; wie feurige Riesen standen die kolossalen Baumgerippe über das ganze Feld vertheilt und streckten ihre glühenden Arme nach einander hin. Der dumpfe donnerähnliche Krach eines stürzenden Stammes dröhnte von Zeit zu Zeit zu dem Hause herüber und Feuerregen

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und Funkensprühen leuchteten weithin durch die Finsterniß.

»Diese Illumination ist Ihnen zu Ehren veranstaltet, Fräulein Virginia,« sagte Farnwald, »und der Himmel scheint sie aus diesem Grunde noch verschönern zu wollen, denn der Wind wird immer stärker, sehen Sie nur, wie die Flammen flackern und die brennenden Aeste fliegen.«

»Ja, wenn das Feuer mir nur nicht zu groß wird und am Ende die alte trockne Einzäunung ergreift; das könnte mir ein theurer Spaß werden. Hätte ich es ahnen können, daß wir so heftigen Wind bekämen, so hätte ich wahrlich das Feuer aus dem Felde gelassen,« sagte der alte Swarton, besorgt nach dem zunehmenden Brande hinblickend.

»Es ist ja aber Virginias Geburtstag, darum muß man schon etwas wagen,« bemerkte Farnwald scherzend.

»Geburtstag oder nicht Geburtstag, so eine Fence (Einzäunung) kostet viel Arbeit,« antwortete Swarton.

»Die Fence brennt!« schrie mit einem Male Robert, die Männer stürzten von der Veranda dem Felde zu, die Neger folgten und mit verzweifelter Anstrengung suchten sie Meister des Feuers zu werden. Zu beiden Seiten des Platzes, wo die Einzäunung brannte, wurde diese umgeworfen und die einzelnen schweren Stücke Scheitholz, die im Zickzack aufeinandergelegt, dieselbe

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gebildet hatten, den Flammen aus dem Wege getragen. Das hohe trockne Gras und Unkraut, welches hier und dort in dem Felde stand, war in Brand gerathen und hatte die Einzäunung angesteckt, wodurch trotz aller Bemühung sie zu retten, über tausend Stücke Holz vom Feuer verzehrt wurden.

Von Asche, Rauch und Kohlenstaub geschwärzt, kehrten, nach einer Stunde harter Arbeit, die Männer zu den Damen zurück und da der Schaden nicht sehr beträchtlich war, so wurde darüber gescherzt und der Verlust als Ausgabe für Virginias Geburtstag belacht.

Mittlerweile war es aber spät geworden, und jetzt erst dachten die Gäste daran, daß ihnen in der großen Finsterniß eine sehr schwierige Heimreise bevorstand.

Doch geritten mußte werden, die Pferde wurden gesattelt und vorgeführt, die jungen Swartons waren mit Aexten zu dem Holzvorrath geeilt, um von dem fettesten Kienholz Späne für Fackeln zu hauen und kamen bald mit schweren Ladungen davon zu der Veranda zurück, wo die verschiedenen Parthien der Gäste sich in dieselben theilten.

Farnwald, George und John hatten sich reichlich damit versehen, ein Jeder von ihnen hatte einige lange Späne zusammen in die Hand genommen und diese angezündet, darauf bestiegen sie ihre Pferde und traten, nach einem herzlichen Abschiede von den Freunden, ihre Heimreise

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an. Farnwald ritt mit seiner Fackel voran, ihm folgte Inez, dann kam Georg, darauf dessen Mutter und John beschloß mit der dritten Fackel den Zug.

In der offenen Prairie verlor sich das Fackellicht im nahen Umkreise der Heimziehenden in der sie umgebenden Finsterniß, doch als sie den Urwald erreichten, schuf es um sie die reizendsten, glühendsten Bilder. Im röthlichen Licht stiegen aus der Dunkelheit die Riesenstämme zwischen dem verworrenen Rankengeflecht hervor, glänzend und saftig grün hingen die dichten Laubmassen um die Reiter, und in höchster Farbenpracht leuchteten die Blumen in luftiger Höhe in den Gewinden über ihnen, in den Büschen zu ihren Seiten und aus den üppigen Pflanzen am Wege. Wie sie dahinzogen, so entstanden die Bilder im raschen wunderbaren Wechsel, um im nächsten Augenblicke wieder in der Finsterniß zu verschwinden.

»O wie herrlich, wie wundervoll!« rief Inez oft in ihrem Entzücken aus, indem sie bald nach links bald nach rechts ihre kleine Hand ausstreckte.

Zu schnell für die Wanderer war der Weg bis zu Blanchards Behausung zurückgelegt, Farnwald nahm von den Freunden Abschied auf ein baldiges Wiedersehen, warf seine Fackel in das Gras und ritt in die dunkele Prairie hinaus mit den trauten, jetzt hell funkelden Sternenlichtern über sich, die ihm so manche

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Nacht freundlich geleuchtet hatten. Joe eilte, wie er es gewohnt war, seinem Herrn voran, dieser überließ es seinem zuverlässigen Pferde, ihn nach Hause zu tragen und ehe eine halbe Stunde verging, zeigte das laute Bellen der Hunde an, daß er in der Nähe seiner Wohnung angelangt war, Lichter wurden jetzt dort sichtbar, Milly kam, ihre kleine Hand schützend neben die Flamme haltend, an die Einzäunung, Addisson öffnete die Thür und der alte Paulmann vereinigte seinen Gruß mit dem der beiden Sklaven.

»Nichts vorgefallen, Paulmann?« fragte Farnwald den Gärtner.

»Nichts, Herr Farnwald, die gestreifte Rose ist aufgegangen und an der weißen Moosrose habe ich heute Knospen bemerkt,« antwortete der Alte.

Farnwald fand sein Wohnzimmer wieder mit frischen Blumen geschmückt und auf dem Tische stand ein Glas Milch.

»Die Milch ist frisch und kühl, ich habe sie so eben aus dem Milchhause geholt,« sagte die Quadrone zu ihrem Herrn, und fragte ihn dann, ob er sonst noch etwas wünsche.

»Nein, Milly, es ist spät geworden, lege Du Dich zur Ruhe,« antwortete dieser und bald darauf waren die Lichter in der Ansiedlung erloschen und Alles in Schlaf versunken.

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Capitel 6.

Das Geschenk. - Der Unbekannte. - Der Landkauf. - Entrüstung. - Schreckensnachricht. - Wuth. - Das Gesetz. - Theilnahme. - Die schwer Bedrängten. - Der Freund in der Noth. - Grausamkeit. - Hülfe.


Farnwald hatte sehr fest geschlafen, als er plötzlich durch das Bellen der Hunde außerhalb des Hauses und durch Joes wüthende Stimme in seinem Zimmer geweckt wurde. Er sprang rasch von seinem Lager auf, eilte an das Fenster und erkannte im ersten Schimmer des Tageslichts Kiwakia mit seiner jungen Frau zu Pferde vor der Einzäunung haltend. Der Indianer winkte ihm herauszukommen und Farnwald, neugierig, was Jener ihm so Wichtiges mitzutheilen habe, erfüllte sogleich dessen Wunsch.

Nach gewechseltem Händedruck zeigte Kiwakia seitwärts nach einigen alleinstehenden Bäumen, unter denen vier ungewöhnlich schöne Maulthiere von gleicher hellröthlicher Farbe mit schwarzen Füßen und schwarzem Streif über dem Rücken angebunden waren.

»Du bist Freund von schönen Maulthieren,« sagte

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der Indianer, »Kiwakia hat Dir die vier schönsten gebracht, die sich unter den Heerden der Comantschen befanden.«

Während er dieses sagte, lenkte er sein Pferd nach den Maulthieren hin, die, sobald sie Farnwald auf sich zukommen sahen, sich an den Lederstricken, die sie an den Stämmen festhielten, bäumten, gewaltig daran hin- und herrissen, um sich von ihnen zu befreien und hinten ausschlugen. Es waren vier ganz wilde Thiere, die niemals Zügel oder Geschirr auf sich gehabt hatten und denen man sich wirklich nur mit Lebensgefahr nahen konnte.

»Ich kann diese Maulthiere nicht annehmen, Kiwakia, so schön sie auch sind,« sagte Farnwald zu dem Indianer, »denn lasse ich sie mit meinen Pferden und Maulthieren auf die Weide gehen, so machen sie mir diese wild, und es würde mir unendlich viel Mühe und Zeit kosten, bis ich sie selbst zur Arbeit gebrauchen könnte. Ich danke Dir aber herzlich für Deinen guten Willen.«

Bei den Worten Farnwalds legte sich ein düsterer Ausdruck des Verdrusses auf die Züge des Wilden, er winkte seiner Frau, sagte ihr leise einige Worte, dieselbe sprang von ihrem Pferde, leitete es furchtlos zwischen die Maulthiere hinein und befreiete diese nun von ihren Stricken. Kaum fühlten sich die Thiere frei,

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als sie flüchtig davon jagten, doch die Indianerin hatte ihr Pferd rasch wieder bestiegen, sauste hinter den Flüchtigen her, bei ihnen vorüber, und kam dann, an deren Spitze jagend, in einem weiten Bogen, jetzt von ihnen gefolgt, bis auf einige Entfernung zu Kiwakia zurück, wo sie dann mit den Maulthieren hinter sich halten blieb.

Der Indianer hatte schweigend dem Verfahren seiner Frau zugesehen, und als sie still hielt, reichte er Farnwald die Hand und sagte:

»Comantsche gute Freunde.«

Darauf wandte er sein Pferd um, ritt zu seiner Frau zurück, und verschwand bald mit ihr und den Maulthieren vor Farnwalds Blicken.

An einem heitern Morgen war es in dem nahen Städtchen C*** ungewöhnlich lebhaft; zufällig hatten sich viele Leute aus der Umgegend dort eingefunden, theils, um Bedürfnisse einzukaufen, theils aber auch, um Producte abzusetzen. Außerdem war eine Zahl Fremder aus den östlichen Staaten dort eingetroffen, die sich das Land und die Verhältnisse ansehen wollten, um, wenn beides ihnen zusagte, später mit ihren Familien in diese Gegend zu ziehen. Das Gasthaus war ganz besetzt, so daß beim Frühstück der Wirth die Stühle an dem Tische gegen Gewohnheit nahe zusammenrücken mußte, um allen seinen Gästen einen Platz an demselben geben

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zu können. Die Meisten der Fremden waren schon seit einigen Tagen hier eingekehrt, und da sie natürlicher Weise von dem Wirthe die ersten Auskünfte zu erhalten suchten, so kannte er schon ihre Namen, ihre Heimath und auch wohl ihre Verhältnisse. Doch auch Diejenigen, welche erst am Abend vorher eingetroffen waren, hatten sich mehr oder weniger mit ihm unterhalten, so daß er sie, wenn auch nur flüchtig, kennen gelernt hatte.

Nur ein Fremder war am verflossenen Abende kurz vor dem Essen angekommen, von dem der Wirth noch keine Sylbe vernommen hatte, und den auch Niemand kannte. Es war ein großer, hagerer, finsterer Mann von einigen vierzig Jahren, mit dichtem schwarzem Haar, feiner Nase, kleinen blitzenden Augen, mit durchdringendem Blicke, sehr schönen weißen Zähnen und auffallend sonnverbrannter, trockener Gesichtsfarbe. Er trug einen schwarzen Frack und schwarze Beinkleider von dem feinsten Tuche, eine schwere, lange goldene kostbar gearbeitete Uhrkette über der Brust auf seinem feinen schneeweißen Batisthemde und hatte in seinem Aeußern etwas Elegantes, etwas Vornehmes, was man sonst an der Frontier zu sehen nicht gewohnt ist.

Die Frühstücksglocke war gezogen worden, die Fremden, so wie die Einwohner des Städtchens, welche ihren Tisch in dem Gasthause hatten, drängten sich nach dem

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Speisesaale und auch der, bis jetzt noch unbekannte Gast trat mit einem breitrandigen schwarzen Filz in der Hand und einer auffallend schönen gewirkten rothen wollenen Decke, von den Mexicanern Poncho genannt, auf dem Arme, in das Zimmer, legte beide Gegenstände auf die Fensterbank und nahm schweigend an dem Tische Platz. Die Unterhaltung während des Essens war sehr lebendig; die Fremden, welche hierherzuziehen beabsichtigten, fühlten so dringend das Bedürfniß, sich darüber auszusprechen und sich umzufragen, daß sie sich alle mit ihren Nachbarn, wer diese auch sein mochten, ins Gespräch einließen; die Einheimischen aber, die hier ihren Tisch hatten, wünschten zu sehr in ihrem eignen Interesse die Zunahme der Bevölkerung in der Umgegend, als daß sie eine Gelegenheit hatten vorübergehen lassen können, einem Fremden die großen Vorzüge dieses Landes anzupreisen und ausführlich klar auseinander zu setzen. Nur der Unbekannte saß schweigend da, wie ein Felsstück in einem rasch dahin eilenden Flusse, an dem sich die Strömung zu beiden Seiten bricht. Fast alle Gäste am Tische hatten ihn neugierig betrachtet, aber sie und selbst seine beiden Nachbarn wandten sich von ihm ab, weil er mit seinem Wesen nicht zu ihrer Stimmung paßte, ja sogar ein störender Gegenstand war.

Das Frühstück wurde sehr bald beendet, denn dem

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Amerikaner ist die Geschäftszeit kostbar, die Gäste erhoben sich, um ihren verschiedenen Berufen nachzugehen, und auch der Unbekannte stand auf, nahm seinen großen Hut und den Poncho und schritt aus dem Gasthause dem Platze zu, auf dem das Gerichtsgebäude stand. An dem Eingänge desselben begegnete ihm ein Mann, der im Herausgehen begriffen war.

»Wo ist das Geschäftslocal des County Clerk?« fragte er denselben.

»Eine Treppe hoch, links,« war die Antwort; der Unbekannte folgte der erhaltenen Weisung, und erreichte das Zimmer, in welchem Herr Barry seine Amtsgeschäfte besorgte.

»Ich wünsche den County Clerk zu sehen,« sagte er eintretend zu dem ihm zunächststehenden Manne, denn es war wohl ein Dutzend Leute im Zimmer, und dieser wies ihn an Herrn Barry, welcher im Augenblicke mit einem der Anwesenden im Gespräche begriffen war. Der Clerk aber hatte den Fremden bemerkt und auch gehört, daß er nach ihm gefragt hatte, brach das Gespräch ab und trat mit den Worten auf ihn zu: »Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Ich komme, um Taxen für Land zu zahlen,« antwortete dieser.

»Wollen Sie gefälligst hierher treten,« sagte der Clerk, sich nach seinem Schreibtische begebend, und fuhr dann,

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indem er sich in den Stuhl setzte, fort: »auf welcher Section liegt Ihr Land?«

»Es ist die Section zwei und dreißig,« antwortete der Fremde.

Als ob ein Blitzstrahl an ihm herabgefahren wäre, so sprang der Clerk aus dem Stuhle auf und blickte den finstern Mann an.

»Welche Nummer?« fragte er dann, als ob er hoffe, sich verhört zu haben.

»Nummer zwei und dreißig,« wiederholte Jener.

»Das muß wohl ein Irrthum sein, mein Herr, denn die Section zwei und dreißig gehört einem Herrn Swarton, einem der ältesten Ansiedler in diesem Lande und einem unserer besten und geehrtesten Staatsbürger; er wohnt auf dieser Section, besitzt dort eine Musterfarm und hat seine Taxen bis auf den Tag bezahlt,«

»Ich habe gehört, daß Jemand auf diesem meinem Lande wohne, was mir unangenehm ist, da er mir vielen Schaden an dem Holze thun kann, ich werde ihm auch sagen lassen, daß er es so bald als möglich räume. Hier ist die Quittung von der Landoffice über die durch mich bezahlte Summe für Section zwei und dreißig, welche bis zu dieser Zeit noch freies Gouvernementsland war. Tragen Sie gefälligst meinen Namen in Ihre Bücher ein und sagen Sie mir, wie

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viel die Taxe dieses Landes beträgt? Ich heiße John Dorst.«

»Herr Dorst, ich kann unmöglich glauben, daß es Ihr Wille sei, den rechtmäßigen Besitzer dieses Landes von Haus und Hof zu verjagen. Sie haben sicher die Verhältnisse nicht gekannt, als Sie das Geld für die Section bezahlten. Herr Swarton nahm Besitz von dem Lande, während es noch von Indianern bewohnt war und hat es mit Gefahr seines eignen Lebens und das[dem] der Seinigen erlangt. Er hat jedenfalls das Vorzugsrecht darauf.«

»Nur während der drei ersten Jahre kommt ihm dieses Recht zu Gute, diese sind aber lange verstrichen, ohne daß er das Land bezahlt hätte. Wie viel macht die Taxe?«

»Es ist ein gefährliches Unternehmen, Herr Dorst, eine rechtliche Familie in dieser Weise zu bedrohen, Sie wissen wohl, daß man hier an der Frontier lebt.«

»Dann wären Sie nicht County Clerk, mein Herr, und es ziemt Ihnen als Beamter am wenigsten, gesetzlosen Zuständen das Wort zu reden, wenn solche wirklich noch vorhanden sind. Ich habe keine Zeit zu verlieren; wieviel beträgt die Taxe?«

Die im Zimmer anwesenden Männer hatten die Unterhaltung mit angehört, waren näher zu dem Fremden herangetreten und sahen ihn an, als könnten sie

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sich von ihrem Erstaunen nicht erholen, als hätten sie Etwas gehört, was auszusprechen ihnen unmöglich schien. Doch Dorst nahm keine Notiz von ihnen, hatte seine Brieftasche hervorgezogen und legte die ihm von dem Clerk abgeforderte Summe in Banknoten auf den Tisch.

»Guter Freund,« sagte einer der Anwesenden, ein Pflanzer und Nachbar Swartons, zu Dorst: »Sie kennen wahrscheinlich die Swartons nicht, ich möchte Ihnen aber wohl den Rath geben, Ihre Hände davon zu lassen, Sie könnten sich leicht verbrennen.«

Dorst warf dem Sprecher einen finstern Seitenblick zu, gab ihm keine Antwort, nahm die Quittung über die bezahlte Taxe zu sich und schritt schweigend aus dem Zimmer.

»Der Schurke dreht sich den Strick für seinen eignen Hals,« rief ihm einer der Männer im Zimmer nach, »die Söhne Swartons werden ihn jagen, wie einen angehetzten Jaguar und seine Fährte halten, so lange er noch die Füße aus diesem Welttheile hat. Verdammt, ich möchte meine Hände nicht in ein solches Bienennest stecken!«

»Wer von den Herren will zu Swarton reiten und ihn von diesem Schurkenstreiche benachrichtigen? Es darf keine Zeit verloren werden. Wir sind es dem biedern Manne schuldig,« sagte der Clerk.

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»Ich will es thun, mein Gaul steht vor der Thür,« antwortete ein frischer Bursche Namens Warrik. »Verdammt, ich bringe die Jungen gleich mit, dann können sie den Kerl im Lager abfangen.«

Mit wenigen Sprüngen war er vor dem Hause, bestieg sein Pferd und sprengte zur Stadt hinaus,

John Dorst war über den Platz nach dem Laden des Kaufmanns Harris geschritten, hatte sich dort einige Cigarren gekauft und fragte ihn beim Weggehen:

»Wo treffe ich wohl den Scheriff?«

»Er ist so eben dort unten in das Trinkhaus gegangen, sein Name ist Copton,« antwortete Harris, worauf Dorst sich gegen ihn verneigte und in der Straße hinunter dem genannten Hause zuschritt.

Vor dem Schenktische in demselben standen, als Dorst hereintrat, ein halbes Dutzend Männer, ihren Morgentrunk einnehmend.

» Well Copton, your good health,« sagte Einer derselben zu dem Scheriff, indem er sich gegen ihn verbeugte und ein Bierglas voll, halb Cognac halb Wasser austrank.

Dorst war hinter den Scheriff getreten, klopfte ihm leise auf die Schulter und sagte:

»Ich möchte Sie einen Augenblick sprechen,« worauf dieser ihm in die Straße folgte.

»Dorst hatte während dieser Zeit ein Papier aus

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der Tasche gezogen, öffnete dasselbe und reichte es dem Scheriff mit den Worten hin:

»Ich wünsche, daß Sie baldmöglichst den Inhalt dieses Schreibens dem Herrn Swarton in meinem Namen mittheilen.«

Erstaunen und Entsetzen malten sich beim Lesen der Schrift auf den Zügen des Scheriffs, er sah Dorst mit ungläubigem Blicke an, als wolle er sagen, daß der Inhalt wohl nur ein Scherz von ihm sei, doch dieser fuhr fort:

»Wenn Sie können, so besorgen Sie dies Geschäft noch heute, Herr Scheriff.«

»Bestehen Sie wirklich darauf, so muß ich es schon thun, aber ich muß Ihnen gestehen, einer achtbaren Familie, wie die Swartons sind, zu sagen, daß sie Haus und Hof verlassen und ihr sauer erworbenes Eigenthum an einen Fremden umsonst abgeben sollen, ist ein Dienst, den ich lieber einem Andern überließe. Sie spielen ein gefährliches Spiel, Herr Dorst.«

»Thun Sie Ihre Schuldigkeit und sagen Sie dem Herrn Swarton, wie es hier geschrieben steht, daß ich ihn durch das Gesetz ersuchen lasse, baldigst mein Land zu räumen und Alles, was darauf fest ist, von diesem Augenblicke an unverändert und unbeschädigt zu lassen. Wie viel betragen Ihre Gebühren?«

»Für diesen Dienst lasse ich mich nicht bezahlen,

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Herr, ich werde meine Schuldigkeit thun. Es gehe Ihnen gut,« antwortete der Scheriff, mit dem Papiere in das Trinkhaus zurückschreitend, und fügte noch halb laut hinzu: »so gut, wie Du Schurke es verdienst.«

Dorst, der diesen Zusatz wohl gehört hatte, wandte sich nach dem Gasthause, bezahlte seine Rechnung, bestieg sein Pferd und hatte wenige Minuten darauf das Städtchen verlassen.

Um diese Zeit war es, daß der alte Herr Swarton vor seinem Hause vom Pferde stieg, die Satteltasche über den Arm hing und zu seiner Frau und Tochter unter die Veranda trat, wo dieselben, beide mit Näharbeiten beschäftigt, saßen,

»Ich habe Gottlob endlich das ausstehende Geld bekommen, Mary,« sagte er zu seiner Frau, »nun will ich auch Morgen hinunter nach der Landoffice reiten und mein Land bezahlen, damit wir die Sorgen los werden. Ich habe mir in der letzten Zeit viel Vorwürfe darüber gemacht es nicht schon länger gethan zu haben, denn, wie leicht hätte ein schlechter Mensch die Gelegenheit benutzen und unsere jetzt so werthvolle Besitzung zum Preis von Gonvernementsland an sich reißen können. Ich habe mehr Geld, als ich dazu gebrauche; schreibe mir doch auf, was Du für Dich oder Virginia vielleicht nöthig hast, oder sage mir, womit ich Euch eine Freude machen kann, in der

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Stadt dort unten ist doch schon Alles besser und billiger zu bekommen, als hier, wohin man nichts als alte verlegene Waare bringt, die doppelt und dreifach bezahlt werden muß.«

»O, Papa, das Kleid, welches mir Herr Farnwald geschenkt hat, ist keine verlegene Waare,« sagte Virginia.

»Wenn auch, so bin ich doch überzeugt, man hätte es da unten für den halben Preis bekommen. Wo sind denn die Jungen? Mein Pferd muß in die Einzäunung gebracht und gefüttert werden.«

»Sie sind drüben im Felde. Robert sagte, er wollte in dem Holze daneben Bäume schlagen und spalten, um die verbrannte Einzäunung zu ersetzen. Ich habe sie alle drei mit den Aexten weggehen sehen,« antwortete Madame Swarton.

»Nun, das ist gut, sie muß ja doch wieder gemacht werden. Wer kommt denn aber dort in solcher Eile? Der jagt ja, als ob er für einen Sterbenden einen Arzt holen wollte. Sieh, er kommt von der Straße hierher, was mag der wollen?« sagte der Alte, nach einem herausprengenden Reiter hinsehend.

»Wenn ich nicht irre, so ist es der junge Warrik von Clear creek,« bemerkte Madame Swarton.

»Ganz recht, er ist es; nun da bin ich doch neugierig.«

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Der Reiter hatte gleich darauf die Einzäunung erreicht, warf den Zügel seines Pferdes über den Thürpfosten und sprang, ohne guten Morgen zu bieten, unter die Veranda.

»Herr Swarton,« sagte er in höchster Aufregung, »ein Schurke hat Ihr Land auf seinen Namen eintragen lassen und das Geld dafür bezahlt. Er heißt Dorst.«

»Gerechter Gott!« riefen fast einstiminig Vater, Mutter und Tochter, jeder Blutstropfen war unter der Haut ihrer Gesichter verschwunden, ihre Kinnladen zitterten und ohne weiter ein Wort hervorbringen zu können, sahen sie sich mit gläsernen, leblosen Blicken an. Ein Blitz hätte ihnen nicht schneller alle Macht, alle Bewegung, alle Gedanken rauben können und es vergingen Minuten, ehe die geistige und körperliche Lähmung sie zu verlassen begann.

»Großer Gott, ist es möglich?« stammelte der alte Swarton, jetzt zu Warrik gewendet, während seine Frau und Tochter in lautes Weinen ausbrachen und ihr Gesicht in ihren Tüchern verbargen.

»Es ist kein Zweifel darüber, denn ich selbst war in der Clerk-Office, als der Schurke die Taxe für das Land bezahlte,« antwortete Warrik.

»So will ich gleich nach der Stadt reiten, der

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Mann weiß vielleicht gar nicht, daß das Land mein Eigenthum ist.«

»Nur zu gut weiß er es, denn als Herr Barry ihn darauf aufmerksam machte und ihm rieth, davon abzustehen, sagte er, daß Sie, sobald als möglich, von dem Lande wegziehen müßten.«

»Was soll ich thun? Was soll aus meiner Familie werden!« rief Swarton.

»Wo ist Robert?« fragte Warrik heftig.

»Im Felde, da drüben,« antwortete der Alte mit festerer Stimme.

»Nein, Robert darf nicht zu dem Menschen gehen,« sagte jetzt Madame Swarton erschrocken, »reite Du selbst, Mann, Du kennst Robert!«

Doch Warrik hatte während dem das große Ochsenhorn, dessen Ton schnelle Rückkehr zu dem Wohngebäude aussprach, von der Wand genommen und stieß gewaltig und wiederholt hinein, daß es ängstlich und dringend nach dem Holze hinüberschallte.

»O Gott, wenn es Robert erfährt, so kommt nichts Gutes darnach,« jammerte Madame Swarton.

»Erfahren muß er es ja doch,« antwortete ihr Mann nach dem Walde blickend, von wo jetzt die drei kräftigen Burschen, mit den Aexten auf den Schultern, im eiligen Laufe herangesprungen kamen.

Bebend und in banger Erwartung sahen Mutter

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und Schwester sie näher kommen und hatten, als die Brüder verwundert unter die Veranda traten, statt der Worte, nur ängstliche, verstörte Blicke für sie.

»Um Gottes Willen, was ist vorgefallen?« rief Robert, erschrocken über die Verwirrung, die er gewahrte.

»Ein Herr Dorst hat Ihr Land auf seinen Namen schreiben lassen und auch schon dafür bezahlt,« brach Warrik entrüstet das Schweigen.

»Unser Land?« schrie Robert, einen flammenden Blick auf Warrik werfend, und trat entsetzt einen Schritt zurück; einen Augenblick nachher aber, als werfe er sich seine unnöthige Besorgniß vor, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln. »O Narrheit, so lebenssatt giebt es keinen Menschen!«

»Es ist aber voller Ernst, Robert, ich habe vor einer Stunde dabei gestanden, als der Kerl die Taxen für Section Nummer zwei und dreißig bezahlte und von dem Clerk die Quittung darüber erhielt,« erwiederte Warrik.

»Tod und Teufel!« rief Robert, schleuderte die schwere Axt von sich, daß sie schwirrend weit über die Einzäunung flog, erfaßte seine Büchse nebst Kugeltasche und rannte in fliegender Eile nach der Einzäunung, in der die Pferde gingen.

»Robert, o Gott, Robert!« riefen Mutter und

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Schwester ihm nach, doch in wenig Minuten hatte er schon sein Pferd gesattelt, sich hinaufgeschwungen und sprengte in Hemdärmeln, wie er aus dem Walde gekommen war, der Stadt zu.

Jetzt kamen auch Bill und Charles mit ihren Büchsen aus dem Hause gerannt, stürmten, trotz Rufens und Schreiens der Eltern und der Schwester, nach der Einzäunung und jagten bald auf ihren Pferden in rasender Carriere ihrem Bruder nach.

»Folge ihnen, Swarton,« flehte dessen Frau, »die Jungen fangen ein Unglück an, folge ihnen, um des Himmels Willen!«

Auch der alte Mann ergriff seine Doppelflinte, rannte nach seinem Pferde, Warrik bestieg das seinige und Beide galoppirten davon nach dem Städtchen hin.

Dort war Alles in großer Aufregung über die durch den Scheriff und die Augenzeugen in der Clerk-Office schnell bekannt gewordene Schandthat Dorsts, die Leute standen, die Angelegenheit verhandelnd, zusammen vor dem Gerichtshause, vor den Kaufmannsläden und vor den Trinkhäusern und es herrschte unter ihnen nur eine Stimme: die der Entrüstung. Plötzlich rief es von allen Seiten her:

»Robert Swarton kommt,« denn dieser wurde jetzt in der Staubwolke sichtbar, die auf dem Wege dem Städtchen zuwirbelte, und Alles rannte ihm entgegen.

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In wenigen Minuten war er von einem Haufen Menschen umringt.

»Wo ist der Landdieb, der Friedensstörer?« rief er in höchster Wuth, und man sagte ihm, daß Dorst schon lange den Ort verlassen habe. Gut war dies für den Mann, denn wäre er in diesem Augenblicke noch zu erreichen gewesen, so würde es ihm, bei der sehr gereizten Stimmung, die hier augenblicklich gegen ihn herrschte, bös ergangen sein.

Bald kamen auch Bill und Charles angesaust und nicht lange nachher der alte Swarton mit Warrik.

Alles drängte sich um die von so schwerem Unglück bedrohte Familie, Jedermann gab seine Theilnahme zu erkennen, es wurde auf Mittel gesonnen, um den Schlag von den Bedrängten abzuwenden, es wurde Güte, Vermittelung, Gewalt angerathen, doch mit allem Sinnen und Ueberlegen konnte man sich nicht absprechen, daß Dorst, wenn auch nicht die Rechtlichkeit für sich, doch das Gesetz auf seiner Seite habe.

Der Scheriff that seine Schuldigkeit und theilte als Beamter dem Herrn Swarton den Inhalt des ihm von Dorst übergebenen Schreibens mit, wobei der alte Mann finster und ohne zu antworten vor sich niedersah, doch Roberts Augen schossen Flammen und, wild auflachend, sagte er:

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»So mag er kommen und uns von unserm Eigenthum forttreiben, wenn ihm seine Haut nicht lieber ist.«

»Er würde schwerlich ohne mich kommen, Robert, und ich glaube es nicht von Ihnen, daß Sie dem Gesetze Gewalt anthun würden,« antwortete der Scheriff freundlich. »Man muß mit dem Manne reden und die Sache auf dem Wege des Vergleichs abmachen; er ist nun einmal im Recht und, wer es auch sei, muß darin vom Gesetze beschützt werden.«

»Wenn das Gesetz eine solche Gräuelthat beschützen kann, so hört es auf Recht zu sein,« erwiederte der gereizte junge Mann.

»Das Gesetz hatte Ihnen drei Jahre lang Zeit gegeben die Zahlung zu leisten, und seit Ablauf dieser Frist haben Sie noch viele andere verstreichen lassen, ohne Ihrer Verpflichtung nachzukommen. Es ist Ihre eigene Schuld, die das Unglück herbeigeführt hat, lieber Robert, das Land ist Ihre Besitzung, doch noch nicht Ihr Eigenthum,« sagte Herr Barry, dessen Hand nehmend, »man muß versuchen, ob man die Angelegenheit zu Ihrem Vortheile in Güte abmachen kann; jeder Gesetzlosigkeit aber werde ich mich mit aller mir zu Gebote stehenden Macht entgegenstellen.«

Die Entrüstung wurde durch die lebhaften lauten Verhandlungen immer mehr gesteigert, man fing an zu drohen, zu schwören, zu fluchen und bald hatte das

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Städtchen ganz das ruhige solide Ansehen verloren, das gewöhnlich auf ihm ruhte. Bei den Worten blieb es jedoch, da der Anlaß zu dem Aerger verschwunden war, und als der Abend herankam, zogen die Bewohner der Umgegend ihrer Heimath zu, die der Stadt zerstreuten sich und nur erst spät Abends sah man wieder eine Versammlung sich vor dem Laden des Kaufmanns Harris bilden. Diese bestand aus den ruhigeren vernünftigeren Bürgern der Stadt, worunter sich auch der Secretair Barry und der Scheriff befanden, welche zusammenkamen, um den Vorfall von heute noch einmal zu besprechen. Ihre Entrüstung gegen Dorst war immer noch dieselbe, doch eben so sehr waren sie sämmtlich gegen die beabsichtigte Selbsthülfe der jungen Swartons gestimmt, sie sprachen sich ernstlich dagegen aus und kamen überein, so sehr befreundet ihnen die Familie auch war, das Gesetz zu schützen und Alles aufzubieten, damit nur auf gesetzlichem Wege in der Sache etwas gethan werden solle.

Die Kunde von dem Schicksale, welches Swartons bedrohte, verbreitete sich durch die heimkehrenden Landleute in der Umgegend und so hatten auch Blanchards dieselbe durch einen vorüberreitenden Nachbar erhalten.

Diese Familie hatte sich eines Morgens eben an dem Frühstückstische niedergesetzt, als Farnwald an der Einzäunung vom Pferde stieg, dasselbe in den Garten

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zu dem Hause führte, dort an einen Baum befestigte und mit Joe in das Zimmer trat.

»Willkommen, willkommen!« rief ihm Madame Blanchard aufspringend entgegen, »so sind Sie wieder der Frühere, nun nehmen Sie auch gleich Ihren alten Platz ein, oder wollen Sie sich neben Inez setzen?«

John hatte einen Stuhl für ihn neben seine Schwester gestellt, Farnwald hatte sich niedergelassen und der Negerin den ihm dargereichten Kaffee abgenommen, als Madame Blanchard zu ihm sagte:

»Haben Sie denn aber schon die schreckliche Geschichte Swartons gehört?«

»Nein, kein Wort, was giebt es?« fragte er erschrocken.

»Ein Herr Dorst hat den Leuten ihr ganzes Land genommen und sie durch den Scheriff auffordern lassen, dasselbe sofort zu räumen.«

»Unerhört, schrecklich!« sagte Farnwald, [»]so war doch meine Furcht nicht ohne Grund, denn noch vor Kurzem machte ich den alten Swarton darauf aufmerksam, daß er in der allergrößten Gefahr schwebe und rieth ihm dringend, mit der Zahlung für sein Land keine Stunde zu verlieren. Die Leute müssen in einer schrecklichen Lage sein; ich will doch gleich hinüberreiten und hören, wie die Sachen stehen? Zu mir hinaus kommen solche Sachen immer zuletzt.«

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»Georg sollte auch sehen, wie es ihnen geht. Sie können also zusammenreiten; die guten Menschen thun mir sehr leid,« sagte Madame Blanchard, und als das Frühstück beendet war, ging Georg sein Pferd zu holen. Die Damen begleiteten Farnwald bis vor das Haus, er gab ihnen dort den versprochenen Ableger von der gelben Rose, den er im Pistolenholfter mitgebracht hatte, bestieg dann sein Pferd und eilte mit Georg, der mittlerweile herangekommen war, durch den Wald, um baldmöglichst die Niederlassung Swartons zu erreichen.

»Sind Sie schon einmal bei dem Herrn Jerson gewesen, den wir an Virginias Geburtstage bei Swartons trafen?« fragte Georg seinen Gefährten.

»Nein, ich habe ihn dort zum ersten Male gesehen und weiß gar nicht, wo er wohnt,« antwortete dieser. »Er hat sich nicht weit von dem Wege, der von Swartons zu Ihnen führt, an der Prairie angebaut, nur wenig rechts, wo die Straße den Wald verläßt.«

»Ach, nun erinnere ich mich vor einiger Zeit auf der Jagd dort aus der Ferne ein Blockhaus bemerkt zu haben, es steht vor dem Walde unter zwei himmelhohen Eichen.«

»Meine Mutter hat Rosa, das hübsche Negermädchen, welches uns bei Tische aufzuwarten pflegte, an ihn vermiethet. Sie müssen sich ihrer erinnern, sie hat so brennend rothe Lippen und auffallend schöne

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weiße Zähne. Aufrichtig gesagt, war ich dagegen, weil mir der Mann gar nicht gefiel. Mutter wollte ihm die Gefälligkeit aber nicht abschlagen.«

»Ich kenne ihn persönlich nicht näher,« antwortete Farnwald, »er schien mir aber ein stiller, braver Mann zu sein!«

»Wie ganz anders sieht der Wald doch bei Tage aus, als bei Fackellicht,« bemerkte Georg, »es war ein reizend schöner Ritt an jenem Abende, als wir zusammen von Swartons kamen, wenn er nur noch viel länger gedauert hätte.«

Die Reiter hatten den Wald verlassen, ließen ihre Pferde tüchtig ausgreifen und gelangten in kurzer Zeit zu Swartons Niederlassung.

Heute kamen ihnen aber nicht, wie sie es gewohnt waren, die Bewohner mit heiteren freundlichen Grüßen entgegen, sie blieben unter der Veranda stumm und ernst zusammen sitzen, und als Farnwald und Georg auf Herrn Swarton, der zwischen seiner Frau und Tochter auf der Bank saß, zuging, hielt ihm derselbe kopfschüttelnd die Hand entgegen, war aber nicht im Stande seinem Unglück Worte zu geben. Madame Swarton blickte weinend zu Farnwald auf, schlug die Hände zusammen und verbarg dann ihre verweinten Augen in denselben, während Virginia aufgestanden war, schluchzend ihren Kopf senkte und ihre Thränen

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auf die gefalteten und herabhängenden Hände fallen ließ.

Auch Farnwald und Georg wurde es schwer, Worte zu finden, um ihre Theilnahme auszusprechen, sie drückten den Bekümmerten die Hände, und schweigend standen sie noch zusammen, als Robert aus dem Hause unter die Veranda trat.

Sein Blick war finster und entschlossen, wie der eines Menschen, welcher eine große Gefahr herannahen sieht und mit sich einig geworden ist, ihr nicht aus dem Wege zu gehen.

»Guten Morgen Farnwald, guten Morgen George,« sagte er zu den Beiden, ihnen seine rauhen Hände hinreichend. »Ihr trefft uns in einer andern Laune, als am Geburtstage meiner Schwester, es wird auch bald andere Musik geben!«

»Robert, Robert, mache mir das Herz nicht noch schwerer,« sagte seine Mutter, weinend nach ihm aufblickend, als dieser auf sie zutrat, seinen muskulösen Arm um ihre Schultern schlang und seine Lippen zärtlich auf ihre Stirn preßte. Auch ihm waren jetzt die Augen feucht geworden und, als werfe er sich diese Schwachheit vor, trat er einen Schritt zurück und sagte:

»Du weißt es ja, Mutter, daß nur Euer Wohl mir am Herzen liegt, mir selbst ist die Büchse und

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mein Pferd genug; wer aber die Hand nach Euch ausstreckt, der greift mir in die Seele. Sei ruhig Mutter, es wird sich noch Alles gut gestalten.«

Die traurige Begebenheit wurde nun hin und her besprochen, es wurde in jeder möglichen Richtung nach Hülfe gesucht und zuletzt beschränkte sich alle Hoffnung darauf, daß möglicher Weise, wenn auch durch Opfer, ein Vergleich mit Dorst zu Stande gebracht werden könnte. Robert nahm keinen Theil an dieser Unterhaltung, er saß stumm und nickte nur vor sich hin, wenn er das Wort Vergleich aussprechen hörte.

»Sind Sie denn schon zu einem Entschluß gekommen, ob und auf welche Weise Sie Dorst eine Ausgleichung anbieten lassen wollen, lieber Herr Swarton?« fragte Farnwald.

»Großer Gott, nein, wir haben noch an gar Nichts gedacht, der Schlag kam zu unerwartet,« antwortete dieser.

»Wenn ich nun zu dem Manne hinritte und versuchte, ob ich etwas zu Ihren Gunsten bei ihm ausrichten könnte,« fragte Farnwald.

»Ach, wenn Sie das thun wollten, Herr Farnwald, dann würde ich mich beruhigen, nur Sie können die Sache in Ordnung bringen, der Mann kennt sicher den großen Einfluß, welchen Sie unter den Bewohnern dieser Gegend haben. Nehmen Sie sich unserer an. Sie

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haben ja, als wir hierher zogen, unser Glück gegründet, das dieser schlechte Mensch jetzt stören will,« sagte Madame Swarton.

»Herr Farnwald, wir haben Ihnen so Vieles zu danken,« nahm ihr Mann das Wort, »wenn Sie uns jetzt nochmals Ihre hülfreiche Hand leihen wollten, so würden Sie meine Familie vor sehr vielem, sehr großem Unglück bewahren.«

Der alte Mann warf, während er dieses sagte, bedeutungsvolle Blicke seitwärts auf Robert, der immer noch in Gedanken versunken da saß, und keinen Antheil an der Unterhaltung nahm.

»Ich thue es gern und mit Freuden, lieber Herr Swarton,« erwiederte Farnwald, »wenn der Himmel nur geben will, daß ich die Sache zu Ihrem Besten ausführen kann. Wo wohnt denn dieser Herr Dorst?«

»Er wohnt auf seiner Besitzung unterhalb L*** am Flusse, es werden wohl nicht viel weniger als fünfzig Meilen von hier sein,« antwortete der Alte.

»Einerlei, und sollte es auch noch weiter sein. Uebermorgen will ich hinreiten und sehen, was ich für Sie thun kann. Wenn der Mensch überhaupt ein Herz in der Brust trägt, so werde ich es ihm weich machen und ist das nicht der Fall, so soll er wenigstens wissen, daß mein Einfluß ihm hier viel Haß entgegenstellen kann.«

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Farnwald, so wie Georg, blieben zum Mittagsessen. Diesmal war es ein trauriges, stilles Mahl, besonders war der alte Swarton sehr schweigsam. Statt in rascher jugendlicher Beweglichkeit saß er wie versteinert da, an die Stelle seiner schnellen, heiteren Bemerkungen war ein finsterer Ernst getreten und mitunter, wenn seine Blicke auf die Seinigen fielen, hob sich seine Brust mit einem schweren Athemzuge.

So weit die Zusage von Hülfe und Beistand, wenn sie nöthig werden sollten, den Bedrängten Trost spenden konnte, wurde dieser ihnen von Farnwald, so wie auch von Georg gegeben. Ersterer versprach Alles aufzubieten, um Dorst zu einem möglichst günstigen Vergleich zu stimmen und dann Swartons sofort nach seiner Rückkehr von dem Erfolge seiner Bemühungen zu benachrichtigen. Darauf sagte er ihnen Lebewohl und trat seinen Heimweg an, während Georg unter den Versicherungen innigster Theilnahme von den Bekümmerten schied.

Die Sonne stand schon niedrig, als Farnwald sein Pferd durch den düster werdenden Urwald auf der rohen Straße beeilend hin- und herlenkte, um wo möglich noch vor einbrechender Nacht das Ende zu erreichen, von wo aus dann durch die offene Grasflur bis zu seiner Wohnung keine Hindernisse mehr den Weg in der Dunkelheit unsicher machten, wie sie der Wald in

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kolossalen Weinranken, umgestürzten Bäumen und mitunter tiefem Morast bot.

Schon blickte der geröthete westliche Himmel durch die riesenhaften Cypressen und die Straße theilte sich in zahlreichen Geleisen der offenen Grasfläche zu, als plötzlich von der rechten Seite des Waldes her ein lautes Schreien zu Farnwalds Ohren drang. Er wandte sein Pferd rasch nach dieser Richtung hin, in welcher, wie er sich erinnerte, die Niederlassung Jersons an dem Saume des Waldes liegen mußte.

Das Schreien schallte jetzt mit solcher Heftigkeit und solcher Noth von dem Hause her, daß Farnwald seinem Hengste die Sporen gab und bald die rohe Einzäunung erreicht hatte, die das Blockhaus umgab.

Mit Schaudern sah er, wie dort Jerson und dessen sechszehnjähriger Sohn Jef in größter Wuth mit dicken Stöcken auf ein vollkommen entkleidetes Negermädchen losschlugen, das mit an ihre Hände gebundenen Stricken so hoch an einem Baumaste in die Höhe gezogen war, daß es kaum mit seinen Fußspitzen die Erde berührte. Entweder sahen die beiden Wütheriche in ihrem Zorne den herzugeeilten Farnwald nicht, oder sie wollten ihn nicht bemerken, denn ununterbrochen hieben sie auf den nackten Körper der Negerin, daß die Stöcke sich mit ihrem Blute rötheten und die Splitter davon flogen.

»Herr Jerson, um des Himmels Willen, was thun

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Sie da? Sie schlagen ja das Mädchen todt!« rief Farnwald, als er zu jenem hingesprungen war und seinen Arm gewaltsam zurückhielt.

»Das sind meine Sachen, kümmern Sie sich um Ihre eignen Angelegenheiten!« schrie der Wüthende und versuchte das Mädchen wieder mit seinem Stocke zu erreichen.

»Herr Farnwald, ich bin Madame Blanchards Rosa, helfen Sie mir!« stöhnte jetzt die Negerin und ließ den Kopf auf die Brust sinken.

»Herr Jerson, Sie haben kein Recht, eine gemiethete Sklavin so zu mißhandeln; dies Mädchen ist das Eigenthum einer mir befreundeten Familie, ich werde nicht dulden, daß Sie noch einen Schlag nach ihr führen!« rief jetzt Farnwald, trat rasch zwischen Jerson und die Negerin und durchschnitt mit dem Messer, das er an seiner Seite trug, den Strick, womit diese an dem Aste befestigt war.

Jerson wollte das Mädchen ergreifen, doch Farnwald faßte mit seiner Linken den Sohn bei der Brust und mit der Rechten den Alten beim Rockkragen und schrie der Sklavin zu:

»Fort, fort, zu Blanchards, so schnell Dich Deine Füße tragen können!«

»Rühren Sie sich nicht, Herr Jerson,« sagte Farnwald zu ihm, denn hört mein Hund, daß ich im Streit

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mit Ihnen bin, so zerreißt er Sie unfehlbar, er ist bei meinem Pferde dort außerhalb der Einzäunung,« und somit hielt Farnwald die Beiden so lange fest, bis die Negerin, die wie ein Reh durch den Wald davonsauste, aus deren Bereich entkommen war.

»Hausrecht!« schrie der wuthentbrannte Jerson nun, als Farnwald ihn losließ, und stürzte nach dem Eingang der Wohnung. Dieser war aber eben so schnell auf sein Pferd gesprungen, als Jener die Thür erreichte, und sprengte über die Prairie davon. Der Pfiff einer vorüberfliegenden Kugel und der Knall einer Büchse von dem Blockhaus her, war der Gruß, den Jerson Farnwald noch nachsandte, während dieser seiner Richtung nach Hause zu folgte.

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Capitel 7.

Der Bote. - Strafe. - Das zerschmetterte Blockhaus. - Gefühllosigkeit. - Die beiden Wölfe. - Mitleid. - Reise für die Freunde. - Auskunft. - Der Landsitz. - Ueberraschung. - Große Schönheit. - Freundliche Aufnahme. - Die Mexicanerin. - Schweigen wider Willen.


Schwere Gewitterwolken, die rasch vom Norden hergezogen kamen, mahnten Farnwald zur Eile, der Weg bot keine Schwierigkeiten mehr und so ließ er sein Pferd, trotz der eingetretenen Dunkelheit, im Galopp davon eilen. Ströme von Blitzen und das ununterbrochene Rollen des Donners begleiteten ihn während der letzten Meilen seines Rittes, und er hatte eben die Einzäunung seiner Wohnung erreicht, als die ersten schweren Regentropfen fielen.

»Schnell, Addisson, bring das Sattelzeug in das Haus, es kommt ein heftiger Regen,« rief Farnwald dem Negerknaben zu, nahm selbst die Pistolenholfter auf den Arm, Milly zog die schöne wollene Decke vom Sattel und kaum hatten sie die Veranda betreten, als ein fliegender Sturm heranbrauste und den Regen in Strömen vor sich hertrieb.

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»Das war gerade noch zu rechter Zeit zurückgekehrt,« sagte Farnwald zu der Quadrone; »hätte der Sturm mich draußen in der Prairie erwischt, so wäre ich schwerlich heute Nacht nach Hause gekommen.«

»Gottlob, daß Du hier bist, Herr,« antwortete die Sklavin; »ich würde mich zu Tode geängstigt haben, hätte ich mir gedacht, daß Du unterwegs wärest. Es wird mir immer so bange, wenn die Nacht einbricht und Du bist noch nicht zurückgekehrt, dann mache ich mir tausend Gedanken, daß Dir ein Unglück zugestoßen sein könnte. Ach Herr, das würde ich nicht überleben!«

Farnwald sah die Sklavin verwundert an, sie hatte diese Worte mit so viel Natürlichkeit, mit einem so innigen Gefühl gesprochen, daß über deren Ursprung aus ihrer tiefsten Seele kein Zweifel sein konnte, und doch hatte er ja nur noch wenig für sie gethan.

»Mache Dir keine Sorgen, Milly,« sagte ihr Herr freundlich zu ihr; »eine höhere Hand hat mich bisher geschirmt und wird es auch ferner thun. Sollte mir wirklich etwas begegnen, so ist für Dich gesorgt. Du wirst niemals in Deinem Leben wieder verkauft werden, nach meinem Tode bist Du frei, Ich habe meine Bestimmungen darüber gemacht.«

»O Du guter Herr!« rief die Quadrone, warf sich ihm zu Füßen und umfaßte seine Knie; »nach Deinem Tode werde ich sicher frei sein, denn mein Herz würde

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bald aufhören zu schlagen. Trenne mich nur nicht bei Deinen Lebzeiten von Dir, denn das wäre lebendiger Tod für mich.«

»Sei unbesorgt, Milly,« sagte Farnwald sie aufhebend; »Du bist mir viel zu werth, als daß ich ohne Dich sein möchte. Mein Zimmer hat hier niemals vorher so sauber und so ordentlich ausgesehen, und Du besorgst mir Alles so gut, so nach meinem Wunsche, daß Du mich wirklich von Dir abhängig gemacht hast! Sirh, Du trägst Dein neues Kleid, laß sehen, das sitzt Dir ja allerliebst; das andere magst Du eben so machen. Wenn ich wieder nach der Stadt reite, werde ich Dir eine schöne Schnur rothe Korallen für Deinen Nacken und eben solche Armbänder mitbringen.«

Mit diesen Worten trat Farnwald an den Ausgang des Zimmers, um nach dem Wetter zu sehen; der Sturm und Regen schlug aber so heftig über die Veranda gegen das Haus, daß er schnell die Thüre wieder zudrückte.

»Darf ich jetzt das Abendessen holen, Herr?« fragte die Sklavin.

»Das wirst Du schwerlich thun können, Milly. Es sind zwanzig Schritte von der Veranda bis zu der Küche, und Du könntest unterwegs ertrinken. Horch nur, wie der Sturm braust.«

»Es wird schon gehen,« antwortete das Mädchen

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lächelnd, nahm eine frische Serviette aus dem Schranke, hielt sie unter ihr Schürzchen, und sprang behend und freudig zur Thüre hinaus.

Farnwald hatte sich an den bereits sauber gedeckten Tisch gesetzt, betrachtete die herrlichen Blumen in der Vase, die bei dem Lichte der Glaslampe ansnehmend schön anzusehen waren und lauschte dem Regen und Sturm, der die dichten Bäume über dem Hause wild und rauschend hin[-] und herpeitschte. Er dachte an die vielen Nächte, die er bei solchem Wetter ohne allen Schutz unter freiem Himmel zugebracht hatte, und gedachte der Stürme, vor denen er in hohle Bäume, unter Felsen geflüchtet war. Während er so den Träumereien über vergangene Zeiten nachhing und die günstige Wendung seines Geschickes pries, öffnete sich die Thür und Milly, mit einem Tuche über dem Kopfe und dem mit einer Serviette überdeckten Abendessen trat ein.

»Hu, hu, Herr, wie das regnet,« sagte sie; »aber desto schöner ist es hier im Zimmer, die Blumem[Blumen] da freuen sich, daß ich sie vor diesem Unwetter geschützt habe; wie werden die schönen Blüthen im Garten morgen zerzaust sein! Komm Herr, setze Dich, ich habe das Essen ganz gut hergebracht,« fuhr sie fort, nachdem sie die Speisen auf den Tisch gestellt hatte, nahm ihr Tuch von dem Kopfe und sah wartend mit ihren großen lebendigen Augen nach ihrem Herrn hin.«

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»Trinkst Du Thee oder Milch, Herr?« fragte sie.

»Gieb mir Milch, Milly,« antwortete er, verzehrte sein Abendbrod und begab sich dann in den bequemen Schaukelstuhl.

»Ich glaube der Sturm ist vorüber,« sagte er nach einer Weile zu der Quadrone; »es war einer von den gestrengen Herren, wie wir sie oft hier haben.«

»Es regnet aber immer noch,« antwortete diese, indem sie die Thür öffnete und hinausblickte; »der Himmel wird aber wieder klar, dort ist es schon ganz hell.«

»Hallo!« rief es plötzlich draußen vor der Einzäunung, und der Ruf wiederholte sich sogleich noch lauter und dringlicher.

»Da ist Jemand vor der Fence,« sagte Farnwald, sprang auf und öffnete die Thür.

»Wer ist da?« rief er in die Dunkelheit hinaus, aus der ihm jetzt der matte Schein einer Laterne entgegenkam.

»Ach, Herr Farnwald, meine Mutter sendet mich, Sie um Hülfe anzusprechen, es ist uns ein Baum auf das Haus gefallen und hat meinen Vater schwer verwundet.«

»Wer bist Du denn, wer ist Dein Vater?« fragte Farnwald.

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»Sie waren ja heute Abend bei uns, ich heiße Jerson,« war die Antwort.

»Ist es möglich, das ist schnelle Strafe,« sagte Farnwald vor sich hin, dann rief er dem Boten zu: »Hänge den Zügel Deines Pferdes an die Einzäunung und komme herein.«

Jef, der Sohn Jersons, trat darauf vom Regen triefend, mit einer Laterne in der Hand, in das Zimmer und blickte verlegen, den alten Strohhut in der Hand drehend, nach Farnwald auf.

»Setze Dich dort auf den Rohrstuhl,« sagte dieser zu ihm; »ist denn Dein Vater schwer verwundet?«

»Ach ja, Herr Farnwald, er konnte nicht mehr sprechen, als ich fortritt. Die Mutter fürchtete, Sie würden wohl nicht kommen, wegen des Negermädchens und es ist doch kein Arzt in der Gegend, an den wir uns wenden könnten. Sie läßt Sie aber dringend bitten uns zu helfen, meine kleine Schwester ist auch von einem Balken getroffen und Mutter meint, ihr Arm sei gebrochen.

»Milly, sage Addisson, er solle schnell den Hengst satteln,« sagte Farnwald zu der Quadrone, zündete ein Licht an und ging in das Nebenzimmer, wo er seine Arzneien aufbewahrt hielt. Bald kam er mit den Satteltaschen, in denen sich die nöthigsten Medicamente und das Verbindzeug befanden, zurück, schnallte seine

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Revolver um und schritt hinaus zu seinem Pferde, das bereits gesattelt vor der Thür stand.

Nun Milly, lasse Dir nicht bange werden, wenn ich in der Nacht nicht zurückkehre, lege Dich zur Ruhe,« sagte er zu der Quadrone; diese ergriff seine Hand, drückte ihre Lippen darauf und sah schweigend ihrem Herrn nach. Die große Dunkelheit hatte sich gemindert, der Wind hatte nachgelassen und erfrischende Kühle wehte über die durchnäßte Prairie, als die beiden Reiter über dieselbe hineilten. Die Wolken hatten sich getheilt und während sie in fliegender Eile am Himmel vorüberzogen, blitzten die Sterne funkelnd zwischen ihnen hervor und spiegelten sich hier und dort auf weit ausgedehnten Vertiefungen, die, wie Seen mit Regenwasser angefüllt, auf der dunkeln Grasfläche glänzten. Im Trabe ging es durch dieselben hin, daß das Wasser hoch um die Rosse spritzte und bald stieg die dunkle Masse des Waldes hinter Jersons Wohnung vor den Reitern auf.

Bei Annäherung an dieselbe sah Farnwald nur noch eine der beiden hohen Eichen, die neben dem Blockhause gestanden hatten, ihr stolzes Haupt gegen den Himmel erheben, während unter ihr ein Haufen von Balken, riesenhaften Aesten und Laubmassen sich über dem Erdboden erhob. Die Eiche, vom Sturme niedergerissen, hatte im Sturze das Blockhaus, sich selbst darauf zertrümmernd, in einen Schutthaufen verwandelt.

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Unweit davon stand ein anderes kleines Balkenhaus, welches der Familie zur Küche gedient hatte und in dessen Eingange jetzt Licht sichtbar wurde.

Farnwald hatte sein Pferd angebunden und schritt nach dieser Hütte hin, als eine Frauengestalt jammernd und weinend daraus hervortrat und den Kommenden entgegenging.

»Ach, Herr Farnwald, für meinen Mann kommt Ihre Hülfe zu spät; er ist gestorben. Wenn Sie meinem Kinde aber helfen wollen, so wird der Himmel Sie dafür belohnen!«

Mit diesen Worten führte sie ihn in die Hütte, wo auf einer an der Erde ausgebreiteten wollenen Decke das verwundete Mädchen sich in seinen Schmerzen hin[-] und herwarf, während nicht weit davon Jerson, der Vater, entseelt ausgestreckt lag.

Das Kind hatte bei dem Einsturze des Hauses außer einem Armbruch mehrere jedoch nicht gefährliche Verletzungen erhalten, Farnwald untersuchte es genau, legte die Verbände an und linderte bald darauf durch kühlende Umschläge die Schmerzen der Kleinen.

Jerson war todt und schrecklich verstümmelt, die Wittwe saß weinend an dem Kaminfeuer und klagte, daß sie nun ganz verlassen in diesem wilden Lande stehe, sagte, daß Jerson selbst Schuld an dem Unglücke sei, sie habe ihn oft gebeten, die Kronen der großen Bäume

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abzuhauen, er aber sei immer eigensinnig gewesen und habe stets gerade das Gegentheil von dem gethan, was sie gewünscht habe.

»Sehen Sie, Herr Farnwald,« sagte sie schluchzend, »was bleibt einer armen Wittwe mit zwei Kindern in diesem Lande übrig? Der Junge da ist noch zu schwach, um mich zu ernähren, und heirathen wird mich Niemand.«

»Ihr Sohn ist stark genug, Madame Jerson, um das Feld zu bebauen und die andern Arbeiten zu besorgen, ich dächte, wenn Sie selbst etwas Hand mit anlegten, so könnten Sie wohl bestehen. Sie haben ja Vieh, was sich vermehrt und Ihnen mit der Zeit einen schönen Nutzen abwerfen wird. Ich will morgen mit Blanchards sprechen, damit sie Neger herübersenden und Ihnen Ihr Haus wieder aufbauen lassen.

»Dann können die Neger Jerson auch gleich begraben, denn ich wüßte nicht, wie ich es ausführen sollte! sagte die Wittwe seitwärts auf ihren todten Mann blickend.«

Farnwald hatte schon mehrfach Gelegenheit gehabt, der Wittwe ähnliche Charaktere hier an der Frontier zu sehen und kennen zu lernen, weshalb ihm die Gefühllosigkeit dieser Frau eben nicht auffiel.

Es gehören in der That harte, eiserne Gemüther dazu, um Frau und Kind hinaus in die Wildniß zu führen, wo Tausende von Gefahren ihrer warten, und

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wo sie, jeder fremden Hülfe entbehrend, nur auf sich selbst beschränkt sind: nur solche, oder vom Unglück schwer Verfolgte, zur Verzweiflung gebrachte, mögen hier eine Zufluchtsstätte suchen, und ihren gefühlvolleren, glücklichern Mitmenschen den Weg zu diesen neuen Ländern bahnen; das Herz aber, das noch an dem Glücke Anderer Theil nimmt, mag sich fern von der Frontier halten.

Farnwald gab der Frau Verhaltungsmaßregeln in Bezug auf das verwundete Kind, ließ die nöthigen Mittel für dasselbe zurück und schied mit dem wiederholten Versprechen, am folgenden Tage abermals zu kommen, so wie auch Arbeiter herzusenden, um mit dem Wiederaufbau des Hauses zu beginnen.

Es war lange nach Mitternacht, als er, dem Pferde die Zügel lassend, seinem einsamen Wege nach Hause über die dunkle Prairie folgte und der wachsame treue Joe sichernd vor ihm hintrabte. Der Wind hatte sich gänzlich gelegt, der Himmel war klar und sternbedeckt, und über dem feuchten Grase schwebten Wolken von leuchtenden Insekten.

Die Ereignisse des Tages beschäftigten Farnwalds Gedanken, namentlich aber lag ihm das Schicksal der Familie Swarton sehr am Herzen. Er war entschlossen, Alles aufzubieten, um das drohende Unglück von ihr abzuwenden, wozu er aber leider nur sehr wenig Hoffnung

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auf Erfolg sah. Es schien ihm nicht wahrscheinlich, daß ein Mann, der einmal mit einer so schlechten That vor seine Mitbürger getreten war, das Ziel, welches er dadurch hatte erreichen wollen, nun freiwillig wieder aufgeben sollte. Es unterlag keinem Zweifel, daß Dorst genau von den Verhältnissen, von den Charakteren der Familie und von deren Stellung unter ihren Nachbarn unterrichtet war, so daß er die Gefahr seines Unternehmens kannte, und dennoch hatte er rücksichtslos die ersten Schritte dazu gethan, was von seiner Entschlossenheit und Furchtlosigkeit zeugte. Außerdem hieß es, daß Dorst ein sehr reicher Mann sei und daß er großen Anhang und Einfluß unter den Bewohnern seiner Umgegend habe, so daß man ihn schon mehrmals zum Mitgliede des gesetzgebenden Körpers des Staates gewählt hatte. Wenn auch diese triftigen Gründe Farnwalds Hoffnung auf einen friedlichen Vergleich zwischen diesem Manne und Swarton sehr herabstimmten, so wollte er wenigstens einen Versuch machen und baute dabei sowohl auf seine Festigkeit und Ueberredungsgabe, als auch auf die Billigkeit der Ansprüche, die er vertreten wollte.

Er war tief in diese Betrachtungen versunken, als plötzlich in ziemlich großer Entfernung vor ihm die tiefe Baßstimme Joes erschallte. Der Hengst kannte diesen Ton, als eine Anfforderung herbeizueilen, es bedurfte keiner weiteren von Seiten seines Herrn, denn schon

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war er im fliegenden Laufe zu seinem Kameraden hin. Farnwald hatte einen Revolver hervorgezogen und hörte jetzt an Joes Stimme, daß derselbe in einem heftigen Kampfe begriffen war, er drückte dem Pferde die Sporen an, um seine Hülfe dem treuen Hunde keine Secunde länger unnöthig vorzuenthalten, und sah bald durch die Dunkelheit eine weiße Masse, die sich in dem hohen Grase hin[-] und herrollte. In wenigen Augenblicken hatte er den Kampfplatz erreicht und erkannte zwei ungeheure weiße Wölfe, gegen welche sich Joe mit grimmiger Wuth vertheidigte. Beim Heranspringen Farnwalds und bei seinem gellenden Jagdrufe floh das eine der Raubthiere, doch dem andern Wolfe wurde dazu von dem wüthenden Hunde keine Zeit gegeben, dieser hing mit tief eingeschlagenen Fangzähnen an dem Nacken seines Feindes, der sich umsonst bemühte sich von ihm loszureißen, und achtete nicht die furchtbaren Bisse, die ihm derselbe, um sich schnappend, beibrachte.

Farnwald war vom Pferde gesprungen, eilte Joe zu Hülfe und schoß dem Wolfe mehrere Kugeln durch den Körper, ehe derselbe zusammenstürzte. Der arme Joe aber stand mit aufgehobener Vordertatze bei dem besiegten Feinde und blickte seinen Herrn an, als wolle er ihm sagen, daß auch er schwer verwundet sei und nur langsam hinkend konnte er ihm nach Hause folgen.

Der Morgen dämmerte, als Farnwald seine Wohnung

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erreichte, dem verwundeten Hunde ein weiches Lager neben seinem Bette bereitete und sich selbst noch einige Stunden Ruhe gönnte.

Gleich nach dem Frühstücke war er wieder zu Roß, aber heute ohne seinen treuen Begleiter, der lahm und steif der Pflege der sorgsamen Quadrone überlassen blieb.

Farnwald eilte zu Blanchards, um diese von dem Schicksale Jersons zu benachrichtigen und das der Wittwe desselben gegebene Versprechen zu erfüllen.

Mit dem freudigsten Willkommen begrüßten ihn die Freunde, zwischen denen er sich dann auf seinem Lieblingsptlatze unter der Veranda niederließ.

»Ich komme, Madame Blanchard, um mir Ihre Hülfe für die Familie Jerson zu erbitten,« sagte Farnwald zu derselben, wobei sie, so wie auch ihre Kinder ihn verwundert ansahen und Alle beinahe einstimmig ausriefen:

»Für Jersons, für diese abscheulichen Menschen? Nimmermehr!«

»Für Niemand anders, ich bin sogar überzeugt, Sie werden es nicht abschlagen,« antwortete Farnwald.

»Jerson, der meine Rosa gestern beinahe todt geschlagen hat? Ich werde ihn vor Gericht stellen,« sagte Madame Blanchard.

»Der Schurke, wenn ich ihm einmal allein

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begegne, werde ich ihm die Schläge, die er Rosa gegeben hat, zurückzahlen,« sagte Georg.

»Sie werden ihn weder vor Gericht stellen, noch ihm die Schläge zurückzahlen,« antwortete Farnwald; »denn beides ist bereits geschehen. Er ist todt, der Sturm hat gestern Nacht einen Baum auf sein Haus geworfen und ihn tödtlich verletzt. Seine Frau ließ mich zu Hülfe rufen, und als ich hinkam, fand ich Jerson schon an seinen Wunden gestorben. Auch seiner Tochter war der Arm gebrochen. Das Haus ist nur noch ein Schutthaufen, und wenn die Nachbarn sich der Wittwe nicht erbarmen und es ihr wieder aufbauen, so hat sie kein Obdach, außerdem ist Jerson noch nicht beerdigt, was zu thun für die Frau und den Sohn ein zu schwerer Dienst sein würde.«

»Das ist ja schrecklich,« sagte Madame Blanchard mitleidig; »da soll John gleich mit Negern hinüberreiten, um der Frau Hülfe zu bringen; ihre Lage muß ja eine verzweifelte sein.«

»Jerson ist für seine Grausamkeit hart bestraft worden und seine Frau hat keinen Theil an der Schlechtigkeit des Mannes,« bemerkte Georg.

»Wie viel Neger soll ich mit mir nehmen, Mutter?« fragte John.

»So viele, wie Herr Farnwald für nöthig hält, um

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das Haus wieder aufzubauen,« antwortete diese, sich fragend zu Jenem hinwendend.«

»Nun John, nehmen Sie einige Zwanzig und zwei Paar Zugochsen, mit denen haben Sie bis morgen Abend die Arbeit beendigt,« sagte Farnwald; »ich will voranreiten, um nach dem Kinde zu sehen, kommen Sie bald nach.«

Hiermit erhob er sich, nahm Abschied von seinen Freunden und eilte zu der Wittwe Jersons. Er hatte sein Pferd an die ihre Niederlassung umgebende Einzäunung befestigt und schritt der Küche zu, ohne daß die Frau oder der Sohn sich gezeigt hätte; als er in den Eingang der Hütte trat, saßen die beiden an einem alten kleinen Tische und ließen sich ihr Mittagsessen, welches aus einer abgekochten Hirschkeule und einem großen Napf voll Gurkensalat bestand, recht wohl behagen, während an ihrer einen Seite das kranke Mädchen und auf der anderen der todte Jerson an der Erde ausgestreckt lagen.

»Stehe auf, Jef, und mache dem Herrn Farnwald Platz,« sagte die Wittwe und fügte dann, sich an diesen wendend, noch hinzu »ich will gleich Kaffee kochen. Ich habe dies unterlassen, um nicht durch ein Feuer im Kamine die Wärme hier im Hause zu vermehren, wegen meines Mannes da.«

»Unterlassen Sie das, Madame Jerson, ich werde

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weder etwas essen noch trinken. Was macht das Kind?« sagte Farnwald, bei diesem niederknieend und nahm die Compressen von dessen Arme.

»Sie müssen die Umschläge öfters frisch anfeuchten, damit sie nicht so warm werden,« fuhr er dann zu der Wittwe gewendet fort. »Es geht leidlich, denn die Geschwulst ist unbedeutend und das Fieber sehr gering.«

Nachdem er den Verband nochmals nachgesehen und frische Compressen darüber gelegt hatte, verließ er die Hütte, um sich in der freien Luft zu ergehen, die Trümmer des Wohngebäudes bei Tage in Augenschein zu nehmen und John Blanchard mit den Negern dort zu erwarten. Dieser kam auch bald herangeritten, es wurde ein Grab für Jerson bereitet, derselbe bestattet, und dann begaben sich die Sklaven in den nahen Wald, um die nöthigen Bäume zu dem Hause zu fällen.

»Ehe Sie das Gebäude aufrichten, lassen Sie die Krone aus dieser Eiche hauen, damit sie nicht gelegentlich ein ähnliches Unglück herbeiführen kann. Außerdem wird sie durch reichlicheres Ausschlagen an den unteren Aesten dem Hause viel mehr Schutz gegen die Sonne gewähren,« sagte Farnwald zu John, verabschiedete sich dann bei ihm, so wie bei der Wittwe und eilte nach Hause, um dort die nöthigen Vorbereitungen zu seiner zeitigen Abreise am nächsten Morgen zu machen.

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Mit dem ersten Grauen des folgenden Tages war Farnwald schon reisefertig, empfahl Paulmann und der Quadrone die Sorge für sein Eigenthum, legte Letzterer namentlich die Pflege für Joe an das Herz, und trat den langen Ritt von einigen fünfzig Meilen an, den er bis zum Abend zu beenden entschlossen war.

Er hielt seinen Hengst, ohne ihn zu übereilen, in einem scharfen Paßgang, in welchem derselbe auf die Dauer fünf Meilen in einer Stunde bequem zurücklegte. Gegen zehn Uhr hielt er bei einem ihm befreundeten Farmer an der Straße an, gab seinem Pferde ein wenig geschnittenes Gras und altes Brod, übergoß das Thier mit kaltem Wasser, tränkte es, legte ihm den Sattel wieder auf und eilte dann auf seinem Wege weiter nach dem Städtchen L***, welches er gleich nach der Mittagszeit erreichte.

Der Eigenthümer des dortigen Gasthauses, Herr Fantrop, freuete sich, Farnwald wieder bei sich zu sehen, stellte sogleich zwei Neger zu seiner Verfügung, die den Hengst mit wollenen Decken trocken reiben mußten, ließ sofort ein Mittagsessen für seinen Gast bereiten und that Alles, um dessen Wünschen in Bezug auf sich selbst und auf sein Pferd bestens nachzukommen.

»Wie weit ist es noch von hier zu der Besitzung des Herrn John Dorst?« fragte Farnwald den

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Wirth, der sich, während jener sein Mahl einnahm, zu ihm gesetzt hatte, um ihm Gesellschaft zu leisten.

»Einige zwanzig Meilen. Er wohnt an der anderen Seite eines ziemlich bedeutenden Wassers, das sich unweit seiner Besitzung in den Strom ergießt, und über welches eine breite auf hölzernen Pfeilern stehende Brücke führt. Sie müssen Sich erinnern, dieselbe passirt zu haben, als Sie kürzlich von der Plantage der Wittwe Morrier kamen.«

»Ganz recht, ich erinnere mich des Platzes. Was ist Herr Dorst für ein Mann, kennen Sie ihn?«

»Wohl kenne ich ihn, er kommt zu Zeiten hierher, um Waaren einzukaufen, und fehlt selten an unseren Gerichtstagen. Gott weiß es, er hat immer Processe über Processe, und führt im Ganzen keinen guten Namen. Bei seinen Streitigkeiten mit Leuten aus der Umgegend soll häufig das Unrecht auf seiner Seite sein, dennoch gewinnt er sie meistens vor Gericht, weil er einen großen, von ihm abhängigen Anhang hat und stets auf die Richter einzuwirken weiß, so daß seine Parthei das Uebergewicht behält. Außerdem, unter uns gesagt, hält er immer eine Menge Taugenichtse heimlich in seinen Diensten, so daß die meisten Bewohner der Umgegend sich fürchten, Etwas gegen ihn zu unternehmen, aus Besorgniß, man möchte ihnen gelegentlich den rothen Hahn auf das Haus pflanzen. Doch hiervon will ich nichts

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gesagt haben. Sie wissen, Herr Farnwald, als Wirth muß ich sehen und nicht sehen.«

»Wie stark ist denn des Mannes Familie, hat er erwachsene Söhne?«

»Nicht doch, er hat nur eine Tochter, eine Dame von ungewöhnlichen vortrefflichen Eigenschaften, die weit und breit bis nach den Ufern des Golfs und bis zur Küste des Oceans wegen ihrer großen Schönheit, ihrer hohen Bildung und ihrer Liebenswürdigkeit bekannt ist. Dorst war früher in Mexico angesiedelt und seine Frau ist eine Mexicanerin. Es wohnen jedoch viele von Dorsts Verwandten, die er größtentheils selbst auf seinem Lande angebaut hat, in der Nähe seiner Besitzung. Was wollen Sie aber bei ihm? ich hoffe, daß Sie Nichts mit ihm zu theilen haben, sonst möchte ich Ihnen große Vorsicht anrathen; er ist ein feiner Mann, aber scharf wie ein Rasirmesser.«

»Nein, Gottlob, ich habe Nichts, was mich betrifft, mit ihm zu schaffen, für einen Freund wünsche ich ihn zu sprechen,« erwiederte Farnwald dem Wirthe und wohl zwei Stunden hatten sich die beiden unterhalten, als Ersterer nach dem Stalle ging, sein wohlgepflegtes und ausgeruhtes Pferd selbst sattelte und seine Weiterreise antrat.

Mit dem Abnehmen der großen Sonnenhitze mußte der Hengst schneller auftreten und wurde hierzu von

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seinem Herrn ohne Rücksicht angehalten, denn, obgleich er ihn pflegte und schonte wo er nur konnte, so forderte er doch von ihm, wenn es galt, seinen ganzen Kraftaufwand. Das edle Thier folgte auch gern diesen Aufforderungen und die Sonne war noch nicht hinter den fernen Gebirgszügen im Westen versunken, als Farnwald über die bezeichnete Brücke ritt. An deren anderer Seite, in geringer Entfernung von der Straße, hoben sich hinter einer Stacketen-Einzäunung hohe Baumgruppen, deren Zusammenstellung und Laubarten andeuteten, daß sie durch Menschenhand hierher gepflanzt seien, Farnwald war dieser Ort von dem Wirthe in L*** als der Wohnsitz des Herrn Dorst bezeichnet worden, weshalb er sein Pferd dem großen Einfahrtsthore zulenkte, welches durch die Einzäunung führte. Von hier öffnete sich ein dicht von Bäumen überdachter breiter Fahrweg, an dessen fernem Ende ein einstöckiges, sehr langes, auf einer nicht hohen Terrasse gelegenes Gebäude erschien, dessen ganze lange Front von einer luftigen Veranda beschattet wurde.

Farnwald hatte das Ende der Allee, die durch den künstlichen Wald führte, erreicht; der Wald theilte sich hier um einen großen Weiher, auf dem sich Schwäne blähten, links und rechts erhoben sich blühende Gebüschgruppen und reiche Blumenbeete, die sich bis zu dem Fuße der Terrasse ausdehnten und dort von einer Reihe

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hoher Orangen-, Citronen- und Granatbäumen begrenzt wurden.

Bei seiner Annäherung zu dem Wohngebäude kam ein weiß gekleideter schlanker Negerbursche auf ihn zu, begrüßte ihn höflich und fragte ihn, ob er sein Pferd nach dem Stalle führen solle.

»Ist dies der Wohnsitz des Herrn John Dorst?« fragte Farnwald den schwarzen Diener, und als dieser es bejaht hatte, stieg er vom Pferde, hing Satteltasche, Pistolenholfter und die wollene Satteldecke über den Arm und schritt die Terrasse hinauf der Veranda zu, während der Neger das Pferd hinwegleitete.

Von der Mitte der Gallerie öffnete sich hinter einer Glasthür ein breiter Corridor, der durch das Haus führte, und der an dessen anderem Ende auf ähnliche Weise geschlossen werden konnte. Jetzt aber waren die Thüren offen, Farnwald trat hinein und stand in diesem Augenblicke vor einer jugendlichen weiblichen Gestalt, die, wie es in diesem Lande der Kühlung wegen häufig geschieht, in der Mitte des Corridors auf einem rothsammetenen Divan, in einem Buche lesend, saß und, durch Farnwalds unerwarteten Eintritt überrascht, ihre Augen auf ihn richtete.

Noch viel größer aber war Farnwalds Ueberraschung, er trat einen Schritt zurück, verneigte sich und suchte mit einigen Worten sein unangemeldetes Eintreten bei der

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jungen Dame, in deren unmittelbare Nähe er sich so unerwartet versetzt sah, zu entschuldigen.

Das reine Oval ihres edlen Gesichts war zu beiden Seiten durch lang herabhängende glänzend schwarze Locken begrenzt und die schweren Flechten ihres üppigen Haares umschlangen eine weiße Moosrose und ließen sie an der linken Seite des kleinen Kopfes zwischen sich hervorsehen. Das Auge, der Spiegel der Seele, war bis in sein tiefstes Dunkel von wunderbarer Klarheit und sein Blick, ergreifend und bezaubernd, sprach reiche Phantasie und mächtige Gedankenfülle aus. Die langen schwarzen Wimpern, die es überschatteten und die gewölbten, nicht sehr weit geöffneten Lider gaben ihm einen schwärmerischen schwermüthigen Ausdruck, den der fein gezeichnete Bogen der Braue noch erhöhte. Die offene Stirn bekundete Geistesgröße und festen Willen, die unvergleichlich schönen hochrothen Lippen umspielte eine unaussprechliche Lieblichkeit und weibliche Milde. In grellem Gegensatz zu ihrem schwarzen Kleide stand das Alabasterweiß ihres makellos geformten Nackens und der leichte Anflug von Carmin, der wie ein Hauch auf ihren Wangen ruhte.

Einige Augenblicke sah die Unbekannte Farnwald prüfend an, als sei er ihr durch Beschreibung schon bekannt, als wolle sie ein selbstentworfenes Bild von ihm mit seiner Person vergleichen. Die Worte, mit

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denen er sein unangemeldetes Eintreten zu entschuldigen versucht hatte, waren von ihr schweigend hingenommen, welches einen peinigenden Zweifel in ihm aufsteigen ließ, ob diesem Schweigen, was er für Folge ihrer Ueberraschung gehalten hatte, nicht vielleicht ein Ergötzen an seiner Verlegenheit zum Grunde liege.

»Die Ursache meines Erscheinens ist der Wunsch, Herrn Dorst zu sprechen,« sagte Farnwald mit fester Stimme und höflicher Verneigung.

»Ich werde sogleich meinen Vater von Ihrer Ankunft in Kenntniß setzen,« sagte sie freundlich, wobei ihre perlenweißen schönen Zähne sichtbar wurden, erhob sich unter dem Rauschen des reichen Seidenstoffes ihres Gewandes und schritt, sich mit einem anmuthigen Blicke leicht verbeugend, schwebenden Ganges nach der nächsten Thür.

Mit Staunen und Bewunderung gewahrte Farnwald ihre edle schlanke Gestalt, ihren schneeigen Arm, den sie aus dem reichen weiten Spitzenärmel hervorstreckte, um mit der zierlichen zarten Hand den Eingang zu öffnen, den kleinen Fuß, wie sie ihn in graziöser Bewegung über die Thürschwelle setzte, und gestand sich, daß er noch nie in seinem Leben ein so vollendetes Bild blendender Schönheit gesehen habe.

»Dies muß die schöne Tochter Dorsts sein, von der der Wirth gesagt hat,« dachte Farnwald und stand

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immer noch regungslos mit seinen Reise-Effecten auf dem Arme und seinen Blicken auf die Thür geheftet, durch welche die reizende Unbekannte verschwunden war. Sie war schöner, sie war anmuthiger, als er sie sich vorgestellt hatte, denn neben dem grassen, widrigen Bilde, welches er sich von dem Vater entworfen, konnte er der Tochter desselben in seiner Phantasie unmöglich so viel weibliche Schönheit geben, wie so eben in der Wirklichkeit vor ihm erschienen war, und weniger abschreckend erwartete er jetzt den Mann zu sehen, gegen den er einen so bittern Groll im Herzen trug.

Er hörte Tritte in dem Zimmer, die Thür öffnete sich und Dorst trat, von demselben jungen Mädchen gefolgt, in den Corridor. Mit ernstem Blicke und kalter vornehmer Verbeugung schritt er auf Farnwald zu und fragte ihn:

»Wen habe ich die Ehre vor mir zu sehen?«

»Mein Name ist Farnwald, mein Wohnort ist in der Nähe des neuen Städtchens C*** und der Zweck meines Besuchs ist, Sie in der Angelegenheit einer mir befreundeten Familie zu sprechen,« antwortete dieser mit einer gleichfalls gemessenen Verbeugung.

Bei dem Namen Farnwald jedoch gewann das Gesicht Dorsts einen Ausdruck von Lebendigkeit und auch von Freundlichkeit.

»Ei, ei,« sagte er, »das ist mir ja äußerst angenehm,

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ich habe schon lange den Wunsch gehegt, Ihre Bekanntschaft zu machen. Seien Sie mir auf das Freundlichste willkommen und erlauben Sie mir, daß ich Ihnen hier meine Tochter Doralice vorstelle.

Diese letzten Worte begleitete er mit einer Neigung seiner Hand gegen das schöne Mädchen, das die Verbeugung Farnwalds mit einem höflichen Gruß und einem lieblichen Blicke erwiederte.

In diesem Augenblicke trat eine ältliche Dame, die noch immer schön genannt werden konnte, aus dem Zimmer, welche Dorst, als seine Frau, Farnwald nun vorstellte.

Madame Dorst war gleichfalls von hoher edler Gestalt, wenn auch ihre Formen sich zu größerer Fülle ausgebildet hatten, als die der Tochter. In ihren schönen schwarzen Augen war deutlich die Mutter Doralices zu erkennen, obgleich ihr Blick verschieden war und der Ausdruck derselben schneller mit den Gefühlen des Augenblicks wechselte, als in denen der Tochter. Leidenschaftlichkeit und entschlossener fester Wille stand unverkennbar in ihnen geschrieben, zugleich aber sprachen sie Wohlwollen und leicht erregbare Theilnahme an dem Geschicke Anderer aus. Die Furchen auf der hohen freien Stirn der Frau verriethen langjährigen schweren Gram, der an ihrem Herzen genagt hatte und deuteten an, daß ihre ganz schwarze Kleidung nicht die Wahl

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des Zufalls sei. Das tiefe Schwarz ihres reichen Haares, der kleine, noch schöne Mund, die Zierlichkeit ihrer Hände und Füße, so wie die natürlich stolze Haltung und die ungezwungenen vornehmen Bewegungen bezeugten ihre Abkunft von dem Mexicanischen Volke.

»Lassen Sie uns unter die Veranda gehen, dort ist es jetzt viel angenehmer als im Hause, die Sonne ist versunken und die Abendluft wird erquicken,« sagte Dorst, schritt voran hinaus auf die Gallerie und ließ seinen Gast, nachdem er ihm seine Reise-Effecten abgenommen und bei dem Eingänge niedergelegt hatte, neben den Seinigen Platz nehmen.

»Wann sind Sie von Haus weggeritten?« fuhr er zu Farnwald gewendet fort, »es müssen von hier über fünfzig Meilen sein.«

»Das ist ungefähr die Entfernung; ich habe heute in der Frühe meine Wohnung verlassen,« erwiederte dieser.

»Dann haben Sie ein gutes Pferd, was ich schon voraussetzen muß, da mir Ihr früheres Leben dort oben, als das Land noch eine Wildniß war, bekannt ist. Wir haben schon wiederholt hier von Ihnen gesprochen und Ihre Persönlichkeit ist uns so genau geschildert worden, daß ich Sie, ohne daß Sie sich nannten, hätte erkennen sollen. Sie sind der erste Weiße gewesen, der sich dort niedergelassen hat, und die Bewohner jener Gegend haben Ihnen vieles zu danken. Sie

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haben denselben den Weg zu jenen reichen Ländern gebahnt und haben sie mit Rath und That beim Ansiedeln unterstützt; die Leute halten große Stücke auf Sie. Nicht wahr, außer Ihnen ist auch noch kein Arzt in der Umgegend von C***?«

»Noch nicht, wenn auch schon die nöthigen Schritte gethan sind, um einen guten Arzt zu bewegen, sich dort niederzulassen. Sie wissen, an der Frontier, wo die Leute so weit von einander entfernt wohnen und im Allgemeinen noch mittellos sind, findet ein Arzt seine Rechnung nicht. Ich habe bisher meinen Nachbarn geholfen wo ich konnte, ohne ein Geschäft daraus zu machen, jetzt, wo die Bevölkerung rasch zunimmt, werden mir die Anforderungen zu häufig.«

»Sie kommen wahrscheinlich zu mir, Herr Farnwald, um mir wegen der Angelegenheit mit dem Herrn Swarton in das Gewissen zu greifen. Ist es nicht so?« sagte Dorst lachend, indem er ein Knie überschlug, seinen Arm darauf stützend, sich zu Jenem vorbeugte und auf Antwort wartend, nach ihm hinsah.

Farnwald war durch die Leichtigkeit, mit der Dorst diesen sehr ernsten und wichtigen Gegenstand selbst berührte, so sehr überrascht, daß er in dem Augenblicke keine Antwort finden konnte und seitwärts auf die Damen blickte, als fühle er, daß eine Unterhaltung über diese Angelegenheit wohl nicht in der Gegenwart derselben

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an Ort und Stelle sei. Doch Dorst gab ihm keine Zeit, um nach einer Antwort zu suchen, sondern fuhr fort:

»Ich weiß es, man hat in Ihrer Gegend wegen dieser Sache den Stab über mich gebrochen, während Niemand sich die Mühe giebt, darüber nachzudenken, ob eigentlich auch wirklich etwas Ungerechtes in der Handlung liege? Vor Allem ist sie in jeder Beziehung vollkommen gesetzlich und rechtlich begründet und sollte hiernach auch in keiner Weise zu tadeln sein.«

»Da muß ich Ihnen widersprechen, Herr Dorst,« fiel Farnwald eifrig ein, »das größte Recht ist bekanntlich oft das größte Unrecht und dies möchte ich gerade in Bezug - «

»Erlauben Sie mir, Herr Farnwald, daß ich ausrede,« unterbrach ihn Dorst mit verstärkter Stimme, doch war er es nicht, der ihm das Wort nahm, sondern ein bittend bedeutsamer Blick seiner Frau und Tochter, der des Gastes Augen traf, und mit dem sie deutlich aussprachen, daß sie diesen Gegenstand schon oft mit Dorst verhandelt und ihm bittere Vorwürfe über sein Verfahren gegen Swartons, wenn auch ohne Erfolg, gemacht hätten, zugleich aber, daß sie Farnwald baten, von der Besprechung dieses Themas jetzt abzustehen. »Wäre Herr Swarton ein armer Mann,« fuhr Dorst, wieder beruhigt fort, »so daß es ihm einigermaßen

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schwer geworden wäre, die Zahlung für sein Land zu leisten, so würde ich meine Handlung selbst verdammen. Swarton ist aber ein wohlhabender Mann, er hat schon seit mehreren Jahren sein jährliches Einkommen benutzt, um Neger, schöne Stuten und feines Vieh zu kaufen, hat Gelder gegen gute Zinsen ausgeliehen und gar nicht daran gedacht, der Regierung seine Schuld für das Land, auf dem er sein Geld verdient hat, abzutragen. Und nun beschwert er sich, daß endlich einmal Jemand auf den Gedanken kommt, dieses durchaus freie Gouvernementsland gegen baares Geld zu kaufen! Nun, Herr Farnwald, sagen Sie mir, wo liegt ein Unrecht in meiner Handlung?«

Farnwalds Ungeduld war bei dieser Rede bis aufs Höchste gesteigert, und kaum hatte er sich so lange bemeistern können, um nicht mit den gewichtigsten Vorwürfen gegen den Redner hervorzubrechen, als die Aufforderung hierzu von Dorst selbst alle Bedenklichkeiten bei ihm entfernte und er im Begriff stand, ihm das Verwerfliche seiner Handlung vorzuhalten. Da begegnete sein Blick abermals dem der beiden Damen, und wieder wurde er, wenn auch mit größerer Ueberwindung, Herr seiner Entrüstung. Sie hatten ihn, wenn auch nur flüchtig vorübereilend, so dringend, so bittend angesehen, Doralice hatte dabei ihre kleinen Hände so krampfhaft gefaltet, daß es Farnwald unmöglich war,

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seinem gerechten Unwillen Raum zu geben und die Rücksichten, die er gewohnt war, gegen das andere Geschlecht zu beobachten, aus den Augen zu verlieren. Er gab Dorst keine Antwort.

»Sehen Sie, Herr Farnwald, Sie müssen mir selbst Recht geben und würden in meiner Stelle, Swarton gegenüber ein Fremder, vielleicht ebenso gehandelt haben.«

»Nimmermehr, davor mag mich Gott behüten!« rief dieser jetzt mit Heftigkeit, »eine rechtliche Familie ins Unglück - «

»Herr Farnwald!« fiel ihm Doralice mit bebender Stimme ins Wort und sah ihn flehend an, während die gesteigerte Besorgniß der Mutter gleichfalls in Blick und Bewegung zu erkennen war, als fürchteten Beide, daß bei dem starren Charakter Dorsts und Farnwalds eine weitere Verhandlung dieses Themas mit Bestimmtheit ernste Scenen herbeiführen würde.

»Sie sind mit Swartons befreundet,« fuhr Dorst fort »und darum finde ich es sehr natürlich, Sie gegen meine Handlung eingenommen zu sehen; Sie müssen aber bedenken, daß ich auch nicht in der entferntesten Weise eine Verpflichtung gegen jene Leute habe und wie jeder andere Staatsbürger berechtigt bin, in die Landoffice zu gehen, mir das freie Gouvernementsland

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zeigen zu lassen, und davon zu kaufen, was mir gut dünkt.

In diesem Augenblicke trat ein schwarzer Diener aus dem Hause und zeigte an, daß das Abendessen aufgetragen sei.

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Capitel 8.

Das Abendessen. - Besuch. - Bitte. - Der Salon. - Umwandlung. - Der Helfershelfer. - Gemischte Gesellschaft. - Entschuldigung. - Gute Absicht. - Verwendung für die Freunde. - Mißlungener Versuch.


Der Speisesaal, in den sich jetzt die Familie Dorst mit ihrem Gaste begab, war reich und mit Gold und Seide überladen decorirt, große bis zur Decke reichende Spiegel zierten die Wände und prachtvolle Blumenvasen, Uhren und Silbergefäße prangten auf Tischen und Consolen. Die vielen Kerzen eines mächtigen Kronleuchters, so wie die der auf den Tischen stehenden silbernen Armleuchter verbreiteten eine blendende Helligkeit durch den Saal, welcher mit den kostbaren Möbeln und den, um den Speisetisch stehenden, ganz in Weiß gekleideten schwarzen Bedienten den Eindruck von großem Reichthume machte.

Farnwald hatte zwischen der schönen Doralice und ihrer Mutter Platz genommen, während Herr Dorst ihm gegenüber saß.

»Es wird Ihnen dort oben noch immer sehr an gebildeter Gesellschaft mangeln,« sagte Dorst zu seinem

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Gaste, »das ist eine große Entbehrung an der Frontier. Die mächtigeren und reicheren Familien finden sich in der Regel erst dann ein, wenn die gesetzlichen Zustände mehr geregelt sind.«

»Nun, es wohnen doch schon viele recht gebildete Familien in unserer Gegend, sowohl in dem Städtchen als auch auf dem Lande,« antwortete Farnwald.

»Wer sind denn zum Beispiel die einflußreichsten Personen in Ihrer Nachbarschaft?«

»Es wohnt eine Madame Blanchard in meiner Nähe, die Wittwe eines sehr wohlhabenden Plantagenbesitzers, welche mit ihren Kindern an Bildung, feinem Benehmen und rechtlicher Denkungssweise wohl nicht leicht Jemandem nachsteht.«

»Blanchard; ja wohl, ich habe den Namen nennen hören; sie hat auch Söhne?«

»Zwei sehr elegante, hoffnungsvolle junge Männer, die zu den Besten in unserer Gegend gezählt werden können. Außerdem ist die Familie des County Clerks, Herrn Barry, eine höchst anständige, so wie mehrere andere in dem Städtchen wohl darauf Anspruch machen können, eine feine Erziehung genossen zu haben.«

»Das mag sein, es fehlen ihnen jedoch die Mittel, um auch anständig leben zu können, und das gehört doch mit dazu. Hier bei uns haben sich die gesellschaftlichen Zustände schon ganz leidlich gestaltet; wir sind

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selten einen Abend ohne Besuch und es wundert mich, daß sich nicht schon einige unserer Freunde eingefunden haben.«

»Sind Sie ein geborener Amerikaner, Herr Farnwald?« fragte Madame Dorst, »Sie haben mehr das Wesen eines Ausländers.«

»Ich bin Europäer, in Deutschland liegt meine Heimath, doch ich habe diese schon seit vielen Jahren verlassen.«

»Leben denn dort noch nahe Angehörige von Ihnen? «

»Nur eine geliebte Schwester,« antwortete Farnwald.

»Es ist hart sich von den Seinigen trennen zu müssen,« sagte die Dame mit einem Seufzer.

»Warum haben Sie denn aber die Schwester nicht bei sich, ist sie verheirathet?« fragte Doralice.

»Das nicht, mein langjähriges, gefahrvolles, einsames Leben an der Grenze der menschlichen civilisirten Gesellschaft berechtigte mich nicht dazu, sie aus dem Kreise ihrer Freundinnen, aus gewohnten Verhältnissen heraus zu reißen und meines eignen Vortheils halber in ß meine wilde neue Heimath zu versetzen.«

»Sie haben einen bedeutenden werthvollen Strich Landes, haben sich vor einiger Zeit ein schönes Haus gebaut und wissen, wie ein Gentleman leben muß. Schaffen Sie sich bald eine Frau an, Herr Farnwald;

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denn, sich auf Sklaven verlassen zu müssen, gewährt auf die Dauer kein angenehmes Leben,« sagte Dorst und fügte dann noch lächelnd hinzu: »Sie sehen, ich bin genau über Sie unterrichtet.«

Die größtentheils kalten Speisen waren gewählt und ungewöhnlich schmackhaft bereitet, der Wein war vortrefflich und beim Dessert wurde Champagner herumgereicht.

»Nun, Doralice, heiße unsern Gast mit einem Glase Champagner willkommen; Herr Farnwald, auf Ihr Wohlsein und auf dauernde Freundschaft,« sagte Dorst; man verneigte sich gegenseitig und leerte die schaumgefüllten Gläser.

Die offenen großen Flügelthüren, welche nach dem Garten hinter dem Hause zeigten, ließen den süßen Duft der dort prangenden herrlichen Blumen, der Orangen- und Citronenblüthen mit der wohlthuend kühlen Nachtluft einströmen, die Nähe der reizenden Nachbarin und der seit vielen Jahren entbehrte sprudelnde Wein wirkte begeisternd auf Farnwald.

Ein Diener trat ein mit der Meldung, daß mehrere Herren angekommen seien und unter der Veranda Platz genommen hätten.

»Ich will sehen, wer es ist,« sagte Dorst aufstehend und fügte, zu den Damen gewandt, noch hinzu: »Ihr

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kommt wohl mit Herrn Farnwald später nach dem Salon?«

Hiermit eilte er aus dem Zimmer, und auch Madame Dorst erhob sich, indem sie zu Farnwald sagte:

»Lassen Sie uns einen Gang durch den Garten machen, es ist dort jetzt sehr angenehm.«

Das neue Licht des Mondes warf nur erst einen matten Schein auf die üppigen Baum- und Gebüschgruppen, von denen die meisten in reicher Blüthe standen, doch leuchtete es hell genug, um die Massen von Rosen, Lilien und Nelken zu zeigen, welche die Beete zwischen jenen bedeckten.

»Sie haben hier einen ganz reizenden Wohnsitz,« sagte Farnwald zu seinen Gefährtinnen, indem er auf die geschmackvollen Anlagen des Gartens blickte.

»Und doch war es so viel schöner drüben in meinem geliebten Vaterlande, in Mexico,« antwortete Madame Dorst; »hier fehlen die hohen Gebirge und die reine leicht belebende Luft; dort kennt man keine Krankheiten, und hier herrschen die Fieber zu allen Jahreszeiten. Bei Ihnen wohl auch, Herr Farnwald?«

»Auch in der Gegend wo ich wohne, waren Krankheiten bisher selten, dagegen hatten wir desto mehr von den Indianern zu dulden,« erwiederte Farnwald.

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»O, diese Unmenschen sind es ja, die mich von meiner schönen Heimath fortgetrieben und die mir einen großen Theil von meinem Lebensglück geraubt haben!« sagte Madame Dorst und hob ihr Batisttuch zu ihren Augen auf.

»Ach, gute Mutter, gräme Dich nicht so sehr,« sagte Doralice, indem sie ihren Arm um deren Schulter legte und sich zärtlich an sie schmiegte; »die Hoffnung dürfen wir nicht sinken lassen.«

Madame Dorst schien sich in diesem Augenblicke gewaltsam von ihrem schmerzlichen Andenken losreißen zu wollen, sie holte tief Athem, trocknete ihre Augen und sagte mit festerer Stimme:

»Es wird wohl Zeit, daß wir nach dem Salon gehen, Doralice, sicher erwartet man uns dort,« und nachdem sie den Eingang des Hauses erreicht hatten, fügte sie hinzu: »Gehe mit Herrn Farnwald voran, ich folge gleich nach.«

Die Tochter öffnete die nächste Thür und trat mit ihrem Begleiter in das große, hellerleuchtete Zimmer, in welchem sie jedoch noch keine Gesellschaft vorfanden.

Wie wenn Doralice diesen Augenblick erwartet hätte, wendete sie sich rasch zu Farnwald und sagte eilig zu ihm:

»Herr Farnwald, ich habe eine Bitte an Sie, durch deren Gewährung Sie mich sehr verpflichten würden;«

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dabei sah sie ihn so flehend, so unwiderstehlich an, daß er ihr Alles mit Freuden zugesagt haben würde.

»Alles will ich gern thun, was Sie wünschen, Fräulein; was ist es? nennen Sie es mir,« antwortete er überrascht.

»Versprechen Sie mir, daß Sie die Angelegenheit mit meinem Vater mit möglichster Vorsicht verhandeln wollen. Machen Sie ihm keine Vorwürfe über seine Handlung, die ihn bei seiner Reizbarkeit leicht aufbringen könnten. Sie würden sonst Ihren guten Zweck gänzlich verfehlen. Mit guten Worten und freundlichen Vorstellungen läßt sich am besten etwas von ihm erlangen und vielleicht gelingt Ihnen dann, seinen Sinn zu ändern, was meine Mutter und ich schon oft vergebens versucht haben. Nehmen Sie sich auch vor einem Herrn Morting in Acht und sagen ihm so wenig wie möglich. Versprechen Sie es mir?« sagte Doralice und hielt Farnwald ihre kleine Hand hin.

»Alles verspreche ich Ihnen, was Sie von mir fordern, Fräulein,« sagte Farnwald mit Wärme und Aufrichtigkeit, als die Thür sich öffnete und Madame Dorst, von einem Dutzend junger Männer begleitet, in den Salon trat, welche letztere sämmtlich auf die Tochter des Hauses zueilten, um derselben ihr Compliment zu machen, während Erstere sich im Sopha niederließ. In diesem Augenblicke schien Doralice eine Umwandlung

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erlitten zu haben; ihr ruhiger gefühlvoller Blick war strahlend und unstät geworden, ihre ungezwungenen doch natürlich eleganten Bewegungen hatten einer künstlich graziösen Haltung Platz gemacht, und statt der traulich freundlichen Sprache, mit der sie mit Farnwald verkehrt hatte, ließ sie in lebendiger Unterhaltung ihren Geist und ihren Witz nicht ohne eine gewisse Coquetterie glänzen. Von Einem zum Andern in der Gesellschaft wandten sich ihre Blicke, ihre Worte, ein jeder der anwesenden jungen Männer suchte ihr der Nächste zu sein und, so gut er es konnte, sich ihr bemerklich und angenehm zu machen. Immer noch traten neue Gäste ein, so daß binnen Kurzem gegen zwanzig Herren hier versammelt waren, in deren Bewerbungen um die Aufmerksamkeit und Gunst Doralices deutlich zu erkennen war, daß diese der Gegenstand sei, der sie hierher gezogen hatte. Die Gäste waren größtentheils junge Männer aus der nahen Umgegend, Farmers, Advocaten, Aerzte, auch Leute, die keine Art von Geschäft trieben und von denen man nicht wußte, woher sie das Geld zur Bestreitung ihrer Ausgaben nahmen. Doch gerade diese letzteren waren es, die am elegantesten gekleidet erschienen, während viele der Andern in Anzügen von selbst verfertigten Baumwollenzeugen, in rohen, nicht geschwärzten schweren Schuhen, mit ungefalteten Busenstreifen und geschmacklosen bunten Halstüchern

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dastanden. Alle wurden von Doralice gleich zufrieden gestellt, auf Allen ruhte ihr lächelnder aufmunternder Blick, Allen sagte sie einige angenehme Worte und in der That, ein Jeder hielt sich für den allein von ihr Bevorzugten.

Sie hatte jetzt den ergriffenen beredten Fächer auf das Piano gelegt, sich vor diesem niedergesetzt und entlockte demselben mit künstlerischer Meisterschaft bezaubernde Melodien, und ließ auch bald, zum höchsten Genusse der Anwesenden, ihre wunderbar liebliche Stimme im Liede ertönen.

Farnwald stand im höchsten Erstaunen da und blickte bald auf das schöne Mädchen, bald auf das bunte Gemisch ihrer Verehrer; er traute seinen Augen, seinen Ohren nicht, er glaubte nicht an die Möglichkeit, daß dies dieselbe Doralice sei, deren seelenvolles einfaches Wesen ihn noch vor Kurzem so unendlich entzückt hatte. Er stand seitwärts von dem Piano an die Wand gelehnt hinter den andern Gästen und hielt seine verwunderten Blicke unverwandt auf die Sängerin geheftet, als ihr Lied verstummte, ihre zarten Finger auf dem Instrumente süße nachhaltende Weisen hervorriefen, und sie selbst wie augenblicklich in Gedanken versunken, ihren Kopf beugte. Nach wenigen Augenblicken aber sah sie ernst und bedeutsam zu Farnwald hinüber, als wolle sie ihm sagen, wie wenig ihr am

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Beifall der Uebrigen gelegen sei, strich mit ihrer kleinen Hand über die Stirn und empfing mit anscheinend großer Genugthuung und Wohlgefallen die enthusiastischen Beifallsbezeugungen und Ergüsse höchster Bewunderung der Zuhörer.

Während dieser Zeit stand Dorst von dem matten Lichte des Mondes beschienen an einen Pfeiler der Veranda gelehnt und vor ihm saß auf dem zierlichen Geländer, welches die Pfosten mit einander verband, ein Mann von kaum dreißig Jahren, mit schwarzem krausem Haar, kleinen stechenden grauen Augen, fein gebogener Nase und einem unangenehmen hämischen Zug um den Mund. Er war groß und schlank und auf seiner hohen Stirn konnte man lesen, daß es keinen Schrecken, keine Gefahr gäbe, der er dieselbe nicht zeigen würde. Während er mit Dorst sprach, hielt er den Kopf gesenkt und blickte auf ein Taschenmesser, mit dem seine auf dem Knie ruhenden Hände spielten, indem sie dasselbe bald öffneten bald zudrückten.

»Ich sage Euch, Morting, dieser Farnwald hat sehr großen Einfluß auf die Leute dort Oben, und könnte uns sowohl bei den Gerichtsverhandlungen, als auch durch Aufmunterungen zur Gewalt sehr störend in den Weg treten; Ihr wißt, es ist dort noch halb und halb Frontier,« sagte Dorst zu seinem Gefährten.

»Sie machen sich unnöthige Sorgen, Dorst, wo

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man sogar das Gesetz auf seiner Seite hat, braucht man kein Bedenken zu tragen; wie viele Sachen haben wir durchgefochten, wobei uns auch nicht ein Schein des Rechtes zukam, und was die Gewalt anbetrifft, so wird es wohl so arg nicht damit werden.«

»Jedenfalls müssen wir suchen, Farnwald neutral zu machen, wenn wir ihn nicht auf unsere Seite bekommen können.«

»Die Sache ist ja nur ein Kinderspiel; Sie machen in einigen Wochen dem Herrn Swarton unter Begleitung des Scheriffs einen Besuch, um ihn selbst zum Verlassen des Landes aufzufordern und dann schicken Sie mich als Ihren Bevollmächtigten hin, um Besitz von dem Eigenthum zu ergreifen. Das weitere überlassen Sie mir.«

»Gutwillig räumen die Swartons uns nimmermehr ihre Besitzung ein, die Söhne sind desparate Charaktere und der Alte ist ein Mann von großer Energie. Es wird einen harten Tanz mit ihnen geben.«

»Wozu wir die Musik aufspielen; könnte nicht schaden, wenn sich einige von ihnen dabei zu Tode tanzten; an schnellem Takt soll es nicht fehlen. Es bleibt bei unserer Abrede: der Nutzen geht zwischen uns in gleiche Theile.«

»Versteht sich; wollt Ihr aber nicht mit in den Saal gehen, Morting? Ihr könntet Euch mit Farnwald

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bekannt machen und ihm auch ein paar angenehme Worte sagen. Schaden kann es nicht, wenn man gut mit ihm steht.«

»Mit Worten weiß ich wenig umzugehen, mit diesem Dolmetscher kann ich mich besser verständigen,« antwortete Morting und klopfte mit der Hand auf den silberbeschlagenen Griff eines schweren Messers, welches aus seiner Brust unter der Weste hervorsah.

»So geht wenigstens mit hinein, man erwartet mich im Saale.«

»Sie müssen mich entschuldigen, ich habe heute Abend noch Jemanden zu sprechen, der beinahe zwei Meilen von hier wohnt und da ist es Zeit, daß ich reite,« antwortete Morting, schritt mit einem »vergnügten Abend« durch den Blumengarten vor dem Hause zu den hohen Bäumen hin, unter welchen sein Pferd angebunden stand, schwang sich hinauf und ritt davon.

Dorst begab sich in den Saal, wo er sich bei den Gästen wegen seines langen Ausbleibens entschuldigte. Er ging von Einem zum Andern, pflog mit jedem von ihnen eine, der Persönlichkeit angepaßte kurze, aber freundliche Unterhaltung, und wußte sich ihnen Allen angenehm und höflich zu zeigen.

»Wie geht es, lieber Doctor,« fragte er einen, rothhaarigen jungen Mann in abgetragenem schwarzen

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Anzüge, dessen mit Taba[c]kssaft beschmutzter Busenstreif und zu beiden Seiten aufgerissener Stiefel zeigten, daß er seiner Toilette sehr wenig Aufmerksamkeit widmete, »was macht die Praxis?«

»Es ist Alles zum Verzweifeln gesund in der Gegend, wenn nicht manchmal einer ein Bein bräche, ein Dampfschiff in unserer Nähe in die Luft flöge, wodurch wir ein paar Patienten bekämen, oder die Bowiemesser unserer jungen Leute einen Halberstochenen in unsere Hände lieferten, so würden wir Aerzte bald an den Schenktischen unsern Credit verlieren. Ich habe wirklich eine so anhaltend schlechte Zeit hier noch nicht erlebt.«

»Ich habe Sie vor Kurzem mehreren meiner Freunde empfohlen, und von denselben die Zusage erhalten, daß sie sich bei vorkommenden Fällen an Sie wenden wollen. Da ist zum Beispiel der reiche S. am Wallnußbach, der es mir ausdrücklich versprochen hat und an dem Sie einen guten Kunden bekommen werden, denn er hat über vierzig Neger und wohnt wenigstens fünfzehn Meilen von Ihnen, so daß Sie ihm für ihre Ritte dorthin eine schöne Rechnung machen können. Wie viel ist Ihre Taxe für die Meile zu reiten?«

»Nun, je nachdem der Mann, von einem halben bis zu einem ganzen Dollar; dann berechne ich für eine

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Nacht bei dem Kranken zu sitzen zehn Dollar, für jeden einzelnen Besuch zwei Dollar und die Medicin extra. Das ist so billig, als irgend einer es thut,« antwortete der Jünger Aesculaps.

»Wie geht Ihr Geschäft?« fragte Dorst einen andern höchst elegant gekleideten, schwarzgelockten jungen Mann, der in seinem Benehmen zeigte, daß er sich viel in anständiger Gesellschaft bewegt hatte; »Sie sind wohl mit dem letzten Boot den Fluß heraufgekommen - war die Lese gut?«

»So, so, wir hatten ein paar grüne Ausländer unter der Scheere, die kaum eine Karte von der andern zu unterscheiden wußten. Sie haben uns ihre letzten Kröten hergeben müssen, so daß sie in R*** blank wie die Häringe ans Land stiegen. Ein paar tausend Dollar haben wir an ihnen verdient, aber es waren unserer Sechse, so daß die Portionen doch klein wurden,« antwortete der Spieler.

»Ihr habt bei dem letzten Gerichtstag in L*** eine glückliche Vertheidigung zu Stande gebracht,« sagte Dorst zu einem andern Mann von gutem Aeußern, einem Advocaten, »die ich gern mit angehört hätte, es thut mir leid, daß ich nicht zugegen sein konnte, aber ich wußte recht gut, daß es meines Einflusses nicht bedürfte, um das Urtheil nach Eurem Wunsche zu lenken.«

»Ja, ja, es war doch ein ziemlich zweifelhafter

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Fall, und hätte ich nicht zufällig unter den Sportsmen (Spieler), die gerade während der Verhandlung ankamen, noch ein paar Zeugen gefunden, die zu meines Clienten Vortheil schwuren, so wäre die Sache doch schief gegangen. Diese waren aber scharfe Gesellen, die man nicht so umständlich zu instruiren brauchte, was sie eigentlich bezeugen sollten; es waren Genies und, bei Gott, die Kerle schwuren so brav, daß ich ihnen selbst hätte glauben können. Der Mörder wurde freigesprochen und ich bekam drei tausend Dollar für meine Bemühungen.«

»Nun, ein hübscher Verdienst für einige Stunden Arbeit.«

»O ja, aber die Zeugen haben mich an fünfhundert Dollar gekostet. Uebrigens wäre ich zufrieden, wenn nur jede Woche einen solchen Fall in meine Praxis brächte; die Leute hier in der Gegend fangen aber schon zu sehr an, sich zu civilisiren.«

»Vater und Mutter sind doch wohl?« redete Dorst einen jungen Pflanzersohn an, der in einem Rocke von zweifelhafter Farbe, von zu Hause verfertigtem Baumwollenzeug, so wie schweren, nicht geschwärzten Schuhen dastand und die Häude verlegen aus einer Tasche in die andere steckte.

»Danke, Herr Dorst, sie sind Alle wohl, nur die schwarze Kuh war uns gestern krank geworden, so daß

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wir glaubten, sie würde drauf gehen, aber sie hat sich wieder herausgemacht und Lissy, meine kleine Schwester, hatte sich beim Seifekochen die Hand verbrannt, sonst ist die ganze Familie gesund.«

»Wie steht denn der Mais bei Ihnen, hat das trockene Wetter nicht geschadet?«

»Doch nicht, wir hatten ihn sehr früh gelegt, so daß die Pflanzen stark genug waren, als die Trockenheit eintrat. Auch unsere Baumwolle steht schön.«

»Sagen Sie Ihrem Vater, daß, wenn er einmal Hülfe in der Arbeit nöthig habe, ich ihm gern ein paar Neger zusenden würde. Da fällt mir ein: erinnern Sie ihn doch, daß in kommender Woche meine Angelegenheit gegen die Wittwe M. vor Gericht vorkommt, in der ich Ihren Vater bat für mich zu zeugen; er erinnerte sich der Sache nicht genau, sagen Sie ihm, ich käme dieser Tage hinüber, um ihn zu instruiren.«

»Nur Hoffnung, Fräulein Doralice, es ist Alles, was ich von Ihnen erflehe, nur die leiseste Hoffnung, daß ich mir Ihre Gunst erwerben kann!« flüsterte ein junger Plantagenbesitzer von vornehmen Aeußern dem schönen Mädchen zu, indem er ihr sehnsüchtig in die großen dunkeln Augen sah.

»Wozu Hoffnung für etwas, was Sie schon besitzen? Wir zählen Sie ja zu denen, die wir unsere

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besten Freunde nennen,« antwortete Doralice, indem sie ihren Blick theilnehmend auf dem jungen Manne ruhen ließ.

sagte ein anderer junger Mann lachend und mit einem hämischen Seitenblick auf den Verliebten, indem er zu Doralice getreten war und ihre Unterhaltung überhört hatte.

antwortete diese dem zudringlichen Redner und wendete sich wieder zu ihrem Anbeter.

»Sind die Swartons denn wirklich so biedere Menschen, wie Sie sagen, Herr Farnwald?« fragte Madame Dorst diesen, der neben ihr im Sopha saß, »ich habe gehört, es sei eine wilde wüste Familie, mehr den Indianern, als civilisirten Menschen ähnlich.«

»Es sind brave, arbeitsame, liebevolle Leute, hülfreiche treue Nachbarn und gottesfürchtige Christen, die

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ihren Mitmenschen alles Gute gönnen und gern dazu beitragen, deren Glück zu fördern.«

»Ach, hätte Dorst das Land doch nicht gekauft! Er selbst wäre auch nie darauf gekommen, wenn nicht ein gewisser Morting ihm das Geschäft für gemeinschaftliche Rechnung angetragen hätte; doch jetzt fürchte ich, ist es zu spät, ihn davon abzubringen. Sehen Sie zu, Herr Farnwald, was Sie im Guten bei ihm ansrichten können, im Bösen erreichen Sie sicher nichts. Auch ich will mein Möglichstes versuchen, obgleich ich keine Hoffnung mehr hege, ihn von der Ausführung seines Vorhabens abzuhalten. Morting hat zu großen Einfluß auf meinen Mann und giebt nicht leicht einen Vortheil auf, der ihm einmal in Aussicht steht.«

»Ich werde alles thun, um Herrn Dorst von einer Handlung abzuhalten, die eine glückliche, rechtschaffene Familie, wie die Swartons ist, ins tiefste Elend stürzen und ihm selbst nur Vorwürfe und Gewissensbisse bereiten würde. Wollen Sie mich dabei unterstützen, so thun Sie ein gutes Werk, Madame Dorst, wofür viele dankbare Herzen Sie in ihre Gebete einschließen werden,« antwortete Farnwald, als Dorst auf ihn zutrat und sich auf einen Stuhl neben ihm niederließ.

»Sie sehen, Herr Farnwald, an Besuch fehlt es uns nicht, wir haben viele Freunde in unserer Nähe wohnen, unter denen Sie manche recht angenehme Bekanntschaft

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machen werden. Ich hoffe und wünsche, daß Sie recht lange bei uns verweilen mögen.«

»Leider gestatten meine Verhältnisse es mir nicht, lange vom Hause abwesend zu sein, doch einige Tage werde ich gern von Ihrer Gastfreundschaft Gebrauch machen.«

»Sobald lassen wir Sie nicht wieder von uns weg, Sie müssen sich unsere Umgegend in Augenschein nehmen, wobei Sie meine Tochter, die eine tüchtige Reiterin ist, führen wird; ich will Ihnen meine Ländereien, meine Pferde, meinen Viehstand zeigen, und wenn Sie mit uns einige unserer Nachbarn besuchen, so werden sich diese eben so wie wir selbst freuen, Sie bei sich zu sehen.«

Der Abend schwand unter verschiedenartigster Unterhaltung und die große bronzene Stehuhr vor dem Wandspiegel schlug eilf, als die Gäste sich den Damen empfahlen und von Herrn Dorst begleitet, hinaus durch den Blumengarten zu ihren unter den hohen Bäumen befestigten Pferden gingen, um ihren Heimweg anzutreten.

Farnwald und Doralice folgten ihnen bis unter die Veranda, während Madame Dorst sich aus dem Saale begab, um noch nach häuslichen Angelegenheiten zu sehen.

Farnwald, so wie Doralice, standen eine Weile

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neben einander und blickten den Gästen nach, ohne zu reden; ihm war das Mädchen während des Abends doch anders erschienen, als bei der ersten Begegnung und der wohlthuende Eindruck, den sie so bestimmt auf ihn gemacht hatte, war jetzt verworren und undeutlich; mit dem ruhigen, ungekünstelten Wesen, mit dem sie nun wieder vor ihm stand, konnte er ihre glänzend strahlende Erscheinung in dem Salon nicht gut in Einklang bringen. Doralice fühlte wohl, daß Farnwald über ihren Charakter in Zweifel gesetzt sei und erkannte in seinem Schweigen einen Vorwurf, der sie unangenehm berührte.

»Herr Farnwald, ich bin Ihnen wohl eine Aufklärung schuldig,« sagte sie nach einer Weile zu diesem, »Ihre Verwunderung über mein Benehmen in dem Salon ist mir nicht entgangen und doch stand es nicht in meiner Macht, mich vor den Zweifeln, die ich in Ihnen dadurch über mich hervorrufen mußte, zu bewahren, so gern ich es auch gethan hätte. Nachdem Sie gesehen, wie ich ohne Herz, ohne Gefühl, beides auf meinen Lippen habe spielen lassen, wie ich Interessen zur Schau getragen, von denen Sie überzeugt sein mögen, daß auch nicht der Schein davon in mir lebt, müssen Sie mich für ein herz- und gefühlloses eitles Wesen halten. Hätte ich dieses fade Spiel zu meinem eignen Vergnügen, zu meinem Zeitvertreib getrieben,

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so wären Sie berechtigt, den Stab über mich zu brechen, so aber, da ich es nur nach dem Wunsche und zum Nutzen eines andern aus Gehorsam gethan habe, mögen Sie mit Ihrem Urtheil wenigstens so lange zurückhalten, bis Sie sich überzeugt haben, daß es nur eine häßliche, mir widrige Maske sei, die mir heute Abend vorgebunden war. Nur um dem Wunsche meines Vaters zu entsprechen, ist es mir möglich geworden, Gäste, wie Sie sie heute um mich versammelt sahen, mit anscheinender Wärme und Theilnahme zu behandeln, wenn sich mein Gefühl auch noch so sehr dagegen sträubt und ich mir selbst verächtlich dadurch erscheine. Mein Vater ist in unendlich viele wichtige Angelegenheiten verwickelt, die es ihm nothwendig machen, zahlreiche Freunde und Anhänger in der Umgegend zu besitzen, um durch sie jene Interessen fördern zu können. Durch Eingehen in meines Vaters Willen habe ich großen Einfluß auf ihn und vermag es häufig meine Wünsche für gute Zwecke bei ihm durchzusetzen. Ich glaube, daß Sie in diesem Grunde zu meinem Benehmen wenigstens eine Entschuldigung für dasselbe finden werden, wenn ich auch nicht erwarte, daß Sie dadurch rechtfertigen, was ich darin selbst verdamme.«

»Ich danke Ihnen, Fräulein Doralice, von Grund meines Herzens für diese Aufklärung, denn die Veränderung in Ihrem Benehmen war mir schmerzlich

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wahrzunehmen und trübte Ihr schönes Bild, welches Sie meiner Seele eingeprägt hatten. Sie bedürfen keiner Entschuldigung weiter, gebrauchen Sie aber die Maske so selten als möglich, sie steht Ihnen nicht gut und bleibt ein gefährliches Spielzeug.«

»Ich werde sie nie wieder benutzen, wenn Sie vergessen wollen, daß ich sie jemals getragen habe,« antwortete Doralice und bot Farnwald, wie zu einem Friedensschluß, ihre kleine Hand.

»Bleiben Sie nur Sie selbst, Fräulein Doralice,« antwortete Farnwald freudig, indem er die Hand des reizenden Mädchens ergriff.

»Sagen Sie mir aufrichtig, Herr Farnwald, was für Leute sind die Swartons, die auf meines Vaters Lande wohnen? man hat mir gesagt, sie seien halbe Indianer, sie bebauten dasselbe nicht und würden sich auf jedem andern Stück Gouvernementsland eben so glücklich fühlen.«

»Die Familie Swarton ist eine der biedersten und geehrtesten in unsrer Gegend, und wollte Ihr Vater sie wirklich von Ihrem Eigenthume vertreiben, so würde er sich nicht allein den Tadel und die Verachtung aller derer, die jene kennen, zuziehen, sondern auch sein Leben in die größte Gefahr bringen. Denn die Swartons sind zwar fromme, brave Menschen, doch sind die Söhne, an der Frontier erzogen, von Jugend auf gewohnt gewesen,

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selbst über Recht und Unrecht zu entscheiden, und niemals durch gesellschaftliche Verhältnisse genöthigt worden, ihre Gefühle, ihre Leidenschaften zu bemeistern. Gereizt sind sie gefährlich, und zur Verzweiflung gebracht, würden sie keine Grenzen ihrer Wuth kennen. Unter großen Gefahren und Entbehrungen, mit rastloser Thätigkeit und Ausdauer hat die Familie sich ihre jetzige bequeme und werthvolle Heimath gegründet; ob sie derselben beraubt und von ihr durch einen Fremden vertrieben, nicht zur Verzweiflung gebracht würde, werden Sie selbst am besten beurtheilen können,«

»O Gott, Herr Farnwald, lassen Sie uns versuchen, den Vater davon abzubringen; solcher Erwerb würde ihm keinen Segen geben. Ich beschwöre Sie aber, nicht zu vergessen, was Sie mir versprochen haben: vermeiden Sie dabei jedes böse Wort; mein Vater verträgt keinen unfreundlichen Widerspruch. Stellen Sie ihm vor, in welche Noth er die Leute bringen würde, sagen Sie ihm, daß es gottesfürchtige, brave Menschen seien, nur sprechen Sie nicht von Unrecht, von Gefahr, denn weder das eine noch das andere wird er anerkennen, Mutter wird auch mit ihm reden und ich will sehen, was ich selber über ihn vermag, nur hoffe ich wenig davon, denn Morting ist dabei betheiligt und er ist ein herzloser niedrigdenkender Mensch. Da kommt Vater, lassen Sie ihm nicht bemerken, daß

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wir davon sprachen,« sagte Doralice, als Dorst zu ihnen unter die Veranda trat.

»Jetzt, Herr Farnwald, wollen wir in Ruhe noch eine Cigarre zusammen rauchen und ein wenig plandern,« sagte er zu seinem Gaste, indem er ihm die Cigarrendose hinhielt. Doralice küßte ihren Vater, empfahl sich Farnwald mit einem bittenden Blick, als wolle sie ihm die Verabredung noch einmal recht dringend aus Herz legen und jene ließen sich, während sie in das Haus ging, auf Stühlen unter der Veranda nieder.

Sobald Farnwald mit Dorst allein war, trat der alleinige Zweck seines Hierseins wieder mit Gewalt vor seine Seele, und er beschloß, mit aller Energie einen Versuch zur Rettung seiner Freunde zu machen. Zugleich aber stand das Bild der lieblichen Doralice besänftigend vor ihm und wehrte den Groll, die Erbitterung von seinen Worten ab, die der Gedanke an die mißhandelte Familie Swartons ihm aufdrängte.

»Herr Dorst, lassen Sie uns ruhig über die Ursache meines Hierseins reden, ich glaube es wird sowohl zu Ihrem Besten, als zu dem meiner Freunde sein,« sagte Farnwald mit freundlichem Tone zu jenem.

»Lassen wir jetzt die Sache auf sich beruhen, lieber Herr Farnwald, es führt ja zu keinem Ziele, Sie können mich nicht von meinem Unrechte und ich Sie nicht von meinem Rechte überzeugen. Wir sind beide parteiisch,

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ich durch den gemachten Gewinn und Sie durch Ihre freundschaftlichen Beziehungen zu Swartons, und weder ich, noch Sie wollen diese Interessen aufgeben. Lassen Sie uns nicht weiter über diese Angelegenheit reden. Ich bin froh, daß ich Sie einmal unter meinem Dache bewirthen kann und bitte Sie: verderben Sie mir diese Freude nicht durch das Verhandeln unangenehmer Geschäftssachen.«

»Herr Dorst, ich gestehe es Ihnen offen, ich bin mit ganz anderer Ueberzeugung gegen Sie hierher gekommen, als ich augenblicklich hege. Ich habe mir Sie als einen herzlosen, eigennützigen und harten Mann gedacht, während ich das Gegentheil in Ihnen gefunden zu haben glaube und Sie von einer Familie, von Verhältnissen umgeben sehe, die andere edlere Gefühle und Eigenschaften, als ich sie bei Ihnen unterstellte, voraussetzen lassen. Denken Sie sich lebhaft in die Lage der unglücklichen Swartons, denken Sie, daß ein Fremder Sie hier von diesem Ihrem schönen Besitzthum treiben, Sie mit Ihrer Familie dadurch der Armuth und der Noth Preis geben wollte und ich bin überzeugt, Sie stehen ganz von Ihrem Vorhaben ab.«

»Im Gegentheil, ich würde nur fragen, ob der Fremde das Recht dazu habe, und ob ich ihm dies Recht durch meine eigne Schuld gegeben hätte. Wäre dies der Fall, so würde ich mein Eigenthum ruhig verlassen

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und künftig vorsichtiger zu Werke gehen; wäre es aber nicht der Fall und es wollte mich Jemand gegen alles Recht daraus verdrängen, so würde ich ihm eine Kugel durch den Kopf jagen.«

»Und wenn Ihnen nun auch wirklich das Gesetz erlaubt, jenes Land zu Ihrem Eigenthum zu machen, halten Sie es denn für gerecht, die Leute, die erst durch langjährige mühevolle Arbeiten jenem Lande den jetzigen Werth gegeben haben, ohne irgend eine Entschädigung um den Genuß ihres Besitzes zu bringen, wird Ihnen denn das Elend, in welches Sie jene stürzen, nicht immer ein Vorwurf sein, glauben Sie, daß Ihnen das Geld, was Sie dadurch verdienen, Segen bringen würde? Gehen Sie wenigstens einen Vergleich mit den Unglücklichen ein.«

»Herr Farnwald, Sie sind kein Amerikaner, sonst würden Sie, wie wir es thun, Geschäft von Privat-Beziehungen trennen; im Geschäft kennen wir keine Rücksichten; da heißt es, die Augen oder den Beutel aufgethan.«

»Aber Herr Dorst, Sie kennen die Swartons nicht, Sie wissen nicht, daß es treffliche, brave Menschen sind, die lieber selbst dulden und darben würden, ehe sie Jemanden ein Leides zufügten. Haben Sie wenigstens Erbarmen mit ihnen, machen Sie sie nicht arm und heimathlos.«

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»Ich sehe nicht ein weshalb? sie können ja etwas weiter hinausziehen und sich neu anbauen, dort giebt es ja noch so viel Land, als man wünschen kann. Ihr Vieh, die Pferde und alles bewegliche Eigenthum bleibt ihnen und bald können sie sich eine neue Heimath gründen.«

»Wem der Himmel einmal beim Ansiedeln in der Wildniß gnädig gewesen ist und ihn und die seinigen gegen die vielen ihm dort drohenden Gefahren beschützt hat, der wird es nicht zum zweiten Male versuchen, es würde das Glück, das Schicksal geradezu herausfordern heißen. Bedenken Sie, daß die Swartons Frontiermänner sind, daß sie Jahre lang gewohnt waren, sich selbst Recht zu verschaffen, daß Sie dieselben zur Verzweiflung bringen würden und daß solche Leute, wenn auch sonst harmlos und gottesfürchtig, in ihrer Verzweiflung, in ihrer Wuth gefährlich sind. Herr Dorst, Sie haben auch einmal an der Grenze der Indianer gewohnt und, wie Madame Dorst mir andeutete, hat sie dort einen Theil von ihrem Lebensglücke durch die Wilden verloren; nöthigen Sie eine glückliche Familie nicht, sich nochmals solchen Schrecken, solchen Gefahren auszusetzen.«

Die Züge Dorsts, auf denen das Mondlicht lag, verfinsterten sich bei diesen Worten, seine schwarzen Brauen zogen sich zusammen, und, mit seinen Gedanken in eine trübe Vergangenheit versunken, blickte er

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schweigend vor sich hin, als Farnwald in mildem Tone fortfuhr:

»Machen Sie mich zum Vermittler zwischen Ihnen und Swartons, nennen Sie mir die Abfindungssumme, wogegen Sie Ihre Ansprüche auf das Land aufgeben wollen und lassen Sie mich die Genugthuung erlangen, Sie beide vor großem Unglück bewahrt zu haben.«

Es war augenscheinlich ein Kampf in dem Innern Dorsts vorgegangen, durch die Erinnerung an einen harten Verlust war es Farnwald wirklich gelungen, die mildern, edleren Gefühle, die in jedes Menschen Herzen wohnen, für einen Augenblick aus ihrem Todesschlafe zu wecken und ihn die ganze Größe des Elends erkennen zu lassen, welches er im Begriff stand, über die Familie Swarton zu verhängen; doch das Erwachen dieser schlafgewohnten Gefühle dauerte nur einen Augenblick, dann trat der Eigennutz, die Rücksichtslosigkeit gegen Alles, was nicht in seinem Geldinteresse lag bei Dorst um so stärker wieder auf, und sich im Stuhle zurücklehnend, sagte er:

»Herr Farnwald, ich bitte Sie ein- für allemal, diese Angelegenheit nicht weiter zwischen uns zur Sprache zu bringen, da es doch zu keinem erwünschten Ziele führen kann. Ein Mann muß selbst wissen, was er zu thun hat; Einmischung und unberufener Rath eines Fremden ist mindestens eine Unterschätzung der selbstständigen

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Einsicht des andern und keinenfalls ein Compliment für ihn. Zeigen Sie mir, daß Sie fern von der Befangenheit der meisten Leute sind, die meinen, es müßte sich Jedermann ihrer Ansicht fügen. Sie sind mir ein lieber Gast, auf dessen Bekanntschaft ich mich lange gefreut habe, wir wollen uns wegen einer Meinungsverschiedenheit nicht entzweien, die in dieser Sache zwischen uns besteht und die in keiner Weise zu ändern ist. Man kann befreundet sein, ohne gerade über alle Sachen gleich zu denken.«

Farnwald erkannte nur zu deutlich, daß es gänzlich umsonst sein würde, augenblicklich weiter ein Wort zu Gunsten seiner Freunde zu sagen, er sah ein, daß dadurch das gute Vernehmen, welches zwischen ihm und Dorst angebahnt war, alsbald gestört und dadurch der Angelegenheit Swartons nur geschadet werden würde. Es blieb ihm nichts übrig, als mit Doralice und deren Mutter ausführlich zu verabreden, in welcher Weise diese am besten auf Dorst nach Wunsch einwirken könnten. Er berührte daher den Gegenstand nicht weiter, und ließ sich von Dorst, nachdem noch eine Weile von andern gleichgültigen Dingen die Rede gewesen war, zu seinem Schlafgemach geleiten, welches an dem Ende des Hauses lag und nach dem Garten hinter demselben zeigte.

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Capitel 9.

Die Harfe. - Blumenpflücken. - Der Schattenumriß. - Dringende Vorstellung. - Hartherzigkeit. - Ein Andenken. - Der Auftrag. - Der Spazierritt. - Die gelähmten Stuten. - Der biedere Sklavenbesitzer. - Die Neger. - Zuneigung. - Verändertes Betragen. - Das Versprechen.


In großer Aufregung und ängstlicher Besorgniß für die unglücklichen Swartons ging Farnwald lange im Zimmer auf und nieder und warf sich zuletzt, da der Schlaf fern von ihm blieb, in den am offenen Fenster stehenden Schaukelstuhl.

Die Nacht war reizend, das Mondlicht lag mild und friedlich auf den blüthenreichen Baum- und Gebüschgruppen des Gartens vor ihm, die Blitze der leuchtenden Insekten sprühten durch deren tiefe Schatten und die unbewegte Luft war mit dem süßen Wohlgeruch der Blumen gefüllt, die, durch die Kühle der Nacht erfrischt, ihren Duft stärker aushauchten. Alles umher war still. Farnwald hatte sich in das Fenster gelegt, um die gewürzige erquickende Luft freier einzuathmen, als plötzlich der volle wogende Ton eines Saiteninstruments erklang. Ueberrascht lauschte er nach der Seite des Gebäudes hin, von welcher her der Ton gezogen kam. In ernsten

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schwermüthigen Accorden rauschten die zauberischen Klänge durch die Stille der Nacht, bald schmelzend und klagend, bald gewaltig und stürmisch und erfaßten Farnwalds Gemüth, wie Worte aus einer vergangenen glücklichen Zeit. Die Jahre seines Lebens in der Wildniß hatten ihm solche Töne fremd werden lassen, um so gewaltiger, um so tiefer drangen sie jetzt in seine Seele und zogen ihn mit unwiderstehlicher Macht an; er schwang sich aus dem niedrigen Fenster, eilte dem Gebäude entlang nach der sich an dessen Ende anschließenden Veranda und stand in wenig Augenblicken an einem ihrer, mit blühenden Lianen umrankten, Pfeiler der offnen Glasthür gegenüber, aus der die Zaubertöne hervordrangen. Da saß Doralice vor ihm in dem Zimmer, von dem milden Lichte einer über ihr hängenden alabasternen Ampel beschienen; sie hatte ihren schwarz umlockten Kopf gegen die prächtige Harfe geneigt, die sie vor sich hielt und ließ, wie in Träume versunken, ihre zarten schneeigen Finger über die Saiten auf- und niedergleiten. Wie ein Nebelhauch umgab ein weißes luftiges Gewand ihre schönen Formen und fiel in weiten Falten seitwärts über den purpursammtnen Sessel, auf dem sie ruhte, während hinter ihr in einer Vertiefung der Wand ein, aus weißem Marmor gehauener, betender Engel über ihrer Schulter sichtbar wurde und sein Gebet mit ihren wunderbar ergreifenden Accorden zu vereinigen schien.

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Farnwald stand, wie festgebannt in dem über ihm zitternden Schatten der Blüthenranken, er hielt den Athem zurück, um seine Gegenwart nicht zu verrathen, und um den Zauber nicht zu zerstören, der das schöne Mädchen umgab; auf und nieder wogten die himmlischen Töne und stärker und lauter klopfte das Herz des Lauschers.

Da erhob Doralice ihr Engelsgesicht, richtete ihre seelenvollen Augen nach Oben, griff gewaltiger in die Saiten, und von deren mächtigen Accorden getragen, erklang jetzt ihre süße melodische Stimme im Liede. Der Liebe Zauber, der Liebe Sehnsucht galten ihre klagend schwärmerischen Weisen, Farnwalds ganze Seele ward von ihnen ergriffen, er glaubte sich der Erde entrückt, eine schönere Welt hatte sich vor ihm aufgethan und eine unsichtbare Macht zog ihn hin zu der Göttin dieses Himmels, um zu ihren Füßen niederzusinken; da verklang das Lied, Doralice neigte ihre Stirn gegen die Harfe, und ihre kleinen Hände fielen in ihren Schooß.

Farnwald preßte die Hand fester gegen seine Brust, drückte sich tiefer zwischen die duftenden Blüthen der Lianen, und stand wie eine Bildsäule gegen den Pfeiler gelehnt, da die leiseste Bewegung die Aufmerksamkeit des holden Mädchens auf ihn ziehen konnte. Nun strich sie, wie aus einem Traume erwachend, mit der Hand über die Stirn, erhob sich, stellte das Instrument seitwärts

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an die Wand und trat dann mit unhörbarem Schritt unter die Veranda hinaus an die andere Seite des Pfeilers, an dem Farnwald sich in dessen beschattendem Laube verborgen hielt. Sie brach Blumen aus den üppigen Ranken, während jener kaum zu athmen wagte und von Augenblick zu Augenblick fürchtete, daß er verrathen sein würde; doch die schöne Doralice ging mit den Blumen in ihr Zimmer zurück, stellte sie in ein Glas mit Wasser auf den Tisch unter den Spiegel, und schloß die Glasthür, deren Fenster inwendig mit dichten weißen Vorhängen bedeckt waren.

Farnwald konnte sich aber von der Nähe des reizenden Mädchens noch nicht trennen, er blieb, an den Pfeiler gelehnt, stehen und blickte auf die Glasfenster, die jetzt heller beleuchtet wurden, da Doralice das Licht der Ampel ausgelöscht und eine Wachskerze angezündet hatte, wie ihr flüchtig an den weißen Vorhängen vorübergleitender Schatten verrieth, Farnwald blickte dem Schatten sehnsuchtsvoll nach, es war ja ihr Bild, wenn auch in verschwommenen Außenlinien, es waren ja ihre Formen, wenn auch undeutlich und durch die Falten der Vorhänge verzogen. Lange stand er und hielt seine Blicke auf die helle Fläche gerichtet, als endlich die Form ihres schönen Arms sich im Schattenumriß auf derselben zeigte, und im Augenblicke nachher das Licht erlosch. Farnwald fühlte sich in ihre Nähe festgebannt;

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träumerisch glaubte er immer noch die wunderlieblichen Töne ihres Liedes zu vernehmen, immer noch ihre luftige Gestalt an die Harfe gelehnt zu sehen, und so stand er noch, auf die dunkeln Glasscheiben blickend, als der Mond versunken war und der Thau die Ranken feuchtete, die seine Schläfe umhingen. Dann eilte er nach seinem Zimmer zurück und suchte sein Lager, doch Schlummer fand er erst, als der Morgen graute. auch Dorst fand heute die Ruhe ungewöhnlich spät, auch ihn hielten aufgeregte Gefühle, wenn auch anderer Art als die Farnwalds, vom Schlafe ab.

Als er diesen seinen Gast nach dessen Zimmer begleitet hatte und an der andern Seite des Hauses in das seinige trat, saß Madame Dorst, gegen ihre Gewohnheit so spät, vor dem Toilettentische mit Ordnen ihres schönen schwarzen Haares beschäftigt und blickte in dem Spiegel vor sich ihrem Gatten entgegen, als dieser die Thür hinter sich schloß.

»Du bist noch auf, Rosarda?« sagte er zu seiner Frau, indem er sich nachlässig in den weiten Armstuhl neben dem Toilettentische niederließ, die Füße kreuzte und ein großes silberbeschlagenes Messer mit rother lederner Scheide unter seiner Weste hervorzog und auf den Tisch niederlegte, »ich glaubte Du seiest längst zurRuhe gegangen.«

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»Es war so drückend warm und dann beunruhigte mich die Angelegenheit, weshalb unser Gast hierher gekommen ist, so daß ich mich nicht schlafen legen konnte, ehe ich mit Dir darüber geredet haben würde. Herr Farnwald erwiederte mir auf meine Frage: was für Leute die Swartons wären, daß sie sehr biedere, gottesfürchtige und gebildete Menschen seien, die durch Deinen Ankauf ihres Landes in das tiefste Elend und zur Verzweiflung gebracht werden würden. Du aber sagtest mir, es seien halbe Indianer.«

»O Thorheit, Rosarda, wie kannst Du Dich nur einen Augenblick mit solchen Grillen plagen, was versteht ihr Weiber denn von Geschäftssachen? Bleibt doch nur bei euren Haus- und Küchenangelegenheiten, und macht euch durch Einmischen in die Sachen der Männer keine unnöthigen Sorgen,« antwortete Dorst, indem er eine Wolke Cigarrendampf in die Höhe blies und nach der Decke hinaufsah.

»Dasselbe hast Du mir einst gesagt, John, als ich Dich so flehentlich bat, mit mir und Deinen Kindern von der Grenze der Indianer wegzuziehen; Du belachtest meine Furcht, die Todesangst, die ich um meine Kleinen hatte, Du verspottetest die ohnmächtige Wuth der Wilden, denen Du das Land genommen hattest, und womit haben wir unsern frevelhaften Uebermuth bezahlt? John! John! wir haben noch ein Kind, Deine Gattin

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hat noch einen Mann zu verlieren!« jammerte die Frau und bedeckte ihr Gesicht mit ihrem Tuche.

»Das ist ja hier etwas ganz Anderes, Rosarda,« wir leben ja in einem Staate, in dem das Gesetz gilt und das Gericht über Recht und Unrecht entscheidet; die Sache führt ja einfach nur zu einer Klage und habe ich nach dem Gesetz gehandelt, so muß mich auch das Gesetz schützen.«

»Und wer schützt Dich gegen die Rache eines Menschen, den Du zur Verzweiflung brachtest, hören wir, lesen wir nicht täglich von Selbsthülfe, wenn das Gesetz dem Unrechte die Hand geliehen hat? Du bist im Unrecht, John, Du willst mit dem Gesetze in der Hand um ein Paar schnöder Dollar willen eine brave Familie ins Unglück stürzen und vergissest, daß Du Dein und unser Aller Leben auf das Spiel setzest. O John, ich beschwöre Dich, lasse ab von diesem unglücklichen Vorhaben, wir besitzen ja unendlich viel mehr als wir bedürfen, laß es uns in Ruhe und Zufriedenheit genießen; Du hast ohnedem schon viele Feinde und Neider.«

»Feinde? Nein, aber Neider! ich will lieber Neider, als Mitleider haben, und der Feinde lache ich. Höre Frau, thue mir nun den Gefallen und kümmere Dich ferner nicht um meine Geschäftsangelegenheiten, Du weißt es, daß ich mir keine Vorschriften machen lasse, warum also unsern häuslichen Frieden stören, wodurch

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doch nichts Gutes bezweckt wird? Was ich thun will, thue ich doch!«

»Ach John, höre mich, gedenke unseres theuren Sohnes, unseres lieben schönen Fernandos. Hättest Du damals meinen Bitten nachgegeben, so wäre er noch der Unsrige, so aber weiß nur Gott, was aus ihm geworden ist. Folge mir diesmal, meine Angst, meine Bangigkeit weissagt uns Schlimmes, das Unglück, welches Du über die harmlosen Leute bringen willst, wird sich gegen uns selbst kehren und zu spät, wie damals, wirst Du bereuen, wozu Dich Deine Gewinnsucht verleitete. Höre mich, mein geliebter Gatte, nur diesmal gieb meinem Flehen nach!« sagte Madame Dorst in größter Bewegung, ließ ihre losen Haare über Schulter und Brust fallen und warf sich weinend und schluchzend in ihres Mannes Arme. Dieser aber schob sie unsanft von sich, stand auf und verließ das Zimmer mit den Worten:

»Wenn Du zur Ruhe gegangen sein wirst, werde ich wieder kommen.«

Unter Schluchzen und unterdrückten Jammertönen sank die treffliche Frau auf ihr Lager, und noch netzten ihre Thränen ihr Kopfkissen, als Dorst schweigend zu ihr zurückkehrte und an ihrer Seite Ruhe suchte.

Die Glocke rief am andern Morgen zeitig die Familie und ihren Gast zum Frühstück. Farnwald

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trat in den Saal, Doralice kam ihm freundlich entgegen, hielt ihm ihre kleine Hand hin und begrüßte ihn mit dem Wunsche, daß er gut geschlafen haben möge.

»Sie müssen mir auch sagen, was Sie geträumt haben, denn der Traum während der ersten Nacht, die man unter einem fremden Dache zubringt, wird wahr.«

»Aber wenn man nun nicht geschlafen, sondern im wachenden Traume gewünscht hat, werden denn solche Wünsche auch wahr?« antwortete Farnwald mit einem innig warmen Blicke auf Doralice, deren Wangen sich bei dieser Frage leicht rötheten, während sie dieselbe nicht gehört zu haben schien, sondern statt zu antworten einen kleinen Blumenstrauß von ihrem Busen nahm und ihn Farnwald reichte.

»Diese Blumen habe ich gestern Abend, als ich noch spät an Sie dachte, für Sie gebrochen, Sie müssen sie mir zum Andenken aufbewahren. Hat es Ihnen nicht vor den Ohren geklungen?«

»Ja, Fräulein Doralice, wie Himmelsharmonien, und es hallte in meinem innersten Herzen wieder. Auch ich dachte lebendig an Sie, dachte, daß Sie Blumen pflückten und glaubte mich von den Ranken berührt, die Ihre schöne Hand bewegte. Wahrlich, da ist der Traum schon wahr geworden, wenn es auch ein wachender Traum war.«

»Ich höre Vater kommen, haben Sie mit ihm über

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den Landkauf gesprochen? Sie müssen mir nach dem Frühstück mittheilen, was er gesagt hat. Da ist er und auch Mutter.«

Die Saalthür öffnete sich und Herr und Madame Dorst traten ein. Ersterer mit der gewohnten Ruhe und Bestimmtheit, letztere mit matten Augen und mit leiderfüllten Blicken.

»Ich hoffe, daß Sie gut geruht haben, Herr Farnwald,« sagte Dorst zu diesem, indem er ihm die Hand reichte, »an Müdigkeit hat es Ihnen sicher nicht gefehlt.«

»Ich habe nur wenig, doch desto süßer geschlafen, erwiederte derselbe mit einem Seitenblick auf Doralice und wandte sich dann zu Madame Dorst, um auch ihr seinen Morgengruß darzubringen.

»Nach dem Frühstück mußt Du mit unserm Freunde einen Ritt machen, Doralice,« nahm Dorst das Wort, als sie sämmtlich Platz am Tische genommen hatten. »Reite mit ihm nach den Bergen hin durch die Prairie, dann sieht er zugleich eine Abtheilung meiner Pferde, die dort zur Weide gehen; ich werde meinen Fuchs für ihn satteln lassen, denn sein Pferd wird wohl müde sein.«

»Doch nicht, Herr Dorst, ich ziehe es sogar vor, ihm ein wenig Bewegung zu machen, wir werden ja

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wohl kein Wettrennen veranstalten?« erwiederte Farnwald.

»Dafür stehe ich Ihnen nicht; Doralice ist eine wilde Reiterin und stellt gern ihre Begleiter auf die Probe,« sagte Dorst.

»Nein, ich verspreche es Ihnen, Herr Farnwald, wir wollen ganz gelassen reiten; ich bin auch neugierig, Ihr Pferd zu sehen,« bemerkte jene und reichte diesem den Zucker für seinen Kaffee hin.

»Da fällt mir ein,« sagte Dorst zu seiner Tochter, »Du könntest bei Fillmoor vorreiten, es ist ja nur zwei Meilen von hier, und ihm sagen, daß ich ihn hiermit zum letzten Male ersuchen ließe, seinen Neger Ben zu Hause zu halten, damit er nicht wieder in der Nacht hierherkäme. Er hängt wie verrückt an dem Mulattenmädchen Sally, welches ich von Fillmoor für eine Schuld angenommen habe und kommt Nacht für Nacht herüber, um sie zu sehen. Bei Tage sollen die Neger ihre Arbeit thun, und wie ist das möglich, wenn sie während der ganzen Nacht nicht geschlafen haben? Ich habe den Kerl schon zehn Mal dafür auspeitschen lassen und ihn in vergangener Nacht wieder mit einigen Hieben nach Hause gesandt, aber er bleibt nicht weg. Sage Fillmoor, wenn er sein Eigenthum lieb hätte, so möchte er den Neger zu Hause halten. Dies sei meine letzte Warnung.«

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Bald nach dem Frühstück wurde der glänzende Rappe Doralices und Farnwalds Hengst vor das Haus geführt, erstere erschien im schwarzen Reitkleide, mit Federhut und Peitsche im Corridor und trat mit Farnwald, Dorst und ihrer Mutter unter die Veranda.

»Ei, ei, das ist ja ein bildschönes Thier, Herr Farnwald,« sagte sie, nach dem Hengste blickend, »Sie müssen mir erlauben, daß ich es reiten darf; es wird mich doch nicht abwerfen?«

»Es ist sehr fromm und wird, wie sein Herr, stolz darauf sein, Ihren Befehlen Folge zu leisten,« erwiederte Farnwald, sprang zu den Pferden, hatte in wenigen Minuten die Sättel derselben vertauscht und führte seinen Schimmel neben die Treppe der Veranda, wo er Doralice behülflich war, denselben zu besteigen. Er selbst schwang sich auf den Rappen, Dorst rief seiner Tochter noch zu:

»Vergiß Fillmoor nicht,« und in einem bequemen schaukelnden Paßgange zogen die beiden Reitenden durch den hohen Wald hinter dem Garten der nicht fernen Prairie zu.

»Was hat Ihnen Vater in Bezug auf den Landkauf gesagt, Herr Farnwald?« fragte Doralice, als sie neben einander auf dem breiten Fahrwege durch

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den kühlen Schatten des Riesenwaldes hinritten und oft den ungeheuren Weinranken, die von den himmelhohen Bäumen in die Straße herabhingen, ausweichen mußten.

»Er hat eine jede Verhandlung mit mir darüber so bestimmt abgebrochen, daß mir die Möglichkeit gänzlich abgeschnitten ist, das Mindeste deshalb bei ihm weiter zu versuchen. All meine Hoffnung ruht jetzt nur noch auf Ihnen, Fräulein Doralice, und Ihrer Mutter; gebe Gott, daß es Ihnen gelingen möge, seinen Entschluß zu ändern und die unabsehbaren traurigen Folgen, die die Ausführung desselben nach sich ziehen würde, abzuwenden. Es ist ein höchst gefährliches Spiel, welches Ihr Vater unternommen hat.«

»Ich habe mit Mutter davon geredet, sie ist in Todesangst darüber und wird Alles aufbieten, um ihn davon abzuhalten; sie vermag viel über ihn. Dennoch fürchte ich, daß es ihr nicht gelingen wird, denn Vater ist nicht leicht von einem gefaßten Vorsatze abzubringen. Wenn er ihr aber nicht nachgiebt, so will ,ich sehen, was ich vermag, seine Liebe zu mir ist groß.«

»Thun Sie um des Himmels Willen Ihr Möglichstes, Fräulein, denn die jungen Swartons würden

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Unheil anrichten; sie sind gutmüthige, rechtschaffene, doch auch höchst entschlossene und verzweifelte Charaktere.«

»Der Allmächtige mag uns behülflich sein, wir wollen nicht nachlassen, bis wir es durchgesetzt haben,« erwiederte Doralice, während sie das Ende des Waldes erreicht hatten und hinaus in die offene Prairie ritten.

»Sehen Sie dort, Herr Farnwald,« fuhr sie fort, »dort weiden unsere Pferde, lassen Sie uns zu ihnen hinreiten, damit wir sie in der Nähe betrachten können. Die armen Thiere thun mir immer recht leid, wenn ich sie sehe, es sind sämmtlich Stuten mit ihren Füllen, welche Erstere mein Vater an einem Vorderfuß gelähmt hat, damit sie nicht wild werden und flüchtig davon rennen können. Die Füllen aber sind desto munterer und machen mir viel Freude; ich besuche sie auch recht oft.

Hiermit lenkten sie ihre Rosse von der Straße ab in das hohe üppige, mit tausendfältigen Blumen prangende Gras den fernen Pferden zu, die man auf der weiten grünen Fläche nur als schwarze Punkte erkennen konnte. Der Ritt ging langsam von Statten, da die langen wogenden feinen Halme den Pferden bis über die Brust hinaufreichten, wodurch ihnen das Gehen sehr erschwert wurde; immer deutlicher erschienen die Stuten mit ihren Kleinen, und als Doralice sich mit ihrem

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Begleiter ihnen näherte, traten sie zusammen, blickten neugierig nach den Reitern hin und kamen, als sie ihre junge Herrin erkannten, wiehernd auf sie zugeschritten. Die Stuten, einige vierzig an der Zahl, waren von gutem Halbblut, doch Alle so steif an einem Vorderfuße, daß sie sich nur im langsamen Schritt vorwärts bewegten, die Füllen aber, welche von verschiedenem Alter und von edler arabischer und englischer Abkunft waren, sprangen muthwillig spielend um ihre Mütter herum. Alle glänzten, als ob sie täglich gestriegelt und gebürstet würden, während sie doch Jahr aus Jahr ein hier sich selbst überlassen waren.

Doralice kannte sie alle bei Namen, rief jedem Einzelnen zu, ritt zu ihnen hin und vertheilte Stücke Zucker unter sie, den zu empfangen sie sich zu ihr hindrängten.

»Nun müssen wir aber rasch davon eilen,« sagte sie zu Farnwald, »sonst behalten wir den ganzen Schwarm hinter uns bis nach Hause,« wobei sie die Zügel des Hengstes verkürzte, ihm zusprach, und mit jenem in Galopp über das hohe Gras davon sprengte.

Der Ritt ging nun zu den angrenzenden Höhen, von wo sich eine freie Aussicht über die weite Umgegend öffnete und eine Menge kleiner und größerer Ansiedlungen

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sichtbar wurden. Waldgruppen wechselten wohlthuend für das Auge mit den reichen Grasfluren ab, unzählige Bäche blinkten aus diesen hervor und schlängelten sich nach dem mächtigen Strome, der, an der andern Seite von felsigen Ufern begrenzt, noch in weiter Ferne aus der duftig blauen Landschaft seine helle, in der Sonne glänzende Fläche erkennen ließ. Nach allen Richtungen hin sah man grasendes Vieh in großen und kleinen Heerden, hin und wieder zogen Hirsche in Rudeln den Dickungen zu, und in der Nähe der hier und dort aus dunkelm Waldsaume hervorblickenden und durch eine blaue Rauchsäule bezeichneten Blockhäuser sah man Neger hinter einspännigen Pflügen oder mit Hacken in den jungen Maisfeldern an der Arbeit.

Hell und durchsichtig wölbte sich der blaue Aether über der friedlichen Landschaft, nirgends war ein Wölkchen zu sehen, und an dem fernen Horizont verschwammen Himmel und Erde in einen purpurnen Nebelstreif.

Doralice hatte mit ihrem Begleiter einen hohen Punkt erreicht, wo sie ihr Pferd anhielt, um sich an der Aussicht zu ergötzen.

»Wie still und traulich die kleinen Blockhäuser aus ihren schattigen Verstecken hervorblicken,« sagte sie zu Farnwald, indem sie sich auf den Hals ihres Pferdes

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stützte und sinnend auf das reiche Thal zu ihren Füßen schaute, »wie ärmlich, wie winzig sie von anßen erscheinen, und doch wie gemüthlich sauber und hübsch so viele von ihnen im Innern sind, und wie viel mehr Glück ihre rohen, rauhen Wände umschließen, als die großen geschmackvoll gebauten und mit Reichthum ausgeschmückten Häuser! In jenen Hütten ruhen sich die Bewohner nach vollbrachter Tagesarbeit in traulichem Familienkreise; Zufriedenheit, Liebe und Heiterkeit sind ihre steten Gäste, ihre Brust wird von keiner Sorge, von keiner Bekümmerniß gedrückt, ihre Gedanken von keinen Zweifeln über den Ausgang ihrer Unternehmungen beunruhigt, und wie sie denken, wie sie fühlen, so reden sie und so blicken sie sich an. Wie oft habe ich sie um ihre glückliche Einfachheit, um ihren Ueberfluß in ihrer Armuth beneidet, wenn ich unter dem bunten Gemisch der Besucher unseres Hauses fröhlich und unterhaltend erscheinen mußte, während ich die eigennützigen Gründe kannte, welche dieselben um uns versammelt hatten; wie oft habe ich mich mit Widerwillen zwischen Leuten zu Tisch gesetzt, denen es nimmermehr gestattet sein würde, unsere Schwelle zu überschreiten, wären nicht ihre schlechten Qualitäten nöthig gewesen, um irgend ein leidiges Interesse zu fördern und mit Gewinn zu krönen. Der Vater ist so oft verstimmt,

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die ewige Spannung, in die ihn seine vielseitigen Speculationen versetzen, halten ihn von einem gemüthlichen Verkehr mit den Seinigen ab, die Mutter folgt mit banger Erwartung dem Gange seiner oft sehr gewagten Geschäfte, und ist ohnedies schwer gedrückt, so daß sie mit dem jungen Herzen ihrer Tochter nicht gleich fühlen, mit ihr nicht in ähnlicher Weise denken und handeln kann. So komme ich mir denn oftmals recht unglücklich und verlassen vor und vertauschte gern mein Geschick mit dem der Bewohner jener Hütten.«

»Und wie bald würden Sie den lebhaften gesellschaftlichen Verkehr Ihres Hauses vermissen, wenn Sie auf eine solche Hütte beschränkt wären. Das Herz dehnt sich viel leichter aus, als daß es sich wieder zusammenzieht; dies geschieht nur mit schmerzlichem Krampfe. Auch ich habe mich einst nach der Einsamkeit gesehnt, und als ich sie gefunden hatte, wünschte ich mich unter die Menschen mit all ihren Fehlern zurück.«

»Sie nahmen aber auch kein glückliches Familienleben mit in Ihre Einsamkeit, Herr Farnwald, ich redete von Glück in den eignen vier Wänden, dazu bedarf es der Menschen nicht viele. Allein, ohne Theilnahme für Anderer Freud und Leid verknöchert das Herz oder fühlt sich unglücklich.«

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Farnwald schwieg und schien einem ersten Gedanken zu folgen, als Doralice, dies bemerkend, fortfuhr: »Ich stecke Sie mit meinen trüben Betrachtungen an, Herr Farnwald, Sie müssen es mir aber verzeihen, es thut dem Herzen so wohl, sein Leid einem Freunde klagen zu können.«

»Nicht doch, es ist an mir, Fräulein, für meine Abwesenheit Ihre Verzeihung zu erbitten.«

»Sehen Sie dort unten,« erwiederte Doralice rasch, »dort unter dem Bergabhang an dem Waldsaume liegt die Farm des Herrn Fillmoor, wohin mich Vater beauftragt hat zu reiten; lassen Sie uns unsern Weg in dieser Schlucht hinunter nach jenem Wasser hin nehmen, dort ist mir ein Fußsteig bekannt, der zu der Ansiedlung führt.«

Sie trieb den Schimmel über den steinigen Boden hin dem Thale zu, in welchem sie bald mit ihrem Begleiter die Niederlassung des Herrn Fillmoor erreichte. Dieser stand vor dem Blockhause in dem kühlen Schatten des hohen Waldes, unter dessen äußersten uralten Bäumen die Wohnung lag und schritt, als er die Reitenden sich nähern sah, ihnen entgegen.

»Ei, ei, Miß Dorst, wie komme ich zu dieser Ehre und zwar so früh Morgens? Seien Sie herzlich will kommen,«

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sagte der Pflanzer, indem er den Zügel des Schimmels erfaßte; »wollen Sie nicht absteigen?«

»Ich danke Ihnen sehr, Herr Fillmoor, diesmal nicht, ich will nach Hause eilen, ehe die Sonne zu heiß wird. Mein Vater hatte eine Bitte an Sie zu richten, und da dies ein Lieblingsweg von mir ist, so übernahm ich es, sie Ihnen zu überbringen.«

»Was ist es denn, womit ich ihm dienen kann?«

»Er läßt Sie bitten, Ihren Neger Ben doch daran zu verhindern, daß er ferner nach unserem Platz komme, Vater schien ärgerlich darüber zu sein. Nicht wahr, Herr Fillmoor, mir zu Gefallen sorgen Sie dafür, daß es nicht wieder geschehe? Es möchten Unannehmlichkeiten daraus entstehen. Ich bitte Sie, thun Sie es doch mir zu Liebe.«

»Ach der arme Ben, er ist ja mit der Sally, die Sie von mir bekommen haben, verheirathet; das heißt so, wie Neger in diesem Lande verheirathet sein können. Sie lieben sich innig, sonst würde Ben nicht die Nächte verwenden, um Sally zu sehen, da er doch des Tages über stark arbeiten muß. Es ist wirklich hart für den armen Burschen, daß er seine Frau nicht sprechen soll, ich habe es ihm zwar selber schon strenge untersagt, allein was thut der Mensch nicht, wenn ihm das Herz

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befiehlt? Ich will ihn aber nochmals recht ernstlich ermahnen, es zu unterlassen.«

»Ich werde Sorge dafür tragen, daß Sally recht oft hierher kommen kann, das ist besser, Sie wissen, Vater ist sehr eigen, und was er einmal will, muß geschehen. Nun müssen wir zurückeilen; empfehlen Sie mich den Ihrigen recht freundlich, Herr Fillmoor, und lassen Sie sich recht bald einmal bei uns sehen,« sagte Doralice zu dem Farmer, grüßte ihn nochmals mit Hand und Blick und eilte mit Farnwald im Galopp an dem Wasser zurück, um schnellmöglichst den Schatten des Waldes zu erreichen, der sie dann bis zu ihrer Wohnung gegen die schon drückend gewordenen Strahlen der Sonne beschützte.

»Wie gefällt Ihnen die Gegend hier, Herr Farnwald?« fragte Dorst denselben, als dieser seine schöne Gefährtin von seinem Hengste gehoben hatte, »bis an die Berge zieht sich unser Eigenthum. Es ist nur ausgewählt reiches Land und dürfte wohl in solchem Umfange seines Gleichen suchen. Haben Sie meine Stuten auch gesehen?«

»Es sind ungewöhnlich gute Thiere dabei, und die Füllen zeigen sehr edles Blut«, antwortete Farnwald.

»Herr Fillmoor läßt sich Dir empfehlen, Vater,«

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sagte Doralice, »und versicherte mir, er würde dafür sorgen, daß Ben nicht wieder hierherkäme.«

»Wenn er den Sklaven nicht zurückhält, möchte ihm derselbe einmal ausbleiben. Ich bin es müde, Negern aufzupassen,« sagte Dorst mit einem finstern Blicke, wendete sich aber gleich darauf freundlich zu Farnwald und erbot sich, während der Zeit die Damen Toilette machen würden, ihm seine Vollbluthengste zu zeigen, auf deren Besitz er stolz zu sein schien.

Der Morgen verstrich, die reiche Mittagstafel war vorüber und Farnwald hatte sich unter der schattigen Veranda neben Doralice niedergelassen, als diese zu ihm sagte:

»Meine Mutter hat mit Vater wegen Swartons geredet, doch leider umsonst, sie hat ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen können. Sie ist ganz trostlos darüber. O Gott, wenn es mir nur gelingen möchte! Versuchen will ich es, sobald sich ein günstiger Augenblick dazu bietet. Keinesfalls dürfen Sie uns verlassen, so lange noch ein Schein von Hoffnung da ist, ihn umzustimmen.«

»Ich fürchte, Fräulein Doralice, alle unsere Bemühungen werden vergebens bleiben, doch will ich gern auch Ihren Versuch noch abwarten.«

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»Und glückt es uns nicht, Herr Farnwald, so bleibt meine letzte Hoffnung auf Ihren Einfluß gestützt, den Sie auf Swartons und auf die Bewohner in deren Umgebung haben. Vielleicht können Sie noch Alles zum Guten wenden, ach, thun Sie es Mutter und mir zu Liebe; Sie sind unser einziger Trost,« sagte Doralice mit flehender weicher Stimme zu Farnwald, legte ihre kleine Hand auf die seinige, und eine Thräne fiel von ihren langen Wimpern in ihren Schooß.

»Selbst mit meinem Leben, Fräulein, würde ich ein jedes Unglück von Ihnen abzuwenden suchen, doch das Schicksal aufzuhalten, dazu reichen Menschenkräfte oft nicht aus. Jedenfalls muß ich davon in Kenntniß gesetzt werden, wenn Ihr Vater sich in unsere Gegend begeben will, dort droht ihm die nächste Gefahr.«

»Meine Mutter wird es Ihnen rechtzeitig schreiben, die Post-Office ist ja nicht entfernt, sie wird von dem Farmer auf der andern Seite der Brücke gehalten. Dutch Charl[e]y, (der deutsche Carl) der Postreiter, kommt auch jedesmal, ehe er mit den Briefen fortreitet, hierher, um sich zu erkundigen, ob wir etwas nach L*** zu bestellen haben. Er zeigt sich uns gern nützlich und gefällig.«

»Auch mir besorgt er häufig Aufträge und ist mir verpflichtet, da ich ihn zu seinem Dienste verhelfen habe.

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Ich werde ihn noch besonders anweisen, regelmäßig hier vorzusprechen, um mir etwaige Nachrichten von Ihnen selbst zu überbringen, die sonst mit den andern Briefen nach C*** in die Post-Office gebracht würden, von wo ich sie abholen lassen muß und oft erst nach längerer Zeit erhalte, weil ich nicht regelmäßig einen Boten dorthin senden kann.«

Der Vater und die Mutter Doralices traten jetzt aus dem Hause, Ersterer mit einem Packet Zeitungen, die ihm die Post von New Orleans gebracht hatte, in der Hand, und sie setzten sich zur Tochter und zu dem Gaste.

Madame Dorst saß schweigend da, von Zeit zu Zeit den Blick einer stillen Dulderin auf ihren Gatten und dann wieder auf Farnwald richtend, während Dorst die ungeheuren Zeitungen geöffnet auf dem übergeschlagenen Knie liegen hatte und sie, mit seinem Stuhl sich zurück gegen den Pfeiler der Gallerie lehnend, rasch überblickte.

»Die Sklavenbefreier in den nördlichen Staaten werden täglich lauter und täglich unsinniger, sie predigen öffentlich Aufruhr, und ginge es nach ihnen, so würden bald unsere Neger die Herren und wir ihre Sklaven sein. Ihr Verfahren läuft geraden Weges unserer Constitution entgegen und wird zuletzt noch eine Auflösung der Union zur Folge haben. Umsonst halten

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wir unsere Schwarzen davon ab, Lesen und Schreiben zu lernen, es finden sich immer Schufte genug, die ihnen diese aufrührerischen Zeitungsartikel vorlesen, wodurch sie dieselben nur ungehorsam machen und ihre Eigener nöthigen, strenger und härter gegen sie zu verfahren, als sie sonst wohl thäten. Niemals hörte man früher von so vielen weggelaufenen Sklaven, jetzt sind die Zeitungen ja immer mit Steckbriefen angefüllt. Es ist Zeit, daß man sich selbst schützt und allen Verkehr mit fremden Negern verhindert, will man nicht von den eignen Schwarzen plötzlich überfallen und niedergemetzelt werden,« sagte Dorst, auf das vor ihm liegende Blatt zeigend, auf welchem eine lange Liste von Steckbriefen stand, vor denen sämmtlich ein laufender Neger mit einem Stock und Sack auf der Schulter abgebildet war. »Wie steht es denn mit den Schwarzen in Ihrer Gegend, Herr Farnwald?« fuhr er zu diesem gewendet fort, »haben Sie auch so viel Last mit ihnen?«

»Keineswegs,« erwiederte dieser, »wir können nicht darüber klagen, sie werden im Allgemeinen gut von ihren Eigenthümern behandelt und hängen so an ihnen, daß, wenn dieselben sie frei geben wollten, die bei weitem größere Zahl der Sklaven sich weigern würde, ihre Herrschaft zu verlassen. Einzelne Ausnahmen abgerechnet, sind unsere Neger im Durchschnitt zufrieden

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und glücklich, und sie stehen zu ihrer Herrschaft, als ob sie zu deren Familie gehörten. In unserer Gegend ist es, wie in den nördlichen Sklavenstaaten: die Sklaven wachsen unter der Herrschaft auf, unter der sie geboren werden, und verbringen dort meist ihre Lebenszeit, oder gehen bei Theilung der Erbschaft ihrer Eigner in die Hände von deren Kinder über, wodurch ihnen das Gefühl nicht gestört wird, daß sie immer noch zu derselben Familie gehören. Ihre Herren wissen, daß sie bei dem guten Willen ihrer Neger viel leichter und viel mehr Arbeit erzielen, als sie mit der Peitsche von ihnen würden erzwingen können und sehen in der guten Behandlung ihrer Sklaven ihren eignen großen Vortheil, da sie das Capital länger benutzen können, weniger Kranke zu verpflegen und deshalb kleinere Doctorrechnungen zu zahlen haben. Im Süden, wo die größten Plantagen Eigenthum von Capitalisten im Norden sind, ist das Verhältniß der Sklaven anders, die Eigner kennen dieselben gar nicht, senden einen Aufseher mit dem Auftrage auf die Plantage, aus den Negern so viel Arbeit, als möglich ist, zu erzwingen, und zwar mit so geringen Unkosten als thunlich, und dabei wird angenommen, daß wenn auch binnen drei Jahren der Neger abgenutzt, doch sein Kaufpreis schon dreifach durch ihn verdient ist. Bleibt derselbe länger

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arbeitsfähig, so ist dies besonderer Gewinn, wo nicht, so wird er verkauft und ein neuer dafür angeschafft, gerade so, wie man es mit einem Pferde oder einem Maulthier macht.«

»Es ist jedenfalls dies die richtigste Calculation, dann bekommt man nicht die vielen alten unnützen Faulenzer, die man stets auf solchen Farmen, deren Sie erwähnt, herumlaufen sieht. Man hat immer reine Bahn und reine Rechnung, und solches unnützes Gesindel frißt einem den Gewinn nicht auf,« bemerkte Dorst.

Die Tage verstrichen und schon eine Woche war dahingeeilt, ohne daß Doralice eine passende Gelegenheit gefunden hätte, mit ihrem Vater zu Gunsten Swartons zu reden. Farnwald war deshalb genöthigt, seine Abreise von hier im Interesse Swartons immer noch aufzuschieben, obgleich er seine Freunde gern möglichst schnell der peinigenden Ungewißheit, in der sie schwebten, enthoben hatte.

Fast wurde ihm diese Verzögerung willkommen, die ihn in der Nähe der lieblichen Doralice hielt, deren gleiches Interesse für Swartons sie zu seiner Verbündeten gemacht und eine gewisse Vertraulichkeit zwischen ihnen angebahnt hatte. Dieselbe wurde durch ihre beiderseitige aufrichtige Hochschätzung täglich mehr genährt

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und gepflegt, und wenn Farnwald seine junge Freundin fragte, ob sie noch nicht mit ihrem Vater über jene Angelegenheit geredet habe, so nahm er nicht ungern ihre verneinende Antwort entgegen.

Rasch verflog ihnen die Zeit, indem sie zusammen Schriften von Shakespeare, von Byron, von Moore und andern ausgezeichneten Autoren lasen, zusammen nach der Natur zeichneten oder sich gegenseitig zum Gesange auf dem Piano begleiteten, doch der Harfe erwähnte Farnwald niemals, obgleich er sie nicht wieder hatte ertönen hören; sie war für ihn ein verborgener Schatz, ein verzaubertes Kleinod, an dem er sich nur verstohlen in geheimnißvoller Stille der Nacht ergötzen zu dürfen glaubte. Abends, wenn die Sonne ihre glühenden Abschiedsblicke von den fernen Gebirgszügen der Cordilleren herüber sandte, der aufsteigende Mond die Wege durch die zitternden Schatten der Wälder andeutete und die Sterne sich hell und blitzend in Fluß und See spiegelten, zogen die beiden so gern auf ihren edlen Rossen durch die duftgewürzte kühle Nachtluft, durch Wald und Flur dahin, bemerkten nicht, wie sie sich von Stunde zu Stunde unentbehrlicher wurden, und suchten zu vergessen, daß ihr Abschied doch sehr nahe sein müßte.

Eines Abends fand sich wieder eine große Zahl

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junger Männer aus der Umgegend ein, und der Salon war bald mit Gästen angefüllt.

Doralice erschien in schwarze Seide gekleidet, einfach und ohne den reichen Schmuck, den sie häufig bei solchen Gelegenheiten früher getragen hatte. Im Einklange mit ihrem Anzuge stand auch ihr Betragen; sie blieb, wie Farnwald sich im Stillen sagte, Doralice. Sie war artig und freundlich gegen jeden, sie spielte auf dem Piano und sang die von der Gesellschaft gewünschten Lieder, doch ohne die berechneten Bemühungen, zu gefallen, und da sie nicht die Veranlassung zu einer lebendigen scherzhaften Unterhaltung gab, so blieben die Gäste ernst, verlegen, gelangweilt, lagen nachlässig in den Stühlen, sahen zu den Fenstern hinaus, spielten mit ihren Taschenmessern und stahlen sich einzeln unbemerkt fort zu ihren Reitthieren, um sich auf den Heimweg zu begeben. Alle schieden ungewöhnlich früh, obgleich Herr Dorst sie recht oft zu dem Credenztische im Nebenzimmer führte, damit sie sich dort an dem guten Weine und altem Irischen Whisky laben möchten, und obgleich er sein ganzes Talent aufbot, einem Jeden etwas Angenehmes zu sagen. Er begleitete sie mit aller Aufmerksamkeit, als wolle er die Kälte seiner Tochter dadurch entschuldigen, nach ihren Pferden, bat dringend um baldige Wiederholung ihres Besuches und kehrte

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ziemlich verstimmt und wortkarg unter die Veranda zurück, wo Farnwald und Doralice sich bereits niedergelassen hatten.

Dorst hatte sehr wohl in dem veränderten Benehmen seiner Tochter erkannt, daß dieses nicht zufällig, sondern absichtlich eingetreten war, in dem Grunde dazu hatte er sich jedoch geirrt, denn er suchte ihn in einer Unterhaltung, welche er Nachts vorher abermals in Betreff der Swartons mit seiner Frau gepflogen hatte, und glaubte, daß dieselbe auf Doralices Stimmung so dämpfend eingewirkt habe. Er war zu sehr Herr über sich selbst, als daß er sich Farnwald gegenüber lange seinem Unmuthe hingegeben hätte, da es einmal seine Absicht war, diesen durch Freundlichkeit und Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. Doch that er sich ungern Zwang an, und um dieses zu umgehen, seiner Tochter seine Unzufriedenheit anzudeuten und zugleich seinem Gaste seine freundlichen Gefühle zu zeigen, sagte er zu Doralice:

»Ich überlasse unsern lieben Freund Deiner Fürsorge und hoffe, da er unter unsern Gästen von heute Abend mir der Liebste war, daß Du ihn mit mehr Aufmerksamkeit behandeln und ihn besser unterhalten wirst, als die Uebrigen, die offenbar in Deinem Ernste und Deiner Theilnahmlosigkeit eine Vernachlässigung erblickt haben.«

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»Aber, lieber Vater, Du thust mir Unrecht, Du weißt, man kann ja nicht immer lachen und scherzen; Dir zu Gefallen - «

»Schon gut, Doralice,« unterbrach er sie, es ist so böse nicht gemeint, Du sollst mir aber unsern lieben Freund hier so behandeln, daß es ihm bei uns gefällt, damit er recht lange bei uns bleiben möge. Sie werden mich entschuldigen, lieber Farnwald, wenn ich mich schon zur Ruhe begebe, ich habe aber in letztvergangner Nacht wenig geschlafen; man hat manchmal mit widersprechenden Geistern zu thun, die einem die Ruhe stören.« Hiermit reichte er Farnwald die Hand, wünschte ihm gut zu schlafen, empfing von seiner Tochter einen Kuß und schritt in das Haus.

»Der Unmuth des Vaters, so wehe er mir thut, war mir im Augenblicke doch willkommen, da er bestätigt, was ich Ihnen über mein früheres Betragen im Salon sagte,« nahm Doralice das Wort.

»Ist mir denn nicht eine jede Sylbe von Ihren Lippen eine Wahrheit, ein Heiligthum, verehrte Doralice? wie gern hätte ich Ihnen diese schmerzliche Beweisführung erspart, zumal, da ich selbst die Ursache dazu gab. Vergeben Sie mir diesen Ihnen verursachten Vorwurf Ihres Vaters und versprechen Sie mir, daß

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Sie von morgen an wieder seinem Wunsche, theilnehmend gegen die Gäste zu erscheinen, nachkommen wollen; Sie sind in Ihrem tiefsten Innersten zu erhaben, zu edel, als daß dieses eitle Spiel nachtheilig auf Sie selbst zurückwirken könnte. Versprechen Sie es mir?«

»Gern thue ich, was Sie wünschen, Herr Farnwald, wenn ich deshalb nicht wieder von Ihnen mißverstanden werden soll.«

»Da Sie doch einmal dran sind, Gnade auszutheilen, wollen Sie mir noch etwas versprechen?«

»Gern, sehr gern, wenn ich es erfüllen kann,«

»So versprechen Sie mir, daß Sie, ehe Sie zur Ruhe gehen, einmal wieder zur Harfe singen wollen, eben so wie in jener Nacht, in der Sie Blumen für mich pflückten.«

»Das Versprechen hätten Sie mir nicht abzunehmen brauchen, ich hatte mir ohnedies vorgenommen, es zu thun. Dann bekommen Sie aber morgen früh wieder einen Blumenstrauß von mir, mit der Bitte, ihn zum Andenken an mich aufzubewahren und zuletzt wird Ihre Brieftasche mit verwelkten Blumen überfüllt.«

»Die mir als Abgesandte der schönsten Himmelsblume, welche niemals in meiner Erinnerung verwelken kann, stets lieb und theuer bleiben werden.«

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»Herr Farnwald, Sie wissen, was Sie mir an jenem Abende im Salon so übel gedeutet hatten!« sagte Doralice lächelnd, indem sie ihren zierlichen Finger drohend gegen ihn erhob, als Madame Dorst mit den Worten zu ihnen unter die Veranda trat:

»Du häl[t]st unsern Freund aber wohl von der Ruhe ab, es ist schon spät;« worauf Farnwald sich den Damen empfahl und nach seinem Schlafzimmer ging.

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Capitel 10.

Der Mulatte. - Verbotene Zusammenkunft. - Erwartung. - Die Sängerin. - Die Liebe. - Mord. - Verzweiflung. - Vorkehrung. - Die Rowdies. - Der Vetter. - Der See.


Während dieser Zeit kam in der staubigen Straße an dem Flusse ein junger Mann mit raschen Schritten heran dessen abgenommener Strohhut und heftig bewegte rasche Athemzüge verriethen, daß er den bereits zurückgelegten Weg eilig durchlaufen hatte. Er hielt sich immer dicht der Einzäunung entlang, die Dorsts Platz von der Straße trennte, wie es schien, um in dem Schatten der weit überhängenden Bäume zu vermeiden, daß das helle Mondlicht seine weiße, von leichten Baumwollenzeug verfertigte Kleidung bescheine. Es war Ben, der junge Mulatte von Fillmoor, der sich auf dem verbotenen Wege zu Dorsts gelber Sklavin, Sally, befand. An der Gitterthür angelangt, blieb er stehen und blickte und lauschte spähend eine Zeit lang nach dem Wohngebäude hinüber, bis er sich überzeugt zu haben schien, daß dort Alles zur Ruhe gegangen sei. Dann öffnete

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er leise das Thor, glitt, dasselbe hinter sich offen lassend, hindurch, und eilte vom Wege ab seitwärts in dem Schatten der hohen Bäume hin den Negerhütten zu, die links in kurzer Entfernung von dem Wohnhause standen. Er war hinter dem ersten Blockhause angelangt und lauschte von da abermals eine Weile nach Dorsts Wohnung hinüber, dann sprang er rasch über den vom Monde beschienenen freien Raum nach der nächsten Hütte und gelangte in dieser Weise von einer zur anderen, zuletzt an der seiner geliebten Sally an. Dort blieb er wieder im Schatten des hölzernen Gebäudes und blickte nach Dorsts Hause, als fürchte er sich an Sallys Thür zu gehen, da sie der Mond hell beschien. Doch endlich trat er rasch vor dieselbe, klopfte leise an und:

»Ach Himmel, Ben!« antwortete es ihm aus der Hütte entgegen.

Die Thür öffnete sich sogleich, der Mulatte schlüpfte, sie eilig hinter sich schließend, hinein, und wurde in den offenen Armen, an der liebenden Brust seiner ihm durch des Herzens Sprache von Gott gegebenen, durch die Menschen aber vorenthaltenen Frau empfangen.

Ben war ein schöner, schlanker, kräftiger Bursche von achtzehn Jahren, dessen warm braune Farbe und stark gekräuselten schwarzen Locken die erste Mischung

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zwischen schwarzem und weißem Blute bekundeten. Seine Gesichtszüge waren edel, seine großen lebendigen Augen voll Ausdruck und Entschlossenheit und zwischen seinen etwas aufgeworfenen Lippen blinkten seine schönen Zähne wie zwei Reihen Perlen hervor.

Sally dagegen stand, der Farbe ihrer Haut nach, der weißen Menschenrace näher; denn sie war von einem bleichen Orangegelb, durch welches auf ihren Wangen ein dunkles Carmin schimmerte, während ihre schönen vollen Lippen der reifen Kirsche an Frische nichts nachgaben. Ihr glänzend schwarzes üppiges Haar war gleichfalls lockig und fiel in losen langen Wellen über ihre Brust und Schultern. Aengstlich drückte sie Ben an ihr Herz und mit bebender Stimme sagte sie zu ihm:

»Wenn Dich nur Niemand gesehen hat, Ben! Ach, wärest Du doch lieber nicht gekommen, es ist zu gefährlich. Du weißt, Dorst sagte Dir das letzte Mal, als er Dich so grausam behandelte, wenn er Dich wieder hier träfe, so würde er Dir die Knochen entzweischießen. Mir ist so bange vor ihm, er hat gar kein Mitleid.«

»Beruhige Dich, Sally, es hat mich Niemand gesehen,« sagte Ben, indem er seinen Arm um den schlanken Leib der Sklavin legte und sie zu sich auf die hölzerne Bank vor dem Feuerplatze zog, von dessen Gesimse herab das Licht einer Oellampe seinen röthlichen Schein

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auf die schönen Formen der Mulattin warf. »Und wenn er mich mit noch Schlimmerem bedroht hätte, so würde ich doch nicht von Dir weggeblieben sein. Du gehörst mir ja vor Gott, mit welchem Rechte kann ein Mensch Dich mir nehmen? Ohne Dich mag und kann ich nicht leben, und ich würde zu Dir zu gelangen suchen, und müßte ich in die Hölle selbst gehen.«

»Komm, Ben, rede nicht so häßlich, das schickt sich nicht für Jemanden, der sich zu der Kirche (Methodistenkirche) bekennt, das ist ja geflucht und das ist Sünde. Es wird sich noch Alles zum Besten wenden, denn unsere junge Herrin ist engelsgut und hat mir gesagt, ich sollte recht oft die Erlaubniß haben zu Dir hinüber gehen zu dürfen; auch wollte sie es zu bewirten suchen, daß ihr Vater Dich gleichfalls kaufte oder daß er mich an Fillmoor zurückgäbe, so daß wir wieder für immer zusammenkämen.«

»Für immer? Das ist ein Wort, welches von einem unglücklichen Augenblicke abhängt, um in >Nimmer< verwandelt zu werden. Es hängt von dem Leben, von der Laune, von dem Glückswechsel unserer Herren ab; für uns giebt es kein Immer in diesem Leben!«

»Du denkst auch stets das Schlimmste, Ben, jetzt gehören wir uns, laß uns nicht daran denken, was hiernach kommen kann.«

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»So lebt das Thier, nur mit dem Vorzuge, daß es nicht denken kann. Warum hat uns denn Gott auch nicht den Verstand genommen, wenn wir verdammt sein sollen, dem Thiere ähnlich zu leben?«

»Du sollst nicht gegen Deinen Schöpfer murren, Ben, die Weißen sind auch nicht immer glücklich, mein Herr hat mehr Sorgen als wir und wie oft habe ich Thränen in den Augen von seiner Frau und Tochter gesehen! Hab' mich nur lieb, Ben, und sei zufrieden; nur Zufriedenheit kann glücklich machen. Ich habe Kaffee von heute Abend da stehen, laß mich ihn schnell auf die Kohlen setzen; hier ist auch noch Fleisch, Milch und Obst,« sagte Sally, indem sie aufsprang, diese Gegenstände vor ihrem Geliebten auf die Bank setzte und, sich an ihn lehnend, mit ihrer kleinen Hand in seinen reichen Locken spielte.

Während die beiden Sklaven das verbotene Glück ihres Zusammenseins genossen, hatte Farnwald sich in seinem Zimmer in das offene Fenster gelegt und sah in die stille Mondnacht hinaus; seine Blicke schwärmten durch den Garten, eilten an den wundervollen Blumen der Beete, durch die dunkeln Laubengange der blühenden Bäulne hin, folgten den Feuerströmen der Glühkäfer, den silbernen Streifen der fallenden Sterne, aber seine Gedanken zogen nicht mit seinen Blicken, sie weilten bei

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Doralice, die mit der Harfe im Arme vor seiner Seele stand, nach deren Zaubertönen er mit Sehnsucht lauschte. Alles blieb ruhig. Er verließ das Fenster, schritt im Zimmer auf und nieder, nahm sein Halstuch ab, denn es war so drückend und schwül, sah nach der Uhr und warf sich wieder in das Fenster, doch immer noch wurde die feierliche Stille durch nichts unterbrochen, als durch das klagende Liebeslied eines Spottvogels, das Summen und Zirpen der Insekten und das leise Rauschen der Cypressen, in deren Gipfeln die leicht bewegte Nachtluft spielte.

Sollte Doralice seine Bitte vergessen - sollte sie nicht der Harfe und ihres Liedes gedenken - hatte sie das Licht schon ausgelöscht und war in süßen Schlaf gesunken? Hastig schwang sich Farnwald aus dem Fenster, um sich Gewißheit zu verschaffen. Kaum hatte er wenige Schritte am Hause hin gethan, als ihm der ersehnte Ton der Saiten entgegenschwebte und er mit beflügeltem Tritte der Veranda zueilte.

Die Thür von Doralices Zimmer war offen, das magische Licht der Ampel strömte mit den schwellenden Accorden der Harfe aus derselben hervor, die Silberklänge der wohlbekannten süßen Stimme sprachen jetzt mit hinreißender Gewalt zu Farnwalds Herzen, und mit stürmisch schlagenden Pulsen blickte er abermals von

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dem blüthenumrankten Pfeiler auf den Himmel, auf die Göttin, als welche Doralice ihm vor seiner glühenden Phantasie hier erschien. Sie war schöner als jemals vorher, reicher und ungezwungener umspielten die glänzend schwarzen Locken ihren alabasterweißen Nacken, und der Schnee ihrer vollen Arme ließ das weiße Gewand verbleichen, aus dessen weiten Falten sie hervorsahen. Ihre Wangen waren mit einem tiefern Carmin überhaucht, in ihren großen dunkeln Augen schien sich gefühlvolle Schwärmerei und Begeisterung zu spiegeln und wie aus einer frisch erschlossenen Rose quollen die melodischen Klänge ihrer Stimme zwischen ihren vollen Lippen hervor.

Die letzten Töne des Liedes waren verklungen, die ihm nachrauschenden Accorde der Harfe waren verhallt, als Doralice unter die Veranda trat und zu dem Pfeiler schritt, hinter welchem sich Farnwald fast athemlos verborgen hielt.

Ueberwältigt von dem Zauber, welchen das schöne Mädchen über ihn ausgegossen hatte, war er seiner Gefühle nicht länger mächtig, er hörte ihr Gewand rauschen, sah des Mondes Licht auf sie fallen, erblickte ihre kleine Hand, wie sie dieselbe durch die Ranken nach ihm hinstreckte, ergriff sie und sie an seine brennenden Lipven drückend, sank er vor Doralice nieder.

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»Können Sie mir vergeben, himmlische Doralice,« rief er aus und preßte wieder und wieder seinen Mund auf ihre weiche Rechte.«

»Farnwald?« sagte sie erschrocken mit halblauter Stimme, doch ließ sie ihm ihre Hand, sie trat nicht zurück, als er seinen Arm um sie schlang, sie entzog ihm ihren Mund nicht, als sich der seinige ihm näherte. Ohne ihren gegenseitigen Gefühlen Worte zu geben, ohne zu fragen, wie es gekommen sei, daß sie sich liebten, schlugen ihre Herzen zusammen, in stummer Wonne war all ihr Sehnen, all ihr süßes Hoffen erfüllt, und der Mond ließ sein überredend mildes Licht auf dem selig liebenden Paare ruhen; da fiel ein Schuß, das Feuer eines Gewehrs blitzte über die Veranda, sein Donner ließ das Gebäude erzittern und ein dringendes ängstliches Klagegeschrei klang seitwärts des Hauses von den Negerhütten herüber.

»Ach Himmel, das ist Ben!« rief Doralice mit unterdrückter geängstigter Stimme; »eile, mein Geliebter, hilf, rette, wenn Rettung möglich ist! Großer Gott, habe Erbarmen!« und mit diesen Worten eilte sie in ihr Zimmer, während Farnwald den Jammertönen zustürzte, die jetzt von einer zweiten Stimme mit dem gräßlichsten Schreien übertönt wurden.

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In dem Staube vor Sallys Hütte lag Ben, der junge Mulatte, in seinem Blute hingestreckt und über ihm kniete das gelbe Mädchen, dessen Geberden und Klagerufe den höchsten Grad der Verzweiflung bekundeten. Sally hatte ihren Arm um den Nacken des sterbenden jungen Mannes geschlungen, und drückte damit dessen Kopf gegen ihre entblößte Brust, während sie ihre kleine Linke krampfhaft in der Fülle ihres schwarzen Lockenhaares vergraben hielt, und zum Himmel aufsehend durch Schreien ihrem Jammer, ihrer Verzweiflung Luft machte.

» Ben, Ben, Hülfe, er stirbt!« schrie sie in ihrer Angst, indem sie ihre wilden, trostlosen Blicke nach allen Richtungen hin um sich warf. Es waren viele Neger mit Lichtern herbeigeeilt und beleuchteten die todtenfahlen Züge des sterbenden Sklaven, als Farnwald herzusprang, das Mädchen von ihm zurückschob und ihn aufrichtend, nach seiner Wunde suchte. Er war mit Rehpfosten geschossen, von denen drei Stück ihm unter den Schultern in den Rücken eingedrungen waren. Das Blut entquoll den Wunden in Strömen, die Kräfte des Mulatten sanken mit jedem Augenblicke mehr, er war der Sprache beraubt und kaum noch im Stande die Augenlider zu heben und einen wehmüthigen, schmerzvollen Abschiedsblick zu Sally, der Geliebten, zu senden. Dann senkte

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er den Kopf auf die Brust, holte noch einmal tief Athem und war eine Leiche. Farnwald hatte ihn kaum wieder in den Staub sinken lassen, als sich das gelbe Mädchen mit erneuerten Ausbrüchen höchster Verzweiflung über den Entseelten hinwarf und die Luft mit ihrem Jammergeschrei erfüllte.

Noch standen Alle stumm um die Schreckensscene und Farnwald war im Begriff einen der umstehenden Neger um Auflklärung dieser Gräuelthat anzugehen, als Dorst, mit den Händen in den Rocktaschen und dem breitrandigen Filz tief in die Augen gedrückt, von dem Wohngebäude hergeschritten kam und mit barscher Stimme den Negern zurief:

Nun, was steht Ihr hier? fort in Eure Häuser. Es kann Euch eben so gehen wie diesem, wenn Ihr des Nachts in fremder Leute Eigenthum eindringt. Fort, sage ich. Du auch Sally, den Augenblick fort in Dein Haus, oder ich zähle Dir noch fünf und zwanzig auf. Elick und Harry, Ihr beiden zieht den Kerl dort in den Stall und schließt die Thür und Du Bob, sattle ein Maulthier, reite rasch zu Herrn Morting und sage ihm, ich ließe ihn bitten, schnell hierher zu kommen.« Darauf wendete er sich zu Farnwald und sagte mit mehr gleichgültiger Stimme:

»Sehen Sie, Herr Farnwald, das ist die einzige

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Weise, wie wir uns hier Gehorsam und Respect verschaffen können. Sie haben selbst meine letzte Aufforderung und Mahnung an Fillmoor mit angehört und demungeachtet schlich sich diese Canaille doch wieder in mein Eigenthum ein. Ich wollte ihm wenigstens einen Denkzettel mit auf den Weg geben, unglücklicherweise aber hat er ihn auf den unrechten Fleck bekommen; meine Flinte schießt die Rehpfosten zu gut.«

»Die Neger Elick und Harry hatten während dieser Zeit den Todten ergriffen, um ihn aus der Umarmung Sallys zu reißen und nachdem Stalle zu schleifen, doch diese wollte von dem Geliebten nicht lassen und hielt ihre Arme fest um ihn geklammert, indem sie scheu und verwirrt zu Dorst aufblickte.

»Fort mit ihm, werft das Mädchen zurück! Sally in Dein Haus, zum letzten Male sage ich es Dir!« rief Dorst mit zorniger Stimme, die Neger rissen die Gelbe von dem Leichname und zogen denselben bei den Schultern dem Stalle zu.

Einen Augenblick stand die Sklavin, die Hände ringend, und blickte dem Todten nach, dann fuhr sie, wie aus einem Traume auf, streckte ihre Arme nach Dorst hin, schrie ihm mit verzweifelter Stimme zu:

»Mörder, so nimm auch mich auf Dein Gewissen!« und rannte pfeilschnell fort durch das Mondlicht dem

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Schatten der hohen Bäume zu, die längs des Flusses hin standen. Dorst sprang ihr eine kurze Strecke nach, sah aber ein, daß er nicht im Stande sei, sie einzuholen und schrie Elick und Harry zu, ihr zu folgen und sie aus dem Wasser zu ziehen, wenn sie in den Fluß springen sollte.

»Kommen Sie, Herr Farnwald,« sagte er dann zu diesem zurückkehrend, »lassen Sie uns zur Ruhe gehen, ich bedaure, daß Ihr Schlaf durch diesen unangenehmen Auftritt gestört worden ist. Wer aber Neger besitzt, kann solche Unannehmlichkeiten nicht vermeiden.«

« Hiermit ging er mit Farnwald zu dem Wohngebäude zurück, wünschte ihm eine gute Nacht und begab sich in sein Schlafzimmer, während jener mit ihn überrieselndem Schauder unter der Veranda hinschritt, wo des Mörders liebliche, engelreine Tochter in ihrer Himmerthür seiner harrte.

»O des Unglücks, des Elends!« sagte Doralice mit unterdrückter schluchzender Stimme, indem sie sich ihrem Geliebten in die Arme warf. »Soll niemals Friede in unser Haus einkehren? Ist Ben wirklich todt?«

»Todt,« antwortete Farnwald schaudernd und entsetzt und blickte dann schweigend vor sich hin, während Doralice weinend ihr Gesicht an seiner Brust verbarg.

»Kannst Du mich noch lieben, Farnwald?« fragte

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das bebende Mädchen nach einer langen Pause, ohne nach ihm aufzublicken.

»Was kann der Diamant dafür, daß der Vulkan, der ihn erzeugt, Schrecken und Noth um sich verbreitete und die Erde in seiner Nähe verwüstete, was die süß duftende Magnolie, daß der Sumpf, der ihr das Leben gab, tödtliche Krankheiten aushaucht? Ich werde Dich Engel lieben und sähe ich Dich von der Hölle Gewalt selbst umgeben, ich werde Dich mein nennen, und müßte ich Dich aus dem tiefsten Schachte der Erde erbeuten; Dein bin uch und Dein bleibe ich so lange noch mem Herz schlägt und meine Seele das Bild von Dir süßem Wesen fassen kann. Doch bald müssen wir scheiden, Doralice, ich möchte es nicht über mich gewinnen können, Deinem Vater gegenüber zu dieser That zu schweigen, und mag keine Veranlassung dazu geben, unserer herzinnigen Verbindung Hindernisse zu bereiten. Ich werde Morgen abreisen.«

»Morgen? Soll die erste glückliche Zeit meines Lebens nur nach Stunden gemessen werden? Ach, gieb mir noch einen Tag, Farnwald, laß mich nur ein Mal das Glück genießen, einen heißersehnten Augenblick herannahen und wirklich erscheinen zu sehen. O, die Sehnsucht mit Hoffnung gepaart ist der Himmel auf Erden,

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der mir jetzt zum ersten Male erschlossen ist. Bleibe bis Uebermorgen.«

»Wer kann Dir etwas abschlagen, süßes himmlisches Mädchen? Es ist ja mein eignes unaussprechliches Glück, welches ich dadurch verlängere; ich bleibe und werde jede Gelegenheit vermeiden, über den Vorfall zu reden.«

Der Morgen dämmerte schon, als die beiden Liebenden schieden und mit Gefühlen der höchsten Wonne, des höchsten Glücks, aber auch der schwersten Sorgen und des tiefsten Kummers ihr Lager suchten.

Dorst trat aus dem Schlafzimmer auf die Gallerie, sah nach dem schnell heller werdenden Streife am östlichen Himmel und blickte dann, wie auf etwas wartend, in der Allee hinunter nach dem Gitterthore, welchen zu der Straße am Flusse führte. Er trug weder Rock noch Weste und der Busen seines feinen, schneeweißen Batisthemdes war weit geöffnet, damit die Kühlung der Morgenluft seine Brust freier umspielen konnte. An einen der Verandapfeiler sich anlehnend, stützte er sich mit seiner linken Hand auf das Geländer der Gallerie und fuhr abwechselnd mit seiner Rechten durch das schwarze Haar seines Hauptes und dann wieder gegen die linke Seite seiner Brust, um mehr Luft zu ihr gelangen zu lassen. Von Zeit zu Zeit warf er einen

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flüchtigen Blick nach den Negerhütten hinüber, wo sich noch Alles in tiefer Ruhe befand, denn es war Sonntag.

Bald aber kamen einzelne der Sklaven aus ihren Hütten hervor, um Wasser oder Feuerholz zu holen und auch der Neger Harry trat vor seine Thür.

Dorst hatte ihn erkannt, wendete sein Gesicht aber von ihm ab und sah wieder nach dem Gitterthore, als der Sklave, seinen Herrn bemerkend, zu ihm herangeschritten kam und sagte:

»Sally ist ertrunken, Herr. Ich sah sie, noch einige hundert Schritte von ihr entfernt, vom hohen Ufer in den Fluß springen und als ich das Wasser erreichte, war sie verschwunden, auch war nirgends mehr eine Bewegung auf dessen Oberfläche zu sehen.«

»Zur Hölle mit ihr, sie war doch nichts werth,« sagte Dorst, seine Brauen zusammenziehend, mit zorniger Stimme, und winkte dem Neger sich zu entfernen, als von mehreren der Hütten her Methodistenlieder ertönten, womit deren Bewohner den Tag Gottes feierlich begrüßten.

Dorst wandte sich um, schritt über die Gallerie nach dem anderen Ende des Gebäudes, und von da um den Weiher nach dem Gitterthore, wo er stehen blieb und auf der Straße hinunterblickte. Bald darauf wurde in der Ferne eine Staubwolke sichtbar, die Hufschläge eines

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flüchtigen Rosses ertönten, und wenige Minuten später sprengte Morting heran.

»Nun, was giebt es so Eiliges, haben Sie Arbeit für mich? ich glaubte wenigstens Ihr Haus belagert zu finden und habe gleich meine Doppelflinte mitgebracht,« sagte er scherzend, indem er vom Pferde sprang.

»Ich habe einen Neger todtgeschossen, der mir Nacht für Nacht schon seit einiger Zeit in mein Eigenthum eindrang, und den ich trotz aller Warnung nicht davon abhalten konnte. Es ist der Mulatte Ben, von Fillmoor, der Liebhaber des gelben Mädchens, welches ich von Jenem für eine Schuld übernahm. Es war ziemlich weit, von wo ich nach ihm schoß und ich dachte, der Schuß sollte ihm nur eine gute Lehre geben; doch Ihr wißt, meine Doppelflinte schießt die Pfosten sehr eng zusammen; kurz, der Kerl schlug ein Rad und es war bald mit ihm vorbei. Fillmoor, den ich übrigens noch vor Kurzem auffordern ließ, seine Sklaven von meinem Eigenthume zurückzuhalten, wird einen Mordlärm schlagen, der Bursche war tausend Dollar werth; ich dächte, Ihr rittet hinüber zu ihm und horchtet, was er dazu sagt?«

»Lärm schlagen? Zum Teufel auch, wir wollen ihm einen Proceß an den Hals hängen; wir behaupten, der Neger hätte Ihre Sklaven zum Weglaufen beredet

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und ein Complot gegen Sie unter denselben angezettelt.

»Der Gedanke ist gut, übrigens hat sich das Mädchen in den Fluß gestürzt und ist ertrunken, mithin bin ich zu Schadenersatz berechtigt. Jedenfalls reitet hinüber zu Fillmoor und droht ihm mit einer Klage, dann wird er sich schon beruhigen. Ich mag über die Sache nicht zu laut gesprochen wissen, denn ein großer Theil des Volks in der Umgegend hat es ohnehin auf mich gemünzt.«

»Ohnmächtiger Aerger, sie mögen ihn in sich fressen, es wagt ja Doch Keiner das Maul gegen uns aufzuthun, Fillmoor wird verklagt; wollen Sie es nicht thun, so überlassen Sie mir die Sache, ich bekomme eine Entschädigung aus ihm heraus. Sie wissen, die Aussage eines Negers ist vor Gericht nicht gültig, also was wir behaupten, muß als wahr angenommen werden, bis das Gegentheil bewiesen ist. Ich will gleich hinüberreiten, ehe er zufällig die Nachricht durch die Neger bekommt.«

»Bleibt und frühstückt erst, Morting.«

»Nein, Geschäftssachen gehen vor, Fillmoor soll mir ein Frühstück in den Kauf geben, und kann ich eine Abfindungssumme von ihm erpressen, so geht sie zwischen uns in gleiche Theile.«

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Mit diesen Worten bestieg Morting sein Pferd, und lenkte es um die Einzäunung auf den Weg zu Jenem hin, während Dorst nach dem Wohngebäude zurückkehrte und einem nahen Verwandten, Namens Warner, der nur einige Meilen von ihm entfernt wohnte, durch einen reitenden Boten eine Einladung zum Mittagsessen, mit der Bemerkung zusandte, daß er ihn dringend zu sprechen wünsche.

Kaum hatte die Frühstücksglocke den ersten Ton durch das Haus gesandt, als Farnwald nach dem Speisesaale eilte, wo, wie er es gehofft, Doralice sich schon eingefunden hatte. Mit seelenvoller Innigkeit, doch auch mit einer Thräne im Auge, kam sie ihm entgegen und empfing mit zarter Hingebung die Ergüsse, wovon sein Herz überströmte. Schon nach wenigen Minuten wurde der wonnige Austausch ihrer beseligenden Gefühle durch die herannahenden Tritte der Diener gestört, welche die Speisen herbeitrugen.

Bald erschien auch Doralices Mutter und reichte Farnwald zum Morgengruß ihre Hand, statt der Worte sprachen ihre verweinten Augen und ihre niedergeschlagenen Blicke die schwere Bekümmerniß aus, die ihre Brust erfüllte.

Dorst trat aber mit der ihm eigenen Ruhe und der gegen Farnwald angenommenen Freundlichkeit in den

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Saal und begrüßte ihn so heiter, wie man es wohl nach einer sorgenlos in ungestörter Ruhe verbrachten Nacht zu thun pflegt. Er fragte ihn, als sie ihre Plätze am Tische eingenommen hatten, ob er für den Vormittag auch schon einen Plan gemacht habe, die Zeit hinzubringen, sagte ihm, daß er einen seiner Verwandten, den er zu Tische eingeladen habe, kennen lernen würde und rieth ihm schließlich, mit Doralice gegen Sonnenuntergang mit dem Fischzeuge nach dem unweit im Walde gelegenen See zu reiten, um eine Mahlzeit Forellen für den Abend zu fangen, an denen jenes nur von Quellen ernährte Wasser außerordentlich reich sei. Er führte beinahe allein die Unterhaltung bei Tische, des Vorfalls von vergangener Nacht aber erwähnte er mit keiner Sylbe. Nach dem Frühstück entschuldigte er sich auf einige Stunden, da er verschiedene Angelegenheiten zu besorgen habe, schickte dann noch mehrere Boten zu Pferde in entgegengesetzten Richtungen ab und verließ darauf selbst, mit einer großen Doppelflinte bewaffnet, zu Roß die Niederlassung.

Madame Dorst zog sich in ihr Gemach zurück und Farnwald suchte mit Doralice die tiefen Schatten des Gartens hinter dem Hause.

»Ich kann die That meines Vaters nicht rechtfertigen, Farnwald, ja es wird mir schwer sie zu entschuldigen,«

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sagte das Mädchen mit wehmüthiger Stimme, als sie sich auf einen Sitz unter einer mächtigen Lebenseiche niedergelassen hatten. »Dennoch finden sich Gründe zu seiner Entschuldigung in dem Leben, welches er von Jugend auf geführt hat. Er trat früh in die Amerikanische Armee unter General Jakson, als derselbe die Indianer aus Florida vertrieb, und das Kriegsleben war nicht geeignet, ein leidenschaftliches reizbares Gemüth wie das seinige milder und nachgiebiger zu stimmen. Von dort zog er nach Mexico und verbrachte viele Jahre an der Grenze der Civilisation, wodurch es ihm zur andern Natur wurde, sein Interesse stets hoch zu stellen und nur seinem eignen Willen, seinen eignen Ansichten zu folgen. Später, nachdem er mit meiner Mutter verheirathet und unumschränkter Herr eines bedeutenden Vermögens geworden war, hatte er noch viel weniger Ursache sich nach andern Leuten zu richten, und Niemand vermochte seinen Gewohnheiten und seinem Eigenwillen Zwang anzuthun.«

»Ich mag nicht über ihn richten, Doralice, weder in dem Falle von letzter Nacht noch in dem mit Swarton, denn er ist Dein Vater, süßestes Mädchen und meine Liebe zu Dir verbietet mir ein Urtheil über ihn. Laß uns deshalb darüber schweigen, gieb aber Deinen wiederholten Versuch nicht auf, ihn von seinem Vorhaben

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gegen Swartons abzuhalten, denn dessen Ausführung möchte fast sicher seinen Untergang herbeiführen. Schreibe mir den Erfolg und vor Allem versäume nicht, mich zu benachrichtigen, wenn er seine Reise zu uns antreten sollte.«

»Ich schreibe es Dir sicher; der Postreiter wird ja ohnedem uns wohl nie verlassen, ohne daß ich Dir sage, wie unendlich ich Dich liebe. Ach Farnwald, wie wird mir die Zeit ohne Dich so lang werden. Soll ich Dich denn bald wiedersehen?«

»Sobald die Angelegenheit mit Swartons beendigt sein wird, komme ich sicher zu Dir zurück, und dann wird die Zeit hoffentlich nicht mehr fern sein, wo Du mich besuchst und zwar, um mich niemals wieder zu verlassen. Wirst Du es auch gern thun, Engelsmädchen?«

Statt der Antwort schlang Doralice ihren schneeigen Arm um Farnwalds Nacken, sah mit einer Thräne in den schönen Augen und mit strahlendem Blicke zu ihm auf und empfing auf ihren zarten Lippen den Dank für die stumme Gewährung seines Wunsches.

Als Doralice sich mit ihrem Geliebten nach dem Hause zurückbegab, um Toilette zu machen, fand Farnwald unter der Veranda vor dem Hause ein halbes Dutzend junger Männer versammelt, die mehr oder

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weniger Alle das wüste und rohe Aussehen von Rowdies (Taugenichtsen) hatten. Sie saßen mit ihren Stühlen gegen das Geländer der Gallerie oder gegen die Wand des Hauses gelehnt, hatten den Fußboden der Veranda mit Tabackssaft besudelt und empfingen den Gruß Farnwalds, ohne sich in ihrer nachlässigen Stellung zu rühren, mit einem stummen Kopfnicken. Die Büchsen, welche neben ihnen angelehnt standen, die langen Messer und die Pistolen, die sie im Gürtel trugen, vermehrten noch das Wilde und Desperate ihres Aeußern, mit welchem einzelne von ihnen hingeworfene rohe Scherze und Flüche vollkommen im Einklang standen. Farnwald hatte sich kaum aus nächster Nähe dieser Gesellschaft entfernt, als einer derselben sagte:

»Bin doch neugierig was der alte Fuchs von uns will, er muß die Klauen wieder tief ins Feuer gesteckt haben und unserer Hülfe bedürfen, damit wir ihm aus der Noth helfen oder er will uns für jeden Augenblick bei der Hand haben, wenn es ihm etwa an den Kragen gehen sollte.«

»Dort kommt er durch die Einzäunung geritten und zwar mit der Doppelflinte; es muß Ernst sein, denn sonst trägt er nur sein Messer,« sagte ein Anderer, wobei Alle nach Dorst hinblickten, der zu dem Hause herangeritten kam.

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»Sie entschuldigen einen Augenblick, Herr Farnwald; Geschäftssachen,« sagte Dorst unter die Veranda tretend mit einer artigen Verbeugung gegen diesen, indem er zugleich nach den wilden Gesellen hinzeigte, und schritt dann von denselben begleitet nach dem anderen Ende der Gallerie. Dort hatte er mit ihnen eine lange Unterredung, während welcher dieselben mitunter heftige Schwüre ausstießen, die aber wie es schien mit einem gegenseitigen Einverständnisse endigte. Dorst zog darauf seine Brieftasche hervor, gab einem der Fremden einige Banknoten und drückte dann Allen die Hand zum Abschied, worauf die wüsten Burschen ihre langen Büchsen über die Schulter legten, ihre Pferde bestiegen und von dannen ritten.

»Man muß sich in diesem Lande in alle Arten von Menschen zu fügen wissen, ob man will oder nicht,« sagte Dorst zu Farnwald tretend, »diese jungen Leute hatten eins von den gewöhnlichen Anliegen: das Geld war ihnen ausgegangen, und da habe ich ihnen etwas borgen müssen. Man weiß nicht, wie man sie auch ein Mal nöthig haben kann; es sind übrigens brave Burschen, wenn ihnen auch Bildung abgeht. Siehe, da kommt Warner,« setzte er hinzu, indem er nach dem Gitterthor zeigte, durch welches jetzt ein Reiter

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sein Pferd lenkte, abstieg und dasselbe an einen der Bäume befestigte.

Dorst war dem Kommenden entgegengegangen, blieb mehrere Male auf dem Wege zum Hause mit ihm stehen, wobei er eifrig mit ihm sprach, und trat dann an seiner Seite unter die Veranda auf Farnwald zu, dem er ihn als seinen Verwandten, Herrn Warner, vorstellte.

Derselbe war ein Mann von einigen dreißig Jahren, groß, schlank und eng in den Schultern, mit rothem Haar, scharf ausgeprägten schmalen Gesichtszügen, kleinen fahlgrauen Augen, von denen man nicht recht wußte, wohin sie blickten, gebogener Nase, sehr dünnen Lippen und mit vielen Sommersprossen auf Gesicht und Händen. Er war nach der Weise der Amerikanischen Gentlemen gekleidet, in schwarzem, wenn auch etwas abgetragenen, Frack und eben solchen Beinkleidern, trug aber statt des gewöhnlichen runden Hutes einen schwarzen Filz mit breitem Rande.

Bei seiner Verbeugung gegen Farnwald musterte er diesen mit einer Aufmerksamkeit, die davon zeugte, daß ihm seine Person aus irgend einer Veranlassung interessant sei, und daß er nichts ohne einen Grund thue, verrieth sein Mephistogesicht.

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»Ich freue mich Ihre Bekanntschaft zu machen; wir haben schon viel, recht viel von Ihnen gehört,« sagte er zu Farnwald, indem er ihm die Hand reichte. »Sie sind die Ursache, daß die Gegend, in der Sie wohnen, so rasch angesiedelt wurde; wie ich vielseitig gehört habe, soll sie sehr werthvoll sein und großen Ertrag versprechen. Doch auch unsere Ländereien sind gut. Haben Sie sich schon auf der Besitzung meines Vetters Dorst hier umgesehen?«

»Das Land hier ist schön, doch bin ich an die offenen wellenförmigen Prairien meiner Heimath gewöhnt, die Luft ist dort frischer und reiner; auch herrscht dort weniger Krankheit.«

»Werden Sie noch lange bei uns bleiben?«

»Meine Zeit ist gemessen, ich muß Morgen abreisen.«

» Morgen schon?« fiel Dorst ein, »es würde mir leid sein, wenn ich Ihre liebe Gesellschaft schon so bald entbehren müßte. Meine Damen werden auch dagegen protestiren.«

»Es geht doch nicht anders, meine Gegenwart ist zu Hause zu nöthig,« erwiederte Farnwald, indem sie das Zimmer erreicht hatten, wo der Credenztisch stand, zu welchem Dorst jetzt seine Gäste führte, um einen Trunk vor Tische zu nehmen.

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In dem Salon, wohin sie sich alsdann begaben, fanden sie Madame Dorst und ihre Tochter, welcher erstern die Liebesversicherungen ihres Vetters Warner angenehm zu sein schienen, während Doralice sie ernst empfing und nur mit einer Verbeugung und den Worten:

»I hope you well, Sir,« (ich hoffe, daß Sie sich Wohlbefinden, Herr) beantwortete.

»Sie besuchen uns so selten, lieber Warner, daß ich eigentlich recht böse auf Sie sein sollte,« sagte Madame Dorst zu diesem.

[»]Sie sind ja nicht durch Familie an Ihr Haus gebunden, können kommen und gehen, wann es Ihnen beliebt, und der Weg hierher ist ja nicht sehr weit.«

»Man muß seinen Freunden nicht lästig werden, theure Cousine. Wenn ich meinem Wunsche folgen dürfte, so würde ich immer hier sein; es ist ja hier wahrlich ein kleines Paradies. Verwandte findet man leicht zudringlich und habgierig, besonders, wenn man von ihnen überlaufen wird, nachdem man schon so viel an ihnen gethan hat, wie Sie an mir. Ich verdanke Ihnen ja, daß ich ein so hübsches Eigenthum besitze und sorgenfrei darauf leben kann.«

»Aber lieber Vetter, daß Sie der Kleinigkeit immer erwähnen, das Stück Land hat ja keinen hohen Werth, so

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wenig wie die Paar Kühe, Pferde und Maulthiere, die wir Ihnen damals, als Sie hierherzogen, gaben. Sie verdanken ihr Eigenthum, wie es jetzt ist, nur Ihrem eignen ausdauernden Fleiße, Ihrer eignen großen Thätigkeit.

»Wodurch ich nur anerkannt habe, daß ich die Gabe zu würdigen wußte; mein Dankgefühl für dieselbe bleibt stets unverändert.«

»Es war unser eigenes Interesse, was uns bestimmte, Sie in unserer Nähe anzusiedeln, um vorkommenden Falles eine Hülfe, eine Stütze an Ihnen zu haben.«

»Die Ihnen auch mit Allem was ich besitze, ja selbst auf Kosten meinen Lebens, jederzeit zu Gebote steht,« erwiederte Warner mit sanftem, freundlichem Ausdruck und fügte, sich die Hände reibend, noch hinzu: »Wie Sie aber so wohl und so blühend aussehen, liebe Cousine, man möchte Sie und Ihre schöne Tochter für Schwestern halten.«

Doralice stand während dieser Unterhaltung mit Farnwald seitwärts an einem Fenster und warf, derselben mit halbem Ohre folgend, nur von Zeit zu Zeit auf ihren Vetter einen mißfälligen Blick, der deutlich aussprach, wie wenig sie dessen süßen Worten traue, und wie ihr seine Schmeicheleien gründlich zuwider seien.

»Sieh, da kommt Morting, ich habe ihn zu Tische

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gebeten,« sagte Dorst durch das Fenster sehend, nahm Warner beim Arm und schritt mit ihm hinaus unter die Veranda, wo sie den Herankommenden erwarteten.

»Nun, wie steht es mit Fillmoor?« fragte Dorst, als Morting seine Flinte gegen die Wand stellte.

»Er wollte thun, als ob er böse wäre, sprach von Gerechtigkeit, von öffentlicher Meinung, von Schadenersatz und solchen Dingen mehr, als er aber hörte, daß wir ihn vor Gericht stellen wollten, wurde er zahm und gab klein bei. Die Kerle haben eine heilige Scheu vor unsern Klagen. Er ist bereit zweihundert Dollar Ersatz zu zahlen, wenn wir die Sache ruhen lassen wollen, und schwur hoch und theuer, daß er sein Eigenthum verkaufen werde, um so bald als möglich aus unserer Nähe zu ziehen. Da giebt es etwas Billiges zu kaufen. Man kann ihm gelegentlich noch ein Paar heimliche Freuden machen, etwa Feuer an seine Einzäunung legen, dann giebt er sein Grundstück für jeden Preis weg.«

»Ihr könnt die Sache mit dem Neger für Euch abmachen, ich will nichts davon haben,« antwortete Dorst; »doch laßt ihn außerdem in Ruhe. Will er sein Grundstück dann doch einmal veräußern, so soll er an mir einen Käufer finden «

»Wir bekommen nach und nach die ganze Umgegend

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in unsere Gewalt,« sagte Warner mit einem zufriedenen Lächeln; »ich habe noch einige in unsrer Nähe von Fortziehen sprechen hören. Wenn sie nur bald Ernst daraus machen.«

»An Gründen dazu soll es ihnen nicht fehlen,« bemerkte Morting.

»Nun aber von Eurer gelungenen Speculation mit dem Lande dort Oben. Ihr sagtet vorhin, dleser Farnwald sei gekommen, um die Sache zu vermitteln. Ihr werdet Euch doch hoffentlich auf nichts einlassen. Vetter? Solche Fische fängt man nicht alle Tage,« sagte Warner zu Dorst.

»Fällt nur nicht im Traume ein, dieser Kauf soll Morting und mir einige zwanzigtausend Dollar einbringen. Ich habe Farnwald ziemlich für mich gewonnen, so daß er wohl den Swartons den Rath geben wird, die Angelegenheit in Frieden abzumachen. Er scheint vielen Einfluß auf sie zu haben.«

»Sie geben der Sache viel zu viel Wichtigkeit,« sagte Morting; »machen Sie keine Umstände mit dem Volke. Herunter von dem Lande und damit fertig.«

»Ja, läge es in unserer Gerichtsbarkeit, dann wäre es ein Leichtes, so aber müssen wir schon das Gesetz zu Hülfe nehmen; entgehen aber kann uns die Besitzung keinen Falls,« erwiederte Dorst.

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[»]Morting blieb bis zum Mittagsessen, wobei sich Doralice mit sichtbarem Widerwillen an seine Seite zwischen ihn und Farnwald setzte. Sein ordinairer unsauberer Anzug, so wie seine ganze Erscheinung stand mit der Pracht, die ihn hier umgab, im grellsten Widerspruch, dennoch sah man ihm an, daß er sich in keiner Weise verlegen, sondern ganz zu Hause fühlte.

»Ein verdammt fettes Huhn, bin ein großer Freund davon,« sagte er, indem er die Schüssel, worauf dasselbe lag, zu sich heranzog und für sich ein Stück von der Brust abschnitt. »Fräulein Doralice, wollen Sie auch ein Stück davon?« fügte er dann noch zu seiner Nachbarin gewendet hinzu, die das Anerbieten mit: »Ich danke Ihnen, Herr Morting,« ablehnte.

Warner dagegen, der Platz neben Madame Dorst genommen hatte, wußte sich mit großer Aufmerksamkeit gegen die Damen zu benehmen; er reichte ihnen die Speisen, brachte beider Gesundheit aus, und dankte zu Ende der Mahlzeit bei einem Glase Champagner in sehr gewandter Weise für die freundliche Bewirthung.

Bald nachher zogen sich Madame Dorst und Doralice in ihre Gemächer zurück, um eine Stunde der Ruhe zu genießen, die Tafel wurde abgedeckt, feiner Madeirawein aufgetragen und die Männer brachten dabei den

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Nachmittag hauptsächlich mit Unterhaltung über die Politik der Vereinigten Staaten hin.

Als die Sonne sich zu neigen begann, ließ Dorst sein Pferd satteln, gab dem Neger, der es vorführte, den Auftrag, Sorge zu tragen, daß Ben, der Mulatte, begraben würde und ritt mit Warner und Morting davon.

Farnwald hatte sich unter der Veranda niedergelassen und blickte, in sich versunken, auf den jetzt beschatteten Weiher, auf dessen dunkler ruhiger Fläche die Schwäne, ihr blendend weißes Gefieder blähend, hin[-] und herzogen; da legte Doralice die Hand leise auf seine Schulter und sagte, mit zauberischem Liebreiz zu ihm niederblickend:

»Waren Deine Gedanken bei Deiner Doralice?«

»Ja, süßester Engel, wo könnten sie anders sein? Ich habe ja keinen mehr, der nicht Dein liebes Bild umschlösse, ich habe keinen Blick, in dem sich Deine Himmelsaugen nicht spiegelten, und kein Gefühl, das nicht von meiner Liebe zu Dir bewegt würde,« antwortete Farnwald, indem er seine Lippen auf die zarte Hand des Mädchens drückte und sich von seinem Sitze erhob.

»Wollen wir nach dem See reiten? Er liegt nur eine halbe Meile von hier entfernt, und der Abend ist so schön, so still an seinem Ufer,« sagte Doralice.

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»Gern, mein Liebchen, im Himmel ist man da, wo Du weilst, und Du sollst mir den schönen See zeigen. Ich will die Pferde bestellen.«

»Ach vergieb, Farnwald, ich habe sie schon bestellt ohne Deinen Beschluß dazu eingeholt zu haben, nur weil der Ritt Dir Freude machen wird, nicht aus Eigenwillen, denn ich besitze keinen Willen mehr ohne den Deinigen.«

»Du theures, liebliches Wesen, Du weißt wohl, daß Dein Wunsch mein Wille ist. Ich will die Pferde herbeiholen während Du Dein Reitkleid anlegst.«

»Du mußt die Angel mitnehmen, wenn wir auch nicht viel fischen. Es ist alle Tage Fischtag, aber nicht immer Fangtag,« sagte Doralice scherzend, warf ihrem Geliebten noch einen fröhlichen lächelnden Blick zu und sprang leicht wie ein Reh, auf der Veranda hin nach ihrem Zimmer, während Farnwald dem Sklaven herbeizukommen winkte, der mit den gesattelten Pferden bei den Negerhütten stand und auf weitere Befehle harrte.

Doralice kam bald zurück, Farnwald hob sie auf seinen Schimmel, denn diesen hatte sie sich zu allen ihren Ritten ausbedungen, bestieg selbst den Rappen, nahm einem Negerjungen die Angel und dass Fischzeug ab und ritt dann an der Seite seines geliebten Mädchens

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dem Holze zu, dessen höchste Bäume noch in dem Feuerscheine der sinkenden Sonne erglänzten. Der Wald war so frisch, seine Luft so stärkend und belebend; die einzelnen blitzenden Sonnenlichter in seinem dunkeln Grün waren nicht mehr blendend, sie thaten dem Auge wohl und erhöhten die Pracht, die Herrlichkeit dieses blüthendurchrankten Urwaldes. In Glückseligkeit und Wonne schwelgend zog das liebende Paar durch dessen kühlen, duftigen Schatten und hielt die Pferde möglichst nahe nebeneinander, so daß Farnwald mit seiner Linken die süße Gefährtin, die sich anmuthig zu ihm herüberbog, umschlungen halten konnte, bis sie zuweilen eine neidische, in den Weg herabhängende Weinranke auf einige Momente trennte.

So erreichten sie fast zu früh für ihr augenblickliches Glück den Waldsaum, wo er sich um den kristallklaren See legte und sich in himmelhohen riefenhaften Cypressen um denselben aufthürmte.

Hier hob Farnwald seine Doralice von dem frommen Schimmel, setzte sie in dem schwellenden üppigen Grase nieder, band den Rappen an einen schwanken Zweig und ließ seinem Hengste die Freiheit, damit derselbe sich an den üppigen Kräutern, die den Boden bedeckten, laben möge.

Die Angel ward an einen Baum gestellt und die

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glücklichen Liebenden ließen sich auf einem Vorsprung des Ufers nieder, welcher weit über die klare Fluth hing und von verschlungenen Riesenwurzeln einer uralten Cypresse gebildet wurde.

In dem grünen durchsichtigen Element unter ihnen, dem sich er azurne Himmel spiegelte, schossen die bunt und goldig schimmernden Schaaren der lustigen Fische spielend durcheinander hin, und hier und dort stahl sich ein glühender Strahl der scheidenden Sonne, wie zum Abschied, durch die dunkeln Laubmassen und küßte die stille Fluth. Der brennendrothe Kardinal, der Spottvogel, der glänzende Blauvogel, die goldige Lerche sangen ihre Abendlieder, Schaaren von glühendfarbigen Papageien zogen hin und wieder von Waldsaum zu Waldsaum, der weißköpfige Adler sandte von der Spitze der höchsten Cvpresse seinen Ruf durch den düster werdenden Wald und der weiße Reiher schwebte wie ein Silberhauch über dem See.

Begeisternd und erhebend wirkte die reizende Umgebung und die heilige Ruhe, die über Wald und Fluth lag, auf die Seelen der beiden Glücklichen; sie träumten sich fern von den Menschen in eine Welt der Liebe, in der nur ihre beiden Herzen schlugen, in der Neid und Bosheit sie nicht erreichen und Nichts ihr Glück, ihre Wonne stören konnte.

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Die Sonne war versunken, die schwarzen Schatten der einbrechenden Nacht färbten sich mit Purpur, der Mond blickte im Aufsteigen glühendroth durch die Oeffnung, wo die Straße an der andern Seite des Sees den dunkeln Wald durchbrach, zu den Liebenden herüber und spiegelte sein feuriges, majestätisches Antlitz auf der dunkeln Fläche des Wassers.

»Wir müssen unser Paradies verlassen, mein Geliebter,« sagte Doralice. »Es ist schon spät, man wird uns zu Hause erwarten. Der Mond zeigt uns den Weg bei dem Liede der Nachtigall (Spottvogel).«

» Ja, theures Mädchen, könntest Du nur einmal unsere deutsche Nachtigall hören, sie singt noch viel klagender, viel süßer als diese, wenn auch nicht so emsig, nicht mit so viel Abwechselung.«

»Abwechselung, das ist für hochbeglückte Herzen ein gefährliches Wort, sie können nicht Viel, vielleicht Nichts dabei gewinnen, wohl aber Viel verlieren. O, daß unser Glück nicht schon dauernd sein darf!«

»Bald, bald, Doralice, soll es durch Nichts mehr unterbrochen werden. So, wie hier am See uns eine stille, von den Menschen abgeschlossene Welt der Liebe, der Seligkeit umgab, so wollen wir uns in meiner Heimath einen eignen Himmel schaffen und Alles daraus fern halten, was unser Glück stören könnte. Laß uns

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reiten, unser Freund dort mahnt an den Heimweg,« sagte Farnwald auf den Mond deutend, ging dann zu seinem Schimmel, der von dessen Licht hell beschienen, in einiger Entfernung in den hohen Kräutern am Ufer des Sees graste, führte ihn zu der Geliebten und hob sie auf seinen breiten Rücken. Der Angel gedachte er nicht, schwang sich auf den Rappen und im leichten Paßgang eilten die Thiere, ohne Aufmunterung ihrer Reiter, mit sicherm Tritt über die unebene Straße durch den Wald, auf dessen Laubmassen und Riesenstämmen nach allen Richtungen hin die Lichter des Mondes zitterten.

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Capitel 11.

Der stürmischeAbend. - Entsetzen. - Erschütterung. - Der Abschied. - Der Blumenstrauß. - Der Seitenweg. - Verirrt. - Das Nachtlager im Walde. - Negerhatze. - Die Nacht im Blockhause.


Ihr kommt ja spät zurück; ich war schon in Sorge, daß Euch Etwas zugestoßen sei,« sagte Madame Dorst, die unter der Veranda der Kommenden geharrt hatte. »Vater ist auch noch nicht zurückgekehrt, er wird wohl bei Warner zum Abendessen geblieben sein, denn er ist mit ihm nach dessen Farm geritten. Kommt, laßt uns in den Speisesaal gehen, das Abendbrod wartet.«

Doralice hatte im Augenblick den Gürtel des langen weiten Reitrocks gelöst, denselben an die Erde fallen lassen und sprang mit dem Federhut und der Peitsche in der Hand aus demselben heraus dem Saale zu, während Farnwald den Ueberwurf vom Boden aufnahm und ihn der Geliebten nachtrug.

»Wo sind denn die Fische, die Ihr gefangen habt?«

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fragte Madame Dorst, indem sie ihren Sessel vom Tische zurückzog und sich in ihm niederließ.

»Wir haben nicht viel gefischt, der Abend war zu reizend an dem See, als daß man seine Blicke hätte auf einen einen Punkt festhalten können, am wenigsten aber, um einem harmlosen fröhlichen Fischchen aufzulauern und es zu morden. Wir haben gar nicht gefischt, Mutter, ich will es Dir bekennen, und der beste Beweis dafür ist, daß wahrlich die Angel dort noch an dem Baume steht, was mir so eben einfällt, denn wir haben ihrer gar nicht gedacht. Ach es war so prächtig, die Vögel sangen so schön und die Blumen um uns her dufteten so lieblich! Weißt Du, wo wir waren? Dort an der alten Cypresse, die ihre Wurzeln so weit über den See hinausstreckt; wir hatten im vergangenen Jahre bei der großen Fischparthie den Platz auch gewählt.«

»Ich erinnere mich desselben wohl, übrigens ist es allenthalben schön an dem See. Es wetterleuchtet schon seit einiger Zeit, ich glaube wir bekommen ein Gewitter; wenn Dorst nur nicht zu lange ausbleibt, ich habe es gar nicht gern, wenn er so allein in der Nacht umher reitet, wie leicht könnte ein schlechter Mensch den Augenblick benutzen.«

»Mache Dir doch nicht immer so trübe Gedanken,

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liebe beste Mutter, wer wollte Vater denn Etwas zu Leide thun?« sagte Doralice beruhigend.

»Er hat auch viele Feinde!« erwiederte die Mutter mit einem schweren Athemzuge und setzte dann noch rasch und beruhigend hinzu: » Gottlob, da ist er.«

Tritte von der Veranda her hallten durch den Corridor, Madame Dorst war nach der Thür gegangen, dieselbe öffnete sich, doch statt des erwarteten Gatten trat Harry der Neger in den Eingang und sagte:

»Wir haben Sallys Leichnam gefunden und ihn aus dem Strome gezogen. Was sollen wir mit ihm thun?«

Madame Dorst wankte bleich und entsetzt nach ihrem Sessel zurück, unfähig eine Antwort zu geben.

»Großer Gott!« seufzte Doralice und senkte ihr Gesicht in ihre Hände, doch Farnwald stand auf, ging zu dem Neger und sandte ihn mit der Weisung fort, die Todte liegen zu lassen, bis Herr Dorst zurückgekommen sei und seine Befehle darüber gegeben habe. Madame Dorst verließ bald darauf schweigend den Saal und Farnwald geleitete Doralice an eins der offenen Fenster, wo sie sich schweigend zusammen niederließen.

Im Süden war eine schwere schwarze Wolkenmasse aufgestiegen, die jetzt schon bis nahe unter dem Monde

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aufgethürmt stand, und deren Saum mit einem Silber- und Perlmutterlicht glänzend übergossen war. Bald hatte sie den Mond erreicht und stieg, dessen helles Licht von der Erde verdrängend, rasch vor ihm hin, während ein anhaltender, zuerst noch ferner Donner näher und näher rollte und statt des frühern Wetterleuchtens die Blitze beinahe ununterbrochen in dem schwarzen Wolkengebirge hin- und herzuckten. Kein Lüftchen rührte sich und eine druckende Schwüle füllte die Atmosphäre.

»Es ist ein sehr schweres Gewitter, welches dort heraufzieht; wie klar war der Himmel noch vor einer Stunde,« sagte Farnwald, die Hand Doralices in der seinigen haltend und nach den Wolken schauend.

»Es ist das Bild menschlichen Lebens; heiterer wolkenloserHimmel, Sturm und Gewitter; jauchzende Freude, Gram und Verzweiflung. Ach Farnwald, ich fürchte mich vor solchem Gegensatze, der unserm Glücke folgen könnte; es ist zu groß, zu beseligend für diese Welt des Wechsels und der Vergänglichkeit, und wer der Glücklichste ist, kann am meisten verlieren.

»Unser Glück, Doralice, liegt in uns selbst, es kann uns nicht genommen werden, wir können es nicht verlieren, wenn wir es nicht selbst aufgeben. Das Bewußtsein, treu zu bleiben und treu geliebt zu werden, wer kann es uns nehmen? Laß uns Alles verlieren,

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laß die Welt uns verstoßen - giebt es nicht einen Platz noch fern von den Menschen, wohin wir mit unserm Glück flüchten, wo wir uns einen eigenen Himmel schaffen können? Nur dann, wenn wir auf das Glück verzichten, welches uns von der Welt gegeben werden kann und nur das beanspruchen, was wir selbst in uns erzeugen, nur dann stehen wir über dem Schicksale.«

Ein Strom von Blitzen und ein Donnerschlag, der das Haus erbeben ließ, unterbrach Farnwald und schreckte Doralice von ihrem Sitze auf. Zugleich begannen die hohen Bäume an der Straße ihre Gipfel hin und her zu werfen und ein Sturm traf das Haus, daß Thüren und Fenster schlugen und wirbelnde Staubwolken unter der Veranda hinjagten.

»Mein Gott, wenn Vater nur zu Hause wäre!« sagte Doralice durch das schnell geschlossene Fenster sehend, als abermals die Blitzstrahlen hin- und herfuhren und die Umgebung des Gebäudes mit Tageshelle beleuchteten.

Jetzt wurden die Hufschläge eines flüchtigen Pferdes hörbar, abermals schoß der Blitze Gluth über die Erde, und in seine wollene Decke eingehüllt, sah man Dorst um den Weiher dem Hause zugaloppiren.

»Dem Himmel sei gedankt, da kommt Vater,« sagte Doralice und eilte aus dem Saale nach der Veranda

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diesem entgegen, wo sie die schweren Regentropfen empfingen, die der Sturm in beinahe horizontaler Richtung gegen das Haus schleuderte.

»Wir haben uns recht um Dich geängstigt, Vater,« sagte Doralice, zärtlich seine Linke in ihre beiden kleinen Hände nehmend, »Du mußt nicht immer so spät reiten.«

»Angst und immer Angst, das ist nun einmal die Liebhaberei der Frauenzimmer und Thränen ihr Trost, dabei lassen sie es aber gehen, wie der Zufall es will und hüten sich, selbst Hand anzulegen, um etwas Unangenehmes aus dem Wege zu räumen, wenn es ihnen auch ein Leichtes wäre. Hast Du Herrn Farnwald nach dem See geführt?«

»Ja wohl, Herr Dorst,« antwortete dieser »und ich bin Ihnen sehr dankbar für den großen Genuß, den Sie mir durch Anempfehlung dieses Rittes bereitet haben. Es war dort reizend.«

»Doralice hat sich doch nicht geängstigt, daß sie ins Wasser fallen möchte, oder daß eine der alten Cypressen dort umstürzen und sie treffen könnte?« sagte Dorst lächelnd, als der Neger Harry in den Saal trat und zu seinem Herrn sagte:

»Wir haben Sallys Leiche aus dem Wasser gezogen, Herr, sollen wir sie begraben?«

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Dorst fuhr zusammen, doch konnte man nicht sagen, ob es Folge von des Negers Worten, oder des gewaltigen, in diesem Augenblicke durch das Haus dröhnenden Donnerschlags sei was ihn ergriff. Seine Brrauen zogen sich zusammen, sein Blick verfinsterte sich und er schien im Begriff zu stehen seinen Unmuth an dem Sklaven auszulassen, denn er trat hastig einige Schritte auf ihn zu, doch hielt er sich zurück und sagte mit barscher Stimme:

»Nun, was brauchst Du lange zu fragen, wollt Ihr sie etwa in das Rauchhaus hängen? Begrabt sie,« dabei winkte er dem Neger mit einer heftigen Bewegung seiner Hand, worauf dieser schnell aus dem Zimmer verschwand. Dorst trat an das Fenster und sah eine Zeit lang unbeweglich in die blitzdurchzuckte Finsterniß hinaus, während der Sturm mit aller Gewalt den Regen gegen die Scheiben peitschte, dann wandte er sich nach der Thür und ging schweigend aus dem Saale.

Farnwald und Doralice hatten wieder am Fenster Platz genommen und Hand in Hand eine geraume Zeit gesessen, ohne zu reden, als Ersterer das Schweigen brach und sagte:

»Unser Abschied, Doralice, ist von Sturm und Gewitter begleitet, mag unser Wiebersehen umso heiterer, um so ungetrübter sein.«

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»Ach, Farnwald, laß uns nicht an unser Scheiden denken, noch sind der Stunden viele bis zum Morgen, sie sollen gleich denen des künftigen Wiedersehens sein. Der Abschied gehört dem Tage, der die unbarmherzige Wirklichkeit zeigt, der Nacht aber gehören die Seligkeiten der Träume, die uns dieser Welt voll Leids entrücken und uns in unsern Himmel tragen. Für uns soll es keinen Sturm, kein Gewitter geben.«

»O Du süßester Engel, bei Dir nur athme ich Seligkeit!« antwortete Farnwald, als Doralices Vater und Mutter wieder in den Saal zurückkehrten.

Dorst rauchte mit seiner wieder angenommenen Ruhe eine Cigarre, sah durch das Fenster, sprach über das Wetter und machte dann wieder einige Gänge durch das Zimmer, während seine Gattin schweigend nach dem Sopha ging und sich dort niederließ.

»Ist es denn wirklich Ihr Ernst, Herr Farnwald, daß Sie Morgen abreisen wollen? wir sind Ihrer ja kaum froh geworden. Sie fangen eben an, sich bei uns heimisch zu fühlen und schon wollen Sie uns wieder verlassen?« fragte Dorst.

»Es steht nicht in meiner Macht, länger zu bleiben, so gern ich es auch thäte,« erwiederte Farnwald und warf der schönen Doralice, die in ihrem eigenthümlich zarten Liebreiz strahlte, einen zärtlichen Blick zu.

»Nun, ich werde Ihnen bald den Besuch erwiedern, denn ich gedenke in der Kürze in Ihre Gegend zu kommen, bei welcher Gelegenheit ich dann nicht verfehlen will, Ihnen meine Aufwartung zu machen. Ich muß doch einmal sehen was für eine Art von Junggesellenleben Sie dort führen?«

»Das wird mir eine große Freude sein,« antwortete Farnwald, »und ich werde es mir als eine besondere Auszeichnung anrechnen, wenn Sie mir vor allen Andern in meiner Gegend den ersten Besuch gönnen wollten. Möglicherweise könnte ich Ihnen dadurch auch nützlich und dienlich werden.«

Bei diesen Worten Farnwalds sah ihn Doralice so herzlich und innig an, als wollte sie ihm durch ihre Blicke sagen, daß sie seine gute Absicht erkenne und ihm dankbar dafür sei.

»Wenn ich es so einrichten kann, so werde ich es sicher thun; zu Ihnen komme ich aber jedenfalls, denn ich habe viel von Ihrem herrlichen Lande gehört, und bin neugierig, es zu sehen.«

Es wurde eilf Uhr und Gewitter, Sturm und Regen tobten immer noch ununterbrochen fort, als Dorst sagte:

»Es wird aber wohl Zeit sein, daß Sie zur Ruhe begeben, Herr Farnwald, denn Sie haben Morgen

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einen tüchtigen Ritt vor sich. Wünschen Sie das Frühstück sehr zeitig, so haben Sie nur die Stunde dafür zu bestimmen.«

Die Blicke Doralices und Farnwalds begegneten sich wieder und letzterer sagte:

»Ach nein, ich verlasse Sie doch nicht so früh, denn ich ziehe es vor und bin es gewohnt, spät in die Nacht hinein zu reiten. Dort in meiner Gegend kenne ich jeden Weg und Steg, es ist mondhell und in der Kühle greife ich mein Pferd nicht an. Dennoch ist es an der Zeit, daß wir uns zur Ruhe begeben.«

Hierauf empfahl er sich der Familie, drückte Doralice noch bedeutsam die Hand und begab sich nach seinem Schlafzimmer, nicht aber etwa, um sich wirklich niederzulegen, sondern, um nochmals die Geliebte seines Herzens zu sehen, ihre süße Simme abermals zu hören, sie wieder an seine Brust zu drücken und endlich um Abschied von ihr zu nehmen.

Er hatte das Fenster geöffnet, denn der Sturm trieb den Regen von der andern Seite des Hauses her über dasselbe hin, und schaute einige Zeit in den Park hinein, der bald durch der Blitze Licht mit Tageshelle beleuchtet wurde, bald wieder in schwarzer Nacht vor seinen Augen verschwand.

In diesem Augenblicke, für ihn noch unerwartet, ertönten mit leise wogenden Accorden die Zaubertöne der Harfe eben laut genug, um dem glücklichen Farnwald zu sagen, daß Doralices Gedanken bei ihm waren und daß sie seiner harre. Rasch warf er seine große Satteldecke über sich, sprang zum Fenster hinaus in den vom Himmel herabströmenden Regen und trat einige Augenblicke später, die nasse Decke von sich werfend, zu der Geliebten in das magisch beleuchtete Gemach, indem er mit flehender leiser Stimme zu ihr sagte:

»O, laß die himmlischen Töne noch nicht verhallen, sie machen mich so überaus glücklich, süßes Mädchen!«

Dabei beugte er sich zu ihr nieder, legte seine Hände sanft auf ihre Schultern, senkte seine Lippen auf ihren glänzenden Scheitel und lauschte beseligt den wundervollen lieblichen Weisen, die Doralice jetzt dem Instrumente entströmen ließ. Leiser und leiser schwirrten die Saiten, einzelne Läufe und Accorde ertönten kaum noch hörbar unter den zarten kleinen Fingern des liebenden Mädchens, ihr Kopf sank zurück und bei dem letzten Verhallen der Zauberklänge empfing sie Farnwalds Dank auf ihren rosigen Lippen.

»Dank Dir, mein Lieb, mein Leben!« sagte er im Uebermaße seines Glücks, Doralice hob ihre schlanke

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Gestalt zu ihm auf und sank mit zärtlicher Innigkeit an seine Brust.

Blitz auf Blitz und Donner auf Donner erfolgte.

Draußen wüthete der Sturm und peitschte den Regen in Strahlen unter der Veranda hin, doch die Liebenden saßen bei einander vom milden Schein der Ampel umflossen im traulichen Gemach, hörten nicht die Wuthlaute der Elemente, nicht das Donnerdröhnen der stürzenden Bäume, das Rasseln der hölzernen Schindeln auf dem Dache des Hauses, sie lauschten nur gegenseitig ihren Worten innigster Liebe, ihren Schwüren ewiger Treue und saßen noch eben so zusammen, als der erste Schimmer des anbrechenden Tages bleich und mahnend zu der kaum geöffneten Thür hineinblickte.

»Leb wohl Doralice, wir müssen scheiden,« sagte Farnwald, erschreckt nach der Thürspalte blickend, weinend und schluchzend schmiegte sich die Geliebte fester und inniger an ihn und die Minuten flohen jetzt wie Augenblicke. Wieder und wieder preßten sie ihre Herzen gegeneinander, ihre Lippen wollten sich nicht trennen und der Tag sah immer heller durch die Thür herein.

»Den letzten Kuß, mein süßes Mädchen,« rief Farnwald, sprang aus dem Gemach, warf die Decke über sich und hatte in wenig Momenten sein Zimmer erreicht.

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Bleich und mit wehmüthigem Blick trat Doralice an diesem Morgen in den Saal, als ihr Vater und ihre Mutter mit Farnwald schon am Frühstückstisch saßen.

» Das Gewitter hat Dir wohl die Nachtruhe gestört, daß Du so spät erwacht bist?« sagte Dorst zu ihr, »beinahe wäre unser Gast abgereist, ohne Abschied von Dir genommen zu haben.«

»Ich muß sehr um Entschuldigung bitten,« antwortete Doralice erröthend und verlegen, indem sie sich niedersetzte und rasch sich wendend der Negerin die Tasse mit Kaffee abnahm, welche diese ihr reichte, »der Sturm während der Nacht hat mich wirklich wenig schlafen lassen. Ich freue mich nur, daß der Himmel sich aufklärt und die Kühle nach dem Gewitter Hern Farnwald eine angenehme Reise verspricht.«

»Ein Glück ist ens, daß in unsrer Gegend, wenigstens auf der Straße bis L*** alle kleinen Gewässer mit Brücken versehen sind, sonst müßten Sie unterwegs liegen bleiben,« sagte Dorst zu seinem Gast; »denn alle diese Bäche sind sicher jetzt zu reißenden Strömen angewachsen. Sie sind zwar lange genug Frontiermann gewesen, um darin kein unbedingtes Hinderniß gegen die Fortsetzung Ihres Rittes anzuerkennen und haben vielleicht selbst unsern mächtigen Strom

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gelegentlich auf Ihrem braven Pferde durchschwommen, wenn die Noth oder die Leidenschaft zur Jagd Sie dazu trieb, doch gegenwärtig glaube ich, daß auch Sie sich besinnen würden, ehe Sie sich unnöthig einer solchen Gefahr aussetzten.«

Farnwald gab keine Antwort, er war bleich geworden und sein Herz setzte mehrere Male seine Schläge aus, denn Owaja, die treue Wilde, stand bei der unerwarteten Erinnerung an seinen gefahrvollen Ritt durch den angeschwollenen Strom mit all ihrer ungekünstelten Lieblichkeit und Herzinnigkeit wieder vor ihm; er sah sie nicht mit einem Vorwurf nach ihm blicken, es war Liebe, Treue und Hingebung, die auf ihren Zügen lag, aber das Blut, das ihre Seite färbte, machte Farnwalds Wangen erbleichen und ließ sein Herz sich krampfhaft zusammenziehen. Ein Gefühl tiefster Wehmuth kam über ihn und mit der Huldigung, die man einer Heiligen weihet, sah er in Gedanken nach ihr, als einem verklärten Schutzengel, hin, doch seine Liebe gehörte jetzt wieder dem Leben, sie gehörte mit seiner ganzen Seele der lieblichen Doralice, die sein Erbleichen bemerkt hatte und erstaunt ihre Augen auf ihm ruhen ließ. Er fühlte die Gewalt, mit der sie seine Gedanken von der Vergangenheit ab und zu sich hinzog, begegnete ihrem Blicke und sagte ihr mit dem seinigen,

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daß nur sie in seinem Herzen throne, und daß darin kein Raum für ein anderes Interesse mehr vorhanden sei.

»Sie dachten so eben nach Hause, Herr Farnwald. Habe ich mich geirrt?« sagte sie mit einiger Bewegung.

»Sie haben Recht, Fräulein, es war ein Vorwurf den mir die Heimath machte, weil ich sie über die Fremde beinahe ganz vergessen konnte und hat sie mich erst wieder aufgenommen, dann wird ser erst recht Ursache haben, sich über mich zu beklagen,«

»Wenn Sie sich unsrer nur stets recht freundlich erinnern wollen, Herr Farnwald,« sagte Madame Dorst, »Sie lassen in uns aufrichtige Freunde zurück.«

»Ich bringe unsern Freund wieder mit mir, wenn ich von meiner Tour zu ihm zurückkehre, und dann muß er recht lange bei uns verweilen,« sagte Dorst, mit aller Freundlichkeit zu seinem Gaste gewendet.

Das Frühstück war eingenommen, Farnwalds Pferd wurde gesattelt vorgeführt, und er selbst war nach wenigen Minuten reisefertig. Dorst versicherte ihn seiner unbedingten Freundschaft unter allen möglichen Verhältnissen, Madame Dorst sagte ihm ein herzliches Lebewohl und bat, ihrer und ihrer Familie liebevoll zu gedenken und Doralice vermochte nur einige unverständliche Worte des Abschiedes hervorzubringen, um so deutlicher aber redete eine Thräne, die in ihrem Auge erglänzte und

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ihr so schön stand, und die Innigkeit, womit sie nochmals seine Hand drückte.

Farnwalds Blick dagegen sagte ihr schmerzvoll, wie es ihm schwer um das Herz sei, er schied rasch um den Schmerz der Trennung nicht zu verlängern, bestieg sein Pferd und eilte von dannen.

Mit wehenden Tüchern wurden Grüße gewechselt, so lange sich die Liebenden noch mit ihren Blicken erreichen konnten.«

Farnwald war bald über die nahe Brücke geritten und lenkte von der Straße ab, der kleinen Farm zu, von deren Eigenthümer, wie Doralice ihm gesagt hatte, die Post-Office gehalten wurde. Er wollte sich erkundigen, ob dort vielleicht Briefe für ihn aus der Heimath angekommen seien. Der Farmer und zugleich Postmeister Dankward saß vor der Thür seines kleinen Blockhauses, beschäftigt aus abgerissenen Streifen des faserigen zähen Holzes der Weißeiche einen Korb zum Einsammeln der Baumwolle zu flechten, bot Farnwald, ohne sich in seiner Arbeit stören zu lassen, seinen Gruß und lud ihn ein, abzusteigen und einen kühlen Trunk von dem herrlichen Quellwasser zu nehmen, womit ein neben der Thür auf einem abgesägten Baumstumpf stehender Eimer gefüllt war.

»Ich danke Ihnen, Herr Dankward,« antwortete

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dieser, »ich habe so eben bei Herrn Dorst gefrühstückt und will mich nur erkundigen, ob vielleicht Briefe für mich hier angekommen sind; mein Name ist Farnwald.«

»Ich glaube nicht; wenn Sie so gut sein wollen, so können Sie selbst die Briefe durchsehen, die noch hier sind, sie liegen in dem Hause auf dem Tische,« erwiederte der Postmeister, mit seiner Arbeit fortfahrend. Farnwald stieg ab, hing den Zügel seines Pferdes an einen Haken, der zu diesem Behufe in eine, vor dem Hause stehende Eiche eingeschlagen war und begab sich in das Haus, wo er auf dem roh gezimmerten Tische Briefe vorfand, aber keinen darunter, der an ihn gerichtet war. Während er die Aufschriften untersuchte, rief der Postmeister von draußen her:

»Dutch Charley, der Postreiter, muß heute Morgen von dort Oben kommen. Sie werden ihm wahrscheinlich begegnen, wenn Sie die Straße nach L*** reiten, und dann können Sie Briefe, die er etwa für Sie haben sollte, von ihm empfangen.«

»Schön, doch möchte ich gern selbst die Gelegenheit zur baldigen Beförderung einiger Zeilen an einen Freund benutzen, der weiter unten am Flusse wohnt; können Sie mir vielleicht etwas Papier und Dinte zukommen lassen? eine Feder habe ich bei mir.«

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»In der Tischlade werden Sie beides finden; ich habe wenigstens vor einigen Tagen einen Bogen Papier glattgestrichen und dort hineingelegt, in welchem einige Honigkuchen eingeschlagen waren, die meiner Frau aus dem Städtchen zum Geschenk mitgebracht wurden. Wollen Sie selbst einmal nachsehen?«

Farnwald fand daselbst wirklich besagtes Papier, strich dessen Falten möglichst glatt und schrieb eiligst ein paar Worte an seinen Freund Renard darauf, durch welche er ihm sagte, daß es ihm nicht möglich gewesen sei, zu ihm zu kommen, obgleich er sich so lange in seiner Nähe aufgehalten habe, versprach ihm aber einen baldigen Besuch und bat ihn schließlich um Nachrichten über sich und seine Familie.

In Ermangelung von Siegellack und Oblaten verschloß er den Brief mit etwas frischem Brode, welches er aus dem Vorrathsschranke nahm, und übergab denselben alsdann zur Beförderung durch Dutch Charley dem fleißigen Postmeister, welcher ihn bat, das Schreiben auf die Bank neben ihn zu legen. Farnwald eilte sodann mit einem »guten Morgen« wieder zur Straße zurück, um möglichst zeitig L*** zu erreichen.

Das Gewitter von vergangener Nacht hatte den Staub von der Straße entfernt, hatte das Grün des Laubes erfrischt und die Luft abgekühlt, die angenehm

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bewegt dem Reiter entgegenzog und ihn, so wie auch sein Roß labte und erquickte.

Farnwald hatte während seines Aufenthalts bei Dorst immer Gelegenheit gehabt, seinem Glücke, welches er durch die Liebe Doralices genossen, Worte zu verleihen, oder sich wenigstens mit Blicken, mit einem zarten Händedruck auszusprechen; doch jetzt überfüllte es ihm die Brust, nur die tausend seligen Augenblicke, die er in der Nähe des reizenden Mädchens verbracht hatte, drängten sich so lebendig und so gleichzeitig vor den Spiegl seiner Erinnerung, daß er keinen der einzelnen Gedanken festhalten konnte, die sich um das schöne Bild der Geliebten bewegten. Welch reiches Glück war ihm bei Dorst geworden! Doch in der Sache selbst, welche die Veranlassung zu seiner Reise gegeben, in der trostlosen Angelegenheit der armen Swartons, hatte er trotz der innigsten Theilnahme an ihrem Unglücke und Aufbietung seines Möglichsten leider gar nichts erreicht, und konnte sich nur mit der Hoffnung trösten, daß wohl später eine günstigere Gelegenheit dafür erscheinen werde. Dann fiel er immer wieder in die glücklichen Träumereien zurück, die ihm seine Liebe zu Doralice verzauberte.

Nach einiger Zeit scharfen Reitens hielt er seinen Hengst in dem dunkeln Schatten dichter Lebenseichen in

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der Nähe eines klaren Baches an, damit das brave Thier sich etwas verschnaufe und seinen Durst lösche, welche Gelegenheit er selbst benutzen wollte, um seine kleine Pfeife zu stopfen und anzuzünden. Er hatte die rothe wollene Decke, auf der er saß, von den Pistolenholftern zurückgeschlagen und hob den von Bärenfell verfertigten Deckel der einen in die Höhe, um den Tabacksbeutel daraus hervorzunehmen, als er ein Bouquet der schönsten Blumen gewahrte, aus welchem ein zierlich zusammengelegtes Papier hervorsah. Freudig überrascht hatte er dieses schnell geöffnet und las wie folgt

Farnwald war außer sich vor freudiger Ueberraschung, er drückte bald das Papier, bald die Blumen an seine Lippen, es war ihm, als sei es Doralice selbst, die ihm diese Zeichen ihrer Liebe reichte,

»O Du süßes himmlisches Mädchen!« rief er wiederholt in höchster Seligkeit aus, und würde in seinen verliebten Träumereien noch lange nicht an die Weiterreise gedacht haben, hätte nicht sein Pferd selbst eingesehen, daß keine Zeit zu vergeuden sei, wollte man noch heute die Heimath erreichen. Es hatte inzwischen mit seinem Reiter den Bach durchschritten und setzte sich, auf dessen anderm Ufer angelangt, in seinen eiligen Paßgang, den es bei langen Ritten ununterbrochen einhalten konnte.

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Farnwald hatte die Blumen und das Schreiben sorgfältig in den Holftern untergebracht, er vergaß in seiner glücklichen Aufregung die Pfeife und eilte mit hochschlagendem Herzen und dem Gefühl der Kraft und Ausdauer, die dem Menschen durch die Voraussicht einer frohen Zukunft zu eigen wird, vorwärts über Berg und Thal, durch Wälder und Prairien, bis er sein erhitztes Roß bei dem freundlichen Wirthe, Herrn Fantroy in L*** anhielt und der Sorgfalt der Neger übergab, die ihm von Jenem zur Verfügung gestellt wurden.

Ein gutes Mittagsmahl und einige Stunden der Pflege und Ruhe hatten Reiter und Pferd gestärkt, es wurde gesattelt und frohen Sinnes eilte Farnwald fort, um die zweite größere Hälfte seines Weges zurückzulegen.

Die Sonne war jetzt drückend, das helle Gestein der Straße warf ihre Strahlen glühend zurück und die Luft stand unbeweglich still. Der Hengst schüttelte von Zeit zu Zeit seinen breiten Hals und schlug seinen wehenden Schweif herüber und hinüber gegen die Flanken, während der Schweiß von ihm auf den Weg rieselte; dennoch hielt sein Reiter ihn im scharfen Paß, und gab ihm nur Zeit, um an Gewässern, die er überschritt, seinen Durst zu stillen. Endlich neigte sich die

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Sonne, die Schatten dehnten sich aus, ein kühlender wohlthuender leichter Wind zog über die Flur, und des Rosses Tritte wurden leichter und freier. Das Düster der hereinbrechenden Nacht legte sich über die Erde, der Whippoorwill und die Eulen ließen sich hören und die Wölfe stimmten ihr klägliches Geheul an. Die Wege wurden Farnwald hier schon bekannter und vertrauter, er fing bald an, die Meilen zu zählen und auf die Uhr zu sehen, um abzumessen, gegen welche Zeit er seine Heimath erreichen würde.

Je näher er derselben kam, um so mehr sehnte er nach ihr, um so reger wurde die Erinnerung an Alles, was ihm dort lieb und theuer war. Er hörte in Gedanken die tiefe Stimme seines treuen Hundes, wie er ihm schon von weitem seinen Willkommen zurief, er sah Milly, wie sie ihn freudig in dem frisch mit Blumen geschmückten Zimmer empfing, erhielt von dem gutmüthigen Paulmann die Berichte über das, was während seiner Abwesenheit vorgefallen war und widmete der treuen Owaja sein Andenken an ihrem Grabe. Während diese immer lebendiger werdenden Bilder mit denen seines neuen Glücks vor seiner regen Phantasie fortwährend wechselten, hatte er einen steilen Bergrücken erreicht, auf dem er sein Pferd anhielt, um seine Blicke nach der hinter ihm liegenden Ferne zu richten,

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in der er die Quelle des Glücks seines ganzen künftigen Lebens zurückgelassen zu haben glaubte. Nacht hatte sich zwar über die Landschaft gelegt, aus deren dunkelm Purpur die Höhen und Wälder verschwommen noch hervorblickten und die Sehnsucht Farnwalds drängte ihn, die Lage der Gegend genauer ausfindig zu machen, in welcher Doralice lebte, um dorthin mit seinen Blicken seine Gedanken senden zu können, als über der dunkeln Ferne der Himmel heller und heller wurde, der Mond wie eine glühende Kugel feierlich emporstieg, und Lichtschein über die Erde verbreitete. Mit ganzer Seele mit innigstem Gruße hingen Farnwalds Blicke jetzt an der aufsteigenden glänzenden Welt, denn er wußte, er fühlte es, daß auch Doralice nach ihr hinsah, daß auch sie ihre Sehnsucht dorthin sandte, damit sie mit der seinigen zusammenträfe. Höher und höher stieg der Mond, sein Antlitz wurde leuchtender und die Landschaft trat in seinem klaren Silberlichte deutlicher hervor.

Farnwalds Hengst scharrte ungeduldig den Boden und mahnte dadurch seinen Herrn an die Zeit. Nochmals richtete dieser seine Blicke zum Abschiede nach dem Punkte hin, wo er glaubte, daß die Geliebte weile, gab dann seinem Pferde die Zügel und folgte der Straße in das hoch bewaldete Thal zu seinen Füßen.

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Wohl eine Stunde lang war er, in Gedanken versunken, auf dem einsamen Wege dahingezogen, als er in kurzer Entfernung seitwärts im Walde eine Rodung gewahrte und aus der offenen Thür eines dort stehenden Blockhauses ein glühender Lichtschein hervordrang, der, wie es bei den Farmern üblich, durch ein starkrauchendes Feuer von faulem Holze in der Mitte des Hauses erzeugt war, durch welches diese Leute sich gegen ihre Peiniger, die Mosquitos, vertheidigen, und lieber den Schmerz, den der dichte Holzrauch ihren Augen zufügt, ertragen, als daß sie sich von diesen Schnaken stechen lassen. Farnwald erkannte die Farm und erinnerte sich, daß von hier aus eine neue Straße zu einer andern Niederlassung durch den Urwald gebahnt war, durch welche, wenn er sie benutzte, sein Weg um mehrere Meilen verkürzt wurde. Da diese Straße schon ziemlich häufig befahren war, so trug er kein Bedenken, sie einzuschlagen, und bog, den Hauptweg verlassend, auf dieselbe ein. Sie war nur breit genug für einen Wagen, theilte sich aber oft und wendete sich zu beiden Seiten um hohe Bäume und kleine Dickungen, an deren anderem Ende diese Wege sich dann wieder vereinigten, die ursprünglich durch schwere Baumwollenwagen erzeugt waren, wenn sie sich hier begegnet und einander hatten ausweichen miissen. Der Mond stand

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schon hoch am Himmel und drang in unzähligen Lichtern durch den hohen Wald, so daß das Auge durch die vielen hell zitternden Punkte verwirrt, in einiger Entfernung einen Gegenstand nicht zu erkennen vermochte. Farnwald ließ unbesorgt sein Pferd dem Wege folgen, der nicht der geraden Richtung nach, sondern nach den, die wenigsten Schwierigkeiten bietenden Oertlichkeiten angelegt war, wobei man namentlich solche Richtungen berücksichtigt, in denen man nur die wenigst starken Bäume zu fällen nöthig hatte. In Folge dessen wand sich die Straße in Schlangenlinien oft in ganz kurven Biegungen so hin und her, daß man nicht weit auf ihr hinsehen konnte, und da die Wagenspuren dem hohen Grase, welches sie bedeckte, noch nicht allzuvielen Abbruch gethan hatten, auch das Mondlicht nur hier und da den Boden erreichte, so wurde es Farnwald mitunter schwer, den Weg zu erkennen, indem die Natur selbst links und rechts vom Holze entblöste und mit Gras bedeckte Stellen und Gänge geschaffen hatte.

Unser Reisender war wieder an einem Platze angelangt, wo anscheinend der Weg sich theilte und wo es ihm einerlei schien, welchen von beiden er einschlüge, da, wie er voraussetzte, sie sich doch bald wieder vereinigen würden. Als er eine kurze Zeit dem von ihm gewählten Wege gefolgt war, theilte sich dieser abermals

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in zwei sehr schmale Pfade durch die dichten Laubmassen, welche dem Monde beinahe jeden Durchblick verwehrten. Um den Weg besser erkennen zu können, stieg Farnwald von seinem Pferde; der Pfad wand sich hin und her und mündete zuletzt in einen kleinen freien Grasplatz aus, der jedoch von den riesenhaften Bäumen, die ihn umgaben, wie mit einer undurchsichtigen Kuppel überracht wurde. An der andern Seite desselben angelangt, sah Farnwald sich vergebens nach einer Öffnung in der Laubwand um und versuchte zur Rechten und zur Linken einen Pfad zu entdecken; doch umsonst, er konnte nicht einmal den Fleck wiederfinden, auf welchem er durch die Büsche hier eingedrungen war. Er trat in die Mitte des kleinen Platzes, blickte sich verwundert um und kam nun auf die Vermuthung, daß er irre geritten sei. Ungeduldig ging er, den Eingang suchend, um den Platz; in den düstern Schatten konnte er die Spur seines Pferdes nicht erkennen, und war bald überzeugt, daß ihm nichts übrig bleiben werde, als hier sein Nachtlager aufzuschlagen.

So wenig störend ihm dies nun auch sonst gewesen sein würde, so vereitelte es doch seinen Wunsch, noch in dieser Nacht sein Eigenthum zu begrüßen, und entlockte ihm einige heftige Worte des Unmuths, bei denen er einige Male mit dem Fuße unwillig auf den Boden

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stieß. Der aufsteigende Aerger war jedoch bald vorüber, und in sein Schicksal ergeben, nahm er seinem Pferde Sattel und Zeug ab, sah ihm wohlgefällig zu, wie es sich niederlegte, den nassen Rücken reibend, sich einige Male herüber und hinüber wälzte und nachdem es aufgesprungen und sich tüchtig geschüttelt hatte, kräftig in das saftige bethaute Gras biß. Dann ging er in das, dicht mit Rautengeflecht durchwachsene Holz, um mit den Händen umherfühlend trocknes Reisig zu sammeln, damit er ein Feuer anzünden könne. Dies war bald geschehen; bei dem Scheine der hell auflodernden Flamme fand er nun auch stärkeres Holz, trug einen Vorrath davon zusammen, breitete seine Satteldecke vor dem Feuer aus und streckte sich mit brennender Pfeife auf derselben hin.

Der röthliche Schein der flackernden Flamme zitterte hell leuchtend durch den grünen Raum, die Riesenpflanzen, die ihn umgaben, schienen ihre ungeheuren Blätter und wundervollen Blüthen mit dem tanzenden Lichte zu bewegen, und in der, tausendfach mit Ranken durchflochtenen laubigen Kuppel bebte in glühender Farbenpracht der bunteste Blumenflor, während Schaaren von glänzendfarbigen Nachtschmetterlingen das Feuer umschwirrten und umflatterten, bis sie taumelnd in der Gluth versanken.

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Farnwald hatte den Blumenstrauß und den Brief Doralices hervorgenommen, betrachtete bei dem hellen Feuerscheine jede einzelne Blüthe des erstern und durchlas wiederholt die theure Schrift der Geliebten, wobei er sich dieselbe bald bei ihrer Harfe, bald Blumen pflückend, bald süß und liebreich zu ihm redend dachte, als er bemerkte, daß an der andern Seite des Feuers die Büsche sich bewegten und bald darauf ein stattlicher Hirsch sichtbar wurde, der vertraut aus der Dickung hervor und zu dem Feuer schritt, wie dies wohl Thiere in der Wildniß, durch häufige Wald- und Prairienbrände an das Feuer gewöhnt, theils aus Neugierde thun, theils aber, um sich in den Rauch zu stellen und sich durch ihn gegen die lästigen Fliegen oder Schnaken schützen zu lassen. In demselben Augenblicke aber stutzte das Thier und blickte Farnwald überrascht mit seinen großen klugen Augen an, indem es einen seiner zierlichen Vorderläufe aufhob und seinen Körper erschreckt zurücklehnte. Fast eine Minute lang hatten sie sich gegenseitig angeschaut, als Farnwald seine Hand langsam nach der Büchse ausstreckte, die neben ihm auf der Decke lag. Doch, die Bewegung erkennend, schnellte sich der Hirsch, sein mächtiges Geweih zurück auf seinen glänzenden Rücken legend, mit einem ungeheuren Sprunge in die Dickung hinein und verschwand zwischen den

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kolossalen Pflanzen, indem er seinen Lauf durch das Rasseln bezeichnete, womit sein Gehörn das Gehölz von seinem schlanken Körper abwehrte.

Wenn auch für einige Augenblicke die Jagdleidenschaft und die sie begleitende Mordlust Farnwald ergriffen hatten, so war es ihm jetzt doch angenehm, daß das Thier zeitig seinem Schußbereiche entkommen, da er, selbst hätte er es getödtet, durchaus keinen Gebrauch davon hätte machen können; er würde seinem Pferde nur eine unnöthige Last aufgebürdet haben, hätte er es bis zu der nächsten Farm mitnehmen wollen, die er um die Frühstückszeit am kommenden Morgen zu erreichen gedachte. Der Hirsch war bald vergessen, Farnwald beugte sich seitwärts abermals über den Brief, der hell beleuchtet neben ihm auf der wollenen Decke lag und bedauerte, daß er im Augenblicke kein Schreibmaterial besaß, um seine Gefühle als Antwort niederzuschreiben. In glückliche Erinnerungen war er tief versunken, als sein Pferd ihn zur Gegenwart zurückrief, indem es plötzlich dicht neben ihm die Knie bog und sich gleichfalls beim Feuer niederlegte. Farnwald schlang liebkosend seinen Arm um den glänzenden Nacken des treuen Thieres und drückte dessen frische Nüstern gegen seine Wange, dann schürte er das Feuer an, warf starkes Holz darauf, zog seine wollene Decke um sich und

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sank auf den Sattel zurück, um sich dem süßen Schlafe zu überlassen, der ihn schon so oft im Leben in der erfrischenden Waldluft erquickt hatte. Er war von dem scharfen Tagesritt ermüdet, blickte noch einige Male nach den bunten Blumen über sich, die Augen fielen ihm zu und er war im Reiche der Träume. Plötzlich schreckte ihn der helle, wenn auch noch ferne Ton jagender Hunde auf, er sah sich verwundert um, lauschte nach der Richtung hin, woher der Lärm kam, und hörte nun auch das Jagdgeschrei verschiedener Männerstimmen, welches rasch näher kam. Lauter und wüthender schallte das Gebell und Geheul der Meute des Waldes und wurde weithin durch das Echo in den Bergen beantwortet, jubelnder und lustiger klangen die Stimmen und die Hifthörner der Jäger dazwischen.

Farnwald hatte schnell seinem Hengste, der aufgesprungen war und, nach der Jagd lauschend, seine kleinen Ohren spitzte, den Zügel übergeworfen, hatte den Gürtel mit den Revolvern umgeschnallt und harrte mit der Büchse in der Hand der, zu so ungewöhnlicher Stunde heranbrechenden Jagd. Sie schien geraden Wegs auf ihn zuzukommen und zwar von der Hauptstraße her, die er am Abend verlassen hatte. Bald vernahm er deutlich den dröhnenden Tritt einer Anzahl flüchtiger Pferde, er hörte die Jäger einzelne Hunde beim Namen

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rufen und plötzlich sah er durch die Büsche einen grellen rothen Feuerschein auf den Spitzen nicht sehr weit entfernt stehender Bäume blinken.

»Hier, Rock! - hier ist er gewesen! - Ho, ho, war recht, Lion! - Hin, hin, Swift!« riefen die Jäger jetzt den Hunden in nur noch kurzer Entfernung zu, als sich plötzlich die Büsche vor Farnwald theilten und ein Dutzend Hunde mit wüthendem Geheul auf ihn zugesprungen kamen. Er wehrte sie mit der Peitsche zurück, doch feuerte sie dies nur noch mehr zum Angriff an, den sie nun, mit rasendem Gebell um ihn springend, von allen Seiten begmmen. Das erschreckte Pferd fing an sich zu bäumen und nach allen Seiten hin auszuschlagen, so daß es Farnwald kaum möglich war den Zügel desselben zu behalten, während er mit der Peitsche sich gegen die Hunde vertheidigte.

»Verdammt, Eure Hunde schieße ich Euch über den Haufen, wenn Ihr sie nicht zurückruft!« schrie er den jetzt herankommenden Jägern zu, die wenige Augenblicke später, acht an der Zahl, und Jeder mit einer Fackel bewaffnet, gleichfalls durch die Büsche hervorbrachen und verwundert auf Farnwald blickend, ihre Pferde auf dem freien Platze, den er eingenommen, anhielten.

»Mein Gott, Herr Farnwald - ist es möglich. Sie hier?« riefen einstimmig mehrere der jungen

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Männer, während Sie sofort die Hunde in die Büsche jagten und Alle sprangen von den Pferden, um ihn zu begrüßen.

»Verdammt, wenn nicht die miserabeln Hunde Ihre Fährte statt der meines Negers aufgenommen haben,« sagte Harry Jefferson, der Sohn des Farmers, bei welchem Farnwald sich zum Frühstück einzuladen vorgenommen hatte, und der dort an der Hauptstraße wohnte, wo der neu gehauene Weg in dieselbe ausmündete. »Die Hunde sind sonst rein wie Gold und ich wollte einen Neger mit ihnen auffinden, und hätte er drei Tage Vorsprung; doch es sind junge Hunde dabei die wir anlernen wollten, und die haben die ältern auf die unrechte Fährte gebracht. Nehmen Sie es uns nicht übel, Herr Farnwald, daß wir Sie in Ihrer Ruhe gestört haben.«

»Hat nichts zu sagen, Harry, es war mir nur bange um mein Pferd,« antwortete dieser.

»Verdammte Alte, soll ich dir lehren die Fährte eines Weißen von der eines Negers zu unterscheiden?« rief Jefferson einer alten Hündin zu, die sich, demüthig wedelnd, hinter ihn geschlichen hatte, und führte bei diesen Worten einen wüthenden Peitschenhieb nach ihr.

»Ist Ihnen denn ein Neger entlaufen?« fragte Farnwald den jungen Mann.

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»Ach nein, es ist nur ein frolic (Belustigung), den wir uns machten,« erwiederte jener; »meine Freunde hier besuchten mich gegen Abend und so kamen wir überein, einmal einen Neger zu hetzen, damit die alten Hunde nicht aus der Uebung kämen und die jüngern angelernt würden. Bob, unser alter Feldneger, mußte sich vor Sonnenuntergang auf der alten Straße hin auf die Sohlen machen und auf dem neu gehauenen Wege nach unserm Hause zurückkehren, so daß er doch wenigstens acht Meilen gelaufen hat. Nach dem Abendessen setzten wir dann die Hunde auf seine Fährte, die sie ohne Fehler hielten, bis sie nicht sehr weit von hier irre wurden: wahrscheinlich hat sie Ihre Fährte abgeleitet. Wie aber um des Himmels Willen kommen Sie denn hier in das Dickicht? Sie sind ja ganz vom Wege ab.«

Farnwald erzählte den jungen lustigen Burschen nun sein Abentheuer und diese bestanden darauf, daß er mit ihnen reiten und die Jagd mit ihnen zu Ende führen möchte, um dann bei Jefferson den Rest der Nacht zuzubringen, wozu er sich auch leicht bewegen ließ.

Sein Hengst war bald gesattelt, man gab Farnwald eine Fackel, ritt zurück auf die neue Straße, setzte die Hunde frisch auf die Fährte des Negers, und scherzend rufend und jubelnd ging es fort im Galopp den Hunden

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nach, Berg auf Berg ab, durch den von den Fackeln und vom Mondlicht beleuchteten Wald. Nach Verlauf einer Stunde beeilten die Hunde plötzlich ihren Lauf, und stürmten zuletzt mit größter Wuth bei Jeffersons Farm vorüber zu einer etwas zur Seite frei stehenden Eiche, unter der sie heulend und bellend umhersprangen und in ihre dicht belaubte Krone sahen, in welche Bob, der Neger, nach dem Befehl seines Herrn hineingeklettert war.

Die Jäger stiegen nun von ihren Pferden, lobten die Hunde, koppelten dieselben zusammen und führten sie nach dem Wohngebäude, während welcher Zeit Bob von seinem Versteck herabstieg und sich nach seiner Hütte begab, um sich von der anstrengenden Anleitung zu erholen, die er den Hunden hatte geben müssen, um ihn selbst gelegentlich einzufangen, wenn ihm das Gelüst zum Entlaufen überkommen sollte.

Das Wohngebäude bestand aus zwei geräumigen Blockhäusern, die zehn Schritte von einander entfernt stehend durch ein gemeinschaftliches Dach verbunden waren, so daß der Raum zwischen ihnen durch dasselbe gegen Regen und Sonnenschein geschützt wurde. Das eine Haus, in welchem der alte Jefferson nebst Frau und Töchtern längst zur Ruhe gegangen waren, wurde als deren Privat-Zimmer betrachtet, während das

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andere den Söhnen zur Wohnung diente und der offene Raum dazwischen von der Familie zum gewöhnlichen Aufenthalt und als Speisezimmer benutzt wurde.

Farnwald ward nun von den jungen Leuten in das Haus der Söhne geführt, die Kienspäne, die als Fackeln gedient hatten, wurden in den Kamin geworfen, wo sie in lustiger Flamme aufloderten; eines der drei im Zimmer stehenden Betten wurde dem unverhofften Gaste angewiesen, und während einer von den drei jungen Jefferson die Pferde besorgte, bereiteten die beiden andern vermittelst Bärenhäuten und Steppdecken, deren, nach bei den Farmern üblichen Weise, ein großer Vorrath auf einem Tische zusammengefaltet war, Lager für die übrige Gesellschaft auf dem Fußboden.

Nachttoilette wurde eben nicht gemacht; Jacken und Schuhe warf man ab, streckte dann die kräftigen Glieder auf den Ruhestätten hin und besprach noch die so eben ausgeführte Negerjagd.

»Ein verdammt schönes Rennen!« sagte Einer.

»Wenn sie nur den Nigger noch unterwegs erwischt hätten, so daß sie ein wenig Blut von ihm hätten lecken können; es wäre für die jungen Hunde viel werth gewesen,« bemerkte ein Anderer.

»Ja, ja, da kennt Ihr Bob schlecht,« fiel Harry Jefferson ein; »der hat ihre Zähne schon einige Male

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gefühlt und würde wohl nicht lange gesäumt haben, einen Baum zu erklimmen, sobald er ihre Stimmen vernommen hätte. Auch möchte ich die Hunde nicht schärfer machen als sie schon sind.«

» Das denke ich auch, Harry, denn sie kosten Euch schon über tausend Dollar durch den entlaufnen jungen Neger, den sie vor zwei Jahren todt bissen. Wie hieß er doch?«

»William hieß er,« antwortete Harry; »daran war die alte verdammte Hündin schuld, sie faßt immer nach ber Kehle, wenn die andern Hunde an Händen und Füßen hängen. Meine eignen Neger aufzusuchen, würde ich sie auch nicht wieder mitnehmen, obgleich sie die Beste von Allen ist. Bei fremden Negern aber, wenn ich für das Einfangen bezahlt werde, nun, dann ist es mir einerlei, denn da heißt es todt oder lebendig. Da fällt mir ein, Herr Farnwald, wie sieht es denn mit der Geschichte von Swartons aus? Ich hörte, Sie seien vor einigen Wochen unten am Flusse gewesen, um den Schurken, der jenen das Land weggekauft hat, zu sprechen, und wo möglich einen Vergleich mit ihm zu Stande zu bringen. Ich habe seitdem nichts weiter davon gehört, denn ich bin nicht wieder in C*** gewesen.«

»Ich komme jetzt von dieser Reise zurück, doch ist

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es mir leider nicht gelungen, eine Vereinbarung zu Stande zu bringen. Ich fürchte sehr, Swartons werden ihr Land verlieren.«

»Dann giebt es keine Gerechtigkeit mehr in der Welt,« sagte Harry Jefferson; »verdammt, ein solcher Schuft, der die braven Swartons um ihr sauer erworbenes Eigenthum bringen kann!«

»Er selbst wird wenig Freude daran erleben,« bemerkte einer der Gäste; »er kennt Robert Swarton nicht.«

»Dorst, dies ist der Name des Käufers, ist mit allen Verhältnissen der Familie sehr wohl bekannt gewesen, als er die Speculation unternahm,« antwortete Farnwald; »er ist ein Mann von eisernem Willen und hat sehr großen Anhang dort Unten.«

»Und Swartons haben sehr großen Anhang hier Oben. Ich möchte doch sehen, ob die Herren von da Unten es mit uns aufnehmen könnten. Die letzte Schindel auf meinem Hause setzte ich für Swartons ein,« erwiederte ein anderer der jungen Burschen.

»Dorst hat das Gesetz auf seiner Seite und dies muß von jedem guten Bürger beschützt und aufrecht gehalten werden, sonst kann ein Staat nimmermehr bestehen,« antwortete Farnwald, ohne den Sprecher, der vor dem Kamine auf dem Fußboden lag, erkennen zu

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können, denn die Kienspäne waren ausgebrannt und die wenigen glühenden Kohlen waren nicht im Stande, die Finsterniß aus dem Blockhause zu verscheuchen.

»Hol der Teufel solche Gesetze,« erwiederte derselbe junge Mann mit undeutlicher Stimme, indem diese in einen schnarrenden Ton überging und gleich darauf in das allgemeine Schnarchen mit einstimmte, womit die kräftigen Schläfer das Zimmer erfüllten.

Beim sehr zeitigen Frühstück am folgenden Morgen wurde Farnwald von dem alten Jefferson, so wie von dessen Frau und Töchtern aufs Herzlichste bewillkommt. Bald nachher befand er sich wieder auf seinem Heim- wege, um zu Hause nur die Pferde zu wechseln und sofort zu Swartons Niederlassung zu eilen; denn die Nachricht, die er ihnen zu bringen hatte, so trostlos sie auch war, lag ihm dringend auf dem Herzen.

Capitel 12.

Fassung. - Der treue Sklave. - Entschluß. - Traurige Nachricht. - Festlicher Empfang. - Der Postreiter. - Der Brief. - Rachegedanken. - Die drei Verbündeten. - Der Scheinheilige. - Trostlose Mittheilung. - Die Jagd zur Zerstreuung.


In dem Hause der Familie Swarton blieb in vergangener Nacht die Ruhe lange fern. Mitternacht war schon vorüber und noch saß der alte Swarton mit seiner Frau und Tochter in der Schlafstube vor dem Kamine und blickte in die kleine Flamme, die dort halb ersterbend um ein rundum verkohltes Stück eines Baumstammes leckte und das Himmer nur schwach und wie mit unterbrochnen Pulsschlägen beleuchtete.

»Daß Farnwald so lange ausbleibt, ist mir ein böses Zeichen und auch, daß er Nichts von sich hören läßt; denn hätte er einen Vergleich zu Stande gebracht, und wäre selbst dort zurückgehalten, so würde er uns sicher durch einen Brief aus unserer Sorge gerissen haben,« sagte der alte Herr, stützte seinen Arm auf das Knie und ließ seine Stirne auf die Hand sinken.

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»Ich hoffe noch immer das Beste. Gerade weil er so lange ausbleibt, muß er noch Aussicht haben, seinen Zweck zu erreichen, sonst hält ihn ja Nichts dort zurück; denn mit Dorst war er gar nicht bekannt. Der gütige Gott wird uns nicht verlassen, lieber Swarton, er hat uns ja so oft in Gefahren beigestanden,« erwiederte Madame Swarton.

»Ja wohl ist er uns gnädig gewesen, Mutter,« antwortete der Alte, indem er mit dem Kopfe nickte und einen Blick des tiefsten Dankes nach Oben sandte, »doch deshalb dürfen wir nicht verlangen, daß es uns immer so gehe. Welches Menschen Leben kann eine so lange Reihe von ungetrübten glücklichen Jahren aufweisen, wie das unsrige? Alles ist unter unsern Händen gediehen, wir sind gesund und vergnügt gewesen, und sind wohlhabend geworden; nun kann es leicht geschehen, daß wir auch wieder arm werden. Es ist aber härter im Alter arm zu sein, als in der Jugend, in der man das schaffende Leben noch vor sich hat.«

»Sind wir denn nicht jung in unsern Kindern, Vater? Wer im Lande hat drei so brave Söhne aufzuzeigen, wie wir; sind sie nicht der Stolz der ganzen Umgegend, sind sie nicht allgemein geachtet, geehrt und wo es sein muß, auch gefürchtet?« sagte Madame Swarton, indem sie sich in ihrem Armstuhle aufrichtete

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und die aufflackernde Flamme in dem erhöhten Glänze ihrer Augen den Mutterstolz erkennen ließ, mit dem sie an diese drei Stützsäulen ihres Lebens dachte.«

»Freilich sind die Jungen brav, darum lassen sie sich auch kein Unrecht zufügen. Es wird nimmermehr gut gehen, wenn Dorst uns vertreiben will.«

»Doch Vater, ich habe mit ihnen gesprochen, was Robert thut ist den andern recht und Robert thut mir zu Liebe Alles. Sei unbesorgt, und sollte es der Himmel beschließen, daß wir unsre Heimath verlassen müssen, so ziehen wir noch einmal weiter hinaus an die Grenze und gründen uns eine neue. Wir nehmen ja unsern Wohlstand mit und tauschen nur das Land. Du und der alte Jerry, ihr seid ja Beide gottlob noch so kräftig, als zur Zeit in der wir hierher zogen und nun habt Ihr drei solche tüchtige Männer zur Hülfe, und ich habe meine gute Virginia zur Unterstützung. Laßt uns nicht verzagen, Vater, und laß uns auf das Schlimmste gefaßt sein, dann kommt es nicht unerwartet.«

»Du beschämst mich, Mary,« sagte Swarton bewegt, indem er aufstand und seiner Frau beide Arme entgegenhielt, »ich hatte Deine Hülfe vergessen und darum an meiner eignen Kraft gezweifelt. Ja, wir wollen guten Muthes sein.«

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Mit der ganzen Fülle von Glück, das ein langjähriges, ungetrübtes Zusammenleben in gegenseitiger höchster Achtung und innigster Liebe und Freundschaft gewahren kann, hielten sich die beiden Eheleute umschlungen, während Virginia ihren Arm um ihres Vaters Schultern gelegt hatte und ihre Thränen an ihrer Mutter Nacken verbarg.

»Kommt, laßt uns zur Ruhe gehen, es ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, ich fühle mich wieder jung, wir wollen wieder mit Vertrauen aus Gott ruhig schlafen, wie wir es immer gethan haben,« sagte der alte Swarton jetzt mit der ihm eignen festen Stimme und schüttete Asche über das brennende Stück Holz im Kamine, da sie alle drei gewohnt waren, im Dunkeln ihre Toilette für die Nacht zu machen.

In dem Zimmer an der andern Seite des Durchgangs, der durch das Haus führte, lagen Bill und Charles auf ihren Betten in festem Schlaf versunken, nur Robert saß noch vor dem Kohlenfeuer am Kamine und gegen ihm über der alte Jerry, welcher von Zeit zu Zeit einen Kienspan auf die Kohlen warf, um das Licht der Flamme zu erhalten. Beide saßen vornübergebeugt, jeder seinen ernsten Gedanken folgend, ohne ein Wort zu reden; Robert blickte unverwandt in das Feuer, drehte ein langes Stück Kienholz in seinen

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Händen und brach wiederholt, wenn sich seine Brauen zusammenzogen, ein Stück von demselben ab, als ob es ein Rohr gewesen wäre, während es dick genug für den Hieb einer Axt war.

Jerry heftete dann seine großen ehrlichen Augen besorgt auf seinen jungen Herrn, als fühle er, daß ein Theil der Verantwortlichkeit für das, was jener thue, auf ihn zurückfiele, da er ihn schon als Kind auf seinen Armen getragen und der Knabe, so zu sagen, an des treuen Sklaven Hand groß gewachsen war.

Jerry war im Herzen sehr bange, denn er wußte genau, woran sein junger Master dachte, was sein finsterer Blick verkündete; verstand die Sprache der Hände, mit der dieselben das starke Holz zerbrachen, aber er sagte kein Wort, da er auch wußte, daß Robert in solcher Stimmung keinen Widerspruch vertrug.

»Was meinst Du, Jerry,« brach Robert endlich das Schweigen, »wie wird es Dir behagen, wenn wir den Befehl bekommen. Alles, was wir hier zusammen in unserm Schweiße ausgeführt haben, zu verlassen und die Arbeit wo anders noch einmal zu beginnen, damit ein fremder Herr sich hierhersetze und es sich wohl sein lasse; wird es Dir nicht recht wohl thun, es zu sehen?«

»Master Robert, wie es Gott haben will, so mag

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es geschehen, Jerry ist noch stark und kann noch viel arbeiten, und wenn Robert, Bill und Charles ihm helfen wollen, wie er ihnen geholfen hat, dann thun wir in derselben Zeit dreimal so viel Arbeit, als damals nöthig war, um diesen Platz anzubauen. Ungerecht Gut wird nicht gedeihen,« antwortete der Neger.

»Soll auch nicht gedeihen,« sagte Robert, indem er abermals ein Stück von dem Holze brach und es auf das Feuer warf.

»Das sollen wir unserm Herrn da Oben überlassen, der alles Unrecht bestraft und das Gute belohnt. Wer hat neulich den Baum auf das Haus des Herrn Jerson geworfen und ihn unter dessen Schutt erschlagen, nachdem er das arme Negermädchen halbtodt gemißhandelt hatte? Hätten die Söhne der Madame Blanchard Jerson bestrafen wollen, so wären sie dem Gerichte verfallen; es ist hier nicht mehr, wie in der Zeit, als wir hierher zogen, in der sich ein jeder noch selbst Recht verschaffen mußte.«

»Ich glaube gar, Jerry, Du willst mir vorschreiben, was ich zu thun habe?« erwiederte Robert heftig, und sah den alten Sklaven mit zornigem Blick an.

»O mein Herr, das könnte ich nicht, ich sage nur, was unser Herrgott uns befohlen hat zu thun, und was zu unterlassen,« erwiederte der Alte demüthig.

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»Das weiß ich selbst. Es steht aber nicht in der Schrift, daß man sich von einer Schlange beißen und von einem Raubthier zerreißen lassen soll, ohne sich zu wehren; und mich zu vertheidigen hast Du selbst mich gelehrt, Jerry - mit Deiner Büchse habe ich das erste Eichhörnchen geschossen.«

»Ach, Master Robert, höre den alten Jerry, denke an Deinen braven Vater, an Deine gute Mutter,« flehte der alte Diener, warf sich vor seinem jungen Herrn nieder und umklammerte dessen Knie, »überlasse das Gericht über jenen Schurken Dem über uns, der uns Alle bis jetzt so gnadenreich beschützt hat: er wird Alles zu unserm Besten lenken! Nimm den Deinigen die Ruhe, den Frieden nicht um Etwas, was wir durch Arbeit in wenig Jahren ersetzen können. Jerry wird für zwei arbeiten!« Dabei sah der alte Sklave flehend nach Robert auf, die Thränen rollten über seine faltigen schwarzen Wangen und, des jungen Mannes Hand ergreifend, preßte er seine aufgeworfenen Lippen auf dieselbe, indem er bittend sagte: »Master Robert!«

»Komm, komm, ehrlicher Jerry, steh auf, ich will ja thun, was Du mir sagst; ich habe es meiner Mutter auch schon versprochen, nicht Hand an den Schurken Dorst zu legen; die Wuth gegen den Hund reißt mich nur manchmal mit sich fort und dann meine ich,

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sein Herz wäre ein Eichhörnchen, dem ich den Kopf wegschießen müßte. Doch sei ruhig, Jerry, ich werde mich von ihm fern halten, denn träfe ich mit ihm zusammen, nun dann - «

»Dann sollst Du ihm den Rücken zukehren und für Deinen Vater, für Deine Mutter und Schwester arbeiten, Jerry wird Dir dabei helfen und bald haben wir eine noch viel schönere Farm, als diese hier, eingerichtet. Weiter am Fluß hinauf ist herrliches Land, mit Tausenden von Büffeln und Hirschen, da kannst Du einmal wieder unter den alten Böcken aufräumen, und Jerry gerbt deren Häute für Dich,« sagte der Neger mit Freude strahlendem Blick und schwang seine Faust hoch durch die Luft, als wolle er die Jugendkraft zeigen, die noch in seinem sechzigjährigen Körper wohne.

»Es ist Zeit, daß wir uns niederlegen, guter Jerry, schon geht es gegen den Morgen,« sagte Robert, hatte sich in wenigen Augenblicken entkleidet und warf sich auf sein Bett, während der Sklave eine große Büffelhaut unter demselben hervorzog, sie vor dem Kamine ausbreitete und sich auf derselben niederließ. Die Flamme war erloschen und die glühenden Kohlen verbreiteten nur einen matten Lichtschein durch das Zimmer, als Jerry sich wiederholt nach dem jungen Swarton umsah, wie es schien, um sich zu überzeugen, daß er

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eingeschlafen sei; dann faltete er seine Hände und betete inbrünstig zu dem Allmächtigen, daß er das drohende Unglück von seiner Herrschaft abwenden und Robert, seinen Liebling, vor Unrechtthun bewahren möge, wobei der Alte bald demüthig seinen Kopf senkte, bald seine Blicke stehend nach Oben richtete. Darauf stimmte er mit kaum hörbarer Stimme eine Methodistenhymne an, holte während dieses Gesanges hinter Roberts Bett einen Packen Baumwolle, der in ein blaues Schnupftuch eingebunden war, hervor, legte ihn statt eines Kopfkissens unter den oberen langlockigen Theil der Büffelhaut, und sich darauf, die eine Seite derselben über sich schlagend, gleichfalls zur Ruhe.

Bei dem Frühstück am folgenden Morgen herrschte unter der Familie Swarton wieder eine ruhigere und gefaßtere Stimmung, als es seit Farnwalds Abreise der Fall gewesen war, und nach eingenommener Mahlzeit fanden sich zum ersten Male sämmtliche Glieder der Familie unter der Veranda zusammen, um ihre Lage mit Ruhe zu besprechen, bei welcher Berathung Jerry etwas seitwärts von ihnen an einen Pfeiler angelehnt stand.

»Das Unglück, welches uns bedroht,« sagte der alte Swarton, »haben wir uns selbst zuzuschreiben und dürfen daher nicht dagegen murren, wenn es uns trifft;

[85] damit es uns aber nicht unvorbereitet findet, so müssen wir die nöthigen Schritte thun, um ihm zu begegnen. Zunächst müssen wir uns, wenn Farnwald ungünstige Nachricht bringt, nach einem andern Stück Gouvernementsland umsehen, damit wir sobald als möglich an die Arbeit gehen können, um dort Haus und Garten herzurichten und für das kommende Jahr eine Ernte vorzubereiten. Am besten würde es wohl sein, wenn Du, Robert, Dich reisefertig machtest, um mit Jerry gleich, nachdem wir von Farnwald hören, hinauszureiten und Dich umzusehen. Hast Du dann einen Platz gefunden, von dem Du glaubst, daß er uns zusage, so reite ich selbst mit Dir hin, um meine Ansicht auch darüber auszusprechen. Ich erinnere mich aus meinen früheren Jagdzügen vieler schöner Ländereien weiter am Flusse hinauf, freilich war das nicht so ganz nahe und dürfte wohl in einer Entfernung von zwanzig bis dreißig Meilen von hier sein. Ganz in der Wildniß.«

»Das soll für uns keinen Unterschied machen, zehn Meilen weiter oder näher,« sagte Madame Swarton, »wenn wir doch einmal ziehen, so laß uns auch einen Platz wählen, auf dem unsere Arbeit belohnt wird. Zu fürchten brauchen wir uns nicht, wir sind ja stark genug.«

Bei diesen Worten warf die Mutter einen stolzen Blick auf ihre drei Söhne, als wenn Sie sagen wolle,

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daß sie mit ihnen allen Anstrengungen und Gefahren Trotz zu bieten bereit wäre.

Es wurde nun überlegt, welches Vieh, welche Pferde sich dazu eigneten, um mit hinaus in die Wildniß genommen zu werden, wieviel Mais man nöthig haben würde, um den Bedarf der Familie und die Aussaat im nächsten Frühjahre zu bestreiten, und welche Wagen und Gespanne man zur Uebersiedelung verwenden wolle.

Jerry wurde hierbei häufig um seine Ansicht befragt, und Alle, außer Robert theilten freiwillig ihre Meinungen mit, während sie dieser nur aufgefordert von sich gab.

Der Morgen verstrich und Madame Swarton war nach der Küche gegangen, um zu sehen, wie es mit dem Mittagsessen stände, als Virginia plötzlich ausrief:

»Dort kommt Herr Farnwald,« worauf Alle nach der Einzäunung rannten, um möglichst früh in seinen Blicken zu lesen, ob er frohe oder ungünstige Nachricht bringe.

Die gefaßte Stimmung der Familie sank sehr bei der Annäherung des Freundes, denn nur zu deutlich erkannten Alle bald in ihm den Ueberbringer einer traurigen Botschaft. Entmuthigung und Unruhe bemeisterte sich ihrer vollends, als Farnwald ihnen wirklich verkündete, daß alle seine Versuche zu einem Vergleiche mit Dorst vergeblich gewesen seien und dieser

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unwiderruflich auf Räumung des Eigenthums, ohne alle Entschädigung bestehe; sie suchten vergebens nach Worten, sie blickten mit feuchten Augen bald nach den Feldern, bald nach den Gärten und alle die Pläne, die sie kurz vorher entworfen hatten, waren für den Augenblick unter der Gewißheit ihres großen Verlustes begraben; denn sie hatten dieselben in der stillen Hoffnung entworfen, daß Farnwald günstige Nachricht bringe und sie dadurch der Nothwendigkeit überheben werde, ernstliche Schritte zum Verlassen dieser ihrer jetzigen Heimath zu thun.

» Es ist nun einmal nicht zu ändern, lieber Swarton,« sagte Farnwald mit ermuthigendem Tone, »wir müssen rasch Hand anlegen, um dem Schicksale zu begegnen und den Schaden auszugleichen. Sie nehmen sich ein anderes Stück Land, Ihre Freunde und Nachbarn geben Ihnen gern alle Hülfe, meine und eine große Anzahl von Blanchards Negern stehen Ihnen zu Dienste und in einem Jahre ist aller Verlust ersetzt. Wer so viele Freunde hat wie Sie, der thut Unrecht, wenn er für seine Zukunft besorgt ist. So weit der Himmel nach Westen und nach Norden blau scheint, so weit gehört das Land jedem Amerikaner, er braucht es nur sich auszuwählen und, um gutes Land zu funden, brauchen Sie nicht weit zu gehen. Sechs Meilen oberhalb

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meines Platzes liegen so schöne Ländereien in einem reizenden Thale, daß ich immer selbst Lust hatte, dorthin zu ziehen. Ich reite mit Ihnen, um sie Ihnen zu zeigen. Lassen Sie nur den Muth nicht sinken, denn Sie haben keine Ursache dazu, wenn Sie auf Ihre drei Söhne, auf Ihre eigne Kraft, so wie auf die wirthschaftliche Thätigkeit Ihrer lieben Frau und Tochter und Ihre treuen Sklaven blicken.«

Farnwalds Aufmunterung blieb nicht ohne Wirkung. Madame Swarton faßte sich zuerst und bemerkte, daß sie so eben den nämlichen Plan überlegt und beschlossen hätten, Robert solle sich ungesäumt auf den Weg machen, um für die Familie eine neue Heimath aufzusuchen. Auch der alte Herr griff den Plan wieder auf und Bill und Charles sahen mit Lust auf die Unternehmung, da das Neue und Abentheuerliche derselben ihrem kräftigen jugendlichen Gemüthe reizend erschien. Robert nur blieb in sich gekehrt und wortkarg und stimmte in alle Vorschläge erst mit ein, wenn man ihm seine Meinung abforderte. Er schien an etwas anderes zu denken und wie aus einem Traume zu erwachen, wenn er angeredet wurde. Rasch versank er wieder in sich selbst, während die andern in ihren Berathungen fortfuhren, zu denen sie von Farnwald eifrig aufgemuntert wurden, da er in der Besprechung des Uebels

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das beste Mittel erkannte, ihm das Fürchterliche zu nehmen.

Jerry aber saß auf der Treppe der Veranda und sah unter dem breiten Rande seines alten Strohhuts nach seinem jungen Master Robert hin, von dessen Blicken, von dessen Bewegungen ihm nichts entging. Ihm war der Unheil drohende Gedanke, der seine Brust immer mehr erfüllte, deutlich erkennbar und in gleichem Maße wuchs des alten Dieners Besorgniß, reifte sein Entschluß, denselben zu bekämpfen und wenn es nöthig sein würde, sein und jedes Fremden Leben zu opfern, um seinen Liebling vor einer ungerechten That zu bewahren. Dabei war seine Seele bald im Gebet zu Gott gewendet, bald blitzte die blanke Klinge seines Jagdmessers, das silberne Korn seiner sichern Büchse vor seinen Gedanken, die ihm nur ein Gefühl, nur einen Wunsch gestatteten: den, Master Robert zu bewachen, zu beschützen.

Jerry war ein frommer Mann und in tiefster Demuth Gott und der Kirche ergeben, für seinen jungen Herrn aber hätte er Alles unternommen, und hätte er damit sein Gewissen noch so schwer belasten müssen. Es fiel ihm eine drückende Last von dem Herzen, als zu Ende der Berathung von der Familie beschlossen wurde, daß Robert schon am folgenden Tage mit ihm den Ritt

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antreten sollte, um ein passendes Stück Land zu suchen; denn jedenfalls sah Jerry hierdurch Zeit gewonnen, er rechnete darauf, daß die Zerstreuung, welche die Reise bot, seines Herrn Gedanken von der Bestrafung des Bösen ablenken würde, was Dorst den Seinigen zugefügt hatte und hoffte, daß der Anblick eines schönern, vielleicht auch reicheren Landes ihm das Aufgeben seiner jetzigen Heimath erleichtern werde.

Mit Freuden empfing der Sklave den Auftrag, Alles für die Reise in Ordnung zubringen, er sah die Sattel und das Reitzeug nach, verpackte gemahlenen Kaffee, Salz und Pfeffer in Blasen, füllte die Pulverhörner, goß einen Vorrath von Kugeln für Roberts und für seine Büchse, schärfte sein Jagdmesser und die kleine Axt, die er auf der Jagd am Sattel zu tragen pflegte, und war bald in der Küche, bald bei den Pferden, bald in seines Herrn Zimmer beschäftigt, um alle nöthigen Vorrichtungen zur Reise möglichst schnell zu beenden.

Farnwald blieb zum Mittagsessen und lenkte die Gedanken, die Wünsche, die Hoffnungen der Familie nach allen seinen Kräften der zu gründenden neuen Heimath zu, zeigte ihr die vielen Vortheile, die ihr durch die unbeschränkte Wahl des Landes zu Gebote ständen, erinnerte sie daran, daß man ohne nahe Nachbarschaft viel freier und unabhängiger lebe und bedeutete

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sie, daß sie durch die Uebersiedelung mit einem Male aller Unannehmlichkeiten, Sorgen und Zwistigkeiten, die sie jetzt Wochen lang niedergebeugt hatten, überhoben sein würde. Dabei versicherte er sie abermals seinerseits jeder möglichen Hülfe, und machte sie wiederholt darauf aufmerksam, daß nicht allein die reichen Blanchards kein Opfer scheuen würden, um sie bei ihrem Unternehmen zu unterstützen, sondern, daß alle ihre übrigen Nachbarn ihnen nach besten Kräften dabei zu Hülfe kommen würden.

»In Gottes Namen,« sagte der alte Swarton, »wir wollen noch einmal beginnen, jedenfalls wird es uns diesmal leichter werden, als das erste Mal, und der Räuber unseres Eigenthums mag den Lohn ernten, den er durch seine Schandthat verdient hat.«

»Sie müssen Morgen bei mir vorsprechen. Ihr Weg führt Sie doch in meine Gegend, wir wollen Ihre Reise dann noch mit Muße bereden,« sagte Farnwald zu dem jungen Manne, dessen flammender Blick bei den Worten seines Vaters Ersterem nicht entgangen war.

Darauf ließ Farnwald sein Pferd satteln, nahm mit dem Versprechen, recht bald wiederzukommen, Abschied von den Freunden und ritt zu Blanchards, um auch ihnen das Mißlingen seiner Bemühungen bei Dorst mitzutheilen.

Mit der gewohnten Herzlichkeit wurde er von diesen

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Freunden empfangen, bei denen dann die ungünstige Botschaft gleichfalls großes Leidwesen erzeugte. Farnwald aber theilte ihnen mit, daß er Swartons bereits bestimmt habe, ihr Land aufzugeben und sich wo anders anzusiedeln, und daß er ihnen Blanchards Hülfe und Unterstützung dabei im Voraus zugesagt habe.

»Darauf können sie sicher rechnen,« sagte Madame Blanchard, »kein Opfer soll mir dabei zu groß sein. Es schmerzt mich aber in der Seele, diese lieben braven Leute aus der Nachbarschaft zu verlieren, zumal mit der Aussicht, einen schlechten Menschen an ihren Platz zu bekommen.«

»Wann wird denn der Schuft wohl Besitz nehmen wollen?« fragte George entrüstet, »er wird wohl thun einen Augenblick dazu zu wählen, wo Robert nicht zu Hause ist.«

»Auch ich hoffe, daß er nicht mit demselben zusammentreffe. Robert wird Morgen abreisen und jedenfalls mehrere Wochen ausbleiben; er scheint sich übrigens in das Schicksal fügen zu wollen. Hat er erst ein gutes Stück Land nach seinem Gefallen gewählt, dann ist mir nicht mehr bange um ihn, denn was er einmal begonnen hat, führt er auch aus.«

» Ich werde mit einigen vierzig Negern mit ihnen hinausziehen, dann wollen wir bald eine neue Farm

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für sie eingerichtet haben,« sagte Georg mit großer Theilnahme.

»Und der Dank der schönen Virginia wird Ihnen dafür nicht ausbleiben,« antwortete Farnwald lächelnd, Madame Blanchard warf einen neugierigen, doch freundlichen Blick auf Georg und diesem schoß das Blut in die Wangen.

»Dann mußt Du mich auch mitnehmen,« sagte Inez, ihrem Bruder zu Hülfe kommend, »damit auch ich für die lieben Freunde etwas thun kann, denn Madame Swarton ist schon bei Jahren und die gute Virginia wird allein nicht Allem vorstehen können.«

»Ich denke, am Ende schließen wir hier zu und ziehen Alle mit; vielleicht leistet uns Herr Farnwald Gesellschaft dabei, wenn Du ihm versprichst, Schnitten für ihn zu backen,« bemerkte Madame Blanchard scherzend und sah ihre Tochter lächelnd an.

Der Mond stand schon hoch am Himmel, als Farnwald sich seiner Niederlassung näherte und aus dem dunkeln Schatten der dichten Bäume, die sein Wohnhaus umgaben, zuerst Joe und kurz hinter ihm her Milly hervorgesprungen kamen, um ihn zu begrüßen, zu bewillkommnen.

Ein helles glänzendes Licht strahlte ihm beim Eintritt in das Zimmer entgegen und, wohin er sah, fielen

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seine Blicke auf Guirlanden, Kränze und Bouquets, die mit den prächtigsten Blumen durchwoben die Wände, Gesimse und Tische zierten und durch eine Menge Wachskerzen schön beleuchtet wurden. Auf dem sauber gedeckten Speisetische prangten wie früher die herrlichsten Blüthen in Vasen und ein mächtiger Kuchen, wozu Inez Blanchard, die während Farnwalds Abwesenheit bei einem Ritte mit ihren Brüdern sich von der Quadrone einen frischen Trunk erbeten, dieser das Recept gegeben hatte.

Farnwald war wirklich von dem Glanz und der geschmackvollen Anordnung des festlichen Schmucks überrascht und wohlthuend berührt, so daß er sich erstaunt umsah und seine Freude darüber gegen die Sklavin aussprechen wollte; doch sie war nicht mit eingetreten, sondern stand draußen unter der Veranda und schaute entzückt durch das Fenster auf die wohlgefälligen Blicke ihres Herrn.

»Ei, Milly, hast Du denn diesen herrlichen Kuchen gebacken? komm herein, damit ich Dir dafür danke,« sagte Farnwald, das freudige Strahlen in den dunkeln Augen der Sklavin durch das Fenster gewahrend, die nun leisen Trittes in das Zimmer kam und mit halb erstickter Stimme hervorstammelte:

»Zu Deiner glücklichen Rückkehr, Herr - «

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»Du bist ein liebes, gutes Mädchen,« sagte Farnwald zu ihr in warmer Anerkennung, strich ihr mit der Hand über die glänzende Lockenfülle, neigte sich zu ihr hin und sprach seinen weitern Dank durch einen Kuß aus, den er auf ihre Stirn drückte.

Die Quadrone erbebte, senkte ihren kleinen Kopf und küßte die Hand ihres Herrn.

»Was ist Dir denn, närrisches Mädchen, es fehlt Dir doch nichts, Milly?« sagte Farnwald theilnehmend zu ihr, indem er sie unter das Kinn faßte und ihr Gesicht zu sich aufrichtete.

»Nichts Herr, mein Glück ist zu groß, könnte ich nur mehr für Dich thun, damit ich Deine Güte verdiente,« antwortete die Sklavin und sah mit freudestrahlendem Blick zu ihrem Herrn auf, während Thränen über ihre glühenden Wangen rollten.

»Du thust ja immer mehr für mich, als ich von Dir erwarte und machst mich zu Deinem Schuldner, denn Du weißt ja, daß Du nur nach Deinem eignen Willen meine Sklavin bist und daß ich Nichts von Dir fordere.«

»Es ist mein einziges Glück, meine alleinige Freude, Dir zu dienen. Deine Sklavin zu sein, mich Dein Eigenthum nennen, Dir, dem ich Alles dantke, auch ganz anzugehören. Ach Herr, könntest Du in mein

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Herz blicken, so wüßtest Du, daß außer dem Gedanken an Dich kein anderer mehr dort Raum hat.«

»Gut, Milly, ich will Deine Anhänglichkeit zu verdienen suchen,« sagte Farnwald beruhigend zu der Quadrone, »nun geh und bringe mir das Abendbrod, damit ich den schönen Kuchen kosten kann. Hast Du ihn denn auch selbst gebacken?«

»Gewiß, Herr, ganz allein, Fräulein Blanchard hat mir nur die Anweisung dazu gegeben.«

Hiermit glitt das schöne Mädchen aus dem Zimmer und kam bald darauf mit dem Abendessen zurück, welches nur aus Lieblingsspeisen ihres Herrn bestand.

»Lege Dich zur Ruhe, es ist schon spät, Milly,« sagte dieser bald nach beendigtem Mahl, nahm dann, nachdem die Quadrone sich entfernt, den Brief Doralices aus seiner Brusttasche hervor und rückte die Lampe näher heran, um die lieben Schriftzüge recht deutlich erkennen zu können. Schon einige Male hatte er die Zeilen durchlesen, als er glaubte die Tritte eines Pferdes zu vernehmen. Er ging nach der offenen Thür, um zu sehen, ob er sich etwa getäuscht habe. Die Hufschläge kamen wirklich näher und wenige Minuten später hielt ein Reiter vor der Einzäunung, hing den Zügel seines Rosses über den Thürpfosten und sprang zu der Veranda herauf.

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»Guten Abend, Herr Farnwald,« sagte der Postmeister Dutch Charley, denn dieser war der Angekommene. »Diesmal bekomme ich von Ihnen einen ganz besondern Dank, denn ich bringe Ihnen einen Brief von der schönsten Dame in unserm Staate.«

»Von Fräulein Dorst?« fragte Farnwald freudig überrascht, »geben Sie her, ( Charley, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür und werde Ihnen auch gern einmal wieder dienen. Wann sind Sie dort weggeritten? War Fräulein Doralice wohl?«

» Sie schien mir blühender und schöner als ich sie je vorher gesehen, als sie mir heute früh den Briefe gab und mir auf die Seele band, ihn direct in Ihre Hände abzuliefern. Die Bäche zwischen hier und L*** waren so angeschwollen, daß ich trotz des guten Schecken, welchen ich von dort her ritt, beinahe ertrunken wäre, denn am Maulbeerbach ist, wie Sie wissen, keine Brücke; mein Pferd mußte mich schwimmend durchtragen und wurde vom heftigen Strome mit fortgerissen, so daß ich wirklich glaubte, es sei Matthäi am Letzten. Doch meine Brieftasche hatte ich um den Hals gehangen und klammerte mich mit beiden Armen um den Nacken meines braven Thieres, welches zuletzt glücklich festen Fuß faßte und mit mir am Ufer hinaufsprang. Es muß in den Bergen heftig geregnet haben, denn sämmtliche

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unbedeutende Gewässer waren zu Strömen angewachsen, worin auch der Grund liegt, daß ich nicht schon vor einer Stunde hier eingetroffen bin. Ich dachte aber, besser spät, als gar nicht, und machte den kleinen Umweg zu Ihnen hierher; denn hätte ich den Brief mit nach E*** in die Post-Office genommen, wer weiß, wann Sie ihn dann bekommen hätten!«

»Tausend Dank, Charley. Verhelfen Sie sich zu einem stärkenden Trunk, dort auf dem Tische steht Brandy, Whisky und auch Gin,« sagte Farnwald den Brief öffnend, und warf sich neben dem Tische in den Armstuhl, um denselben mit freudig glänzenden Blicken zu durchfliegen.

Es waren seelenvolle Herzensergüsse und Worte der innigsten, der reinsten Liebe, die Doralice durch diese Zeilen ihrem Geliebten übersandte. Sie erinnerte sich an alle die unendlich beglückenden Stunden, die sie zusammen durchlebt, sagte ihm, wie sie trotz ihrer jetzigen Einsamkeit durch den Gedanken, von ihm geliebt zu sein, sich glücklich fühle und schwelgte in der seligen Hoffnung, ihn bald wiederzusehen und an sein Herz sinken zu können. Ueber ihre häuslichen Verhältnisse sagte sie nur sehr wenig, fügte Herzliches von ihrer Mutter bei und bemerkte, daß ihr Vater gestern noch kein Wort über seine Reise zu Farnwald geäußert habe.

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Am Schlusse des Briefes erinnerte sie ihn an den Pfeiler der Veranda, neben welchem sie das erste Geständniß seiner Liebe empfangen hatte, legte einige Blüthen der dort rankenden Lianen und ein Vergißmeinnicht bei und schloß mit den heißesten Versicherungen ewiger Liebe und Treue.«

»Sieh, Charley, ich habe Ihnen nicht einmal eine Cigarre angeboten. Hier nehmen Sie, sie sind gut,« sagte Farnwald aus seinem Glück erwachend, und reichte dem gefälligen Postreiter ein brennendes Schwefelholz hin.

» Es ist Zeit, daß ich mich auf den Weg mache. Der Schneider, der Herr Postmeister in C*** wird wieder ungehalten sein, wem, ich ihn aus dem Bett klopfe.«

»Trinken Sie erst noch einmal, in der Nachtluft können Sie es vertragen.«

»Nun denn auf das Wohl der schönen Fräulein Dorst,« antwortete der Postreiter, indem er ein Bierglas voll, halb Brandy halb Wasser, hinuntergoß. Uebermorgen Abend, wenn ich die Briefe in C*** geholt habe, will ich hier vorsprechen, für den Fall, daß Sie einen Brief hinunter zu besorgen haben, wohin ich den folgenden Morgen abreite. Fräulein Dorst ist eine meiner besten Kunden; ich besorge alle ihre kleinen

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Aufträge und habe schon manche große Hutschachtel für sie auf meinen Schecken gepackt.«

»Jedenfalls gebe ich Ihnen einen Brief an Fräulein Dorst mit, sie hat mich dringend um Auskunft über verschiedene Gegenstände gebeten. Sollte ich selbst nicht hier sein, so wird meine Haushälterin Ihnen den Brief geben. Wahrscheinlich werden Sie mir dann die Antwort darauf bei Ihrer Rückkehr mitbringen.«

»Sie können sich auf mich verlassen, Herr Farnwald,« sagte Charley mit einem schlauen Blick, »die Briefe kommen in keines Fremden Hände.«

Darauf nahm er seinen breitrandigen rauhen Filz vom Stuhle, empfing stillschweigend beim Abschiede während des Händedrucks von Farnwald einen halben Dollar und trabte bald darauf, einen lustigen Galopp pfeifend, über die hell vom Mondlicht beleuchtete Prairie davon.

Farnwald saß am folgenden Morgen noch bei seinem ungewöhnlich späten Frühstück, als Robert Swarton mit dem treuen alten Jerry ankam. Beide waren in Leder gekleidet und die Blechgefäße und großen ledernen Taschen, die an ihren Sätteln hingen, zeigten, daß sie für eine längere Reise ansgerüstet waren. Die Pferde wurden im Schatten der Bäume befestigt und die Reiter traten zu Farnwald in das Zimmer, wo sie beide Platz nahmen, denn Jerry hatte bei den Pflanzern in der Umgegend dieses Vorzugsrecht vor seinen schwarzen Brüdern durch seine Bravheit und Treue erworben. Doch wählte er stets den schlechtesten Stuhl und stellte diesen immer nahe an die Thür.

»Nun Robert, Glück auf, wählen Sie sich nun aber auch etwas Gutes,« sagte Farnwald, demselben die Hand schüttelnd, »aufrichtig gesagt, hat mir ihr jetziger Platz nie so recht gefallen; er liegt zu niedrig und ist mehr oder weniger Fiebern ausgesetzt.«

»Wir sind doch Gottlob leidlich gesund gewesen. Soll mich wundern, ob unserm Nachfolger die Luft dort eben so gut bekommen wird,« antwortete Robert mit blitzenden Augen.

»Robert, hören Sie meinen Rath, Sie wissen, ich habe es immer treu und gut mit Ihnen gemeint. Verbannen Sie den Gedanken an Rache aus Ihrem reinen Herzen, dessen Ausführung das Glück Ihrer ganzen Familie zu Grunde richten würde. Sie selbst würden dem Gesetze verfallen und in der Lage der Ihrigen könnte nichts dadurch gebessert werden; im Gegentheil, die große Theilnahme, die ihnen jetzt von weit und breit zuströmt, dürfte durch eine Gewaltthat sehr geschmälert werden. Sie wissen, daß die Schuld Ihre Familie selbst trifft und darum benutzen Sie jetzt den Augenblick,

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wo Ihnen so viele Hülfe zu Gebote steht, um den Schaden schnell auszugleichen und möglicherweise noch einen Vortheil zu erzielen. Jeder Ihrer Nachbarn reicht Ihnen gern nach seinen Kräften die Hand. Versprechen Sie mir jetzt ehrlich, Ein für Allemal den Gedanken an Rache aufzugeben.«

»Herr Farnwald, Sie wissen, welch unerhörtes Unrecht dieser Schurke uns zufügt und wenn das Gesetz ihn noch so sehr schützt, so können Sie doch unmöglich sagen, daß er Recht thut. Wozu aber sind denn Gesetze gemacht, als den Menschen, wenn er recht handelt, zu schützen? und wenn das Gericht dies nun nicht kann, muß man es denn nicht selbst thun?«

»Allerdings, wenn Sie es können, Sie würden sich ja aber nicht in Ihrem Rechte erhalten, Sie würden sich selbst und Ihre ganze Familie nur für Lebenszeiten unglücklich machen. Seien Sie vernünftig gegen sich selbst und barmherzig gegen die Ihrigen.«

Der junge Mann blickte finster vor sich nieder und drehte an dem silberbeschlagenen Griff seines Jagdmessers, während der, an der Thür hinter ihm sitzende, alte Diener mit weitgeöffneten Augen nach Farnwald hinsah und ihm Zeichen gab, seinem jungen Master weiter zuzureden.

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»Ich werde ihn meiden, aber auch er mag mir aus dem Wege gehen. Vielleicht läßt sich durch die Zeit die Unthat vergessen, die er an uns vollbracht hat,« sagte Robert nach langem Hin- und Herreden, worauf Farnwald ihm seine Ansichten über den Weg mittheilte, den er nehmen solle und ihn auf die einzelnen Punkte aufmerksam machte, wo er glaubte, daß passendes Land für die beabsichtigte Ansiedlung zu finden sein würde.

Robert blieb zum Mittagessen, Jerry erhielt das seinige in der Küche, und nach eingenommenem Kaffee ließ Farnwald seinen Hengst satteln und begleitete seinen jungen Freund durch den breiten Waldstrich an der andern Seite des Flusses in die weiter nördlich gelegene Prairie, wo er ihm noch die nächste Richtung, die er zu nehmen hatte, nach den fernen blauen Bergen hin andeutete und dann herzlich von ihm und von seinem treuen Begleiter Abschied auf ein vergnügtes Wiedersehen nahm.

Während Farnwald dem schmalen Büffelpfade nach dem Walde hin folgte, durch dessen duftiges Dunkel er zu seiner Wohnung gelangte und die Sonne schon den Rücken der fernen Gebirgszüge im Westen erreicht hatte, saßen drei Männer im eifrigen Gespräch vor einem neuerbauten und von mächtigen Lebenseichen überschatteten Blockhause, neben welchem ein wild rauschender

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Bach sein klares Wasser über bemooste Felsblöcke hinjagte und die hohen Wasserpflanzen, die sich zwischen ihnen erhoben, in ewigem Schwanken und Nicken erhielt. Die Schatten der dichten Bäume, die das Wasser überdachten, streckten sich lang über das weite Grasland vor dem Hause und nur einzelne Strahlen der scheidenden Sonne schossen durch das Gehölz und warfen glühende Lichter auf die glänzend fetten, buntfarbigen Kühe, die jetzt, der Glocke einer alten Leitkuh folgend, über die Trift dem Hause zuwanderten.

Die drei Männer die hier aus roh geschnitzten Stühlen zusammen saßen, waren Dorst, Morting und Warner, welches letztern Wohnsitz diese Farm war. Sie hatten ihre Röcke abgelegt, um sich besser von der wohlthuenden Kühle, die frisch über die Prairie zog, umwehen zu lassen und erfreuten sich des Genusses, den der süßliche Kautaback von Virginien dem Liebhaber desselben gewährt.

»Ich habe auch Nachricht über den französischen Creolen, den Renard, erhalten, der die Plantage von der alten Mulattin unten am Flusse gekauft hat,« sagte Morting; die Besitzung mit dem Inventar ist zwanzig tausend Dollars mehr werth, als der Kerl dafür bezahlt hat. Der Herr Farnwald soll den Handel für ihn gemacht haben; der Bursche scheint seine Hände in

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Alles zu stecken, er mag sich vorsehen, daß er sie nicht gelegentlich verbrenne. Der weiße Vormund der Mulattin Morrier aber, unter dessen Mitwirkung der Kauf abgeschlossen, war nicht von dem Gericht bestätigt, weshalb, wenn die Mulattin es wünscht, der Handel rückgängig gemacht werden kann. Ich habe ihr schon durch einen unserer Freunde in New Orleans zehntausend Dollars mehr bieten lassen. Geht sie darauf ein, so drängen wir zuerst den Renard aus dem Besitze, veranlassen, daß das Gericht die Plantage unsermFreunde, dem Scheriff Baxton, zur Sequestration übergiebt, und ehe wir sie wieder aus seinen Händen lassen, pressen wir entweder eine Summe aus der alten Morrier heraus, oder ein Abfindungscapital aus dem Renard. Haben wir erst die Sache vor Gericht, so ist mir sogar für noch mehr als zehntausend Dollars nicht bange.«

»Das ist ja vortrefflich,« sagte Warner; »Sie haben doch der Wittwe meinen Vetter Dorst als Käufer genannt, so daß der nöthige Credit dabei nicht fehlt?«

»Gewiß! und ich habe ihr zugleich mitgetheilt, daß er den Scheriff in gewissenhaftester Verwaltung unterstützen würde, für den Fall, daß von Gerichtswegen Renard, der sie bei dem Handel betrogen habe, aus dem Besitze gesetzt werde. Der Kerl hat

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auch noch eine bedeutende Quantität Baumwolle, die er beim Kaufe mit übernahm, auf der Plantage liegen; wenn man ihm zufällig ein Schwefelholz hineinfallen ließe, so würde ihm das Freudenfeuer seinen Aufenthalt gerade nicht angenehmer machen,« antwortete Morting.

»Nun aber wegen unseres Geschäfts mit Swarton,« sagte Dorst; »das wollen wir erst beenden, ehe wir das neue beginnen.«

»Das thut nichts zur Sache, wir können deshalb doch alle Vorkehrungen gegen Renard treffen,« antwortete Norting; übrigens steht ja nichts im Wege, daß Sie Besitz von Swartons Lande nehmen. Sie können es zu irgend einer beliebigen Zeit thun.«

»Ich dachte in nächster Woche hinaufzureiten, doch müßte Warner oder Ihr, Morting, mich begleiten, um während der ersten Monate auf der Besitzung zu bleiben, damit die Swartons uns dort keinen Possen spielen.«

»Jedenfalls reite ich mit,« antwortete Morting, die Jungen sollen böse Milch im Leibe haben. Bis zur künftigen Woche habe ich auch sicher Antwort von New Orleans und also vorher noch hinlänglich Zeit, dem Scheriff aufzutragen, daß er die nöthigen Schritte gegen Renard thue. Ich will mich jetzt auf den Heimweg machen, denn Morgen in aller Frühe werde ich zu jenem

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hinunterreiten, um noch nöthige Erkundigungen einzuziehen und einmal in seiner Nachbarschaft zu horchen, wie der Creole bei den Leuten steht.

»Gut, so richtet Euch auf Ende kommender Woche ein, daß Ihr mit mir reitet,« sagte Dorst zu Morting. Dieser zog seinen Leinenrock an, schob ein frisches Stück Kautaback in den Mund und bestieg sein Pferd, welches seitwärts unter den Bäumen angebunden war.

»Ein unverwüstlicher Kerl, dieser Morting,« sagte Dorst, demselben nachblickend.

»Das ist nicht zu leugnen,« antwortete Warner; »doch muß man vorsichtig mit ihm sein. Er würde, wenn er dabei verdienen könnte, eben so gut Sie, lieber Vetter, verrathen, als irgend einen Fremden.«

»Deshalb mache ich alle Geschäfte mit ihm für gleiche Rechnung, so daß es stets sein Interesse bleibt, das meinige zu befördern. Was Keiner zu unternehmen wagt, führt er aus.«

»Das ist Alles gut, lieber Vetter, doch er ist und bleibt ein Mensch, auf den man sich nicht ganz verlassen darf; auch könnten seine tollkühnen Unternehmungen einmal fehlschlagen und, um sich zu retten, würde er die Schuld auf Sie wälzen.«

» Hat nichts zu sagen, mir stehen so viel Zeugnisse gegen ihn zu Gebote, die ihn sofort an den Galgen

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bringen würden, daß er mich nie zwingen wird, den Mund aufzuthun.«

»Aber für den Fall, lieber Vetter, wofür Sie der Himmel bewahren möge, daß Ihnen etwas Menschliches begegnete, daß Sie stürben, würde Morting nicht gegen Ihre theure Frau und Tochter Gebrauch von seinem intimen Verhältnisse zu Ihnen machen, würde er seine gierige Hand nicht nach Ihrer sauer erworbenen Hinterlassenschaft ausstrecken und die Erben in Processe und tausend Schwierigkeiten verwickeln?«

»Auch dafür habe ich gesorgt, lieber Warner,« antwortete Dorst, zutraulich seines Vetters Hand ergreifend, »ich habe Sie in meinem, bei Gericht niedergelegten, Testament zu dessen Vollstrecker ernannt und darin bestimmt, daß Sie im Vereine mit meiner Frau die Verwaltung meines Vermögens führen sollen, welches dieser ohne einen männlichen Beistand unmöglich werden würde. Und wo könnte ich wohl einen treueren Verwalter finden, als in meinem eignen Verwandten?«

»Daß ich des Vertrauens würdig sein werde, dessen sind Sie wohl von meiner Dankbarkeit überzeugt, lieber Vetter, doch ist die Verantwortlichkeit, die Sie dadurch auf mich laden, so groß, daß ich nicht läugne, wie ich auch wünschen möchte, Sie hätten einen andern zuverlässigen Freund damit beehrt. Nun, der Himmel mag

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Sie länger erhalten als mich selbst, so daß mein kleines Eigenthum noch mit in die Verwaltung Ihres Vermögens fällt.«

»Das wünsche ich nicht, lieber Vetter, es ist mir ein großer Trost, auf Sie bauen zu können. Ich nannte Ihren Namen vorhin auch nur, weil ich wußte, daß Morting darauf bestehen würde, auf Swartons Besitzung mit zu ziehen; unter keiner Bedingung aber würde ich es Ihnen erlaubt haben, denn es ist ein gefährlicher Posten, die jungen Swartons sollen desperate Burschen sein. Ich werde nur mit den Scheriff hinreiten und verlangen, daß sie mein Eigenthum räumen, dann sende ich Morting hin, um wirklich Besitz zu nehmen; mag er dann auch seine Haut zu Markte tragen, wenn er den Gewinn mit mir theilen will.«

»Ach, so schlimm werden die Jungen nicht sein, lieber Vetter, Sie haben ja das vollste Recht von der Welt, ich würde an ihrer Stelle nicht viele Umstände machen und in Gegenwart des Scheriffs erklären, daß Sie selbst Besitz ergriffen hätten und daß Sie Ihren Verwalter senden würden. Wer das Recht auf seiner Seite hat, wie Sie in diesem Falle, kann gerade durchgehen.«

»Wenn ich nach C*** reite,« erwiederte Dorst, »so werde ich Morting nicht ganz mit nach der Stadt

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nehmen, sondern ihn seitwärts zu Swartons senden, damit er dort einmal in das Haus hört und die Stimmung prüft; es kennt ihn von der Gesellschaft Niemand. Er trifft dann Abends mit mir in C*** zusammen, so daß ich, wenn ich am folgenden Morgen mit dem Scheriff hinüberreite, von Allem gehörig unterrichtet bin?[.]«

»Es giebt doch wirklich nicht viele so tüchtige Geschäftsleute wie Sie, lieber Vetter,« sagte Warner; der Verdienst an Swartons Lande ist wieder ein Kapital, was Sie, so zu sagen, mit nichts gewonnen haben.«

»Nun, man hat doch auch manche unruhige Stunde dadurch. Sollten Sie in diesen Tagen meine Damen sehen, so sagen Sie ihnen nichts von meiner beabsichtigten Reise, man möchte weiter davon sprechen, und ich wünsche, daß dort Oben Niemand ahne, wann ich kommen werde. Es ist aber ziemlich spät geworden, lieber Vetter, und sicher erwartet man mich schon zu Hause. Die Frauenzimmer sind immer gleich besorgt, wenn ich mit Sonnenuntergang noch nicht bei ihnen bin.«

Hiermit erhob sich Dorst, Warner holte selbst seines Vetters Roß herbei, versicherte ihn nochmals seiner ewigen Dankbarkeit und bat noch, als ersterer wegritt, ihn den Damen aufs Angelegentlichste zu empfehlen.

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Das Gesicht Warners nahm jetzt einen entschieden andern Ausdruck an, die plötzliche Erfüllung eines gehegten Wunsches schien sich auf seinen Zügen zu spiegeln und der erhöhte Glanz seiner Augen verrieth, daß ihm etwas Erfreuliches begegnet war. Diesem Interesse mit all seinen Gedanken folgend, hatte er sich auf einen Stuhl niedergelassen und sah dem, in dem Düster der einbrechenden Nacht verschwindenden Vetter nach.

»Also hat er mich wirklich testamentarisch zum Verwalter seines Vermögens ernannt. Es war mir immer bange, daß er Morting vorziehen wurde. Mein lieber Herr Vetter, die Zeit ist nicht fern, daß Du einen schlechten Wurf thun wirst, und dann hast Du Dein Spiel auf dieser Erde verloren. Ich denke, Dein Ritt zu Swartons macht mich zu Deinem Vermögensverwalter und gut verwaltet soll es werden!« sagte Warner, immer die Blicke dem Schatten nachsendend, der die hohe Reitergestalt Dorsts noch erkennen ließ.

Ueber eine Woche war verstrichen, Farnwald hatte Swartons einige Male besucht, um zu hören, ob Dorst vielleicht weitere Schritte gegen sie gethan habe, doch sie hatten nichts von ihm gehört, auch war Farnwald in C*** gewesen, hatte den Scheriff und auch den County Clerk gesehen, aber allenthalben hatte man ihm gesagt, daß die Angelegenheit noch immer ruhe.

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Eines Abends wurde er freudig durch das Erscheinen des Postreiters überrascht, der ihm als Antwort auf den seinigen einen Brief von Doralice brachte und noch einen andern, in dessen Aufschrift er die Hand Renards erkannte. »Ich bin einige Tage unten im Lande aufgehalten worden, da ich die Gelegenheit wahrnahm, Schlachtvieh bei verschiedenen Pflanzern anzusehen. Sie wissen, ich treibe immer noch das Metzgerhandwerk in Q*** neben der Postreiterei und es kommt nicht darauf an, ob die Briefe einen Tag früher oder später eintreffen,« sagte der kleine blondhaarige Bote und legte seinen Filz auf den Tisch, auf welchem die Flaschen mit den verschiedenen Branntweinen standen. »Ist dies frisches Wasser?« fuhr er fort, indem er eine Porzellankanne vom Tische aufnahm.

»Ganz frisch, Addisson hat sie so eben am Quell gefüllt; nehmen Sie sich Branntwein dazu, Charley,« antwortete Farnwald.

» Man glaubt gar nicht, wie der Staub einem den Mund austrocknet. Also auf Ihre Gesundheit, Herr Farnwald,« sagte der Postreiter, empfing dann in klingender Münze den üblichen Dank für Ueberbringen der Briefe, bestieg seinen Schecken und trat seine Weiterreise nach dem Städtchen T*** an.

Der glückliche Farnwald öffnete zuerst den Brief

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der Geliebten und ließ in seliger Erinnerung an sein Zusammensein mit ihr die Blicke über die theuren Schriftzüge fliegen. In Gedanken sah er ihre kleine weiße Hand sich auf dem Papiere hin und her bewegen, er sah ihre großen dunkeln Augen den entstehenden Zeilen folgen und versetzte sich so lebendig an ihre Seite, daß er Renards Brief ganz unbeachtet ließ, der seitwärts im Schatten des Lampenschirmes auf dem Tische lag. Neues schrieb Doralice nicht, das Schreiben enthielt ziemlich dasselbe, was in ihrem letzten gestanden hatte, es enthielt Versicherungen ihres Glücks, ihrer Liebe, ihrer Treue ihrer Sehnsucht nach ihm, und wiederum waren einige Blümchen beigefügt. Doch für Farnwald war jedes Wort neu, denn der Liebe Betheuerungen, wenn auch tausendfältig wiederholt, sind immer neue willkommene Gäste in einem liebenden Herzen. Von einem Beschluß in Bezug auf die Abreise ihren Vaters sagte sie nichts, wohl aber fügte sie liebevolle Grüße von ihrer Mutter bei, und bemerkte, dieselbe habe ihr Geheimniß durchschaut und ihr dieses in einer Weise zu verstehen gegeben, welche zeige, daß es ihrem Wunsche nicht entgegen sei. Doralice wollte deshalb, wenn es mit Farnwalds Willen geschehen könne, ihrer Mutter offenes Geständniß darüber ablegen.

Wiederholt hatte Farnwald das Papier in glücklicher

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Begeisterung gegen seine Lippen gedrückt und es dann wieder in das helle Licht der Lampe auf den Tisch niedergelegt, um seine Augen daran zu weiden, als seine Blicke zufällig durch einen weißen Fleck auf der beschatteten Tischdecke angezogen wurden, und er in ihm den Brief seines Freundes erkannte, den er ganz und gar vergessen hatte. Immer noch auf die Worte der Geliebten schauend, als wolle er sich damit bei dem Freunde für die Vernachlässigung entschuldigen, erbrach er den Brief und vernahm dann aus demselben zu seinem großen Schrecken, daß die Wittwe Morrier den Verkauf der Plantage an Renard rückgängig machen wolle, da ihr bedeutend mehr für dieselbe geboten sei; daß sie sich darauf beziehe, ihr damaliger weißer Vormund wäre nicht von dem Gerichte bestätigt gewesen, und daß der Scheriff Baxton an Renard die Mittheilung gemacht habe, ein gewisser Herr Dorst stehe mit der Wittwe in Unterhandlung und werde wohl die Plantage kaufen. Um diese Schreckensbotschaft für Farnwald nun noch entsetzlicher zu machen, schrieb Renard, daß auf eine unbegreifliche Weise sein Vorrath von Baumwolle in einem ganz abgeschieden gelegenen Hause in Feuer gerathen und verbrannt, wodurch ihm ein Schaden von mehreren tausend Dollars erwachsen sei. Renard schrieb in höchster Besorgniß und Aufregung, und wünschte

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nichts sehnlicher, als Farnwalds Gegenwart; jedenfalls aber bat er um baldige Antwort und mit ihr um seinen Rath, was er zu thun für gut halte.

Farnwald traute seinen Augen kaum und las den Brief zum zweiten und zum dritten Male, es stand aber wirklich so geschrieben da, und von dem Namen Dorst konnte er seine Blicke nicht abwenden. Bald erschien der Mann als der Vater seines angebeteten Mädchens, als sein freundlicher Wirth vor ihm, bald sah er ihn unter dem breitrandigen schwarzen Filz hervor auf den von ihm so schmählich erschossenen Mulatten blicken, dann siand er den unglücklichen Swarton gegenüber, wie er ihnen mit entsetzlicher Ruhe sagte, sie müßten ihm ihr Eigenthum abtreten, und nun erblickte er ihn, wie er seinen Freund Renard von Haus und Hof jagte und eine Fackel in dessen Baumwolle warf.

»Entsetzlich, entsetzlich!« rief Farnwald aufspringend und ging mit eiligen Schritten im Zimmer auf und ab, doch er war nicht im Stande, seine Gedanken auf einen Punkt zu sammeln, sie jagten vor seinem Geiste in verwirrender Eile hin und her, und immer stand der entsetzliche Mann dazwischen mit seinen schändlichen Unternehmungen und mit blutigen Händen. Dann sah er wieder die engelreine Doralice vor sich, wie sie sich stehend zwischen ihn und den hartherzigen Vater drängte,

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und tiefste Verachtung, innigste, zärtlichste Liebe überfüllten seine Brust. Er ging hinaus, um in der frischen Luft Erleichterung zu suchen, wanderte ohne bestimmte Richtung in der sternhellen Nacht umher, bis ihn der Zufall an den Hügel führte, unter dem die treue Indianerin schlief. Er lehnte sich auf die Einzäunung und sah regungslos auf das Grab. War es die Hand seines Schicksals, die ihn hierher führte, um ihn an seine Bestimmung zu erinnern, daß ihm ein dauerndes Glück des Herzens nicht vergönnt sei? Abermals hatte sich der Himmel der Liebe vor ihm aufgethan und das Grab rief ihm zu, daß er in jenem niemals eine bleibende Heimath finden würde. Wie konnte er die Tochter eines Mannes zu seiner Lebensgefährtin machen, auf den die Welt, auf den er selbst mit dem tiefsten Abscheu, mit der grenzenlosesten Verachtung blickte, - wie konnte er, wenn er es that, auch nur die mindeste Verbindung seiner Gattin mit dem Ungeheuer, ihrem Vater, ferner noch zugeben?

Farnwald war in so großer Aufregung, daß er nicht bemerkte, wie Milly in seine Nähe getreten war und ihn schon einige Male angesprochen hatte.

» Soll ich mit dem Abendessen noch warten, Herr?« fragte die Quadrone mit ihrer lieblichen sanften Stimme, indem sie noch etwas näher zu ihrem Herrn trat, »der

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alte ehrliche Joe sitzt schon lange neben Deinem Stuhle und wartet.«

Farnwald wendete sich, wie aus einem bösen Traume erwachend, nach Milly um, sah sie einige Augenblicke schweigend an und sagte dann mit milder Stimme.

»Gehe, gute Milly, und hole den Thee, ich komme gleich nach.«

Er genoß nichts, verbrachte eine schlaflose Nacht und als er gegen Morgen abgespannt und ermüdet einschlummerte, folgten ihm die Schreckbilder Dorsts, die bangen Sorgen für die Freunde und die Unglück verkündende heiße Liebe für Doralice in seine Träume. Ermattet und noch willenlos erwachte er am späten Morgen, und da er doch nicht eher Gelegenheit hatte, seinem Freunde Renard zu schreiben, als bis Charley wieder bei ihm einkehren und hinunter reiten würde, was in den ersten Tagen nicht in Aussicht stand; so griff er zu seinem alten bewährten Mittel gegen solche trübe Stimmungen, zu seinen Waffen, bestieg seinen Hengst, ließ das Hifthorn ertönen und zog, von seinen Hunden umschwärmt, hinaus in die Berge, wo keine Fährte eines Schuhes, keine Spur eines beschlagenen Pferdes und kein gefällter Baum an einen weißen Menschen erinnerte.

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Capitel 13.

Der Spion. - Der unangenehme Gast. - Gewissenlosigkeit. - Unverschämtheit. - Die Berathung. - Der Morgen. - Der Scheriff. - Die Aufforderung. - Kaltblütigkeit. - Rache.


Auf der Farm der Familie Swarton, wo schon seit einiger Zeit nicht mehr mit dem nahenden Abende die müden Arbeiter sich heiter unter der Veranda sammelten, um bei dem dort stehenden gemeinschaftlichen Waschtische ihre Toilette zu ordnen, bevor sie sich im trauten Familienkreise unter Scherzen und lustigen Neckereien zum Abendessen begaben, saß eines Abends, als die Sonne ihre Strahlen schon schräg über Feld und Flur warf, der alte Herr Swarton, in ernste Gedanken versunken, unter der Veranda und hielt seine Blicke auf das große Malsfeld gegenüber dem Wohngebäude gerichtet, als wolle er die Axtschläge zählen, die er dort seit jener Zeit gethan, als noch ein riesenhafter, undurchdringlicher Wald das Stück Land bedeckte. Er erinnerte sich der wilden Welschen, der Hirsche, der Bären, die er in dessen Dunkel erlegt hatte, er gedachte der vielen fröhlichen Erntetage, an denen er im glücklichen

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sorgenlosen Verein mit den Seinigen die schweren reichen Maiskolben auf jenem Felde eingesammelt und unter ausgelassenem Jubel seiner Kinder nach den von aufeinandergelegten Baumstämmen errichteten Vorrathshäusern gefahren hatte. Er sollte diesem Felde, der selbstgeschaffenen Quelle des Wohlstandes nun Lebewohl sagen und sie einem Fremden unentgeltlich abtreten, um nochmals in einem Urwalde die Axt zu schwingen und die Erde urbar zu machen, Es war ihm ein unnatürlicher, ein empörender Gedanke, und doch erschienen ihm die bange Ungewißheit, die Sorgen, die stillen Vorwürfe der letzteren Zeit noch viel unerträglicher, und hatte er schon am morgenden Tage fort in die Wildniß ziehen können, so wäre es ohne Zögern geschehen; so sehr verlangte er die stille ungetrübte Zufriedenheit in seinem Hause wieder herrschen zu sehen, die ihn und die Seinigen viele Jahre hindurch ununterbrochen beglückt hatte.

Madame Swarton war mit ihrer Tochter in der Küche mit Bereitung des Abendbrodes beschäftigt und Bill und Charles waren mit Körben, in denen sie Mais trugen, vor die Einzäunung gegangen und riefen dort durch den hellen Ton eines Hifthorns die Sauen herbei, um ihnen die Körner hinzuwerfen, damit sie bei ihrer Gewohnheit blieben, sich Abends beim Hause einzufinden

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und sich während der Nacht außerhalb um die Einzäunungen zu lagern. Von allen Seiten kamen sie von weither auf den Schall des Horns in Rudeln herbeigestürmt, um sich gierig um die wenigen Körner zu streiten, die ihnen vorgeworfen wurden.

Es hatten sich schon einige hundert Schweine von vorzüglichster englischer Abkunft versammelt, und der alte Swarton sah mit Wohlgefallen auf ihre kurzen dicken Köpfe und herabhängenden breiten Ohren, als ein fremder Reiter auf einem Seitenwege nach der Farm zugeritten kam, den Zügel seines Pferdes an die Einzäunung hing und zum Wohngebäude heranschritt.

»Dies ist doch der Weg nach C***?« sagte Morting, denn er war der Reiter, indem er zu Swarton unter die Veranda trat und mit der Hand auf die Straße hinzeigte, »wie geht es Ihnen, Herr?«

»Ich danke Ihnen, Herr, nehmen Sie Platz, dort hwans geht es nach C***,« antwortete Swarton.

»Wie weit ist es noch nach dem Städtchen?«

»Nun, mit Ihrem Pferde brauchen Sie eine halbe Stunde; ich habe gesehen, es ist ein guter Paßgänger.«

»So will ich mich einen Augenblick ruhen und einen frischen Trunk zu mir nehmen. Ich bin ziemlich müde geworden; es war ein heißer Tag.«

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»Helfen Sie sich selbst, dort steht der Eimer. Branntwein halte ich nicht im Hause,« sagte Swarton nach dem Wassereimer zeigend, worauf Morting die Schöpfkelle ergriff und einige Schluck von dessen Inhalte zu sich nahm.

»Verdammt gutes Wasser dies,« sagte er, indem er ein Stück Kautaback in den Mund steckte, »wohl alles gutes Wasser hier in der Gegend?« fügte er hinzu und setzte sich, indem er sich mit dem Stuhle zurück gegen einen der Verandapfeiler lehnte.

»Meist sehr gute Quellen,« antworkte Swarton.

» Ist mir doch lieb, mich einen Augenblick ruhen zu können, ich komme ja doch noch zeitig zum Abendessen nach C*** «

»Sie sind mir zum Abendbrod willkommen, es wird bald fertig sein.«

»Ich danke, ich muß doch zeitig nach der Stadt. Sie haben hier einen schönen Platz, wie viel Neger halten Sie?«

»Nur zwei Feldneger, doch habe ich drei Söhne, die in der Arbeit für sechse zählen können; da kommen meine beiden jüngsten, mein ältester Sohn ist mit einem der Neger auf Landschau hinausgeritten und wird wohl noch einige Zeit ausbleiben.«

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Bill und Charles kamen jetzt mit den leeren Körben nach dem Hause zurück und boten dem Fremden freundlich den gewöhnlichen Gruß: »Wie geht es Ihnen, Herr?« worauf sie sich in das Haus begaben.

»Haben Sie nicht genug Land hier, daß Ihr Sohn sich nach anderm umsieht?« fragte Morting.

»Das nicht, aber ich werde wohl diesen ganzen Platz verlieren; ich hatte versäumt, das Geld dafür zur gehörigen Zeit zu zahlen und da hat ihn mir ein schlechter Mensch weggekauft.«

»Ja, das war Ihre Schuld. Dann wollen Sie sich demnach in anderes Stück Land nehmen?«

»Was bleibt mir sonst übrig, das Gesetz schützt den Schurken.«

»Das Vernünftigste ist es, ehe Sie sich noch Kosten und Unannehmlichkeiten machen. Wie weit wohnen denn Ihre nächsten Nachbarn?«

»Drüben an der andern Seite des Wassers wohnt zunächst Warrick, ungefähr eine Meile von hier, und rund herum habe ich gute Nachbarn und gute Freunde in größerer oder geringerer Entfernung um mich.«

Madame Swarton trat jetzt mit »Guten Abend, Herr« unter die Veranda und sagte:

»Wenn es Ihnen gefällig ist, das Abendessen ist fertig,« doch Morting erhob sich und erwiederte:

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»Es ist Zeit, daß ich reite.«

Damit wünschte er »Guten Abend,« bestieg sein Pferd und eilte davon.

Um dieselbe Zeit ritt Dorst in das Städtchen C***, lenkte aber sein Roß nicht vor das Wirthshaus, wo eine Menge Personen saßen und auf die Glocke warteten, die sie zum Abendessen hineinrufen sollte, sondern gleich in den Hof dahinter, übergab es dort einem Neger zur Verpflegung, nahm seine Pistolenholfter, Satteltasche und den Poncho auf den Arm und schritt in das jetzt noch leere Gastzimmer, wo er sein Gepäck in eine Ecke niederlegte. Gleich nach ihm kam der Wirth herein, der gehört hatte, daß noch ein Reisender angekommen sei und eilte auf ihn zu, um ihn zu begrüßen; doch trat er, als er im Zwielicht Dorst wiedererkannte, verwundert einen Schritt zurück und zögerte für den Augenblick mit dem üblichen Willkommen.

»Ein Zimmer für mich mit zwei Betten, Herr Wirth,« sagte Dorst ruhig.

»Kann nicht damit dienen, es ist nur noch ein Zimmer mit einem Bett leer.«

»Das ist eben so gut, lassen Sie noch ein Lager auf den Fußboden machen. Es wird wohl noch nicht zu Abend gespeist, so daß ich vorher noch einen Weg thun kann?«

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»In einer halben Stunde,« antwortete der Wirth, worauf Dorst das Zimmer verließ und abermals über den Hof, und dann um das Haus herum dem freien Platze vor demselben, auf dem auch das Gerichtsgebäude stand, zuschritt, während die vor dem Eingänge versammelten Gäste, zu welchen jetzt auch der Wirth getreten war, ihm neugierig nachblickten.

In der Nähe des Gerichtshauses rief er einen vorübergehenden Neger an und fragte ihn, wo der Scheriff Copton wohne, der Schwarze wies ihn nach einem Blockhause an dem andern Ende des Platzes und Dorst hatte dasselbe bald erreicht amd trat in die offene Thür.

Der Scheriff saß mit seiner Familie beim Abendessen, sprang aber, als er Dorst eintreten sah, auf ihn zu und sagte:

»Wenn es gefällig ist, treten Sie mit mir in die Straße; dies ist mein Privataufenthalt.«

Dorsts Augen schossen Blitze, doch er biß sich auf die Lippe und schritt mit Copton in die Straße hinaus.

»Ich wollte Sie ersuchen, Herr Scheriff, morgen nach dem Frühstück mit mir nach meinem Eigenthum hinauszureiten, um die Swartons nochmals aufzufordern, dasselbe zu verlassen.«

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»Ich habe gehofft, Sie würden sich eines Bessern bedenken, Herr Dorst.«

»Um wie viel Uhr werden Sie mich begleiten können, Herr Scheriff?« fragte Dorst, als ob er Coptons Bemerkung überhört hätte.

»Nach dem Frühstück ist es mir nicht möglich, da mich mein Dienst anderswo hinruft, doch Nachmittags wenn Sie darauf bestehen. Wie sich Ihre Handlung aber mit den Grundsätzen und dem Gewissen eines rechtlichen Mannes verträgt, will mir nicht einleuchten.«

»Guten Abend, Herr Scheriff, ich erwarte Sie morgen Nachmittag in dem Gasthause,« sagte Dorst und wandte sich von Copton ab, der seiner Frau und den Kindern, die sich neugierig in die Thür gedrängt hatten, zurief:

»Das ist der Schurke, von dem ich Euch sagte, daß er Swartons Land gekauft habe.«

Dorst aber, dem die Aeußerung nicht entgangen war, wanderte ruhigen Schrittes nach dem Gasthause zurück, von wo ihm die Tischglocke jetzt entgegentönte. In diesem Augenblicke kam Morting den Platz entlang geritten und stieg vor dem Wirthshause vom Pferde.

»Heda Niggers, mein Pferd besorgt!« rief er in das Haus hinein und schritt dann mit der Doppelflinte

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in der Hand und der Satteltasche und dem Pistolenholfter auf dem Arme auf Dorst zu und sagte:

»Haben Sie mich doch ordentlich bange vor den Swartons gemacht, als ob es lauter Menschenfresser wären; es ist eine Bande von gutmüthigen Schafsköpfen; wenn Sie ein gutes Werk thun wollen, so nehmen Sie den Burschen ein Dutzend Taschentücher zum Geschenk mit, damit sie ihre Thränen trocknen können, wenn sie mit der ganzen lieben Familie ihrer Behausung Lebewohl sagen. Der älteste Sohn ist mit einem ihrer beiden Neger schon fort in die Wildniß geritten, um ein anderes Stück Land auszuwählen, auf dem sich seine Sippschaft das Vergnügen machen will, eine neue Farm anzulegen. Diesmal werden sie jedoch das Land wohl in Zeiten bezahlen, denn die gute Lehre die sie von uns erhalten, werden sie sobald nicht vergessen.«

»Ihr seid irre in den Leuten, Morting, schätzt sie nicht zu gering, es sind Menschen von großer Energie, sonst wären sie nicht so schnell zu diesem Entschluß gekommen und würden sich ängstlich an ihr Eigenthum anklammern, bis sie mit Gewalt davon vertrieben werden,« erwiederte Dorst.

»Ich möchte doch sehen, wieviel todte Menschen es vorher gäbe, ehe man mir mein Eigenthum entreißen könnte?«

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»Die Leute wollen aber weder tödten noch getödtet werden, da sie wissen, daß das Gesetz ihnen doch das Land nehmen wird. Sie handeln demnach vernünftig und in ihrem eignen Interesse.«

»Genug, wir werden keine Art von Schwierigkeiten mit ihnen haben,« sagte Morting. »Uebrigens ist es ein herrlicher Platz und würde es werth sein, sogar Ernstliches darum zu wagen.«

Mit diesen Worten schritten die beiden Männer in das Gasthaus, Morting setzte sein Gepäck bei dem Dorsts nieder und beide begaben sich nach dem Speisesaale, wo vierzig Gäste in größter Hast ihr Abendessen zu verzehren beschäftigt waren. Doch die in emsiger Eile auf und nieder bewegten Gabeln und Messer waren in dem Augenblicke, als Dorst und Morting in das Zimmer traten, wie durch einen Zauberschlag aller Bewegung beraubt, die Hände, die sie schwangen, sanken auf den Tisch und Aller Augen waren auf die beiden Eintretenden gerichtet. Der Wirth, der an einem Seitentische stand und die Teller, welche ihm von den schwarzen Dienern hingehalten wurden, mit Speisen füllte, warf nur einen flüchtigen Blick auf die Angekommenen, that aber, als ob er sie nicht bemerkte, während sie an der Tafel hinunterschritten; Dorst, ohne den auf ihn gerichteten Augen der Gäste zu begegnen, Morting aber

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ihnen herausfordernde Blicke zuwerfend, worauf sie sich am Ende des Tisches, von den übrigen Speisenden durch mehrere leere Stühle getrennt, nebeneinander niederließen.

»Es scheint, daß man hier noch nie vorher Gentlemen gesehen hat,« sagte Morting halb zu Dorst gewandt und zwar laut genug, daß man es am andern Ende des Tisches hören konnte, »ich hätte große Lust einige Operationen an diesen neugierigen Augen zu machen.«

» Ich bitte Euch, Morting, seid vernünftig, wozu die Leute noch mehr gegen uns aufbringen? Schweigt, ich bitte Euch, ist es nicht genug, wenn wir unser Ziel erreichen? Laßt sie gucken, so viel sie wollen,« sagte Dorst mit unterdrückter Stimme zu seinem Gefährten.

»Niggers hierher, paß auf Deinen Dienst, es haben sich Gentlemen zu Tisch gesetzt,« rief Morting einen der Neger an und fügte noch, als der Diener ihm den Teller abnahm, hinzu: »verdammter Orangutang, ich will Dir die Augen aufreißen.«

Während vor dem Eintreten der beiden neuen Gäste laute, heitere, allgemeine Unterhaltung an dem Tische geherrscht hatte, so sprach jetzt Niemand ein Wort mehr, jeder beeilte sich seine Mahlzeit zu beenden und verließ

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dann, mit noch einigen verstohlenen Blicken nach den Fremden, das Zimmer.

Auch Dorst und Morting hatten ihr Abendbrod genossen, begaben sich vor die Thür des Gasthauses, vor dem die übrigen Gäste sich in eifrigem Gespräche gesammelt hatten und ließen sich dort auf Stühlen nieder; jene aber entfernten sich darauf sogleich und die beiden blieben allein dort zurück.

»Die Bande weiß, wen sie vor sich hat,« sagte Morting, den Davongehenden nachblickend, »daß doch einer das Maul aufgethan hätte!«

» Es ist verkehrt von Euch, Morting, hier so aufzutreten, wir sind nicht hierhergekommen um Händel zu suchen, sondern um einen Gewinn zu machen, es ist Zeit genug unsere Zähne zu zeigen, wenn man sich gegen unser Recht auflehnt. Thut mir den Gefallen und laßt nicht eher Waffen sehen, als bis Ihr genöthigt seid, sie zu gebrauchen,« erwiederte Dorst, indem er eine Cigarre anzündete und behaglich das Bein überschlug.

»Ich werde Morgen allein mit dem Scheriff hinausreiten, es bekundet mehr, daß man sich lediglich auf das Gesetz verläßt, Ihr werdet mich hier erwarten,« fuhr er dann fort.

»Sie hätten gar nicht nöthig sich von dem Scheriff begleiten zu lassen, nehmen Sie nur eine Blase mit

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Erbsen mit und lassen Sie dieselbe tüchtig rappeln, so läuft die ganze Gesellschaft davon,« erwiederte Morting.

»Der Scheriff ist das Gesetz und nur durch dieses will ich zu den Leuten reden, wozu Persönlichkeiten, wenn sie nicht nöthig sind?« antwortete Dorst.

Die Gäste, die sich von dem Wirthshause entfernt hatten und meist aus Bewohnern der Stadt bestanden, die hier ihre Mahlzeiten genossen, sammelten sich an der andern Seite des Platzes vor dem Hause des Kaufmann Harris, wo sie nur kurze Zeit zusammen gestanden hatten, als von allen Seiten her Neugierige herangeschritten kamen, um zu hören, was die Ursache dieser Zusammenkunft sei; denn der Kaufmann hatte einige Lichter mit Glasstülzen darüber heraus unter die Veranda getragen, so daß die Versammlung von allen Seiten des Platzes erkennbar war.

Das Erscheinen Dorsts war der Gegenstand der Unterhaltung, welches dessen Angelegenheit mit Swartons, die bereits unter den Einwohnern des Städtchens ziemlich vergessen war, wieder lebendig bei ihnen in Anregung brachte. Daß er gekommen sei um jetzt diese Familie wirklich von ihrer Besitzung zu vertreiben, darüber war nur eine Stimme, und diese Ansicht wurde denn auch bald zur Gewißheit, als der Scheriff sich gleichfalls einfand und mittheilte, daß er von Dorst

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aufgefordert sei, Morgen mit ihm zu Swartons zu reiten. Die Entrüstung hierüber war sehr groß und es ließen sich wiederholt Stimmen hören, die zu gewaltsamem Widersetzen riethen. Diese wurden aber schnell von der großen Mehrzahl derer, die unter jeder Bedingung für Aufrechthaltung des Gesetzes stimmten, unterdrückt und man mußte sich begnügen, die Handlung Dorsts freigebig mit allen Bezeichnungen der Schlechtigkeit zu belegen, da man gegen seine Unternehmung nichts zu thun im Stande war.

»Es ist ein Glück, daß Robert nicht zu Hause ist,« sagte der Scheriff. Er ist schon seit einiger Zeit fort um einen Platz zur Ansiedlung für die Seinigen aufzusuchen. Ich kam heute Vormittag bei Swartons Hause vorüber und sprach einen Augenblick bei ihnen vor. Es ist das Vernünftigste was sie thun können, denn durch die Weigerung, ihr Besitzthum aufzugeben, würden sie sich nur noch große Unannehmlichkeiten und unnöthig Kosten verursachen.«

»Jedenfalls muß Dorst den Leuten mit der Räumung der Besitzung Zeit lassen bis sie anderswo die nöthigen Vorrichtungen zu ihrem Uebersiedeln getroffen haben,« sagte der County Clerk, Herr Barry, der auch herzugetreten war, »denn, ihn einige Zeit mit der wirklichen Besitzergreifung hinzuhalten, steht in der Macht

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des Gerichtes und es ist dessen Schuldigkeit, Swartons den Verlust nach besten Kräften zu erleichtern. Hierbei können Sie ein ernstes Wort sprechen, Copton, und für die Ausführung dessen, was Sie im Namen des Gesetzes sagen, brauchen Sie nicht besorgt zu sein.«

»Es ist in dem Interesse der Swartons selbst, baldmöglichst auf anderes Land zu ziehen, damit sie eine Ernte auf kommendes Jahr vorbereiten können,« bemerkte Herr Harris und fügte noch hinzu: »wobei alle ihre Freunde sie gewiß gern unterstützen werden. Ich für meinen Theil wenigstens erbiete mich, ihnen für die ersten zwei Jahre alle ihre Bedürfnisse die sie in meinem Lager zu haben wünschen, auf Credit zukommen zu lassen.«

Andere aus der Versammlung erboten sich ihnen unentgeltlich Neger zur Arbeit zu überlassen und noch Andere stellten ihre eigenen Dienste zur Verfügung der unglücklichen Familie.

Nach beendigter Berathung begab sich die ganze Versammlung nach dem nahen Trinkhause, wo dann manches Glas auf das Wohlergehen der Swartons und noch mehr solcher auf das Verderben Dorsts geleert wurden.

Bald darauf herrschte allgemeine Ruhe in dem Städtchen, alle Lichter, außer einer düstern Oellampe

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neben der Thür des Wirthshauses, waren erloschen und die Stille der Nacht wurde nur von Zeit zu Zeit durch einen Wachthund unterbrochen, der das Geheul von Wölfen beantwortete, die unweit des Ortes jagend vorüberzogen.

Die Sonne hatte sich noch nicht erhoben, als Dorst und Morting schon vor dem Wirthshause saßen und sich der frischen Morgenluft so wie des Genusses eines Stückes Kautabacks erfreuten. Dabei führten sie eine stumme Unterhaltung, das heißt, ein Jeder von ihnen unterhielt sich selbst; Morting, indem er sich nach vorn übergebeugt hatte und zwischen seinen Knien mit seinem großen Bowiemesser an einem Stück Holz schnitzte und Dorst, indem er mit dem Stuhl zurück gegen das Haus gelehnt, einen Fuß über das Knie gelegt hatte und sein Taschenmesser auf der Schuhsohle wetzte. Dabei spritzten beide den Taba[c]kssaft zwischen ihren Lippen, wie es schien, im Wettkampf hervor, um zu sehen, wer von ihnen die größte Entfernung damit erreichen könnte.

Hier und dort zeigten sich jetzt auch Leute vor den Thüren der Häuser, die den Platz umstanden, das Trinkhaus wurde geöffnet und es wanderten die Frühkunden zu ihm hin, um sich durch einen Trunk für die Geschäfte es Tages zu stärken. Auch in dem Hause des Herrn Harris wurden Fenster und Thür aufgethan,

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der alte Herr selbst trat in Hemdärmeln und ohne Kopfbedeckung heraus in die Straße und ließ seine Blicke nach allen Richtungen am Himmel hinwandern, während welcher Zeit ein Negerknabe eine Blechschüssel mit frischem Wasser unter die Veranda trug, auf einer der dort stehenden Kisten niedersetzte und ein Handtuch daneben legte, damit sein Herr, wie es unter den Farmern und den Bewohnern der Landstädtchen üblich ist, seine Toilette außer dem Hause machen könne.

Herr Harris, nachdem er seine Beobachtungen an dem gänzlich wolkenlosen Himmel beendet hatte, schob die Aermel seines Hemdes in die Höhe, begab sich zu dem Blechnapf, drückte, seine Hände vor das Gesicht haltend, dasselbe in das Wasser und rieb es eine Zeit lang kräftig bis er es feurig geröthet aus dem Bade hervorhob und eingesogenes überflüssiges Wasser aus Mund und Nase blies.

Er hatte sich auf die Kiste gesetzt und war noch mit Abtrocknen seines Gesichts beschäftigt, als nach und nach wohl ein Dutzend Männer mit »good morning gentlemen« unter die Veranda traten und sich gleichfalls auf Kisten niedersetzten, ohne weiter ein Wort zu wechseln. Sie schienen sich die bevorstehenden Geschäfte des Tages zu überdenken un schlugen dabei mit den Füßen gegen die Kisten, schnitzten mit ihren Messern

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an deren Kanten oder legten sich, indem sie die Knie anzogen, mit Kopf und Rücken platt darauf hin, so daß auch ihre Füße Platz darauf hatten; kurz ein Jeder nahm seiner individuellen Neigung nach eine andere Stellung, eine andere Beschäftigung an, so wie er gerade am besten dabei seinen Gedanken folgen konnte.

Auch auf den Treppen des Gerichtshauses sah man in ähnlicher Weise Leute ihre Vorstudien für die Geschäfte des Tages machen, bis plötzlich die Frühstücksglocke im Wirthshause ertönte und alle diese schweigsamen Denker aus den verschiedenen Richtungen dort hineilten, wo sie ihr Frühstück erwartete.

Der Saal im Gasthause füllte sich schnell und Dorst und Morting saßen wieder auf ihren Plätzen vom Abend vorher, von der übrigen Tischgesellschaft durch leere Stühle getrennt.

Eine allgemeine unheimliche Ruhe herrschte an der Tafel, die Teller wurden hingereicht und empfangen, ohne daß ein Wort dabei laut geworden wäre; Jedermann beeilte sich sein Frühstück zu verzehren und Niemand blickte nach den beiden allein sitzenden Gästen hin, augenscheinlich um sich nicht noch mehr durch deren Anblick das Mahl zu verbittern, was schon so sehr durch ihre Gegenwart geschehen war.

Den Vormittag brachten Dorst und Morting auf

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ihrem Zimmer zu und bei dem Mittagsessen waren sie abermals das Aergerniß der Tischgesellschaft.

Sie waren mit unter den Letztern, welche die Tafel verließen. Im Hinausgehen ersuchte Dorst den Wirth, sein Pferd satteln und vorführen zu lassen, holte dann die Pistolenholfter und den Poncho von seinem Zimmer und kehrte darauf zu seinem Gefährten zurück, der sich mittlerweile verkehrt auf einem Stuhle in der Hausflur wie auf einen Sattel gesetzt hatte und seine Arme auf der Rücklehne desselben ruhen ließ. Dorst hatte sich gleichfalls auf einem Stuhle niedergelassen, den er nahe an die Hausthür gestellt hatte, und blickte über den Platz nach dem Hause des Scheriffs hin, während ein Neger sein gesatteltes Pferd vor das Gasthaus leitete und dessen Zügel an den Haken eines dort zu diesem Behufe stehenden Pfahles festschlang.

» Ihr erwartet mich hier, Morting,« sagte Dorst nach einiger Zeit zu seinem, in Gedanken versunkenen Gesellschafter.

»Und wenn Sie die Menschenfresser vielleicht als eine Delikatesse dort behalten sollten, so werde ich Ihnen zur Rettung kommen und Sie abholen,« erwiederte jener mit einem gleichgültigen Lächeln, ohne sich in seiner bequemen Ruhe stören zu lassen.

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Nach langem vergeblichen Harren sagte plötzlich Dorst, indem er sich erhob:

»Dort kommt endlich der Scheriff. Also ich treffe Euch hier, Morting?«

»Auf diesem nämlichen Stuhle, wenn der Blitz mich nicht davon herunterschlägt,« antwortete jener.

Dorst ging hinaus zu seinem Pferde, warf die Pistolenholfter und den Poncho über dessen Sattel und schwang sich hinauf.

Der Scheriff war bis auf kurze Entfernung herangeritten, als er sein Roß anhielt und mit einem leichten Kopfsenken und einemWinke mit der Hand dem Harrenden zugleich seinen Gruß abstattete und ihm andeutete, daß er bereit sei, mit ihm zu reiten.

Dorst folgte der Aufforderung und die beiden Reiter zogen längs des Platzes vor den kleinen hölzernen Wohngebäuden hin, aus deren Thüren dem verhaßten Fremden manches »damn him« nachgesandt wurde.

In tiefem Schweigen folgten sie der rohen Straße, die sich bald über kleine Grasfluren, bald durch dichte Waldstriche hinwand, der Eine von ihnen zur Rechten, der Andere zur Linken derselben, immer die möglichst weiteste Entfernung von einander haltend. Die Pferde bewegten sich in einem gleichmäßigen Paßgang vorwärts, so daß die Reiter wenig Aufmerksamkeit auf sie zu verwenden

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brauchten, und da die ihnen entgegenscheinende Sonne schon ziemlich niedrig am Himmel stand, so hielt Dorst sowohl, als auch der Scheriff den Kopf gesenkt, um ihre Augen durch den breiten Rand des Hutes vor den blendenden Strahlen zu schützen, was ihnen ein noch gedankenvolleres Ansehen gab. Und tief in Gedanken versunken waren beide. Der Scheriff dachte mit Widerwillen daran, daß seine Dienstpflicht ihn dazu zwang, im Namen des Gesetzes eine grausame Handlung zu vollbringen, und das Werkzeug eines herzlosen Räubers werden zu müssen, durch welches derselbe die Gräuelthat ausführte. Es schauderte ihm vor dem Manne, mit Abscheu wandte er sein Gesicht von ihm ab, und mit jedem Tritte seines Pferdes wuchs der Groll, der Haß gegen den Menschen, der ihn nöthigte, mit dem Gesetz auf den Lippen das zu thun, wogegen sich sein Gefühl empörte.

Dorst dagegen dachte nicht an den Scheriff, seine Gedanken waren bei dem glänzenden Geschäfte, was er jetzt auf dem Punkte stand zu beenden, er kannte im Augenblick kein anderes Gefühl, als das für die gelungene Speculation und er überlegte, auf welche Weise er den größten Nutzen aus dem Lande ziehen könne: ob durch Verkaufen desselben in kleineren Theilen, oder durch Zusammenhalten des Ganzen bis zu einer Zeit,

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wo das Land durch eine zu erwartende zahlreichere Bevölkerung der Gegend noch höher im Werthe gestiegen sein würde. Der hohe dichte Wald, durch den sie eine Zeit lang hingeritten waren, öffnete sich jetzt und Dorst erkannte an der andern Seite des sich nun vor ihm ausbreitenden Graslandes in der Ferne eine Ansiedlung, die aller Wahrscheinlichkeit nach das Ziel seines Rittes und seiner augenblicklichen Wünsche war.

»Ist das der Platz, auf dem Swartons wohnen?« brach er jetzt das Schweigen, indem er sich zu dem Scheriff wendete.

»Derselbe,« antwortete Copton, ohne nach Dorst hinüberzusehen.

»Ich ersuche Sie, Herr Scheriff, den Leuten zu sagen, daß ich nun lange genug gewartet habe und sie jetzt auffordere, mein Eigenthum zu verlassen, da ich Morgen meinen Verwalter darauf einsetzen würde.«

»Ich werde sagen, was Sie mir auftragen, ob Swartons es aber thun werden, ist eine andere Frage, denn sie brauchen mir nur die Klage gegen Sie mitzutheilen, dann kann bis zu ausgemachter Sache der Präsident selbst sie nicht von ihrer Besitzung vertreiben. Die Klage würde dann vor den nächsten district court (Bezirksgericht, welches zweimal des Jahres stattfindet) kommen, leicht aber erst bei dem darauf folgenden

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entschieden werden,« antwortete der Scheriff vor sich hinsehend.

»Das werden wir sehen, ich werde Besitz ergreifen und Sicherheit für den vollen Betrag des Eigenthums geben; damit muß das Gericht zufrieden sein.«

»Thun Sie, wie Sie glauben, daß es am besten ist, ich habe Ihnen gesagt, was eintretenden Falls das Gesetz thun wird,« erwiederte Copton und heftete seine Blicke auf Swartons Haus, indem er zu erkennen suchte, wer die Personen waren, die unter der Veranda saßen. Dorst aber hatte seine Brauen finster zusammengezogen und warf wiederholt einen gehässigen Blick auf den Scheriff.

Sie hatten bald die Farm erreicht, bei ihrer Annäherung erhob sich unter der Veranda der alte Swarton von seinem Stuhle und ein Gleiches that seine Frau. Sie erkannten wohl den ihnen sehr befreundeten Scheriff, doch wer der ihn begleitende Fremde war, wußten sie nicht, wenn auch eine bange Ahnung ihnen, wie in der letzten Zeit bei dem Erscheinen jedes Fremden, sagte, es könne Dorst sein. Sie erhielten nach wenigen Minuten Gewißheit hierüber, denn der Scheriff trat mit seinem Begleiter zu ihnen und sagte:

»Herr Swarton, das ist Herr Dorst, der mich beauftragt hat, Sie im Namen des Gesetzes nochmals

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aufzufordern, dies, sein rechtmäßig erstandenes Eigenthum, alsbald zu verlassen, da er Morgen seinen Verwalter hierhersenden will.«

»Morgen, großer Gott, Morgen?« rief die Frau des Farmers erbleichend.

»Wie kann ich Morgen abziehen, Herr Scheriff? das kann doch wohl nur Scherz sein,« sagte der alte Swarton nach einigen Augenblicken mit gefaßter Stimme, »wenn ich mich auch dem Gesetze füge, so bin ich doch zu lange Frontiermann gewesen, um mich in dieser Weise mit Füßen treten zu lassen.«

»So zeigen Sie mir demnach hierdurch Ihre Klage gegen den Herrn Dorst an, Herr Swarton - nicht wahr?«

»Ja wohl, was sonst?«

»Nun denn, so muß die Sache erst vor Gericht entschieden werden, was nicht vor dem nächsten district court geschehen kann und bis dahin dürfen Sie ruhig im Besitze bleiben. Reichen Sie Ihre Klage alsbald schriftlich ein,« sagte der Scheriff zu Swarton und wandte sich dann mit den Worten zu Dorst:

»Haben Sie mir sonst noch etwas aufzutragen, Herr Dorst? Ich habe nicht länger Zeit, denn mein Dienst ruft mich noch einige Meilen weiter.«

»Nichts, Herr Scheriff, wollen Sie Ihre Gebühren

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jetzt empfangen, ober soll ich sie Ihnen Morgen in C*** geben?«

»Ich nehme von Ihnen keine Bezahlung, Herr,« antwortete Copton, reichte Swarton herzlich die Hand, winkte freundlich grüßend dessen Frau zu und bestieg sein Pferd, welches ihn bald aus dem Gesichtskreise der Anwesenden trug.

»Herr Swarton, setzen Sie sich keinen Unannehmlichkeiten aus und machen Sie sich keine unnöthigen Kosten. Ich habe in diesem Augenblicke schon Besitz von meinem Eigenthume ergriffen, werde Morgen meinen Verwalter hierhersenden, damit er mein Interesse hier wahrnimmt, so lange Sie noch hier wohnen und werde dem Gerichte, wenn dasselbe es verlangen sollte, volle Sicherheit für den Werth des Grundstücks geben«

»Danken Sie es den Jahren, die mir das Blut gekühlt haben und den Rücksichten, die meine Liebe für die Meinigen mich gegen Sie nehmen läßt, sonst würde ich Ihnen eine Kugel durch den Kopf gejagt haben in dem Augenblicke, wo Sie von Besitznahme sprachen. Sie sind ein großer Bösewicht und mögen die Vorsehung preisen, daß meine Söhne nicht zu Hause sind, sie möchten das Gericht über Sie nicht, wie ich es thue, dem Allmächtigen überlassen haben. Nun gehen Sie, Herr, und entheiligen Sie den Aufenthalt gottesfürchtiger

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frommer Menschen nicht wieder mit Ihrer Gegenwart, bis diese Räume leer und verlassen zu Ihrer Aufnahme dastehen.«

Während Swarton diese Worte fest und entschlossen an den Störer seines häuslichen Glückes richtete, war seine Frau zu ihm getreten und hatte ihren Arm um seine Schulter gelegt, hielt aber in ihrer andern Hand die Doppelflinte ihres Mannes hinter sich und sah Dorst mit einem stolzen und verächtlichen Blicke in die Augen.

Doch noch zwei andere Augen waren auf die hier anwesenden Personen gerichtet, zwei glühende, aus einem bleichen Gesichte hervorblitzende Augen.

Es waren Roberts Blicke, die auf ihnen lagen, es war Roberts Ohr, dem kein Wort von Dorst, keines von seinem Vater entgangen war. Eben zurückkehrend von seiner Reise, hatte er an dem Maisfelde, welches an die Rückseite des Hauses stieß, dem Neger sein Pferd übergeben, um dasselbe auf dem langen Umwege um das Feld nach der Einzäunung zu leiten, in der es seinen Aufenthalt hatte und war selbst über die Fence in das Feld gesprungen, um auf dem kürzesten Wege zu den Seinigen zu eilen und sie zu überraschen.

An dem Durchgange des Hauses angelangt, fiel sein Blick auf den Fremden, er stutzte und hörte die Worte seines Vaters, schon hatte er unbemerkt von den

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Anwesenden, die Büchse auf das Herz des Todfeindes gerichtet, da gewahrte er die Flinte in der Hand seiner Mutter und sah, daß keine augenblickliche Lebensgefahr für die Seinigen vorhanden war. - Der Weg nach

E*** beschrieb einen weiten Bogen durch den Wald, ein Fußpfad schnitt diesen Bogen ab, der Friedenstörer, der Räuber, mußte an dem Ende des Pfades, wo derselbe in die Straße ausmündete, vorüberkommen: noch einen Blick schoß Robert durch den Gang nach Dorst hin und rannte dann mit fliegenden Schritten in dem Felde hinunter, erreichte den Saum des Waldes und bald den Pfad, von wo er zurück nach seiner Heimath blickte und ihr Lebewohl sagte, denn er sah Dorst jetzt zu Pferde auf der Straße dem Walde zureiten und es war ihm, als hätten sie beide ihre letzte Reise Augen treten.

Kaum hatte Dorst die Wohnung verlassen und sein Pferd dem Walde zugewandt, als Jerry mit der eignen Büchse in der Hand und dem Gepäck seines jungen Herrn im Arme auf das Haus zugeschritten kam und neugierig dem Fremden nachschaute.

»Mein Gott, Jerry! wo ist Robert?« rief Madame Swarton überrascht und erschrocken auf den Diener zueilend.

» Master Robert, ist er nicht hier?« antwortete

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Jerry verwundert, indem zugleich sein Blick die Aufregung erkannte, in der sich seine Herrschaft befand.

»Wer ist der Fremde, der dort in den Wald reitet?« rief der Neger, mit weit aufgerissenen Augen nach Dorst blickend, der sein Pferd in einen kurzen Galopp gesetzt hatte.

»Das ist Dorst, Jerry, der uns von hier vertreiben will,« antwortete Swarton.

»Großer Gott! - Master Robert!« schrie der Sklave, warf das Gepäck an die Erde und rannte mit solcher Blitzes Schnelligkeit davon, als trügen ihn die Füße eines Jünglings.

Er stürzte in die Einzäunung zu den Pferden, warf den Zaum über den Kopf von Roberts Roß, schwang sich auf dessen nackten Rücken und sprengte mit der Büchse in der Hand in fliegender Carriere Dorst nach.

Mit raschem Ueberblick hatte der alte treue Diener den ganzen Hergang aufgefaßt, er blickte nach dem Fußpfade, er wußte, daß sein junger Herr am Ende desselben auf den Todfeind harre und dachte daran, daß er selbst ihm den sichern Gebrauch der Büchse gelehrt hatte. Er sah nur ein Mittel, die Schuld des Mordes selbst begehen und seine Angst, sein Schrecken verwandelten

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sich in rasende Wuth, in den verzweifelten Entschluß dem Fremden das Leben zu nehmen.

»Master Robert, Master Robert!« schrie er wieder und wieder und trieb das Pferd im Sturmlauf vorwärtn.

Fast athemlos hatte Robert das Ende des Pfades erreicht, die Ranken des wilden Weins hatten ihm den Hut vom Kopfe gerissen und seine schwarzen glänzenden Locken hingen zerzaust um seinen Nacken. Er schlang seinen Arm um den glatten Stamm eines scheckigen Ahorns und lehnte sich mit Schulter und Kopf gegen den Baum, um sich zu sammeln und wieder zu Athem zu kommen, denn sein Herz schlug, als wolle es aus der Brust springen und die Pulse in seinen angeschwollenen Adern tobten in stürmischen verworrenen Schlägen.

Da drang der Hufschlag einen flüchtigen Pferdes zu seinem Ohr, das Klopfen seines Herzens stockte, die Gluth, die seinen Körper durchströmte, machte einer eisigen Kälte Platz und jeder Nerv schien sich zu Stahl zu verhärten. Er schritt vor, beugte sich um den letzten Busch und sein Blick fiel auf Dorst, der im Galopp auf der Straße heraneilte. Schnell verkürzte sich dessen Entfernung bis zu dem auf die Straße ausmündenden Fußpfade, noch fünfzig Schritte, noch zwanzig, noch zehn lagen zwischen ihnen, da flog Robert aus dem Busche

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hervor und stand mit zwei Sätzen so plötzlich vor dem Reiter, daß das Pferd erschrocken zurückprallte und sich hoch bäumte.

»Halt, Schurke!« schrie Robert dem Feinde zu, Du zahltest, was Du mir nahmst, mit Gold, ich gebe Dir darauf nur Blei als Zahlung heraus; das Leben eines solchen Ungeheuers ist nicht mehr werth!«

Dorst riß eine Pistole aus dem Holfter und wollte sie auf Robert richten, als in demselben Augenblicke das Feuer aus dessen Büchse flog und die Kugel durch des Reiters Herz fuhr. Dorst fiel auf den Sattel zurück, das Roß, an dem krampfhaft verkürzten Zügel gehalten, hob sich hoch empor und sein Reiter glitt, eine Leiche, von seinem Rücken in den Staub.

»Master Robert!« schrie es jetzt durch den düster werdenden Wald; in eine Staubwolke gehüllt, sprengte Jerry um die nächste Biegung der Straße und riß wenige Augenblicke später sein Pferd unmittelbar vor dem Leichname zurück.

»Zu spät,« schrie der Sklave, in Verzweiflung auf Robert blickend, warf sich vom Pferde, erfaßte seines Herrn Hand und fiel vor ihm nieder.

»Jerry hat den Schuft erschossen, Master Robert!« rief er flehend zu diesem aufblickend. »Fort, fort, auf dem Fußpfade zurück, man soll mich hier bei dem

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Schurken finden; sein Pferd ist mit blutigem Sattel nach der Stadt geflohen, man wird bald hier sein, fort Master Robert, wenn Du Jerry lieb hast!«

»Steh auf, ehrlicher Jerry,« sagte Robert und zog den alten Diener an seine Brust. Ich danke Dir für Deine Liebe, für Deine Treue, Gott wird Dich dafür belohnen und mag mir verzeihen, wenn ich Unrecht gethan habe.«

»Nicht Du, Master Robert, ich habe ihn getödtet, ich wollte es ja thun, deshalb bin ich ihm gefolgt. Fort, laß mich hier allein. Niemand weiß etwas von Dir, auch Dein Vater und Deine Mutter nicht. Sie haben mich beide dem Fremden folgen sehen. Eile auf dem Fußwege zurück.«

»Nein, guter Jerry, ich allein will den Mord an diesem Schurken, der das Glück meiner Familie zerstörte, verantworten. Leb wohl, ehrliche treue Seele,« sagte Robert, drückte den Sklaven nochmals an seine Brust, sprang nach seinem Pferde, schwang sich auf dessen Rücken und sprengte mit den Worten:

»Leb wohl, Jerry,« auf der Straße nach C*** hin.

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Capitel 14.

Das reiterlose Pferd. - Der Mörder. - Der Gefangene. - Die Unglücklichen. - Die Leichenfahrt. - Tröstungen. - Die Schreckensbotschaft. - Der Ersehnte. - Hülfeleistung. - Die Macht der Liebe. - Der Todte. - Entsetzen. - Jammer. - Die mißhandelten Sklaven. - Schreckliches Wiedersehen. - Todtenwache.


In dem Städtchen hatten sich vor dem Gasthause sowohl, als vor des Kaufmanns Harris Laden, vor dem Gerichtsgebäude und vor dem Trinkhause viele Männer in Gruppen versammelt, alle neugierig der Rückkehr Dorsts und des Scheriffs entgegensehend und zugleich auf den Schall der Glocke im Wirthshause wartend, die mehr oder weniger die Zeit für die Mahlzeiten im ganzen Orte bestimmte.

Morting saß, seinem Vorsätze getreu, immer noch in dem Corridor des Gasthauses und war jedem Ein- und Ausgehenden ein Stein des Anstoßes, was er mit teuflisch innerem Behagen bemerkte. Die Schatten der Häuser und nahen Bäume dehnten sich lang über den Platz hin und nur auf dem Dache des zweistöckigen Gerichtsgebäudes spiegelte sich noch die untergehende

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Sonne. Vor den meisten Häusern waren von der Weide zurückkehrende Kühe angelangt und forderten mit dumpfer Stimme ihre Eigenthümer auf, ihnen die Milch abzunehmen, während hier und dort ein Landmann sein Pferd bestieg, um seinen Heimweg anzutreten.

Plötzlich wurde die allgemeine Ruhe, die auf dem Städtchen lag, durch das Heransausen eines reiterlosen gesattelten Pferdes unterbrochen und von allen Zeiten schrie man:

»Das ist Dorsts Gaul, der Sattel ist blutig, Robert hat den Schuft erschossen!« Mit fliegenden Mähnen und hochwehendem Schweif stürmte das Thier über den Platz, blickte sich geängstigt um und blieb zuletzt schnaubend und bebend vor dem Gasthause stehen. Es wurde ergriffen, Alles drängte sich herzu und auch Morting kam aus dem Hause gestürzt, als die Kunde zu seinen Ohren drang. Mit einem gräßlichen Fluche rannte er in das Gasthaus zurück, holte seine Waffen und sein Gepäck vom Zimmer und eilte damit nach dem Stalle, doch er fand dessen Thür verschlossen. Er rief nach den Negern, umsonst, es hörte ihn Niemand in dem Tumulte, in dem Lärm, der sich in diesem Augenblicke auf dem Platze noch mehr steigerte, denn der Ruf: »Robert Swarton,« schallte jetzt einem Reiter entgegen, der auf nacktem Pferde in

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die Stadt gesprengt kam und vor dem Gerichtshause von dem schaumbedeckten Thiere sprang.

»Ich habe Dorst erschossen!« rief er den Herzueilenden entgegen; »nehmt mich gefangen und übergebt mich dem Gerichte.«

Er stellte seine Büchse an das Haus und schritt, von den überraschten Bürgern der Stadt gefolgt, in dasselbe hinein.

Auch Morting drängte sich herzu, doch wurde ihm der Eintritt so ernsthaft versagt, daß er sah, es würde nutzlos sein, hier Gewalt anwenden zu wollen.

DieAufregung unter den Bürgern war unbeschreiblich groß, Mitleid und Freundschaft für die Familie Swarton und Pflichtgefühl gegen das Gesetz traten in lebhaften Widerspruch.

Alles drängte sich zu Robert, um selbst von seinen Lippen zu hören, daß er sich des Verbrechens schuldig gemacht habe, welches ihn dem Gesetze überliefere, und viele seiner genaueren Freunde suchten ihn zur Flucht zu bereden, bei der sie sich erboten, ihn mit Gewalt zu unterstützen. Doch er weigerte sich hartnäckig, ihren Vorschlägen zu folgen und verlangte, daß man ihn in das Gefängniß führen und bewachen solle.

Es war Nacht geworden und die Zeit war gekommen, in der sonst tiefe friedliche Ruhe auf dem Grenzstädtchen

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lag, doch heute herrschte sowohl auf dem Platze als auch vor den Häusern noch immer ein rastloses Treiben, und durch die Thüren des Gerichtsgebäudes drängten sich immer noch viele Leute der Stadt und aus der nächsten Umgebung ein und aus, Alle warmes Interesse an dem unglücklichen Ereignisse nehmend und mit lauter, mitleidsvoller Theilnahme für den Gefangenen.

Jetzt sah man durch die Dunkelheit einen Haufen Menschen einem einzelnen Manne über den Platz folgen, der eilig auf das Gerichtshaus zuschritt und in dem man, als das Licht durch die Thür auf ihn fiel, den Scheriff Copton erkmmte. Man machte ihm Ptatz, er ging die Treppe hinauf nach dem Zimmer wo der Gefangene sich befand und trat mit wehmüthigem, doch ernstem Ausdruck im Gesicht zu diesem hin:

»Ich komme als Scheriff zu Ihnen, Robert,« sagte er zu dem jungen Manne, der sich von seinem Sitze erhoben hatte, »ich muß meine Pflicht erfüllen.«

Mit diesen Worten nahm er eine eiserne Kette aus der Tasche hervor und befestigte sie um die Handgelenke des Gefangenen, der ihm willig dieselben hinhielt.

»Ich so wie alle Ihre Freunde haben Ihnen die That vergeben, wir wollen hoffen, daß das Gericht ein Gleiches thue, denn nur dieses kann Ihnen diese Kette

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wieder abnehmen, die das Gesetz mich an Ihre Hände zu legen nöthigt,« sagte Copton tief bewegt.

»Ich habe mich selbst dem Gerichte übergeben, Herr Copton, und verlange nichts, als dessen Urtheil über mich. Mag es das Unrecht was ich beging und das, welches jener Schurke meiner Familie zufügte, gegen einander abwägen und ich glaube, daß meine Schale die leichteste sein wird.«

»Sie müssen mir jetzt folgen, Robert, ich bin genöthigt, Sie in das Gefängniß zu führen,« sagte der Scheriff, indem er eine ihm gereichte Laterne ergriff.

»Ich bin dazu bereit Herr Scheriff,« antwortete Robert und verließ festen Schrittes mit jenem das Haus. Auf dem Wege nach dem Gefängniß, welches in kurzer Entfernung seitwärts vom Platze auf einer wüsten Fläche, von dichten hohen Lebenseichen umgeben, lag, drängten sich die genaueren Freunde Roberts zu ihm heran und flüsterten ihm Worte des Trostes und der Ermuthigung zu.

»Wir sprechen Sie frei,« - »Kein Haar soll Ihnen gekrümmt werden,« - »Wir setzen unser Leben für das Ihrige ein,« waren die kurzen Ergüsse der Theilnahme, die ihm zugerannt, wurden, und mancher herzliche Händedruck sagte ihm noch deutlicher, wie nahe sein Schicksal den Freunden ging.

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Die dicke, schwer mit Eisen beschlagene Thür des starken Blockhauses, welches zum Gefängniß diente, wurde von dem Scheriff geöffnet, der Gefangene trat hinein, Copton versprach ihn bald selbst mit aller nöthigen Bequemlichkeit und so lange zu versorgen, bis dies von den Seinigen geschehen sein würde; nochmals ergriffen die Freunde Roberts Hände, nochmals wurde ihm Trost zugeredet und solcher ihm durch verständliche Winke gegeben, und dann schloß der Scheriff die dumpf knarrende, in ihren Angeln verrostete Thür.

Copton hatte mit seinen Begleitern den Platz wieder erreicht, als ein heller Feuerschein sich rasch dem Städtchen näherte, die Tritte galoppirender Pferde hörbar wurden und wenige Minuten nachher ein Trupp Reiter bei dem Lichte der Fackeln, die sie trugen, auf das Gerichtsgebäude zugesprengt kam.

»Die Swartons!« rief es von allen Seiten her, und Alles drängte sich zu ihnen hin. Auch der Scheriff beeilte seine Schritte die unglücklichen Freunde zu erreichen, die jetzt von ihren Pferden gestiegen waren. Der alte Swarton mit seiner Frau, seiner Tochter und feinen beiden jüngsten Söhnen rannten ihm entgegen und auch Jerry, der die Zügel der Pferde genommen hatte, drängte sich nach ihm hin.

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»Führen Sie uns zu unserm Sohne,« rief Madame Swarton ihm flehend zu, indem sie ihm beide Hände entgegenhielt.

»Ich muß Robert sprechen!« sagte der alte Swarton in höchster Aufregung.

»Wo ist mein Bruder, Herr Scheriff?« fragte Virginia gleichzeitig mit bebender Stimme.

»Kommen Sie, kommen Sie, ich führe Sie zu ihm,« antwortete Copton und schritt den in verzweifelter Hast folgenden Swartons voran, während sich ihnen Hunderte der Einwohner des Ortes anschlossen. Abermals wurde das schwere Schloß der Gefängnißthür geöffnet, abermals knarrten ihre Angeln und mit dem Ausruf: »Robert, mein Robert!« schlangen Vater, Mutter und Geschwister den mit Ketten belasteten Liebling in die Arme. Es war ein herzzerreißender Augenblick, bittere Thränen flossen, Seufzer, Schluchzen und Ausrufe höchsten Schmerzes, tiefsten Elends schallten durch die Todtenstille, die das Haus umgab, denn die versammelte Menge blickte lautlos auf die vom matten Scheine der Laterne beleuchtete Scene des Jammers, der Verzweiflung. Endlich entwand sich der Gefangene den Armen seiner Lieben.

»Laßt mich jetzt,« bat er mit tiefbewegter Stimme, » Gott der Allmächtige mag Euch und mir beistehen.

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Geht nun und hofft, daß auch das Gesetz mir gnädig sein mag.«

»Hurrah für Robert Swarton,« brach es plötzlich mit Ungestüm unter der umherstehenden Menge los, und mit steigendem Ungestüm wurde der Ruf wieder und wieder erneuert, als der Scheriff die Thür rasch hinter dem Gefangenen verschloß und die Familie Swarton bat, ihm nach seiner Wohnung zu folgen.

Während dieser Zeit fuhr ein leichter, mit zwei Maulthieren bespannter Wagen langsam in das Städtchen, und ihm voran ritt Morting mit einer Fackel in der Hand. Auf dem Fuhrwerke, welches derselbe von dem Gastwirth gemiethet hatte, lag der Leichnam Dorsts hingestreckt, und über ihm war sein rother Poncho ausgebreitet. Der Fuhrmann hielt vor dem Gasthause an, Morting stieg vom Pferde, begab sich in das Haus zu dem Wirthe und zahlte seine und Dorsts Rechnung, so wie auch die Miethe für den Wagen bis zu des Getödteten Wohnsitz.

»Wir werden uns bald wiedersehen, Herr Wirth,« sagte er, indem er mit der Fackel in der Hand das Haus verließ und zwischen den vor demselben versammelten Leuten hinschritt, »ich muß doch sehen, wie man hier zu Lande die Meuchelmörder hängt.«

»Wie man die Landdiebe todtschießt, habt Ihr bereits erfahren, vielleicht findet Ihr auch aus, wie man ihren Kameraden den Hals um einige Zoll länger macht,« erwiederte der Angeredete, indem er sich unter die Umstehenden mischte.

»Seid verdammt mit dem ganzen Lumpengesindel in Eurem Bettelort!« rief Morting, indem er sein Pferd bestieg und wandte sich dann mit folgenden Worten zu dem Fuhrmann:

» Fahrt zu, damit wir aus dieser Mörderhöhle fortkommen.«

Während ein Schauer von Flüchen ihm aus der Versammlung nachgesandt wurde, ritt er voran, der Leichenwagen polterte ihm nach, und bald verschwand im nahen Walde der Feuerschein der Fackel vor den Blicken der nachschauenden Bewohner des Städtchens.

Am folgenden Tage sah es ganz anders aus als es gewöhnlich der Fall war, das ruhige geschäftliche Treiben war verschwunden, allenthalben sah man die Leute zusammentreten und das Ereigniß vom vorigen Tage besprechen; es wurden Meinungen gegeben, Ansichten geltend gemacht, Reden gehalten, viel dazu getrunken, geschworen und geflucht, und jede Viertelstunde vermehrte die aufgeregte Volksmasse durch hereinströmende Bewohner der Umgegend, die von der ernsten

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Begebenheit hierhergezogen wurden, denn wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde über den Vorfall durch das Land.

Der Weg von C*** nach Swartons Farm war heute auch mehr belebt als jemals vorher, denn die vielen Freunde dieser Familie wollten ihr alle ihre Theilnahme an dem sie betroffenen Unglück bezeugen und sie ihrer Hülfe, ihres Beistandes versichern. Das Haus Swartons war schon früh mit zahlreichen Besuchern gefüllt, unter denen sich auch die ganze Familie Blanchard befand. Madame Blanchard und Inez boten Alles auf, und die trostlose Mutter, die jammernde verzweifelte Schwester Roberts zu trösten und ihnen Muth einzureden, und Georg und John Blanchard sprachen dem alten Swarton zu, versicherten ihm, daß sie Robert mit ihrem ganzen Vermögen, mit ihrem Leben beschützen wollten und boten Alles auf, ihn zu überzeugen, daß über ein günstiges Urtheil gar kein Zweifel obwalten könne, indem die Geschwornen ja nur aus Freunden Roberts gewählt werden würden.

»Und fällt das Urtheil wirklich gegen ihn aus,« sagte Georg, »so machen wir ihn mit Gewalt frei, keine Macht soll uns davon abhalten. Ich weiß, Farnwald denkt ebenso und wenn er will, so kann der ganze Staat Robert Nichts anhaben. Aber ich begreife nicht

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wo er bleibt? Ich habe ihm früh, als ich die erste Nachricht von dem Unglück erhielt, gleich einen Boten gesandt und ihn wissen lassen, daß wir ihn hier erwarten würden. Er muß nicht zu Hause sein!«

Auch der County Clerk, Herr Barry, hatte sich eingefunden und sprach tröstend zu den unglücklichen Leuten. »Dem Gesetz müssen wir sein Recht lassen,« sagte er, »doch dieses kann nicht umhin, die zufälligen Umstände zu Gunsten Roberts zu berücksichtigen; sein unerwartetes Zusammentreffen mit Dorst, dessen Drohungen gegen seine Eltern, das gewissenlose Verfahren des Getödteten, Alles spricht ja für Robert! Es kann nicht fehlen, daß die Geschwornen einfachen Todtschlag im Affect aussprechen werden!«

So suchte Jeder dem traurigen Vorfall eine günstige Seite abzugewinnen und Swartons dadurch zu überzeugen, daß für Robert keine Gefahr vorhanden sei. Während des ganzen Tages brachen die tröstlichen Besuche nicht ab, nur Farnwald erschien nicht.

Mit Beute beladen zog dieser, als die Sonne sich schon neigte, in ernste Gedanken versunken seiner Wohnung zu und bemerkte bei seiner Annäherung mit Wohlgefallen, daß ihm Milly, wie sie dies gern zu thun pflegte, entgegengesprungen kam. Doch diesmal fiel ihm ihre Eile auf und namentlich erregte ihr Winken mit einem

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Tuche seine Aufmerksamkeit. Er beeilte die Schritte seines Pferdes und hatte die Quadrone in wenigen Augenblicken erreicht, als sie ihm zurief:

»Robert Swarton hat Dorst erschossen!«

»Was sagst Du, Milly, Dorst erschossen?« rief Farnwald mit stockender Stimme.

»Ja, Herr, so trug mir der Neger von Herrn Blanchard auf, Dir zu sagen.«

Ein Blitz hätte Farnwald nicht mehr betäuben können, als diese Worte es thaten. Er war für den Augenblick keinen Gedankens fähig. Doralice, ihre Mutter, Robert Swarton dessen Eltern und Geschwister und der blutige Dorst, wirbelten in verworrenen Bildern vor seiner Seele vorüber, und ohne Worte stieg er von seinem Pferde und begab sich in sein Zimmer.

Milly war ihm schweigend gefolgt und stand, ängstlich ihre Blicke auf ihn heftend, seitwärts von ihm, als er sich neben dem Tische in den Armstuhl warf und seine Hände vor die Stirn drückte.

»Dorst erschossen!« sagte er nach einer langen Weile vor sich hinblickend.

»Ja, Herr, das waren des Boten Worte,« sagte Milly schüchtern.

Farnwald blickte sich schnell nach ihr um und fragte, wie aus einem Traume erwachend:

»Wann ist es geschehen?«

»Gestern Abend, Herr,« erwiederte die Quadrone.

»Gestern Abend? Großer Gott, Doralice!« rief er, aus dem Sessel aufspringend, und schritt in größter Bewegung im Zimmer auf und nieder.

»Schnell, schnell, Milly, Addisson soll den Falben satteln!« rief er plötzlich dem erschrockenen Mädchen zu, warf sein Jagdzeug ab, wechselte in wenigen Minuten seine Kleidung und harrte des Pferdes, um zu der unglücklichen Geliebten zu eilen; denn sie war es, die jetzt allein vor seinen Gedanken stand. Es war noch möglich, daß er der Erste war, der ihr die Unglücksnachricht überbrachte, er konnte sie darauf vorbereiten, den Schlag zu ertragen, und ihr zugleich tröstend und helfend zur Seite stehen. Doch nun fiel ihm auch Robert ein, er gedachte dessen verzweifelnder Eltern und Geschwister, er wußte, daß sie die Minuten bis zu seiner Ankunft zählen würden, er konnte die Freunde nicht ihrem Unglück überlassen, und hin und her zog es seine Seele zu ihnen und wieder zu der Geliebten.

Da kam das bestellte Pferd im Trabe heran und Farnwald hatte entschieden, er mußte die Freunde zuerst sehen.

»Futtere und pflege den Schimmel gut, Addisson, wenn ich zurückkomme, muß ich ihn reiten. Gieb ihm

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Brod, so viel er annehmen will. Ich reite jetzt zu Swartons.«

»Der Herr Blanchard will Dich dort erwarten, Herr,« sagte Milly, »ich vergaß es, Dir zu sagen.

Farnwald schwang sich auf den Falben und sprengte in fliegendem Lauf davon. Nie war ihm der Weg so lang vorgekommen, es war ihm, als müsse er dem flüchtigen Rosse voraneilen. Immer drückte er wieder die Sporen in die Seiten des braven Thieres, das schon alle seine Kraft aufwandte, um seines Herrn Aufforderung zu genügen. Durch Wald, durch Prairie, bergauf, bergab ging es fort mit unverminderter Geschwindigkeit, bis endlich die wohlbekannten Baumgruppen, die der Freunde gemüthliche Wohnung umgaben, sichtbar wurden, und bald darauf das schaumbedeckte Roß seinen Reiter vor die Niederlassung trug.

»Gottlob - Farnwald!« riefen viele Stimmen von dem Gebäude her und Georg Blanchard eilte ihm mit den Worten entgegen:

»Das ist ein sehr großes Unglück hier im Hause, Herr Farnwald; die Swartons sind gänzlich außer sich und wissen nicht, wie sie ihr Elend ertragen sollen. Ich danke dem Himmel, daß Sie gekommen sind. Alle rechnen auf Sie, Alle bauen auf Ihren Trost, auf

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Ihre Hülfe,« sagte der junge Mann mit einer Theilnahme, die augenscheinlich aus tiefstem Herzen kam.

Die Blicke, mit denen die anwesenden Gäste Farnwald begrüßten, als er über die Veranda schritt, bezeugten, wie sehr man nach ihm verlangt hatte, und als er in das Zimmer trat, kam ihm der alte Swarton gleichfalls mit dem Ausruf

»Gottlob, daß Sie hier sind, Herr Farnwald,« entgegen.

»Das Unglück hat uns schrecklich getroffen,« fuhr er fort, »rathen Sie uns, was sollen wir thun, was sollen wir anfangen? Robert ist in Ketten!«

»Wer hat ihn gefangen genommen?« fragte Farnwald heftig.

»Er selbst hat sich dem Gesetz überliefert und besteht darauf, daß Gericht über ihn gehalten werde,« antwortete Swarton.

»Er trägt das Gefühl des Rechtes in sich, doch bedenkt er nicht, daß das Frontierleben und Frontierrechte hier nicht mehr anerkannt werden sollen, er vergißt, daß er nach dem Buchstaben des Gesetzes unsers Staates gerichtet werden wird. War Dorst allein?«

»Er war allein als Robert ihn traf, hat aber einen Begleiter, Namens Morting, in C*** bei sich gehabt,« antwortete Swarton.

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»Morting also bei ihm, und ist dieser noch in der Stadt?«

»Nein, er ist schon gestern Abend mit Dorsts Leiche fortgegangen.«

»Gestern Abend?« murmelte Farnwald vor sich hinsehend und stand einige Augenblicke in Gedanken. Dann sagte er:

»Lieber Swarton, ich muß heute noch verreisen, meine Gegenwart ist wo anders unumgänglich nöthig; in wenigen Tagen werde ich zurückkehren. Glauben Sie mir, ich verlasse Sie gerade in diesem traurigen Moment sehr ungern, abe es liegt nicht in meiner Macht, hierzubleiben, auch kann ich im Augenblick Nichts helfen; denn das Gericht über Robert kann nicht früher, als vor dem nächsten district court (Bezirksgericht) gehalten werden. Die erste Sorge ist jetzt, daß der beste Advocat, der möglicherweise zu bekommen ist, für Robert gewonnen wird; denn Dorsts Freunde werden keine Mittel sparen, um Ihnen überlegen zu sein, so wie sie Alles aufbieten werden, durch das Gesetz Rache zu nehmen.«

»Und wenn es mich mein ganzes Vermögen kosten sollte, Herr Farnwald, ich opfere Alles mit Freuden und will gern wieder mit der Axt von Neuem beginnen, wenn ich Robert nur wieder zur Seite habe.«

»Sprechen Sie mit Barry, er ist noch nicht so lange vom Osten weg, und weiß sicher, wer dort zu den ersten Advocaten gezählt wird.«

»Barry ist noch hier, er hat so eben sein Pferd aus der Einzäunung geholt,« sagte Georg Blanchard, der herzugetreten war und die letzten Worte Farnwalds mit angehört hatte, »ich will ihn rufen,« fügte er noch hinzu, eilte aus dem Zimmer und kehrte bald mit dem County Clerk zurück.

»Unbedingt müssen Sie den Advocaten John Taylor in M. engagiren, er ist namentlich in Criminalsachen anerkannt der glücklichste Vertheidiger und wird in verzweifelten Fällen stets als letztes Rettungsmittel herbeigeholt. Keinem Andern würde ich Roberts Sache anvertrauen,« sagte Barry, als er um seine Ansicht befragt war.

»Wie weit ist es bis M.?« fragte Farnwald, »es muß sehr weit sein.«

»Ueber zweihundert Meilen von hier,« antwortete Barry, »doch wäre es noch einmal so weit, so würde ich ihn holen; es gilt ein Menschenleben!«

Swarton fuhr bei diesen sehr ernsthaft gesagten Worten heftig zusammen.

»Großer Gott, das Leben meines Roberts!« rief er aus und preßte beide Hände vor das Gesicht, doch

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nach wenigen Augenblicken sah er mit gesammeltem Ausdruck den County Clerk an und sagte:

»Das würde noch vieler Menschen Leben kosten; so leicht nimmt man einem alten Frontiermann sein Kind nicht!«

»Seien Sie unbesorgt, lieber Herr Swarton,« fiel ihm Farnwald in das Wort und warf Barry einen Blick des Vorwurfs zu, »Robert hat mehr Freunde, als nöthig sein werden, um über sein Leben zu wachen.«

»Jedenfalls rathe ich Ihnen, Taylor kommen zu lassen und ihn zeitig zu gewinnen, damit Ihnen Dorsts Parthei nicht zuvorkommt,« erwiederte Barry.

»So will ich hinreiten und uns seinen Dienst sichern,« sagte George eifrig, »ich bringe ihn her, koste es was es wolle. Ich kann schon Morgen aufbrechen.«

»Je eher, je lieber,« sagte Barry.

»Guter Georg, nur im Unglück findet man aus, wen man Freund nennen soll,« sagte Swarton, indem er sehr bewegt die Hand des jungen Mannes ergriff und sie herzlich schüttelte.

»Recht so, Georg,« sagte Farnwald zu ihm und klopfte ihn auf die Schulter, »das Gesetz wird hoffentlich unsern Freund freisprechen und dessen Freunden ersparen ungesetzlich zu handeln.«

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»Sie würden wohl der letzte sein, der dies thun wollte, Herr Farnwald; denn Sie würden dadurch, als der Gründer dieser neu erstandenen gesetzlichen Verhältnisse, Ihr eigenes Werk zertrümmern,« antwortete der Clerk mit einem ernsten Blick.

» Das kann nicht geschehen, da ich überzeugt bin, daß die Geschwornen nicht nach dem Buchstaben, sondern nach dem Rechte richten werden, welches jeder Biedermann im Herzen trägt!«

»Auch ich hoffe darum das Beste, doch Gesetze müssen respectirt werden, sonst kann kein Staat bestehen, und wir würden niemals aus dem Faustrecht herauskommen. Es ist aber höchste Zeit, daß ich mich auf den Heimweg mache; ich bin schon seit heute früh hier, und die Meinigen werden recht darnach verlangen, Kunde über unsere Freunde hier zu bekommen. Lassen Sie uns das Beste hoffen, lieber Herr Swarton, und vertrauen Sie Gott und Ihren vielen Freunden, unter denen ich nie der Letzte sein werde, wenn ich auch das Gesetz mit aller mir zu Gebote stehenden Macht zu beschützen für meine Pflicht halte.«

Hiermit nahm der Clerk Abschied, versprach Morgen wieder vorzusprechen und schickte sich rasch zum Heimritt an.

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»Seien Sie ohne Sorgen, lieber Herr Swarton, es soll Robert kein Leid zugefügt werden, mag es kommen wie es will. Barry ist ein braver Mann und er hat Recht, daß er am Gesetze festhält, er urtheilt aber nur nach dessen Buchstaben, und darin mag er zu weit gehen und Unrecht haben,« sagte Farnwald.

»Sie sind unsre Hoffnung, unser Trost, Herr Farnwald, und was Sie uns rathen, soll geschehen,« sagte der alte Swarton und drückte ihm mit Innigkeit die Hand.

»Nun, Georg, Sie haben ein gutes Werk übernommen führen Sie es aus und bringen Sie Taylor hierher. Reiten Sie je eher je lieber,« sagte Farnwald zu dem jungen biederen Manne.

»Morgen früh bin ich unterwegs, ich will es sogleich meiner Mutter sagen,« erwiederte Georg.

»So will ich mit Ihnen zu den Damen gehen,« sagte Farnwald, und Swarton schritt voran nach dem andern Zimmer.

Dort saß Madame Swarton und Virginia in Thränen, umgeben von vielen theilnehmenden Freundinnen aus der Umgegend, unter denen sich auch Georgs Mutter und Schwester befanden.

Beim Anblick von Farnwald stand Madame Swarton auf, wankte schluchzend auf ihn zu und faßte schweigend

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seine Hand; sie wollte reden, die Stimme aber versagte ihr und so senkte sie das Gesicht in ihr Tuch, um durch einen neuen Strom von Thränen ihrem Herzen Erleichterung zu verschaffen. Auch Virginia hatte ihre Augen bedeckt und schluchzte heftig, indem sie sich auf der Mutter Schulter stützte.

»Fassen Sie sich, Madame Swarton, es soll Robert kein Haar gekrümmt werden, Sie dürfen mir vertrauen,« sagte Farnwald zu der trostlosen Frau und setzte dann noch hinzu: »ich bürge Ihnen dafür.«

Da hob die unglückliche Mutter ihre thränenvollen Blicke zu Farnwald auf, ein seliges Lächeln überflog ihre bleichen, verstörten Züge, sie ergriff abermals mit beiden Händen die seinige, und ehe er es verhindern konnte, fiel sie vor ihm nieder imd rief:

»Das ist Alles, wao ich wünsche, nun mag Gott Ihnen Kräfte dazu geben!«

Farnwald hob, tief ergriffen, die Frau auf, die jetzt ihre Thränen trocknete und augenscheinlich beruhigt zu ihm sagte:

»Sie sehen, Herr Farnwald, meine Furcht ist nun vorüber. Sie wissen, ich habe noch zwei Söhne, und wenn Sie für Robert handeln wollen, so giebt es für mich keine Gefahr mehr. Denken Sie, wenn es nöthig wird, an Bill und Charles.«

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Auch Madame Blanchard und Inez waren zu Farnwald getreten, um ihn zu bewillkommnen, drückten ihm die Hand und sahen ihn so liebevoll an, als wollten sie ihm damit für den Trost, den er der alten Freundin gegeben hatte, ihren Dank aussprechen.

»Unser junger Freund Georg,« sagte Farnwald, sich zu diesem umwendend, der seitwärts stand und betrübt auf die von Schmerz niedergebeugte schöne Virginia blickte, »hat sich auch erboten, sein Theil für die Befreiung Roberts zu thun; »er wird Morgen einen Ritt von einigen hundert Meilen antreten, um den besten Advocaten zu engagiren.«

Virginia nahm ihr Tuch von den Augen und sah zu Georg hinüber. Sie sagte kein Wort, sie trat nicht zu ihm hin, doch während ihre Mutter ihm mit den herzlichsten, innigsten Worten für diesen übernommenen Liebesdienst dankte, hatte sie mit dem einzigen Blicke mehr gesagt, als sie mit Worten es zu thun im Stande gewesen sein würde, sie hatte ihr Herz vor ihm aufgethan, hatte ihn hineinblicken lassen und er hatte deutlich gelesen, was darin geschrieben stand.

Georg nahm die Danksagungen der Mutter verlegen hin, hörte kaum, was sie sagte, sah aber immer wieder hinüber nach Virginia doch diese ließ ihre Augen niedergeschlagen.

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»In Gottes Namen, Georg! ich hoffe, daß es Dir gelingen wird, den Mann zu gewinnen,« sagte Madame Blanchard.

»Du magst die Mühe für dessen Herbeischaffen übernehmen, mir überlasse seine Belohnung; ich gebe Dir Vollmacht, ihn für meine Rechnung zu irgend einem Preise dahin zu bringen, daß er Roberts Vertheidigung übernehme.«

»Wie sollen wir jemals so viel Freundschaft erwiedern?« sagten Swarton und seine Frau zu gleicher Zeit. »Was hätten wir ohne solche Freunde anfangen sollen?«

»Sie haben solcher Freunde noch Viele außer uns, und es kann sich leicht ereignen, daß sie Alle noch Gelegenheit finden, sich als solche zu zeigen,« sagte Farnwald. »Doch nun muß ich Sie verlassen, man erwartet mich wo anders, von wo ich erst in einigen Tagen zurückkehren werde.«

»Ach, Herr Farnwald, gerade jetzt; müssen Sie uns denn verlassen?« sagte Madame Swarton.

»Ich kann es nicht umgehen, doch ich werde sobald als möglich zurückkommen.«

»Sie opfern sich rein auf für die Leute in der weiten Umgegend, denen Sie stets Ihre Hülfe unentgeltlich bringen und von denen es Ihnen doch wohl die

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wenigsten Dank wissen,« sagte Madame Blanchard; Farnwald nahm schleunigst Abschied auf recht baldiges Wiedersehn, forderte Swartons nochmals auf, nicht zu verzagen, und sprang dann zu seinem Pferde, welches noch, wie er es verlassen hatte, an der Einzäunung stand.

Er schwang sich in den Sattel und jagte mit noch größerem Ungestüm, als er gekommen war, auf dem Wege nach seinem Hause zurück; denn jetzt hatte er nur noch Doralice, die unglückliche, heiß und sehnsüchtig nach ihm verlangende, geliebte Doralice vor Augen. Der Falbe wußte, daß dies kein Jagdritt, kein Vergnügungsritt war, er verstand, daß es Ernst sei, daß es galt, streckte seine stählernen Glieder weiter von sich und zog sie dichter unter den schweißtriefenden Leib, er spannte seine Nüstern weiter aus als sonst und seine hellen funkelnden Augen schienen zu glühen, da das letzte Roth des Abendhimmels, dem er entgegenstürmte, sich in ihnen spiegelte. Wild wogten seine schwarzen Mähnen, hoch wehte sein glänzender Schweif und die Staubwolke, die unter seinen fliegenden Hufen anfwirbelte, schien ihm kaum folgen zu können. Nicht Sporn, nicht Peitsche berührte das edle Thier, nur die schmeichelnde Hand seines Herrn lag auf seinem glatten Nacken und das Lob, was sie ihm spendete, suchte es mit jedem Sprunge zu verdienen.

Das Haus war erreicht, der Falbe wogte schnaubend

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und mit hochschlagenden Flanken auf seinen zierlichen Gliedern hin und her, von Sattel und Zeug wurde er befreit und Addisson führte ihn an den feuchten Locken, die über seine Stirne fielen, nach der Einzäunung, um ihn dort sorgsam zu pflegen, während Farnwald mit aller Vorsicht den Schimmel selbst sattelte und sich in wenigen Minuten zu seinem langen Ritte ansrüstete.

Um diese Zeit war es, als Morting mit dem Wagen, der die irdischen Reste seines Reisegefährten trug, auf der Brücke anlangte, an deren anderer Seite in kurzer Entfernung die Besitzung Dorsts lag.

» Fahre langsam vor die Einzäunung, die sich unter jenen hohen Bäumen hinzieht,« sagte Morting zu dem schwarzen Fuhrmann und zeigte durch die zunehmende Dunkelheit nach dem Eingange hin, der zu Dorsts Wohnung führte, »halte dort still, bis ich zu Dir zurückkehre, ich will voranreiten, um unsere Fracht anzumelden.«

Mit diesen Worten eilte er zu dem Thore und ritt bald vor die Veranda des Wohngebäudes. »Mein Gott, da kommt Vater schon zurück,« sagte Doralice, die auf der Gallerie stand, zu ihrer in dem luftigen Corridor sitzenden Mutter; »hier ist Morting,« und während sie dieses sagte und der Genannte vom

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Pferde stieg, trat sie zur Seite, um neben ihm vorbei nach ihrem Vater zu sehen.

»Wo ist denn Vater, Herr Morting?« fragte Doralice diesen und wiederholte die Frage mit gesteigerter Besorgniß, da sie keine Antwort von dem Manne erhielt, der nun zu ihr unter die Veranra getreten war und abermals in seinem Schweigen verharrte.

»Um Gottes Willen, wo ist Vater, Herr Morting? rief sie jetzt in höchster Bestürzung, während auch ihn Mutter eilig herzugetreten war.

»Er wird gleich kommen,« antwortete Morting, mit der Hand zurück nach der Straße zeigend.

»Gottlob! Wie haben Sie mich erschreckt!« sagte Doralice, tief Athem holend und die Hand auf ihr mit Unterbrechungen klopfendes Herz legend.

»Er wartet da draußen auf mich, daß ich ihn abhole,« fuhr Morting fort und blickte wieder nach dn Straße hin, »er kommt gefahren.«

»Gefahren? Himmel, was ist geschehen? Ist er krank - oder gar verwundet?« rief Doralice und sprang die Treppe hinunter, um ihrem Vater entgegen zu eilen.

»Er ist todt, er ist erschossen,« rief jetzt Morting laut hinter Doralice her, deren Ohr diese Worte auf der untersten Stufe kaum erreichten, als sie, wie vom

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Blitze getroffen, zusammenbrach und hinab in den sandigen Weg niederfiel.

[»]Allmächtiger! Mein Gatte, mein Kind, mein einziges Kind!« schrie ihre Mutter zu ihr herabeilend, warf sich neben sie auf die Knie und schlang ihren Arm um Doralices Nacken.

»Hülfe! Hülfe! Mein Kind, meine Doralice!« schrie die Frau in höchster Verzweiflung und vergaß über die Gefahr, nun auch noch ihr Kind zu verlieren, daß es die Kunde von ihres Gatten Tode war, die ihre Tochter niedergeschmettert hatte.

Diener eilten mit Lichtern herbei, sie hoben ihre ohnmächtige Herrin auf, trugen sie in ihr Zimmer und legten sie dort auf dem Sopha nieder, wo die Mutter zitternd und bebend sich über sie beugte, ihre kalten Lippen küßte, ihre Locken von den Stirne zurückstrich und stammelnd die Worte wiederholte.

»Doralice, meine Doralice, es ist Deine Mutter, die Dich ruft!«

Die Diener hatten wohlriechende stärkende Wasser und Essig gebracht und der Ohnmächtigen Stirn und Nacken damit befeuchtet, worauf endlich mit einem tiefen Seufzer sich ihre Brust wieder hob, ihre Augen sich öffneten und sie ihre bleiche bebende Mutter über sich hingeneigt erkannte.

Wie aus einem schweren Traume erwachend, blickte

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sie dieselbe an, schlang die Arme um ihren Nacken und brach in einen Strom von Thränen aus. Mit den Thränen kehrte auch ihr Bewußtsein zurück, sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn, hob sich, auf die andere gestützt aua dem Sopha auf und wankte mit wirrem Blicke einige Schritte der Thür zu. Doch ihre Mutter zog sie zurück in ihre Arme.

»Bleibe Doralice, bleibe, Du bist krank,« sagte sie mit ängstlicher Stimme.

»Was sagte er? Sie haben Vater erschossen, sagte er nicht so? Mutter, hast Du es nicht gehört? sie haben Vater getödtet!« schrie das Mädchen in ihrer Verzweiflung und wollte nach der Thür gehen, doch ihre Mutter ließ sie nicht los und zog sie in das Sopha zurück, als wolle sie dieses letzte, ihr einzig noch übrige Lebensgut sich selbst sichern.

»O gehe nicht von mir, Doralice, Du bist ja Alles, was mir nun in meinem Unglücke noch bleibt, verlasse Deine Mutter nicht,« klagte die Frau, ihre Tochter an den Busen drückend; sie umarmten sich jammernd und wehklagend, ihre Thränen flossen zusammen und von der schweren Last ihres Schmerzes niedergedrückt, sanken Sie weinend in das Sopha.

Während dieser Zeit war Morting zurück nach dem Thore gegangen, wo der Wagen hielt, er ließ denselben

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zu dem Hause heranfahren und die Sklaven sammelten sich um ihn her, ihren todten Herrn zu sehen. Mit Lichtern und Fackeln kamen sie heran, doch kein Auge sah man feucht werden!

»Hebt ihn herunter von dem Wagen und tragt ihn auf die Gallerie,« sagte Morting zu den Negern, indem er den Poncho von Dorst hinwegzog und dessen blutiger Leichnam sichtbar wurde.

Die Sklaven aber standen und schauten schweigend auf den Entseelten, ohne der Weisung Folge zu leisten, sie schienen in Gedanken versunken und Betrachtungen anzustellen. »Nun, woran denkt Ihr - wird es bald? Faßt zu und tragt ihn auf die Gallerie, oder fürchtet Ihr Euch vor einem Todten? es ist doch der erste nicht, den Ihr anfaßt!«

»O nein, Herr Morting,« antwortete der Neger Elick, »es ist noch nicht so lange her, daß wir Ben und Sally forttrugen. Das waren aber nur Schwarze.«

»Vorwärts, sage ich, greift zu, oder ich werde Euch helfen,« rief jetzt Morting; die Neger sahen scheu nach ihm hin und hoben nun ihren Herrn vom Wagen.

» Dort hinauf, auf die Gallerie, dort legt ihn hin; Bill kann hineingehen und fragen, was mit ihm geschehen soll,« sagte Morting und schritt nach seinem

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Pferde. »Ich will jetzt nach Hause reiten, denn ich habe seit vorgestern verdammt wenig geschlafen. Sagt Eurer Herrin, ich würde morgen vorsprechen und sorgt für den Neger dort, den Fuhrmann.« Mit diesen Worten bestieg er sein Pferd und verschwand bald darauf in der Dunkelheit.

Kaum hatte Morting sich entfernt, als die Sklaven sich von ihrem todten Herrn abwendeten und Elick dessen blutigen Poncho über ihn hinwarf.

»Das hat er an Ben und an Sally verdient; der Tod macht zwischen Schwarzen und Weißen keinen Unterschied,« sagte er, warf den brennenden Kienspan, den er in der Hand trug, in den Weg hinaus und ging auf seinen nackten Füßen lautlos unter der Veranda hin bis zu Doralices Zimmer, dessen Thür nur angelehnt war. Die übrigen Neger hatten gleichfalls die Lichter ausgelöscht und sich leise vor der Thür gesammelt, aus welcher die Jammertöne ihrer Herrinnen hervordrangen.

Jetzt ließen die Sklaven ihre Köpfe sinken, Thränen traten in ihre Augen und als ihr Schluchzen in das ihrer Herrschaft einstimmte, öffnete sich die Thür und Ellen, eine schwarze Dienerin, trat leise zu ihnen heraus.

»Was sollen wir mit Master Dorst thun, er liegt

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dort auf der Gallerie,« sagte Elick zu ihr, nach seinem Herrn hinzeigend.

»Tragt ihn in den Salon und legt ihn dort auf den Teppich, bis die Herrin bestimmt hat, was weiter geschehen soll. Jetzt kann ich sie unmöglich fragen; ihr Jammer ist zu groß,« erwiederte die Sklavin, die Andern gingen, um zu thun, was sie ihnen gerathen und sie selbst blieb an der Thür stehen und lauschte den Wehklagen ihrer Gebieterinnen.

»Laß mich allein hinausgehen, Doralice,« sagte Madame Dorst zu ihrer Tochter, »bleibe hier, mir zu Liebe.«

»Nein Mutter, laß uns zusammengehen, ich bin gefaßt, ohne Dich hier bleiben kann ich nicht. Soll ich denn meinen armen Vater nicht sehen?«

»Es möchte Dir schaden, mein Kind. Ich habe ja außer Dir nun Nichts mehr in der Welt,« sagte Madame Dorst und brach, ihre Hände ringend, wieder in lautes Weinen aus.«

»Komm mit, Mutter, ich muß den Vater sehen!« rief jetzt Doralice, von Schmerz und Verzweiflung hingerissen, zog ihre Mutter mit sich fort aus dem Zimmer und stieß im Hinausgehen auf Ellen.

»Wo ist Vater?« fragte sie schluchzend die Dienerin und

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»Wo ist Dein Herr, Ellen?« fragte Madame Dorst mit bebender Stimme.

»In dem Salon; ich habe ihn dorthin bringen lassen, bis Du Weiteres verfügt haben würdest, Herrin,« antwortete die Sklavin und folgte ihren Gebieterinnen, die in ihrem Jammer sich umschlingend, nach dem bezeichneten Gemache wankten.

Ein einzelnes Licht stand vor dem großen prächtigen Wandspiegel und warf seinen spärlichen Schein auf Dorst, der in der Mitte des geräumigen düstern Zimmers auf dem Fußboden hingestreckt lag.

»Dorst, mein Gemahl!« schrie jetzt die unglückliche Frau und warf sich in voller Verzweiflung neben dem Leichnam nieder. »O, ich unglückliches Weib, der Sohn wurde mir geraubt und gemordet ist mir der Gatte! wie soll ich es ertragen, wie kann ich noch leben?« rief sie, die Hände ringend und richtete ihre Blicke nach oben, während Doralice mit dem Haupte auf ihres Vaters Brust gesunken war und seine kalte Hand krampfhaft in der ihrigen hielt.

Stunden eilten dahin, der matte Schimmer des nahenden Morgens brach dämmernd durch die offnen Fenster und fiel auf die bleichen Gestalten der Mutter und Tochter, die immer noch bei den irdischen Resten des ihnen theuren Mannes weinten und klagten.

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Doralices Blicke fielen jetzt auf die blassen leiderfüllten Züge ihrer Mutter, neue Angst, neue Besorgniß erfaßte sie, sie schlang ihren Arm um deren Leib, hob sie empor und zog sie mit sich fort aus der Nähe des Todten. Sie geleitete sie in ihre Zimmer, befahl durch Ellen einer Anzahl Sklaven, bei ihrem Herrn Wache zu halten und schloß sich dann mit ihrer Mutter ein, um ungestört ihrem Gram Raum zu geben und ihren Thränen freien Lauf zu lassen.

Eine unheimliche Stille herrschte in dem Hause, über der ganzen Niederlassung, nirgends ließ sich ein lebendes Wesen sehen, denn die Sklaven benutzten den Tod ihres Herrn, sich einen Feiertag zu verschaffen, hielten sich in ihren Hütten still verborgen und die schon hoch stehende Sonne trieb durch ihre heißen Strahlen das Vieh und die Vögel den Schatten zu, in denen sie sich stumm und heimlich versteckten.

In dem Salon saßen die, zur Wache bei ihrem Herrn bestimmten, Neger auf dem reichen bunten Teppich und sprachen, ihre Blicke bald auf den Todten, bald auf die glänzenden Kostbarkeiten, die sie hier umgaben, heftend, leise miteinander.

»Endlich hat er doch seinen Meister gefunden,« sagte Elick, seitwärts auf Dorst blickend.

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»Er hat in seinem Leben manche Kugel pfeifen hören; noch im vergangenen Jahre schoß der Advocat im Gerichtshause nach ihm, dem Dorst dann mit seinem langen Messer den Garaus machte; doch diese Kugel hat ihn wahrscheinlich überrascht, sie muß ihn nicht weit vom Herzen getroffen haben.«

»Er hat es hundertmal an uns verdient,« sagte Harry. »Wie grimmig der Kerl aussieht! Sicher ist es ihm hart angekommen, als er sah, daß er sterben mußte, wenn er an uns und an diese vielen schönen Sachen gedacht hat, von denen er Nichts mit sich nehmen konnte.«

»Den Einen sind wir los und wer weiß, ob wir einen andern Herrn bekommen, der besser ist, als er? denn ich glaube nicht, daß die Herrin hier wohnen bleiben wird und dann setzt sie entweder einen Aufseher hierher, oder sie verkauft uns,« bemerkte Bob. »Wenn sie uns nur nicht unter ihren Vetter, den Warner, stellt, sonst kämen wir aus dem Regen in die Traufe. Der rothhaarige Spitzbube würde uns das Fell über die Ohren ziehen.«

»Doch noch lieber wollte ich ihn zum Herrn haben, als den Morting, dem gilt ein Hund mehr, als ein Neger,« antwortete Harry.

»Was meint Ihr, wenn sich mit einem Male der

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Alte dort wieder aufrichtete und hätte uns so respectlos sprechen hören, was sollte wohl aus unserer Haut werden?« sagte Bob, indem er einen scheuen Blick nach Dorst hinwarf und seine Gefährten sich gleichfalls halb erschrocken nach demselben umwandten, als hörten sie schon die drohende Peitsche durch die Luft sausen.

»Bei Gott, macht keine Späße, der Teufel könnte sein Spiel haben,« fiel Elick ein und setzte, indem er sich auf den Rücken faßte, noch hinzu: »ich habe da noch einen ungeheilten Stockhieb von ihm, den er mir bei seinem Abschiede verehrte, wobei ich ihm wünschte, daß ihn der Böse unterwegs holen möchte, und mein aufrichtiger Wunsch ist in Erfüllung gegangen.«

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Capitel 15.

Der tröstende Freund. - Der theilnehmende Vetter. - Die beiden Bösewichte. - Das Begräbniß. - Vereitelter Wunsch. - Die unglückliche Frau. - Der geraubte Sohn. - Entfesselte Leidenschaft. - Rachedurst. - Die Thräne.


Unter der Veranda, vor der Thür ihrer Herrin, hatte sich Ellen auf dem Fußboden niedergekauert, und ihr mit den Händen bedecktes Gesicht in den Schooß sinken lassen; nur von Zeit zu Zeit sah sie auf, um ihren Blick nach den Negerhütten und nach der Straße hinüberzusenden, dann versank sie wieder in ihre vorige unthätige Stellung.

Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit durch den hohl schallenden Ton von Hufschlägen angezogen, welche auf der nicht fernen hölzernen Brücke durch ein darüber hineilendes Pferd erzeugt wurden. Sie sah auch bald darauf durch die hohen Baume, wie ein Reiter auf der staubigen Straße herangaloppirt kam, an dem Einfahrtsthore anhielt, dasselbe, ohne abzusteigen, öffnete und nun zu dem Hause herausprengte.

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»Mein Gott, es ist Herr Farnwald,« sagte sie, überrascht nach ihm hinblickend, sprang auf und rief laut gegen die Zimmerthür gewendet:

»Herr Farnwald ist gekommen.«

»Farnwald?« rief es aus dem Zimmer, die Thür flog auf, Doralice eilte hervor unter die Veranda, die Stufen hinab und sank im nächsten Augenblick mit den Worten:

»Mein Farnwald!« in dessen Arme. Es war ein Augenblick des tiefsten Schmerzes, doch auch zugleich großen Trostes. Doralice sprach nur mit Thränen und mit Schluchzen und schmiegte sich eng an den Geliebten an, als fühle sie sich unter seinem Schutze sicherer gegen das sie bedrängende Schicksal, als fühle in seiner Nähe Linderung ihrer Leiden. Auch Farnwald waren die Augen feucht geworden, auch er konnte keine Trostworte für das namenlose Unglück finden, welches das theure Mädchen und dessen Mutter betroffen hatte. Mit dem Arme die Geliebte fest an sein Herz haltend, war er mit ihr unter die Veranda getreten, als Madame Dorst weinend aus ihrer Zimmerthür kam und ihre Hand Farnwald entgegenhielt. Sie wollte reden, doch auch ihr war es nicht möglich, sie schüttelte schluchzend ihr Haupt, sah zum Himmel auf und legte dann mit ihrem stummen Segen Doralices

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Hand in die Farnwalds. Unter Thränen schloß dieser die Tochter und die Mutter abwechselnd in die Arme und sagte, nach einer Weile das Schweigen brechend, aufs Tiefste bewegt:

»Der Trost, den ich im Stande bin Ihnen zu geben, wird gegen das schwere Schicksal, welches Sie betroffen, sehr unbedeutend sein, meine Hülfe aber, so weit sie meine Kräfte bieten können, gehört, so wie mein ganzes künftiges Leben, Ihnen beiden.«

Er hatte mit diesen Worten die Hand der Mutter und der Tochter ergriffen, und ging zwischen ihnen und von ihnen geleitet nach dem Zimmer der Ersteren, wo sie sich, von Schmerz und Leid übermannt, schweigend zusammen niedersetzten. Lange noch hielten die beiden Frauenzimmer die Hände Farnwalds in den ihrigen, wie Gescheiterte, die sich an einen schwimmenden Mast klammern, lange noch flossen ihre Thränen, die sie sich vergebens bemühten zu trocknen, und lange noch waren sie nicht im Stande ihren Jammer, ihre Seufzer in Worte zu fassen.

»Herr Farnwald,« sagte endlich Madame Dorst mit matter Stimme, »ich habe Ihnen und Doralice meinen Segen gegeben, ehe wir noch Ihrer Hülfe bedurften, es machte mich glücklich, die Zukunft meiner Tochter der Hand eines Mannes anzuvertrauen, den ich Ursache

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hatte, zu achten und zu ehren, doch konnte ich zu jener Zeit nicht denken, daß auch ich so bald ihren Schutz anzurufen genöthigt sein würde. Damals glaubte ich nur zu geben, nur für Euer Glück zu sorgen, und ich habe mich selbst, wenn auch nur unbewußt, dabei bedacht; denn ohne Sie, Herr Farnwald, würde ich nun verlassen und rathlos in der Welt stehen. Mein Herz hat schon seit Jahren niemals aufgehört zu bluten und ich hoffte, daß es früher ausgeschlagen haben würde, als das meines Gatten; doch auch dieser Wunsch ist mir nicht erfüllt!«

Ein heftiger Thränenstrom nahm der unglücklichen Frau abermals die Worte und schluchzend senkte sie das Gesicht in ihr Tuch.

»Du hast ja noch eine Tochter, gute Mutter,« sagte Doralice, indem sie ihren Arm um sie schlang, sie zärtlich an sich zog und ihre Wangen mit Küssen bedeckte, und nun hast Du ja auch noch einen Sohn, der für Dich und für Deine Tochter sorgen wird. Gott hat uns das Leid gesandt und wir dürfen nicht gegen seine Fügungen murren; Er wird Alles zu unserm Besten lenken.«

Sie suchten sich gegenseitig zu trösten und in ihrem Gram aufzurichten, und hatten so einige Stunden verbracht, als Ellen hereintrat und die Ankunft des Herrn Warner meldete.

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Doralices Züge überflog bei dem Namen dieses Mannes ein Ausdruck des Widerwillens, doch der Madame Dorst schien seine Ankunft erwünscht zu sein.

»Ach, der gute Vetter!« sagte sie, »er meint es auch ehrlich mit uns. Laß ihn hereinkommen, Ellen.«

»Sage ihm nichts über Farnwald und mich, Mutter,« flüsterte Doralice dieser zu und ließ die Hand ihres Geliebten aus der ihrigen gleiten, als die Thür sich öffnete und Warner mit einem Tuch vor den Augen und gesenkten Hauptes hereintrat.

Sein erster Blick aber fiel auf Farnwald und man konnte deutlich die unangenehme Ueberraschung gewahren, die dessen unerwartete Gegenwart bei ihm hervorbrachte, Es war aber nur für einen Augenblick, daß sich Gefühl auf seinem Gesichte zeigte, dann nahm dieses wieder den Ausdruck tiefsten Leidens an, und abermals das Tuch zu seinen Augen führend, trat er zu Madame Dorst und erfaßte ihre Hand.

»Was Gott thut, das ist wohlgethan,« sagte er unter heftigem Schluchzen und wischte seine Augen, »der Schlag ist schrecklich, theure Cousine, und trifft mich fast ebenso schwer, als Sie; denn mein einziger Freund und meine alleinige Stütze ist mir in dem Verblichenen verloren. Ach, wie sollen wir es ertragen? Gott gebe uns Kraft genug, uns aufrecht zu erhalten und nicht

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an seiner ewigen Liebe, an seiner unendlichen Gnade zu zweifeln!«

Hiermit bedeckte er abermals sein Gesicht und wendete sich nach einer Weile zu Doralice mit den Worten:

»Trost zu geben ist schwer, doch wenn Dankbarkeit für genossene Wohlthaten Theilnahme und Beistand im Unglück versprechen kann, so dürfen Sie auf mich rechnen mit Allem, was in meiner Macht steht.«

[»]Doralice sah aber nicht nach ihm auf und gab ihm keine Antwort.[«]

»Wir haben es wahrscheinlich Ihrer Freundschaft zu danken, Herr Farnwald, daß Sie dem theuren Verblichenen das Geleit hierher gaben?« sagte Warner, sich jetzt zu Farnwald wendend, »er hielt große Stücke auf Sie.«

» Nein, Herr Warner, wie ich höre, hat Herr Morting ihn hierher begleitet; ich erhielt die Nachricht von dem vorgefallenen Unglück, als ich von einer mehrtägigen Jagd nach Hause zurückkehrte, und eilte dann sogleich hierher, um zu sehen, ob ich vielleicht durch Trostworte, oder durch meine Dienste unseren Freundinnen hier einen Theil der vielen Freundlichkeiten zurückerstatten könnte, die sie mir vor so kurzer Zeit in diesem Hause erzeigten.«

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»So waren Sie also nicht zugegen, als die Gräuelthat vollbracht wurde?«

»Nein, Herr Warner, leider nicht, wäre ich gegenwärtig gewesen, so würde sie wahrscheinlich nicht geschehen sein.«

»Was ist denn aus dem Unmenschen, dem Mörder, geworden - ist er entflohen?«

»Er hat sich selbst dem Gerichte gestellt und befindet sich in Ketten.«

» Mag der Himmel geben, daß dasselbe Gerechtigkeit an ihm ausübe,« sagte Warner heftig mit dem Ausdrucke tiefster Entrüstung und setzte, sich zu Madame Dorst wendend, noch hinzu, »Sie werden sicher nichts sparen, theure Cousine, um den Bösewicht nach Verdienst bestraft zu sehen; meinen letzten Dollar mag es mich tosten, wenn ich ihn damit an den Galgen bringen kann.

»Das bin ich meinem unglücklichen Gatten schuldig, antwortete Madame Dorst mit einem finstern Blicke, »mein ganzes Vermögen werde ich einsetzen, um den Manen meines Gemahls Genugthuung zu verschaffen.

Farnwald und Warner verließen bald darauf die Damen, um die nöthigen Vorbereitungen für das Begräbniß Dorsts zu machen. Es wurde von den Schreinern, die sich unter den Negern befanden, schnell ein

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Sarg angefertigt und in dem Garten, auf dem von Madame Dorst bestimmten Platze das Grab bereitet.

Farnwald war zu den Damen zurückgekehrt, während Warner noch bei den Arbeitern verweilte, als Morting vor das Haus geritten kam und von Ellen auf die Frage, ob Warner schon hier sei, nach dem Garten gewiesen wurde. Er schlang den Zügel seines Pferdes an einen Baum und schritt nach dem bezeichneten Orte, wo er Jenen unweit des Grabes sinnend unter einem Baume sitzend antraf.

»Hallo Warner, ich komme so eben von Eurem Hause, wo man mir sagte, daß Ihr hierher geritten wäret. Das sieht jetzt scheu hier aus; die Hauptsache bei unsern Unternehmungen, das Geld, wird uns jetzt fehlen. Ein verdammter Streich gerade jetzt, aus unserer Speculation gegen den Renard wird nun wohl Nichts werden, und verdammt, ich habe mit Dorst nichts Schriftliches gemacht wegen des Kaufs von Swartons Lande. Das Geschäft ging zwischen ihm und mir in gleiche Theile, Ihr werdet das ja selbst wissen?«

»Dorst hat mir niemals etwas darüber gesagt,« antwortete Warner unbefangen, »doch seiner Frau wird es ja wohl bekannt sein.«

»Hat er denn ein Testament gemacht, oder Jemanden

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zum Beistand seiner Frau ernannt? Die kann ja allein die vielen schwebenden Processe nicht durchfechten.«

»Ich weiß von nichts, wie sollte er dazu gekommen sein, ein Testament zu machen; er war der Letzte, der an Sterben dachte.«

»So müßt Ihr sehen, Warner, daß wir Beiden die Hände in dem Vermögen behalten, Ihr steht ja gut mit Eurer Cousine.«

»Was ich dabei thun kann, Morting, das wißt Ihr wohl, geschieht. Ich dachte immer, Dorst hätte Euch so eine Vollmacht hinterlassen, wenigstens mündlich, und seine Frau davon unterrichtet. Ich werde sie einmal deshalb befragen. Habt Ihr denn das Geld, welches er auf die Reise mitgenommen hatte, zu Euch genommen und mitgebracht?« fragte Warner, seinen Gefährten prüfend anschauend.

»Geld? verdammt, keinen Cent habe ich bei ihm gefunden; er hat ja, wer weiß wie lange da draußen im Walde auf der offnen Straße todt gelegen, und da könnt Ihr leicht denken, daß, als ich zu ihm kam, seine Taschen schon längst umgewandt waren. Ich habe noch aus meinen eignen Mitteln die Wirthshausrechnung und seine Vergnügungsfahrt hierher bezahlt, welches Geld ich mir von der Wittwe zurückerbitten werde.«

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»Dafür laßt mich sorgen, Morting, in diesen ersten Tagen wollen wir sie nicht noch mehr an ihren großen Verlust erinnern, denn sie ist schon sehr angegriffen. Es könnte ihrer Gesundheit nachtheilig sein,« sagte Warner mit einem Ausdruck warmer Theilnahme, wobei ihn Morting mit einem höhnischen Lächeln ansah und bemerkte:

»Es ist doch gut, wenn man so einen weichherzigen Vetter hat; am Ende wäre die Wittwe noch keine so schlechte Parthie.«

»Mir ist nicht so scherzhaft zu Muthe, als Euch, Morting, ich habe in der That eine mächtige Stütze verloren und auch Ihr werdet den Verlust sehr fühlen, denn bei Dorsts vielen glücklichen Speculationen fiel doch oft ein schönes Theilchen an uns ab.«

»Dafür habt Ihr genug falsche Eide geschwollen und ich oft genug Haut und Nacken gewagt. Freilich, könnte ich den Kerl wieber lebendig machen, so thäte ich es, denn sein Geld hat uns manchmal aus der Noth geholfen. Nun horcht einmal bei der Alten, ob sie weiß, daß ich an dem Gewinnst, der an Swartons Land gemacht wird, halben Antheil habe?«

»Das werde ich thun. Doch vor Allein müssen wir jetzt dafür sorgen, daß der Mörder Dorsts gehangen wird, denn so lange er lebt, kann Niemand mit

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Ruhe auf die Besitzung seiner Familie ziehen, der Kerl schösse einem eine Kugel durch den Kopf, sobald man die Nase zum Fenster heraussteckte. Ist er gehangen, so werden sich die Andern schon beruhigen, und dann könntet Ihr oder ich dort hinziehen. Die Wittwe darf die Kosten nicht scheuen, und sie ist auch Willens, Alles zu diesem Ende aufzubieten. Ihr wißt, sie ist Mexicanerin.«

» Wenn sie Geld nicht scheut, so soll der Kerl hängen, oder ich will mir selbst die Schlinge um den Hals legen. Nun, Warner, vergeßt meinen Antheil am Geschäfte nicht, ich will jetzt reiten. Ihr werdet Herrn Vetter auch ohne mich dort in die Erde pflanzen können; wenn er ausschlägt, bitte ich mir einen Sprößling davon aus, es muß herrliche Peitschen geben. Legt ihn nur tief genug, damit er nicht spukt; man sagt, wer ein Dutzend Menschenleben auf dem Gewissen habe, würde im Grabe keinen sonderlich ruhigen Schlafß bekommen.«

Mit diesen Worten ging Morting zu seinem Pferdes zurück und hatte bald die Besitzung verlassen, während Warner sich nach dem Hause begab und Dorst durch die Neger in den Sarg legen ließ. Dieser war nur einfach aus Cedernholz gezimmert und entbehrte jeder reichen Verzierung, die wohl der Ruhestätte für

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ewigen Schlaf eines so wohlhabenden Mannes in einem mehr bevölkerten Lande zu Theil geworden sein würde. Allen Schmuck, der Dorst auf seinem letzten Wege begleiten sollte, hatte die Natur geliefert: er war reichlich mit den herrlichsten Blumen umgeben.

Die Sonne sank hinter den fernen Gebirgen und der Himmel hatte sich mit einem dunkeln Blutroth gefärbt, als Dorsts Leiche in dem Corridor stand, um von da zur Gruft getragen zu werden. Die Sklaven Alle hatten sich in ihren besten Kleidern vor dem Hause gesammelt, um ihren Herrn auf seinem letzten Wege zu begleiten und nur die, welche zu Trägern bestimmt waren, standen, des Befehls gewärtig, bei dem Sarge.

Farnwald theilte es Madame Dorst und ihrer Tochter mit, daß die irdischen Reste des ihnen theuern Mannes jetzt der Erde übergeben werden sollten und erbot sich, sie zum letzten Abschiede zu ihm hin zu geleiten. Ihr Jammer war herzzerreißend. Wieder und wieder fielen sie sich in die Arme, ihre Thränen, ihre Klagen zu vereinigen, doch immer sanken sie in das Sopha zurück, unfähig, den Weg zum Scheiden von dem Gatten, von dem Vater anzutreten.

Endlich nahm Warner den Arm von Madame Dorst und Farnwald schlang den von Doralice in den seinigen, und so führten sie die beiden Trauernden zu

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dem Sarge, um sie das schmerzliche Lebewohl sagen zu lassen. Händeringend und weinend warfen sie sich über die Leiche hin, und ihr Wehklagen schallte laut durch das Haus; doch bald gab Farnwald den Negern das Zeichen, den Sarg zu schließen, er und Warner zogen die Klagenden sanft hinweg nach ihren Zimmern und kehrten dann in den Corridor zurück, um Dorst die letzte Ehre zu erzeigen.

Die Neger hatten den Sarg aufgehoben und trugen ihn, von Farnwald und Warner gefolgt, über die Veranda nach dem Garten hin, während die übrigen Sklaven eine Hymne anstimmten und den Zug schlossen. Bald war der Hügel über dem Grabe aufgeworfen und die himmelhohen Cypressen, die es umstanden, streckten ihre düstern Schatten über die lockere Erde.

Farnwald und Warner waren zu dem Wohngebäude zurückgekehrt und hatten schon eine Zeit lang, Jeder seinen eignen Betrachtungen folgend, schweigend nebeneinander unter der Veranda gesessen, als Warner sagte:

»Ohne Zweifel hat dieser Meuchelmord in Ihrer Gegend großes Aufsehen gemacht und allgemeine Entrüstung gegen den Thäter erzeugt?

»Allerdings,« antwortete Farnwald, »doch die ungünstige Stimmung, die dort allgemein gegen Dorst herrschte, hat das öffentliche Urtheil über den

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jungen Swarton sehr gemildert, zumal derselbe stets als ein höchst rechtlicher und ehrenwerther Mann bekannt war und, als solcher geachtet, sehr viele Freunde dort besaß. Man mißbilligt zwar seine Handlung allgemein, doch ebenso sehr und noch mehr verdammt man das Verfahren des Herrn Dorst, welches dazu die Veranlassung gab.«

»Mein Vetter hat ja doch vollkommen gesetzlich gehandelt, wie kann man denn ein Unrecht darin finden?«

»Gesetzlich und doch nicht recht,« antwortete Farnwald und blickte seitwärts, um diesem Gespräch ein Ende zu machen, da es ihm weder angenehm war, seine Meinung über Dorst weiter auszusprechen, noch aber Robert Swarton gänzlich zu verdammen oder zu rechtfertigen.

»Es ist ein Glück,« fuhr er nach einer Weile fort, »daß Sie hier in der Nähe wohnen und den Damen durch Sie eine Stütze, eine Hülfe zu Gebote steht, deren sie jetzt sehr oft bedürftig sein werden.«

»Ich will mich glücklich schätzen, wenn ich durch meinen Beistand einen Theil der großen Schuld zurückzahlen kann, in die ich durch so viele empfangene Wohlthaten der Familie gegenüber gerathen bin. Meine Cousinen dürfen unbedingt zu allen Zeiten auf mich rechnen,« antwortete Warner und setzte mit einem tiefen

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Seufzer noch hinzu: »Dorst ist mir ein treuer Freund gewesen.«

Menschen, die sich noch nicht näher kennen gelernt, und bei ihrem ersten flüchtigen Bekanntwerden einen nicht günstigen Eindruck auf einander gemacht haben, verhalten sich bei ihrem nächsten Zusammentreffen gewöhnlich zurückhaltend und vorsichtig, wie wenn man erst einen unsichern Boden untersucht, ehe man sich ihm anvertraut. Sie unterhalten sich über bekannte Dinge, fragen und antworten einander, nur um etwas zu reden, benutzen aber diese Zeit lediglich, sich gegenseitig zu beobachten und Einer des Andern Eigenschaften und Gedanken ausfindig zu machen. So war es mit diesen beiden. Warner hatte auf Farnwald bei ihrem ersten Zusammensein keinen vortheilhaften Eindruck gemacht, seine übergroße Artigkeit gegen Madame Dorst, die fortwährenden Versicherungen seiner Dankbarkeit, und namentlich die gewiß wohl begründete Abneigung Doralices, die sie in ihrem Benehmen gegen ihn an Tag gelegt hatte, waren hinreichend gewesen, letztern gegen Warner einzunehmen, und dieser, wenn er auch keine Ahnung von Farnwalds Verhältniß zu Doralicen hatte, sah doch in ihm, in Bezug auf Gunst und Einfluß bei der Familie, einen gefährlichen Nebenbuhler, namentlich jetzt, wo er dieselbe ganz in seine Gewalt

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zu bekommen hoffte. Farnwalds augenblickliche Gegenwart war ihm sehr ungelegen, er fürchtete, daß derselbe Madame Dorst Rathschläge geben möchte, die zu seinen Plänen nicht stimmten, und daß insbesondere Doralice ihn hierzu veranlassen könnte, da er selbst deren Abneigung gegen sich nur zu deutlich erkannt hatte.

»Hoffentlich werden Sie durch einen recht langen Aufenthalt dahier den Damen ihren Gram, ihren Schmerz erleichtern,« sagte er zu Farnwald, und sah ihn mit einem erheuchelt theilnehmenden, bittenden Blicke an.

»Mein Hierbleiben wird leider nur von sehr kurzer Dauer sein können, so gern ich auch Madame Dorst meinen Beistand angedeihen lassen möchte. Ich kann aber unmöglich lange von Hause wegbleiben,« antwortete Farnwald und blickte sinnend vor sich nieder, wodurch ihm der erhöhte Glanz in den Augen Warners entging, den diese ihm so erfreuliche Nachricht erzeugte.

»Ach, das ist mir ja sehr leid,« sagte derselbe mit bedauerndem Ausdruck, »ich hoffte schon, daß Sie, wenigstens für den Anfang, mich der Pflicht überheben würden, in den Angelegenheiten der Familie Dorst zu handeln, da ich fürchte, daß ich den durch die Verhältnisse gestellten hohen Anforderungen nicht gehörig zu entsprechen vermag. Wenn ich auch guten Willen genug dazu habe, so möchte ich doch nicht die nöthige Umsicht

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und die erforderlichen Erfahrungen besitzen. Ich wünschte mich durch einen Mann von Ihrer Einsicht ersetzt zu sehen, ich bin wirklich nicht befähigt genug.«

Diese Lobrede brachte nicht die beabsichtigte Wirkung bei Farnwald hervor, im Gegentheil, sie berührte ihn unangenehm, was er Warner durch einen scharfen forschenden Blick zu verstehen gab.

»Sie haben sich wenigstens durch Ihre umsichtige Leitung der Ansiedelungen in Ihrer Gegend einen großen Namen gemacht, der auch uns bekannt wurde, ehe wir Sie selbst gesehen hatten,« setzte Warner mit einiger Verlegenheit hinzu, als Ellen aus dem Hause trat um anzukündigen, daß das Abendessen aufgetragen sei und zugleich Madame Dorst und ihre Tochter zu entschuldigen, daß sie nicht dabei erscheinen würden.

Die beiden Männer begaben sich deshalb allein zu Tisch.

»Wüßte ich, daß es meiner Cousine angenehm wäre, wenn ich hier bliebe, so würde ich es jedenfalls thun, obgleich man mich zu Hause erwartet,« sagte Warner, als er Farnwald gegenüber Platz genommen hatte.

»Nöthig wird es wohl kaum sein,« antwortete dieser, dem dies Anerbieten nicht sehr erwünscht war, »lassen Sie sich darum in Ihren häuslichen Einrichtungen nicht stören. So lange ich hier bin, will ich mich

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bemühen, Ihrem Compliment von vorher Ehre zu machen.«

»Es ist wenigstens meine Schuldigkeit, meine Dienste anzubieten,« bemerkte Warner, wendete sich dann zu der Dienerin und sagte: »Ellen, Du kannst Madame Dorst in meinem Namen fragen, ob sie nichts dagegen einzuwenden habe, wenn ich heute Nacht hier bliebe, ich würde es sehr gern thun.«

»Es ist den Armen jedenfalls ein Trost mehr,« fuhr er dann zu Farnwald gekehrt fort, als die Sklavin das Zimmer verließ, um die Bestellung auszurichten. Nach wenigen Minuten kehrte diese aber zurück und sagte:

»Fräulein Doralice trägt mir auf, Ihnen im Namen der Mutter für das Anerbieten zu danken, und Ihnen mitzutheilen, daß sie vorläufig Sie nicht bemühen werde, so lange Herr Farnwald ihr seine Gegenwart gönne.«

Die Antwort kam Warner augenscheinlich sehr unerwartet, er biß sich auf die Lippe und reichte Ellen seine Tasse, damit sie dieselbe abermals mit Kaffee fülle.

»So habe ich doch wenigstens meinen guten Willen gezeigt,« sagte er mit erzwungener Gleichgültigkeit, »es ist mir so aber viel angenehmer, denn ich bleibe nicht gern über Nacht von Hause«

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Nach beendigtem Mahle ließ Warner sein Pferd satteln und ging, auf dessen Ankunft wartend, unter der Veranda auf und ab, und zwar in der Nähe des Zimmers, in welchem, wie er wußte, Madame Dorst sich befand. Wiederholt suchte er sich bemerklich zu machen, wenn er vor der Thür des Zimmers vorüberging und hielt dann auch seine Schritte zurück, doch die Thür wurde nicht geöffnet und die Damen zeigten sich nicht, so sehr er auch darauf gehofft hatte. Das Pferd wurde vorgeführt, Warner bestieg es, trug dem Neger, der dasselbe hergeleitet hatte, auf, ihn durch Ellen der Madame Dorst zu empfehlen und ritt von dannen.

Nur kurze Zeit, nachdem die Hufschläge seines Rosses verhallt waren, trat Doralice aus dem Zimmer und blickte unter die schon sehr düstere Gallerie hin, als Farnwald zu ihr trat und sie sich schweigend in seinen Arm schmiegte. Sie ließ ihren Kopf an seine Brust sinken und verbarg dort ihre Thränen. Die ganze Welt schien ihr nichts als Leid und Gram zu bieten, nur dieser Platz, dieser kleine beschränkte Raum an dem treuen Herzen des Geliebten hatte Trost für sie.

»Komm mit zu der Mutter, damit sie sich nicht so verlassen fühle,« sagte sie zu Farnwald, indem sie ihren Arm um ihn schlang und ihn dem Zimmer zuführte.

Ellen hatte die Lampe angezündet, deren milder

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Schein auf Madame Dorst ruhte. Diese saß in dem großen Armstuhle, hatte sich zurückgelehnt und ihren Kopf gegen die Rückwand sinken lassen, während sie ihre Hände gefaltet auf der Brust hielt. An ihrer Seite stand ein Negerkind und wehete ihr mit einem großen, aus dem Schweife eines wilden Welschen bereiteten, Fächer Kühlung zu. Farnwald und Doralice traten schweigend zu ihr, Letztere küßte sie auf die Stirn und Ersterer nahm ihre Hand in die seinige.

»Ich bin namenlos unglücklich, Herr Farnwald,« sagte sie mit einem schweren Athemzuge; »es ist mir jetzt wieder, wie an einem schon lange vergangenen Abend des Unglücks, ich meine, ich könnte die Last meines Schmerzes nicht tragen. Und doch hatte ich damals noch einen Gatten, bei dem ich Trost suchen konnte; jetzt aber - «

»Hast Du zwei Kinder, die Dich innig lieben, gute Mutter, und die Dir Deinen Schmerz zu erleichtern suchen werden,« sagte Doralice und erneuerte ihre Liebkosungen, während Farnwald seine Lippen auf die Hand der jammernden Frau drückte.

Nach einer Weile des Schweigens trocknete Madame Dorst ihre Augen, winkte den Dienerinnen, sich zu entfernen, und sagte mit mehr Fassung zu Farnwald,

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indem sie ihm und Doralice ein Zeichen gab, sich in dem Sopha niederzulassen:

»Es thut der schmerzerfüllten Brust wohl, wenn man seinen Gram aussprechen kann. Ueber das Schicksal, was mich jetzt betroffen, vermag ich Ihnen nichts zu sagen, Herr Farnwald, denn Sie kennen dessen Umfang in seiner ganzen Größe, über den herben Verlust aber, der mir während der vielen Jahre am Herzen genagt hat, will ich Ihnen Näheres mittheilen. Setzen Sie sich und hören Sie mich an.«

»Ich hatte einen lieben Knaben, den wir Fernando nannten. Eine jede Mutter glaubt in ihrem Kinde das schönste der Welt zu besitzen, doch Fernando war in Wahrheit der reizendste Knabe, auf dem meine Augen je geruht haben. Seine kräftigen, schlanken, geschmeidigen Formen, seine großen, lebendigen, dunkeln Augen, sein glänzend schwarzes, reiches Lockenhaar, Alles an ihm war schöner, als ich es an einem andern Kinde gesehen habe, und die große Narbe in der Form eines Hufeisens, die er auf der linken Seite seiner hohen Stirn trug, und bei einem Falle erhalten hatte, gab ihm etwas Entschlossenes, etwas Unverzagtes. Er war vier und Doralice sechs Jahre alt, als ich dem dringenden Wunsche meines Gatten nachgab, mit ihm und diesen beiden Kindern unsere reizende, an dem Wege nach

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Monterey gelegene Hacienda verließ, und nördlich weit hinaus an die äußerste Grenze des bewohnten Mexicos zog. Dort in der Wildniß, im Angesicht der Indianer schlugen wir unsere Hütte auf und hatten binnen Jahresfrist in dem schönen, reichen Thale am Fuße der ewig mit Eis bedeckten Gebirge einen bequemen und reizenden Wohnsitz gegründet. Unsere steinernen Gebäude, an sich schon eine Festung, waren überdies mit einer hohen Mauer umgeben, so daß wir bei den vielen Dienern, die wir hielten, einen gewaltsamen Angriff der Indianer nicht zu fürchten hatten. Desto gefährlicher war es aber für einen Einzelnen, den Platz zu verlassen, und wiederholt wurden unsere Diener auf ihren Ritten in der Umgegend überfallen und mehrere derselben von den Wilden ermordet. Auch mein Mann dankte seine Rettung zu verschiedenen Malen nur der Flüchtigkeit und Ausdauer seines Pferdes, und es schien, daß die Gefahr, statt sich mit der Zeit zu vermindern, zunahm. Ich bat und flehte Dorst an, mit mir und meinen Kindern wieder zurück nach unserer früheren ruhigen, schönen Heimath zu ziehen, aber umsonst, er wollte den Gewinnst des reichen, werthvollen Landes, der ihm durch seinen Aufenthalt dort werden mußte, nicht aufgeben. So blieben wir und forderten das Schicksal auf, uns heimzusuchen. Die Zeit kam heran, wo im Herbste die

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Kälber in der Heerde mit unserm Zeichen gebrannt werden mußten; Dorst war zu diesem Zweck mit sämmtlichen rüstigen Männern gegen Abend hinausgeritten nach dem Graslande, wo das Vieh weidete, und ich war mit meinen beiden Kindern, meinen Dienerinnen und einem alten Neger Domingo zu Hause geblieben. Die Entfernung von unserm Hause bis zu jenem Platze war nicht groß, so daß der Schall eines Hornes, der Knall einer Büchse die Männer in gar kurzer Zeit zu demselben zurückbringen konnte. Es war ein stiller, heiterer Abend, die Sonne hatte eben die glänzenden Höhen der Gebirge erreicht und warf hre letzten Strahlen durch unser Thal, als ich mich in das Fenster legte und meinem schönen Fernando zusah, wie er vor dem Hause spielte und um den alten treuen Domingo herumsprang, während mein großes milchweißes Maulthier, welches wohl kaum jemals jemand Anderes als mich auf seinem Rücken getragen hatte, daneben im Grase weidete. Eine der Dienerinnen hatte Doralice an die Hand genommen und war mit ihr in den schattigen Waldstrich an dem nahen Wasser hinuntergegangen, um Blumen zu pflücken, als plötzlich eine Horde Wilder herangejagt kam, mehrere derselben von ihren Pferden sprangen und durch das offene Thor der Mauer herein in den Räum zwischen dieser und dem Hause rannten. Ich schrie

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nach Hülfe, doch woher konnte ich solche erwarten? Ich rief meinen Sohn bei Namen - schrie Domingo zu, das Kind zu schützen, doch ich wußte in dem Augenblicke nicht, was ich that, was ich thun sollte. Der alte Neger hatte seine Büchse, die neben der Thür stand, ergriffen; er feuerte, ein Indianer stürzte getroffen nieder, aber im nächsten Augenblick wurde der treue Diener von dessen wüthenden Kameraden zu Boden geschlagen. Ich sah Fernando schreiend vor einem der Kannibalen fliehen, sah wie dieser ihn mit wenigen Sprüngen erreichte, seine gräßlichen Arme um den kleinen zarten Körper schlang und mit ihm dem Thore zurannte. Ein anderer der Wilden hatte meinem Maulthiere einen Strick um den Hals geworfen, sich auf seinen Rücken geschwungen und gleichfalls das Thor erreicht, als der Erste ihm mein schreiendes, sich sträubendes Kind, meinen Fernando hinreichte, der Unmensch ihn mit einem Arm gewaltsam gegen seinen nackten Körper preßte und davon sprengte. In meiner Verzweiflung stürzte ich die Treppe hinunter zu der Hausthür, um meinem Kinde nachzueilen, doch sie war fest zu und vergebens brauchte ich alle meine Kräfte, sie zu öffnen. Eine meiner Dienerinnen hatte sie in ihrem Schreck geschlossen und sich dann in den Keller geflüchtet. Ich schrie laut, rannte in rasender Verzweiflung im Hause hin und her,

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doch nirgends war ein Ausweg, da sich im untern Stock des Gebäudes keine Fenster nach außen befanden; zuletzt kam ich in den Keller und fand dort meine Dienerinnen, zitternd und bebend zusammengedrängt in einer Ecke verborgen.«

»Den Schlüssel zur Hausthür!« schrie ich, riß ihn dem Mädchen aus der Hand und flog die Treppe hinauf. Das Schloß war im Augenblick geöffnet, die Thür riß ich auf, stürzte, den Namen meines Sohnes schreiend, hinaus. Vor mir wälzte sich der alte Domingo mit zerschlagenem Schädel in seinem Blute ich bemerkte ihn kaum, sprang über ihn hin und zum Thore hinaus, doch nirgends war Fernando, noch einer der Wilden mehr zu erblicken, denn auch den durch den Neger Erschossenen hatten sie mit sich fortgeführt. Ich rannte am Wasser hin und ließ den Wald von meinem Angstgeschrei ertönen, bis mir der Schmerz die Besinnung raubte und ich bewußtlos zu Boden sank. Großer Gott, und ich lebe noch?« stöhnte jetzt Madame Dorst, hob ihre gefalteten Hände nach Oben und senkte sie dann auf ihr Gesicht, indem ihr heftiges Schluchzen die große Gemüthsbewegung verrieth, in welche sie die Erinnerung an jene Schreckensscenen versetzt hatte.

Doralice wollte zu ihrer Mutter eilen, um sie zu beruhigen, doch Farnwald zog sie zu sich in das Sopha

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zurück und deutete ihr an, dieselbe nicht im Ergusse ihres Schmerzes zu stören.

Nach einer Pause fuhr die Wittwe mit schwacher Stimme fort:

»Als ich wieder zu mir kam, stand mein Gatte bleich und entsetzt neben mir und Doralice kniete weinend an meiner Seite, aber meinen Fernando sah ich niemals wieder!«

Abermals bedeckte Madame Dorst ihre Augen und versank in jene dumpfe Abgespanntheit, die stets einer solchen Erinnerung, einer Schilderung eigenen großen Unglücks folgt. Weder Doralice noch Farnwald unterbrach diesen Zustand, den die Natur wohlthätig zum Sammeln neuer Kräfte über Leidende sendet und Beide gönnten ihr die Erleichterung, die ihrem Herzen durch Thränen ward. Nach und nach schien die tief ergriffene Frau sich wieder zu ermannen und sagte mehr gefaßt:

»Wir flohen vor den Indianern, verließen die Frontier, sagten Mexico, meinem schönen Vaterlande Lebewohl und bauten uns hier an, wo ich nun beinahe zehn Jahre in Trauer verlebt habe, um mein Herz jetzt durch die civilisirten Weißen von Neuem zerrissen zu sehen.[«]

Nur in einer kurzen Pause unterbrach sich hier Madame Dorst und sagte dann, als ob sie, um sich dem Gedanken an ihr gegenwärtiges schweres Unglück

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zu entziehen, die Erinnerung an eine frühere schönere Zeit zurückrief:

»Ich war mit meinem Gatten und mit meinen beiden Kindern einst so glücklich; Wünsche gab es nicht mehr für mich, denn ich besaß Alles, was zu einem Himmel auf dieser Erde nöthig ist. Fernando war die Hoffnung für meine jetzigen alten Tage. Nie ist ein Kind im Strahlenkreise der Sonne inniger, treuer geliebt, nie hat eine Mutter sich in ihrem Sohne eine schönere Zukunft gedacht, als ich in Fernando. Mit ihm waren die glücklichen Träume verschwunden. Wir boten Alles auf, seine Spur zu entdecken, das Gouvernement der Vereinigten Staaten machte seinen Einfluß unter den Indianern geltend, um Auskunft über ihn zu erhalten, umsonst - wir haben nie Nachricht über sein Schicksal bekommen; - ach, selbst die Kunde von seinem Tode wäre besser gewesen, als diese peinigende Ungewißheit! Es waren entsetzliche Tage, in denen die Hoffnung noch mit dieser grausamen Ungewißheit in meiner Seele kämpften. Den tiefsten Gram, den je die Liebe eines treuen Herzens erlitten hat, den gewaltigen Seelenschmerz, den nur eine so unglückliche Mutter zu empfinden fähig ist, linderten mir weder die Tröstungen der Religion, daß der Gott, der mir mein Kind gegeben, es auch wieder genommen habe, noch das Bewußtsein

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meiner Pflichten gegen meinen Gatten und meine Tochter. Bald erlag ihm mein sonst so kräftiger Körper, ich fiel in eine schwere Krankheit, lange Zeit fürchtete man für mein Leben; nur sehr langsam konnte ich mich wieder erholen. Ich lebte nun ganz in und für Gatten und Tochter, ich versöhnte mich mit dem Schicksale, das mir in Beider reicher Liebe Ersatz gegeben und betrauerte in stiller Duldung das theure Kind, das man von meinem Herzen gerissen hatte.

Da bricht zum zweiten Male das Unglück unerwartet, wie der vernichtende Blitzstrahl aus heiterm Himmel, über mich herein und raubt mir den Gatten. Eine verruchte Hand macht mich zur Wittwe, meine Tochter zur Waise.«

Sie hielt inne, Thränen des Schmerzes erstickten ihre Stimme, schluchzend wogte ihr Busen auf und nieder; Mitleid, tiefes, inniges Mitleid ergriff Farnwald und preßte ihm das Herz zusammen.

Plötzlich zuckten die Muskeln ihres Gesichts krampfhaft verzogen; gewaltsam rang sie nach Fassung, eine eisige Ruhe, wie sie einem Sturme voranzugehen pflegt, kam über sie. Dann sprang sie, gänzlich verwandelt, in leidenschaftlichster Bewegung auf und rief:

»Diesmal kenne ich den Räuber meines Glücks, den Mörder meines Gatten - Dorsts Geist fordert

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sein Blut - mein eignes gebrochenes Herz schreit nach Rache! - Rächen will ich Dorst und mich, und müßte ich den Mörder über den ganzen Erdball verfolgen, - rächen, und kostete es mein ganzes Vermögen, und kostete es mein eignes Leben, ja kostete es meiner Seele Seligkeit! Das schwöre ich feierlich bei Gott, das schwöre ich bei dem Volke, von dem ich stamme!«

Hierbei führte sie die rechte Hand, wie zum Schwur, nach ihrem Herzen.

Mit Entsetzen blickte Farnwald die Frau an. Das glühende, furchtbar anfwallende Blut der Mexicanerin hatte alle Regungen ihres sonst so edlen Herzens verschlungen; Ergebung, Duldung, Versöhnung, der schönste Schmuck des Weibes, waren dahin, nur das eine Gefühl der Rache ergriff sie mit dämonischer Gewalt, das Gesicht in Wuth unbeweglich erstarrt, das weit aufgerissene Auge in unheimlichem Feuer blitzend, voll Energie, die vor keinem Mittel, vor keinem Hinderniß zurückbebt, die Ader der Stirn im Zorn hochgeschwollen, die Lippen bleich, das Haupt statt der Locken des Haares, wie mit Nattern und Schlangen umgeben, so stand sie da, wie eine Göttin der Rache.

Eiskalt durchrieselte es Farnwalds Glieder vom Wirbel bis zur Zehe, kaum traute er seinen Augen, seinem Ohr, jeder Tropfen Blntes war aus seinem

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Gesicht gewichen, und mit Entsetzen hielt er seine Blicke auf das Weib in seiner schreckenerregenden, entfesselten wilden Leidenschaft geheftet. Unwillkührlich ließ er die Hand Doralices, die er bisher in der seinigen gehalten hatte, sinken, ein geheimes Grauen stieß ihn von dem Kinde einer solchen Mutter zurück. Er sah den Schwur der Frau verkörpert, wie ein gespenstiges Schreckbild, zwischen sich und ihre Tochter treten; - da fiel eine Thräne aus Doralices Auge auf seine Hand, sie fiel wie ein glühender Feuertropfen in sein Herz und strömte neue Wärme durch sein erstarrtes Blut.

»Vergieb ihr, sie weiß nicht, was sie thut,« sagte Doralice leise zu ihm und ließ weinend ihr Gesicht an seine Brust sinken, »kannst Du mir zürnen, Farnwald?«

»Nimmer, Du engelreines himmlisches Wesen, selbst das Ungeheuere dieses Anblicks soll mich nicht von Dir entfernen,« sagte er mit halblauter Stimme und schlang tief ergriffen seinen Arm um das theuere Mädchen.

Madame Dorst war erschöpft in den Sessel zurückgesunken, hielt beide Hände gegen ihre linke Brust gedrückt und hatte die Augen geschlossen, als habe sie sich vor ihrem eignen Bilde in dem Wandspiegel ihr gegenüber entsetzt.

Nach einer langen schauerlichen Pause öffnete sie

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die Augen wieder, Thränen des Leids quollen aus ihnen hervor, der Sturm war verwogt und mit einem Ausdrucke unsäglichsten Schmerzgefühls fielen ihre Blicke auf die beiden Liebenden.

»Der Himmel segne Euren Bund und bewahre und behüte Euch vor solchen Schicksalen, wie er sie über mich gesandt hat,« sagte sie tief bewegt, worauf Doralice ihr zärtlich um den Hals fiel und ihre Stirn mit Küssen bedeckte. Auch Farnwald war zu ihr getreten und hatte ihre Hand ergriffen.

» Verzeihen ist süßer, als rächen, Madame Dorst,« sagte er mit weicher Stimme »dadurch werden Sie die Feinde Ihres Mannes in Ihre Freunde umwandeln, und von diesen in ihr heißestes Gebet eingeschlossen werden. Vergeben Sie dem jungen Swarton, was er in blinder Verzweiflung gethan hat.«

Madame Dorst aber sah ernst zu ihm auf und antwortete mit fester Stimme: »Herr Farnwald, ich verdamme Sie nicht wegen Ihrer guten Gesinnungen gegen den Mörder meines Mannes, verdammen auch Sie nicht die Gefühle meines Herzens, das er mit verruchter Hand zerrissen hat. Seien Sie zufrieden mit dem Besitze meiner Tochter; sie ist Alles was ich im Stande bin, Ihrem Glücke, Ihren Wünschen zu spenden.«

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Doralice schmiegte sich fest an seine Brust, zog ihn bittend in das Sopha nieder, und schweigend saßen die Mutter, die Tochter und Farnwald noch, als die große Wanduhr zehn schlug und daran erinnerte, daß es Zeit sei, sich zur Ruhe zu begeben. Er empfahl sich Madame Dorst, indem er ihr die Hand reichte, und Doralice begleitete ihn aus dem Zimmer.

»Zürne meiner Mutter nicht über ein Gefühl, welches dem Herzen einer Frau fremd sein sollte, überlasse es der Zeit und mir, dasselbe herabzustimmen. Handle ihr wenigstens nicht entgegen, damit sich unser eigenes Glück nicht trübe.«

»Dir zu Liebe, theures Mädchen, habe ich mich Deinem Vater gegenüber bezwungen und werde es auch jetzt vor Deiner unglücklichen Mutter thun. Nichts soll unser Glück stören,« antwortete Farnwald, preßte die heiß Geliebte nochmals in seine Arme und schied dann von ihr, damit ein besänftigender Schlaf ihrem Herzen Ruhe und Stärkung geben möge. Er selbst empfand, daß ihm diese Wohlthat noch nicht werden konnte, er war zu sehr bewegt und die Gefühle, die seine Brust füllten, waren zu heftig und einander zu feindlich widerstrebend, als daß er hätte Schlaf finden können. Er ging nach dem Garten, eilte durch die dunkeln verschlungenen Wege hin und wieder, doch der Schwur

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der unglücklichen Wittwe und sein eignes Versprechen, Robert zu retten, standen kämpfend in seinen Gedanken. Die Lage Roberts erschien ihm jetzt ganz anders, viel verzweifelter als vorher; er war nun überzeugt, daß von Seiten der Wittwe und des gesammten Anhangs ihres gemordeten Gatten alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel, mit allen ihnen möglichen Anstrengungen, aufgeboten werden würden, um die volle Strenge des Gesetzes gegen Robert in Anwendung zu bringen, und das Gesetz bestimmte für ihn unwiderruflich Tod durch den Strick. Eine schreckliche Angst, eine drängende Rastlosigkeit erfaßt Farnwald bei diesem Gedanken; unwillkührlich fiel ihm sein Pferd ein, es trieb ihn, dasselbe ohne Verzug zu besteigen, zu dem Gefangenen zu eilen und ihn gewaltsam aus seiner Haft zu befreien, ehe seine Feinde es unmöglich machen würden. Doch Doralice so verlassen konnte er nicht, Morgen aber mußte er reiten, in der kommenden Nacht schon mußte Robert frei sein, denn jetzt hielten nur einige Mann Wache bei dem Gefängniß und diese konnte er leicht mit Hülfe der Brüder Roberts überwältigen. Es war spät in der Nacht und der Thau hing in schweren Tropfen an Busch und Pflanze, als Farnwald sein Lager suchte, und erst gegen Morgen sank er in einen unruhigen Schlaf.

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Capitel 16.

Racheplan. - Unerwartete Botschaft. - Freundschaft. - Die Gefangenwache. - Gehässigkeit. - Ansichten. - Die Treue. - Tiefe Bekümmerniß. - Freudige Ueberraschung. - Vertrauen. - Die Ruhe.


Kaum graute der Tag, als Ellen aus dem Schlafzimmer ihrer Herrin trat und in ihrem Auftrage zweien Negern befahl, zu ihrem Vetter Warner und zu Morting zu reiten und dieselben zu eiligstem Erscheinen bei ihr zu entbieten.

Es war heute ungewöhnlich früh, als die Glocke zum Frühstück rief. Verwundert sprang Farnwald von seinem Lager auf, machte schnell Toilette und eilte nach dem Speisezimmer, wo er Madame Dorst bereits gegenwärtig fand. Auch Doralice kam bald herein und sprach ihre Verwunderung aus, daß die Glocke so zeitig geklungen habe. Madame Dorst sagte nichts darüber, konnte aber nicht verläugnen, daß es auf ihr Geheiß geschehen sei und verrieth durch ihren Blick so wie durch ihre bestimmten Bewegungen, daß eine Veränderung in

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ihrem Gemüthe vorgegangen und ein Entschluß zum raschen Handeln in ihr gereift war. Farnwald und Doralice wechselten fragende Blicke und sahen mit Erstaunen auf die Mutter, deren Augen keine Thränen mehr zeigten und auf deren Zügen das niederbeugende Gefühl des Leidens einem Ausdrucke von Entschlossenheit Platz gemacht hatte.

Das Frühstück war vorüber, Madame Dorst ging nach ihrem Zimmer und Doralice bat Farnwald sie nach dem Garten zu begleiten, um das Grab ihres Vaters zu besuchen. Der Gedanke an den Verblichenen verdrängte jetzt alle andern Fragen; unter Schluchzen und Thränen wankte das trauernde Mädchen an dem Arme ihren Geliebten zu der der Tochter heiligen Stätte, ihre Knie bebten und es bedurfte Farnwalds Arm, um die jammernde, wehklagende Geliebte aufrecht zu erhalten. Tröstend und theilnehmend an ihrem Schmerze, gab er ihr Zeit, sich auszuweinen und führte sie dann hinweg in den wohlthuenden, von Blüthenduft durchwogten Schatten einer alten Lebenseiche, unter der sie sich auf einer Bank niederließen und wo Farnwald, nachdem sie geraume Zeit schweigend hier zugebracht, das ihm sowohl, als auch Doralice unerklärliche veränderte Betragen der Mutter zur Sprache brachte.

Während dieser Zeit sprengten beinahe zugleich Warner

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und Morting vor das Wohngebäude und wurden von der unter der Veranda harrenden Ellen sogleich nach dem Zimmer der Madame Dorst gewiesen. Diese empfing die beiden Männer mit ernster Ruhe und ließ sie im Sopha Platz nehmen. Sie waren allein im Zimmer und, nachdem die Wittwe selbst die Thür verriegelt hatte, setzte sie sich den Angekommenen gegenüber in den Armstuhl.

»Meine Herren,« redete sie dieselben in einem feierlichen Tone an, »mein Gatte, Ihr Freund und Wohlthäter, ist von verruchter Hand gefallen, der Mörder lebt und er wird der gerechten Strafe entzogen werden wenn wir nicht schnell Schritte dagegen thun. Er muß dem Gesetze verfallen, er soll sterben, es koste was es wolle. Die Mittel dazu stehen mir zu Gebote und ich bevollmächtige Sie, darüber zu diesem Zwecke zu verfügen. Herr Warner, Sie haben mir und dem Verblichenen so oft Versicherungen Ihrer Dankbarkeit gegeben, jetzt rufe ich diese an: schaffen Sie mir den besten Advocaten in der Union und bieten Sie ihm ein Vermögen zur Belohnung, wenn er den Mörder an den Galgen verhilft.

Herr Morting, Sie sind ein treuer Freund meines Mannes gewesen, in der Ausführung ihres gemeinschaftlichen Geschäftes ist er gefallen, ich gebe Ihnen auch

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meinen Antheil an demselben und werde Sie mit vollen Händen belohnen, wenn Sie den Verruchten bewachen, damit er dem Gesetze nicht entflieht, oder - « setzte sie mit gedämpfter Stimme hinzu: »wenn Sie mir den Beweis bringen, daß er todt ist. Sammeln Sie alle Freunde meines Mannes um sich, dingen Sie auf meine Kosten so viel Männer, als Sie deren zur Durchführung meines festen Willens bedürfen und eilen Sie mit ihnen zu dem Orte, wo der Mörder verwahrt ist, um ihn zu bewachen und dem Gerichte zu überliefern. Verlieren Sie keine Minute, zehntausend Dollar stehen zur Verfügung, um die augenblicklichen Kosten zu bestreiten.«

Mit diesen Worten reichte Madame Dorst ihrem Vetter ein Packet Banknoten hin und öffnete dann die Thür.

»Er soll hängen, oder ich selbst helfe ihm über,« sagte Morting, an den Griff seines Messers schlagend, der unter seinem Rocke hervorblickte.

»Hat uns Farnwald gesehen?« fragte Warner.

»Ich glaube nicht; Ellen sagte mir, er sei mit meiner Tochter in den Garten gegangen,« antwortete Madame Dorst.

»So lassen Sie ihn nicht wissen, daß wir hier gewesen sind. Trauen Sie ihm nicht, theure Cousine,

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er ist eine Schlange, die, wenn durch Ihre Freundschaft erwärmt, sich gegen Sie selbst kehren wird,« sagte Warner mit gehässigem Eifer.

»Sie irren sich in ihm, Herr Warner,« fiel ihm die Wittwe verweisend in die Rede. »Herr Farnwald ist ein Ehrenmann, wenn er auch ein Freund unseres Todfeindes ist. Eilen Sie und zeigen Sie mir, daß Sie der brave Mann sind, für den ich Sie bis jetzt gehalten habe.«

Bei diesen Worten verneigte sich Madame Dorst mit einer stolzen Bewegung gegen die beiden Männer, diese eilten zu ihren Pferden und verschwanden bald in der Staubwolke, die deren flüchtige Hufe über der Straße aufsteigen ließen.

Farnwald und Doralice kehrten bald darauf zu dem Hause zurück, da die Sonne drückend heiß schien und die Räume des Gebäudes mehr Kühle boten, als der Schatten der Bäume.

So fest Farnwald auch in der vergangenen Nacht entschlossen gewesen war, heute noch diesen Ort zu verlassen, um dem jungen Freunde zu Hülfe zu eilen, so sah er doch bei genauerer Prüfung ein, daß die Gefahr Roberts nicht so groß war. Das Gericht über denselben konnte ja vor der bestimten Zeit nicht gehalten werden, und sollte im ungünstigsten Falle das Urtheil

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gegen ihn ausfallen, so war immer noch Zeit genug vorhanden, ihn zu erlösen. Ein früherer Befreiungsversuch aber hätte die Gelegenheit abgeschnitten, ihn auf gesetzlichem Wege freigesprochen zu sehen und ihn genöthigt, für immer aus seiner Heimath zu fliehen. Die Geliebte dagegen bedurfte seines augenblicklichen Beistandes, sie war so tief gebeugt, sie war so leidend, wie konnte er sie jetzt verlassen, wie konnte er durch sein Scheiden ihre Thränen noch vermehren, die schon so reichlich flossen! Er blieb.

Tage verstrichen und eine Woche war dahingeeilt, als er gegen Abend während Doralice mit Anordnen des Abendtisches beschäftigt war, gedankenvoll unter den hohen Bäumen nach dem Einfahrtsthor hinwandelte, und, dort angekommen, einen Reiter auf sich zu galoppiren sah, in welchem er bald an dem Schecken, den derselbe ritt, Dutch Charley, den Postreiter erkannte.

»Hier sind Sie, Herr Farnwald?« rief der Bote in allerhöchstem Erstaunen. »Mein Gott, oben im Lande zerbrechen sich die Leute die Köpfe, was aus Ihnen geworden sei, gerade im jetzigen Augenblick, wo man Robert Swarton an den Kragen will.«

»Wie so, Charley, Robert an den Kragen?« fragte Farnwald erschrocken.

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»Nun, es hat sich eine Bande aus hiesiger Gegend in E*** eingefunden, einige dreißig an der Zahl, von einem gewissen Morting angeführt, die den armen Robert in seinem Käfig bewachen, bei Gott, daß man denken sollte, er habe wer weiß was für ein Verbrechen begangen. Die Kerls werfen mit Banknoten um sich, als ob es Lumpen seien, und haben sich dadurch schon Viele aus der Stadt und der Umgegend zu Freunden gemacht. Das Trinkhaus wird Tag und Nacht nicht leer.«

Farnwald vernahm es mit Schrecken, und tausend verwirrende, entsetzliche Bilder drängten sich vor seine Phantasie.

»Bist Du bei Swartons gewesen?« fragte er nach einer Pause.

»Noch gestern Abend ritt ich dort vor. Die Leute sind in Verzweiflung, sie glauben nichts Anderes, als daß Robert schwingen muß, und warten mit Sehnsucht auf Ihre Rückkehr, um Trost und Hülfe von Ihnen zu bekommen. Sie baten mich, nach Ihnen auf meinem Ritte zu forschen, was ich auch gethan habe, doch konnte mir Niemand Nachricht über Sie geben. Jetzt fiel mir ein, daß Sie vielleicht die Briefe, die ich sonst für Sie hierher besorgte, selbst überbracht hätten, und

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wollte hören, ob dem Fräulein Dorst vielleicht Näheres über Ihr Verschwinden bekannt sei, als andern Leuten.«

Diese letzten Worte sagte der verschmitzte Postreiter mit einem bedeutungsvollen Lächeln, was Farnwald aber in seiner Bestürzung nicht bemerkte.

»Sage Niemanden, daß Du mich hier getroffen, und wenn Du zurück dieses Weges kommst, so erkundige Dich bei Fräulein Dorst, ob sie Briefe für mich habe. Wann kehrst Du hierher zurück?«

»Wahrscheinlich übermorgen in der Frühe.«

»Reite bei Herrn Renard vor und sage ihm: von Seiten Dorsts drohe ihm keine Gefahr mehr, ich ließe ihm rathen, sofort nach New Orleans zu reisen und den Kaufcontract durch den jetzigen weißen Vormund der Wittwe Morrier bestätigen zu lassen. Sage ihm auch, daß es mir unmöglich sei, zu ihm zu kommen.

Charley, der seinen Schecken rund um den Sattel mit Schachteln und Packeten beladen hatte, empfing noch zum Abschied von Farnwald einen halben Dollar und setzte dann lustig seine Reise fort, während Jener, die Brust voll banger Zweifel über das Schicksal Roberts, im Düster der dichten Bäume sinnend stehen blieb. Jetzt war hier seines Bleibens nicht mehr, gern wäre er sofort abgereist, doch das wäre aufgefallen,

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und mußte bei Madame Dorst den Verdacht erregen, daß er ihren eingeleiteten Schritten gegen den unglücklichen jungen Mann entgegenarbeiten wolle, denn daß Morting mit seiner Bande auf ihre Veranlassung nach E*** gezogen war und Robert bewachte, darüber blieb ihm kein Zweifel.

Er kehrte nach dem Wohngebäude zurück, wo man schon mit dem Abendessen auf ihn wartete. Madame Dorst empfing ihn ernst, aber herzlich, und er bemühte sich, ihr seine Verstimmung nicht zu verrathen. Die Unterhaltung bei Tisch war, wie während der verflossenen Tage, spärlich, doch vermied Madame Dorst absichtlich, irgend etwas zu berühren, was das Gespräch mit dem Tode ihres Gatten in Beziehung bringen konnte.

Zu Ende des Abendessens sagte Farnwald: »Ich bin leider genöthigt, morgen in der Frühe abzureisen, ich habe Nachrichten von Hause bekommen, die mich ohne allen Verzug zurückrufen.«

»Morgen schon?« sagte Doralice erschrocken und ergriff seine Hand, »aber Farnwald, schon morgen?«

»Es liegt nicht in meiner Macht, beste Doralice, länger zu bleiben, doch ich komme sehr bald wieder.«

Madame Dorst sah ihn forschend an, Farnwald aber behauptete äußerlich seine Ruhe.

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»Wenn Sie von uns scheiden müssen, Herr Farnwald, so wollen wir Sie nicht halten; ich bin überzeugt, daß Sie uns jetzt nicht verlassen würden, wenn Sie es vermeiden könnten. Ich weiß, daß unsere Meinungsverschiedenheit über Freund und Feind in unserm Verhältniß zu einander nichts ändert und glaube zuversichtlich, daß Sie nie handelnd gegen mich auftreten werden. Ihr und meiner Tochter Glück trage ich tief im Herzen, doch birgt es auch Pflichten gegen Andere, die niemals daraus verdrängt werden können. Ich hoffe, daß Sie es recht bald möglich machen werden, zu uns zurückzukehren und wünsche, daß Sie Ihre nächste Zukunft bei uns zubringen möchten. Snchen Sie es so einzurichten; es würde Sie auch allen Schwierigkeiten überheben, in die Sie Ihre Anwesenheit dort während der bevorstehenden Gerichtsverhandlung gegen den Mörder meines Gatten versetzen könnte.«

»Solcher kann ich mich nicht entschlagen, Madame Dorst, ohne einen Verrath an der mir sehr befreundeten Familie zu begehen, dessen ich nicht fähig bin, und der die Achtung und das Vertrauen, welches Sie mir geschenkt haben, vernichten müßte.«

Madame Dorst fühlte zwar ihr Unrecht und schwieg, doch selbst die wahrhafte innige Zuneigung, die für Farnwald hegte, konnte den glühenden Wunsch nach

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Rache, der sie in ihrem Leide aufgerichtet hatte, nicht ersticken.

»So versprechen Sie mir wenigstens, nicht selbst gegen mich zu handeln und Ihren Einfluß nicht zu Gunsten des Unmenschen geltend zu machen.«

»Der Unglückliche ist in der Hand der Gerechtigkeit und dadurch meinem Einflusse entzogen.«

»Denken Sie daran, daß wir hier verwaist und ohne männliche Stütze sind, und daß Sie ein Ihnen treu ergebenes, liebendes Herz hier zurücklassen.«

Hierbei blickte Madame Dorst auf ihre Tochter, die in Thränen an Farnwalds Brust sank.

»Ich komme bald, hoffentlich sehr bald zurück, und Nichts soll mich dann wieder von Dir trennen!« rief Farnwald, von seiner Liebe für Doralice überwältigt.

Mit wohlgefälligem Blick auf das liebende Paar erhob sich Madame Dorst und verließ schweigend das Zimmer.

»Ach, Farnwald!« sagte Doralice, indem sie, in seinen Arm geschmiegt, mit ihm in den Garten schritt, »es bangt mir vor der nächsten Zukunft, bedenke, daß Deine Freundschaft für Swartons unserm Glücke leicht gefährlich werden kann. Meine Mutter liebt Dich mit aller Innigkeit, deren eine Mutter nur fähig ist, denn sie weiß, daß mein Glück, mein Leben von Deiner Liebe

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abhängt, aber eben so stark ist das Verlangen in ihr, das vergossene Blut meines armen Vaters durch Vergeltung zu sühnen; erführe sie, daß Du sie daran verhindert hättest, so wäre es um unser Glück geschehen. Gilt Dir Deine Liebe nicht mehr als die Freundschaft, könntest Du mich wohl für Deine Freunde opfern?«

»Nimmermehr, Doralice, Du bist meine Welt, für die ich alles Andere hingebe!« rief Farnwald mit Innigkeit, und in langer, seliger Umarmung verschwand jeder andere Gedanke aus seiner Seele.

Den Abend brachten sie in betrübtem Hinblick auf ihr nahes Scheiden zu, und am folgenden Morgen, nach sehr zeitigem Frühstück, wurde Farnwalds gesatteltes Pferd vor das Haus geführt.

Es war ein schwerer Abschied, der jetzt genommen wurde, trübe Ahnungen stiegen in Aller Herzen auf. Doralice hing verzweifelnd an der Brust des Geliebten, als solle sie ihn für immer lassen. Auch Madame Dorst war tief ergriffen, auch sie drückte Farnwald zärtlich an ihr Herz, und ihre Thränen zeugten von der Wahrheit der schmerzlichen Gefühle, die der Abschied auch bei ihr erweckte.

»Kommen Sie möglichst bald wieder zu uns. Sie sehen, wir können nicht ohne Sie sein,« sagte sie, als

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er sein Pferd bestiegen hatte, und reichte ihm nochmals die Hand.«

Wenige Minuten später schallten die Hufschläge von Farnwalds dahineilendem Rosse dumpf auf der hölzernen Brücke und die Heimath mit den Freunden stieg wieder lebendig vor seiner Seele auf. Mit jeder Meile, die er hinter sich zurückließ, wuchs seine Sehnsucht, stellte sich die Lage seiner Freunde lebhafter vor seine Seele, mehrten sich die Vorwürfe gegen sich selbst, über seine so sehr verzögerte Rückkehr, und schneller und eiliger, ohne zu rasten, trieb er seinen Hengst vorwärts

In dem Städtchen C*** herrschte ein ungewöhnliches unruhiges Treiben, auf dem großen Platze in der Nähe des Gerichtsgebäudes standen eine Menge Leute in einzelnen Gruppen in lebhaftem Gespräch begriffen zusammen, vor dem Trinkhause drängten sich zahlreiche Andere, wie Bienen vor einem schwärmenden Stock, und von dem Wirthshause her, wo eben das Frühstück vorüber war, eilten die Gäste den verschiedenen Gruppen zu, um sich selbst an deren Unterhaltung zu betheiligen. Die meisten der Leute waren Bewohner der Umgegend von C*** und als solche den Einwohnern des Städtchens befreundet oder wenigstens bekannt, doch es waren auch Fremde unter ihnen, die eigentlich die Ursache von

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dem ungewohnten Leben zu sein schienen; denn die Aufmerksamkeit der Andern war auf sie gerichtet. Es waren wüst aussehende junge Männer, alle bis an die Zähne bewaffnet und mit einem Aeußern, welches verrieth, daß sie jeden Augenblick bereit seien, ihre Waffen zu gebrauchen. Sie hielten sich meist in der Nähe des Trinkhauses auf, vor dem auf einer leeren Kiste Morting saß und laut zu der dort versammelten Menge sprach. Die fremden, so wild aussehenden Individuen waren eine Abtheilung der Männer, welche Morting hierhergeführt hatte, um Robert Swarton zu bewachen und die augenblicklich das Trinkhaus aufsuchten, im ihren Frühtrunk zu nehmen und dann ihre übrigen Kameraden abzulösen, die nahe bei dem Blockhause, welches Robert zum Gefängniß diente, lagerten. Sie schienen schon viele Bekanntschaften hier gemacht zu haben, denn man sah sie bald hier, bald dort die Bewohner der Stadt und Umgegend anrufen und mit dem zutraulichen

»Damn you, come, let us take a drink« (Sei verdammt, komm, laß uns Eins trinken) ihren Arm ergreifen und sie nach dem Trinkhause führen. Sie waren Alle in der fröhlichsten Stimmung, man hörte sie lachen, schwören und fluchen.

Viele aber der Einheimischen hielten sich fern von diesen zügellosen Fremden und sahen mit Abneigung

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nach ihnen hin, sie gingen ihnen aus dem Wege und riefen ihnen auch wohl mitunter ein unfreundliches »God damn your soul« (Gott verdamme Deine Seele) zu, welches dann mit einem ähnlichen Gruße beantwortet wurde.

Der Gegenstand der Unterhaltung aber war allgemein Robert Swartons Angelegenheit, über welche die größte Meinungsverschiedenheit herrschte. Der Eine hielt den Fall für Mord ersten Grades, der Andere nur für Tödtung im Affekt[Affect] und wieder Andere wollten von einem Verbrechen seitens des Gefangenen gar nichts hören, sondern ihn freigesprochen haben. Zu den Letzteren gehörten namentlich die näheren Freunde Roberts, während die ruhigern, vernünftigern Bürger des Städtchens, welche allerdings nur die kleinere Zahl ausmachten, sich für Todtschlag im Affekt[Affect] bekannten. Auffallend war es jedoch, daß die bei weitem größere Zahl der Anwesenden sich für Mord ersten Grades und für Bestrafung durch den Strick entschied, und daß diese Meinung fortwährend mehr und mehr Bekenner gewann.

So einstimmig bisher die Familie Swarton im ganzen Lande auch als eine der biedersten, gottesfürchtigsten und hülfreichsten anerkannt gewesen, die sich niemals ein Unrecht gegen ihre Mitbürger hatte zu Schulden kommen lassen; so war doch kaum die Gelegenheit aufgetaucht,

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ihr einen Vorwurf machen zu können, als Hunderte, die sich stets Swartons Freunde genannt und auch vielseitig Hülfe und Wohlthaten von ihnen empfangen hatten, sich rücksichtslos gegen sie aussprachen und nun unzählige Geschichten zu ihrem Nachtheil anzuführen wußten. Alles wurde von Hörensagen erzählt und auf Vermuthungen, auf Wahrscheinlichkeiten gegründet. Swartons waren wohlhabend, waren unabhängig und namentlich wegen ihrer strengen Rechtlichkeit allgemein geachtet, drei Eigenschaften, die auf das Gefühl eines großen Theils des Publicums unangenehm einwirken, weil sie ihm selbst einzeln oder sämmtlich abgehen. Dazu kamen Verschiedenheiten in politischen Ansichten, so wie das Gewicht, welches die Swartons bei öffentlichen Wahlen immer geübt, und endlich hatte das Geld, welches Mortings Bande hier so freigebig spendete, auch seinen nicht verfehlt. Zugleich hatte die Persönlichkeit Roberts ihm im Stillen viel, wenn auch nicht geradezu Feindschaft, doch Abneigung zugezogen. Fern davon, Raufbold zu sein, und überaus friedfertig und harmlos, war er doch niemals einem ihm aufgedrungenen Streite aus dem Wege gegangen, er war durch seine ungewöhnlichen Körperkräfte, so wie durch seine Furchtlosigkeit vor irgend einer Gefahr stets als Sieger daraus hervorgegangen, so daß Niemand in der Gegend sich mehr an

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ihn wagte und man ihn und die Seinigen gern in Frieden ließ. Alle diejenigen aber, die einmal seine Ueberlegenheit, wenn auch nur bei scherzhaften Differenzen, hatten anerkennen müssen, sahen jetzt eine günstige Gelegenheit, seine Uebermacht zu brechen. Kurz es stand schon sehr bös um den armen Robert, und die Aussichten für den Gang seines Processes verschlechterten sich stündlich.

Die Ehrenmänner, welche sich von Anfang an gegen ihn ausgesprochen hatten, weil sie an dem Gesetz hingen und demselben Achtung erhalten wollten, zu denen auch der Clerk Barry, der Scheriff Copton und der Kaufmann Harris gehörten, machten sehr bedenkliche Gesichter, denn sie hatten gehofft, daß, wenn auch das Verbrechen als Mord von den Geschwornen erkannt werde, diese doch dabei mildernde Umstände annehmen würden, in deren Berücksichtigung das Urtheil nicht der ganzen Strenge nach gefällt werden müßte. Jetzt aber sahen sie, daß der vollste Ernst und die größte Schärfe gehandhabt werden sollte und daß offenbar Gehässigkeit gegen die ganze, ihnen befreundete Familie, die so sehr ihre Achtung und Liebe besaß, vorwaltete. Das Urtheil dieser Leute, welches sie im Anfange laut ausgesprochen hatten, verstummte jetzt, und wenn sie hier oder dort noch unter die Menschen traten, die den Gegenstand

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besprachen, so beschränkten sie sich darauf, die mildernden Verhältnisse, unter denen das Verbrechen begangen, möglichst geltend zu machen.

Auch die nähern Freunde Roberts waren weniger laut geworden, da man sie allenthalben zu sehr überstimmte, und sie sahen jetzt schon ein, daß seine Rettung nicht im Wege des Gerichtsspruchs, sondern nur durch Gewalt ermöglicht werden könne. Mit der größten Ungeduld erwarteten sie Farnwald wieder erscheinen zu sehen, wegen dessen plötzlichen Verschwindens sie die Köpfe zusammensteckten und zu den aller verschiedenartigsten Vermuthungen Anlaß nahmen. Auch der Rückkehr von Georg Blanchard sahen sie mit gespannter Erwartung entgegen, indem sie wußten, wie unendlich viel von der Persönlichkeit des Advocaten, der Robert vertheidigen sollte, abhing.

An diesem Tage wurde die Angelegenheit besonders lebhaft besprochen, da ungewöhnlich viel Leute zur Stadt gekommen waren und noch immer hereinritten, ihre Pferde oder Maulthiere an irgend eine Einzäunung, einen Baum befestigten, und dann sogleich zu einer der Gruppen eilten, die sich auf dem Platze gebildet hatten, und in deren Mitte bald der Eine, bald der Andere seine Meinung laut und leidenschaftlich aussprach. Beim Schluß einer jeden solchen Rede folgte dann entweder

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ein stürmisches Hurrah zu Gunsten des Redners oder der Person, über die er gesprochen hatte, oder er wurde verlacht, verhöhnt und mit Flüchen überhäuft, was er sich aber weiter nicht berühren ließ, denn er blieb immer in der Versammlung und harrte der Gelegenheit, sobald als möglich abermals das Wort zu bekommen und wieder seine Ansicht zu behaupten. Abwechselnd begaben sich solche Versammlungen dann auch nach dem Trinkhause, um dort ihre Begeisterung zu steigern und von Neuem wieder den Gegenstand zu besprechen. In der Nähe des Gefängnisses sah es besonders wild und unruhig aus. Etwa fünfzig Schritt von demselben entfernt, standen unter mehreren dichten Lebenseichen ein halbes Dutzend Zelte, vor denen der Rest von Mortings Bande um flackernde Feuer gelagert war, während Sättel und Reitzeuge, bunte wollene Decken, blecherne Kochgeschirre, Kleidungsstücke und Waffen aller Art in buntem Gemisch durcheinander lagen und erlegte Hirsche, Antilopen und wilde Welschen an den Bäumen umherhingen. Zu diesen Fremden hatten sich viele Einheimische gesellt, und unter Scherzen, Trinken, Tabackkauen und Rauchen vertrieben sie sich die Zeit. Auch hier wurde Roberts Fall verhandelt, und zwar mit größerer Lebhaftigkeit, als inmitten der Stadt, indem der Gegenstand ihrer Unterhaltung ihnen so nahe war

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und die Redner dadurch mehr begeistert wurden. Oft wurde dann dem armen Gefangenen ein unfreundlicher Gruß, ein böser Wunsch zugerufen, es wurde ihm zum Hohn ein Hurrah gebracht, oder man rief ihm allerlei Scherze in Bezug auf die Vortheile und Nachtheile des Todes an dem Galgen zu, worauf dann stets ein stürmisches, wildes Gelächter folgte.

An der andern Seite, in nicht großer Entfernung, saß in einem dichten Busche, gleichfalls unter einem dickbelaubten Baume, eine einzelne Person zusammengekauert auf einer großen Büffelhaut und schien jedes der Worte, welches von der wüsten Gesellschaft von drüben herüberschallte, aufzufangen. Es war der alte treue Jerry, der diesen Platz seit jenem Abende, an dem sein geliebter Master Robert hierhergebracht war, noch nicht wieder verlassen hatte. An der Eiche neben ihm hing ein Beutel mit Maismehl und eine Seite geräucherten Specks, bei dem kleinen Kohlenfeuer stand ein eiserner Brodtopf, eine Blechkanne mit Wasser, neben ihm lag seine lange Büchse, und in dem Gürtel, den er um den Leib hatte, trug er eine Pistole und ein schweres Jagdmesser. Er saß mit dem Rücken gegen den Baumstamm gelehnt, so daß er den Eingang zu dem Gefängnisse im Auge hatte und vor demselben vorbei auf die, an der andern Seite gelagerten, Fremden sehen konnte. Den

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alten Strohhut hatte er abgenommen und neben sich in das Gras gelegt, und hielt, während er zugleich nach der andern Seite hinüberlauschte, seine Blicke auf eine kleine Bibel geheftet, die auf seinem Knie lag.

Er saß unbeweglich da, nur von Zeit zu Zeit hob sich seine Brust höher, er athmete tief auf und stieß dann, indem er die Hände faltete und zum Himmel aufblickte, die Worte aus:

»Master Robert! Master Robert!« Helle Thränen rollten dann über seine faltigen schwarzen Wangen und sein ehrliches Gesicht sank auf die Bibel nieder.

Oft wurden ihm Hohn und Verwünschungen der andern Seite herübergesandt, er beachtete sie aber nicht, er hatte nur einen Gedanken, nur einen Wunsch im Herzen, den: seinen jungen Master zu bewachen, daß man ihm kein Leides anthäte und eines Augenblicks zu harren, in dem er ihm möglicherweise zur Flucht behülflich sein könne.

Als das Bild der Treue saß der alte Diener hier. Oft kamen die Freunde Roberts zu ihm und sprachen ihm freundlich Trost ein, sagten, daß Alles noch gut mit Robert gehen werde und daß dieser Tage auch der junge Blanchard mit dem ersten Advocaten des Landes erwartet würde, dem es nicht fehlen könne, das not guilty (unschuldig) von den Geschwornen zu erringen.

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»Wo ist aber Herr Farnwald?« fragte dann der Alte und schüttelte bedenklich seinen Kopf, wenn man ihm antwortete, daß auch er dieser Tage erscheinen werde.

»Ein böses Zeichen, das,« seufzte er dann; »er will das Unglück nicht mit ansehen. Jerry aber wird es sehen und seinem Master zeigen, daß sterben nicht so wehe thut.«

Den Swartons konnte der Gang der Dinge nicht verborgen geblieben sein, denn, da sie im Anfange täglich zur Stadt kamen, um den gefesselten Liebling zu sehen, W röften, so bemerkten sie auch, wie die Theilnahme unter den Leuten der Stadt abnahm und als endlich Morting mit seinen Gesellen angekommen war, wurden sie während ihrer Besuche bei dem Gefangenen so verhöhnt und verspottet, daß Robert ein- für allemal darauf bestand und sie beschwur, nicht wieder zu ihm zu kommen, weil die Beschimpfung, die ihnen dabei angethan werde, ihm zehnfacher Tod sei.

Von dieser Zeit an hatten die unglücklichen Menschen ihre Besitzung nicht wieder verlassen und sandten nur ihren zweiten Neger und auch ihre beiden jüngsten Söhne täglich zur Stadt, um Nachricht über den Stand der Dinge zu bekommen. Diese ward leider täglich schlechter, die Zeit der Abhaltung des Gerichts rückte

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immer näher und weder der junge Blanchard mit dem ersehnten Advocaten, noch aber Farnwald, Swartons stärkster Trost, war zurückgekehrt.

Den heutigen Tag hatten sie wieder in stummer Verzweiflung hingebracht und saßen gegen Abend, von der Last ihres Schmerzes niedergebeugt, bei dem Kamin, als der Himmel im Westen sich röthete und seinen glühenden Schein durch das kleine offne Fenster in das düstere Gemach auf die trauernde Gruppe warf. Matter und bleicher wurde das fliehende Licht des Tages und die Nacht legte sich über die Erde, doch in dem Zimmer, wo die Swartons saßen, wurde kein Licht angezündet, denn sie vermieden, den Jammer, die Trostlosigkeit gegenseitig auf ihren Gesichtszügen zu lesen. Schluchzen und Seufzen war Alles, was die Stille in der Dunkelheit unterbrach, als plötzlich der Hufschlag eines flüchtigen Pferdes in weiter Ferne hörbar wurde. »Ein Reiter - so spät und so eilig - wenn das Farnwald wäre?« sagte der alte Swarton anfhorchend.

»Unsere Hoffnung läßt uns zu Schanden werden. Wie oft haben wir uns schon glauben gemacht, er sei es, der heransprenge? Er wird nicht kommen!« antwortete Madame Swarton.

»Das Pferd kommt aber hierher, es ist jetzt auf dem Fußwege - es wäre doch möglich - so flüchtig

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in der Nacht - das thun nur Farnwalds Pferde - « sagte Swarton mit belebterer Stimme, schritt lauschend an das Fenster und rief:

»Mutter, das ist Farnwalds Pferd, kein anderes, so wahr ich Swarton heiße!«

Alle sprangen in hoffnungsvoller Erwartung auf und eilten hinaus unter die Veranda.

»Farnwald, gütiger Himmel - Farnwald, sind Sie es?« riefen Alle einstimmig.

»Ich bin's. Niemand Anderes,« antwortete dieser durch die Finsterniß, befestigte seinen Falben an der Einzäunung und sprang den durch seine Ankunft beglückten Leuten entgegen, die sich seiner bemächtigten, sich an ihn klammerten und mit Ausrufen freudig überströmender Gefühle nach dem Zimmer geleiteten.

»Mein Gott, wie bin ich erschrocken!« sagte dieser, »ich sah nirgends Licht, Alles kam mir wie ausgesterben vor. Warum sitzen Sie denn im Dunkeln?«

»Das Unglück, das Elend verträgt kein Licht,« erwiederte Swarton, »wir waren mit unserer Verzweiflung allein und verlassen, Alles fällt von uns ab, selbst unsere ältesten Freunde und auch Sie, glaubten wir, hätten sich von uns abgewendet. Gottlob, daß Sie wiedergekommen sind!«

»Herr Farnwald, die Zahl der Leute, auf die Sie

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rechnen konnten, um Ihr Versprechen wahr zu machen, ist klein geworden,« sagte Madame Swarton, »doch meine beiden Söhne bleiben Ihnen.«

»Hat nichts zu sagen, ich kenne noch viele Freunde, die mir folgen, wenn es gilt,« antwortete Farnwald; »seien Sie unbesorgt, Robert wird frei durch Rechtsspruch oder durch Gewalt.«

Virginia hatte das Licht angezündet, die Augen wurden getrocknet und statt der Niedergeschlagenheit und Muthlosigkeit, die hier noch vor wenigen Minuten geherrscht hatte, stellte sich jene Entschlossenheit und Festigkeit ein, die den Menschen oft in verzweifelten Lagen als Beistand erscheint.

Der Stand der traurigen Angelegenheit wurde Farnwald nun aufs Umständlichste mitgetheilt, während welcher Zeit er wiederholt durch Kraftäußerungen seiner Entrüstung Luft machte.

»Die Sache ist ernster geworden, als ich es erwartet habe,« sagte er, »und kann leicht auf eine sehr ernste Weise endigen. Doch gegen solches gesetzloses Treiben kann man nur gleiche Waffen anwenden und wenn die Leute es nicht anders wollen, so mögen sie es nehmen, wie es kommt. Nach Allem, was ich durch Sie vernehme, müssen wir denken, es sei wieder Frontierleben

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hier eingetreten, lieber Swarton, ganz verlernt haben wir es noch nicht und Ihre Büchse ist ja auch noch nicht eingerostet. Verhalten Sie sich jetzt nur ruhig und überlassen Sie es mir, die nöthigen Schritte zu thun.«

»Sie müssen morgen zu Robert reiten. Wenn er Sie erblickt, so lebt er wieder auf, denn er ist ein Bild des Jammers, er sieht gar nicht mehr aus wie mein Sohn,« sagte Madame Swarton.

»Sicher will ich ihn morgen besuchen; er soll durch mich wissen, daß er nichts für sein Leben zu fürchten hat, und daß wir des gegen ihn gedungenen Gesindels lachen. Doch nun ist es Zeit, daß ich mich auf den Heimweg begebe, ich habe heute, ohne das Stück von meinem Hause bis hierher, fünfzig Meilen geritten und bin wirklich müde.«

»Warum wollen Sie denn nicht bei uns bleiben? Sie haben noch niemals unter unserm Dache geschlafen. Ich lasse Sie nicht fort,« sagte Madame Swarton; »Virginia, besorge das Zimmer für unsern Retter. Bill - Charles - rasch Ihr Jungen, das Pferd des Herrn Farnwald verpflegt, reibt es tüchtig trocken und gebt ihm vorerst nichts zu fressen, als Maisblätter - daß Ihr es nicht tränkt - in zwei Stunden ist es Zeit dazu, und auch zum Abfüttern.«

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»Aber liebe Madame Swarton, ich muß wahrlich reiten, ich werde zu Hause erwartet,« sagte Farnwald.

»Hier wurden Sie noch viel länger und viel sehnsüchtiger erwartet,« antwortete die Frau halb im Scherz, halb im Ernst, und rief dann ihren Söhnen, die an der Thür stehen geblieben waren, zu:

»Nun vorwärts, worauf wartet Ihr?« Farnwald ließ sich leicht überreden, denn Dorsts Wohnung, die er heute früh verlassen hatte, lag fünfzig Meilen von seinem Hause entfernt, wo er nur Pferde gewechselt hatte, um hierher zu reiten. Er war sehr ermüdet.

Während er sich dem alten Swarton gegenüber am Kamin niederließ und eine Pfeife anzündete, eilten Virginia und ihre Mutter aus dem Zimmer, Erstere um das Lager für den ersehnten, endlich erschienenen Gast zu bereiten, und Letztere um in der Küche für ein passendes Abendessen zu sorgen, denn an ein solches war heute nicht gedacht, und es würde auch Niemand darnach verlangt haben, wäre nicht die freudige Veränderung in der Stimmung der Familie durch Farnwalds Erscheinen eingetreten. Jetzt ging es aber ans Backen und Braten. Hoch loderte die Flamme in dem großen Kamin der Küche, Kaffeetopf, Bratpfanne, Rosteisen

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und Brodtopf standen bald zwischen glühenden Kohlen, und Eier, Stücke von Wildpret und Schinken schmorten zischend und spritzend in der großen Pfanne. Madame Swarton blieb selbst mit aufgerollten Aermeln bei der Arbeit, während die Negerin den Tisch deckte und, ehe eine halbe Stunde verging, führte die Wirthin ihren Gast nach dem hell erleuchteten Eßzimmer an den sauber gedeckten Tisch, auf dem zwei große Vasen mit frischen, so eben durch Virginia beim Fackelschein gepflückten Blumen prangten.

Farnwald ließ es sich nach seinem langen Ritt recht gut munden, und die neu belebten Swartons standen ihm treulich bei. Dann leuchtete der alte Swarton ihm nach dem Schlafzimmer, welches Virginia gleichfalls mit Blumen ausgeschmückt hatte, wünschte ihm gut zu schlafen, und als die große Hausuhr zehn schlug, war zum ersten Male seit langer Zeit wieder der Engel der Ruhe in das Gebäude zurückgekehrt.

Mit Tagesanbruch war im Hause wieder die gewohnte Rührigkeit in vollem Gange, die Frauenzimmer befanden sich in der Küche mit dem Beginnen ihrer häuslichen Verrichtungen beschäftigt, die Söhne waren nach den Einzäunungen geeilt, um die Arbeitsthiere mit Nahrung zu versorgen und das Pferd ihres Gastes

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zu verpflegen, und der alte Swarton war mit einem Korb voll Maiskolben hinaus vor das Haus getreten, und warf den Sauen die Körner hin, damit sie das Wiederkommen am Abend nicht vergessen möchten. Auch trug er zu gleichem Zweck Salz in die langen Tröge, die dort für frei herumgehendes Rindvieh, Pferde und Maulthiere aufgestellt waren, welches dieselben dann begierig leckten.

Farnwald aber lag noch im festen Schlafe, so wie er sich am Abend vorher hingelegt hatte, und als Madame Swarton das Frühstück nach dem Speisezimmer trug, sagte sie zu ihrem Manne:

»Vater, ich glaube Du wirst unsern Freund wohl wecken müssen, denn es ist schon sieben Uhr und ich wünsche sehr, daß Robert seiner bald ansichtig werde. Es thut mir recht leid, wenn er etwa in seiner Ruhe gestört wird, denn er war gestern Abend recht müde; gehe aber hinein zu ihm, vielleicht ist er schon wach.«

Der alte Swarton traf ihn aber noch fest schlafend und stand einige Minuten zögernd vor dem Bette, ehe er seine Hand auf die Schulter des Freundes legte.

»Nun, Herr Farnwald,« sagte er, denselben leise rüttelnd, mit einem zufriedenen Lächeln, »es freut mich, daß Sie unter unserm Dache so gut geschlafen haben.

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Meine Alte sendet mich zu Ihnen, das Frühstück anzumelden.«

»Gleich, gleich, mein Gott, habe ich so lange geschlafen?« antwortete dieser, die Augen erstaunt aufreißend, »glaubte ich doch, ich sei bei - «

Doch die nächsten Worte verschluckte er und fügte, indem er aus dem Bett sprang, hinzu:

»Ich werde gleich erscheinen, lieber Herr Swarton.«

Ein reiches Frühstück erwartete den Gast. Eine herrliche Forelle von ungewöhnlicher Größe, die der Neger früh Morgens aus dem nahen Wasser gezogen hatte, zierte den Tisch, das Maisbrod, heute mit saurer Milch und vielen Eiern gebacken, war hoch aufgegangen, frische glühheiße Brödchen von Weizenmehl wurden gereicht, frischer süßer Rahm und wasserheller Honig wurde zum Kaffee gegeben und Wildpret, in der Pfanne gebackene und in Stücken geschnittene junge Hahnen und gebratener Schinken machten die Fleischspeisen aus. Außerdem gab es frische Buttermilch und zum Des[s]ert wurde herrliches Obst herumgereicht.

Nach beendigtem Frühstück packte Virginia verschiedene Speisen in große Zeitungen ein und bat, mit einer Thräne im Auge, Farnwald, dieselben ihrem Bruder Robert mitzunehmen.

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Der Falbe war von den beiden jungen Swartons, sauber und blank geputzt, gesattelt vorgeführt, und während ein Jeder der Familie Farnwald noch Grüße und Versicherungen heißester Liebe an Robert auftrug, bestieg jener das Pferd und eilte dem Städtchen zu.

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Capitel 17.

Wirksame Erscheinung. - Oeffentliche Stimmung. - Beifall. - Zuversicht. - Letzte Bitte. - Achtung vor dem Gesetz. - Sonst und jetzt. - Der alte Gärtner. - Die Pfauen. - Die Reisenden. - Dringende Aufforderung. - Freundschaft und Liebe.


In C*** fand Farnwald, als er sein Roß nach dem öeffentlichen Platze lenkte, Alles in vollem Leben.

Seine Erscheinung erregte großes Aufsehen, von allen Seiten her winkte man ihm, während er den Platz entlang nach dem Wirthshause ritt, freundliche Grüße zu und wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht über seine Ankunft durch das Städtchen.

Seine und Roberts näheren Freunde und die Anhänger der gemäßigten Partei namentlich waren es, die ihn mit lauten Freudenbezeugungen bewillkommneten, indem sie in ihm einen Vereinigungspunkt für die Interessen des jungen Swarton, so wie für die des Gesetzes erblickten.

Der Andrang nach dem Gasthause, um Farnwald zu sprechen, war groß, es kam Vielen, die sich in dem

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Strome der Aufregung hatten hinreißen und zu der größeren Partei hinüberziehen lassen, der Gedanke, daß sie von dem richtigen Wege abgekommen seien und daß die Anhänger Farnwalds doch wohl am Ende das Uebergewicht bekommen könnten. Viele von Denen, die Robert abtrünnig geworden waren und von denen ein großer Theil Farnwald Verbindlichkeiten schuldete und dadurch in mannigfacher Weise in einem Abhängigkeitsverhältniß zu ihm stand, erschraken über seine Ankunft und drängten sich gleichfalls mit großer Freundlichkeit zu ihm, um ihn zu begrüßen, oder sie entfernten sich doch wenigstens von den Fremden, die sich mit Morting in der Nähe des Trinkhauses aufhielten, so daß sich nach und nach die dort versammelte Menge verminderte, während die Versammlung vor dem Wirthshause, wo Farnwald stand, sich rasch vergrößerte. Man wurde in seiner Nähe immer lauter, neigte sich mehr und mehr zu seiner Ansicht hin und brach plötzlich in ein stürmisches Hurrah für ihn aus; auch viele Stimmen ließen den Namen Robert Swarton erschallen. Die öffentliche Stimmung hatte sich in dieser kurzen Zeit anscheinend sehr zu Gunsten Roberts geändert, doch kannte Farnwald die Menschen zu gut, als daß dieser Schein ihn hätte täuschen können; er sah voraus, daß die Ueberläufer nun um so eher im Verborgenen gegen ihn und

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seine Partei handeln würden. Dennoch nahm er den Augenblick wahr, für Robert zu wirken und trat auf die Treppe vor dem Wirthshause, um öffentlich seine Ansicht über diese Angelegenheit, die das Städtchen und die Umgegend in so große Aufregung versetzt hatte, auszusprechen. Eine Todtenstille verbreitete sich sofort unter der großen Zahl der hier versammelten Leute, und Alle blickten erwartungsvoll nach Farnwald auf.

Dieser begann seine Rede damit, daß er sich entschieden gegen die That des jungen Swarton aussprach, zugleich aber erklärte, daß es nur den, Gerichte zustände, ein Urtheil über dieselbe zu fällen. Eben so sehr und noch mehr aber verwarf er das Verfahren Dorsts als ein solches, welches dem Gefühle eines jeden rechtlich denkenden Mannes im tiefsten Innern widerstreben und ihn empören müsse, zeigte, daß derselbe durch sein unbarmherziges Auftreten gegen Roberts Familie diesen bis zum höchsten Grade der Wuth gereizt habe und zählte dann die einzelnen Momente auf, die dem jungen Manne als Entschuldigung seines begangenen Unrechts dienen konnten.

»Robert Swarton kann nur vom Gericht verurtheilt werden,« wiederholte er mit Nachdruck, »das Volk darf sich keinerlei Gewalt über ihn anmaßen und ihn in keiner Weise belästigen, wie es durch jene Fremde, die

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sich vor seinem gegenwärtigen Aufenthaltsorte gelagert und ihn und seine Freunde mit Schmähungen, mit Beleidigungen überhäuft haben, leider geschehen ist. Wenn hier überhaupt von einem gesetzlichen Zustande die Rede sein soll, so durften solche empörende Gesetzlosigkeiten gegen einen unserer Mitbürger, dessen Schuld überdies noch nicht von dem Gerichte ausgesprochen ist, unter keiner Bedingung zugelassen werden. Ich bin erstaunt darüber, daß die Anhänger des Gesetzes, daß Freunde der ehrenwerthen Familie Swarton und die meinigen es ruhig mit ansehn konnten, wie eine Bande Unbekannter, von denen man, ihrem Erscheinen nach, nichts Gutes erwarten darf, sich hier in einem friedlichen Orte solche Eigenmächtigkeiten erlaubte. Ich begreife nicht, daß man es wagen durfte, durch Vertheilen von Geld und Branntwein eine Partei gegen einen Angeklagten zu werben, wie dies nun schon seit längerer Zeit durch jene Leute hier öffentlich geschehen ist. Sollen wir wieder in das Frontierleben zurücktreten und uns unter die Gesetze desselben stellen, nach denen ein Jeder das Recht sich selber verschafft, wohlan, dann schlage ich vor, daß wir uns zunächst jener Bande entledigen, die unsern Frieden gesetzwidrig gestört hat. Erklären wir uns aber als unter dem Gesetz stehend, so müssen wir auch das Gesetz aufrecht halten und dürfen nichts gestatten,

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was ihm so geradezu entgegen ist. In dem einen, wie in dem andern Falle hoffe ich Freunde genug zu zählen, um das Recht zu schützen, das Unrecht zu bestrafen und unsre friedlichen Zustände wieder herzustellen.«

Ein donnernder Beifall schallte jetzt durch die versammelte Menge und ein Jeder drängte sich zu Farnwald, um ihm persönlich die Uebereinstimmung mit seinen Ansichten auszudrücken. Unter ihnen befanden sich auch Barry und Copton, welchen Letzteren Farnwald ersuchte, ihn zu Robert zu begleiten und zugleich aufforderte, dem Herrn Morting und seinen Gefährten Ruhe und Mäßigung anzuempfehlen und ihm anzudeuten, daß er ihn sonst Kraft seiner Stellung von hier verweisen würde.

Farnwald wandte sich darauf nochmals an die Versammlung und bat, daß man ihn mit dem Scheriff allein möge zu dem Gefangenen gehen lassen, damit sein Besuch bei demselben den Fremden gegenüber nicht als Demonstration erscheine.

Hierauf schritt er, von Copton begleitet, über den Platz und an dem Trinkhause vorbei, von wo die dort befindlichen Genossen Mortings feindlich nach ihm herüber blickten. Sie verhielten sich jedoch ruhig, und Farnwald erreichte mit seinem Begleiter ungestört die Anhöhe, auf welcher das Gefängniß stand. Kaum hatte er dieselbe erstiegen, als Jerry, Farnwald laut bei

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Namen rufend, aus dem Busche hervorbrach, zu ihm hin rannte, und, seine Knie umklammernd, vor ihm niederfiel.

»Der Allmächtige sei gepriesen!« rief er von Freude überwältigt aus, »Gott wird nun helfen und Master Robert wird wieder frei werden.« Dann sprang er auf, rannte zu der Thür des Gefängnisses und schrie:

»Master Robert, Master Robert, Herr Farnwald ist hier!« klopfte gegen den Eingang, wischte sich die Thränen aus den Augen, sah mit gefalteten Händen zum Himmel auf und wußte in seiner Herzensfreude nicht iwas er Alles beginnen sollte.

Aus dem Lager Mortings blickten die Fremden verwundert nach Farnwald herüber, dessen Namen ihnen bekannt sein mußte, denn sie steckten die Köpfe zusammen und traten zu Morting, der vor einem der Zelte auf einer wollenen Decke lag. Auch dieser hatte seine blitzenden Augen auf ihn geheftet, doch änderte er seine Stellung nicht und that, als ob er nicht ihn kenne.

Der Scheriff öffnete nun die Thür des Blockhauses und Robert Swarton trat Farnwald entgegen. Er war bleich und verstört, aber freudige Ueberraschung und Hoffnung belebte jetzt sein Gesicht, seine Augen erglänzten und um seine Lippen spielte ein wehmüthiges Lächeln.

»Ich hatte Sie beinahe aufgegeben, Herr Farnwald,«

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sagte er, wie zum leisen Vorwurf, mit seiner kraftlosen Stimme, »obwohl es mir schwer wurde, an Ihnen zu zweifeln.«

»Das konnten Sie nicht, Robert,« erwiederte Farnwald, indem er herzlich dessen Hand schüttelte, »obgleich Sie anders gehandelt haben, als Sie mir versprachen.«

»Es ist geschehen und ich habe mich dem Gericht übergeben, um das Gesetz über mich urtheilen zu lassen; nicht aber, um mich den Mißhandlungen jener Bande von Taugenichtsen auszusetzen.«

»Beruhigen Sie sich, Robert,« fiel der Scheriff ein, » sie werden nicht wieder vorkommen.«

Jerry hatte sich leise hinter Robert geschlichen, dessen Hand erfaßt, seine Lippen darauf gedrückt und war auf die Knie gesunken. Er sagte Nichts, seine Seufzer aber, sein Schluchzen und die Thränen, die auf die Hand seines geliebten jungen Herrn fielen, so wie das krampfhafte Zittern, mit dem er dieselbe in seinen rauhen schwarzen Händen hielt, sprachen besser, als alle Worte das unsägliche Leid, die überschwängliche Freude seines treuen Herzens aus.

»Steh auf, guter Jerry,« sagte Robert mit bebender Stimme und zog den Sklaven an seine Brust, »mache mir das Herz nicht weich, sei stark, wie Du es zu sein mich gelehrt hast. Scheiden müssen wir doch einmal,

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etwas früher oder etwas später macht keinen so großen Unterschied; ich habe aber noch eine Bitte an Deine Liebe zu richten, willst Du sie mir erfüllen?«

»Alles, Master Robert, fordere mein Leben!« antwortete der Sklave mit zitternder Stimme und preßte abermals seine Lippen auf die Hand seines Herrn.

Robert beugte sich zu dem Alten nieder, legte seinen Arm über dessen Schulter und flüsterte ihm ins Ohr:

»Ehe man mir die Schlinge um den Hals legt, schieße mir eine Kugel durch den Kopf.«

Der Neger prallte wie vom Blitz getroffen zurück, sein Mund und seine Augen standen, wie vom Krampf erfaßt, weit offen, und ohne einen Laut von sich zu geben, stierte er seinen heißgeliebten Herrn an.

»Ich verlange es von Dir, Jerry, Du bist es mir schuldig,« sagte Robert ruhig und ernst, »versprichst Du es mir?«

Der Neger aber war keiner Worte mächtig, er warf sich vor seinem Herrn nieder und ließ sein Gesicht auf dessen Fuß sinken, indem er den Kopf schüttelte.

»Nicht einmal den letzten Augenblick willst Du mir versüßen, Jerry?«

» Master Robert, um Gottes Willen!« schrie jetzt der Sklave außer sich, sprang auf und rang die Hände,

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»das kann ich nicht, denn ehe es dahin kommt, wird Jerry sterben und noch mancher Andere mit ihm!«

Farnwald und der Scheriff sahen einige Augenblicke verwundert der geheimnißvollen Unterhandlung zu, dann sagte Ersterer zu dem Schwarzen:

»Geh jetzt, Jerry, und beruhige Dich, es wird Alles gut werden,« worauf jener erst seinem jungen Herrn, dann Farnwald die Hand küßte und schweigend bald auf zum Himmel, bald vor sich niederbückend, zurück nach seinem Lager schritt.

»Es ist meine Pflicht, bei Ihnen zu bleiben und Ihre Unterhaltung mit anzuhören,« sagte Copton mit entschuldigendem Tone.

»Wir haben auch keine Geheimnisse auszutauschen,« antwortete Farnwald und sprach dann seinem jungen Freunde Trost ein, sagte ihm, daß er bei der Gerichtsverhandlung auf seine vielen Freunde rechnen könne, daß Georg Blanchard sicher den besten Advocaten für ihn gewinnen würde, und daß seine Familie sehr über seine Lage beruhigt sei. Er übergab ihm nun die verschiedenen Dinge, die die Seinigen ihm zusandten, und nahm dann Abschied mit dem Versprechen, bald wieder zu kommen. Der Scheriff ging zuerst zur Thür hinaus, welchen Augenblick Farnwald benützte, um Robert zuzuflüstern:

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»Ich stehe Ihnen mit meinem Leben für das Ihrige.«

Dann schüttelte er ihm die Hand, nickte ihm noch einmal, seine Worte bestätigend, zu und schritt zu Copton hinaus, der die Thür wieder verschloß.

»Gehen Sie voran, Herr Farnwald,« sagte der Scheriff zu diesem, »ich werde jetzt dem Herrn Morting sagen, was er wissen soll. Ich treffe Sie im Gasthause.«

Mit diesen Worten wendete er sich, während Farnwald zurückging, nach dem Lager der Fremden und schritt auf Morting zu.

»Im Namen des Gesetzes, Herr Morting, untersage ich Ihnen und Ihren Gefährten hiermit jede, auch die allerentfernteste feindselige oder beleidigende Handlung gegen den Gefangenen dort, so wie jeden Schritt, um eine Partei gegen ihn zu werben, widrigenfalls ich Sie, Kraft meiner Stellung, aus unserer County verweise. Ich bin Ihnen wohl als der Scheriff Copton bekannt?«

Morting sah mit durchbohrenden Blicken zu ihm auf, doch biß er sich auf die Lippe und schwieg, denn vor dem Namen Scheriff beugen sich auch die desperatesten Charaktere in diesem Lande.

»Gieb mir etwas Kautaback,« sagte er zu einem

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seiner Kameraden, »verdammt, ich habe das Stück, welches ich im Munde hatte, mit einem Worte, das mir gerade auf der Zunge schwebte, verschluckt. Wenn es mir nur kein Leibweh macht.«

Copton wandte sich aber, ohne ihn weiter eines Wortes oder eines Blickes zu würdigen, von ihm ab und begab sich zu Farnwald zurück, bei welchem er abermals eine Menge Leute versammelt fand. Dieser blieb zum Mittagsessen in der Stadt und lud wohl ein Dutzend angesehene Pflanzer aus der Umgegend, die sich hier befanden, zu Gästen dabei ein, während welcher Zeit bei einem Glase Madeira die Angelegenheit Roberts nochmals warm besprochen wurde. Dann verabschiedete er sich bei seinen Freunden auf baldiges Wiedersehen, eilte zu Swartons zurück, brachte ihnen neuen Trost und neue Hoffnung, und sprach auf seinem Heimwege auch bei Blanchards vor, um auch sie aus der großen Besorgniß zu reißen, in die sie die bösen Gerüchte über Roberts Lage sicher versetzt hatten.

Mit wahrem Jubel wurde er von ihnen empfangen, denn auch sie hatten sich sein Verschwinden nicht erklären können, und wenn sie auch keinen Augenblick an ihm zweifelhaft geworden waren, so hatte sich doch die Sorge um seine eigne Person ihrer bemächtigt, und der unabsehbare Nachtheil, der für Swartons aus seiner

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Abwesenheit erwuchs, hatte sie sehr bekümmert. Um so größer war daher die Freude über seine Rückkehr und über die guten Nachrichten, die er von der unglücklichen Familie mitbrachte. Madame Blanchard theilte ihm mit, daß sie von Georg heute einen Brief erhalten habe, worin dieser ihr die frohe Aussicht meldete, den gewünschten Advocaten Taylor zu gewinnen und daß er ihn wahrscheinlich gleich mitbringen würde.

Auch hier empfahl sich Farnwald, trotz aller Bitten, länger zu verweilen, nach einem kurzen Aufenthalt und eilte nach Hause, in der Hoffnung, noch heute einen Brief von Doralice zu erhalten, denn Dutch Charley hatte ihm ja gesagt, er würde wahrscheinlich an diesem Morgen bei ihr vorsprechen.

Der Abendwind wehte erfrischend über das wogende Grasmeer, aus dem die bunte Blumenflor ihre Häupter hervorhob und in der bewegten Luft auf und nieder wiegte, als Farnwald seiner Niederlassung zuritt. Vor ihm her zogen seine Kühe und Kälber, einige Hundert an der Zahl, mit einer großen Menge von Stieren unter dem hellen Klänge der Metallglocken, die viele von ihnen um den Nacken trugen, gleichfalls seiner Behausung zu, nahmen im Gehen noch hier und da einen Anbiß in dem saftigen Grase und wehrten mit ihren mächtigen Hörnern und dem Lockenbüschel ihres Schweifes

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die lästigen Fliegen von ihrem fetten, spiegelnd glänzenden Körper ab. Von andern Seiten näherten sich die Maulthiere und Pferde, dem Tone der großen Glocke, welche um dem Halse einer alten Stute hing, folgend, der Ansiedlung, und Hunderte von Schweinen kamen aus allen Richtungen her angesprungen, um ihr Nachtlager an der Einzäunung des Feldes zu beziehen.

Farnwald dachte zurück an die Zeit, in der noch auf große Entfernungen von seiner Niederlassung kein Haus aufgerichtet war, in der nur das Geheul wilder Thiere und der Tänze und Kriegsgesang der Indianer die Stille dieser Wildmß unterbrach, er nur eine kleine Zahl dieser schönen Hausthiere besaß, und mit den wenigen Männern, die bei ihm lebten, Tag und Nacht über die Sicherheit seiner Thiere wachen mußte, und gedachte des ungestörten Glückes und der Zufriedenheit, die ihm in jener Zeit zu Theil ward, trotz aller der vielen ihn umgebenden Gefahren. Wie ganz anders war es mit dem Herbeiströmen der weißen Menschen geworden, mit denen zugleich der Streit über das Mein und Dein auftrat, und Neid, Verrath und Gehässigkeit sich einfanden. Wie oft hatte er Abends nach vollbrachter Tagesarbeit den Glocken der heimkehrenden, damals kleinen Heerden mit ruhiger Zufriedenheit, mit Wohlgefallen gelauscht und sich über die schönen Thiere und

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deren jungen Nachwuchs gefreut, wie oft hatte er sie Morgens oder Abends gezählt und einzeln seinen Lieblingen darunter Mais oder Kürbisse und Melonen gereicht, und jetzt wußte er kaum noch ihre ungefähre Zahl zu nennen, er gab ihnen keine Namen mehr und kannte nur noch die wenigen unter ihnen, die ihm aus jenen Zeiten her in Erinnerung geblieben waren. Andere Interessen, andere Wünsche, andere Verpflichtungen hatten jene behagliche Ruhe und Wunschlosigkeit verdrängt, und einmal wieder von dem Strudel des sogenannten civilisirten Lebens erfaßt, mußte er mit dessen Wogen schwimmen. Bei seinem Wohnorte angelangt, blickte er um sich über die weite Grasebene, noch konnte er kein Haus, keinen aufsteigenden Rauch eines Schornsteins mit den Augen erreichen, noch keinen Axtschlag eines Nachbarn hören, denn in dem, viele Stunden breiten, offnen Graslande, das sich am Flusse hinauf und hinunter zog, wäre es einem Ansiedler unmöglich gewesen, sich niederzulassen, da ihm dort das nöthige Holz und Wasser mangelte, und das Land am Flusse selbst gehörte Farnwald zu beiden Seiten auf einige Meilen Entfernung. So wäre er allerdings von den Menschen noch immer abgeschieden gewesen, hätten ihn nicht wieder tausenderlei Interessen und Beziehungen mit ihnen verknüpft und ihn unvermeidlich mit ihnen in Verbindung

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gehalten. Er dachte an Doralice, und die Hoffnung stieg in ihm auf, daß er sich hier dennoch mit ihr von der Welt zurückziehen könne, um nur gegenseitig ihrem eigenen Glücke zu leben.

Milly eilte ihm, wie gewöhnlich, mit einem freudigen Gruß entgegen, er aber richtete sogleich die Frage an sie: ob der Postreiter noch nicht hiergewesen sei? welches die Quadrone verneinte. Auch der alte Paulmann trat herzu, als Farnwald vom Pferde stieg und wünschte einen guten Abend.

»Sie werden uns ganz fremd hier, Herr Farnwald,« sagte er, mit ehrlicher Gutmüthigkeit seinen Kopf schüttelnd, »es wird hier alle Tage schöner und dennoch haben Sie nicht mehr so viele Freude an Ihrem herrlichen Eigenthum als früher. In dem Garten sind Sie in ewiger Zeit nicht gewesen, die Blumen verblühen, ohne daß Sie dieselben gesehen hätten, und das so prächtig reifende Obst haben Sie noch gar nicht bemerkt. Auch die Medizinkräuter sind so schön angegangen, der Andorn wuchert in dichten Haufen, der Nachtschatten läuft an der ganzen Einzäunung hin und der Wermuth steht in kräftigen Büschen da; wollen Sie denn die Sachen nicht einmal ansehen?«

»Gewiß, Paulmann, ich will gleich mit Euch gehen. Gott weiß es, ich komme zu Hause auch zu gar Nichts.

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Ich werde aber hoffentlich bald nicht mehr so oft von hier abwesend sein, und dann wollen wir Blumen ziehen, Paulmann, daß es eine Freude sein soll,« antwortete Farnwald dem Alten, dessen Gesicht sich bei diesen Worten erheiterte.

»Ja, das wollen wir auch, wenn Sie nur bald eine Aenderung eintreten lassen,« sagte er, wobei er mit beiden Händen seine Beinkleider auf den Hüften ergriff und sie, während er sich gerade stellte, nach oben zog, denn Farnwald hatte sie ihm gegeben und sie waren dem Gärtner um einen Halben Fuß zu lang. »Ich habe auch in dem Walde an der andern Seite des Flusses einige Hundert weibliche Maulbeerbäume gezeichnet, die im Frühjahr Früchte trugen, damit ich sie im Herbst nicht mit den untragbaren verwechsele und sie dann verpflanzen kann; es sind sämmtlich schlanke, schöne, armdicke Stämme, die bald eine herrliche schattige Allee am Flüsse hinauf bilden sollen bis zu dem Platze, wo die Pferde zum Wasser gehen. Dann werde ich auch noch einige Magnolien von dort herüber holen und sie hier in die Einzäunung pflanzen; es ist doch Ihr Lieblingsbaum.«

»Das ist ja prächtig, Paulmann, kommt, wir wollen gleich in den Garten gehen,« sagte Farnwald zu dem vor Freude strahlenden Alten und schritt vor ihm her

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über die Veranda, doch seine Gedanken waren fern von hier, sie waren bei Doralice und seine Blicke wendeten sich wiederholt nach der Straße hin, von woher er den Postreiter erwartete.

Paulmann öffnete nun mit sichtbarlichem Vergnügen die Gartenthür und ließ Farnwald eintreten. Der Norden und Süden schien hier die Pracht seiner Vegetation ausgeschüttet zu haben. Von allen Seiten her glänzten und prangten die wundervollsten Blumen und Blüthensträuche, die Obstbäume, die Farnwald größtentheils aus Kernen, welche ihm von seinen Freunden in Deutschland zugesandt waren, gezogen hatte, beugten sich unter der Last reifender Früchte und die immer grünen Myrthenbäume, Magnolienarten, Orangen-, Citronen- und Granatbäume breiteten ihre dichten Schatten schützend über den, mit den kostbarsten Blüthen übersäeten, Rosenbüschen aus. Die Sonne war hinter dem Riesenwalde an der andern Seite des Flusses versunken, die Dämmerung schlich sich über die Erde und die mild wehende Luft war süß mit Blumenduft gewürzt. Einige zwölf goldig glänzende Pfauhähne kamen jetzt stolz durch den Garten daher geschritten und bestiegen eine Bank, die an dem Hauptwege unter einem Granatbaume stand.

»Diese Burschen müßt Ihr aber von hier fern

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halten, Paulmann; es sind schlechte Gärtner,« sagte Farnwald auf die schönen Thiere blickend.

»Tages über leide ich sie auch nicht hier; aber Abends erlaube ich ihnen, von dieser Bank nach ihrem Nachtquartier hinaufzufliegen. Sie schlafen in jenen beiden Cottonbäumen (die gemeine Pappel) am Flusse und gleich werden Sie sehen, wie sie ihre Reise antreten.«

In diesem Augenblick nickte der älteste der Hähne einige Male mit dem Halse, lüftete seine Flügel dabei ein wenig und schoß dann rauschend, wie eine Rakete, hinauf in die Spitze des zweihundert Fuß hohen, nur einige fünfzig Schritt von ihnen entfernt stehenden Baumes, der seine Riesenäste weit über den wild schäumenden Fluß hinaus streckte. Von dort ließ er seine unangenehm gellende Stimme, wie einen Zuruf an seine Kameraden, ertönen und prasselnd schossen diese nun auch der Höhe zu, wo sie ebenso sicher anlangten, als ihr Führer.«

»Ist das nicht prächtig, Herr Farnwald?« sagte der alte Gärtner, »ich habe jeden Abend mein Vergnügen an diesen Thieren. Bei Tage aber dürfen sie mir nicht hereinkommen, sonst bin ich gleich hinter ihnen her und verjage sie.«

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»Daß sie in jenen Bäumen schlafen, habe ich gewußt, doch sah ich sie noch niemals aufsteigen.«

»Sie müssen jetzt von den jungen Pfauen einige essen, es läuft ja da eine ganze Schaar derselben mit den Hennen herum. Die schlafen aber in jenen niedrigen Bäumen. Ich habe es Milly schon einige Male gesagt, sie will aber nicht daran und meint: die Vögel seien zu schön. Wozu sind sie denn da?«

»Schießt von Zeit zu Zeit einen davon und bringt ihn in die Küche, dann wird sie ihn schon zurechtmachen,« sagte Farnwald zu dem Gärtner, als Milly leicht von dem Hause hergesprungen kam und Farnwald anzeigte daß acht Reiter vor demselben hielten, die nach dem Herrn hier gefragt hätten.

»Wer sind sie, Milly?« fragte Farnwald.

»Ich kenne sie nicht und habe sie früher nie gesehen; es müssen Reisende sein, Herr,« antwortete die Quadrone, worauf dieser sich nochmals zu Paulmann wendete und sagte: »Herrlich, herrlich ist der Garten im Stande, Paulmann, ich muß aber sehen, wer dort angekommen ist?« Dann eilte er hinter der Sklavin her, dem Wohngebäude zu.

Der alte Gärtner stieß ungehalten den Rechen, den er in der Hmd hielt, auf den Boden und sagte, indem er Farnwald nachblickte:

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»Das weiß doch der Teufel, sie lassen ihm auch gar keine Ruhe, wenn man meint, man könnte einmal ruhig mit ihm sprechen, dann kömmt gleich das Amerikaner Volk dazwischen. Die wollen gewiß wieder etwas von ihm haben.«

Farnwald fand vor dem Hause an der Einzäunung die angemeldeten acht Männer zu Pferde halten.

»Guten Abend, Herr! Können wir hier über Nacht bleiben?« redete einer derselben ihn an.

»O ja, steigen Sie ab und seien Sie willkommen!« antwortete dieser und rief Addisson zu, die Pferde zu besorgen.

Die Fremden folgten der von ihnen schon vorausgesetzten Einladung, stiegen ab, nahmen ihre Pistolenholfter und Satteltaschen auf den Arm und schritten mit der Büchse in der Hand unter die Veranda, wo sie mit einem nochmaligen »good evening Sir« ihr Gepäck an die Wand des Hauses niederlegten, ihre Büchsen hinstellten, nach dem dort stehenden Eimer mit Trinkwasser gingen, um sich daran zu erfrischen und sich dann auf Bänken und Stühlen niederließen.

»Heißer Tag,« sagte der Eine.

»Verdammt müde,« bemerkte ein Anderer.

» O, He!« stöhnte ein Dritter, sich reckend und gähnend, den Mund weit aufreißend, während Alle ihre

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Pfeifen anzündeten oder ihren Mund mit Kautaback versahen.

»Wie weit ist es nach C***?« fragte einer der Unbekannten Farnwald nach einer Weile.

»Fünf Meilen,« erwiederte dieser, worauf wieder eine Pause eintrat und die Fremden sich ihren Gedanken hinzugeben schienen.

Farnwald, dem der Landesgebrauch, die Gastfreundschaft in dieser Weise anzusprechen, nichts Ungewöhnliches war, ging nun seinen eignen Geschäften nach, bemerkte nur der Quadrone im Vorbeigehen, daß sie das Abendessen für die Gäste mit einzurichten und in einem Zimmer Nachtlager für dieselben auf dem Fußboden zu bereiten habe und kümmerte sich dann weiter nicht um dieselben, bis Milly ihm anzeigte, daß der Tisch mit dem Abendbrode bereit sei.

»Das Souper ist fertig, wenn es gefällig ist?« sagte er, zu den Fremden tretend, diese klopften ihre Pfeifen aus, entfernten den Taback aus ihrem Munde und folgten der Einladung nach dem Speisezimmer.

Bei Tische wartete die Sklavin auf, die Fremden zeigten durch ihren guten Appetit, daß sie den Tag über wenig genossen haben mußten, sprachen während des Essens kein Wort und begaben sich dann wieder zu ihren Sitzen unter die Veranda.

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Gegen neun Uhr trat Farnwald mit einem Licht in der Hand abermals zu ihnen hinaus und sagte:

»Wenn Sie sich zur Ruhe begeben wollen, so will ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen.« Die Gäste folgten ihm schweigend und, als Farnwald das Licht auf den Tisch stellte und nach der Thür zurückschritt, bemerkte einer der Fremden:

»Wir wünschen früh zu reiten, wenn wir das Frühstück etwas zeitig bekommen könnten.«

»Das soll geschehen, Herr,« antwortete Farnwald und überließ die Unbekannten sich selbst.

Kaum graute der Tag, als die Reisenden schon unter der Veranda hörbar wurden und dort ihre Toilette machten, denn obgleich in ihrem Zimmer verschiedene Waschnäpfe und ein großer Krug mit Wasser stand, so hatten sie doch die Näpfe mit heraus genommen, einen Eimer Wasser am Quell geholt und nahmen im Freien die Erfrischung vor.

Bald darauf rief sie Farnwald zum Frühstück, nach schweigsam eingenommenem Mahle wurden ihre wohlverpflegten Pferde gesattelt vorgeführt, jeder einzelne der Fremden reichte dem Wirthe die Hand, wünschte guten Morgen und dann bestiegen sie ihre Rosse.

»Dies ist der Weg nach C*** Herr?« fragte einer von ihnen dann, auf der Straße hinzeigend und

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als Farnwald die Frage mit Ja beantwortete, ritten sie rasch von dannen.

Woher die Leute gekommen und wer sie seien, hatte nicht verlautet, es konnte Farnwald auch in keiner Weise interessiren, genug, es waren Reisende gewesen, wie sie sich schon hundertmal bei ihm einquartirt hatten und in welcher ähnlichen Weise auch er mitunter, wenn er bei schlechtem Wetter auf Reisen war, die Gastfreundschaft Anderer in Anspruch nahm, denn bei heiterem Himmel zog er es immer vor, sich unter einem Baume sein Nachtlager und Feuer zu bereiten. Mit wachsender Sehnsucht hatte Farnwald von Stunde zu Stunde der Ankunft des Postreiters entgegengesehen, der endlich, als der Abend sich nahte, erschien und ihm zwei Briefe überreichte.

»Ich komme spät,« sagte er; »Fräulein Dorst aber hatte noch nicht geschrieben, als ich gestern Morgen bei ihr vorsprach und da mußte ich denn schon warten. Der Mittag kam darüber herbei, ich erhielt ein vortreffliches Mittagsessen, so wie klingenden Dank von der jungen Dame und ritt dann nur bis L***, wo ich mir selbst und meinem Schecken Ruhe gestattete, bis diesen Morgen nach dem Frühstück. Uebrigens war mir der Aufenthalt in L*** ganz erwünscht, denn ich habe in der Nähe wieder einiges gute Schlachtvieh

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gekauft. Der eine Brief da ist von Herrn Renard, dem ich Ihre Bestellung ausgerichtet habe.

Farnwald trug Milly auf, dem Boten Essen vorzusetzen, verwies ihn wegen des Getränks, um sich zu bedienen, an den Credenztisch und erbrach mit sehnsuchtsvoller Eile den Brief Doralices.

Mit banger Vesorgniß theilte diese ihm mit, daß ihr die Schritte ihrer Mutter gegen den Mörder ihres Vaters bekannt geworden seien, daß dieselbe fest entschlossen wäre, ihren Gatten an dem Verbrecher zu rächen und daß alle Bitten, alle Vorstellungen, sie von diesem Vorsatze abzubringen, erfolglos zu sein schienen.

»Steht es in meiner Macht,« schrieb sie, »ihr mildere, unserm Geschlechte mehr verwandte Gefühle einzuflößen, so darfst Du von mir voraussetzen, daß ich Nichts in dieser Beziehung unversucht lassen werde; gelingt es mir aber nicht, so vertraue ich fest auf Dein Versprechen, daß Dir meine Liebe mehr gelten soll, als Deine Freundschaft für den Mörder meines Vaters und daß Du unser Glück nicht durch Wahrung der Interessen anderer Menschen in Gefahr bringen wirst. Leben wir nur allein unserer Liebe, theuerster Farnwald, so erheben wir uns über das Schicksal und bleiben außer dem Bereiche der neidischen, mißgünstigen Welt. Dein Versprechen hierfür besitze ich und halte es heilig, wie

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den Glauben an meinen Himmel; meines Versprechens, Alles meiner Liebe zu Dir nachzusetzen, bedarf es nicht weiter, denn ich habe nicht einen Gedanken mehr, der nicht schon Dir gehörte. Halte Dich fern von den Abgesandten meiner Mutter, denn sie sehen in Dir einen Feind. Großer Gott, wenn ich bedenke, daß sie Menschen sind, die ich zu Allem fähig halte, so suche ich vergebens nach Ruhe. Komm, komm, Geliebter, komm zu Deiner Doralice, sie vergeht in Angst um Dich, ihr einziges Glück, ihr Leben! Mein Vetter Warner ist fort, um einen Advocaten zu dingen, meide ihn, ich glaube er ist gefährlicher als Morting. Komm, sage ich nochmals. Bester, es giebt keinen Trost für mich ohne Dich.«

Wieder und wieder, und immer dringender erneuerte sie in dem Schreiben ihre Bitten, daß Farnwald bald zu ihr zurückkehren möchte, und gab ihm noch die Versicherung, daß auch ihre Mutter fest auf seine Nichtbetheiligung in dem Verfahren gegen den Mörder rechne und dieserhalb keinen Zweifel in ihn setze.

Farnwald ließ den Brief vor sich auf den Tisch sinken und hielt, in Gedanken verloren, seinen Blick auf das Papier geheftet. Er erkannte die weite Kluft, die sich zwischen seiner Freundschaft und seiner Liebe aufthat, er sollte die eine oder die andere opfern, er

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sollte Swartons ihrem Unglück überlassen, oder gegen die Wünsche der Mutter seiner Geliebten handeln. Pflichtgefühl und leidenschaftlichste, innigste Liebe kämpften mit gleicher Kraft in seiner Brust, und er suchte vergebens nach einem Auswege, Beiden zu genügen. Vor dem Freundschaftsbruche gegen Swartons jedoch schreckte er mehr zurück, als vor dem Gedanken, daß er Madame Dorsts Zuneigung verlieren und hierdurch das Glück seiner Liebe stören könnte; war er sich doch bewußt, daß Doralices Herz ihm unbedingt bliebe.

Da man in einer schwierigen Lage gern seine Gedanken von derselben abwendet, so griff Farnwald hastig nach dem Briefe Renards. Dieser zeigte ihm an, daß seine Angelegenheit mit der Wittwe Morrier, die von dem Tode Dorsts bereits unterrichtet sei, durch seinen Bruder in New Orleans wahrscheinlich schon in diesem Augenblicke definitiv geordnet werde, so daß er für die Folge gegen ähnliche Gefahren und Unannehmlichkeiten sicher wäre. Ueber den an Dorst verübten Mord sagte er, daß derselbe unten im Lande große Aufregung hervorgebracht habe, und daß eine Menge Bewohner dieser Gegend dem Gerichte, welches über den Mörder gehalten werden würde, beizuwohnen beabsichtige, um ihren Einfluß gegen denselben zu gebrauchen. Wie er in Erfahrung gebracht habe, so reize die Wittwe des

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Erschlagenen die Leute dazu auf, die ja sonst wohl in einem Morde nichts Ungewöhnliches oder Ungeheures erblickten, und die Frau solle es auch nicht an Geldspenden fehlen lassen, um für ihre Partei noch mehr Stimmen zu gewinnen.

»Da ich aber aus eigner Erfahrung weiß,« sagte Renard in seinem Briefe, »was jener Herr Dorst für ein verworfener Mensch war, so hielt ich es für meine Schuldigkeit, meinen Nachbarn Aufklärung über ihn zu geben, und es möchte Madame Dorst jetzt schwer werden, die bessern für ihre Pläne zu stimmen. Dennoch wird die Neugierde manchen aus meiner Gegend zu dem Gerichte ziehen, und ich gestehe, daß ich selbst, im Falle mich einige meiner Bekannten begleiten wollen, nicht abgeneigt bin, auch dort zu erscheinen, wozu der Hauptgrund jedoch in meinem Wunsche liegt, Sie, theurer Freund, einmal zu besuchen, welches ich wohl nicht zu versichern brauche. Jedenfalls schreibe ich Ihnen noch vorher.«

» Ich hoffe, daß ich Ihnen recht gute Nachrichten mitgebracht habe,« sagte der Postreiter, als er sah, daß Farnwald die Briefe gelesen hatte, »Fräulein Dorst hat wenigstens lange genug geschrieben, und was lange währt wird gut, pflegten wir in Deutschland zu sagen. Nun will ich mich aber auf meines Schecken Beine

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machen, der Postmeister in C*** wird schon ungehalten sein, daß ich erst heute komme.« Bei diesen Worten hatte Charley den Credenztisch wieder erreicht und füllte ein Wasserglas bis über die Hälfte mit Cognac. »Muß noch einmal trinken, so etwas Gutes bekommt man doch in diesem Lande nur bei Ihnen. Ihre Gesundheit, Herr Farnwald. Haben Sie noch etwas zu bestellen, so dürfen Sie es nur sagen.«

»Ich danke, Charley, heute nicht; wenn Du wieder hinunter reitest, so spreche hier vor.«

Der Bote empfing den gewohnten Handschlag nebst einem halben Dollar, drückte seinen Filz auf den Kopf und und trieb bald darauf seinen müden Schecken eilig auf der Straße nach C*** hin.

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Capitel 18.

Der Advocat. - Die Belohnung. - Unangenehmes Zusammentreffen. - Der Wirth. - Vater und Sohn. - Berathung der Feinde. - Der Einbeinige.


Beinahe täglich begab sich Farnwald nach dem Städtchen, um zu sehen, wie es Robert ergehe und um für dessen Angelegenheit zu seinen Gunsten zu wirken. Die Aufregung unter den Leuten hatte sich augenscheinlich gemindert und die Stimmung im Allgemeinen fand Farnwald weniger gegen den Gefangenen gerichtet. Morting und seine Gefährten trieben zwar ihr wildes Wesen fort, es fanden sich aber nicht mehr so viele der Einheimischen, die an ihren Gelagen Theil nahmen und ihr Auftreten gegen Robert war weniger laut. Demungeachtet äußerten sich die Freunde Swartons gegen Farnwald bedenklich über die Lage des jungen Mannes und fürchteten, daß seine Befreiung, nach einem gefällten ungünstigen Urtheile, wohl kaum möglich zu machen sein würde.

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Jedesmal wenn Farnwald das Gefängniß verließ, kam eine Zufriedenheit über ihn, die ihn deutlich fühlen ließ, daß er eine gute und eine gerechte That zu vollbringen habe. Er untersuchte dabei nicht das Recht und Unrecht auf Roberts und Dorsts Seite, es schien ihm aber eine innere Stimme zu sagen, daß er an des Ersteren Stelle ähnlich gehandelt haben würde, er dachte sich dann in dem Gefängniß eingeschlossen, von Feinden umgeben und dachte an die gefühllose Verdammung, die selbst frühere, sogenannte Freunde Roberts, über diesen ausgesprochen hatten. Es kam ihm vor, als ob das Leben des jungen Mannes in seine Hände gelegt wäre und fest stand dann bei Farnwald der Entschluß, ihn zu retten. Er benutzte jede Gelegenheit, seine Bekannten in der Stadt sowohl, als die, welche er dort aus der Umgegend traf, für Roberts Sache zu stimmen und ritt häufig zu den ihm befreundeten oder verpflichteten Familien im Lande, um sie für ihn zu gewinnen. Während dem rückte die Zeit des Gerichts immer näher und schon war der Montag vor der Woche erschienen, mit welcher dasselbe beginnen sollte, ohne daß Georg mit dem Advocaten Taylor angekommen wäre.

Farnwald hatte diesen Tag auch wieder in C*** zugebracht und war gegen Abend auf seinem Heimwege

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noch bei dem Scheriff vorgeritten, um ihm in Bezug auf Robert Verschiedenes mitzutheilen. Copton war zu ihm in die Straße getreten, wo er zu Pferde hielt und hatte sich eine geraume Zeit mit ihm unterhalten, als Farnwald die Zügel aufnahm, dem Scheriff die Hand reichte und sagte:

»Ei ei, die Sonne geht wahrhaftig schon unter, es ist Zeit, daß ich reite.«

Doch als er sein Roß wendete, fielen seine Blicke auf zwei Reiter, die an der andern Seite des Platzes dem Gasthause zutrabten. »Bei Gott, das ist Georg mit dem Advocaten!« rief er freudig überrascht aus, spornte sein Pferd in die Seiten und sprengte über den Platz zu jenen hin.

»Hallo, Georg - Willkommen!« rief er demselben entgegen, der eben abgestiegen war, sprang gleichfalls aus dem Sattel und trat auf ihn zu.

»Ei, Herr Farnwald, Sie hier? das ist ja herrlich, so kann ich Sie gleich Herrn Taylor vorstellen.«

Hiermit wendete sich Georg Blanchard zu seinem Begleiter, dem Advocaten Taylor und machte ihn mit Farnwald bekannt.

Taylor war ein schon ältlicher Mann mit grauem Lockenhaar, von hoher hagerer Gestalt, ausdrucksvollen edlen Gesichtszügen und ernstem gefühlvollem Blicke.

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In seinem Wesen lag etwas Zutrauen Erweckendes und Freundliches, so daß man nach kurzer Bekanntschaft glaubte, man mußte schon seit langer Zeit mit ihm befreundet gewesen sein. Schlicht und anspruchslos in seinem Aeußern, gefiel er dem Reichen und dem Armen, dem Gebildeten und Ungebildeten, alle wußte er nach ihrer Eigenthümlichkeit zu behandeln und sich ihre Zuneigung zu erwerben.

»Wir haben mit Sehnsucht auf Sie gewartet, Herr Taylor,« sagte Farnwald nach der ersten Begrüßung zu dem alten Herrn.

»Es macht mir Freude, daß meine Geschäfte es gerade zuließen, dem Wunsche des Herrn Blanchard zu einsprechen. Ich fürchte, daß die Lage des jungen Swarton eine sehr ernste sein wird, soweit mir Herr Blanchard Mittheilung darüber gemacht hat. Seine Ankläger werden es nicht an einem tüchtigen Advocaten fehlen lassen. Wir müssen alle Freunde Swartons um uns sammeln und so viele von ihnen als möglich unter die Geschwornen zu bringen suchen,« antwortete Taylor.

»Es wird sicher Keiner derselben fehlen, dennoch befürchte ich, daß seine Partei die schwächste sein wird,« bemerkte Farnwald.

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»Lassen Sie uns unser Bestes thun und auf einen glücklichen Ausgang hoffen. Selbstvertrauen führt oft zu einem anscheinend unerreichbaren Ziele.«

»Wollen Sie denn aber nicht mit mir reiten? Meine Mutter würde sich so sehr freuen, Sie bei sich zu sehen,« sagte Georg zu dem Advocaten.

»Das darf ich nicht, ich muß diese Woche benutzen, um mit dem Boden vertraut zu werden, auf dem ich fechten soll; und dann ist es nöthig, daß ich in der Nähe des Angeklagten bin, um ihn genau zu instruiren, was er vor Gericht zu sagen hat. Ein verkehrtes Wort, oder eins zu viel, kann unendlichen Schaden thun. Auch werde ich in dieser Zeit mit den Leuten hier bekannt und sehe mich nach passenden Geschwornen um. Wie Sie mir gesagt, flehen Sie in freundlichem Verhältniß mit dem Scheriff und auch er gehört zu den Freunden der Familie Swarton. Es ist dies von großer Wichtigkeit, da er die Geschwornen herbeizubringen hat und leicht dabei Leute vermeiden kann, die zweifelhaft für unsere Partei sind. Ich bleibe hier im Gasthause, doch wird es mir sehr lieb und erfreulich sein, wenn ich Sie täglich bei mir sehe.«

Dem Advocaten wurde nun das beste Zimmer im Gasthofe gegeben, Georg und Farnwald saßen noch lange in eifriger Unterhaltung über Roberts Angelegenheit

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mit ihm zusammen und die Nacht war bereits hereingebrochen, als sie von Taylor Abschied nahmen, ihre Pferde bestiegen und sich auf den Heimweg begaben. Farnwald übernahm es, bei den alten Swartons vorzureiten, um ihnen die erfreuliche Kunde über die Ankunft des Advocaten zu überbringen und Georg eilte mit dem beglückenden Gefühle, für Robert die Hauptstütze herbeigeschafft zu haben, zu den Seinigen, damit auch sie die Freude über das Gelingen seines Unternehmens theilen möchten.

Mit Jubel und Hoffnung strahlenden Blicken wurde die Nachricht von der Familie Swarton bewillkommnet und als Farnwald der schönen Virginia die Hand reichte und zu ihr sagte:

»Nun, Virginia, hat Georg sein Versprechen nicht brav erfüllt?« senkte sie ihr Gesicht in das Tuch, um ihre Thränen und das erhöhte Roth ihrer Wangen zu verbergen.

Trotz aller Bitten der Familie, die Nacht hier zuzubringen, ritt Farnwald nach Hause, ertheilte aber die Zusage, am folgenden Morgen den alten Swarton abzuholen, der sich gleichfalls dann nach dem Städtchen begeben wollte, um Robert zu sehen und die Bekanntschaft Taylors zu machen.

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Als Farnwald zur verabredeten Zeit am andern Tage wieder eintraf, fand er Swarton und seine beiden jüngsten Söhne schon gerüstet; seine Frau und Tochter schoben noch mehrere Packete für Robert in die Satteltaschen und schon waren die Pferde vorgeführt, als Georg Blanchard herangesprengt kam, den Zügel seines Rosses an die Einzäunung hing und zu seinen Freunden unter die Veranda sprang.

Alles bewillkommnete ihn mit Ergüssen innigster Freude und herzlichsten Dankes, der alte Swarton schloß ihn in seine Arme, Madame Swarton that ein gleiches, und Virginia reichte ihm bebend die Hand, indem sie die Augen niederschlug und ein glühendes Carmin ihre Wangen übergoß. Auch Georg war das Blut nach dem Gesichte gestiegen, und er traute sich nicht, zu dem tief bewegten Mädchen aufzusehen, als Farnwald seine Verlegenheit bemerkte und sagte:

»Holde Virginia, ich glaube, daß Georg wohl mit seinem Ritte von vierhundert Meilen einen Kuß verdient hat, tragen Sie einen Theil Ihrer Schuld an ihn ab; zahlen macht Freunde, borgen macht Feinde,« und hiermit ergriff er die Hand des erröthenden, zagenden Mädchens und hielt dieselbe Georg entgegen, der die Jungfrau jetzt entschlossen in seine Arme drückte und den

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Kuß empfing, der ihm von den schönen Lippen mit Ungezwungenheit gewährt wurde.

Nun bestiegen die Männer ihre Pferde und eilten guten Muthes der Stadt zu. In dem Gasthause angekommen, erfuhren sie, daß Taylor sich bei dem Gefangenen befinde, bei welchem ihn, als dessen Rechtsbeistand, der Scheriff auf sein Verlangen eingeschlossen habe.

»Bill, geh und sieh Dich in der Stadt nach Copton um,« sagte der alte Swarton zu seinem Sohne, »und bitte ihn, es uns wissen zu lassen, wenn er zu Robert gehe, um Taylor von ihm zu entlassen; sage ihm, wir wollten ihn dorthin begleiten und würden ihn hier erwarten.« Dann wandte er sich zu Farnwald und Georg: »Ich denke,« sagte er, »wir setzen uns so lange hier vor das Haus, wir sehen wohl diesen oder jenen Bekannten, der zufällig hier vorüber kommt. Ich mag nicht von hier weggehen, damit Copton keinen unnöthigen Weg hat und nicht aufgehalten wird. Hier ist noch Schatten und die Luft ist angenehm.«

Sie hatten sich noch nicht lange vor dem Gasthause auf einer der dort befindlichen Bänke niedergelassen, als plötzlich zwei Reiter auf der Straße her um das Haus gebogen kamen und ihre Pferde vor demselben anhielten.

Farnwald erkannte auf den ersten Blick in einem derselben Dorsts Vetter, den Herrn Warner, und wurde durch sein Erscheinen in diesem Augenblicke auf das Unangenehmste überrascht. Er wendete sich, als ob er ihn nicht bemerkt habe, von ihm ab zu dem alten Swarton und senkte sein Kinn auf die Hand, indem er den Ellenbogen auf sein übergeschlagenes Knie stützte, wodurch er unter dem breitrandigen Filz, den er trug, sein Gesicht den Blicken des unangenehmen Bekannten zu entziehen hoffte. Doch dieser hatte ihn alsbald erkannt, stieg vom Pferde und schritt mit den Worten auf ihn zu:

»Sieh da, Herr Farnwald, es ist mir recht angenehm, daß ich Sie hier treffe; Sie können mir ja sagen, wie Sie meine Cousine, die Wittwe Dorst, und ihre schöne Tochter verlassen haben, denn Sie blieben noch einige Zeit zum Troste bei den Damen, als ich sie verließ, um den Advocaten, Herrn Mac Owen, aufzusuchen und zu engagiren, damit er dem Mörder unseres gemeinschaftlichen Freundes an den Galgen verhelfe.«

»Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen Herrn Mac Owen vorstelle - Herr Farnwald, Herr Mac Owen.«

Bei diesen Worten verneigte er sich höflich gegen die beiden und schien sich an der Verlegenheit zu ergötzen, die sich Farnwalds bemeistert hatte, denn dieser

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stand, wie von einem Blitzstrahl getroffen, ohne einen Tropfen Blutes im Gesicht und ohne Worte da.

Swarton und Georg Blanchard waren aufgestanden und blickten bald Warner, bald Farnwald an, als ob sie bezweifelten, daß sie des Ersteren Worte wirklich vernommen hätten, und als ob sie von Letzterem erwarteten, daß er den Fremden Lügen strafen sollte.

Doch das Bewußtsein, rechtlich, ja aufopfernd gegen Swartons gehandelt zu haben, gewann rasch die Oberhand über Farnwalds augenblickliche große Verlegenheit. Er richtete sich in seiner vollen Größe auf, blickte Warner ernst in die Augen und sagte:

»Ich habe zwei Tage nach Ihnen die Damen verlassen, und bemühte mich während dieser Zeit vergebens, Madame Dorst von ihrem Racheplane gegen Robert Swarton abzubringen. Wenn Sie aber so eben den Herrn Dorst unsern gemeinschaftlichen Freund nannten, so muß ich Ihnen sagen, daß zwischen diesem und mir nie ein solches Gefühl bestanden hat. Wäre er meiner Freundschaft würdig gewesen, so würde er den jungen Mann niemals aus eine so schändliche, gewissenlose Weise dazu gebracht haben, ihn zu tödten. Ihn von seinem grausamen Verfahren gegen meine Freunde, die Swartons, abzubringen, war die Veranlassung meines ersten Besuches in seinem Hause.

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Wenn Sie jedoch von meinen freundschaftlichen Beziehungen zu seinen hinterlassenen Damen reden, so sagen Sie die Wahrheit, obgleich ich die leidenschaftliche Verfolgung gegen den jungen Swarton durch die Wittwe durchaus nicht billige, oder gar rechtfertige, und mich gegen sie darüber offen und unumwunden ausgesprochen habe.«

Bei diesen Worten verbeugte sich Farnwald höflich gegen den betroffenen Warner, und wendete sich dann ruhig mit den Worten zu Swarton: »Lassen Sie uns auf den Platz gehen, ich sehe, dort kommt der Scheriff.«

Weder Swarton und Georg, noch Farnwald sagte weiter ein Wort, die beiden Erstern schwiegen, weil sie das Räthselhafte der so eben angehörten Unterhaltung nicht zu lösen im Stande waren und ein Zweifel gegen Farnwalds Freundschaft bei ihnen nicht Fuß fassen könnte, und dieser schwieg, weil jede weitere Erörterung darüber ihm als eine Entschuldigung vorkam, deren er nicht bedurfte und die ihm seiner unwürdig schien. Ernst und noch von dem Vorgefallenen bewegt, schritten sie neben einander dem Scheriff entgegen, während welcher Zeit Farnwald mit sich darüber einig wurde, durchaus Niemanden Auskunft oder Erklärung über seinen letzten Aufenthalt bei Dorsts zu geben.

Copton trat ihnen mit größter Herzlichkeit entgegen,

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gratulirte Swarton, den Advocaten Taylor für die Sache seines Sohnes gewonnen zu haben, und lobte Georg für die aufopfernde Mühe, deren er sich zu diesem Ende unterzogen hatte. Farnwald theilte dem Scheriff nun mit, daß der Advocat Mac Owen, der gegen Robert auftreten solle, so eben angekommen sei, wobei Copton bedenklich den Kopf schüttelte und darauf erwiederte:

»Das ist ein gefährlicher Mann; ich habe ihn mehrere Male in Alabama sprechen hören; er ist ein ausgezeichneter Redner - doch,« fügte er hinzu, da er den ängstlichen, besorgten Ausdruck bemerkte, der sich bei seinen Worten auf Swartons Gesichte verbreitete, »doch soll ihm Taylor ja bei weitem überlegen sein. Lassen Sie uns dem alten Harris guten Tag sagen, ich mag Taylor noch nicht stören; er sagte mir, er wünsche den Vormittag bei Robert zuzubringen.«

Während sie zusammen über den Platz nach dem Hause des Kaufmanns schritten, war der Wirth aus dem Gasthofe zu den beiden angekommenen Fremden, Warner und Mac Owen, getreten und im Begriff sie willkommen zu heißen, als Warner sagte:

»Ich bringe Ihnen hier den Herrn Advocaten Mac Owen, der dem Mörder des Herrn Dorst das Gewissen etwas anregen soll.«

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Auf dem Gesichte des Wirthes verschwand bei diesen Worten der geschäftlich freundliche, höfliche Ausdruck, er zuckte die Achseln, trat auf die Treppenstufe seiner Hausthür zurück und sagte:

»Ich bedaure, daß ich den Herren kein Zimmer zu geben im Stande bin, der hohe Richter hat eine Stube bestellt, zwei andere muß ich für die Advocaten Kapitain Reiney und Major Barclay zurückhalten und alle meine übrigen Räume sind besetzt.«

»Aber Sie werden uns doch nicht abweisen?« erwiederte Warner mit beleidigtem Tone.

»Es ist mir leid dies thun zu müssen, ich habe aber keinen Platz für Sie. Sie müssen in ein boarding Haus (Privat-Logirhaus) gehen, übrigens nehmen während der Zeit des Gerichts auch die meisten Familien der Stadt Gäste auf, es wird Ihnen daher ein Leichtes sein, ein Unterkommen zu finden. Ich kann Sie nicht beherbergen.« Hierbei gab er dem Neger, der zu den Pferden getreten war, um sie nach dem Stalle zu führen, einen Wink sich wieder zu entfernen und begab sich selbst mit einer nochmaligen Verbeugung gegen die Fremden in sein Haus zurück.

»Der Schurke ist gewiß ein Freund dieses Farnwald, der uns viel zu schaffen machen wird; er soll großen Einfluß auf die Leute hier haben. Kommen

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Sie, wir müssen sehen wo wir unterkommen,« sagte Warner zu seinem Begleiter, sie bestiegen ihre Pferde wieder und ließen sich von dem ersten Manne, der ihnen auf ihrem Wege am Platze hinunter begegnete, nach einem boarding Hause führen.

»Der Wirth drüben ist doch ein braver Kerl,« sagte Farnwald, der mit seinen Freunden unter der Veranda des Kaufmannes Harris auf leeren Kisten Platz genommen hatte, »er weist wahrhaftig den rothen Spitzbuben mit dem Advocaten ab, trotzdem er noch Raum für hundert Gäste hat, denn während der Gerichtszeit legt er, wenn es nöthig ist, zwanzig Personen in ein Zimmer. Er ist uns aber stets ein treuer Freund gewesen.«

»Ja, und er hat vor einigen Tagen dem Herrn Morting sein Haus zu betreten verboten, und als dieser ihn verhöhnte und hineinschritt, holte er eine Doppelflinte aus seinem Zimmer und bedeutete Morting ganz gelassen, er würde ihn über den Haufen schießen, wenn er nicht in dem Augenblicke sein Eigenthum verließe. Und er hält sein Wort; er hätte es so sicher gethan, als ich lebe,« sagte der Scheriff.

»Wenn wir nur lauter solche Freunde hätten, wie dieser einer ist, dann brauchten wir keinen Advocaten,« bemerkte der alte Harris.

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»Nun, wir haben deren genug, und zwar unter den bessern Leuten,« versetzte Georg.

»Gott gebe es! - in der Noth lernt man sie kennen,« sagte der alte Swarton mit einem Seufzer.

Es ging gegen Mittag als der Scheriff sich von der hohen Kiste, auf der er saß, herabgleiten ließ, denn er war ein sehr kleiner Mann, und seine Freunde aufforderte, ihm zu folgen, da es Zeit sei, zu Robert zu gehen. Bei ihrer Annäherung zu dem Gefängniß sahen sie Jerry zusammengekauert vor der Thür sitzen.

Er hatte den Kopf auf seine Knie sinken lassen und die brennenden Strahlen der Sonne, die auf ihm lagen, schien er nicht zu beachten. Als er aber die Freunde seines jungen Herrn kommen sah, stand er auf, nahm seinen alten Strohhut von seinem wollichten Haupte und trat ehrerbietig zur Seite.

Alle reichten dem treuen Sklaven die Hand und sprachen liebevolle Worte zu ihm, wobei seine großen Augen glänzten und er triumphirend hinüber nach seinen Todfeinden, den Gefährten Mortings blickte, die schweigend, doch mit boshaftem höhnischen Lächeln auf die Angekommenen schauten.

Der Scheriff öffnete die Thür des Gefängnisses und Robert stürzte seinem Vater schluchzend in die Arme. Der Alte drückte ihn an sein Herz, hob seinen

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thränenvollen Blick gen Himmel, legte seine Hände auf das Haupt seines Sohnes, schlang dann wieder seine Arme um ihn und war nicht im Stande, ein Wort hervorzustammeln. Keiner der Umstehenden wollte den Austausch ihrer schmerzlichen Gefühle stören, und Alle blickten mit bekümmertem Herzen auf den tiefbewegten alten Mann und den vor Schmerz zerknirschten Sohn.

Endlich trat der alte Swarton von Robert zurück und hob seine Hand nach oben, als wolle er ihm sagen, daß von dort allein Rettung zu erflehen und zu hoffen sei, Farnwald und Georg reichten Robert die Hände, und die seinigen derb schüttelnd, nickten sie ihm bedeutungsvoll zu. Diese Sprache verstand er wohl, seine Augen erglänzten, und mit einem glühenden Blicke sah er durch die offene Thür nach seinen verhaßten Wächtern hinüber. Nachdem der alte Swarton sich einigermaßen beruhigt und sich mit seinem Sohne ausgesprochen halle, machte ihn Georg mit dem Advocaten bekannt, während sich Farnwald mit dem Gefangenen unterhielt.

»Nun bis Morgen, junger Freund,« sagte Taylor nach einer Weile freundlich zu Robert; »Morgen lasse ich mich wieder bei Ihnen einschließen. Es hat mir

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recht gut hier gefallen, die Zeit ist uns nicht lang geworden.«

Der alte Swarton umarmte seinen Sohn abermals und sagte:

»Bis Morgen, mein Robert, hoffe auf Deine Freunde und auf Deinen Vater!«

Die letzten Worte sprach er mit einem entschlossenen, kräftigen Tone, schüttelte des Gefangenen Hand und folgte den Andern hinaus in das Freie, während Jerry sich neben dem Scheriff, der die Thür zum Schließen ergriffen hatte, vorbeidrängte, um eilig noch seinem Herrn die Hand zu küssen.

Robert preßte den ehrlichen Diener an sein Herz, schob ihn dann zur Thür hinaus, Copton drückte dieselbe wieder in ihren rostigen Angeln zu und drehte den Schlüssel knarrend in dem Schlosse.

Als Swarton mit seinen Freunden den Hügel hinabschritt, begegneten ihnen Morting und Warner mit dem Advocaten Mac Owen in ihrer Mitte. Diese thaten jedoch, als ob sie jene nicht bemerkten, und schritten eilig dem Lager zu, wo sie von Mortings Genossen bewillkommnet wurden.

»Habt Ihr den rechten Löwen mitgebracht, Warner?« rief einer der Burschen, sich nach diesem auf seiner wollenen Decke, auf der er lag, umwendend.

»Habt doch den Strick nicht vergessen?« schrie ein Anderer, der auf dem Rücken im Grase lag, laut genug, daß es Robert in seinem Hause hören mußte, und stieß dann noch einige wilde, gellende Schreie aus.

Mac Owen war ein großer breitschulteriger Mann, mit hoher kahler Stirn, die zu ihren Seiten mit dünnem lockigen schwarzen Haar begrenzt wurde. Unter seinen buschigen schwarzen Brauen schauten ein Paar große dunkele Augen hervor, deren befehlender herrschender Blick zu sagen schien, daß dieser Mann gewohnt sei, über seine Gegner zu siegen, und daß es ihn wenig kümmere, wer ihm gegenüber stehe und welche Waffen er gebrauche. Wenn auch sein Aeußeres einen angenehmen Eindruck nicht machte, so war er doch ein schöner stattlicher Mann, dem man es ansah, daß er wußte, wie sich ein Gentleman zu bewegen habe.

Morting und Warner breiteten für ihn eine wollene Decke in dem Grase unter einer schattigen Eiche aus, und setzten sich zu ihm auf dieselbe nieder.

»Ihr habt mir ja schreiben lassen, Morting,« begann Warner zu diesem gewendet, »daß Ihr schon das ganze Nest auf Eurer Seite hättet, und dennoch wollte uns der Lump von einem Wirth nicht in seinem Hause aufnehmen, obgleich er sicher noch Raum genug übrig hat.«

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»Was ich Euch schreiben ließ, war die Wahrheit, denn außer einigen hiesigen Aristokraten war Alles auf unserer Seite, und ich glaube, es wäre damals ein Leichtes gewesen, einen Mob (Pöbelaufruhr) auf die Beine zu bringen, um den Herrn Swarton zu lynchen (durch den Pöbel zu richten). Da kam aber der verdammte Kerl, der Farnwald, hierher, hielt öffentliche Reden, brachte den Scheriff gegen uns auf, ritt im Lande herum zu den Leuten, die er, wie man hört, wenn sie krank waren, unentgeltlich behandelt hat, und drehte den Strom wieder gegen uns. Er verrechnet sich aber doch, denn die meisten, die ihn glauben machen, daß sie es mit seiner Partei halten, spielen gegen ihn, wenn es zum Treffen kommt. Wir haben die größte Zahl für uns gewonnen, müssen aber während der Gerichtstage noch ein paar Tausend Dollar springen lassen.

»Haben Sie denn zuverlässige Leute, die beschwören, daß Swarton schon vor längerer Zeit in ihrer Gegenwart erklärt habe, er wolle Dorst auflauern und ihn erschießen? Es ist dies der wichtigste Punkt, damit wir ihm den wohlüberlegten, schon lange beabsichtigten Mord beweisen können. In diesem Falle hilft ihm Nichts von dem Galgen,« sagte der Advocat zu Morting gewendet.

»Leute zum Schwören?« antwortete Morting mit

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einem schallenden Gelächter, wendete sich auf seinem Lager nach den Gefährten um, und winkte mit der Hand in einem Bogen bei ihnen vorüber, indem er fortfuhr:

»Wenn Ihnen die Zeugen hinreichend scheinen, so kann ich Ihnen sagen, daß sie sämmtlich Alles schwören, was Sie wünschen können, und wäre es: daß es jetzt stockfinstere Nacht sei,«

»Fünf oder sechs von ihnen sind genug; Sie müssen mir die Besten aussuchen, so etwas gesetzte Leute, die haben mehr Glaubwürdigkeit. Ich will sie dann schon instruiren. Nun aber, was diesen Farnwald betrifft, so scheint es mir auch, als könne er uns viele Hindernisse in den Weg legen. Wir müssen ihn unschädlich machen und zwar dadurch, daß wir ihn selbst in Anklage versetzen. Es wird ein Leichtes sein, auch Zeugen zu finden, die beschwören, daß er den Mörder zu der That aufgereizt habe. Dann sind wir ihn wenigstens während des Gerichtes los,« sagte der Advocat.

»Das geht nicht,« erwiederte Warner, »erstens würden wir das Volk gegen uns aufbringen, da er zu großen Anhang hat, wenn es sich um seine Person handelt; er ist der einzige Arzt hier in der Gegend.

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Und dann würde unsere eigene Partei sich gegen uns erklären. Ich meine Madame Dorst und ihre Tochter. Die sind blind in ihn vernarrt. Den müssen wir ungeschoren lassen.«

»Hm,« sagte der Advocat vor sich hin und drückte seine Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger, »das ist schade, es hätte uns die Sache sehr erleichtert.«

Dann nach einer kurzen Pause, während welcher er sinnend vor sich niederblickte, fuhr er zu Morting gewandt fort: »Wenn nun einer Ihrer Leute Streit mit ihm suchte, vielleicht könnten wir ihn selbst dem Staatsanwalt überliefern?«

»Das Amt würde wohl am besten für mich selbst passen, ich hätte ohnedem Lust, ihm ein Andenken zu geben,« sagte Morting mit funkelnden Augen.

»Nein, nein, dazu rathe ich nicht, wie gesagt, er steht zu sehr in der Gunst meiner Cousine und widerfährt ihm durch uns etwas Uebles, so wären dieselben im Stande, die ganze Klage gegen Swarton zurückzunehmen. Der Staatsanwalt würde diesen dann nicht lange verfolgen und Ihr, Morting, würdet neue Schwierigkeiten haben, bis ihr wirklich in den Besitz von Swartons Eigenthum kämet. Besser, wir bleiben mit Farnwald anscheinend in freundlichem Vernehmen,

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es kann uns ja doch nicht fehlen, den Mörder an den Galgen zu bringen, und dann wird der Dank meiner Cousine keine Grenzen haben,« erwiederte Warner.

»Alles hängt nur von der Wahl der Geschwornen ab,« bemerkte Mac Owen.

»Wir haben eine große Zahl von den in der County ansässigen Leuten heimlich auf unsere Seite gebracht, die anscheinend mit Swartons befreundet sind und sich laut für sie aussprechen, doch darf, wenn der Scheriff sie gewählt hat, kein Geld bei ihnen gespart werden,« sagte Morting und fügte dann noch hinzu: »Meine Leute sind fleißig gewesen und haben es am Zutrinken nicht fehlen lassen.«

Die Glocke tönte vom Wirthshause herüber und rief zum Mittagsessen.

»Ich denke, es wird auch wohl für uns Zeit sein, zu Tisch zu gehen; kommt mit, Morting, und eßt bei uns,« sagte Warner, indem er sich erhob.

»Sie können mir die Namen der hiesigen Bürger und nahe wohnenden Farmer angeben, welche in Ansehen stehen, damit ich mich um ihre Bekanntschaft bewerbe und möglichst auf sie einwirken kann,« sagte der Advocat zu Morting, indem er gleichfalls aufstand, »ich muß während dieser Woche noch sehr thätig sein.«

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Sie schritten nun zusammen ihrem boarding Hause zu, auf welchem Wege Morting ein halbes Dutzend Männer anrief und sie einlud, mit ihm zu Mittag, zu speisen.

Auch in dem Gasthause war die Tafel sehr besetzt, denn Farnwald, Swarton und Georg Blanchard, jeder von ihnen hatte einige Freunde dazu eingeladen und außerdem betheiligten sich noch viele Andere dabei, welche zu der Swartonschen Partei gehörten und diese Zeit gern in der Nähe der Freunde zuzubringen wünschten. Unter diesen befand sich auch ein Schullehrer, der allgemein unter dem Namen der einbeinige Patrick bekannt war und Patrick Black hieß. Den Beinamen trug er mit Fug und Recht, denn er hatte nur ein Bein und an den Stumpf des andern hatte er einen hölzernen Stock geschnallt. Im Uebrigen war er klein, wohlgenährt, hatte ein rothes, volles Gesicht, starkes Unterkinn, dicke Nase und aufgeworfene Lippen, die ebenso wie sein röthlich gelbes Haar das Blut seiner Vorfahren bekundete. Seine eigentliche Heimath war Irland, von wo er vor längerer Zeit ausgewandert war und nach vielen verschiedenen Aufenthalten in den vereinigten[Vereinigten] Staaten und mancherlei betriebenen Erwerbzweigen, denn er sollte nach einander Barbier, Hutmacher, Bäcker, Arzt und herumziehender Kaufmann

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gewesen sein, sich hier an der Frontier, ungefähr eine Meile von C***, als Schulmeister vor mehreren Jahren niedergelassen hatte. In seiner Heimath mußte er die höheren Schulen besucht haben, er wußte von Vielem Etwas, gab Unterricht in Allem was verlangt wurde und galt für einen sehr gelehrten Mann. Er wohnte in einem Blockhause, welches ihm die Leute der Umgegend im Walde, wo vier Hauptstraßen an einem Kreuzwege zusammenkamen, aufgerichtet hatten, damit sie ihre Kinder zu Pferd oder zu Maulthier auf allseits nicht zu weiten Wegen in seine Schule schicken konnten, wenn auch manche eine Entfernung von zwei, drei auch vier Meilen zurückzulegen hatten. Diese Kinder ritten dann nach dem Frühstück, mitunter zwei, auch drei zusammen auf einem Thiere zu ihm hin, nahmen in einem Blechkesselchen am Arm ihr Mittagsessen mit und zogen Abends wieder nach Hause. Die Reitthiere standen dann während des ganzen Tages an einem der Bäume in der Nähe des Schulhauses angebunden.

Patrick führte überall gern das Wort, sprach sehr laut, gebrauchte viele gelehrte, namentlich lateinische Ausdrücke, welche niemand von seinen Zuhörern verstand; bei öffentlichen Wahlen, Festen und Gerichtstagen fehlte er niemals und versäumte keine Kirche.

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Er war Wittwer und hatte eine Tochter von einigen dreißig Jahren, welche ihm den Haushalt führte und Mary hieß. Dieselbe trug den Kopf sehr tief zwischen den Schultern, hatte feuerrothes Haar, große, wie Perspective hervortretende Augen und in ihrem ungewöhnlich großen Munde war nur noch ein einziger Zahn sichtbar, der ernst und drohend zwischen ihren aufgeworfenen Lippen hervorstand. Auch sie galt für sehr gelehrt und ertheilte Unterricht namentlich in der Arithmetik, der Philosophie und den schönen Künsten.

Bei dem Zeichnenunterricht wählte sie vorzugsweise Gegenstände aus der Bibel zu Mustern, die sie selbst zusammenstellte und stets reichlich mit Engeln versah, welche immer eine große Aehnlichkeit mit ihr selbst hatten, während die ehrwürdigen Altväter auf ihren Bildern eine Familienähnlichkeit mit Patrick trugen. Wenn nun auch diese Producte ihres Malertalents in den Schulen Europas keinen Anklang gefunden haben würden, so erregten sie doch in diesem Lande viel Aufsehn und prangten nicht selten als hochgeschätztes Geschenk von Mary in den Blockhäusern ihr befreundeter Farmerfamilien.

Die Musik war ihre Hauptstärke und insbesondere ertheilte sie vorzüglichen Unterricht auf dem Piano.

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Das Instrument, welches sie besaß, war zwar ein solches aus der Vorzeit, dessen Saiten noch, statt mit Klöpfeln, mit Federposen angeschlagen wurden. An vielen Saiten fehlten die Federposen und bei vielen von diesen fehlten die Saiten, so daß eine große Zahl der Töne beim Spielen auf dem Instrumente ausblieben; die Lehrerin aber wußte sich sehr geschickt zu helfen und ersetzte den Mangel durch ihre eigene etwas heisere Stimme. Sicher ist es, daß die Schüler fertig Noten lesen, tüchtig vom Blatte spielen und sehr pünktlich Takt halten lernten, den entweder Mary mit dem Stiel eines zerbrochenen Sonnenschirms, oft aber auch Patrick mit seinem hölzernen Bein bei den Uebungen angab.

Der alte Swarton war die Hauptveranlassung gewesen, daß Black hier eine Heimath gefunden hatte, als derselbe gänzlich hülflos und arm in diese Gegend gekommen war. Er hatte ihn und seine Tochter in seinem Hause aufgenommen und bei den Pflanzern in der Umgegend Unterschriften gesammelt, wie viel Kinder Jeder zu ihm in die Schule schicken wollte, auch sie aufgefordert, gemeinschaftlich mit ihm für den Heimathslosen ein Haus aufzubauen. Virginia, Bill und Charles Swarton waren Schüler von diesem Lehrerpaar gewesen, und es war wohl sehr natürlich, daß

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Herr Black für einen großen Anhänger dieser Familie galt, deren Lob er überall bisher laut verkündet hatte. Jetzt war die Zeit gekommen, wo er seine Dankbarkeit an den Tag legen konnte, und Gelegenheit suchte, dies öffentlich zu thun. Er hatte sich heute auch zu Tische im Gasthause eingefunden, da er bei seinem zufälligen Besuche der Stadt gehört hatte, daß sein vom Unglück so schwer heimgesuchter Freund Swarton sich hier befände. War es nun ohnehin schon seine Gewohnheit, in Gesellschaft das Wort zu ergreifen, so that er es heute mit um so größerem Eifer. Laut und ohne alle Zurückhaltung sprach er sich über das abscheuliche Verfahren gegen Robert aus, nannte Dorst und seine Anhänger Räuber und Landdiebe, und erwartete von dem Rechtsgefühl der zu erwählenden Geschwornen, daß sie den Angeklagten freisprechen würden. Dabei gerieth er in solche Aufregung und focht so sehr mit den Händen um sich, daß seine beiden Tischnachbarn so weit sie konnten von ihm abrückten, und wenn er dann den Höhepunkt seiner Begeisterung erreicht hatte, stampfte er unter dem Tische mit seinem hölzernen Beine plötzlich so heftig auf den Fußboden, daß Alles sich erstaunt nach dem unterirdischen Secundanten umblickte. Obgleich seine Ausfälle häufig stark gegen das Gesetz und dessen Vertreter

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gerichtet waren, so fühlten sich doch die beiden anwesenden Beamten, Copton und Blair, dadurch nicht verletzt, weil sie in dem Schulmeister einen Anhänger ihres Freundes sahen, der nur im Uebermaß seiner Dankbarkeit in seinen Aeußerungen zu weit ging.

Farnwald sowohl, als auch Swarton und Georg sandten oft ihre Madeiraflaschen diesem brav erscheinenden Verfechter ihrer Interessen zu, um ein Glas mit ihm zu leeren, und als die Tafel vorüber war, drückte man ihm die Hand, um ihm zu sagen, wie er einem Jeden so ganz aus der Seele gesprochen habe.

Bald darauf wurde ein kleiner fetter Schimmel vor das Haus geführt, der einbeinige Patrick sagte der Gesellschaft Lebewohl, schwang seinen Knotenstock durch die Luft und rief mit lauter Stimme:

»Viribus unitis! Einigkeit macht stark, und wenn wir zusammenhalten, so kann der ganze Staat Robert kein Haar krümmen.«

Dann holperte er im Galopp zu seinem Pony, setzte sich in den Sattel und eilte, seinen Stock fortwährend über sich schwingend, in einem scharfen Paßgang aus dem Orte.

Capitel 19.

Nächtlicher Besuch. - Der Verräther. - Der Contract. - Dipping. - District court. - Der Metzger. - Verstellter Zorn, - Der hohe Richter. - Die Methodisten. - Gottesdienst. - Die Bekehrung. - Die Spieler. - Gauging.


Farnwald, Swarton und Georg sagten ihren Freunden Lebewohl bis zum folgenden Morgen, denn von jetzt an fehlte Niemand einen Tag in der Stadt, der irgend ein Interesse bei der bevorstehenden Gerichtszeit hatte; der alte Swarton bat Taylor noch insbesondere, alle ihm zu Gebote stehenden Kräfte für Roberts Sache aufzubieten und dann bestiegen sie ihre Rosse und jeder eilte auf dem kürzesten Wege für die Nacht nach Hause.

Es war schon finster, als zwei Reiter das Städtchen verließen und in dem hohen Walde, welcher sich hart an dessen östliche Seite anlehnte, auf der rohen Straße dahin eilten.

»Es ist, wie mir Morting sagte, das allererste Haus, welches wir erreichen und steht nur etwas über

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eine Meile von hier entfernt. Wir können es nicht verfehlen,« sagte Warner, der eine von ihnen, zu Mac Owen, dem Advocaten, seinem Begleiter.

»Können wir uns auch sicher auf den Mann verlassen?« erwiederte der Advocat, »denn, wenn er doch der wahre Freund Swartons wäre, für den er allgemein gehalten wird, und wir selbst ihn unter die Geschwornen brächten, so wären wir doppelt betrogen.«

»Kein Zweifel über ihn; einem armen Teufel wie er sind tausend Dollars ein beträchtliches Vermögen. Er hat sich Morting selbst angeboten und dieser steht mit seinem Leben für ihn ein.«

»Er könnte aber möglicherweise von der andern Partei zu Morting gesandt sein, um die Rolle des Verräthers zu spielen, damit er unter die Geschwornen käme. Man muß vorsichtig zu Werke gehen,« bemerkte der Advocat.

»Mit Morting treibt Niemand gern seinen Scherz, denn es bedarf keiner großen Menschenkenntniß, um auszufinden, daß er diesen mit einem Messerstiche oder einer Kugel erwiedern würde; wir können ganz unbesorgt sein,« antwortete Warner und setzte dann noch hastig hinzu: »Ziehen Sie ihre wollene Decke um den Hals zusammen und drücken Sie Ihren Hut in

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die Augen, ich höre Pferdetritte, die auf uns zukommen und leicht können wir, obgleich wir fremd hier sind, bemerkt werden und Verdacht erregen.«

Beide Reiter zogen nun die weißen wollenen Decken, die sie über die Schultern gehangen hatten, bis unter die Hüte in die Höhe und drückten diese tiefer ins Gesicht, als wenige Minuten später drei Reiter vorübersprengten und einer derselben sagte:

»Verdammt, die Beiden müssen wenig Wärme im Leibe oder kein gutes Gewissen haben, daß sie sich so in ihre Decken verkriechen.«

Doch weder Warner noch sein Begleiter nahmen Notiz von der Bemerkung, sie drückten ihren Pferden die Sporen in die Seiten und zogen schweigend vorwärts, bis plötzlich in der Ferne ein matter Lichtschein zwischen den ungeheuern Baumstämmen aus der Dunkelheit hervorblickte.

»Das wird das Haus sein,« sagte Warner, »wir müssen unsere Pferde in dem Walde anbinden, damit man sie von der Straße aus nicht bemerken kann.«

Bald zeigten sich unter himmelhohen Bäumen die schwarzen Umrisse eines niedrigen Blockhauses und das Licht schimmerte aus einem kleinen viereckigen Glasfenster des Gebäudes hervor, welcher Luxus in diesen Gegenden des Landes noch zu den Seltenheiten gehörte,

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da man sich gewöhnlich als Schutz gegen Wind und Wetter mit einem hölzernen Fensterladen begnügte. Ranken von wildem Wein und andern Schlinggewächsen bedeckten diese Seite des Hauses, waren über dessen Schindeldach hinübergewuchert und überzogen das Fensterchen so, daß der Blick durch die kleinen Glasscheiben nicht wohl in das Innere des Hauses dringen konnte.

Die beiden Reiter hatten die Einzäunung dieser einsamen Wohnung erreicht und hielten vor deren Eingang ihre Pferde an.

»Hallo!« rief Warner nach der geschlossenen Hausthür hinüber, gleich darauf wurde der Tritt eines Fußes und der Ton eines, auf den Fußboden gestoßenen Stockes abwechselnd gehört, die Thür öffnete sich und der Einbeinige trat, die Hand über die Augen haltend, in den hellen Eingang.

»Wer ist da?« fragte er nach einer kurzen Pause und beugte sich etwas in die Dunkelheit vor, um besser zu sehen.

»Wohnt hier Herr Black?« fragte Warner.

»Zu dienen, ich bin der Mann, den Sie suchen; womit kann ich Ihnen helfen?« erwiederte der Schulmeister.

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Statt der Antwort stiegen die Reiter ab, hingen die Zügel ihrer Pferde an die Einzäunung und schritten zu Patrick hin.

»Mein Name ist Warner; Morting wird Ihnen von mir gesagt haben, und dieser Herr ist der Advocat Herr Mac Owen, von dem Sie wohl gleichfalls gehört haben. Wir wünschen Sie in der Ihnen bekannten Angelegenheit zu sprechen,« sagte Warner zu dem Irländer mit gedämpftem Tone, und indem er sich nach den Rossen umwendete, setzte er hinzu: »Es würde wohl rathsam sein, unseren Pferden einen andern sie mehr verbergenden Platz anzuweisen.«

»Wenn Sie mir folgen wollen, so werde ich Ihnen einen solchen zeigen,« antwortete der Schulmeister, schritt durch die Dunkelheit hinaus vor die Einzäunung, und dann an derselben hin in den Wald hinter dem Hause, wohin ihm Warner und sein Begleiter mit den Pferden nachfolgten und diese dort mit den Zügeln an Bäumen anbanden.

»So, nun werden höchstens die Eulen sich über den ungewöhnlichen späten Besuch wundern können. Folgen Sie mir hierher, meine Herren, ein Hinterthürchen ist zur Vorsorge immer gut. Postico falle clientem.«

Hiermit führte Patrick seine Gäste auf einem

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schmalen Pfade durch dichte Gebüschgruppen hin und her, bis zu der hintern Seite seines Hauses und klopfte an eine kleine Thür mit den Worten:

»Ich bin es, Mary.«

Die Thür that sich auf und Mary trat in die Mitte des Zimmers zurück, um sich mit geziemendem Anstande vor den eintretenden Fremden zu verneigen.

»Meine Tochter Mary,« sagte Patrick, diese den Angekommenen mit einer Verbeugung vorstellend, »ich habe kein Geheimniß vor meinem Kinde, weshalb dessen Gegenwart unsere Unterredung nicht stören wird.«

Der Schulmeister schloß dann die Thür, rückte Stühle um das Kamin, in welchem eine kleine Flamme traulich flackerte, und bat die Herren vor demselben Platz zu nehmen, während er sich an der einen, und Mary an der andern Seite niederließ. Zugleich nahm er eine kleine Pfeife von dem Gesimse, füllte sie mit Taback, den er in der Hosentasche trug, schob sie in die glühende Asche, um sie anzuzünden und lehnte sich dann, wie zu der bevorstehenden Verhandlung vorbereitet, in seinem Stuhle zurück, indem er den Stumpf seines Beines über sein einziges Knie schlug und den angeschnallten hölzernen Stock der Flamme zustreckte.

»Ich halte Abends gern ein Feuerchen lebendig, die

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Waldluft wird um diese Zeit feucht und dann kann ich dabei meine Gedanken besser sammeln und auf einem Punkte zusammenhalten.«

Unter diesen Worten nahm der Schulmeister die beiden Männer prüfend in Augenschein, um sich zu instruiren, in welcher Weise er sie zu behandeln habe.

»Wie uns Herr Morting sagte, so haben Sie sich bereit erklärt, für eine Summe von tausend Dollar für uns in der Sache gegen den Mörder des Herrn Dorst thätig zu sein, jedoch wird das Geld Ihnen nur alsdann ausgezahlt, wenn der Bösewicht von den Geschwornen schuldig erkannt wird,« redete Warner den Einbeinigen an.

»Diese Uebereinkunft habe ich mit Ihrem Freunde getroffen und wünsche, daß wir über dieselbe ein Paar Worte niederschrieben; es ist um Lebens- und Sterbenswillen,« antwortete Black, sein hölzernes Bein auf und niederschwingend, »Mary, lege doch das Schreibmaterial dort auf den Tisch.«

Die Jungfrau, deren Kopf bisher kaum über ihre Stuhllehne hervorgeragt hatte, erhob sich jetzt zu einer unerwarteten Größe, denn ihre untern Gliedmaßen waren von ungewöhnlicher Länge, sie zündete eine Oellampe an und ging damit zu dem Tische, um dem Wunsche ihres Vaters nachzukommen.

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»Sie mögen hinsetzen, daß, wenn der Mörder schuldig erkannt ist, Sie, respective Madame Dorst, sich verpflichtet erachten, mir sofort baar tausend Dollar auszuzahlen; der Dienste, welche diese Schuld begründen, bitte ich nicht zu erwähnen,« fuhr Patrick fort. »Ich werde dann der Swarton'schen Partei und dem Scheriff, der dieser gleichfalls angehört, Leute bezeichnen, die auch als deren Freunde gelten, damit sie dieselben zu Geschwornen wählen. Daß sie mir selbst gleichfalls diese Ehre erweisen werden, unterliegt keinem Zweifel. Schlägt der Scheriff andere, als die von mir Bezeichneten vor, so verwerfen Sie dieselben; sind wir gewählt, so soll das Schuldig in continenti erfolgen.«

»Sie haben sehr behutsam zu Werke zu gehen, Herr Black,« bemerkte der Advocat, »denn würde es laut, that we packed the jury, (daß wir parteiische Geschworne angestellt hätten), so würde unsere Sache rettungslos verloren sein, und Sie selbst in eine höchst bedenkliche Lage kommen. Meiner Person würde Nichts zur Last gelegt werden können, denn Sie, als Mitschuldiger, würden kein glaubwürdiger Zeuge gegen mich sein und mein Leugnen würde so viel gelten, als das Sie unterstützende Zeugniß des Herrn Warner. Ich bevorworte diese Dinge nur, um Sie auf die

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Gefahr aufmerksam zu machen und Ihnen zu zeigen, daß große Vorsicht nöthig ist.«

»Ich kenne meine Leute,« erwiederte Black mit ruhigem Tone, »glauben Sie nicht, daß ich die Finger in das Feuer stecken werde, um sie zu verbrennen. Sollte ich gelegentlich einige öffentliche Demonstrationen gegen Morting und seine Kameraden unternehmen, so sorgen Sie gefälligst dafür, daß diese sie nicht falsch deuten und etwa thätlich gegen mich werden. Ich muß öffentlich für Swartons Auftreten, um das Vertrauen, welches sie in mich setzen, zu bestätigen.«

Mary winkte ihrem Vater, daß das Schreibmaterial bereit liege, und dieser forderte Herrn Warner auf, das gewünschte Docnment aufzusetzen.

»Sie könnten es ja schreiben, Herr Mac Owen, ich unterzeichne es alsdann,« sagte Warner zu dem Advocaten.

»Ein gesprochenes Wort hinterläßt keine Spur, ein geschriebener Buchstabe aber bleibt und hat schon Manchem die Schlinge um den Hals geworfen. Schreiben Sie, ich will Ihnen dictiren,« erwiederte Mac Owen, und schritt mit den beiden würdigen Männern zu dem Tische.

Der Schein wurde nun von Warner im Namen der Madame Dorst ausgestellt und von ihm unterzeichnet mit dem Bemerken, daß eintretenden Falls er selbst für die Zahlung hafte. Dann prüfte der Schulmeister denselben, zog einen Koffer unter seinem Bett hervor und schloß das Papier sorgfältig darin ein.

Mary trug nun die Lampe auf das Gesimse über dem Kamin, wo mehrere Heiligenbilder an der Giebelwand sichtbar wurden. Auch erglänzten die blanken metallenen Beschläge einer großen Hausbibel in dem Scheine des Lichtes, und verschiedene Gesang- und Gebetbücher waren dort zu erkennen. Die Fugen der aufeinander liegenden Baumstämme, welche die Wände des Hauses bildeten, waren mit darüber genagelten Streifen gespaltenen Cederholzes verschlossen, und allenthalben prangten die Kunstwerke der Jungfrau Black, welche von derselben beim Zeichnenunterricht als Vorlagen benutzt wurden. In einer Ecke des Zimmers stand das Piano, und daneben hing eine Violine, welcher Patrick in trüben Stünden erheiternde Töne zu entlocken pflegte. Einige Fächer mit Büchern nahmen den Rest der Wand an dieser Seite der Hinterthür ein, während an der andern Hälfte derselben, und ihr gegenüber, die Ruhelager Patricks und seiner Tochter standen.

Mary hatte, wie die Uebrigen, wieder Platz genommen, und während diese sich über die bevorstehenden

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Gerichtsverhandlungen besprachen, hatte sie aus der Tasche ihres Rockes eine Büchse mit feinem Schnupftaback hervorgeholt, ein Hölzchen, dessen eines Ende ausgefasert und dadurch in eine Art Pinsel umgewandelt war, im Munde befeuchtet, dasselbe in den Taback getaucht und bestrich nun damit unter großem Wohlbehagen das Zahnfleisch, namentlich um den einzigen Ueberrest ihres Gebisses herum, der wie eine mächtige Pallisade dastand. - Es ist dies ein Genuß, der bis jetzt nur den Damen Amerikas, und zwar unter dem Namen dipping, bekannt ist, und dem Frauenzimmer aus der höchsten und niedrigsten Classe mit großer Leidenschaft fröhnen. Der Taback wird von ihnen auf die vorderen Zähne gestrichen und der Saft daraus gesogen, wie die Männer es mit dem Kautaback thun. Genuß muß diese Angewohnheit gewähren, denn sonst würde ihr nicht so allgemein gehuldigt. - Dabei bewachte Mary das Feuer im Kamin, warf sparsam immer nur ein kleines Stückchen Kienholz darauf, so daß die Flamme groß genug zur Erhaltung des Feuers und zur Beleuchtung blieb, wenn auch zu klein, um Wärme zu verbreiten.

Nachdem die Männer Alles reiflich überlegt und besprochen hatten, mahnte Warner an den Heimritt.

»Geh zur Hinterthür hinaus, Mary,« sagte der

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Schulmeister zu seiner Tochter, »und horch um das Haus herum, ob auch Niemand in der Nähe ist; res cautionem habet.

Diese folgte sogleich dem Wunsche ihres Vaters und kehrte bald mit der Versicherung zurück, daß Alles ruhig sei,

»Ut constitutum est. So bleibt es bei der Abrede,« sagte Patrick, die Hinterthür öffnend, »und sollten wir uns irgendwo begegnen, so kennen wir uns nicht. Im Falle Sie mir aber etwas mitzutheilen haben, so kommen Sie in der Nacht hierher, ich bin jederzeit zu Ihren Diensten.«

Dann führte er die Herren zu ihren Pferden, sie bestiegen dieselben, und bald verhallten deren Tritte im Dunkel des Waldes.

Mit jedem Tage nahm jetzt das Leben in dem Städtchen C*** zu, und täglich trafen mehr Fremde ein. Diese district courts, oder Bezirksgerichte, werden in jeder County des Staates zweimal im Jahre abgehalten, und alle Rechtssachen von Bedeutung werden dabei erledigt. Der hohe Richter des Staates begiebt sich dann von County zu County, und ihm nach zieht das Heer von Advocaten und Leuten, welche auf die allerverschiedenste Art während dieser Gerichtszeiten, die eine große Menge von Menschen versammeln, einen

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Nutzen zu erzielen gedenken. Methodistenprediger finden sich ein, weil sie hier viel räudige Schafe zu bekehren hoffen, Spieler sammeln sich hier, weil die aufgeregte Menge leicht zu plündern ist; denn diejenigen, welche einen Proceß gewonnen haben, schätzen das Geld nicht, dessen Besitz ihnen vor Kurzem noch zweifelhaft war, und die welche denselben verloren, drängen sich in ihrer Verzweiflung zu dem grünen Tische, um den Verlust durch das Spiel zu ersetzen. Die Leidenschaft für dasselbe ist ohnehin ein vorherrschender Zug im Charakter des Amerikaners, und außerdem thut der bei diesen zahlreichen Zusammenkünften reichlicher als sonst genossene Branntwein das seinige, die Leute noch mehr zu verlocken. Die Spieler oder sportsmen, wie diese Klasse von Menschen mit einem gefälligeren Namen gewöhnlich bezeichnet wird, folgen daher gleichfalls dem hohen Richter von County zu County, und werden von deren Bewohnern eben so sicher erwartet als Jener.

Zahlreiche Hausirer kommen mit ihren Gütern auf schwer beladenen Packthieren oder leichten Wagen, denn sie wissen, daß die Menschen mit ihnen, weil sie Fremde sind, lieber handeln, als mit den ansässigen Kaufleuten, selbst wenn sie viel schlechtere Waaren anbieten; Uhrenhändler lassen die Glocken ihrer Zeitmesser

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ertönen, Taschenspieler suchen sich durch Kunststücke und Fingerfertigkeit das Geld anderer Leute zuzueignen, Fiedler sind in den Trinkhäusern zu hören und shows (Vorstellungen) der verschiedensten Art finden statt.

Die meisten Häuser des Städtchens C*** waren zu Gasthäusern umgewandelt, viele von deren Eigenthümern quartierten sich mit ihren Familien in die Küche oder auch in einen Schoppen ein, um Fremde in ihr Wohnhaus aufnehmen zu können, denn Kost und Logis wurde während dieser Zeit sehr gut bezahlt, und da diesmal eine ungewöhnlich große Zahl von Klagesachen zu verhandeln war, so durfte man aus den andern Conntys, ja selbst aus andern Staaten, eine Menge Fremder erwarten, die dabei betheiligt waren.

Auch Dutch Charley, der sich für die Dauer des Gerichts einen Stellvertreter bei der Beförderung der Briefe genommen hatte, war hier anwesend, um das Städtchen fortwährend mit dem erforderlichen Fleische zu versorgen. Zu diesem Ende hatte er einen tüchtigen Vorrath von herrlichem Schlachtvieh herbeigeschafft und hielt dasselbe bei seiner Wohnung, die sich ganz nahe bei der Stadt befand, in einer Einzäunung auf der Weide. Jeden Morgen, wenn der Tag graute, stellte er sich mit frischem Fleische auf dem Platze unweit des Gerichtshauses ein, wo dann zugleich viele

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kleinere Farmer aus der nahen Umgegend hielten, um gleichfalls den Augenblick zu benutzen und Erzeugnisse des Landes, so wie Federvieh, Eier, Wildpret, Honig und viele andere Artikel in baares Geld umzuwandeln. So bildete sich ein förmlicher Markt, der sonst hier nicht zu sein pflegte, indem die Einwohner daran gewöhnt waren, daß man ihnen solche Gegenstände in ihren Behausungen zum Kauf anbot. Dutch Charley aber war der gefeierte Mann des Tages, da Fleisch auf dem Tische des Amerikaners die Hauptrolle spielt, und Jeder suchte sich seine Gunst zu erwerben, um während der großen Concurrenz bei Vertheilung dieses wichtigen Artikels von ihm bevorzugt zu werden. Dabei war er nicht müssig, seinen Einfluß zu Gunsten der einen oder andern Partei bei den bevorstehenden Gerichtsverhandlungen geltend zu machen und insbesondere focht er ritterlich für Roberts Sache, weil er Farnwalds Interesse dabei kannte. Er stand mit den andern Verkäufern auf dem Platze gerade dem Trinkhause gegenüber, wo sich zu dieser Zeit stets viele von Mortings Gefährten einfanden, um sich mit einem kräftigen Trunk zu erfrischen. Bei dieser Gelegenheit wurde dann Charley, namentlich wenn er viele befreundete Käufer um sich hatte, oftmals sehr laut und mitunter beleidigend gegen jene Fremde, sprach von Landräubern,

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von käuflichem Gesindel und dergleichen und schwang dabei seine Fleischaxt oder sein langes Schlachtmesser. Dagegen wurden ihm gleichfalls nicht schmeichelhafte Grüße von Jenen herübergesandt, doch mit Worten war es stets abgethan.

Eines Morgens war es schon beinahe Frühstückszeit, als Charley und eine Menge anderer Verkäufer noch auf dem Platze standen und der Markt noch in vollem Gange war. Da kam der Schulmeister Black auf seinem Schimmel die Straße heraufgeritten und hielt zwischen dem Markte und dem Trinkhause an, um seinen Freunden einen guten Morgen zu wünschen. Nachdem er in seiner zutraulichen Weise Diesen und Jenen begrüßt und auch wohl die Hand gereicht hatte, erhob er seine Stimme und sagte laut genug, daß es bei dem Trinkhause gehört werden konnte:

»Da ist ja die liederliche Bande auch schon wieder versammelt, es ist ein Schimpf für unsere Stadt, daß wir solches Gesindel hier dulden!«

»Hurrah für den einbeinigen Patrick,« scholl es als Antwort von dem Trinkhause herüber, »wenn der Kerl in die Hölle kommt, bringt er dem Teufel gleich das Holz mit, um ihn zu rösten.«

Black erschien sehr entrüstet über diesen Gruß.

» Quos ego! schrie er, seinen Knotenstock drohend

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gegen seine Widersacher erhebend, »verdammte Brut, nehmt Euch in Acht, ich möchte mich vergessen und meinen Stock an Euch beschmutzen!«

Dabei lenkte er seinen Schimmel einige Schritte auf das Trinkhaus zu und rief dann noch lauter: »Ihr Landräuber, Ihr Henkersknechte!«

Eine allgemeine Verhöhnung war der Rückgruß von Morting und seinen Gesellen und ein abermaliges Hurrah für Patrick, den hinkenden Teufel.

Der Zorn des Schulmeisters schien sich mit jedem Augenblicke zu steigern, er schwang sich von seinem Pferde und humpelte im Sturmmarsch mit erhobenem Stock bis auf einige Schritte vor seine Gegner.

»Hier bin ich!« schrie er in anscheinend höchster Wuth, »wer von Euch nun Manns genug ist, der trete hervor, damit ich ihm das capitolium zerschlagen kann!«

In diesem Augenblicke sah er den Scheriff über den Platz heraneilen, doch that er, als ob er ihn nicht gesehen hätte, wendete sich nach den Käufern und Verkäufern um und rief:

»Wer Swartons Freund und keine Memme ist, der folge mir, damit wir diese Teufelsbrut zermalmen!«

Doch jetzt hatte Copton ihn erreicht, faßte ihn unter den Arm und sagte, ihn mit sich fortziehend:

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»Herr Black, was thun Sie da? - bedenken Sie doch, daß Sie der Sache Ihrer und meiner Freunde durch Eröffnung solcher Feindseligkeiten unendlich schaden und daß dieselben mit einem allgemeinen Gemetzel enden würden. Ich bitte Sie um des Himmels Willen, beruhigen Sie sich!«

»Wer kann sich bei solchen Beleidigungen mäßigen? Diese Schurken werden ja täglich dreister und es wundert mich sehr, daß Sie den armen, unschuldigen Robert nicht schon mit Gewalt aus dem Gefängnisse geholt und gehangen haben. Da hört alles Recht und Gesetz auf!«

Dabei ließ er sich nur mit aller Kraft des kleinen Scheriffs vom Platze weg nöthigen, während er seinen Pony am Zügel hinter sich herzog.

Als sie an dem Gerichtshause angelangt waren, hatte sich eine Menge Leute um sie versammelt; der Scheriff mußte den Hergang des Vorfalls erklären und forderte dann im Namen des Gesetzes jene auf, sich ruhig zu verhalten, da schon viele Stimmen ernstlich und drohend gegen Dorsts Partei laut wurden. Patrick wurde Recht gegeben, sein Muth wurde lobend anerkannt und im Triumph und mit einem lauten Hurrah für Swartons wurde er nach dem Gasthause

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begleitet, um bei einem Glase Madeira den Aerger zu vergessen.

Die Woche verging, der Sonnabend kam heran, und kurz vor Tischzeit erschien der hohe Richter Burks zu Pferde in Begleitung von einem Dutzend Advocaten und stieg in dem Gasthofe ab.

Kaum wurde seine Ankunft bekannt, als sich zahlreiche Personen einfanden, um ihm ihre Aufwartung zu machen; man ließ ihm kaum Zeit, seine Reisekleider zu wechseln.

Er war ein würdiger alter Herr, der an der südlichen Grenze des Staates wohnte, dort eine bedeutende Baumwollenplantage besaß und dem Richteramte schon seit geraumer Zeit vorgestanden hatte. Dorsts Mord war der einzige Criminalfall von Bedeutung, der bei dem bevorstehenden Gerichte vorlag und die Vertreter Swartons, so wie die der Gegenpartei suchten den Richter von der Gerechtigkeit ihrer Sache zu überzeugen. Auch Farnwald, der schon lange Zeit aufs Genaueste mit Burks befreundet war, hatte sich bei ihm eingefunden, ihn herzlich begrüßt und ihm gesagt, daß er seinen Platz beim Mittagstische neben ihm belegen wolle, da dies ziemlich die einzige Zeit sein würde, in welcher man ungestört einander sprechen könnte. Dann überließ

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er den alten Herrn den vielen andern, die ihn von ihren Angelegenheiten unterrichten wollten.

Endlich wurde der Richter durch die Tischglocke erlöst und versprochenermaßen fand sich Farnwald bei Tafel neben ihm ein, Georg Blanchard, so wie der alte Swarton waren gleichfalls gegenwärtig und Black, der Schulmeister, hatte dem Richter gegenüber Platz genommen. Auch heute sprach er sich laut zu Gunsten Swartons aus, jedoch mit mehr Rücksicht auf das Gesetz und die Beamten. Namentlich richtete er seine Reden an den Advocaten Taylor, der neben Georg saß und schmückte dieselben mit Reminiscenzen aus den alten Classikern. Nach Tische gab es eine vielseitige Begrüßung, denn mehrere der Gäste waren erst eben angekommen und hatten unter den Speisenden viele alte Freunde erkannt. Insbesondere waren einige Advocaten angelangt, die seit Jahren dieses Gericht regelmäßig besuchten und mit Swarton sehr befreundet waren; sie sprachen ihre Theilnahme an des Alten Schicksal gegen ihn aus und erboten sich, vor Gericht zu Gunsten Roberts zu sprechen.

Allenthalben, wo die Rede von dem Gefangenen war, trat Black herzu und gab seine Meinung zum Besten, so daß es Taylor förmlich auffiel und er Georg Blanchard fragte:

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»Hat der Mann mit dem einen Beine vielleicht ein besonderes Interesse, seine Freundschaft für Swarton so laut zu verkünden?«

»Kein anderes, als was ihm seine Dankbarkeit eingiebt, denn der alte Swarton hat ihn arm und heimathslos zu sich genommen und ihm hier ein gutes Brod verschafft. Kein Wunder also, daß der Mann an ihm hängt und sich ihm gern dankbar erweisen möchte.«

Nachmittags suchte Jedermann denjenigen auf, mit dem er die bevorstehenden Geschäfte zu bereden hatte, und es war eine allgemeine Vorbereitung für den Uebermorgen beginnenden district court.

Auf dem Platze, in den Straßen, vor den Hänsern standen Gruppen zusammen, hier auf einem Steine, dort unter einem Baume oder auf einer Einzäunung saßen zwei oder mehrere Männer in tiefem Gespräch begriffen und die Advocaten und Beamten liefen geschäftig hin und her.

Als aber der Abend hereingebrochen und das Abendessen eingenommen war, rief das kleine Glöckchen, welches neben der von Holz erbauten, nicht großen, aber netten Kirche zwischen zwei aufrechtstehenden Balken hing, zum Gottesdienst und der helle Schein der Kerzen, die in dem Hause Gottes an den weißen Wänden leuchteten, drang durch die großen Fenster und die

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weit geöffnete Thür und ladete freundlich ein, herein zu treten.

Von den Frauenzimmern der Stadt, deren Zahl im Verhältniß zu der augenblicklichen Bevölkerung sehr gering war, fehlten heute nicht viele bei dem Gottesdienste; die Methodistinnen erschienen in ihrer einfachen braun[-] oder grauseidenen Kleidung, während die Frauen anderer Confessionen in ihrem vollsten Staate prangten.

Wenn die Ausübung des Gottesdienstes unter den Methodisten neuerer Zeit gegen die ursprünglich im Jahre 1735 von dem Stifter dieser Sekte, John Wesley, gegebenen Bestimmungen auch manche Abänderung erlitten hat, so sind doch die Hauptpunkte dieses Glaubensbekenntnisses noch dieselben. Hierher gehört namentlich der Glaube an ein natürliches Verderben des Menschen und an eine nothwendige Wiedergeburt, ein Abwerfen der Erbsünde durch starke Gemüthsaffection, durch Seufzen, Schluchzen, Geheul und Verzückungen, welches von den Bekennern dieses Glaubens >Durchbruch der Gnade< genannt wird, durch den für den Menschen eine größere sittliche Vollkommenheit erzielt werden soll. Gelehrte Theologen finden sich selten unter ihnen, ihre Geistlichen gehören meist allen Ständen an, setzen nebenbei ihre Gewerbe fort, und nur einzelne beschränken sich ausschließlich auf das

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Predigeramt. Die Methodisten halten nicht allein Sonntags, sondern auch in den Wochentagen, und dann nur Abends Gottesdienst, und ziehen zur Zeit, in der Jesus in der Wüste lebte, hinaus in den Wald, wo sie wochenlang bleiben und unter freiem Himmel ihre Andacht ausüben, welche Auszüge sie camp meetings nennen.

Die Kirche in C*** war im weiten Umkreise die einzige, und zwar von den Methodisten, zu welchen sieben Achtel der Bevölkerung zu zählen war, erbaut, aber auch die Bekenner anderer Confessionen besuchten sie, um hier gleichfalls ihre Andacht zu verrichten.

Viele Reiter und Reiterinnen waren aus der Umgegend zur Stadt gekommen, hatten ihre Reitthiere in der Nähe der Kirche angebunden und sich in dieselbe begeben. Unter ihnen hatte auch die Familie Swarton in den Reihen der Andächtigen Platz genommen. Das Haus war bald zum Erdrücken voll, und während man eine Hymne anstimmte, betrat ein fremder, erst heute angekommener Prediger die Tribüne, und zu beiden Seiten der Stufen, die zu ihr hinaufführten, stellten sich noch sechs andere Methodisten-Geistliche auf. Eine Zeit lang hielten sie sich auf die Balustrade, hinter der sie standen, niedergebeugt, wie in andächtigem Gebet versunken, dann erhoben sie sich,

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stimmten laut in den Gesang mit ein und suchten denselben mehr zu beeilen, ihm mehr Leben zu geben dadurch, daß sie laut in die Hände klatschten und die Sänger durch Winken mit den Armen aufzumuntern suchten. Nach und nach erreichten sie ihren Zweck, es wurde lauter und rascher gesungen, und noch lauter und rascher schlugen die Priester in die Hände.

Plötzlich aber verhallte der Gesang und der fremde Prediger begann seine Rede. Er sprach zum Herzen, weniger wie ein Kanzelredner, mehr wie ein Vater im Kreise seiner Familie; er forderte auf, zu ihm zu kommen und die Sünden abzuwerfen, und wenn er dabei den Namen Christus nannte, so lief jedes Mal ein dumpfes Gemurmel durch die Versammlung, man beugte sich in tiefer Demuth, einzelne laut ausgestoßene Seufzer und inbrünstiges Stöhnen wurde unter den Zuhörern vernommen, und der Ausruf »O Lord have mercy!« (O Gott, habe Erbarmen) drang hier und dort von der Menge hervor. Eine ähnliche, doch minder rege Aufmerksamkeit wurde dem heiligen Geiste erwiesen, so oft er genannt wurde; beim Namen Gottes aber blieb Alles ruhig.

Nach der Predigt wurde ein frommes Gebet gesprochen, bei dem sich alle Zuhörer lebhaft betheiligten; dann stimmten die Geistlichen wieder eine Hymne an,

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doch mit gedämpfter Stimme, und die Versammlung fiel ein. Zugleich forderte der Prediger jetzt laut und dringend auf, hervor zu treten und die Sünden abzuwerfen, und er klatschte dabei nebst seinen Collegen mit steigendem Eifer in die Hände. Der Gesang wurde immer feuriger, immer hinreißender, man sah es den Sängern an, daß ihre Aufregung sich mit jedem Augenblicke steigerte und bald brauste die eintönige Melodie wie ein Orkan durch das Haus Gottes. Das Klatschen der Prediger war nicht mehr zu hören, man konnte es nur noch an den heftigen Bewegungen ihrer Arme und Hände erkennen, die höchste Begeisterung hatte sich auch ihrer bemeistert, und während sie immer unruhiger hin[-] und hersprangen, richteten sie ihre Blicke wie zum Gebet nach Oben. Auch in der Versammlung fing man an sehr unruhig zu werden, hier und da sprangen deren Mitglieder für Augenblicke in die Höhe und schlugen die Hände über sich zusammen, einzelne laute wilde Schreie drangen durch die stürmisch fluthende, ewig unveränderte Melodie des Gesanges, und die ganze Menge schien in einen Zustand von Raserei gefallen zu sein.

Die Priester hatten jetzt die Tribüne verlassen und sich unter die von entfesselter Begeisterung ergriffene Menge begeben. Man sah sie über junge, noch nicht

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bekehrte Mädchen hingebeugt stehen, ihre Arme um sie schlingen, ihre Hände auf deren Kopf legen und ihnen in die Ohren flüstern. Dabei wogte der Sturm des eintönigen Gesanges stiegend und ununterbrochen fort.

Der fremde Geistliche war zu einem jungen Mädchen getreten, auf dessen engelschönen, unschuldigen, lieblichen Gesichtszügen ein Ausdruck von Nervenaufregung, von Angst und Verwirrung verrieth, daß jene ersehnte himmlische Begeisterung sich ihr nahe, die nothwendig war, um im Durchbruch der Gnade ihre Sünden abzuwerfen und neu und rein wiedergeboren zu werden. Er hatte seinen Arm auf die Banklehne hinter ihr gelegt, sich zu ihr niedergebeugt und flüsterte ihr in das Ohr, während er seine Rechte auf ihr gesenktes Haupt hielt.

»Der heilige Geist ist Dir nahe, Schwester Adeline,« sagte er zu dem bebenden Mädchen, »fühlst Du seine Gegenwart nicht? - er breitet seine Arme nach Dir aus, er will Dich an sein himmlisches Herz drücken, er will Deine Lippen mit seinem göttlichen Munde berühren, - siehst Du die Engel nicht, die ihn und Dich umstehen, hörst Du nicht ihre beseligenden Lieder? - Wirf Dich ihm in die Arme, öffne ihm Dein Herz, gieb ihm den Kuß der ewigen Liebe, er

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will Dir Deine Sünden abnehmen und Dich zu dem himmlischen Throne Deines Gottes führen.«

Adeline seufzte und schluchzte laut und ihre Thränen flössen reichlich in ihren Schooß, sie zitterte am ganzen Körper, sie preßte ihre Hände krampfhaft zusammen.

»Jetzt ist es Zeit, liebe Schwester,« flüsterte der Geistliche ihr dringender in das Ohr, und wilder und rasender brauste der Orkan des Gesanges.

»Deine Sünden, Adeline, wirf sie ab um Deines Erlösers Willen!« rief die Mutter der zu Tode ergriffenen Tochter zu und hielt ihren Arm mit den Händen umfaßt.

»O, lasse den Heiland nicht auf Dich warten, Schwester, gieb ihm den Kuß, den er von Dir fordert - Dein Gott harret Deiner,« sagte der Geistliche noch dringender, umschlang mit seiner Linken die arme Sünderin und suchte sie zum Aufstehen zu bewegen.

Mit einem entsetzlichen Schrei warf sich Adeline zurück, richtete ihre Blicke wild und verwirrt nach Oben und schlug die Hände über sich zusammen.

» Komm Schwester, eile. Du liegst in den Armen Deines Heilandes!« rief der Priester ihr in das Ohr - und zog sie zu sich heran, ihre Mutter hob sie zu ihm

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auf, die übrigen Geistlichen hatten sämmtlich ihre Hände um sie gelegt und halb leitend, halb tragend führten sie das zur Verzweiflung geängstete Mädchen durch die singende, klatschende und jauchzende Versammlung vor die Tribüne, wo es in die Knie sank.

»Wirf Deine Sünden ab, - Jetzt ist es Zeit - der heilige Geist hat Dich umarmt - der Heiland küßt Dich! - « riefen die Priester der Reuigen, über sie hingebengt, zu, deren Geberden jetzt immer wilder, immer wahnsinniger wurden, bis sie zuletzt ihre Kleider von ihrem Körper riß, sich das Haar zerraufte und die gellend entsetzlichsten Schreie ausstieß. Der Gesang raste dabei ohne Unterbrechung fort.

Endlich verließen das junge Mädchen die Kräfte, erschöpft wankte dasselbe zurück und sank mit Todtenblässe übergossen ohnmächtig auf die Erde. Ein über sie geworfenes schwarzes Tuch entzog sie den Blicken der Anwesenden, die Priester sanken flehend neben ihr nieder, der S[t]urm des Gesanges verwogte und die Versammlung beugte sich demüthig zum Gebet.

Eine lange Zeit, während der sich der Gesang wieder erhob, lag die bekehrte Adeline bewegungslos da, und als das Leben in ihr wiederkehrte, leiteten sie im schwarzen Tuch die Priester zu ihren Eltern zurück,

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die sie mit seligen Blicken und unter Freudenthränen in ihre Arme schlossen. -

»Das Spiel ist gemacht,« schallte es mit ernster kalter Stimme aus der offenen Thür des Blockhauses der Kirche gegenüber hervor, und mit dem Ausruf »Der Bube und die Zehn« brach dort ein Donner von wilden Flüchen los.

In dem vordern Raume des Gebäudes saß ein junger bleicher schwarzgelockter Mann hinter dem grünen Tische und hatte Bank aufgelegt. Um denselben dicht gedrängt standen die Spielenden, und konnten nur mit Mühe dazu gelangen, ihr Geld auf den Tisch zu befördern.

Morting stand unmittelbar an der grünen Tafel und hatte einen Haufen Goldes vor sich liegen, der bald wuchs, bald sich wieder rasch verminderte. Neben ihm stand einer seiner Gefährten Namens Breeding, ein breitschulteriger wüst aussehender junger Mann, an dessen Daumen man, wenn er die Hände auf den Tisch streckte um Geld zu empfangen oder zu geben, bemerken konnte, daß die Nägel ungewöhnlich lang gewachsen und nach der Mitte zugespitzt waren.

Der Spieler hatte eben verschiedene Gewinnste ausgezahlt und den Spielenden zugeschoben, als Breeding und ein anderer hinter ihm stehender Mann ihre Hände

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zu gleicher Zeit nach einem der Beträge ausstreckten und denselben zu ergreifen suchten. Breeding schlug des andern Hand heftig zurück und rief, indem er sich nach ihm umblickte:

»Verdammter Dieb, das Geld gehört mir!«

Doch im nämlichen Augenblick schlug der so Angeredete ihn mit der Faust auf den Kopf, daß ihm der graue Filz, den er trug, bis über die Augen herunter sank. Breeding aber hatte seinen Gegner festgefaßt, im Augenblick hatten sich die Kämpfenden umschlungen und während Morting ersterem den Hut vom Kopfe riß, sanken sie, über und überrollend, zwischen dem Gedränge auf den Fußboden.

Ein furchtbarer, durch Mark und Bein dringender Schrei wurde jetzt zwischen den Ringenden gehört und Breeding sprang mit den Worten auf:

»Verdamm Deine Seele und Deine Augen, Du bist gezeichnet!«

Auch sein Gegner raffte sich auf, doch nicht um den Kampf zu erneuern, denn er schrie um Hülfe, das Blut strömte von seinem Gesichte und sein rechtes Auge hing aus dem Kopfe gedrückt bis auf seine Backe herab. Breeding hatte es mit dem Daumen aus seiner Höhle gehoben und ein Meisterstück von

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gauging, wie die in dieser Gegend sehr gewöhnliche Operation genannt wird, ausgeführt.

Ein allgemeines schallendes Gelächter war die Antwort auf des Unglücklichen Jammer- und Hülfegeschrei, man führte ihn hinaus zu dem Brunnen und das Spiel nahm seinen Fortgang, während in dem hintern Zimmer, welches sich in einem, aus Brettern aufgeführten Anbau befand, an dem da herrschenden Jubeln, Lachen und Schwören der Effekt[Effect] des reichlich genossenen Branntweins zu erkennen war.

Auch das Trinkhaus am öffentlichen Platze war mit Gästen angefüllt, vor den Häusern sah man in Gespräche vertiefte Männer sitzen oder in der Dunkelheit auf und abgehen und aus den offnen Fenstern und Thüren der Kirche strömte der Gesang wieder mit jener stürmischen Gewalt hervor, den die Aussicht auf eine Bekehrung unter den begeisterten versammelten Methodisten hervorbringt.

Plötzlich erschallten verzweifelte Ausrufe und Schreie unter einem der Kirchenfenster, wie Hülferufe eines kräftigen Mannes, dem man das Leben nehmen will. Von allen Seiten rannte man nach dem dunkeln Platze an der Kirchenwand hin, von woher die ängstlichen Schreie kamen und im Augenblick hatte sich eine große

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Menge Neugieriger dort versammelt, deren lautes Lachen und Jubeln aber bald die Schreckenstöne überschaute. Ein kolossaler Neger war, durch die ihn begeisternden Melodien ergriffen, in das Gras niedergesunken und eifrig damit beschäftigt, sich seiner Sünden zu entledigen; er hieb mit Händen und Füßen wie wüthend um sich, faßte sich in sein kurzes wolliges Haar, schlug sich mit den Fäusten gegen die ungeheure Brust und schrie bald den Erlöser, bald den heiligen Geist um Hülfe an.

Das Lachen und Verhöhnen der Umstehenden störte ihn durchaus nicht in seiner Andacht, im Gegentheil schien es seinen religiösen Eifer noch mehr anzufeuern. Bald aber verschwand unter jenen das Interesse an diesem dort so gewöhnlichen Schauspiel, sie überließen den schwarzen reuigen Sünder seiner begonnenen Bekehrung und gingen ihren eigenen Zwecken nach.

Gegen zehn Uhr hatte der Gottesdienst in der Kirche sein Ende erreicht, die herausströmende Menge theilte sich vor der Thür derselben nach allen Richtungen hin, und die Bewohner der Umgegend, die sich darunter befanden, eilten zu ihren, in der Nähe angebundenen Pferden und Maulthieren, um ihren Heimweg anzutreten. Unter ihnen bemerkte man auch den Schullehrer Black mit seiner Tochter am Arme. Bei seinem Schimmel

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angekommen, hob er sich in den Sattel, ritt nahe vor einen Baumstumpf, welchen Mary erstiegen hatte, und diese schwang sich nun hinter den geliebten Vater auf den breiten Rücken des Ponys. Laut wünschte dann der Einbeinige seinen Bekannten eine gute Nacht und verschwand bald darauf in der Finsterniß.

Capitel 20.

Der Kirchenmann. - Die Neger am Sonntage. - Ankunft den Freunde. - Die geängstete Sklavin. - Guter Rath. - Späte Gäste. - Anfang des Gerichts. - Verhandlungen. - Falsche Zeugen. - Der falsche Freund. - Der Punsch.


Für den folgenden Morgen hatte Farnwald sich mit Georg Blanchard verabredet, bei Swartons zusammenzutreffen, da Madame Swarton beschlossen hatte, an diesem Morgen mit Virginia abermals dem Gottesdienste in C*** beizuwohnen, Georg wollte seine Mutter und Schwester mitbringen, damit jene Damen einen Trost an den Seinigen haben sollten. Gleich nach dem Frühstück trafen sie verabredeter Maßen bei Swartons ein und tief bekümmert und weinend bestiegen diese ihre Pferde, indem sie den heutigen Kirchengang als eine letzte flehentliche Bitte an ihren Schöpfer betrachteten, bei dem bevorstehenden Urtheil über Robert demselben gnädig zu sein. Schweigend zogen sie in die Stadt, als die Glocke zum dritten Male ertönte. Die Kirche war schon gedrängt mit Menschen angefüllt und namentlich war

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eine ungewöhnliche Zahl von Frauenzimmern in glänzender Toilette gegenwärtig. Aller Augen richteten sich auf die, in tiefe Trauer gekleidete Mutter und Schwester Roberts, als sie, niedergebeugt eintraten und ehrerbietig und theilnehmend machte man den Bekümmerten Platz zum Vorgehen. Der Schullehrer Black erhob sich von seinem Sitze neben Mary, eilte auf die Kommenden zu und geleitete sie zu seiner Tochter, neben welcher noch Raum auf der Bank für die Damen war. Er selbst schritt dann mit den Männern zurück nach dem Eingänge zu, um stehend dem Gottesdienste beizuwohnen.

Heute blieb der Gesang der Andächtigen in den Schranken der Ruhe und der Redner vom Abend zuvor hielt eine erbauliche Predigt. Zu seinem Texte hatte er den verlorenen und wiedergefundenen Sohn gewählt und nicht auf die Familie Swarton allein wirkten seine frommen Worte ergreifend. Madame Swarton und Virginia schluchzten laut und anhaltend und als der würdige Geistliche noch zuletzt die reuigen Sünder in sein Gebet schloß, schienen sie in Thränen zu vergehen. Die Theilnahme unter den Anwesenden war groß und aufrichtig und als Swartons nach beendigtem Gottesdienste zurück zu ihren Pferden wankten, drängten sich sehr viele Freunde zu ihnen, um abermals

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ihren Antheil an dem herben Schicksale, das sie betroffen, gegen sie auszusprechen und ihnen Trost und Hoffnung einzureden.

Die Familie Blanchard begleitete die Trauernden nach Hause, doch Farnwald blieb in der Stadt, um mit Taylor noch einen Besuch bei Robert zu machen. Sie fanden denselben sehr gefaßt und voll Hoffnung, daß ihn das Gericht freisprechen werde; dennoch sah man es ihm an, daß sein Haupttrost auf den stummen Versicherungen ruhte, die ihm Farnwald in Gegenwart des Scheriffs verstohlen zuwinkte. Letztere Beiden verließen Robert und dessen Advocaten, Copton verschloß das Gefängniß hinter ihnen und Farnwald begab sich nach dem Gasthause, wo die Tischglocke ertönte.

Während des Essens beredete er mit dem hohen Richter Roberts Angelegenheit, und nach Tisch setzten sie sich zusammen vor das Gasthaus, um hier, wo sie nicht behorcht werden konnten, ihre Ansichten unverhohlen auszusprechen, Burks hielt des Gefangenen Lage nach dem was ihm bis jetzt davon bekannt war, für höchst bedenklich, versicherte jedoch Farnwald zu gleicher Zeit, daß er mit voller Ueberzeugung Alles vorbringen würde, was ein mildes Urtheil herbeiführen könne. Auch theilte er ihm mit, daß der Staatsprocurator für Robert gestimmt sei und deshalb seine

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Verfolgung nicht mit scharfem Nachdruck betreiben werde.

Unterdessen die beiden nun in dieser Unterredung begriffen waren, rief das Glöckchen abermals zur Kirche, diesmal aber für die farbige Bevölkerung der Stadt und Umgegend.

Wer Tags zuvor diese leibeigenen Geschöpfe als Feldneger und Haussklaven, halb nackt in grober zerlumpter Kleidung bei der Arbeit gesehen hätte, würde nimmermehr geglaubt haben, daß die jetzt von allen Seiten heranziehenden schwarzen Herren und Damen dieselben Personen sein könnten. Die, welche nicht in der unmittelbaren Nähe der Stadt ihre Herren hatten, kamen auf blank geputzten Pferden oder Maulthieren herangeritten, welche die Herrschaften ihnen bei solchen Gelegenheiten bereitwillig überlassen, und zwar oft zwei, auch drei von ihnen auf einem Reitthiere. Die Männer waren sauber gekleidet und die Sklavinnen waren auffallend geputzt. Die jungen Männer trugen meist einen schwarzen Frack, blendend weiße Beinkleider, Westen von den grellsten buntesten Farben, hohe Vatermörder und runden schwarzen Hut; der eine oder der andere von ihnen hatte sogar weiße Handschuhe über die ungeheuern schwarzen Hände gezwungen.

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Die fettig schwarzen Gesichter der Mädchen mit den platten, weitgeflügelten Nasen, kolossalen aufgeworfenen Lippen, blendend weißen Zähnen und funkelnden großen Augen glänzten höchst komisch aus einem mit Federn, Blumen und Bändern verzierten weißen Atlashut hervor, und die grellsten geschmacklosesten Farben waren von ihnen zu Kleidern, Tüchern und Shawls gewählt. Es ist eine solche Parade am Sonntag fast das einzige Vergnügen, welches diesen von der Natur und von ihren weißen Mitmenschen so stiefmütterlich behandelten armen Geschöpfen gelassen ist, und indem sie während dieser Stunden träumen, ihren Tyrannen, den weißen Brüdern und Schwestern, ähnlich zu sein, fühlen sie sich glücklich und vergessen zum Theil das Elend, mit welchem ihr Leben so fest verflochten ist. Von der Arbeit, die sie nach Sonnenuntergang oft spät in der Nacht auf einem ihnen bewilligten Stückchen Land noch vollbringen, und von Federvieh, Eiern, Nüssen, Früchten, Honig, Wachs und dergleichen mehr, welche Artikel sie sich mit Erlaubniß ihrer Herrschaft durch ihren Fleiß erwerben und dann verkaufen, schaffen sie sich diesen Putz an, um Sonntags sich darin ihres Lebens zu erfreuen und ihn dann Abends wieder für die Dauer einer Woche in ihren Kasten zu vergraben.

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Ein junger Neger aus Blanchards Nachbarschaft mit lachendem enormen Munde, in schwarzem Frack und weißen Beinkleidern, die ihm nur ungefähr halbwegs über die stark nach vorn gebogenen Schienbeine reichten und um so mehr die riesigen Füße sehen ließen, kam auf einem Ackerpferde neben Blanchards Negermädchen, Rosa, die von einem hübschen Maulthiere getragen wurde, bei Farnwald und Burks vorübergeritten und sprach zierlich und galant zu seiner schönen Begleiterin:

»Ich habe mir am letzten Sonntage die Freiheit genommen, bei Ihnen vorzusprechen, um Ihnen meine Aufwartung zu machen, Fräulein Rosa, hatte aber nicht das Glück, Sie zu sehen. Fräulein Cis (Cäcilia) sagte mir, Sie wären noch mit dem Aufwaschen der Schüsseln beschäftigt. Ich habe Ihnen aber meine Karte hinterlassen.«

»Die habe ich erhalten, Herr Cicero,« antwortete Rosa, den Sonnenschirm zum Schutz für ihren Teint gegen die Sonne haltend, »ich hoffe aber, daß Sie mich recht bald mit Ihrem persönlichen Besuche erfreuen werden; sollte ich noch beschäftigt sein, so bitte ich, hinter dem Hause ein wenig zu warten. Eine Karte nehme ich nicht wieder von Ihnen an.

In dieser aufmerksamen Unterhaltung zog die schwarze

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lady mit ihrem gentleman vorüber, als Farnwald laut auflachte und zu dem Richter sagte:

»Ich habe diese schwarze Rosa vor nicht langer Zeit in einer höchst seltsamen anstößigen Stellung gesehen,« worauf er dem alten Herrn den Auftritt mit dem Negermädchen bei Jerson erzählte und ihm dann auch das Ende dieses Mannes mittheilte.

Während sie noch über den Vorfall sprachen, trat der Wirth in schwarzem Anzuge aus dem Hause und sagte, indem er sich gegen Farnwald und den Richter verneigte:

»Es ist heute an mir, dem Gottesdienste der Neger beizuwohnen, um ihren Redner zu überwachen, daß er keinen Unfug anrichte. Wir halten hier streng darauf, daß stets dabei ein Weißer zugegen ist, denn schon oft ist es vorgekommen, daß Sklaven durch ihre Prediger zum Aufruhr gereizt worden sind.«

Diese Vorsicht wird in allen Sklavenstaaten angewendet, da die Kirche der einzige Ort ist, wo größere Versammlungen von Negern verschiedener Herren stattfinden und wo demnach leicht Unzufriedenheit und Freiheitsgedanken in ihnen erweckt werden können.

»Sieh, dort kommt ein, wenn auch nicht ganz naher Nachbar von mir,« sagte der Richter, sich nach drei

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Reitern umsehend, die in diesem Augenblicke um das Gasthaus bogen.

»Ist es möglich, Renard!« rief Farnwald freudig überrascht und eilte zu seinem Freunde, der schnell vom Pferde sprang und ihm die Hand entgegenhielt. Auch der Richter bewillkommnete Renard aufs Herzlichste und ließ sich die Neuigkeiten aus seiner Gegend mittheilen, da ihn selbst sein Amt schon einige Monate von Hause entfernt gehalten hatte.

»Wo kommen Sie heute her?« fragte Farnwald seinen Freund und winkte den Neger zurück, der dessen Pferd nach dem Stalle zu führen im Begriff stand.

»Von L***,« erwiederte Renard.

»O, nicht weiter? Das ist ja nur ein Spazierritt; dann können Sie auch noch die Paar Meilen bis zu mir reiten,« sagte Farnwald und rief dann dem Schwarzen zu, schnell sein Pferd zu satteln und es vorzuführen. Renard machte Einwendungen und schützte Müdigkeit vor, doch Farnwald ließ sich nicht überreden, sein Hengst wurde gebracht und er bestand darauf, daß sein Freund mit ihm nach Hause reite.

»Nur unter einer Bedingung,« sagte Renard lachend, »ich reite Ihren Hengst und Sie meine müde Stute, sonst wird mir der Ritt zu anstrengend.

»Mit Freuden,« erwiederte Farnwald, empfahl sich

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dem Richter, Renard that dasselbe bei ihm und seinen beiden Reisegefährten und dann bestiegen sie in verabredeter Weise die Pferde und eilten in lebhafter Unterhaltung Farnwalds Niederlassung zu.

Die Sonne war noch nicht versunken, als sie das Ziel ihres Rittes erreichten und Addisson ihnen die Pferde abnahm. »So, jetzt seien Sie willkommen auf meinem Eigenthum,« sagte Farnwald, indem er Renard nach dem Hause führte.

»Und ein schönes Eigenthum ist es, das muß ich gestehen, es macht Ihrem Geschmack Ehre. Nur fehlt noch die Madame Farnwald, um mich zu empfangen.«

»Wenn Sie mich übers Jahr wieder besuchen, so will ich mich bemühen, daß ich bis dahin diesem Mangel abhelfe.«

»Wirklich, Farnwald?« sagte Renard freudig überrascht und reichte ihm die Hand, »Sie könnten mir keine frohere Nachricht mittheilen.«

»Wenn der Himmel es nicht wieder anders lenkt, als ich denke, so hoffe ich, bis dahin verheirathet zu sein. Doch mehr darüber nachher. Jetzt kommen Sie herein und machen Sie es sich bequem. Meine Garderobe steht Ihnen zu Diensten und auch mein Kammerdiener; dort kommt er aus dem Garten gesprungen,«

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sagte Farnwald nach Milly hinzeigend, die in diesem Augenblicke unter den Bäumen herangeeilt kam.

»Sieh, Milly; wie ist das Mädchen schön geworden!«

Die Quadrone erkannte Renard sogleich wieder und begrüßte ihn erröthend, denn sie erinnerte sich, wie und in welchen Verhältnissen er sie früher gesehen hatte und dachte an die große Veränderung, die seitdem in so mannigfacher Beziehung mit ihr vorgegangen war.

Damals hatte sie wenig mehr gelesen, als die Bibel, das Gesangbuch, mitunter auch wohl einmal eine Zeitung; hier hatte ihr die Bibliothek Farnwalds zu Gebote gestanden und nach seiner Anweisung hatte sie Gebrauch davon gemacht und sich vielseitig unterrichtet; damals war sie im eigentlichsten Sinne des Wortes Sklavin und zwar bei einer tyrannischen hartherzigen Herrin gewesen, und hier war sie niemals mit einem Worte an ihre Abhängigkeit erinnert worden, ja sie selbst hatte Farnwald gebeten, ihr seine Herrschaft nicht zu entziehen und sie wenigstens dem Namen nach seine Leibeigene bleiben zu lassen. In der That war sie frei, war nach Farnwalds Wunsch Herrin über Alles, was ihm gehörte, und übte diese Gewalt dadurch aus, daß sie seine Interessen hier am Platze mit größter Sorgfalt überwachte und Alles, was er wünschte, nach seinem Gefallen aufs

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Beste einzurichten wußte. Damals, als Renard sie bei der alten Wittwe Morrier sah, bestand ihr ganzes Eigenthum in einem abgetragenen gestickten baumwollnen Kleide, und den üppigen Schmuck ihres Haares hielt sie mittelst einer langen Fischgräte zusammen. Jetzt hatte sie der Gewänder viele und kostbare, sogar Schmucksachen waren in ihrem Besitze. Sie fühlte sich mit den meisten weißen Damen der Umgegend auf gleicher Stufe, ja über viele derselben erhaben, und deshalb schämte sie sich vor Jemandem, der sie in ihrer niedrigen Stellung gesehen hatte, durch eine Wiedererkennungsscene an dieselbe erinnert zu werden.

»Ich freue mich, Milly, Dich so wiederzusehen,« sagte Renard freundlich zu ihr; »Du wirst Dich niemals in Deine frühere Lage zurückgewünscht haben.«

»Ach, mein Herr,« antwortete die Quadrone noch mehr erröthend, senkle ihre dunkeln Augen und spielte verlegen mit der schweren rothseidenen Quaste an der Litze, die ihr leichtes gelbes Gewand um ihren schlanken Leib zusammenhielt:

»Jetzt würde ich Deinem Herrn gern zweitausend Dollar für Dich zurückgeben, wenn er Dich mir verkaufen wollte. Meinen Damen wärest Du eine willkommene Gesellschaft in ihrem einsamen Landleben,«

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fuhr Renard unbefangen fort und glaubte der Sklavin etwas Angenehmes gesagt zu haben.

Doch sie erbebte heftig bei dem Worte >verkaufen<, ihre Hände zitterten und ein Strom von Thränen rollte über ihr gesenktes liebliches Gesicht auf ihren beklommen auf und abwogenden Busen.

Farnwald, den die harmlosen Worte seines Freundes unangenehm berührt hatten, weil er wußte, wie schmerzhaft sie in der Seele der Quadrone wiederhallten, bemerkte die entsetzliche Aufregung, die sie ergriffen hatte und ein Gefühl des Mitleids und der innigsten Theilnahme an dem geängstigten Mädchen bemeisterte sich seiner.

»Ja, ja lieber Renard,« sagte er in gezwungenem, scherzenden Tone, »das Blatt hat sich gewaltig geändert, denn ich bin froh, wenn Milly mich nicht verkauft, sie ist Herrin und ich bin der vollkommen zufriedene Sklave; wenn sie mir nur niemals ihre Herrschaft entzieht, denn dies würde mich wirklich unglücklich machen.«

Mit der Leidenschaft des heißen südlichen Blutes warf sich Milly so plötzlich zu ihres Herrn Füßen und umklammerte, mit einem seligen Lächeln ihre thränenvollen Blicke zu ihm erhebend, seine Knie, daß er ihr nicht zuvorkommen und sie daran verhindern konnte. Er hob sie aber rasch zu sich empor, strich ihre

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glänzenden schweren Locken mit der Rechten zurück, während sie ihre weichen Lippen auf seine linke Hand gepreßt hielt und sagte in einem liebevollen, beruhigenden Tone zu ihr:

»Komm, gute Milly, sei vernünftig. Du weißt, ich könnte ja nicht ohne Dich sein. Geh, und sorge jetzt für meinen Freund und mich und zeige ihm einmal, wie gut Du es verstehst, das Regiment zu führen.«

Nur nach Farnwald hin warf sie noch einen dankbaren, überglücklichen Blick und eilte dann kaum hörbaren Trittes davon.

»Wie der Gedanke, verkauft zu werden, sie entsetzt hat! Einen bessern Beweis für die gute Behandlung, welche sie genießt, konnte sie nicht geben,« sagte Renard ihr nachblickend.

»Sie ist ein edles Wesen und ihr zartes richtiges Gefühl würde einer weißen Dame zur großen Zierde gereichen; ihr selbst aber gereicht es zum Unheil, weil es mit ihrer Hautfarbe durch das Gesetz und vom Volke verdammt wird. Ich behandele sie sehr rücksichtsvoll, um sie nicht an ihr so herbes Geschick zu erinnern.«

»Es ist mir wirklich leid, sie gekränkt zu haben, doch es geschah ohne die entfernteste Absicht,« erwiederte

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Renard mit einem Ausdrucke des Vorwurfs gegen sich selbst.

»Hier sind Pantoffeln, Schlafrock und Cigarren, machen Sie es sich comfortable[comfortable], lieber Renard, und ruhen Sie sich in dem Sopha, denn Sie werden ermüdet sein,« sagte Farnwald.

»Nicht sehr,« erwiederte Renard; »ich dächte, wir machten vorerst noch einen kleinen Gang um das Haus, es ist noch nicht dunkel und ich trage in der That Verlangen, Ihren Garten einmal zu sehen.«

»Wie Sie wollen,« sagte Farnwald und trat mit seinem Freunde hinaus unter die hohen dichten Bäume, wo die frische Abendluft erquickend wehte.

Hier wurde das Milchhaus, welches über dem mächtig sprudelnden Quell erbaut war, zuerst geöffnet und in Augenschein genommen. Das klare eiskalte Wasser spielte durch die dort errichteten Tröge, in denen Milch und Butter in blanken Steingefäßen stand. Alles sah reinlich aus, die Träge waren sauber und der Fußboden war mit weißem Sand bestreut.

»Man sieht hier die Hand Ihrer Quadrone thätig,« sagte Renard, sichtlich erfreut über die Ordnung, die hier herrschte, »es ist Alles nett wie sie selbst.«

Dann führte Farnwald seinen Freund in den Garten, der in allen Theilen dessen hohes Erstaunen

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erregte, ging mit ihm hinaus vor die Einzäunung, wo sich die von der Weide kommenden Heerden versammelten, zeigte ihm seine Pferde, seine Maulthiere, endlich seine Hunde und über Alles sprach Renard seine Freude und Verwunderung aus.

»Ich muß Ihnen gestehen, daß ich ganz überrascht bin, denn ich dachte mir Ihre Wohnung ein Blockhaus mit Pallisaden umgeben und Alles darnach eingerichtet, einem Ueberfalle der Wilden zu begegnen. Hier sieht es aber aus, als ob kein Indianer mehr in der Nähe sei.«

»Und dennoch liegen nur wenige Meilen und der Strom zwischen mir und ihrem Gebiete; bei einem ernsten Entschlüsse, mich aus der Welt zu schaffen und meinen Platz zu zerstören, müßte es den Indianern, besonders wegen ihrer Uebermacht an Zahl, bei muthvollem hartnäckigen Angriff ein Leichtes sein, mich zu überwältigen, denn sagen Sie selbst, welchen Widerstand könnte ich ihnen dann mit meinen wenigen Negern und meinem alten Gärtner leisten? Aber Furcht hütet den Wald. Sie haben zu oft durch unsere Feuerwaffen so harte Lehren bekommen, daß sie froh sind wenn wir sie in Frieden lassen. Mit einigen Stämmen lebe ich sogar schon in freundlichem Verkehr. Nur denjenigen Ansiedler, der jetzt noch einen Schritt vorwärts in das

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zur Zeit von ihnen besessene Gebiet thut, suchen sie zu vernichten, und freilich hat schon mancher dreiste Frontiermann sein Wagniß mit seinem und der Seinigen Leben bezahlen müssen. Aber ein Anderer tritt bald in seine Stelle, Schritt für Schritt geht die Civilisation vorwärts und drängt die Ureinwohner dieses Landes mehr und mehr zurück den Anden zu. Ihre Uneinigkeit, welche die Frontierleute zu unterhalten wissen, reibt sie zuletzt vollends unter einander auf, denn unsere südlichen Indianer wollen sich zu keiner Civilisation verstehen, während die des Nordens, wie Sie wissen, sich nach und nach derselben fügen.«

Es war dunkel geworden, als die Freunde in das Haus zurückkehrten, um ihr Abendbrod zu verzehren. Milly hatte das Zimmer und die Tafel nach ihrer Gewohnheit festlich geschmückt und harrte selbst, mit einer gelben Rose im Haar, ihren Herrn und dessen Gast zu bedienen.

»Jetzt ist es mir ganz erklärlich, Farnwald, warum Sie nicht schon lange verheirathet sind,« sagte Renard nach dem Abendessen im Laufe der Unterhaltung, als beide behaglich in den Ecken des Sovhas ruhten und gemüthlich ihre Cigarren rauchten. »Sie leben ja wie ein Nabob.«

»Das heißt mit dem Kopf voll Sorgen und Bekümmerniß

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um anderer Leute Interessen, und ich gestehe es Ihnen offen, theils auch meiner selbst willen,« antwortete Farnwald, »ich bin Ihnen noch Aufklärung über meinen wiederholten Aufenthalt in Ihrer Nähe schuldig und will Ihnen mittheilen, was mich abhielt Sie zu besuchen.«

Er erzählte nun die Leidensgeschichte der Familie Swarton, kam dann auf seine Bekanntschaft mit Doralice und berührte alle hierher gehörigen Begebenheiten bis auf den heutigen Tag, Renard hörte mit gespannter Aufmerksamkeit und Theilnahme des Freundes Mittheilung an, und als derselbe damit zu Ende war und schwieg, sagte er:

»Und was werden Sie thun, wenn der junge Swarton verurtheilt wird?«

»Das Glück der Familie Swarton, welches von Roberts Leben abhängt, liegt mir so sehr am Herzen, daß ich fest entschlossen bin, sogar mein Leben für das seinige zu wagen, ich diene dabei keiner ungerechten Sache, denn Robert hat nach meiner vollsten Ueberzeugung den Tod nicht verdient. Ich werde ihn retten, er und die Seinigen bauen auf mich.«

»Thun Sie es in Gottes Namen, liebster Farnwald, ich will Sie nicht auf Ihre Pflichten gegen den Staat aufmerksam machen, fordere Sie aber auf, Ihr persönliches

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Interesse nicht aus den Augen zu verlieren. Sie spielen ein gewagtes Spiel.«

»Ja, wenn Sie den Gefangenen durch List seinen Henkern entziehen könnten, so wäre für Sie die Gefahr freilich nicht so groß; müssen Sie aber Gewalt anwenden, dann setzen Sie Ihr eigenes Leben ein und zugleich das vieler Anderer, und mindestens wird gegen die Thäter eine schwere Anklage wegen Aufruhrs erhoben werden. Haben Sie auch wohl bedacht, daß Sie Ihr Verhältniß zu Doralice dabei einsetzen? Soweit ich Madame Dorst kenne, wird sie es Ihnen nimmermehr verzeihen, wenn Sie handelnd in dieser Angelegenheit gegen sie auftreten, und zwar in gewaltsamer Weise. Auch Ihrer Braut wird es nicht gleichgültig sein, wenn Sie um einen Freund, der ihren Vater erschlug, ihre Liebe, selbst Ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen wollen. Bedenken Sie wohl was Sie thun.«

»Alles dies habe ich bedacht und reiflich überlegt. Ich werde Robert retten, wenn es in meiner Macht steht; ich habe ihm mein Wort verpfändet.« »Gebe Gott denn, daß wir ein günstiges Urtheil für ihn erlangen können. Es sind mehrere meiner Freunde in C*** und ich bin mit vielen, dort anwesenden Advocaten bekannt, die gern für den Angeklagten

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sprechen werden; wir müssen Alles in Bewegung setzen, um ihn auf solche Art zu retten. Man darf es dabei an Geld nicht fehlen lassen und kann den Geschwornen Erkenntlichkeit verheißen, wenn sie den Mörder freisprechen. Darin liegt kein Unrecht; geschieht es doch für den entgegengesetzten Fall von der andern Partei sicher auch. Brauchen Sie baares Geld dazu, Farnwald, so steht es Ihnen zu Diensten, soviel Sie zur Erreichung des Zwecks bedürfen.«

»Hallo!« rief es in diesein Augenblick vor dem Hause und Farnwald sprang nach der Thür, um zu erfahren wer dort sei.

»Guten Abend, Farnwald,« schallte es diesem nun aus der Dunkelheit entgegen, als er unter die Veranda getreten war. »Es ist Ihr Freund Bradley, der sich die Freiheit nimmt, Sie mit drei Bekannten in Ihrem Junggesellenhaushalt noch so spät zu stören.«

»Herein, nur immer herein,« erwiederte der Angeredete. »Hängen Sie nur die Zügel Ihrer Pferde an die Einzäunung und treten Sie näher, Sie sind willkommen!«

Bradley, ein junger Advocat, trat nun mit drei fremden Männern ins Zimmer, sie warfen ihre Satteltaschen in eine Ecke auf den Fußboden und ließen sich nach einer allgemeinen freundlichen Begrüßung auf den

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Stühlen nieder. Farnwald befahl Addisson, für die Pferde zu sorgen, trug Milly auf, schnell ein Abendessen für die Angekommenen zu bereiten und setzte sich dann zu ihnen, indem er zu Bradley sagte:

»Sie kommen mir wie gerufen. Sie müssen sich mir zu Liebe eines jungen Mannes annehmen, der wegen Mordes vor die Geschwornen kommt.«

»Das ist sicher Swarton, der Dorst erschossen hat.«

»Derselbe, Sie werden mir den Gefallen thun.«

»Gewiß, denn daß er den alten Spitzbuben aus der Welt schaffte, sollten ihm die Leute danken; der Kerl hatte hundertmal den Galgen verdient. Ich habe schon viel über die Geschichte gehört, die Wittwe bietet Himmel und Hölle auf, um den Jungen schwingen zu lassen; sie ist eine Mexicanerin.«

Während man sich eifrig über diese Angelegenheit unterhielt, deckte Milly abermals den Tisch, bald stand das Abendessen für die Fremden darauf, was sich diese nach dem langen Ritt, den sie zurückgelegt hatten, wohl behagen ließen, denn Bradleys Wohnung, die er am heutigen Morgen verlassen hatte, war einige sechszig Meilen von hier entfernt.

Allen war darauf der Schlaf recht willkommen, und Farnwald mußte am folgenden Morgen zu wiederholten Malen seine Gäste zum Aufstehen ermuntern.

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Das Frühstück ward zeitig eingenommen, und als die Sonne ihre ersten Strahlen über die Erde schoß, war Farnwald mit Renard und den drei Fremden schon unterwegs nach dem Städtchen.

Mit jeder Meile, die sie zurücklegten, mehrte sich die Zahl der Reisenden, hier und dort lenkten Farmer von den Seitenwegen ihre Reitthiere in die Hauptstraße ein, und als sie in C*** anlangten, waren einige vierzig beisammen. Die Pferde Farnwalds und seines Freundes Renard fanden bereit gehaltene Plätze in den Stallungen des Gasthauses, während Bradley und seine Gefährten gleich auf Kundschaft umherritten, um zuerst für sich selbst und dann gleichfalls für ihre Thiere ein Unterkommen zu suchen.

Wo man hinblickte, war in dem Städtchen reges Treiben, namentlich aber in der Umgebung des Gerichtsgebäudes, in welchem ganz in der Kürze der hohe Richter seinen Platz einnehmen sollte. Gegen zehn Uhr begab sich dieser nun in Begleitung des Staatsprocurators und einer großen Zahl von Advocaten dorthin und erklärte, daß der district court seinen Anfang genommen habe.

Das Verzeichniß der Klagesachen, die zur Verhandlung vorlagen, wurde ihm eingehändigt, worauf er bestimmte, daß die Anklage gegen Robert Swarton

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zuerst vorgenommen werden solle, der Scheriff führte nun die Geschwornen vor. Viele derselben wurden von der einen und von der andern Partei verworfen und der Vormittag verstrich, bis die jury vollzählig war. Auch der Schulmeister Black war darunter, obgleich Dorsts Advocat Mac Owen sich zum Schein heftig dagegen gesträubt hatte.

Die erwählten Personen gehörten nach ihrem bisher bekannten Benehmen fast sämmtlich zu den Freunden Swartons, und dies gerade machte Farnwald mißtrauisch, denn er hatte erwartet, daß die Gegenpartei Leute wählen würde, die, wenn auch nicht gerade als Gegner Swartons bekannt, doch wenigstens nicht als ihre Freunde angesehen werden konnten. Er prüfte in Gedanken die Persönlichkeiten der Einzelnen: außer dem Schulmeister waren sie nur Männer von sehr wenig Bildung. Alle besaßen nur geringes Vermögen, Nachtheiliges wußte Farnwald von Keinem, aber auch nichts hervorragend Gutes, und es drängte sich ihm eine bange Ahnung auf, daß solche Leute gerade absichtlich von Dorsts Partei zugelassen seien. Aber der genannte Black übersah sie unbedingt Alle; er konnte sie leiten, und über seine Treue für die Sache Swartons konnte bei Farnwald kein Zweifel obwalten. Dieses wiederholte er sich immer als Antwort auf seine Zweifel,

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und doch konnte er sie damit nicht völlig beseitigen. Genug, gewählt waren diese Geschwornen in gesetzlicher Weise und man mußte versuchen, in wie weit es möglich zu machen sei, auf sie zu Gunsten des Angeklagten einzuwirken. Farnwald theilte Georg Blanchard und auch Taylor seine Vesorgniß mit, doch Ersterer lebte der glücklichen Ueberzeugung, daß man keine bessere Geschwornen für Robert hätte zusammenbringen können.

Der Nachmittag verstrich gleichfalls noch mit Förmlichkeiten und Vorbereitungen zu den eigentlichen Verhandlungen, die Zeit zum Abendessen machte denselben ein Ende und später rief wieder das Glöckchen zur Kirche, der grüne Tisch zum Spiel und der lustige Ton einer Violine in das Trinkhaus.

Auch selbst während der Nacht hatte das Städtchen die gewöhnliche Ruhe verlassen, gellendes Lachen, wildes Toben und Fluchen schallte bald von dieser, bald von jener Seite durch die Dunkelheit, die durchdringenden Töne der Geige rasten in Nationalmelodien ununterbrochen aus der offnen Thür des Trinkhauses hervor, denn wenn ihr Eigner ermüdete, so griff schnell einer der Zuhörer nach dem Instrumente, um die Musik zu unterhalten und von Zeit zu Zeit knallte ein Pistolenschuß oder der einer Büchse in den Straßen. Der

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anbrechende Tag warf sein erstes Licht auf das Städtchen wie auf ein verlassenes Schlachtfeld, denn allenthalben sah man dem Anscheine nach leblose Männergestalten auf der nackten Erde umherliegen, die bei näherer Betrachtung jedoch nur schliefen und theils durch die Gewalt des genossenen vielen Branntweins niedergeworfen waren, theils aber auch wegen gänzlichen Mangels an einem Unterkommen hier der Ruhe pflegten. Bei vielen derselben verriethen jedoch die zerrissenen, beschmutzten Kleidungsstücke, die blau und schwarz unterlaufenen Augen und die Blutspuren an ihren Köpfen, daß sie durch Fall oder Schlag mit irgend einem Gegenstände in gewaltsame Berührung gekommen sein mußten und hier zu ihrer Erholung eingeschlummert waren. Allen diesen gab jedoch bald ein kräftiger Trunk wieder neues Leben und man hörte nicht davon, daß bei der großen Niederlage in verflossener Nacht ein Mann todt geblieben sei.

Gleich nach dem Frühstück verkündete die laute Stimme des Scheriffs aus der Thür des Gerichtsgebäudes, daß sofort die Verhandlungen ihren Anfang nehmen würden. Schon war es nicht mehr möglich einen Platz in dem Hause zu bekommen und um dasselbe drängten sich die Menschen zu dessen offenen Thüren und Fenstern.

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Als Robert Swarton, von seinen Ketten befreit, dort eintrat und auf der Sünderbank vor den Geschwornen Platz nahm, lief ein lautes Gemurmel durch die Menge, doch weder für noch gegen denselben wurde eine Meinung laut ausgesprochen.

Er wurde über seine Personalien vernommen, die Geschwornen vereidet, der Anklageact verlesen, vom Staatsprocurator die Anklage näher auseinandergesetzt, die That von demselben als Mord bezeichnet und der Strafantrag auf Tod durch den Strick gestellt.

Der Angeklagte wurde nun vernommen, er gestand ein, Dorst erschossen zu haben, und man ging zu dem Zeugenverhör über.

Nachdem der Scheriff, der alte Swarton und dessen Frau verhört waren, verlangte der Advocat Taylor, daß auch der Neger Jerry zu diesem Ende vorgeführt werde, doch Mac Owen warf sich dagegen auf und bemerkte, daß man ebensowohl alle Hunde in der Umgegend verhören könnte, denn des Niggers Worte würden hoffentlich von den Geschwornen doch nicht mehr gewürdigt werden, als das Bellen von jenen. Jerry wurde nicht vorgelassen.

Mac Owen ließ jetzt vier Gefährten Mortings erscheinen, die auf ihren Eid aussagten, daß Robert

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Swarton ihnen wenige Tage nach Dorsts erstem Hiersein erklärt habe, er würde ihn erschießen, sobald er sich hier blicken lasse, und im Falle derselbe nicht selbst hier erscheine, so würde er hinunter zu ihm reiten und ihm in seinem eignen Hause eine Kugel durch den Kopf jagen.

Taylor erklärte die Aussage für unwahr, da Robert ihm versicherte, er habe die vier Leute nie im Leben vorher gesehen. Es wurde denselben aufgegeben, nachzuweisen, daß sie sich zu jener Zeit wirklich hier befunden hätten, worauf zwei hier ansässige Tagelöhner vortraten und nach stattgehabter Vereidigung aussagten, daß sie dieselben damals gleichfalls gesprochen hätten und sich ihrer genau erinnerten. Auch sagte der Wirth im Trinkhause eidlich aus, daß er jene genau wiedererkenne und daß er ihnen zu der besagten Zeit verschiedene Male Getränke gereicht habe.

Immer wurden neue Zeugen vorgeschlagen und theils verworfen, theils vernommen und so verstrich der Vormittag, so wie der Nachmittag, bis am Abend das Verhör geschlossen wurde.

Der Eindruck, den die heutigen Verhandlungen auf die allgemeine Stimmung gemacht hatte, war kein für Robert günstiger und seine Freunde konnten sich

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dies nicht verhehlen. Diese hatten sich vor dem Hause des Kaufmanns Harris versammelt, um sich darüber zu besprechen, und es war schon spät, als sie auseinander gingen und nur noch Farnwald mit Georg Blanchard im Gespräch dort in der Dunkelheit stand. Da trat Black, der Schullehrer, zu ihnen. Sie theilten ihm ihre Besorgniß mit, doch er hatte die beste Hoffnung und prophezeite mit größter Gewißheit einen für Robert günstigen Ausgang des Processes.

»Soweit ich die übrigen Geschwornen kenne,« sagte er mit unerschütterlicher Bestimmtheit, »sind sie, ebenso wie ich selbst, Swartons Freunde und es müßte doch sonderbar zugehen, wenn sie ein Verdict gegen den jungen Mann geben sollten. Seien Sie ohne Sorgen, meine Herren, Patrick Black ist dabei und hat ein Wort mitzusprechen.«

»Herr Black,« sagte Farnwald, »Sie nehmen die Sache zu leicht, unsere Gegner haben heute in jeder Weise über uns gesiegt. Das Gericht und das Volk ist durch falsche Zeugnisse hintergangen und da wir keine solche verwerfliche Mittel haben, so sind wir weit hinter unsern Feinden zurückgeblieben. Es fragt sich nun, ob es noch ein Unrecht genannt werden könnte, wenn wir gleichfalls zu ähnlichen Waffen griffen.

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Ich für meine Person halte es nur für eine erlaubte Nothwehr. In Ihnen, Herr Black, sehe ich den einzigen unter den Geschwornen, auf den wir uns verlassen können, die andern sind Leute von sehr schwachem Charakter, auf welche Vorspiegelungen und namentlich Geld leicht einwirken werden. Sie sehen, welche fluchwürdigen Wege man gegen uns eingeschlagen hat; es ist an Ihnen jetzt, Ihre Dankbarkeit gegen Swartons zu zeigen und Ihre Ueberlegenheit über die Geschwornen zu Gunsten des Gefangenen zu gebrauchen. Geld ist hierzu das sicherste Mittel und es soll zu Ihrer Verfügung gestellt werden.«

»Sparen Sie nichts dabei, Herr Black,« fiel Georg Blanchard ein, was Sie dazu gebrauchen, werde ich Ihnen einhändigen.«

»Latet anguis in herba! Man muß sehr vorsichtig dabei zu Werke gehen, meine Herren; Sie wissen, daß es ein Verbrechen ist, was hart bestraft werden würde und zu dem ich meine Hand nur aus Pflichtgefühl gegen meine Wohlthäter zu bieten mich überreden kann. Ich will es versuchen, in wie weit ich es wagen darf, meinen Collegen Anträge der Art zu stellen. Dii bene vertant!«

»Hier sind fünfhundert Dollar, Herr Black,« sagte

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Georg, indem er seine Brieftasche hervorzog, bei dem Lichtschein, der aus dem Fenster des Kaufladens hervordrang, eine Banknote daraus nahm und sie dem Schulmeister hinreichte.

»Es dürfte besser sein, wenn Sie mir kleines Geld dafür geben könnten, sonst müßte ich die Note wechseln und es würde auffallen, wenn der arme Schullehrer es thäte. Herr Harris giebt Ihnen gern kleineres Papier dafür,« erwiederte der Einbeinige, worauf Georg in den Laden ging und auch bald mit dem gewünschten Gelde zurückkam. Black nahm es hin und legte es sorgfältig in eine große alte Brieftasche, die er dann wieder auf seiner Brust verbarg.

»Ich werde mein Bestes thun, doch wie es auch kommen mag, rechne ich auf Ihre allerstrengste Verschwiegenheit, meine Herren; ein Wort davon würde mich zu Grunde richten,« sagte Black, worauf er sich ihnen empfahl und diese nach dem Gasthause gingen, um sich zur Ruhe zu begeben, denn wer von den Bewohnern der Umgegend bei der gegenwärtigen Gerichtsverhandlung Interesse hatte und es einrichten konnte, blieb in der Stadt.

Doch Patrick ging mit eiligen Schritten zu seinem Pferde, welches ihm von dem Baume her, wo es

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angebunden war, durch die Dunkelheit entgegenwieherte, hob sich in den Sattel und eilte auf der Straße hin in den Wald hinein.

»Black, ein Wort!« rief ihm eine dunkle Gestalt zu, die aus den Büschen hervor zu ihm in den Fahrweg trat, worauf der Angeredete, Morting erkennend, seinen Schimmel anhielt und zu jenem sagte:

»Sieh da, Herr Morting, hätte ich Sie doch in der Dunkelheit beinahe nicht erkannt. Es ging heute gut; Ihre Leute haben herrlich bezeugt.«

»Auch der Schenkwirth hat seine Schuldigkeit gethan; der Teufel danke es ihm jedoch, er hat genug Gold von uns für seinen schlechten Branntwein bekommen. Wie sieht es aber mit den drei Geschwornen aus, die uns die Kerle aufgezwungen haben, glaubt Ihr, daß Ihr sie mürbe machen könnt? Sie sind fest auf Swartons Seite und könnten die Sache sehr aufhalten, vielleicht gar dahin wirken, daß sie für den nächsten district court verschoben, oder zur Entscheidung in eine andere County gebracht würde.«

»Dafür lassen Sie mich sorgen; >Schuldig< wird ausgesprochen und ich bekomme meine tausend Dollar. Weiter Nichts?«

»Das ist Alles, worüber ich Gewißheit haben wollte.«

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»Nun denn gute Nacht; morgen gilts.«

»Hierbei winkte der Schulmeister mit seinem Stocke Morting noch einen Gruß zu und hatte bald die kleine Einzäunung im Walde hinter seinem Hause erreicht, in welcher er seinen Pony von Sattel und Zeug befreite, diese Gegenstände auf die Schulter nahm und zu der Hinterthür schritt, die auf sein Anklopfen von Mary geöffnet wurde.

»Unser Glückstern ist aufgegangen, Mary,« sagte er in das Zimmer tretend zu seiner Tochter, die das niedergebrannte Feuer in dem Kamin zu einer Flamme anfachte. »Hier sind fünfhundert Dollar, die mir von Swartons Partei gegeben wurden, um für sie zu arbeiten.« Dabei lachte er laut auf und schlug mit seiner Rechten auf die Brieftasche, die er in der linken Hand hielt. »Wir haben sie jetzt in einer Zwickmühle, Beide müssen zahlen. Es geht Alles nach Wunsch, morgen muß >Schuldig< erkannt werden. Mögen sie ihn dann hängen oder nicht, das kann mir gleichgültig sein, wenn wir nur das Geld bekommen. Zuerst schaffe ich Dir ein ordentliches Clavier an, damit Du nicht mehr auf dem alten Kasten die Leute taub zu machen brauchst, und dann werden noch Kühe gekauft, so daß uns in einigen Jahren eine Heerde zu reichen Leuten macht;

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wir brauchen sie ja nicht zu ernähren, Onkel Sam (die Vereinigten Staaten) hat Futter genug für sie.«

»Dann werde ich doch endlich eine seidene Mantille und einen neuen Hut bekommen; ich habe mich immer schämen müssen, in den alten Lumpen in der Kirche zu erscheinen.«

»Alles sollst Du haben, auch ein Pferd für Dich, dann brauchen wir nicht mehr zusammen auf der Katze draußen zu reiten. Hast Du heißes Wasser? Hier ist eine Bouteille Whisky, wir wollen uns einen Punsch machen.«

Bei diesen Worten hatte Patrick eine Flasche aus der Rocktasche hervorgezogen und reichte sie seiner Tochter hin. Mary trug nun Gläser, Zucker und eine Citrone zu dem Kamin, in welchem jetzt der über der auflodernden Flamme hängende Kessel anfing zu singen, und bereitete das gewünschte Lieblingsgetränk.

Während dieser Zeit hatte sich Patrick eine Pfeife angezündet, den hölzernen Stock von dem Reste seines Beines abgeschnallt, mit demselben das Feuer noch einmal aufgeschürt und fiel dann behaglich in seinem Armstuhle zurück, indem er sagte:

»Habe lange genug den Narren der Leute gespielt, jetzt sollen sie einmal meine Narren sein!«

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»Ja und das Grüßen von oben herab wird nun auch wohl anfhören, wenn man erst anständiger gekleidet ist,« sagte Mary, während sie ihrem Vater das mit dem heißen Trank gefüllte Glas reichte und dann selbst ein solches zu ihren vollen Lippen führte.

»Mache uns noch eins, Mary, Narratur et prisci Catonis saepe mero incaluisse virtus. Verdammt, es hat mir lange nicht so gut geschmeckt! Reiche mir meine Fiedel her, ich muß >Irland meine Heimath< spielen,« sagte Patrick nach einer Weile, Mary nahm das bestaubte Instrument von der Wand und reichte es ihrem Vater, der nochmals mit seinem hölzernen Beine das Feuer zurecht geschoben hatte, dann die Violine in Ton brachte und die Nationalmelodie seines Volkes spielte, wobei er mit seiner groben Stimme das Lied dazu sang.

Von Beiden wurde ein zweites Glas geleert, und als auch das dritte genossen war, sang Patrick allerlei wilde Lieder, welche ihm aus seiner Jugendzeit im Gedächtniß geblieben waren, warf seinen Rock von sich und sprang zuletzt mit Hülfe Marys und eines Stockes auf seinem einen Beine nach dem Bette.

»So, nun wirf Asche auf das Feuer, damit uns der Teufel nicht das Haus über dem Kopfe anstecke,« sagte er, indem er sich auf sein Lager warf.

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»Ich muß auch einen Shawl und einen neuen Sonnenschirm haben,« bemerkte die Jungfrau noch, als sie mit unsicherm Schritte zu dem Kamin wankte, wo sie dann das Feuer auslöschte, sich darauf gleichfalls nach ihrem Bette begab und bald in das Schnarchen ihres Vaters kräftig einstimmte.

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Capitel 21.

Die Redner. - Große Aufregung. - Die Geschwornen. - Das Negergefecht.


Die Kunde, daß zwei, von weit her gekommene berühmte Advocaten reden würden und namentlich, daß beiden viele tausend Dollar von ihren Clienten zugesagt seien, wenn das Urtheil nach deren Wunsche gefällt würde, lockte am folgenden Morgen eine große Anzahl von Leuten aus der nahen und fernen Umgebung nach der Stadt. Hunderte von Reitthieren waren schon zur Frühstückszeit an Bäume und Einzäunungen befestigt und mit Ungeduld warteten deren Reiter vor und in dem Trinkhause auf die Eröffnung der Verhandlungen.

Endlich verkündete der Scheriff, daß das Gericht begonnen und obgleich das Haus bereits mit Menschen angefüllt war, drängte man sich doch noch immer an den Thüren, um hinein zu kommen, oder versuchte den Weg durch die gleichfalls offnen Fenster. Zwischen der Menge zu beiden Seiten des Gebäudes, namentlich in

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der Nähe der Thüren, sah man Mortings Gefährten, alle bis an die Zähne bewaffnet, während er selbst in der vordersten Reihe der Zuhörer innerhalb des Gebäudes Platz genommen hatte.

Der Staatsprocurator trat zuerst vor die Geschwornen und setzte ruhig und leidenschaftslos das Ergebniß der Beweisaufnahme auseinander, worauf er in einer kurzen Rede seine Ansicht über die That aussprach, jedoch nicht weiter gegen den Angeklagten auftrat, als es ihm sein Dienst zur unumgänglichen Pflicht machte.

Die Aufmerksamkeit der versammelten Menge war, während derselbe sprach, sehr getheilt, denn Alles wartete mit größter Spannung auf das Vortreten des fremden Redners Mac Owen, der wie in Gedanken versunken, seitwärts von dem hohen Richter in einem Armstuhle saß und gar nicht darauf zu achten schien, was um ihn her vorging. Er nahm von Zeit zu Zeit einen Papierstreifen aus seiner Tasche hervor, ließ einige Momente seine Augen darauf ruhen, schob ihn dann wieder in seine Westentasche und senkte seine Blicke auf die Spitze seines übergeschlagenen Fußes, den er auf und nieder schwang.

Endlich war der Staatsprocurator von dem Rednerplatze abgetreten und Mac Owen schritt vor die Schranken.

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Aller Blicke waren erwartungsvoll auf ihn gerichtet und eine Todtenstille herrschte in dem Hause.

Wie der kampfbereite Stier in die Arena tritt und mit herausforderndem Blick nach seinem Gegner schaut, so sah er mit blitzendem Auge nach Taylor hin und wie der Panther vor seiner Beute steht, der er sich zum sichern Erfassen genaht hat und seinen Sprung noch zurückhält, um sich an deren Todesgedanken zu ergötzen, so stand Mac Owen da, zu seiner vollen Größe erhoben, mit der Hand im Busen, und heftete seine Augen bald auf den Vertheidiger Roberts, bald auf diesen selbst. Aber Beider Blicke empfingen die seinigen mit Festigkeit, Taylor mit dem Ausdrucke von Geringschätzung, Robert mit der vollsten Entschlossenheit. Er begann seine Rede.

Die Kraft, das Durchdringende seiner Stimme überraschte die Zuhörer, doch mehr noch das Bestimmte, das Klare und Ueberzeugende seiner Sprache und die eleganten, meisterhaft gesetzten Worte, die er dabei gebrauchte. Trotz der Gewalt seiner Rede bezeichnete sie Ruhe und Ueberlegung und man hörte, daß er jedes Wort, jeden Ton genau abgewogen hatte und keine Silbe das Erzeugniß des Augenblicks sei. Bewunderung war das erste Gefühl, welches er bei den Zuhörern hervorbrachte, doch mit ihm schlich sich auch die Ueberzeugung bei ihnen ein, daß dieser Mann Recht haben müsse. Kein Blick der ganzen Versammlung entging seinem Falkenauge und nachdem er wohl eine Stunde gesprochen, stand es deutlich auf seiner hohen Stirn, daß er den Eindruck, den er auf Geschworne und Volk gemacht, sehr wohl erkannt hatte. Mit einem stolzen trmmphirenden Blick hielt er in seiner Rede inne und ließ ihn von Auge zu Auge durch die Menge wandern. Es war aber nur die Ruhe, die dem Sturme vorauszugehen pflegt, er griff rasch seine Worte wieder auf, die jetzt scharf, schneidend, zerreißend auf seiner Donnerstimme durch das Haus flutheten, während er wie ein Rachegeist seine Flammenblicke auf den Angeklagten richtete und mit gegen ihn erhobenen Händen ein Bild tiefster Verworfenheit von ihm malte.

Wie im Taumel riß die Gewalt seiner Sprache die Gemüther der Versammlung mit sich fort, das letzte Sträuben gegen den Strom, in den sie unwillkührlich gerathen, erlag seiner Macht und Alle, außer den wenigen wahren Freunden Roberts, sahen in diesem den ruchlosen Verbrecher, den Meuchelmörder.

Unter stürmischen Ausbrüchen des Beifalls trat Mac Owen, nachdem er volle zwei Stunden geredet hatte, von den Schranken zurück und noch ehe der Sturm der erhitzten Gemüther sich gelegt, schritt der

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Vertheidiger Roberts, der Advocat Taylor, auf den Rednerplatz.

Seine Erscheinung wirkte wie ein Zauber besänftigend auf die Menge, sie war so ganz und gar das Gegentheil von der wüthenden Rachegestalt seines Vorgängers, das Bild eines Friedensengels. Höflich verneigte er sich gegen den hohen Richter, gegen die Geschwornen und dann gegen die Zuhörer, und dabei lag ein mildes Lächeln des Bedauerns auf seinem freundlichen Gesichte, welches er mit einem leichten Achselzucken nach Mac Owen hinrichtete, als wolle er damit aussprechen, wie unnütz und werthlos dessen ganze Anstrengung gewesen sei.

Kein Laut, kein Athemzug war mehr hörbar. Mit einfachen, klaren und verständlichen Worten eröffnete er seine Rede, gab zuerst seinem Achselzucken und seinem Lächeln Worte und setzte mit Hinweisung auf Mortings Bande deutlich auseinander, daß das ganze Verfahren, alle die Anstrengungen, die gegen Robert von seinen Gegnern gemacht würden, nicht die Stimme des Genugthuung fordernden beleidigten Gesetzes seien, sondern durch Privat-Interessen und Privathaß hervorgerufen wären. Das Vergehen Roberts gegen das Gesetz, sagte er, wolle er nicht rechtfertigen, wohl aber unabänderlich

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erklären, daß es nicht Mord sei, und beweisen, daß es mit keinem andern Namen belegt werden könne, als mit Todtschlag im Affekt[Affect], Er erzählte nun den ganzen Hergang, schilderte Dorst und seine Verhältnisse, die Familie Swarton und Roberts Persönlichkeit, die Zustände, wie sie noch vor wenigen Jahren hier gewesen, Wie sie augenblicklich waren, und wies dann nochmals auf Morting und seine Kameraden hin. Er gebrauchte keine hochtrabende Worte, keine phantastische Bilder, keine leidenschaftliche Geberden; ruhig aber haarscharf und überzeugend sprach er zum Herzen der Zuhörer und zog sie mit einer unsichtbaren Gewalt so sehr zu seiner Ansicht herüber, daß er wiederholt und immer häufiger von ihnen im Sprechen durch Ausrufe des Beifalls unterbrochen wurde und »Hurrah für Robert, Hurrah für Taylor!« das Haus erbeben ließ. Namentlich als er gegen den Schluß seiner Rede fragte: »ob darum hier das Gesetz eingeführt sei, damit unter dessen Schutz reiche Fremde die arglosen, noch mit den gesetzlichen Vorschriften wenig vertrauten alten Frontierleute, die sich mit Lebensgefahr hier ein Besitzthum erworben, von dieser ihrer Heimath verjagen und den sauer von ihnen erworbenen Nutzen an sich reißen sollten,« brach die Versammlung in und außerhalb des Hauses in ein so wildes Toben und Lärmen los, daß des hohen Richters

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und des Scheriffs Ruhe gebietenden Stimmen lange Zeit in diesem Sturme verhallten.

Auch Taylor hatte über zwei Stunden gesprochen, welcher aber von den beiden Rednern den tiefsten Eindruck auf die Geschwornen und das Volk gemacht hatte, war schwer zu entscheiden. Jedenfalls war augenblicklich der Vortheil auf Taylors Seite, dadurch, daß er zuletzt geredet hatte.

Diesen Vortheil jedoch wollte ihm die Gegenpartei noch nicht lassen, denn kaum war er abgetreten, als ein anderer Advocat, Namens Mills, vor den hohen Richter schritt und ihn um die Erlaubniß bat, sich über den vorliegenden Fall aussprechen zu dürfen.

Burks, der keinen Grund hatte, ihm dieselbe zu verweigern, genehmigte es. Mills begann nun damit, daß er erklärte, weder von der einen, noch von der andern Partei bezahlt zu werden, daß er es aber nicht unterlassen könne, seine Ansicht auszusprechen, indem er bemerkt habe, wie von den Freunden oder besser den Spießgesellen dieses nichtswürdigen Verbrechers große Anstrengungen gemacht würden, um das Gesetz zu umgehen und ihn einer gerechten Strafe zu entziehen. Den Bewohnern dieser Gegend sei es ja recht wohl bekannt und er wolle es ihnen hiermit nochmals ins Gedächtniß zurückrufen, daß dieser elende Meuchelmörder

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schon seit Jahren ein Schrecken der friedlichen Bürger gewesen sei und daß Mancher aus Furcht vor seiner Verfolgung Unrecht und Beleidigungen von ihm ertragen habe.

»Es gehört nicht viel Menschenkenntniß dazu, den herzlosen, grausamen, blutdürstigen Unmenschen in ihm zu erkennen. Seht nur her, wie das Ungeheuer, zerknirscht in seiner ohnmächtigen Wuth, den Kopf voll Rache- und Mordgedanken, hier vor Euch sitzt, wehe Manchen von Euch, wenn der Verbrecher dem Galgen entrinnt!« rief derAdvocat mit lauter Stimme, indem er sich nach den Zuhörern wendete und auf Robert Swarton zeigte. Doch der hohe Richter rief ihn entrüstet zur Ordnung und in demselben Augenblicke schrie[e]n Hunderte von Stimmen in und außerhalb des Hauses dem Redner Flüche zu.

Zugleich war der junge Advocat Bradley aufgesprungen und wendete sich wüthend mit den Worten gegen den Sprecher:

»Schurke, Du bist ein Lügner, ein erkaufter Betrüger!«

Statt der Antwort griff Mills in die Brnsttasche seines Rocks, zog eine Pistole hervor und feuerte sie auf Bradley ab, der durch rasches Bücken der Kugel entging und im nächsten Augenblicke seinen Gegner mit

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der Faust zu Boden schlug. Zugleich hatte er ein mächtiges Bowiemesser unter dem Rocke hervorgezogen und würde dem Leben des Gefallenen wohl rasch ein Ende gemacht haben, hätten nicht viele hinzuspringende Männer seinen Arm erfaßt und ihm die Waffe entrissen.

»Hinaus mit dem Ruhestörer!« schrie jetzt wüthend die Menge, der Ruf »Hurrah für Swarton!« wurde von allen Seiten gehört, unter dröhnendem Stampfen mit Füßen und Stöcken erbebte das hölzerne Gebäude erschüttert in seinen Fugen, und in wenigen Minuten war der Gerichtssaal so mit Staub gefüllt, daß man kaum im Stande war seinen Nachbar zu erkennen.

Der Advocat Mills ward ergriffen und mit Faustschlägen und Stößen zur Thür hinausgeworfen, während der Scheriff und der hohe Richter mit aller Macht ihrer Stimme im Namen des Gesetzes Ruhe forderten. Die Aufregung war gewaltig und die laute Theilnahme für Swarton steigerte sich mit jedem Augenblicke.

Da trat Taylor abermals hervor und wurde mit lautem Jubel von den Zuhörern begrüßt, wogegen er sich dankend verneigte und mit einem Winke seiner Hand die Ruhe wieder herstellte.

Mit wenigen Worten nur beleuchtete er die so eben stattgehabte Scene, als eine der vielen gesetzlosen Demonstrationen gegen Robert, und bat die Geschwornen,

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nun bald Todtschlag im Affekt[Affect] auszusprechen und dadurch ihren Mitbürger gegen fremden Eigennutz, Haß und Bosheit zu schützen.

Ein stürmischer Beifall erschallte, ein donnerndes Hurrah folgte dem andern und die Begeisterung unter den vielen Hunderten von Zuhörern ging in ein wildes Frohlocken und Jauchzen über.

Anch der arme treue Jerry hätte gern mit eingestimmt, denn sein Herz klopfte hoch vor Freude, als er die Ausrufe zu Gunsten seines Herrn hörte, aber er durfte es in der Gegenwart weißer Menschen nicht wagen, seine Stimme ertönen zu lassen und war zufrieden, daß man ihn von dem Fenster des Gerichtshauses, durch welches er seinen jungen Herrn sehen konnte, nicht verdrängte. Mit Thränen in den Augen hielt er seine freudestrahlenden Blicke auf diesen geheftet, hob, wenn derselbe von Zeit zu Zeit nach ihm hersah, seine gefalteten Hände bebend unter das Kinn und nickte ihm zu, als wenn er sagen wolle, daß Alles nach Wunsche gehen werde.

Roberts Blicke hatten sich erhellt und begegneten wiederholt denen seiner genauern Freunde, namentlich aber sah er nach seinem Vater hin, der zwischen Farnwald und Georg Blanchard auf der vordersten Bank der Zuhörer saß. Der alte Mann schien ihm Muth

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einflößen zu wollen, denn er nickte ihm vertrauungsvoll zu und blickte dann auf die neben ihm sitzenden Freunde.

Farnwald aber hatte während der ganzen Rede des Advocaten seine Augen nicht von den Geschwornen abgewendet, er hatte jeden Eindruck, den dieselbe auf sie gemacht, genau in ihren Zügen beobachtet und ließ seine Blicke auch jetzt noch während des Lärmens und Tobens von Einem derselben zum Andern wandern. Aber keiner von ihnen sah nach ihm oder dem alten Swarton herüber, selbst Black nicht, der mit untergeschlagenen Armen und gesenktem Haupte gegen die Rücklehne der Bank gesunken, wie in Gedanken verloren dasaß.

Endlich verhallten die stürmischen Beifallsbezeugungen, es wurde von vielen Seiten her Ruhe geboten und der hohe Richter fragte, ob noch Jemand für oder gegen den Angeklagten etwas vorzubringen habe.

Mac Owen bemerkte nur nochmals, daß das Verbrechen zu klar als Mord vorläge, als daß es deshalb noch weiterer Ausführungen bedürfe, und Taylor sagte, daß kein Zweifel mehr über den Ausspruch von Todtschlag im Affekt[Affect] herrschen könne, weshalb er die Geschwornen nicht länger davon zurückhalten wolle, dieses auszusprechen.

Der hohe Richter gab nun eine gedrängte Zusammenstellung der ganzen Verhandlung, wendete sich darauf

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an die Geschwornen, rief ihnen nochmals ihre Pflicht, ihren Eid ins Gedächtniß zurück, ermahnte sie, ohne Nebenrücksichten nur nach ihrer gewissenhaften Ueberzeugung ihren Wahrspruch abzugeben und ersuchte sie, sich zum Zwecke der Berathung über Schuldig oder Nichtschuldig in den Saal des obern Stockes zu verfügen.

Einstimmigkeit ist in diesen Ländern zu einem Verdict nothwendig und häufig bleiben die Geschwornen Tage und Nächte lang zusammen, ohne sich zu einigen. Dem hohen Richter steht es zu, falls dies nicht vor Beendigung des district court geschieht, die Geschwornen mit sich von Connty zu County zu nehmen, bis nach einem halben Jahre das District-Gericht wieder in dem ersten Platze seinen Anfang nimmt, um die Sache dann von Neuem verhandeln zu lassen.

Black schritt voran die Treppe hinauf und ihm folgten seine Collegen, während der Scheriff den Angeklagten aus dem Hause geleitete, um ihn nach dem Gefängnisse zurückzuführen. Beim Hinausgehen sah Robert nochmals nach seinem Vater und nach Farnwald mit einem Blicke zurück, der deutlich aussprach, daß seine ganze Hoffnung auf ihnen beruhe, und wurde dann draußen von der Menge mit lautem Jubel begrüßt. Seine beiden Brüder empfingen ihn mit Thränen in den Augen an der Thür, drückten ihm schweigend die Hände und folgten

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ihm mit Jerry und einer großen Zahl seiner Freunde bis zu dem Orte seiner Verwahrung.

Es wurde im Städtchen heute allgemein spätes Mittagsessen gehalten, denn es war schon nach fünf Uhr, als das Gerichtshaus sich leerte. Im Beisein des Scheriffs brachte man den Geschwornen die Speisen hinauf in den Saal, worauf Copton dessen Thür verschloß und sich selbst nach seinem Hause begab.

Die Würfel über Roberts Schicksal sollten geworfen werden, weder seine Freunde noch seine Feinde konnten jetzt etwas in der Sache thun, und mit größter Ungewißheit und Spannung sah man dem Ausspruche der Geschwornen entgegen.

Nach Tisch, als der hohe Richter sich in das Gerichtshaus begeben hatte, um eine andere Klagesache in Verhandlung zu nehmen, und Viele sich wieder hinzudrängten, um derselben beizuwohnen, sammelten sich vor dem Gasthofe um den alten Swarton dessen Freunde, ihm Hoffnung und Muth einsprechend und sich bemühend, bei ihm die Zweifel über ein günstiges Urtheil zu beseitigen. Der alte Mann aber konnte sich nicht so unbedingt der Hoffnung hingeben, der Preis, der für ihn auf dem Spiele stand, war zu groß, als daß er sich hätte beruhigen können. Bedenklich schüttelte er wiederholt

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sein graues Haupt, preßte krampfhaft seine Hände zusammen und sagte:

»Wir werden es sehen, wie viele Freunde ich mir erworben habe; ich fürchte, ich fürchte, Roberts Schicksal wird zuletzt mir von sehr wenigen entschieden werden müssen!«

Die Gerichtsverhandlungen für diesen Tag waren vorüber, die Sonne neigte sich und die Nacht brach herein, doch von den Geschwornen wußte man nur, daß sie sich noch nicht über das Verdict geeinigt hatten, denn die Fenster in dem Saale wo sie versammelt waren, wurden hell und Copton ließ mit dem Abendbrod zugleich Matratzen und Decken für sie hinauftragen. Dennoch war der Platz um das Gerichtsgebände mit Menschen gefüllt, die auf den Wahrspruch warteten, und hier und dort hörte man Wetten anbieten und abschließen, zu Gunsten welcher Partei derselbe ausfallen würde.

Die Glocke rief zur Kirche, und während die frommen Gesänge aus den offnen Fenstern hervordrangen, wurde der Lärm und das wilde Toben vor dem Trinkhause immer lauter.

Es hatte sich über ein Dutzend Neger aus der Umgegend in der Straße vor demselben versammelt, deren Herren entweder schon nach Hause geritten, oder

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heute gar nicht in der Stadt gewesen waren. Sie warteten darauf, daß man sie, wie dies so häufig an Wahlen oder Gerichtstagen der Fall ist, auffordern möchte, zur Belustigung des Volkes mit einander für eine ausgesetzte Summe Geldes zu kämpfen.

»Höre Dan (Daniel), wir müssen gemeinschaftliche Sache machen,« sagte Aron, ein Neger von riesenhaftem herkulischen Körperbau, zu einem großen sehnigten Mulatten, indem er ihn auf die Seite zog, »die Kerle da können uns den Preis nicht streitig machen; wir nehmen es beide mit einem Dutzend solcher Zwerge auf.«

»Versieh Dich in Hugh (Hugo) nicht, er ist full game (ächter Kämpfer), so klein der Kerl ist, hat er doch eine Löwenkraft und seine Fäuste kneifen wie eiserne Schraubstöcke,« erwiederte der Mulatte seitwärts nach den andern Schwarzen hinblickend, zwischen welchen besagter Hugh, ein kleiner breitschulteriger Neger, die Aufmerksamkeit der vor dem Trinkhause versammelten Weißen zu erregen suchte, indem er seine Gefährten verhöhnte und sie zum Kampf herausforderte.

»Der Frosch?« sagte Aron verächtlich; »ich binde ihm Hände und Füße und hänge ihn an meinem Stock über die Schulter.«

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»Du irrst Dich, sage ich Dir; ich habe im vergangenen Jahre mit ihm gefochten und er machte mir viel zu schaffen. Wenn nur der Rufus von Squire Dickens nicht in der Stadt ist, der Kerl ficht wie ein wilder Büffel. Hast Du ihn nicht gesehen?«

»Mit keinem Auge; der alte Dickens würde ihn schön anlachen, wenn er ausfände, daß er hier gewesen wäre, ich möchte ihm dann meine Haut nicht borgen; der alte Kerl würde ihm Furchen auf dem Rücken ziehen, daß er Mais drin pflanzen könnte.«

»Du kannst ja zuerst mit dem Hugh anbinden, wenn er ein Paar von den Lumpen dort zusammengeschlagen hat, und wenn Du müde bist, so trete ich für Dich ein. Das Geld theilen wir ja doch,« sagte der Mulatte mit einem schlauen prüfenden Plicke auf Aron.

»Besser, wenn Du ihn zuerst vornimmst,« antwortete dieser, »Du weißt, ich bin stärker als Du; dann ist uns das Geld gewiß.«

»Hurrah Jungen!« schrie jetzt einer der Zecher vom Trinkhause zu den Negern herüber. »Hier sind fünf Dollar für den, welcher der beste Mann ist.«

»Hier noch fünf Dollar!« rief ein Anderer.

»Ich nehme sie auf gentlemen,« sagte Hugh, indem er seinen zerrissenen Strohhut vom Kopfe nahm und mit einer Verbeugung vor das Trinkhaus trat, von wo

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er sich dann zurück nach seinen Kameraden wendete und ihnen zurief:

»Wer von Euch will mir die zehn Dollar streitig machen?«

»Fackeln, Hurrah Fackeln, laßt uns ein real negro fight (ächtes Negergefecht) haben!« schrie[e]n jetzt die Weißen in und außerhalb des Trinkhauses, Alle sprangen nach dem Holzvorrath hinter demselben, Jeder versorgte sich dort mit Kienspänen, zündete deren einige an, und in wenigen Augenblicken war ein Fackelzug von einigen fünfzig Personen in Bewegung und zog unter wildem Toben, Lachen und Schwören auf dem wüsten steinigen Grunde hin, der hinter dem Gebäude lag.

Bald hatten die ausgelassenen, vom reichlichen Genusse des Branntweins erhitzten Männer einen Rasenplatz erreicht, sich dort in einem weiten Kreise aufgestellt, und Hugh warf, in denselben hinein tretend, seinen Hut an die Erde und rief:

»The money, gentlemen!« (das Geld, meine Herren!) Die silbernen Dollar flogen jetzt beim Scheine der Fackeln blinkend und klingend in den alten Hut hinein, so daß wohl einige zwanzig Stück darin angehäuft waren, als Hugh sich daneben aufstellte, Jacke und Hemd von sich warf, den Gürtel seines baumwollenen

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Beinkleides fester schnallte und den außerhalb des Kreise stehenden Negern herausfordernd zurief:

»Es wird wohl keiner unter Euch sein, der Lust hat, mir das Geld streitig zu machen?«

»Ruffle and tumble« (drücken und niederwerfen), rief ein junger schwarzer Bursche, indem er in den Kreis sprang, seine Toilette in der nämlichen Weise wie der Herausforderer ordnete und sich ihm entschlossen gegenüberstellte.

»Wie Du willst, ruffle and tumble, scratch and blow (kratzen und schlagen) oder kick and bite (treten und beißen); zu Allem fertig, mein Junge, komm heran!« antwortete Hugh, seine Arme öffnend, und während die Zuschauer ein wildes Geschrei anstimmten und die Fackeln über sich schwangen, stürzten die Kämpfer auf einander los, umklammerten gegenseitig ihre schwarzen geschmeidigen Körper und suchten durch Verschlingen ihrer Füße einer den andern aus dem Gleichgewicht zu bringen. Hin und her schwankten sie unter allein ihnen möglichen Kraftaufwand, bald wankte der eine, bald der andere, doch immer wieder glitt der Gebeugte, wie ein Aal aus der gewaltigen Umarmung seines Gegners und suchte durch einen raschen neuen Griff einen Vortheil über ihn zu gewinnen.

Wilder und lauter schrie[e]n die weißen Zuschauer

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den Ringenden zu, bald einen derselben verhöhnend, bald einen von ihnen aufmunternd, bis endlich Hugh seinen Gegner um die Hüften erfaßte, ihn hoch von den Füßen hob und mit solcher Gewalt an die Erde warf, daß er mehrere Minuten lang besinnungslos ausgestreckt da lag.

Ein jubelndes Hurrah für den Sieger ertönte jetzt aus der umstehenden Menge, der Besiegte, der sich wieder ermannte, wurde verlacht, nahm seine Kleidungsstücke auf und verließ den Kreis, um einem andern seiner Kameraden auf dem Kampfplätze Raum zu geben. Doch der ihm Folgende theilte bald sein Schicksal, auch er wurde durch einen andern ersetzt und so hatte Hugh sechs kräftige Neger nach einander besiegt, als er von Neuem neben dem Hute mit dem Gelde stand und laut triumphirend nach einem andern Gegner rief.

Es schien aber, daß sich Keiner mehr finden wollte, das gewagte Spiel zu unternehmen, denn vergebens forderte Hugh die Neger, deren Zahl sich unterdessen wohl um das Doppelte vermehrt hatte, auf, hervorzutreten.

»Warte noch einen Augenblick, Dan,« flüsterte Aron, der mit diesem hinter den andern Schwarzen im Schatten stand, demselben zu, »wenn keiner von uns vortritt, setzen die Weißen noch mehr Geld ein.«

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»Hurrah für die Dollar, Ihr Niggers! Ihr werdet dem Kerl doch das Geld nicht so billig lassen? Heran, hier sind noch fünf blanke Dollar!« rief Morting seine Fackel schwingend und warf die Geldstücke einzeln in den Hut, während zugleich auch von andern Seiten Münzen dorthin flogen.

»Warte Dan, Barrys Geffry dort scheint Lust zu haben, seine Rippen zu wagen, lasse ihm den Spaß, Du hast immer noch Zeit,« sagte Aron wieder leise zu dem Mulatten, als Geffry, ein baumstarker Neger, in den Kreis sprang und Hugh zurief:

»Scratch and blow, kick and bite!«

»Komm heran. Du siehst Deinem Vater, dem Affen, gar zu ähnlich; ich will einen schönen Menschen aus Dir machen. Dein Mäulchen ist zu zierlich,« antwortete Hugh mit übermüthiger Stimme, stellte sich mit vorgehaltenen Fäusten in Fechterstellung und empfing Geffry, seinen neuen Gegner.

»Hurrah, Ihr Jungen!« schrie man in wilder Begeisterung den Kämpfern von allen Seiten zu, während Morting den Hut vom Boden nahm und ihn auf und niederschwenkte, so daß die Silberstücke klingend und blitzend darin aufsprangen. Geffry hatte seinen Gegner erreicht und führte einen solch gewaltigen Fauststoß nach dessen Kopfe, daß er wohl einen Büffel damit

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hätte zu Boden strecken können, doch Hugh parirte denselben geschickt mit seinem linken Arme ab und stieß in demselben Augenblicke mit der eisernen Rechten seinen Widersacher so gewaltig gegen die untere Hälfte seines großen Mundes, daß er zurücktaumelte und das Blut über seine enorme Unterlippe rieselte. Aber Geffry, weit davon entfernt, diese kleine Verwundung zu beachten, stürmte wieder auf Hugh zu, beide sprangen, wie die Kampfhähne, hoch vor einander in die Höhe und traten einer den andern mit solcher Gewalt gegen den Leib, daß sie beide weit zurück und rücklings in das Gras stürzten. Im Augenblicke hatten sie sich aber unter schallendem Bravoschreien der Umstehenden wieder aufgerafft, nahmen einen zweiten Anlauf auf einander und als Geffry mit einem Fuße nach Hugh trat, ergriff dieser denselben, hob ihn in die Höhe und brachte dadurch seinen Gegner abermals zu Boden. Zugleich stürzte er sich mit dem Knie auf dessen Brust und schlug nun mit den Fäusten einen solchen furchtbaren Wirbel auf sein Gesicht, daß dasselbe nach wenigen Minuten mehr einem schwarzen Kürbiß ähnlich sah, als einem menschlichen Antlitz.

»Bravo, Hurrah für Hugh!« schrieen die Zuschauer, mit hocherhobenen Fackeln sich um den Sieger und den Gefallenen drängend, als Hugh sich von seinem regungslosen Opfer erhob und nach dem Hute griff, in welchem das Geld lag.

»Noch einen Augenblick, Herr Hugh,« sagte Dan, der Mulatte, durch die Zuschauer schreitend, »möchte auch gern die blanken Dollar haben.«

»Könnt sie bekommen, HerrDan,« antwortete dieser zurücktretend und einen Seitenblick nach dem Hute sendend, in welchen in diesem Augenblicke von verschiedenen Seiten hergeworfene Geldstücke niederfielen.

»Alles gilt, Hugh,« sagte Dan, ließ seine Kleidung in das Gras fallen und stellte sich in einiger Entfernung von ersterem zum Kampfe auf.

»Alles,« war des Negers Antwort, als der Mulatte mit zwei ungeheuren Sätzen denselben erreichte, dieser sich aber bückte, ihm rasch seinen Kopf durch die Beine schob, ihn aufhob, hoch über sich rücklings in das Gras schleuderte und wie eine Tigerkatze über ihn herfiel. Zum Trommelschlage senkte er nun seine Fäuste auf das olivenfarbene Gesicht seines Gegners und verwandelte es in wenig Minuten in eine unförmliche gallertartige Geschwulst, während ihm der rasendste Beifall von den belustigten Zuschauern zugeschrie[e]n wurde.

»Er hat sich anders besonnen, er will keine Dollar haben,« sagte Hugh, indem er aufstand und seine blutigen Hände an seinem Beinkleide trocknete.

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»Ich will sie für ihn und für mich nehmen,« sagte Aron jetzt und klopfte Hugh auf die Schulter, »laß mich nur Rock und Hemd ablegen. Du möchtest Dich darin verwickeln.«

Hugh sah überrascht zu dem Riesen auf und sagte, indem er einen Schritt zurücktrat:

»Du sagtest ja, Du würdest nicht fechten, Aron, Dein Herr hätte es Dir streng untersagt. Laß uns das Geld theilen.«

»Wüßte nicht, warum ich theilen sollte. Du willst mir doch das Ganze nicht streitig machen? Besser Du thust es nicht. Dein Herr möchte Dich sonst nicht kennen, wenn Du nach Hause kämest.«

»Hurrah, Hugh! lasse Dich nicht bange machen. Du wirst mit dem eben so gut fertig, als mit dem Mulatten. Frisch Hugh, hier sind noch mehr Dollar!« riefen ihm die dicht um ihn gedrängten Weißen zu und von Neuem wurden Silbermünzen in den Hut geworfen.

»Gut, wenn Du nicht theilen willst, so sollst Du fechten, umsonst lasse ich Dir das Geld nicht. Du bist aber ein schlechter Kerl, denn hätte ich gewußt, daß Du mitspielen wolltest, so würde ich Dich zuerst vorgenommen und mich nicht vorher mit den Andern abgequält haben.«

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Aron brach aber in ein rohes schallendes Gelächter aus, das wie ein Donner die wilden aufmunternden Ausrufe der Zuschauer übertönte und tanzte wie ein Bär bald auf den Spitzen, bald auf den Hacken seiner ungeheuern Füße im Kreise herum, wobei in dem hellen Fackelschein die blendend weißen Zähne seines weit geöffneten breiten Mundes und das blendende Weiß seiner großen Augen blitzend aus dem rabenschwarzen Gesichte hervorglänzten.

Während dieser Herkules nun seinen überlisteten Gegner verlachte, ihn durch Worte und Geberden verhöhnte und Letzterer zwar zum Kampfe entschlossen, aber vor Aerger mit den Zähnen knirschend ihm gegenüber stand, trat aus dem dunkeln Schatten einer unweit des Kampfplatzes stehenden Eiche eine andere Riesengestalt hervor und bewegte sich langsam der lärmenden Menge zu.

Diese schwere Mannsgestalt war Rufus, der Sklave von Squire Dickens, der wegen seiner ungewöhnlichen Stärke von allen Negern in der Umgegend gefürchtet war und der verstohlen von dem Baume her den Kämpfen zugesehen hatte. Er näherte sich, um dieses Gefecht besser beobachten zu können, verbarg sich jedoch vorsichtig hinter einem Busche, damit er selbst nicht bemerkt werde.

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Aron hatte seinen Oberkörper entblößt und stand da mit seiner kolossalen Brust und seinen furchtbaren muskulösen Armen, wie ein kampfbereiter Büffel.

»Nun Hugh, willst Du mir die Dollar im Guten überlassen?« fragte er spöttisch auf seinen Gegner blickend.

Dieser aber, statt der Antwort, sprang mit zum Schlage erhobener Faust auf ihn zu, bückte sich, als er ihn erreicht hatte und wollte ihm, wie er es dem Mulatten gethan, mit dem Kopfe durch die Beine schießen, doch Aron war auf seiner Hut, trat zurück und senkte seine Faust mit solcher Gewalt auf das Haupt des Angreifers, daß derselbe wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzte und regungslos liegen blieb.

»Verdammt, wenn er dem Kerl nicht den Schädel eingeschlagen hat!« schrie Morting.

»Hölle, das war ein Schlag!« rief ein Anderer und Alles drängte sich zu dem Gefallenen hin, um sich zu überzeugen, ob er wirklich getödtet sei. Doch dieser schlug die Augen wieder auf, preßte beide Hände auf seinen wollichten Kopf und blickte verworren, als wisse er nicht wo er sei, um sich.

»Einem Nigger schlägt man den Kürbiß nicht so leicht entzwei,« rief Aron lachend, komm Hugh, steh auf, es hat Dich eine Fliege gestochen. Geh nach Hause

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und sage Deinem Herrn, daß Du dreißig Dollar verspielt hättest.«

Darauf richtete sich der Riese zu seiner vollen Größe auf und rief mit lauter Stimme:

»Sonst noch Jemand, dem nach dem Schatze gelüstet?«

»If you please, gentlemen« (Erlauben Sie, meine Herren) sagte eine tiefe Baßstimme in den hintersten Reihen der Zuschauer; diese traten zur Seite und während sie in einen stürmischen Jubel ausbrachen, schritt Rufus zwischen ihnen hervor und in den Kreis hinein.

Mit einem unterdrückten Fluche blickte Aron auf den neuen Ankömmling, der schweigend seine Kleidung abwarf.

»Du hier, Rufus?« sagte er in unangenehmer Ueberraschung zu ihm, »es wäre Tollheit, wollten wir beide uns die Knochen zerschlagen, laß uns theilen. Wenn der Squire hört, daß Du hier gewesen bist, zieht er Dir die Haut vom Rücken.«

»Hast es dem Hugh eben so gemacht. Ich will sehen, ob ich ihm seinen Theil an den Dollars gewinnen kann, um den Du ihn betrügen wolltest. Wie sollen wir fechten?«

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»Ruffle and tumble,« antwortete Aron entschlossen, »denn wenn Du mit einem Zahne weniger nach Hause kämest, so möchte Dein Herr verdrießlich werden.«

»Wie Du willst, doch sorge für Deine eigne Haut,« sagte Rufus und wendete sich dann nach den dicht hinter ihm stehenden Zuschauern mit den Worten:

»Wenn es gefällig ist, etwas mehr Raum, meine Herren, wir möchten auf Sie fallen.«

Er war wohl noch zwei Fingerbreit höher als Aron, von noch mächtigerm Gliederbau und schwerfälliger in seinen Bewegungen. Seine riesigen Schultern schienen von der Natur zum Tragen schwerer Lasten bestimmt zu sein und seine ungeheuren Muskeln zeigten, daß sie sich unter harter Arbeit ausgebildet hatten. Seine langen Arme, die großen Hände und Füße, seine glänzend schwarze Haut und das ganz kurze wollichte Haar auf seinem verhältnißmäßig kleinen Kopfe bekundeten das rein afrikanische Blut. Trotz seiner breitgeflügelten Nase und den dick aufgeworfenen Lippen war er ein schöner Mann zu nennen, trug Ehrlichkeit und Gutmüthigkeit auf seinem Gesicht, und Onkel Rufus, unter welchem Namen er weit und breit bekannt war, wurde allenthalben vcn den Weißen gern gesehen und freundlich behandelt.

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Beide Neger waren Männer von jeder weit mehr als zweihundert Pfund Gewicht und die umstehenden Weißen erschienen neben ihnen wie Knaben.

»Hurrah für die Dollar!« schrie[e]n diese den beiden Kolossen wild und tobend zu, schwangen ungeduldig ihre Fackeln und wetteten unter einander um hohe Beträge, welcher von beiden den Sieg davontragen würde.

Mit schweren Schritten und vorgebeugtem Oberkörper näherten sich diese jetzt einander, hielten ihre zum Angriffe geöffneten Hände vor die Brust und stierten sich gegenseitig in die blitzenden Augen. Einen Augenblick standen sie lauernd sich gegenüber, als wollte einer des andern Griff errathen, erfaßten sich dann so plötzlich und gewaltig, daß die Berührungen auf dem nackten Körper wie ein Schlag erschallten, und Aron flog mehrere Fuß hoch durch die Luft und taumelte dann rückwärts, während Rufus sogleich von Neuem auf ihn einstürmte. Doch Aron warf sich ihm wüthend entgegen, faßte ihn in den Seiten, hob ihn auf und schleuderte ihn noch höher, als jener ihn, von sich hinweg, so daß er strauchelnd wieder auf die Erde kam.

Das Geschrei, die Hurrahs und Beifallsrufe steigerten sich jetzt zu einem rasenden Geheul, die durch die Luft geschwungenen Fackeln schlugen gegen einander und sandten

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einen Feuerregen über die schwarzen Kämpfer hin; doch diese schienen in ihrer Wuth nicht mehr zu fühlen und wer von ihnen den andern ergriff, schleuderte ihn wie einen Ball in die Luft.

»Kick and bite!« brüllte jetzt Aron nach einem ausgestoßenen entsetzlichen Fluche, stürzte sich, wie ein angeschossener Bär auf seinen Gegner und schlug ihn mit solcher Gewalt auf den Kopf, daß derselbe wie betäubt zurückwankte und mit vorgehaltenen Händen den wüthenden Aron von sich abhielt. Aber im nächsten Augenblicke schwankten die beiden Goliathe Brust an Brust in furchtbarer Umarmung hin und her, alle ihre Muskeln, ihre Sehnen schienen durch die Haut hervorbrechen zu wollen, ihre in Wuth verzerrten Gesichter glichen nicht mehr denen menschlicher Wesen und wie wilde Thiere suchten sie einander mit den Zähnen zu ergreifen. Nach wenigen Minuten dieses verzweifelten Kampfes trat aber die Ueberlegenheit Rufus deutlich hervor, Aron wankte zurück, strauchelte und stürzte, im schweren Falle seinen Gegner mit sich niederreißend, zu Boden.

»Hurrah für Rufus, Hurrah für Aron!« erschallten jetzt die gellenden Rufe der weißen Zuschauer, welche sich vor und hin und her drängten, ihre Fackeln über die Fechter hielten, damit keine deren Bewegungen

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ihnen entging, und bei jedem Vortheil, den der eine über den andern gewonnen, die wildesten Schreie ausstießen.

Ein schwarzer Knäuel, rollten sich die wuthentbrannten Kämpfer über und über, bis endlich Rufus sich der Umarmung seines Gegners entwand, seine ungeheure Linke um dessen Hals klammerte und ihn mit seiner eisernen Rechten mit solcher Kraft auf die Augen schlug, daß derselbe mit Gebrüll, ähnlich dem eines niedergeschlagenen Stiers zurücksank und seine Riesenarme machtlos sinken ließ.

Rufus blickte einen Augenblick auf ihn hinab, richtete dann seinen schweren Körper auf und stotterte mit athemloser Stimme und einem gutmüthigen Lächeln:

»Er hat mich warm gemacht.«

»Nimm Dein Geld, Du hast es sauer verdient,« riefen mehrere der Umstehenden, doch Rufus wendete sich zu Hugh hin und sagte:

»Komm, Hugh, wir wollen theilen, Du hast härter gearbeitet als ich.«

Während dieser einen Kienspan angezündet und sich zu Rufus in das Gras gesetzt hatte, um mit ihm das Geld zu zählen, stürmten die Zuschauer, Morting an ihrer Spitze, unter wildem wüsten Lärmen nach dem

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Trinkhause zurück, und nachdem die beiden Neger sich in die erkämpften Dollar getheilt hatten, ließen sie den noch immer regungslosen Aron in der Dunkelheit liegen und begaben sich eiligst auf ihren Heimweg, um womöglich ihre Hütten zu erreichen, ehe sie von ihren Herren vermißt würden.

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Capitel 22.

Der Versucher. - Die Ochsenhaut. - Der Dieb. - Das Lynchen. - Der geheimnißvolle Kasten. - Das Bild. - Religiöse Schwärmerei. - Der schlaue Yankee.


Während dieser Zeit saßen in dem obern Stocke des Gerichtsgebäudes in einem Saale die Geschwornen um einen großen Tisch und hatten alle, bis auf drei >schuldig< ausgesprochen, während diese auf >nicht schuldig< bestanden.

Black allein hatte noch keine bestimmte Meinung laut werden lassen, wohl aber wiederholt darauf hingewiesen, daß das Gesetz für das vorliegende Verbrechen unwiderruflich die Todesstrafe durch den Strang bestimme. Unter den drei Männern, die Robert freigesprochen haben wollten, befand sich eigentlich nur einer, der nach eignem Ermessen handelte und fest entschlossen war, bei seinem Ansspruch zu beharren, während die andern beiden mehr unter seinem Einflüsse zu stehen schienen und seinen Ansichten, seinen Erklärungen stets beistimmten. Dieser Eine war ein ältlicher Mann

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Namens Fetcher, einer der vielen Pflanzer aus der nahen Umgebung des Städtchens, dessen ganzes Vermögen in einem Stückchen Land bestand, welches er selber mit einem einzigen Pferde bestellte, um dadurch den Unterhalt für seine Frau und seine noch nicht erwachsenen Kinder zu erwerben. Die Swartons hatten sich seiner stets hülfreich angenommen und ihn häufig bei seiner Arbeit unterstützt, daher fühlte er sich denselben zu großem Danke verpflichtet und erklärte jetzt, daß wenn er auch von County zu County dem hohen Richter folgen müsse, so würde er doch nimmermehr etwas anderes, als >nicht schuldig< aussprechen.

Es war schon nach Mitternacht und die Geschwornen suchten einzeln ihre Matratzen, um sich zur Ruhe niederzulegen, als Black den Pflanzer Fetcher nach der andern Seite des Saales zog und dort ein vertrauliches Gespräch mit ihm begann.

»Sie wissen, daß ich selbst ein warmer Freund von Swartons bin,« sagte er mit gedämpfter Stimme zu ihm, »und sähe ich eine Möglichkeit, den Angeklagten zu retten, so würde ich kein Opfer dafür scheuen. Allein was hilft unser Sträuben? Wenn wir uns nicht einigen, so verzögern wir nur die Sache bis zum nächsten Gericht und müssen in der Zwischenzeit den hohen Richter von County zu Counuy begleiten, von aller andern

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Gesellschaft wie Gefangene ferngehalten. Dann wird beim nächsten district court die Sache an eine andere County zur Entscheidung abgegeben, wo man rascher damit zu Ende kommen und unzweifelhaft das Schuldig über Robert aussprechen wird. Denn daß er dem Gesetz verfallen ist, können wir doch nicht abläugnen. Wozu also ein halbes Jahr lang kostbare Zeit verlieren, wenn man doch seinen Zweck dadurch nicht erreichen kann. Wer soll Ihnen denn während dieser Zeit die Feldarbeit thun?«

»Die werden Swartons mit Freuden übernehmen,« antwortete Fetcher.

»Swartons? die müssen ja selbst jetzt ihre Besitzung verlassen und hinaus in die Wildniß ziehen, um sich eine neue Heimath zu gründen. Auf die dürfen Sie nicht weiter rechnen. Außer ihrem Viehstande verlieren sie ja Alles.«

»So werden ihre Freunde sich meiner annehmen,« erwiederte Fetcher sichtlich etwas beunruhigt.

»Freunde? ja Freunde in der Noth, gehen einige Dutzend auf ein Loth! Dies ist kein Land für Freundschaft. Hier heißt es >hilf Dir selbst,< und wer dies nicht thut, dem wird sicher nicht geholfen. Das Hemd ist mir näher als der Rock. Ein jeder hat Verpflichtungen gegen sich selbst, und wenn er verheirathet ist,

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auch gegen seine Familie. Mit einem unverheiratheten jungen Manne ist es etwas Anderes; wenn er auch seiner Liebhaberei zu Gefallen einmal ein Jahr opfert, so kann er das Versäumte im darauf folgenden wieder einbringen; ein Familienvater aber darf die Existenz der Seinigen nicht um fremder Leute Willen aufs Spiel setzen. Niemand wird Ihnen ein solches Opfer danken, mein lieber Fetcher, im Gegentheil, man wird Sie obendrein auslachen. Wie gesagt, könnten Sie den Verbrecher dadurch retten, so wollte ich Ihnen selbst dazu rathen, bei Ihrer Ansicht zu verharren, so aber helfen Sie ihm nichts und werden sich in vieler Beziehung Schaden zufügen.«

»Wenn Andere sein Todesurtheil fällen wollen, so mögen sie es thun, ich werde mich nimmer dazu verstehen,« antwortete der Pflanzer entschlossen.

»Also nur, um vor der Welt sagen zu können, daß Sie Ihrer einmal gefaßten und ausgesprochenen Ansicht treu geblieben wären? Das ist ein schlecht belohntes Verdienst in diesem Lande; wer kümmert sich hier um Ansichten und Meinungen, wenn nicht dem einen oder andern dadurch ein Vortheil verschafft wird? Dem Gefangenen nützen Sie, wie gesagt, nicht das Mindeste damit, wohl aber kann Ihnen möglicherweise ein bedeutender Vortheil dadurch entgehen, den Sie als Familienvater

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wohl zu berücksichtigen hätten. Ich höre, die Wittwe des Gemordeten will sich gegen die Geschwornen, die in ihrem Interesse gehandelt haben, erkenntlich zeigen. Sie ist eine ungeheuer reiche Frau und fünfhundert Dollar ist eine Kleinigkeit für sie; dafür könnte man sich einen prächtigen Feldneger oder eine Negerin mit einem Kinde kaufen. Nun gute Nacht, lieber Fetcher, ich wünsche, daß Sie, nachdem der Verbrecher gehangen ist, und das wird er sicher, es niemals bereuen mögen, diesen Vortheil von sich gewiesen zu haben.«

Mit diesen Worten wendete sich der Einbeinige rasch von dem Pflanzer ab und humpelte nach einer der auf dem Fußboden ausgebreiteten Matratzen, wo er sein hölzernes Bein abschnallte und sich dann niederlegte, doch hielt er seinen Blick immer noch auf Fetcher geheftet.

Dieser blieb in Gedanken versunken am Fenster stehen und schaute in die dunkle Nacht hinaus, bis auf der Tafel das niedergebrannte Licht das darum gewickelte Papier ergriffen hatte und in einer hohen rauchenden Flamme aufloderte. Dann schritt er zu dem Tische, warf noch einen Blick auf den Schulmeister, löschte die Flamme aus und legte sich auf das für ihn bestimmte Lager nieder. Schlafen konnte er aber noch nicht, denn er dachte an Swartons, dachte an seine Familie und zwischen

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beiden stand in seinem Geiste fortwährend ein schlanker kräftiger Negerbursche und eine Negerin mit einem Kinde, die seiner Befehle harrten. Er warf sich unruhig auf seinem Lager hin und her, die Neger aber konnte er nicht aus seinen Gedanken verscheuchen, sie folgten ihm selbst in seinen Traum und als er am andern Morgen erwachte, standen sie gleich wieder vor seiner Seele. Eine innere Stimme strafte ihn deshalb, aber immer betrachtete er wieder die vielen Annehmlichkeiten, die der Besitz eines ersten Negers bot. Hatte man erst einen Sklaven, so verdiente dieser unfehlbar im Laufe eines Jahres den zweiten, hatte man erst eine Negerin, so konnte eine ganze Negerfamilie nicht ausbleiben, dann würde Baumwolle gebaut, die daraus gepackten Ballen würden in baares Geld umgewandelt und mit diesem würden alle Mängel beseitigt, alle Annehmlichkeiten herbeigeschafft.

Mit solchen Betrachtungen war der Pflanzer schon eine geraume Zeit im Saale auf- und niedergeschritten, während seine Collegen noch schnarchend auf ihren Matratzen lagen, da es noch sehr früh war und der anbrechende Tag nur erst ein zitterndes Dämmerlicht durch die Fenster des Saales warf.

Der Pflanzer war an eins derselben getreten und blickte über den öden Platz; nirgends war ein lebendes

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Wesen zu sehen, die Thüren und Fenster der hölzernen Gebäude, die denselben umstanden, waren noch geschlossen und der Morgennebel rollte sich wie ein schwebender leichter Schleier vor denselben hin. Weiter über die Häuser hinaus stand auf der Anhöhe zwischen den alten Lebenseichen das Gefängniß, in welchem Robert Swarton gefangen saß und vor der Thür desselben erkannte der Pflanzer durch die Dämmerung den alten Jerry, wie er sich auf deren Schwelle zusammenkauerte. Alle die viele Freundlichkeit, die viele Hülfe, die Fetcher von Swartons empfangen hatte, drängte sich ihm in diesem Augenblicke vor die Erinnerung und sein Entschluß, niemals das >Schuldig< über Robert auszusprechen, war jetzt wieder fester denn je.

»Guten Morgen, Herr Fetcher,« rief ihm der Einbeinige von seinem Lager her zu, »schon so früh bei der Hand? Sie denken wohl nach Hause, wer die Maisblätter für Sie brechen und den Mais ernten soll? Ja, hätten Sie einen Neger, dann könnten Sie des Morgens eine Stunde länger schlafen, am Ende des Jahres wäre ein zweiter Neger verdient und in wenigen Jahren würden Sie, statt Farmer, Plantagenbesitzer genannt werden. Aller Anfang ist schwer und die ersten tausend Dollar zu verdienen, ist die härteste Arbeit. Wie haben Sie geschlafen? Was ist für Wetter draußen?

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heiterer Himmel, wie ich sehe, wird ein heißer Tag werden.«

Während dieser Reden hatte Black den Stock an seinen Beinstumpf angeschnallt, sich von dem Lager erhoben und hoppelte zu dem Pflanzer hin, um ihm zum Morgengruß die Hand zu reichen.

»Höllenheiß hier im Zimmer,« sagte er, das Fenster aufreißend, »überhaupt ein höchst fataler Aufenthalt. Da muß man sein Geschäft vernachlässigen und kann doch nichts nützen. Soll mich wundern, wie lange es dauern wird. Haben Sie sich noch nicht anders besonnen? Machen Sie ein Ende damit. Helfen können Sie dem Menschen ja doch nichts!«

»Es wäre Verrath gegen meine Freunde, Herr Black,« erwiederte der Pflanzer gedankenvoll.

»Verrath? Thorheit! Ja, wenn Ihre Stimme den Mörder retten könnte - aber baumeln muß er ja doch und wenn Sie sich noch so lange dagegen auflehnen. Ich bitte Sie, überlegen Sie doch nur, zu welchem Zwecke Sie uns und sich selbst hier gefangen halten wollen. Gehangen wird er, es fragt sich nur, ob Sie von der Gelegenheit Gebrauch machen und einen tüchtigen Neger gewinnen wollen oder ob Sie vorziehen, selbst nach wie vor hinter dem Pfluge herzulaufen und bald die Axt, bald die Hacke zu schwingen? Wie ich Ihnen

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sagte, fünfhundert Dollar baar Geld sind Ihnen gewiß; thun Sie aber ganz was Ihnen gut dünkt; ich habe kein anderes Interesse dabei, als aus dieser gänzlich nutzlosen Gefangenschaft herauszukommen,«

»Swarton sind mir so herzliche, liebe Freunde gewesen, wie kann ich jetzt meine Stimme gegen deren Sohn abgeben?«

»Da würden Sie ihm in keiner Weise schaden, denn dem Gesetz ist er verfallen, das können Sie doch nicht läugnen. Bedenken Sie, daß Sie einen Eid geschworen haben, ohne alle Nebenrücksichten, ohne alle Vorurtheile, nach Ihrer Ueberzeugung das Verbrechen zu beurtheilen. Sie handeln ja gegen Ihren Eid, und wenn Ihnen die Wittwe des Gemordeten später ein Geschenk von fünfhundert Dollar macht, so liegt in der Annahme desselben nach meiner Ansicht kein Unrecht. Handeln Sie nur nach Ihrer wahren Ueberzeugung und thun Sie, was das Gesetz verlangt, dann brauchen Sie sich gewiß keinen Vorwurf zu machen. Wer mag der dicke Mann dort sein, der vor dem Hause des Scheriffs vom Pferde steigt; er muß etwas Eiliges haben, denn er klopft an der verschlossenen Thür. So früh geht man doch dem Geschäfte hier nicht nach.«

Der wohlbeleibte Mann, auf welchen der Schulmeister seinen Collegen Fetcher aufmerksam machte, war

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ein Pflanzer, Namens Siemor, der an dem Wege nach L*** hin wohnte. Durch Geschäfte hierhergerufen, war er auf seinem Ritte am Abende vorher wenige Meilen von C*** von der Dunkelheit überrascht worden, hatte den Weg verloren und im Freien übernachten müssen. Beim ersten Grauen des Tages war er aufgebrochen und hatte so eben das Ziel seiner Reise erreicht. Sein Weg hatte ihn an der Wohnung des Postreiters Dutch Charley, unweit des Städtchens an der Straße vorübergeführt und hier hatte er eine mit Stöcken ausgespannte Ochsenhaut erblickt, die an einem Baume innerhalb Charleys Einzäunung zum Trocknen aufgehangen war. Es fiel ihm auf, daß die Haut genau dieselben Zeichen trug, wie ein ihm vor Kurzem von der Weide abhanden gekommener junger Stier. Sie war ganz weiß, hatte nur einen runden schwarzen Fleck auf der Stirn, einen eben solchen auf dem Rücken und einen schwarzen Schweif. Dies bewog den Pflanzer, sein Pferd an einen Baum zu befestigen und selbst über die Einzäunung zu steigen, um das Brandzeichen der Haut zu untersuchen. Zu seiner noch größern Ueberraschung erkannte er das seinige. Es war kein Zweifel mehr darüber vorhanden, daß dies die Haut seines vermißten Stiers sei, und ohne den Eigenthümer des Hauses zu wecken, bestieg er sein Pferd und

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beschloß, in der Stadt Klage gegen den Dieb zu erheben. Die Wohnung des Scheriffs war ihm durch einen Neger bezeichnet worden; er stand jetzt an der Thür derselben und klopfte ungeduldig, damit man öffne.

»Wer ist da?« rief es in dem Hause,

»Ich wünsche den Herrn Scheriff zu sprechen,« sagte der Pflanzer, indem er abermals an die Thür klopfte.

»Gleich, gleich! Was giebt's?« rief man aus dem Blockhause hervor, Tritte wurden hörbar, die Thür öffnete sich und der Scheriff trat heraus auf die Straße.

»Ei ei, Herr Siemor,« sagte Copton zu dem Farmer, »wollen Sie uns auch einmal in unserm Städtchen besuchen. Sie erinnern sich meiner wohl gar nicht mehr und doch ist es noch nicht so lange her, daß Sie mich eine Nacht unter Ihrem Dache beherbergten.«

»Ja wohl, jetzt erkenne ich Sie wieder,« sagte der Farmer, indem er Copton die Hand reichte, »ich hatte damals Ihren Namen nicht erfahren; Sie wissen, man fragt einen Gast nicht, wer er sei, wenn man ihm Gastfreundschaft erzeigt; freut mich aber jetzt um so mehr, daß Sie hier Scheriff sind, da ich gerade im Augenblicke Ihrer Hülfe bedarf.«

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Der Pflanzer theilte Copton nun seine Entdeckung mit, bat ihn, mit ihm zu gehen, um die Haut in Beschlag zu nehmen und den gegenwärtigen Besitzer derselben von Gerichtswegen sich über deren Erwerb ausweisen zu lassen.

»Das ist die Wohnung unsres Postreiters,« sagte der Scheriff, »der zugleich unsre Stadt mit Fleisch versorgt; er treibt das Metzgerhandwerk schon seit längerer Zeit. Dieser Fall wirft aber einen sehr schweren Verdacht auf ihn, denn in den letzten sechs Monaten ist hier häufig von Pflanzern Anzeige über abhanden gekommenes Vieh gemacht, über dessen Verschwinden nichts Näheres ermittelt werden konnte. Da man nirgends Ueberreste davon fand, so ließ sich auch nicht vermuthen, daß es Raubthieren zur Beute geworden wäre. Es sollte mir für unsern Postreiter leid thun, wenn er sich des Diebstahls schuldig gemacht hätte; er ist allgemein beliebt und gilt für einen ehrlichen Menschen. Gehen Sie nach dem Gasthause, ich will mir bei unserm County Clerk die Listen über das, als verschwunden angezeigte Vieh holen, in welchen die Brandzeichen der Eigenthümer angegeben sind und dann ermitteln, ob sich die Häute nicht in dem Vorrathe des Charley befinden. Ich hole Sie im Gasthause ab.«

Eine halbe Stunde später schritt der Scheriff mit

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dem Farmer Siemor zum Städtchen hinaus und bald erreichten sie die Wohnung des Postreiters.

Dieser stand vor dem kleinen Blockhause beschäftigt, frisches Fleisch auf einen Karren zu laden, vor welchen sein Schecke gespannt war. Verdutzt blickte er, als er den Scheriff erkannte, nach ihm und seinem Begleiter hin und als dieselben von der Straße ab nach seinem Hause herauschritten, rief er Copton entgegen:

»Ei, Herr Copton, woher so früh?«

»Dieser Herr hat meinen Beistand verlangt, um jene Haut an dem Baume dort in Augenschein zu nehmen; von der er glaubt, daß sie sein Brandzeichen trage,« erwiederte der Scheriff, indem er unter den Baum trat.

Charley wurde blaß und konnte keine Antwort finden, um so weniger, als Copton ihn mit scharfem Blicke beobachtete. Seine Verlegenheit war unverkennbar.

»Die Haut?« sagte er endlich, »die Haut habe ich gekauft; das heißt den Stier habe ich gekauft.«

»Von wem?« fragte Copton, den Postreiter fest ansehend.

»Der Name des Mannes ist mir entfallen, er sagte, er sei bei L*** zu Hause. Er brachte mir einige

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Stück Vieh hierher und versprach mir bald noch mehrere zu bringen.«

»Es war mein Stier, hier steht mein Brand,« sagte Siemor auf die Haut zeigend, »man hat ihn von meiner Heerde fortgetrieben, denn von selbst verließ er sie niemals.«

»Ich muß Ihre vorräthigen Häute durchsehen,« sagte Copton zu Charley und schritt nach einem Schoppen hinter dem Hause, wo eine große Anzahl derselben aufgehäuft lagen.

»Ich will Ihnen den Stier bezahlen, wenn er Ihnen von dem Manne, der ihn mir verkauft hat, vielleicht gestohlen sein sollte,« sagte Charley mit bebender Stimme zu Siemor und trat dem Scheriff in den Weg, um ihn von dem Schoppen zurückzuhalten.

»Es ist meine Pflicht, die Häute zu untersuchen, Charley,« sagte Copton zu diesem; »mit dem Herrn Siemor hier mögen Sie sich verständigen, ob er seine Klage zurücknehmen will, aber die Häute dort muß ich durchsehen.

Charley zitterte an allen Gliedern, ergriff den Scheriff beim Arm und flüsterte ihm in das Ohr:

»Ach, machen Sie mich nicht unglücklich, Herr Copton.«

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»Ich muß meiner Pflicht nachkommen,« erwiederte der Scheriff, schritt zu den Häuten hin und zog die obersten von dem Haufen herab.

»Was ist das hier, Charley? Hier steht D. W., das Brandzeichen Daniel Warricks und hier L. R., das ist Lucian Rievers Zeichen; beide haben Anzeige gemacht, daß ihnen Vieh gestohlen sei und daß sie seit zwei Jahren kein Stück verkauft hätten. Charley, Charley, das sind böse Sachen! Sie haben mir jetzt zu folgen, um sich vor Gericht hierüber zu rechtfertigen.«

»Ach, Herr Copton, verzeihen Sie mir!« rief Charley, zitternd dessen Hände erfassend. »Sie stürzen mich ins Elend!«

Doch der Scheriff ließ sich nicht abhalten, sämmtliche Häute durchzusehen, unter denen er denn auch wirklich die meisten der, in den Listen bezeichneten fand.

»Spannen Sie ihren Schecken aus und bringen Sie das Fleisch in Sicherheit,« sagte nun der Scheriff zu Charley, »dann gehen Sie mit mir.«

Dieser bat und flehte, keine Anzeige von seinem Diebstahle zu machen, doch Copton berief sich auf seinen Diensteid und nahm den Postreiter als seinen Gefangenen mit sich nach der Stadt, wo er ihn in Verwahrung brachte.

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Die Kunde von der Auffindung der Häute verbreitete sich schnell durch den Ort. Die meisten der Eigenthümer derselben waren gegenwärtig und begaben sich nach Charleys Wohnung, um sich selbst zu überzeugen, ob das von ihnen vermißte Vieh vom Postreiter gestohlen sei, und als sich dies bestätigte, wurde die höchste Entrüstung gegen den Dieb allgemein laut; denn ein Mord, eine Brandstiftung bringt unter den Grenzbewohnern nie solche Aufregung hervor, wie ein Diebstahl an Vieh. Das ganze Städtchen gerieth in Aufruhr, Alles drängte sich in der Nähe des Gerichtsgebäudes in Gruppen zusammen, allenthalben wurde die Angelegenheit mit Eifer besprochen und man bestand darauf, daß Durch Charley sofort vor Gericht gestellt werde.

Der hohe Richter gab diesem stürmischen Verlangen nach und unter Flüchen und Schmähreden wurde der Postreiter nach dem Gerichtshause geführt.

Zitternd, bebend und mit bleichem Antlitze sank er auf der Sünderbank nieder und so groß auch die Entrüstung gegen ihn war, so erregte doch sein Anblick unter denen, die ihn stets als den kleinen lustigen sorg- und harmlosen Reiter zwischen sich gesehen hatten, Mitleid.

Die Geschwornen waren schnell gewählt, das Vern hör wurde gehalten und Charley gestand, das Vieh

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von den Weiden weggetrieben, geschlachtet und hier im Orte verkauft zu haben. Er bat mit stotternder Stimme um gnädige Strafe.

Jedermann wußte, daß der unglückliche Postreiter von den Geschwornen für schuldig erkannt und vom Gericht zum Galgen verdammt werden würde; der Tod durch den Strick war die Strafe des Gesetzes für dieses Verbrechen.

Charley hatte sich aber durch seinen Diensteifer und seine Gefälligkeit, womit er stets den Wünschen der Leute in der Umgegend nachgekommen war, viele Freunde erworben, die, wenn sie jetzt auch den Dieb in ihm erblickten, ihn doch bedauerten und denen der Gedanke widerstrebte, daß der Bote, der für sie, ihre Frauen und Töchter so manchen Auftrag ausgerichtet, dadurch mitunter einen vertraulicheren Blick in ihre häuslichen und Familienangelegenheiten gethan, auch wohl zuweilen ein kleines Billet von zarter Hand heimlich befördert, ja sogar nöthigenfalls einige süße Worte mündlich überbracht hatte, jetzt vor ihren Augen an einem Stricke zwischen Himmel und Erde, sein sonst so harmloses und lustiges Leben aushauchen sollte.

Während nun der junge Advocat, Kapitain Bradley, auf Farnwalds Veranlassung den Angeklagten vor den Geschwornen vertheidigte, hatten sich seine Gönner in

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Gruppen um das Gerichtsgebäude gesammelt, sprachen laut ihr Mitleid für ihn aus und sannen auf Mittel, um ihn seinem Verhängnisse zu entreißen. Es gab aber nur Rettung für den unglücklichen Charley durch das Lynchgesetz, das heißt dadurch, daß das Volk die Justiz eigenmächtig in die Hand nimmt und den Schuldigen nach eigenem Gutdünken bestraft; ein Verfahren, welches unter den Grenzbewohnern Amerikas noch sehr häufig vorkommt.

Noch immer schallte die lauter und heftiger werdende Stimme des Vertheidigers aus dem Gerichtshause hervor, in gleichem Maße steigerte sich die Theilnahme für den Sünder unter dem Volke außerhalb desselben und kaum verhallten die letzten Worte des Redners, als eine lebhafte Bewegung auf dem Platze entstand, die Menge sich mit Lachen und wilden Rufen nach dem Gerichtsgebäude drängte und plötzlich eine kräftige Stimme erschallte:

»Lynch him!«

Wie ein Blitzstrahl zündete dies Wort in den Gemüthern der schon aufgeregten Volksmassen, einem Lauffeuer gleich wurde der Ruf von vielen hundert Kehlen wiederholt, man stürmte in das Gebäude, hob den zitternden Postreiter von der Bank und trug ihn, mit einem stürmischen Hurrah, hoch empor gehoben, hinaus auf den freien Platz.

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Im Augenblick wurde er unter dem wildesten Jubel seiner sämmtlichen Kleidungsstücke beraubt und wie ein gerupfter Sperling zum Kaufladen des Herrn Harris geführt. Ebenso schnell war von dort ein Faß mit Theer in die Straße gerollt. Mit Strohwischen, welche in dasselbe getaucht, wurde der Delinquent vom Kopf bis zu den Füßen mit Theer angestrichen, darauf in einen aufgeschnittenen Sack mit Federn geworfen und so lange darin gewälzt und mit dessen Inhalt bestreut, bis er gänzlich in das Vogelgeschlecht übergegangen zu sein schien und wie eine dem Neste zu früh enthüpfte junge Eule aussah.

Das Lärmen und die tolle Aufregung unter dem Volke hatte jetzt den höchsten Punkt erreicht, unter lautem Beifall sprengten viele Reiter zu dem verwandelten Postreiter heran, schwangen ihre langen Fahrpeitschen hoch durch die Luft, ließen sie mit hellem Knalle auf seinen befiederten Körper niederfallen und setzten ihn in einen solchen fliegenden Lauf, daß die Pferde ihm nur in Galopp folgen konnten. Fort ging es sausend durch die tobende Volksmasse, Jubelrufe, Scherze und Verhöhnungen begleiteten den fliehenden Halbmenschen und bald war die wilde Jagd hinter den letzten Häusern des Städtchens verschwunden. Doch hörte man immer noch den Peitschenknall und das Jagdgeschrei der Reiter, wie die Hetze außerhalb

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des Ortes dahinzog, sich entfernte und auf einmal sich wieder näherte, bis plötzlich von der andern Seite her der Gehetzte abermals sichtbar wurde und im Sturmlauf dem Platze zurannte. Noch hielten ihn die scharfen Peitschenhiebe seiner Verfolger, unter denen die Federn in die Luft flogen, im rasenden Laufe, obgleich seine Kräfte zu sinken begannen. Wie ein Orkan schallte ihm der Willkommen des Volkes entgegen, man vertrat ihm die Wege, die aus der Stadt hinaus führten und, wie in einer Rennbahn, trieb man ihn vor den Häusern hin um den Platz herum.

Doch endlich waren die Kräfte des Gejagten gänzlich erschöpft, athemlos und zu Tode ermattet sank er, seines Gefieders beraubt, einem Orang Utang ähnlich, zu Boden und flehte um Erbarmen.

Es wurde ihm nun mitgetheilt, daß er durch diesen Lauf zwar sein Leben gerettet habe, sich aber noch heute auf Nimmerwiederkehren aus der Gegend zu entfernen habe, da bei etwaiger Rückkehr der Strick auf ihn warte.

Man gab ihm seine Kleider, nach weniger Ruhe schlich er aus der Stadt nach seinem Hause und ehe eine Stunde verging, hatte er einer Heimath, die für ihn so unangenehme Erinnerungen trug, ein ewiges Lebewohl gesagt.

Für diesen Morgen war an weitere Gerichtsverhandlungen nicht zu denken, denn obgleich sonst der Amerikaner, auch nach der größten Aufregung, sofort wieder zu Geschäften tüchtig ist, so hatte doch das Gefühl einem dem Tode Verfallenen das eben in einer so belustigenden Weise erhalten zu haben, die Leute in eine so ungewöhnlich heitere Stimmung versetzt, daß Niemand nun zu dem ernsten Gerichtsgebäude zurückkehren wollte. Desto zahlreicher suchte man aber die Trink- und Wirthshäuser auf und wartete dort auf die Mittagsglocke,

Noch ehe diese ertönte, zog eine fremdartige Erscheinung die allgemeine Neugierde auf sich. Eine Halbchaise nämlich, an und für sich in dieser Grenzgegend schon eine seltene Erscheinung, kam, von zwei Pferden gezogen, in die Stadt gefahren und hielt vor dem Gasthause an. Was aber die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf dieses fremde Fuhrwerk leitete, war ein etwa zwölf Fuß langer und nicht ganz zwei Fuß hoher und ebenso breiter Kasten, der aus dem hintern Theile des Wagens hervorsah und dessen Deckel mit Schlössern versehen war.

Der Eigner des Fuhrwerks, in dem man auf den ersten Blick den verschlagenen Yankee erkennen konnte, warf die Zügel dem herbeieilenden Negerburschen zu, sprang aus dem Wagen und nahm den Wirth beim

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Arm mit sich in das Haus, während sich immer mehr Neugierige um die Chaise sammelten, den langen, nach hinten hervorstehenden Kasten betrachteten und darüber nachsannen, was wohl in demselben verborgen sein könne. Hunderterlei wurde gerathen, doch endlich kam man dahin überein, daß eine Riesenschlange darin verborgen sein müsse, die der Yankee zur Schau ausstellen wolle.

Noch stand man, einer Aufklärung entgegensehend, um den Wagen, als der Fremde wieder aus dem Hause hervorkam und, ohne die Neugierigen durch eine Erklärung zu befriedigen, über den Platz hineilte.

Der Wirth wurde nun befragt, wer der Fremde sei und was er in dem Kasten mit sich führe, doch konnte Jener keine weitere Auskunft geben, als daß derselbe sich nach den Kirchenvorständen erkundigt und sich wahrscheinlich zu diesen auf den Weg begeben habe.

Die Einwohnerschaft sollte übrigens nicht lange in Ungewißheit über den geheinmißvollen Kasten erhalten werden, denn gleich nach dem Mittagsessen war es auf großen Zetteln an allen Straßenecken zu lesen, daß heute Abend in der Kirche ein Bild, die Verurtheilung des Heilandes vorstellend, gezeigt werden würde, auf welchem die wirklichen Ebenbilder Christi und seiner Jünger, so wie auch des hohen Richters und der Schacher zu sehen waren. Es war zugleich gesagt, daß dies das

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berühmte Bild Davids aus dem Capitolium in Washington sei, welches der gegenwärtige Eigenthümer für Hunderttausende von dem Gouvernement gekauft habe, damit auch die fernsten Grenzbewohner der Vereinigten Staaten durch den Anblick desselben beglückt werden möchten, und zwar für den unbedeutenden Eintrittspreis von zwei Dollar für die Person. Zugleich waren Reiter mit Anschlagszetteln und Kleistertöpfen auf den Straßen nach allen Himmelsgegenden viele Meilen weit hinausgesandt, um die Anzeige an Bäume anzukleben, damit auch die Bewohner der Umgegend von dieser wichtigen Begebenheit unterrichtet würden.

Die Neugierde und das Interesse steigerte sich von Stunde zu Stunde, Niemand kümmerte sich mehr um die Gerichtsverhandlungen, die anm Nachmittag gehalten wurden. Niemand dachte mehr an die Geschwornen, die im obern Stock des Gerichtsgebäudes eingeschlossen waren, um über das Leben oder den Tod Robert Swartons ihr Verdict abzugeben, Alle warteten nur sehnlichst auf das Untergehen der Sonne, auf das Hereinbrechen der Nacht, da man alsdann die Kerzen anzuzünden versprochen hatte, bei deren Schimmer das geheimnißvolle Bild ihren Augen enthüllt werden sollte.

Mit Sonnenuntergang zogen von allen Seiten Reiter und Reiterinnen in die Stadt, oft drei auf einem Thiere,

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und noch waren die Fenster der Kirche dunkel, als schon viele Hundert sehnsüchtig Harrende sich um dieselbe versammelt hatten und mit ungeduldigem Verlangen dem Augenblicke entgegensahen, wo die Fenster sich erhellen und die Thür zum Hause Gottes sich aufthun würde.

Endlich ward es hell in der Kirche, die Thür wurde nur eben weit genug geöffnet, daß ein Mensch nach dem andern eintreten konnte, nachdem er dem Yankee, der an der Oeffnung stand, die festgesetzten zwei Dollar eingehändigt hatte. Doch wer hätte dies nicht mit Freuden gethan? zwei Dollar - was waren zwei Dollar, wenn man den Heiland selbst und alle seine Jünger dafür sehen konne[könne]!

Eine volle Stunde ging darüber hin, bis alle nach dem hohen Genusse Schmachtenden ihre Dollar abgeliefert hatten und eingelassen waren, worauf der Yankee dann zu dem Vorhange hintrat, der bis jetzt noch immer das heilige Bild vor den Blicken der begeisterten Menge verbarg. Endlich, endlich bewegte sich die neidische Hülle, das Tuch fiel, und das Innere des Tempels von Jerusalem hatte sich vor den Zuschauern aufgethan:

Ein Murmeln der Verehrung lief durch die Versammlung und von mehreren Seiten her hörte man den halbunterdrückten Ausruf:

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»O Lord, have mercy!« (O Gott, habe Erbarmen!) Da stand Christus in Lebensgroße und blickte mitleidig und vergebend auf den hohen Priester, der mit wüthender Geberde sein Gewand zerriß; um den Heiland drängten sich die Jünger und die Schächer und das Vollk im Hintergründe zeigte die größte Aufregung.

Der Yankee trat nun zu jeder einzelnen Figur des kolossalen Bildes, verkündete deren Namen, erklärte ihr augenblickliches Handeln und sagte die Worte, welche dieselbe in diesem Augenblicke ausgesprochen haben sollte.

Eine Todtenstille herrschte unter den andächtigen Zuschauern, so daß kein Wort des Redners verloren ging und jeder einzeln ausgestoßene Seufzer aus der tief ergriffenen Menge gehört werden konnte. Obgleich Einzelne der Versammlung in den östlichen Staaten der Union schon ähnliche Bilder gesehen hatten, und, wenn auch nicht kunstverständig genug, um den Werth des gegenwärtigen zu schätzen, doch wußten, daß dasselbe nur der Phantasie irgend eines Künstlers seinen Ursprung verdankte, so war doch die bei weitem größere Zahl der anwesenden Personen so von der Wahrheit durchdrungen: die hier dargestellten Personen seien nach der Natur abconterfeit, daß sie, als befänden sie sich wirklich vor dem Heilande selbst, von einer schwärmerisch religiösen Begeisterung ergriffen, ein Kirchenlied anstimmten

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und einzelne der gegenwärtigen Methodisten durch laute Ausrufe bekundeten, daß sie, vom heiligen Geiste erfaßt und bereit seien, ihre Sünden abzuwerfen.

Der Yankee, im Bewußtsein seines gelungenen Geschäfts, stand, in Gedanken die Dollar, die er eingenommen hatte, zählend, mit gefalteten Händen und gesenktem Haupte, wartete mit Verlangen auf den Augenblick, wo die begeisterte betrogene Menge von dem heiligen Genusse gesättigt sein möchte und schaute verstohlen nach den Kerzen, ob sie noch nicht bald erlöschen würden. Da er an der ganzen Frontier hinauf von Flecken zu Flecken zog, so wußte er, daß man bei ganzen Lichtern volle Nächte hindurch in der Kirche gehalten wurde, weshalb er jetzt nur den vierten Theil einer Kerze auf jeden Leuchter gesteckt hatte.

Je tiefer die Lichter herunterbrannten, desto wogender, desto stürmischer wurde der Gesang, desto lauter wurden die Bekehrungsausrufe, und als die Kerzen endlich nach und nach erloschen und die letzte nur noch im Ersterben aufflackerte, hatte sich die Aufregung der Versammlung zu einer förmlichen Raserei gesteigert. Plötzlich aber war es Nacht, rabenschwarze Nacht in der Kirche, der Gesang verhallte und die Andächtigen wurden daran erinnert, daß die Vorstellung zu Ende sei.

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Der Yankee verhielt sich ruhig und wartete, bis die letzte Person das Haus verlassen hatte, ehe er wieder ein Licht anzündete, damit er sein Bild ausrollen und in den geheimnißvollen Kasten verschließen konnte. Entzückt über die befangene Leichtgläubigkeit der Grenzbewohner, die ihm allenthalben, wo er in einem Städtchen anhielt, für seine Vorstellung mit Freuden die Kirche unentgeltlich zur Verfügung stellten, zog er zeitig am folgenden Morgen um mehr als tausend Dollar bereichert weiter, um in dem nächsten Oertchen abermals eine ähnliche Ernte zu halten.

Sein Bild war nur eine ganz elende Copie des werthvollen Originals in Washington, die er sich von einem verdorbenen Maler für eine Kleinigkeit hatte anfertigen lassen.

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Capitel 23.

Spannung. - Der Wahrspruch. - Das Urtheil. - Das letzte Mittel. - Die Mutter. - Die Verschwörung. - Die Liebenden. - Innerer Kampf. - Mahnung. - Werbung. - Der Frontiermann.


Durch die ungewöhnlichen Begebenheiten an diesem Tage war die Spannung, mit der man dem Wahrspruch der Geschwornen über Robert Swarton entgegensah, nur für den Augenblick herabgestimmt worden und am folgenden Morgen, wo schon frühzeitig verlautete, daß die Jury sich geeinigt habe, erwartete man mit größter Sehnsucht den Anfang der Sitzung.

Schwere Besorgniß und zugleich Hoffnung malte sich auf den Zügen des alten Swarton, als er, von Farnwald und vielen andern theilnehmenden Freunden begleitet, sich nach dem Gerichtssaale begab, seine Haltung aber war gefaßt und man sah es ihm an, daß er, wie es auch kommen würde, entschlossen war, seinen Sohn zu schuhen - zu retten. Bon allen Seiten her grüßte man ihn mit Theilnahme und suchte ihm durch Worte und Blicke Trost zu geben.

Der Angeklagte wurde vorgeführt.

Das Haus war gedrängt voll, auf der vordersten Bank hatte der alte Swarton, von seinen Freunden umgeben, Platz genommen, und in ernster schauerlicher Stille erwartete man den Ansspruch über Leben oder Tod.

Die Geschwornen erschienen, nahmen ihre Plätze ein und langsam und zögernd folgte ihnen der Scheriff in den Saal.

Es bedurfte des Wortes nicht mehr, um die Todesbotschaft zu verkünden, sie stand unverkennbar auf den Zügen der Geschwornen geschrieben.

Der alte Swarton wandte seine Blicke von ihnen ab und ließ sein Gesicht in seine Hände sinken, als der Obmann der Geschwornen sich erhob und mit ernster Stimme das >Schuldig< aussprach.

Kein Laut wurde in dem Hause hörbar, es war, als ob das Wort den Anwesenden den Athem geraubt hätte und Aller Blicke richteten sich auf den Verurtheilten.

Robert wurde bleich, aber er erbebte nicht, seine Brauen zogen sich enger zusammen, seine Augen wurden finsterer und er richtete sie nach seinem Vater und nach Farnwald hin. Beide antworteten ihm mit Blicken, mit festen, zuversichtlichen, entschlossenen Blicken.

Ein dumpfes Gemurmel lief dann durch den Saal, als ob man etwas ganz Unerwartetes vernommen hätte,

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und doch hatte der größte Theil der Anwesenden von Anfang an laut gegen Robert Partei genommen; viele vielleicht nur, weil der Mensch überhaupt mehr dazu geneigt ist, sich gegen einen vom Schicksale schwer gedrückten Mitbruder zu erklären, als für denselben; sie hatten mit Morting und seiner Gesellschaft verkehrt, getrunken und getobt, jetzt aber, da ihr Werk zum Ziele geführt war, traf sie der Wahrspruch wie ein Blitzstrahl aus heiterm Himmel und auf ihren Mienen konnte man lesen:

»Dahin sollte es ja nicht kommen!«

Bald darauf fällte der hohe Richter das Urtheil und sprach die Strafe: »Tod durch den Strang« über Robert aus, welche binnen zehn Tagen an demselben vollzogen werden sollte.

Der alte Swarton war aufgestanden und wankte der Thür zu, seine Freunde drängten sich mit ihm hinaus und Alles machte ihm schweigend und ehrerbietig Platz. Er hatte Farnwalds und Georgs Hand erfaßt und drückte sie fest, als ob er sagen wolle, daß er sich auf sie verlasse.

Der Verurtheilte wurde ins Gefängniß zurückgeführt, das Haus leerte sich, Niemand wollte an den weitern Verhandlungen Theil nehmen und in ernstem Gespräche sah man allenthalben die Leute finstern Blickes in

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Gruppen zusammentreten, während Morting und seine Gefährten mit triumphirenden Schritten, doch schweigend ihrem Lager zueilten.

Der alte Swarton hatte in Begleitung von Farnwald, Georg und Renard kaum sein Zimmer in dem Gasthause erreicht, als er, überwältigt von der Größe seines Unglücks, in einem Sessel zusammensank und sich einem stummen Schmerze hingab.

Seine Züge verriethen das Ungeheure, das seine Seele belastete, seine Hände waren krampfhaft geballt, seine Augen starr auf den Fußboden gerichtet und keine lindernde Thräne wollte sich seiner erbarmen. Keiner seiner Freunde sprach ein Wort, sie standen wie versteinert da und hielten ihre Blicke in Entsetzen auf den Boden geheftet. Nach einer langen Weile des schrecklichsten Schweigens legte Farnwald die Hand auf des alten Mannes Schulter und sagte:

»Guten Muthes, theurer, würdiger Freund. Noch steht ein Weg der Rettung uns offen und der ist sicher, Robert wird befreit. Ich gehe jetzt, ihn zu sehen.«

Er winkte seinen beiden Freunden zu, bei dem Alten zu bleiben und eilte nach dem Gerichtsgebäude, ohne den vielen Zurufen, die ihm auf dem Wege von allen Seiten wurden, Gehör zu geben. Dort traf er den Scheriff, den er bat, ihn zu dem Gefangenen zu führen.

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»Ich wollte, ich dürfte Ihnen die Schlüssel geben, um ihn zu befreien,« antwortete Copton mit tiefer Bewegung.

An dem Fuße der Anhöhe, auf welcher das Gefängniß stand, kam Jerry ihnen entgegen, seine Augen waren trocken, sein Blick wild und entschlossen und krampfhaft ergriff er Farnwalds Hand, drückte seine kalten Lippen darauf und sagte:

»Es ist aus, Alles aus, Jerry geht mit seinem Herrn.«

»Nichts ist aus, Jerry,« sagte dieser zu dem verzweifelnden Sklaven, während der Scheriff der Thür des Kerkers zuschritt, »Nichts ist aus, sage ich Dir, kein Wort, kein Blick, keine Bewegung darf Dich verrathen - Du sollst Deinen Herrn befreien. Geh auf Deinen Posten, bis Du von mir hörst.«

Als ob der Himmel sich über dem alten Diener aufgethan hätte, so blickte er zu Farnwald auf, seine großen Augen blitzten in Seligkeit, mit der Linken faßte er den Griff seines langen Messers, mit der Rechten preßte er Farnwalds Hand nochmals gegen seine Lippen und schritt dann langsam wieder zu seinem Lager zurück.

Der Scheriff hatte die Thür des Gefängnisses geöffnet und trat zu Robert hinein, der ihn bleich, aber entschlossen anblickte.

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»Sie haben noch viel mehr Freunde, Robert, als sie glauben,« sagte Copton, von seinem Gefühle hingerissen, und setzte noch, indem er ihm fest die Hand schüttelte, hinzu, »starke Freunde, auf die Sie bauen können.«

Dann aber, als sei er von seinen eigenen Worten überrascht, wendete er sich zur Seite und sagte:

»Das Wasser wird warm geworden sein, Jerry soll Ihnen frisches holen,« ergriff den Eimer und schritt zur Thüre hinaus, wie es schien absichtlich, um seinen Begleiter einen Augenblick mit dem Gefangenen allein zu lassen.

»Seien Sie unbesorgt, Robert, wir machen Sie frei und wenn es hundert Menschenleben kostet,« sagte Farnwald, mit heftigster Bewegung die Hand desselben ergreifend, »ich biete alle meine und Ihre Freunde auf, wir überwältigen Morting mit seinen Gefährten und ich selbst geleite Sie über die Grenze.«

Dann verließ er gleichfalls das Haus, um die Aufmerksamkeit Mortings und dessen Kameraden nicht zu erregen.

Bald kam Jerry mit dem Wasser zu seinem Herrn, bedeckte dessen Hände mit seinen Küssen und als Robert seine Arme um ihn schlang und ihn an seine Brust drückte, flüsterte der treue Sklave ihm zu:

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»Wir retten Dich, Herr, wir retten Dich!« Dann trat auch er aus dem Gefängniß, der Scheriff schloß dessen Thür und er und Farnwald gingen schweigend den Hügel hinab.

»Wie ist es möglich, daß die Geschwornen schuldig aussprechen konnten?« sagte Copton nach einer Weile, »sie gehörten ja Alle zu Swartons Freunden.«

»Das gerade war es, was mich vom Anfang an bedenklich machte,« antwortete Farnwald; »sie sind bestochen worden. Wie aber Fetcher und Black einwilligen konnten, kann ich nicht verstehen; ich hätte geglaubt, sie würden eher das Urtheil an sich selbst vollziehen lassen, als >Schuldig< gegen Robert aussprechen.«

»Mein Glaube an Black war nie unbedingt, er trug seine Freundschaft stets zu offen auf der Zunge; doch in Fetcher habe ich mich betrogen.«

»Sie sind sämmtlich Schurken, darüber ist kein Zweifel mehr,« erwiederte Farnwald, indem er gedankenvoll neben dem Scheriff hinschritt.

»Robert hat doch mehr Freunde, als es im Anfang schien; es sollte mich gar nicht wundern, wenn - « sagte Copton, ohne nach Farnwald umzusehen.

»Er hat Freunde, ihre Zahl ist aber klein.«

»Es ist unbegreiflich,« hub der Scheriff nach einer Weile an, »wie man einen Verurtheilten, der viele

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Freunde hat, in einem so elenden hölzernen Gebäude gefangen halten kann; ein einziger Axtschlag sprengt ja die Thür.«

[»]Farnwald gab keine Antwort auf die Bemerkung, drückte Copton aber schweigend, wie zum Danke dafür, die Hand und ging nach dem Gasthause zurück, während jener zu dem County Clerk eilte, um die Abfertigung eines Couriers mit einem Gnadengesuch für Robert, welches dieser gewünscht hatte, an den Gouverneur des Staates zu beschleunigen.

So tobend und lärmend es am gestrigen Tage in dem Städtchen zugegangen, so still und ernst war es heute. Auf jedem Gesichte, in jedem Blicke konnte man es lesen, daß etwas Verhängnißvolles, etwas Ungeheures geschehen sein mußte. Auch das Trinkhaus war heute leer und selbst von Mortings Leuten war keiner dort zu sehen.

Farnwald ließ sogleich die Pferde vorführen, um den alten Swarton nach Hause zu begleiten, der die Schreckensnachricht den Seinigen nicht durch Fremde überbracht wissen wollte.

»Jetzt werde ich es erfahren, wie viele Freunde ich habe,« sagte Swarton, als er mit Farnwald, Renard und Georg im scharfen Paß das Städtchen hinter sich

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zurückließ, ich werde sie Alle aufbieten, mir beizustehen, um Robert zu retten.

»Es werden sich mehr dazu finden, als Sie glauben,« antwortete Farnwald; »keine der alten Frontierfamilien dieser Gegend wird zurückstehen. Aber es kann Vieler Leben kosten, denn Morting wird mit seiner Bande Tag und Nacht auf der Hut sein. Unter ihnen sind desperate Menschen und hier hat Gewalt, nicht List zu entscheiden.«

»Es sind ihrer kaum dreißig und in wenigen Tagen stellen wir die doppelte Zahl,« sagte Georg voll Feuer, »da sind Davidsons, Warrick, Boons, Cloughlins, Moores und der alte Arnold allein bringt sieben Söhne mit, die den Teufel auf der Prairie lebendig fangen. Hat nichts zu sagen, wir laden auch keine Erbsen!«

»Auch Jeffersons dort unten sind zuverlässig, ihre Familie ist sehr ausgebreitet, beinahe das ganze settlement (ein Complex nahe zusammenliegender einzelner Niederlassungen) besteht aus ihren Verwandten. Sie kamen von Kentucky und die Kentucky-Büchse ist bekannt,« sagte Farnwald.

»Ich bringe nur zwei Söhne,« fiel Swarton ein, »doch wir drei zählen für ein Dutzend; es gilt das Leben des Sohnes, des Bruders. Auch meine Neger Jerry und Alphons werden ihre Schuldigkeit thun.«

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Bei diesen Worten richtete sich der alte Mann höher in dem Sattel auf, nahm die Zügel seines Pferdes fester in die Hand und stieß ihm die Sporen in die Seiten, so daß es weiter ausgriff.

»Auch mich bitte ich nicht zu vergessen,« rief Renard mit lauter Stimme, denn die Rosse stürmten in so raschem Galopp dahin, daß es den Reitern schwer ward, einander zu verstehen. Nach und nach aber mäßigten sie ihre Tritte wieder und waren in Trab gefallen, als plötzlich der alte Swarton abermals die Sporen in die Flanken seines Pferdes drückte und mit gesenktem Haupte davon jagte. Es war hier die Stelle, wo Dorst gefallen war.

Swartons Farm ward bald darauf erreicht und als die Reiter der Wohnung zusprengten, eilte ihnen Madame Swarton mit ihren drei Kindern in banger Erwartung entgegen.

»Wie ist es mit Robert?« rief sie ihnen mit halb erstickter Stimme zu, denn sie las in den Blicken der Kommenden, daß sie keine freudige Botschaft brachten. Das Urtheil? fragte sie ihren Gatten noch dringender:

»Schuldig,« antwortete dieser mit dumpfer Stimme, indem er die Hand der entsetzten Frau ergriff, dann fügte er noch fest hinzu: »aber ein Swarton wird nicht gehangen«

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»Was sagst du! Robert sterben? hat er nicht zwei Brüder, hat er nicht einen Vater, hat er nicht noch eine Mutter, die es versteht, wie man eine Büchse abfeuert? Wir bieten alle Freunde im Lande auf, stürmen die Stadt und jagen das Gericht auseinander; es war mehr Recht und mehr Rechtlichkeit in diesem Lande, da man noch nicht in C*** an ein Gerichtshaus dachte,« rief die sonst so ruhige, so sanfte Frau in wilder Verzweiflung.

»Soll auch geschehen, Mutter,« sagte der Alte beruhigend und schritt mit ihr, von den Uebrigen gefolgt, in das Wohnzimmer.

Hier wurden nun alle Freunde aufgezählt und jeder Einzelne geprüft, ob er sich wohl jetzt bewähren werde.

Die Zahl der zuverlässig treuen war groß; als sie auf achtzig angekommen war, rief der alte Swarton aufspringend:

»Wozu brauchen wir mehr? Mit diesen Achtzigen kann ich die ganze County wieder zur Wildniß machen. Jetzt nun rasch, die Freunde herbeigerufen. Noch heute können wir mit vielen von ihnen berathen.«

»Man dürfte wohl mit Vorsicht zu Werke gehen müssen,« bemerkte Renard, »damit das Gericht nicht irgend welche Kenntniß von dem Vorhaben bekommt; auch würden Mortings Leute um so aufmerksamer werden.«

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»Mit dem Gericht hat es Nichts zu sagen, ich weiß es, daß uns von daher nicht entgegen getreten wird; wir haben es nur mit jenen gedungenen Gesellen zu thun. Dennoch muß es geheim bleiben. Fünf bis sechs Tage haben wir Zeit mit der Ausführung, denn früher kann die Antwort des Gouverneurs auf das Begnadigungsgesuch nicht hier sein; es wäre ja möglich, daß er Robert begnadigte,« sagte Farnwald.

»Kein Gedanke daran, denn Dorst war mit ihm seit Jahren befreundet, und ihm verdankte der Gouverneur seine Ernennung,« erwiederte Georg,

»Mag sein, dennoch müssen wir die Antwort abwarten, so daß wir die Gewalt nur als letztes Mittel ergreifen,« sagte Farnwald.

»Außerdem,« fuhr er fort, »weiß Robert, daß seine Freunde ihn nicht verlassen und Gut und Blut für ihn einsetzen. Doch rasch ans Wert und bestimmt, an wen Jeder von uns die Mittheilung übernimmt.«

Farnwald hatte sich von Madame Swarton Schreibmaterial geben lassen und fertigte für einen jeden der Anwesenden eine Liste der Freunde an, zu denen er reiten sollte, um sie ins Vertrauen zu ziehen.

Georg war hinausgegangen um nach den Pferden zu sehen. Als er auf die Gallerie trat, stand Virginia mit gesenktem Haupte an einen der Pfeiler angelehnt und

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hielt ihr Gesicht mit dem Tuche bedeckt. Sie bemerkte nicht, daß Georg in ihrer Nähe seine Schritte angehalten hatte und hinter sie trat. Jetzt hob sie, die Hände krampfhaft zusammenpressend, ihre thränenvollen Blicke zum Himmel auf, als erflehe sie von dort her Erbarmen für ihren Bruder, und senkte dann ihr Gesicht wieder in das Tuch.

»Beruhigen Sie sich, Virginia, es soll Robert nichts zu Leide gethan werden,« sagte Georg zu der Weinenden und legte seine Hand auf ihre Schulter.

»Ach, Herr Blanchard, ich würde es nicht überleben. Retten Sie meinen Bruder!« sagte Virginia, flehend ihre seelenvollen Augen auf ihn heftend, und ergriff mit zitternden Händen seine Rechte.

»Ich stehe Ihnen für Roberts Leben mit dem meinigen, theuerste Virginia!« rief Georg, und führte die Hände des geängstigten Mädchens zu seinen Lippen.

»Und wenn ich Robert rette, wenn der Himmel unser Vorhaben segnet, wird meine Virginia mir gut dafür sein?« sagte Georg mit halblauter Stimme, legte seinen Arm um ihre Schultern, zog sie näher an sich heran, und preßte ihre Hand an sein heftig schlagendes Herz. Sie sahen einander erröthend und schweigend in die Augen, sie sanken einander an die Brust und empfingen

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im ersten heiligen Kusse das süße Geständniß längst gehegter gleicher Gefühle.

Farnwalds Stimme wurde innerhalb des Hauses hörbar, Georg drückte mit einem seligen Blicke nochmals Virginias Hand und sprang dann rasch durch die Stacketenthür hinaus zu der Einzäunung, innerhalb deren[derer] die Pferde gingen.

»Sie haben einen scharfen Ritt vor sich, Georg, wenn Sie heute noch zu Arnolds und wieder zurück nach Hause reiten wollen,« sagte Farnwald zu ihm in die Einzäunung tretend, und ging zu seinem Pferde, um demselben gleichfalls den Zaum anzulegen. »Morgen steht Ihnen noch ein härterer bevor, ich glaube kaum, daß Sie es durchsetzen; Sie haben zu Viel übernommen.«

»Und wenn ich meine sämmtlichen Gäule todtjagen müßte, die kann man ersetzen, Roberts Leben aber nicht; Sie werden sehen, Herr Farnwald, daß ich mein Wort halte,« antwortete der glückliche liebetrunkene junge Mann begeistert.

»Sagen Sie allen Freunden, daß sie sich auf den ersten Ruf bereit halten sollen, sich bei Swartons einzustellen, wir würden ihnen zeitig Boten senden. Ich will heute noch zu Boons, Moores, Jones und Jordans reiten, und morgen mache ich mich zeitig auf den Weg zu Jeffersons, von dort her bekommen wir die stärkste

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Hülfe; das ganze settlement wird mit uns ziehen. Wir müssen so Viele ins Feld führen, daß von Widerstand keine Rede sein kann, wodurch unnöthiges Blutvergießen und auch ein späteres Auftreten des Gerichts gegen uns vermieden wird, indem unsere Handlung dann als ein Lynchact erscheint.«

»Demungeachtet wird es Leben kosten, denn Morting giebt Robert nicht gutwillig heraus, und wenn wir mit Hunderten kämen.«

»So mag er es nehmen, wie es kommt. Der alte Swarton will zu Warricks reiten. Seine beiden Jungen sind schon fort zu Russels und Buttlers. Bringen Sie doch Renards Pferd mit, ich will mich schnell noch bei Madame Swarton empfehlen.«

Mit diesen Worten leitete Farnwald seinen Hengst zu der Stacketeneinzäunung, hing den Zügel über dieselbe und sprang unter die Veranda, wo jetzt Madame Swarton mit ihrer Tochter von Renard begleitet erschien. Der alte Herr hatte gleichfalls sein Pferd herbeigeführt und trat mit jugendlichem Schritt und entschlossener Haltung zu seiner Frau.

»Das Gesetz selbst zwingt mich, gegen dasselbe aufzutreten, Gott mag mir verzeihen, wenn ich unrecht handle. Er weiß es am besten, daß ich stets einer

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von dessen treusten Anhängern gewesen bin,« sagte er, seiner Frau zum Abschiede die Hand reichend.

»Unrecht?« antwortete Madame Swarton, »du thust kein Unrecht, Vater, wenn du dein Kind einen schmählichen Tode entreißest. Gegen die Menschen, die uns durch das Gesetz zu Grunde richten wollen, uns selbst zu schützen, wird uns der Allmächtige nicht als Sünde anrechnen; gehe getrost und baue auf ihn, dessen Hand uns schon in so vielen Gefahren beschirmt hat. Robert ist kein Bösewicht, er ist gottesfürchtig und fromm von uns erzogen worden und sein Schöpfer wird ihm vergeben, wenn es auch die Menschen nicht thun wollten. Wir bedürfen ihrer Gnade nicht und sie sollen erfahren, daß wir es an der Frontier gelernt haben, uns auf uns selbst zu verlassen.«

»Das heißt, wir haben es von Ihnen gelernt, Herr Farnwald,« sagte der alte Swarton zu diesem; »denn Sie waren vor uns hier. Nun, in Gottes Namen, laßt uns reiten.«

Hiermit schloß er die Frau zärtlich in seine Arme, küßte Virginia und eilte dann zu seinem Pferde.

Während Farnwald und Renard sich bei Madame Swarton verabschiedeten, bekam Georg von Virginia noch einen warmen Händedruck, einen herzinnigen Blick und

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bald waren die zu Roberts Befreiung Verschworenen in verschiedenen Richtungen unterwegs.

Renard begab sich nach Farnwalds Wohnung, um denselben dort zu erwarten, während dieser einem alten Büffelpfade in nördlicher Richtung in den Wald hinein folgte, um auf kürzestem Wege die beabsichtigten Besuche auszuführen.

Seit langer Zeit war Farnwald jetzt zum ersten Male wieder allein und zwar von dem trauten, zum Himmel aufstrebenden Urwald umgeben, dem er schon so manchmal sein Herz geöffnet, sein Leid geklagt und Ruhe von ihm empfangen hatte. Wie die Ranken und Lianengeflechte von Baum zu Baum, von den höchsten Gipfeln zu den Wurzeln sich in tausendfacher Verschlingung durcheinander hinwanden, so verworren zogen die Bilder der letzten Vergangenheit in Farnwalds Seele hin und wieder. Rücksichtslos und unaufhaltsam war er mit Entfaltung seiner ganzen Energie dem einen Vorhaben gefolgt, seinen Freunden beizustehen und sie vor Untergang zu bewahren; die Stimme der Freundschaft hatte die der Liebe in seinem Herzen übertönt. Doch jetzt, entfernt von denen, die seiner Hülfe bedurften, stieg der Gedanke an Doralice, an sein eignes Glück, an seine eigne Zukunft mahnend vor ihm auf. Was er langst befürchtet und vorausgesehen hatte: daß er

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durch Gewalt Robert der Rache der Wittwe Dorst, der Strafe selbst, die nach dem Gesetze verhängt war, entreißen müsse, war eingetreten. Es konnte Jener nicht unbekannt bleiben, daß er mit an der Spitze von Roberts Rettern stand, und bei ihm selbst war kein Zweifel darüber vorhanden, daß sich die guten, liebevollen Gefühle der Frau gegen ihn in unversöhnliche Feindschaft verwandeln würden, sobald sie von der Befreiung des Mörders ihres Gatten Kenntniß erhielt. Wohl sah er in Doralices fester entschlossener Persönlichkeit, in ihrer heißen Liebe zu ihm einen Trost, es war ja unmöglich, daß sie ihre Gesinnungen gegen ihn ändern würde, sie konnte unmöglich in seiner Freundschaft für Swartons eine Beeinträchtigung seiner Liebe zu ihr erkennen und dennoch, so oft er sich diesea auch wiederholte, schreckte seine Hoffnung vor der Möglichkeit zurück, daß die Heißgeliebte ihm entrissen werden möchte. Er sann und sann darüber nach, wie er dem begegnen und Doralice sich sichern könne? doch es gab kein anderes Mittel, als seine Freundschaft zu opfern und Swartons ihrem Schicksale zu überlassen. Mit Abscheu und Entsetzen aber wies er diesen Gedanken von sich, drückte seinem Pferde die Sporen in die Seiten und sprengte aus dem Walde hinaus der Niederlassung zu, die an dessem[dessen] Saume sichtbar

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wurde und einer der Familien angehörte, welche mit in die Verschwörung gezogen werden sollten.

Dort, so wie auch bei den andern Pflanzern, die er heute noch zu diesem Zwecke besuchte, wurde ihm freudig Hülfe zugesagt und allenthalben waren die jungen Burschen begierig, sich mit den übermüthigen Fremden, die sich hier eine ihnen nicht zustehende Gewalt aneigneten, messen zu können.

Die Sonne war schon versunken und der Abendwind wehte kühlend über die Prairien, als Farnwald seine Wohnung erreichte und dort von Renard und Milly freudig empfangen wurde. Letztere überreichte ihm beim Eintreten in das Zimmer einen Brief, in dessen Aufschrift er sogleich die theure Handschrift seiner Braut erkannte und den er nicht ohne Zagen öffnete.

Mit der Sprache innigster, treuester Liebe klagte sie ihm ihre Verlassenheit und beschwor ihn, seine Rückkehr zu ihr nicht länger aufzuschieben.

»Dein Ausbleiben,« sagte sie, »ist auch meiner Mutter kränkend, denn sie erblickt darin eine feindliche Stellung gegen uns, die Du unter unsern Feinden, den Beschützern des Mörders meines armen Vaters einnähmest. Meine Versicherungen, daß Du gewiß in keiner Weise gegen uns handeln würdest, stellen sie nicht zufrieden, und ich bitte Dich bei unserer Liebe, bei dem

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Frieden und Glück unserer Zukunft, komm, o komm Geliebter, und erhalte uns dadurch die liebevollen Wünsche, die meine Mutter für unsere baldige Verbindung hegt. Du kennst ihren unbeugsamen, unwiderruflichen Beschluß gegen den Bösewicht und weißt, daß ihr tödtlicher Haß sich über Alles erstreckt, was denselben der verdienten Strafe entziehen könnte. Eile, Farnwald, ich beschwöre Dich, eile zu uns, damit nicht Anderer Mißgunst und Bosheit Zweifel an Deiner Treue erregen und Dir Deine Doralice entreißen, wenn deren Herz auch ganz das Deine bleiben würde.«

Als Farnwald den Brief zu Ende gelesen hatte, ließ er ihn auf den Tisch sinken und saß noch eine Zeit lang schweigend auf das Papier niederblickend neben der Tafel, an deren anderer Seite Renard Platz genommen hatte; dann reichte er diesem das offene Schreiben mit den Worten hin:

»Lesen Sie, Renard,«

Der Freund hatte schnell den Brief durchblickt, faltete ihn gedankenvoll zusammen und gab ihn Farnwald zurück, indem er sagte:

»Es geht, wie ich es befürchtet habe. Sie setzen Ihr eignes Glück aufs Spiel; Ihre Freundschaft geht zu weit.«

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»Es ist nicht allein meine Freundschaft, Renard, mein Wort bindet mich gleichfalls. Robert kennt keine andere Hoffnung, als die, welche ich ihm gegeben habe, und es ist sicher niemals der Gedanke in ihm aufgetaucht, daß ich sie würde zu Schanden werden lassen. Seine Eltern, seine Geschwister blicken auf mich, wie auf einen Engel der Rettung, und ich sollte sie verlassen, sollte an ihnen zum Verräther werden? Nimmermehr!« sagte Farnwald mit Entschiedenheit, indem er aufstand, die Thür öffnete und Addisson zurief, den Hengst morgen sehr zeitig zu füttern, da er frühe reiten wolle.

Schon mit Anbruch des Tages saßen die beiden Freunde am Frühstückstisch und als die Sonne ihre ersten Strahlen über die im Morgenthau blitzende Prairie warf, hatte Farnwald schon viele Meilen auf seinem Wege zu Jeffersons hinter sich zurückgelassen, während Renard in der Niederlassung verweilte, um statt seiner nöthigenfalls zu handeln.

Jeffersons empfingen Farnwald mit wärmster und aufrichtigster Herzlichkeit, er war ihnen immer ein treuer Freund, bei Krankheits- und Unglücksfällen ein bereitwilliger Helfer und Rathgeber gewesen und hatte bei solchen Gelegenheiten manchen Ritt in dunkler Nacht zu ihnen zurückgelegt. Die Nachricht, daß Robert Swarton verurtheilt sei, hatten sie schon durch Andere

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erhalten und sprachen sich aufs Allerhöchste entrüstet gegen das gefällte Urtheil aus.

Farnwald theilte ihnen nun mit, daß die Freunde Roberts beschlossen hatten, denselben durch Gewalt zu befreien, und mit größtem Eifer und wärmster Theilnahme griffen Jeffersons diesen Plan auf. Sie sagten ihren eignen Beistand, so wie auch den ihrer vielen Verwandten und Freunde in ihrer nahen Umgebung zu, und versicherten, daß sie sich mit wenigstens dreißig Mann beim ersten Rufe auf dem Sammelplatze einfinden würden.

»Ich werde selbst mitkommen,« sagte der alte Jefferson, indem er sich in seinem großen Armstuhle zurücklegte und ein Bein überschlug »wenn die Alten dabei sind, dann sieht man, daß es nicht Jungenwerk, sondern die Stimme des Volkes ist. Robert Swarton hängen? Ei, ei, hätte ich das denn jemals für möglich gehalten - einen so biedern braven Burschen - den Sohn unserer ältesten und besten Ansiedler zum Galgen zu verurtheilen, weil er einen Schurken, einen Landdieb erschoß? Die Leute, die hierher zogen, als von Gefahren keine Rede mehr war, und die dann die Gesetze einführten, um uns alten Frontierleuten die Rechte täglich mehr zu schmälern, wissen nicht, was es uns gekostet hat, diese Länder ihnen zugänglich zu machen, sie denken nicht daran, daß wir

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es sind, die ihnen hier ein sorgenloses Bett bereitet haben. Unserm Vieh wird bald hier, bald dort durch einen neuen bequemen Ankömmling ein Stück Weide nach dem andern entzogen; an unseren alten, mühsam ausgehauenen Wegen setzt sich plötzlich einer dieser Herren nieder und schließt ihn, mir nichts, dir nichts mit einer Einzäunung, und wir müssen suchen, wie wir uns links oder rechts durch den Wald hindurch arbeiten; unsere Hengste dürfen nicht mehr frei auf der Weide umhergehen, damit sie nicht mit den Paar Pferden, die so ein Fremder mitgebracht, in Berührung kommen; bricht einmal eine unserer Sauen durch ihre schlechten Einzäunungen in ihre Felder ein, stellen sie sogleich Klage vor Gericht an, und nun wollen sie uns am Ende noch verwehren, von unserm Hausrecht Gebrauch zu machen? Da soll ja der Teufel hineinschlagen! Wie gesagt, Herr Farnwald, ich komme mit meinen drei Burschen da, und bringe noch dreißig dergleichen mit; wir wollen ihnen einmal die Gesetze vorlegen, und den Herren aus der andern County zeigen, wer hier eigentlich Herr ist. - Old lady, (Alte Dame)« wendete er sich dann zu seiner Frau »bringe unserm Freunde vor Allem einen Anbiß, die Bärentatzen beim Frühstück waren gut, sie schmecken kalt noch besser.«

Farnwald protestirte dagegen und berief sich darauf, daß er bereits gefrühstückt habe, doch der alte Pflanzer

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ließ es sich nicht nehmen und winkte seiner Frau zu, seinem Wunsche nachzukommen,

»Wenn man den Weg von Ihrem Hause zu mir in so kurzer Zeit geritten ist, wie Sie,« sagte er »dann schmeckt es einem Frontiermann schon wieder, und eine Tasse starker Kaffee ist niemals unwillkommen,«

Farnwald bemerkte, daß er die Zeit benutzen müsse, um noch Andere wegen Swartons Angelegenheit zu sprechen, doch der alte Jefferson sagte:

»Das sind meine Sachen; ich kenne die Leute in dieser Gegend besser, als Sie; überlassen Sie es mir, eine Auswahl unter ihnen zu treffen und ich bürge Ihnen für die besten. Heute bleiben Sie bei uns, damit wir Ihrer einmal froh werden, denn Sie sind ein seltener Gast und als Sie zuletzt hier waren, habe ich nur wenig von Ihnen gehabt.«

Farnwald ließ sich gern überreden zu bleiben, da er einsah, daß Jeffersons Verwendung für Robert noch zweckmäßiger und wirksamer sein würde, als seine eigne; die erwähnten Barentatzen wurden mit noch andern Speisen von Lydia, der ältesten Tochter Jeffersons, auf den Tisch getragen, den Octavia, die jüngere, in die Mitte des Zimmers gestellt und gedeckt hatte, und Madame Jefferson kam mit einer großen blechernen Kaffeekanne

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und stellte sich bei der Tafel auf, um ihren Gast selbst zu bedienen.

Als dieser sich niedersetzte, legte der alte Herr seine kleine Pfeife auf das Gesimse über dem Kamine, zog seinen Stuhl an die andere Seite des Tisches und sagte:

»Bärentatzen kann ich Niemanden verspeisen sehen, ohne mich selbst dabei zu betheiligen; das ist noch eine alte Gewohnheit aus der Zeit, da wir solche Leckerbissen im Freien bei unserm Lagerfeuer am Spieße brateten;« worauf er Messer und Gabel ergriff, die Hälfte von einer der großen Tatzen damit auf seinen Teller hob, und dieselbe mit einem Appetit verzehrte, als ob er seit dem vergangenen Tage nichts genossen hatte.

Nach eingenommenem Mahle nahm der alte Herr eine lange einfache Büchse von der Wand, die dort über dem Kamine auf zwei in dieselbe eingeschlagenen hölzernen Nägeln ruhte, goß frisches Pulver auf die Pfanne und sagte zu seinem Gaste:

»Begleiten Sie mich, Herr Farnwald, ich will den jungen Stier todtschießen, der dort in der Einzäunung steht. Ich habe meinen Nachbarn versprochen, ihnen heute frisches Fleisch zukommen zu lassen, da die Reihe an mir ist, solches zu liefern. Jede Woche schlachtet Einer von uns und theilt mit den Andern, so brauchen

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wir das Fleisch nicht zu salzen und zu räuchern, und haben es immer frisch.«

Er schritt Farnwald voran, trat an die Einzäunung, in welcher an deren anderer Seite wohl fünfzig Schritt entfernt, ein mächtiger Stier stand, der ihm entgegen blickte, hob die lange Büchse an seine Schulter und im nächsten Augenblick sank das Thier, von der Kugel zwischen den Augen getroffen, todt zu Boden, worauf die drei Söhne des Pflanzers zu ihm hinsprangen und mit ihren Jagdmessern sich daran begaben, es abzuhäuten und zu zerlegen, während der alte Herr die Einzäunung erstieg, sich darauf setzte und Farnwald einlud, ein Gleiches zu thun.

»Sie sehen, ich habe das Schießen noch nicht verlernt und die alte Büchse ist noch eben so treu, als zu der Zeit, da ich sie in die Berge von Kentucky trug. Habe manches Stück Wild damit erlegt und mancher Rothhaut hat sie das Grablied gesungen.«

Bei diesen Worten legte der Pflanzer seine schwere Rechte liebkosend an das alle verwitterte Gewehr, das auf seinem Schooße ruhte und rief dann seinen Söhnen zu:

»Hurrah, Ihr Jungen, frisch zugefaßt, damit Ihr noch vor Tisch damit fertig werdet, die Mutter wird heute zeitig auftragen.«

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Dann wendete er sich zu Farnwald und sagte:

»Ich reite heute Abend selbst mit, wenn meine Söhne das Fleisch zu den Nachbarn bringen, dann kann ich sogleich einige derselben für unsere Sache gewinnen. Lassen Sie uns nur nicht zu viel Zeit verlieren, der Mensch, der Morting, könnte Robert ja in der Nacht überfallen und ihn hinüberhelfen, wenn er hören sollte, daß sich seine Freunde seiner annehmen wollen. Die Gefängnißthür ist ja leicht eingeschlagen.«

»Einige Tage müssen wir es noch aufschieben, bis wir die Antwort des Gouverneurs erhalten haben, die jedenfalls abschlägig lauten wird, denn derselbe war ein Freund des Erschossenen,« erwiederte Farnwald.

»Warum aber warten, wenn wir doch wissen, was die Antwort bringen wird? Zwei Tage Gefangenschaft mit der Aussicht zum Galgen sind für einen, Freiheit gewohnten Burschen wie Robert eine qualvolle Ewigkeit,« sagte Jefferson.

»Es entschuldigt aber unsere eigenmächtige Handlung einigermaßen.«

»Entschuldigt?« erwiederte der Pflanzer; »wer sich entschuldigt, klagt sich an; wir haben ja das vollste Recht auf unserer Seite.«

»Das heißt, lieber Jefferson, nach unsern alten Frontiergesetzen, die aber aufgehört haben und aufhören

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mußten, wenn der Staat gedeihen sollte,« antwortete Farnwald.

»Gut, ich habe nichts dagegen, dann soll man aber auch nach dem wirklichen Rechte richten und solche Schurken, wie Dorst einer war, hängen, sobald sie ihre diebischen Hände nach rechtschaffner Leute Eigenthum ausstrecken.«

Wohl noch eine Stunde saß Farnwald neben dem alten Herrn auf der Einzäunung hin[-] und herrückend (denn auf solchem, im Zickzack aufeinandergelegten Scheitholz, aus welchem dieselbe errichtet, ist nicht der bequemste Sitz), bis die jungen Jeffersons das Zerlegen des Stiers beendigt, die einzelnen Stücke Fleisch auf der herbeigeholten Wage gewogen und nach dem Hause hinaufgetragen hatten und Madame Jefferson zugleich anzeigte, daß das Mittagsessen bereit sei.

Bald hatten sich die kräftigen gesunden Glieder der Familie, Farnwald in ihrer Mitte, um den Tisch gereiht, der alte Herr neigte sich über seinen Teller, sprach ein kurzes Dankgebet und forderte dann seinen Gast durch ein einfaches »help your self« auf, zu thun, als ob er zu Hause sei.

Eine kolossale weichschalige Schildkröte mit ihren unzähligen Eiern war zu einem köstlichen Ragout bereitet, ein Bärenschinken lieferte den Braten und das,

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bei den Pflanzern jener Gegenden niemals beim Mittagsessen fehlende Rübenkraut, worin ein Stück geräucherten Specks gekocht, gab das Gemüse. Eine riesenhafte Omelette, mit Stücken der herrlichsten Pfirsiche dicht überdeckt, kam in der großen eisernen Pfanne, in der sie gebacken war, als Des[s]ert auf den Tisch und Honig und Früchte mit süßer Milch machten den Beschluß.

Bald nach dem Essen wurden die Pferde vorgeführt, zwei Maulthiere wurden mit dem Fleische des Stiers beladen und nach einem herzlichen Abschiede von den Damen trat Farnwald seine Heimreise an, wobei ihm Jefferson mit seinen drei Söhnen das Geleit gab, da ihr Weg einige Meilen weit mit dem seinigen in einer Richtung lag. Als ihre Pfade sich trennten, schied der alte Herr von seinem Gaste mit einem warmen kräftigen Händedruck und sagte:

»Swarton fehlte niemals, mir zu Hülfe zu kommen, wenn die Rothhäute mir zu hart zusetzten, so wird auch Thomas Jefferson mit seinen Söhnen und Freunden gegen die weißen Indianer ihm treulich zur Seite stehen.«

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Capitel 24.

Die Wilden. - Unbefriedigte Dankbarkeit. - Das Indianermädchen. - Zusage. - Die Indianer bei Tisch. - Der Ritt in die Wildniß. - Die Indianer bei dem Feuer. - Das Zelt des Häuptlings. - Der geraubte Knabe und das weiße Maulthier. - Das Lager der Wilden. - Vorbereitungen zum Kriegszug. - Die Streiter. - Der Abschied. - Das Bad.


Die Dämmerung war schon hereingebvochm, als Farnwald sich seiner Wohnung näherte und unweit derselben einige Leute, die bei ihren Pferden standen, gewahrte. Es fiel ihm auf, daß dieselben sich nicht in das Haus verfügt hatten, doch bald erkannte er die Indianer in ihnen und wurde auch gleich darauf von seinem allen Bekannten, Kiwakia, begrüßt. Bei demselben befand sich, außer seiner kleinen hübschen Frau und einem alten Krieger, noch ein hochgewachsenes Indianermädchen von ungewöhnlicher Schönheit des Gesichts; die Formen ihres Körpers waren vom Halse bis zu ihren zierlichen Füßen hinab in eine große lockige Büffelhaut eingehüllt. Ihr kleiner schön geformter Kopf war festlich geschmückt, ihr glänzend schwarzes

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reiches Haar war an der Seite mit einem rothen Lederbande zusammengeschnürt und eine prachtvolle Quaste, aus den schönsten bunt schillernden Federn zusammengesetzt, war darüber befestigt. Ernst und geheimnißvoll schauten ihre großen wunderbar schönen Augen unter den breiten schwarzen Brauen hervor und das Perlenweiß derselben glänzte aus der dunkeln Farbe ihrer Haut, wie zwei Sterne am nächtlichen Himmel. Auch Zarika war, wie zu einem Feste, mit Ringen, Perlen und Federn geziert und ihr kurzes, bis an die Knie reichendes befranztes Lederröckchen war ungemein schön bemalt und gestickt.

Kiwakia hatte Farnwalds Hand ergriffen und sagte ihm, daß er ihn zu sprechen wünsche, worauf er mit ihm nach dem Hause schritt, sein Pferd mit dem Lasso an einen Baum befestigte, seine Gefährten bedeutete, dasselbe mit den ihrigen zu thun und ihnen dann winkte, ihm und Farnwald in dessen Wohnung nachzufolgen.

Renard kam seinem Freunde entgegen und war höchst erfreut darüber, daß ihm der Zufall nun auch einmal Wilde gezeigt habe, deren er früher nie ansichtig geworden wäre. Er sagte, daß er alle seine Ueberredungskunst aufgeboten habe, um die Leute in das Haus zu nöthigen, sie hätten ihm aber gar keine

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Antwort gegeben und steif, wie die Bildsäulen, bei ihren Pferden verweilt.

Kiwakia setzte sich beim Eintritt in das Zimmer sofort auf einen Stuhl, doch seine Gefährten ließen sich auf ihre Hacken neben ihm auf den Fußboden nieder.

Renard war zu den Kindern der Wildniß hingetreten, sprach freundlich zu ihnen und klopfte Kiwakia auf die Schulter, doch dieser sah ihn ernst und schweigend an, ohne sich zu rühren. Farnwald, der sich inzwischen seiner Reiteffecten entledigte, war es nicht entgangen, daß Kiwakia die zudringliche Annäherung Renards unangenehm war, deshalb führte er diesen an der Hand zu dem Häuptling und sagte:

»Kiwakia, dies ist mein Freund Renard, er ist, wie ich, ein Freund der rothen Kinder und ein Freund von Kiwakia, der ihn sicher auch lieben wird, wie mich selbst.«

Bei diesen Worten legte sich ein Ausdruck aufrichtiger Freundlichkeit auf des Wilden Züge, er reichte Renard seine Hand und sagte:

»Kiwakia guter Freund von Rena,« worauf er wieder in sein voriges Schweigen verfiel und Farnwald dadurch aufmerksam wurde, daß der Indianer einen Gegenstand von Wichtigkeit mit ihm zu besprechen

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wünsche und auf die, bei solchen Gelegenheiten gebräuchliche Friedenspfeife warte.

Dieselbe wurde schnell herbeigeschafft, Farnwald setzte sich mit Renard zu den Wilden in einen Kreis, zündete die Pfeife an und reichte sie Kiwakia hin. Dieser sog nun eine Zeit lang den Rauch aus derselben auf und verschluckte ihn so vollkommen, daß keine Spur davon sichtbar wurde, worauf er die Pfeife dem alten Krieger reichte, der in gleicher Weise damit verfuhr und sie dann Renard übergab. Dieser, nachdem er einige Züge daraus gethan hatte, übermachte sie Farnwald, während Kiwakia sich zurücklegte, den Mund nach oben richtete und einen dichten Strom Rauches ausbließ.

Nachdem sein Gefährte sich gleichfalls eines Theils des verschluckten Rauches entledigt hatte, nahm Kiwakia das Wort und sagte:

»Farnwald, der große Häuptling, hat Kiwakia den Bruder zurückgegeben und ihn fett und stark gemacht, so daß er wieder den Büffel jagen und den Pfeil nach den Herzen der Feinde seines Stammes schießen konnte. Kiwakia hat den großen Häuptling noch nicht dafür durch ein Geschenk erfreut, obgleich er es gern gethan hätte. Der große Häuptling hatte keine Freude an Silber und auch nicht an den schönsten Maulthieren, welche in den Heerden der Comantschen weideten.

Kiwakia weiß aber, daß sein Herz einst hoch für eine Tochter der rothen Kinder schlug und daß es traurig wurde, als seine Feinde den Pfeil in ihre Brust gesendet hatten. Kiwakia bringt jetzt dem großen Häuptlinge die schönste Tochter seines Stammes zum Geschenke und wünscht, daß sie seinem Herzen gefallen möge.«

Bei diesen Worten zeigte er seitwärts auf die schöne Wilde, die neben ihm auf dem Fußboden saß und ihre großen dunkeln Gazellenaugen ernst und fragend auf Farnwald geheftet hielt.

Die Büffelhaut, die bis jetzt ihren Körper verhüllt hatte, fiel von ihr ab und eine vollendete indianische weibliche Schönheit zeigte sich den überraschten Blicken der weißen Männer. Auf ihrem goldigen zarten Busen ruhten reiche Perlenschnüre, blitzende Spangen umschlossen ihre vollen Arme, ein buntfarbiges schön gesticktes Lederröckchen mit langen Franzen hing um ihren schlanken Leib bis auf die Knie herab und ihre kleinen Füße waren mit zierlichen Mokassins geschmückt. Mit dem Herabfallen der Büffelhaut hob sich die wilde Schöne empor und ihre glänzend schwarzen seidenweichen Haare fielen von der linken Seite ihres kleinen Kopfes, wo sie mit dem reichen Federschmuck zusammengebunden waren, in üppigster Fülle bis unter ihre Hüften herab. Sie stand wie eine bronzene Statue, edel und anmuthig

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da und blickte unbeweglich auf Farnwald, als wolle sie errathen, welchen Eindruck sie auf sein Herz mache.

Einige Minuten lang staunte dieser die so plötzlich wie hergezauberte Schönheit an, dann wendete er sich zu Kiwakia und sagte:

»Schon durch das Angebot so vieler herrlicher Geschenke ist der kleine Dienst, den ich Dir erzeigt, reichlich belohnt; Du schuldest mir nichts mehr, Kiwakia. Auch für dieses überaus werthvolle Geschenk danke ich Dir so herzlich, als ob ich es angenommen hätte, gebe Dir aber das Mädchen zurück, da sie mich nicht glücklich machen kann und sich nicht glücklich bei mir fühlen würde.«

Kiwakia senkte bei dieser abermaligen Zurückweisung seiner Gabe das Haupt und ließ die Arme zwischen seinen Knien hinabsinken. Er saß eine Weile, stumm vor sich hinschauend da, wendete sich dann zu der jungen Indianerin und sagte ihr mit einem Ausdrucke von Vorwurf, sie sei nicht schön genug, um Farnwald zur Liebe zu reizen, worauf dieselbe wieder auf den Fußboden niedersank, ihre große Büffelhaut um sich zog, ihr Haar von dem Federschmucke befreite, so daß es wild um ihren Kopf herabfiel und sich dann mit niedergeschlagenem Blicke zusammenkauerte.

Nach einer langen Pause stand Kiwakia, wie zu einem schweren Entschlüsse gekommen, auf, faßte die

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Hand seiner Frau, führte sie zu Farnwald hin und sagte, indem er deren Hand demselben entgegenhielt:

»So nimm denn das Theuerste, was Kiwakia besitzt, nimm seine Zarika, er giebt sie Dir, grosser Häuptling, mit Freuden und wird glücklich sein, wenn sie Dein Herz froh macht.«

In diesem Augenblicke schien ein begeisternder Gedanke in Farnwald aufzusteigen, seine Augen strahlten lebendig, als wenn eine schwere Last plötzlich von seinem Herzen gefallen wäre, er stand auf, ergriff des Wilden Hand und sagte mit entschlossenem Tone:

»Ja, Kiwakia, jetzt will ich einen Dienst von Dir fordern, wodurch Du Deine Schuld bei mir tausendmal abtragen kannst.«

Bebend hielt der Indianer immer noch die Hand seiner Frau nach Farnwald hin und sagte mit wehmüthiger Stimme:

»Kiwakia giebt sie Dir gern, grosier Häuptling, sie ist ja nicht halb so viel werth, als das Leben seines Bruders.«

»Nein, nicht Deine Frau ist es, was ich von Dir begehre, sie soll die Deine bleiben; es ist ein anderer Dienst, um den ich Dich bitte.«

»Ich habe nichts Besseres, was ich Dir geben könnte, denn Deine Waffen haben die der Comantschen abgestumpft, Dein Hengst hat die Fährten ihrer Rosse

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übersprungen und Deine Kleider sind schöner, als unsere Frauen sie verfertigen können.«

»Du sollst mir nichts geben, Kiwakia, Du sollst etwas für mich thun oder vielmehr mir helfen, eine That auszuführen.«

»Du hast mir meinen Bruder gegeben, deshalb muß auch ich Dir etwas geben, was Dich ebenso sehr erfreut, als mich Deine Gabe. Was ist es aber, wobei ich Dir behülflich sein kann?«

»Ein Freund von mir wird von seinen Feinden gefangen gehalten und in wenigen Tagen wollen sie ihn tödten. Es sind ihrer etwa dreißig, die ihn bewachen und ich bin zu schwach, um ihn zu befreien, doch wenn Kiwakia mir mit seinen Kriegern beistehen will, so ist es ein Leichtes, ihn zu retten: sein Leben ist mir ebenso theuer, als Kiwakia das seines Bruders.«

»Nicht Kiwakia darf Deinen Freund retten, sein Bruder muß helfen, denn ihm hast Du geholfen, Kiwakia aber hast Du ein Geschenk gemacht, dafür bleibt er in Deiner Schuld. Wo ist Dein Freund gebunden?«

»Wenige Meilen von hier, ich werde mitreiten und Euch zu dem Gefängnisse führen. Es muß aber sehr bald geschehen, sonst wird es zu spät.«

»Kiwakias Pferd wird über die Gebirge ziehen, schnell wie die Antilope, Kiwakias Zunge wird seinen

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Bruder an seine Schuld mahnen und zu seinen Kriegern reden, damit sie ihre schärfsten Waffen und ihre schnellsten Rosse wählen und zu dem großen Häuptlinge eilen, um dessen Freund aus den Händen seiner Feinde zu befreien. Noch ehe die Sonne zum zweiten Male hinter dem Eise der Gebirge verschwindet, steht Kiwakia und sein Bruder mit zweihundert seiner besten Krieger hier vor Deinem Wigwam, um Deinen Wunsch zu erfüllen. Mein Bruder wird glücklich sein, wenn er dem großen Häuptlinge helfen kann, wie dieser ihm geholfen hat, Kiwakia aber wird traurig bleiben, weil er nichts besitzt und nichts ihm bieten kann, was denselben erfreuen würde.«

»Wenn Du mir meinen Freund wiedergiebst, so dienst Du mir ebenso, wie ich Dir diente und Du wirst mir nichts mehr schulden,« sagte Farnwald zu dem Häuptlinge und drückte ihm die Hand, doch dieser schüttelte mißmüthig den Kopf, schob seine Frau und das Mädchen nach der Thür hin und wollte sich mit ihnen und dem alten Krieger entfernen, als Farnwald ihn zurückhielt und sagte:

»Wie weit von hier liegt Dein Stamm?« Kiwakia zeigte mit der Hand nach Osten und beschrieb mit derselben über sich einen Bogen nach Westen, um den Lauf der Sonne anzudeuten und sagte:

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»Wenn ich von hier mit der Sonne aufbreche und mein Pferd den Kopf nicht eher in das Gras steckt, bis die Sonne versunken, so nehmen ihm die Frauen Kiwakias vor seinem Wigwam den Zaum ab. Da, wo die Comantschen auf dem höchsten Berge, wie Dir bekannt ist, viele tausend Steine aufeinandergelegt haben (in Form einer Pyramide), dort brennen ihre Feuer in dem Thale am Flusse.«

»Ich will selbst mit Dir reiten, Kiwakia, um sicher zu wissen, ob Deine Krieger kommen werden. Wenn der Tag graut, brechen wir auf. Bringt Eure Pferde in die Einzäunung, mein Diener soll sie verpflegen, damit sie morgen kräftig und schnell sind; dann kommt wieder hierher zurück, auch wir wollen uns zu dem Ritte stärken,« sagte Farnwald zu seinem wilden Freunde und rief dann Addisson zu, demselben behülflich zu sein, die Pferde unterzubringen.

»Wollen Sie wirklich mit den Wilden reiten, Farnwald?« fragte ihn Renard, als Jene das Zimmer verlassen hatten.

»Unbedingt; diese Hülfe hat mir der Himmel gesandt, denn nun wird die gewaltsame Befreiung auf Rechnung der Indianer kommen und Doralices Mutter kann mir nicht darüber zürnen; sie wird denken, der alte Swarton hätte dieselben dazu veranlaßt. Er ist nur

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vier Jahre nach mir in diese Gegend gezogen und ist, so wie ich, mit vielen Stämmen der Wilden bekannt. Man weiß nachher nicht, welcher Indianerstamm es ausgeführt hat und wir sprengen aua, daß es Mescaleros gewesen seien. Niemand aber, auch selbst unsere Freunde dürfen es nicht erfahren, weder vorher noch nachher. Wenn also Jemand während meiner Abwesenheit hier nach mir fragt, so sagen Sie, Sie wüßten nicht, wohin ich geritten sei.«

»Ihre Freunde werden aber dadurch in Angst gerathen; Sie wissen, ihre Besorgniß steigert sich mit jedem Tage.«

»Sagen Sie ihnen nur, sie sollten guten Muthes sein, ich wäre auf Werbung ausgeritten.«

»Der Zufall ist Ihnen günstig, denn auch ich glaube, daß Sie auf diese Weise dem Zorne der Wittwe entgehen werden.«

»Gebe es der Himmel!« sagte Farnwald, als eben Milly eintrat, um die Tafel zu decken.

»Du mußt die beiden Tische nebeneinander stellen, Milly,« fuhr er zu dieser gewendet fort; »ich habe vornehmen Besuch, wie Du weißt; der Indianerkönig wird mit an meiner Tafel speisen.«

»Mit seiner Königin?« lachte Milly, »ist denn die andere Wilde die Prinzessin?«

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»Sie ist nur die Hofdame und wird ihrer Majestät die Schleppe tragen,« antwortete Farnwald scherzend.

»Sie darf dieselbe aber nicht zu hoch aufheben,« fiel Renard ein und lachte hell auf, als die Thür sich öffnete, die Wilden eintraten und schweigend ihre vorigen Sitze wieder einnahmen.

Mit neugierigen und verwunderten Blicken folgten dieselben den Bewegungen der Quadrone, ihre Augen schienen immer größer zu werden, und als die Sklavin vier Lichter auf dem sauber gedeckten Tische angezündet hatte und zwei Vasen mit prächtigen Blumen dazwischen stellte, stießen sie sämmtlich ein halbunterdrücktes »Hugh!« ein Ausruf der Verwunderung, aus.

Die Speisen waren aufgetragen, Milly hatte sich an das untere Ende der Tafel bei das[dem] Kaffee- und Theezeug gestellt, um nach Verlangen den einen oder andern Trank zu credenzen, als Farnwald zu Kiwakia hintrat, ihm seine Linke und Zarika seine Rechte reichte und sagte:

»Kommt, seid meine Gäste und mir bei meinem Abendbrode herzlich willkommen.«

Er führte sie zu dem Tische, bat sie, sich zu setzen, und holte dann in gleicher Weise den alten Krieger und die junge Indianerin. Diese wollte nicht aus ihrer Büffelhaut hervortreten, doch Farnwald zog die neidische

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Hülle von ihr ab, strich ihr reiches Rabenhaar zurück, so daß es über ihren schönen Nacken fiel und sagte ihr in ihrer Sprache, daß sie die schönste Indianerin sei, die er seit langer Zeit gesehen.

Das Gesicht des Mädchens verklärte sich bei diesen Worten, ihre großen glänzenden Augen wendeten sich zu Kiwakia hin, ihr Mund öffnete sich in seligem Lächeln, zwischen ihren frischen vollen Lippen wurden zwei Reihen der prächtigsten kleinen Zähne sichtbar, und entzückt sagte sie zu dem Häuptlinge:

»Hörst Du es wohl? er sagt es selbst, daß ich schön bin; soll ich die Federn wieder in mein Haar binden?«

Kiwakia aber gab ihr keine Antwort und saß still vor sich hinblickend.

»Thue das,[«] es macht Dich noch schöner[,«] sagte Farnwald zu der Wilden, während er den alten Indianer auf einen Stuhl niederzog und im Augenblick hatte das Mädchen mit dem Lederriemen des Federbusches ihr Haar leicht und graziös an der linken Seite ihres Kopfes zusammengebunden. Auch sie mußte Farnwald auf den Stuhl niederdrücken und dann mit demselben gegen den Tisch schieben, worauf er selbst neben Renard, den Wilden gegenüber, Platz nahm.

Die kleine zierliche Zarika lächelte und strahlte vor Wonne über den Zauber, der sie umgab, und sie streckte

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ihre schönen runden Arme bald hier, bald dorthin über den Tisch, um Kiwakia auf die blitzenden Geräthe und durchsichtigen Gläser aufmerksam zu machen, während ihre reizende Gefährtin in stummem Staunen um sich blickte, und ihrem bewegten Busen von Zeit zu Zeit ein Seufzer entstieg, womit sie ihrem Gefühl der Bewunderung Luft zu machen schien.

»Mit einer seltsamern und zugleich reizendern Gesellschaft habe ich nie zu Tisch gesessen,« sagte Renard, auf die beiden Indianerinnen blickend.

»Erzählen Sie es Ihrer Frau nur nicht zu ausführlich, sie würde mir vielleicht darüber grollen,« erwiederte Farnwald und sagte dann zu Milly:

»Gieb Herrn Renard und mir zuerst Thee und Kaffee und dann den Indianern,« nahm selbst von den verschiedenen Speisen einiges auf seinen Teller und füllte darauf die der Wilden in gleicher Weise.

Diese saßen verwundert da und blickten bald auf die Teller, bald auf die Messer und Gabeln, und sahen dann wieder nach Farnwald hin, als wollten sie ihm absehen, wie sie sich zu benehmen hätten.

»Frisch, Kiwakia, sieh so!« sagte derselbe zu dem Häuptlinge, schnitt die Speisen auf seinem Teller entzwei und führte ein Stück Fleisch mit der Gabel zu seinem Munde.

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Kiwakia lächelte und machte einen verzagten Versuch, ein Gleiches zu thun; doch beim ersten Schnitt flogen die Speisen von seinem Teller, theils auf den Tisch, theils auf die Erde, worauf Farnwald sein Messer und Gabel niederlegte und sich statt derselben seiner Finger bediente. Jetzt verstanden die Wilden sämmtlich, was sie zu thun hatten und griffen herzhaft zu, während Farnwald stets ihre Teller gefüllt erhielt.

Unglaublich ist es, welche Quantität von Speisen die Indianer zu sich nehmen können, während sie es auch gewohnt sind, mitunter zwei, auch drei Tage gar nichts zu genießen. Heute war aber Eßtag, und als Farnwalds wilde Gäste die Hände in den Schoeß sinken ließen und mit zufrieden glücklichem Lächeln sagten: »bueno«, wäre es ihnen auch wohl nicht möglich gewesen, noch einen Bissen zu verschlucken. Farnwald reichte ihnen darauf Cigarren, die sie mit Wohlgefallen angezündet hatten, als Kiwakia sich erhob und sagte: »Indianer satt, niederlegen!« worauf er und seine Gefährten ihre Büffelhäute auf dem Fußboden ausbreiteten, sich darauf ausstreckten und, sich aus einen Arm stützend, behaglich ihre Cigarren rauchten.

Farnwald und Renard hatten es sich in gleicher Beschäftigung im Sopha bequem gemacht und Milly hatte den Tisch abgedeckt, als sie zu ihrem Herrn sagte:

»Darf Dir Joe denn nicht guten Abend sagen? das treue Thier steht schon die ganze Zeit vor der Thür, ich habe ihn aber nicht hereinlassen wollen, wegen der Indianer.«

»Wart, ich will ihn selbst hereinholen,« erwiederte Farnwald aufspringend, öffnete die Thür und ergriff den Hund im Halsbande, als er herein schritt.

Mit tiefem Knurren, gesträubtem Haar, und gehobener Ruthe blickte das mächtige Thier auf die auf dem Fußboden liegenden Wilden, die mit einem lauten »Hugh« zusammenfuhren, als sie des Hundes ansichtig wurden, doch Farnwald verwies ihm seinen Zorn, worauf derselbe sich vor ihm niedersetzte, seine Augen aber nicht von den Indianern abwendete.

Es wurde Zeit, sich zur Ruhe zu begeben, Farnwald stellte es seinen wilden Gästen frei, hier im Zimmer, oder unter der Veranda zu schlafen; sie zogen Letzteres mit dem Vemerken vor, daß man draußen freier athmen könne. Sie nahmen ihre Betten, die Büffelhäute, und ihre Bogen und Köcher mit sich hinaus und bald darauf waren sämmtliche Bewohner dieser einsamen Ansiedelung in tiefem Schlafe.

Lange vor Tage aber flackerte das Feuer in der Küche wieder hoch auf, wo die Quadrone das Bereiten des Frühstücks beaufsichtigte, Addisson und der alte

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Gärtner verpflegten die Pferde und erst als der Tisch gedeckt war, ging Milly zu ihrem Herrn, um ihn zu wecken. Kaum röthete sich im Osten der Saum des Himmels, als die Indianer schon zu Pferde vor dem Hause hielten, Farnwald Abschied von Renard nahm, ihn nochmals bat, nur anch Abrede zu verfahren und dann seinen Hengst bestieg und mit den Wilden von dannen zog.

Kiwakia deutete Farnwald mit einem Winke seiner Hand an, daß er den Zug führen solle, folgte nur eine kurze Zeit der Straße und bog dann an dem Ufer des Flusses hinab in denselben hinein, wo er ihn auf einer seichten Furt durchritt, die Farnwald, trotz seines langjährigen Aufenthalt in dieser Gegend, bisjetzt unbekannt geblieben war.

Auf einem kaum sichtbaren Büffelpfade trieb der Häuptling sein Pferd an dem steilen jenseitigen Ufer hinauf und in das Dickicht des Urwaldes hinein, so daß Roß und Reiter bei jedem Schritte die herüber und hinüberhängenden Blätter der Riesenpflanzen theilen mußten, dennoch war der Pfad frei von starken Ranken, deren so unzählige selbst den Hauptweg durch den Wald beschwerlich machten, und wurde nur hier und dort durch einen umgefallenen Baumstamm gesperrt.

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»Das ist mir ein ganz unbekannter neuer Weg, Kiwakia, irrst Du Dich auch nicht, und führt er wohl auch ganz durch den Wald bis zur Prairie hinaus?«

»Der Weg meiner Vorväter, Indianerwege schmal,« war die kurze Antwort des Wilden, wobei er sein Pferd zur Eile antrieb und links und rechts mit der Hand behend die Aeste und Blätter bei Seite drückte. Farnwald folgte ihm eben so rasch, wenn es ihm auch schwieriger wurde, sich durch die Büsche zu schlagen, und schweigend zogen die andern Indianer hinter ihm drein. Der Morgen war frisch und die Waldluft labend, der Tag brach rasch durch die düstern Räume der ungeheuern Laubmassen herein, zwischen denen die kolossalen Stämme, wie mächtige Pfeiler zu dem grünen Gewölbe hinaufstrebtein und, in schwindelnder Höhe ihre Aeste ausbreitend, die Ranken hielten, die in langen Schwingungen den Wald durchzogen. Bald blitzten die ersten Strahlen der Sonne durch das grüne Dach, hier fielen sie auf den glatten weißen Stamm einer mächtigen Platane, dort auf den glänzend silbergrauen Schaft einer dicht und saftig belaubten Magnolie; in ihrem goldigen Scheine glänzte die bunte prächtige Blumenflor der Lianen, die in langen Gewinden von Baum zu Baum hingen, prangten die Wunderblüthen der Bäume, der Sträuche, der Pflanzen, die sich über dem reichen

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Erdboden ausbreiteten, und zeigten tausend Früchte dem neuen Lichte ihren Purpur, ihr Gold.

Die vierfüßigen Bewohner des Waldes flohen von den Reitern überrascht durch das Dickicht und mit lautem Geprassel hob sich der wilde Welsch auf seinem bronzefarbigen Gefieder zu den Gipfeln der Riesenbäume. Doch Kiwakias Bogen und Pfeile ruhten in dem, aus der bunten Haut eines Jaguars verfertigten Köcher, der um seine Schulter hing, und alle seine Aufmerksamkeit war auf den Weg und auf sein Pferd gerichtet, damit er jeden Augenblick zu dessen möglichst großer Eile benutzen könne.

Das Ende des Waldes war erreicht, die weite unabsehbare Prairie mit einzelnen Baum- und Gebüschgruppen, die sich wie Inseln aus dem Grasmeer erhoben, dehnte sich vor den Reitern im klaren Morgenlichte aus und verschwamm mit dem fernen Horizont in purpurnem Duft. Wo sich das Auge hinwandte, war die Fläche belebt; Rudel Hirsche standen, neugierig nach den Reitern herblickend, und ließen sie in geringer Entfernung an sich vorüberziehen, scheu und leichten Sprunges flohen Schaaren von Antilopen und wilden Pferden über das bethaute wogende Gras, und in schwerfälligem Galopp stürmten die Büffel in zahlreichen Heerden vor den Reisenden dahin. Doch schweigend folgten diese, Einer

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hinter dem Andern, den schmalen Pfaden, die von diesen Ueberbleibseln der Urwelt durch die Prairien getreten sind, und noch ehe die Sonne im Zenith stand und ihre Strahlen glühend auf die Erde schoß, trieben sie ihre Pferde mit unveränderter Eile über steinige Höhen den Gebirgen zu. Berg auf Berg ab, ohne Rast, ging es vorwärts, kaum daß man den Pferden Zeit genug gab, in den Gewässern, die sie durchschritten, ihren Durst zu löschen, und als die Sonne im Scheiden zwischen den Eisspitzen der fernen westlichen Gebirgszüge durchblickte und die Steinpyramide hell beleuchtete, welche die Comantsche Indianer auf hohem Berge als Zeichen errichtet haben, daß hier ihr Reich sei, sahen die Reiter auch am Fuße dieses Berges die Rauchsäulen der vielen Lagerfeuer von Kiwakias Stamm zum Himmel aufsteigen.

Bald wurden sie von den Bewohnern des Lagers erkannt. Viele derselben kamen ihnen entgegen und als die Nachricht sich verbreitete, daß Farnwald mitgekommen sei, drängte sich Alt und Jung zu Kiwakias Zelt, um den großen Häuptling zu sehen.

Ureumsi war einer der Ersten, die ihn begrüßten, er hielt ihm das Pferd, als er abstieg, erfaßte dann mit beiden Händen die seinige, drückte sie an sein Herz, zeigte auf seine muskulösen Schenkel und Arme, hob die Hände zum Himmel auf und that alles Mögliche, um

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Farnwald sein Dankgefühl für die ihm zurückgegebene Gesundheit durch Zeichen [zu] erkennen zu geben, während er theils in seiner Sprache, theils in kaum verständlichem Englisch, Worte des Dankes hervorstotterte, da ihm die sehr große unverhoffte Freude die Sprache raubte.

Die alten Krieger traten zu Farnwald hin und hießen ihn freudig und herzlich willkommen, man sah es ihnen an, daß sie es aufrichtig meinten, denn die Freude verklärte ihre sonst so ernsten und unbeweglichen Züge, und ein Jeder von ihnen wollte der Erste sein, der ihm die Hand reichte.

Zarika hatte eine weiße Büffelhaut, einen unter den Indianern hoch verehrten und für sie außerst werthvollen Gegenstand, für den Gast vor des Häuptlings Zelt neben dem Feuer ausgebreitet und viele andere Häute um dasselbe gelegt, als Kiwakia ihn bat, sich niederzulassen, seinen Platz neben ihm wählte und seinem Bruder Ureumsi winkte, ein Gleiches an Farnwalds anderer Seite zu thun. Darauf traten die Weisen und Krieger des Stammes zu dem Feuer und setzten sich in dichten Reihen um dasselbe nieder, wie es schien in gewisser Rangordnung, die Vornehmsten in die erste Linie und die Andern hinter denselben.

Kiwakia war Kriegshäuptling, sein Vorgänger, der Alters halber von diesem Posten zurückgetreten, war

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Friedenshäuptling und Vorsitzer in den Berathungen, außerdem gab es für beide Dienste Stellvertreter und mehrere andere Beamten unter ihnen, wie Ceremonienmeister bei ihren Festen, Musikmeister und andere mehr.

Zarika und die vier andern Frauen Kiwakias trugen nun Speisen, die sämmtlich aus Fleisch bestanden, auf eine vor Farnwald ausgebreitete, gegerbte Haut. Kiwakia und sein Bruder aßen zuerst davon und baten dann ihren Gast, ihrem Beispiele zu folgen, worauf die in der vordersten Reihe sitzenden alten Indianer sich gleichfalls davon bedienten. Während des Mahles herrschte ein allgemeines Schweigen und ebenso lautlos wurde nach Entfernung der Speisen von Kiwakia die Friedenspfeife angezündet. Sie ging von Mund zu Mund im Kreise herum und nachdem sich die Beteiligten mit deren Rauch gesättigt und dieselbe sich wieder in des Häuptlings Hand befand, brach dieser zuerst die Stille und sagte:

»Der große Häuptling, den die rothen Kinder lange in ihrer Blindheit bekämpft haben, ohne ihm, seinem Pferde oder seinem Hunde Leids anthun zu können, ist immer ein Freund der Comantschen gewesen, wenn sie es auch lange Zeit nicht eingesehen haben. Als sie aber ihre Waffen gegen ihn niederlegten, hat er ihre Kranken wieder gesund und ihre Schwachen wieder stark gemacht,

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so daß sie, wie früher den Büffel jagen und ihre Feinde bekämpfen konnten, auch meinen[meinem] Bruder Ureumsi, der an den Jagdgründen unserer Väter stand, hat er das Leben erhalten und ihn wieder zum starken Krieger gemacht. Noch haben die rothen Kinder zum Danke dafür weder sein Herz durch ein Geschenk erfreuen, noch ihm in der Noth beistehn können. Er ist jetzt gekommen, um die Hülfe der Comantschen gegen seine weißen Feinde, die einen seiner Freunde gebunden halten und tödten wollen, zu fordern, und will sehen, ob die rothen Kinder der Freundschaft werth waren, die er ihnen erzeigt hat.«

Nach Kiwakia nahm Ureumsi das Wort und sagte:

»Ihr habt mich gekannt, als keiner unter Euch den Pfeil soweit senden, den Büffel so schnell erlegen, dem Pferde der Prairie so sicher den Lasso um den Hals werfen konnte als ich; Ihr habt mich gesehen als ich erkrankte, als ich nicht mehr so stark war, wie Euer kleinstes Kind, als Ihr mich, ein Knochengerippe, auf das Maulthier hobt, das mich zu dem großen Häuptlinge tragen sollte, damit er mir neue Kräfte, neues Leben geben möchte und Ihr habt mich fett und stark von ihm zurückkehren sehen. Es macht mein Herz froh, daß der große Geist mir Gelegenheit giebt, dem großen Häuptlinge zu helfen; mein schnellstes Pferd will ich

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reiten und meine besten Waffen will ich gebrauchen, um ihm gegen seine Feinde beizustehen und seinen Freund zu retten. Auch die Herzen unserer Krieger werden sich freuen, für unsern Freund, den großen Häuptling, zu streiten, und wer von ihnen mich dabei begleiten will, der gehe jetzt nach seinem Wigwam, um seine Waffen zu wählen, sein Pferd von den Frauen pflegen zu lassen und dann fest zu schlafen, damit morgen sein Arm stark, sein Auge scharf und sein Pferd flüchtig sei. Wer von den Weisen oder Kriegern anders sprechen will als ich, der mag es jetzt thun. Ich habe geredet.«

Alle rüstigen Männer in der Versammlung erhoben sich hierauf und schritten schweigend, aber mit freudigem Blicke in verschiedenen Richtungen den andern Zelten zu, während die Alten sich enger um das Feuer setzten, ihre Pfeifen anzündeten und nach einander alle mit Farnwald redeten.

Die Nacht war dunkel, die Sterne glänzten und funkelten in ihrer vollsten Pracht und der milde Abendwind säuselte traulich durch die mächtigen Cypressen, an deren Wurzeln die Wellen des pfeilschnell dahin strömenden Flusses sich rauschend brachen. Das Feuer war zu einem großen Kohlenhaufen niedergebrannt, dessen Gluth die rothbraunen ernsten Gesichter der alten Indianer beleuchtete. Sie sprachen von längst vergangenen

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Zeiten, in denen zwischen diesem Flusse und den, viele hundert Meilen weiter östlich fließenden Strömen noch kein Bleichgesicht sein Wigwam aufgeschlagen hatte; sie sprachen von ihren Kriegszügen nach Mexico und den reichen Beuten, die sie dort an Silber, Pferden, Maulthieren und Sklaven gemacht, und erinnerten einander an die vielen Kämpfe, die sie gegen die weißen Ansiedler an der Meeresküste bestanden hatten, als der Büffel noch seine Wanderungen bis dort hinunter ausdehnte. Es sprach stets nur Einer zur Zeit, während die Andern mit unbeweglich auf ihn gehefteten Blicken seiner Rede lauschten, damit ihnen kein Wort, keine seiner Bewegungen entgehe, denn er redete zugleich mit den Augen, mit den Händen und den Füßen. Ihre Sprache war ernst, feierlich und reich an wirklich poetischen Bildern, trug das Gepräge tiefsten Gefühls und einen Ausdruck von Schwermuth, während die Sprache der Indianer in ihrer gewöhnlichen Unterredung so wortkarg und kurz als nur möglich ist.

So oft Farnwald auch schon Gelegenheit gehabt hatte, Unterhaltungen dieser Art beizuwohnen, boten sie ihm doch immer aufs neue großes Interesse und schweigend und aufmerksam bewunderte er die bedeutenden natürlichen Anlagen und edlen Gefühle dieser Kinder der Wildniß.

Nach und nach hatten sich die alten Krieger erhoben

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und das Kohleufeuer verlassen, als Zarika aus dem Zelte getreten war und zu ihrem kleinen Sohne sprach, der etwa drei Jahre alt sein konnte, wobei sie aufmunternd nach Farnwald hinzeigte. Der kleine schöne Knabe schritt nun auf diesen zu, indem er eine ungeheure gegerbte und sehr schön bemalte Büffelhaut hinter sich her schleifte, um sie dem Gaste zum Geschenk zu überbringen, bei welcher Unternehmung ihn seine Mutter unterstützen mußte, da seine Kräfte dazu noch nicht ausreichten. Er hielt Farnwald das Ende der Haut, welches er mit seiner kleinen Rechten gefaßt hatte, hin und deutete ihm durch Senken seines Backens auf sein Händchen an, daß er darauf schlafen solle. Zarika schlug freudig die Hände zusammen, weil der Kleine den Auftrag so schön ausgerichtet hatte, schlang dann ihre Arme in Entzücken um den Liebling und hob ihn hoch an ihre Brust.

Kiwakia, der aufgestanden war, nahm innig bewegt Mutter und Kind in seine Arme, drückte sie beide zärtlich an seine nackte Brust und sagte dann zu Farnwald:

»Sieh, großer Häuptling, Zarika ist von allen Comantschen Frauen die beste und ist ein Theil von dem Leben Kiwakias, aber gerne hätte er sie Dir gegeben, wenn sie Dein Herz hätte erfreuen können; denn seine Schuld gegen Dich ist sehr groß.«

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»Deine Schuld wird morgen abgetragen, wenn Du mir den Freund rettest, Kiwakia, ich werde sogar selber zu Deinem Schuldner,« erwiederte Farnwald.

Der Häuptling aber schüttelte wieder den Kopf, faßte seinen Gast bei der Hand und führte ihn in das Zelt hinein. Dasselbe war von großem Umfange und einige zwanzig Fuß hoch, in der Form eines Zuckerhutes von gegerbtem weißen Büffelleder verfertigt und wurde durch lange Stangen aufgespannt gehalten, die innerhalb im Kreise herum in die Erde gesteckt waren und oben durch eine kleine Oeffnung hinausreichten, welche, wenn bei kaltem Wetter ein Feuer im Zelte brannte, als Schornstein diente. In der Mitte des Zeltes war eine Fackel von Kienspänen in die Erde gesteckt, die dasselbe hell erleuchteten und durch die Frauen sorgsam mit frischem Holze versehen ward. Rundum war es im Innern mit Bildern aus dem Jagd- und Kriegsleben des Häuptlings bemalt. An ren Stangen, die unter den Wänden hinauf standen, hingen die Waffen Kiwakias, welche in Lanzen, Bogen und Pfeilen, Streitäxten und Messern bestanden und dazwischen waren verschiedene, von Büffelleder verfertigte Schilde angebracht. Letztere prangten in den buntesten Farben und waren rundum mit Büscheln von Meuschenhaaren geziert, den Scalpen der durch den Häuptling besiegten Feinde.

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Die meisten dieser Trophäen zeigten durch ihr glänzendes Schwarz, daß sie den Häuptern erschlagener Indianer abgenommen waren, doch sahen auch braune und blonde Locken von weißen Männern unter ihnen hervor. Reiches, schwer mit Silber geschmücktes mexicanisches Reitzeug und mehrere kostbare wollene mexicanische Decken waren gleichfalls an den Stangen zur Zierde des Raumes aufgehangen und im Kreise an der Zellwand umher lagen die herrlichsten gegerbten Haute von Büffeln, grauen und schwarzen Bären, Jaguaren, Panthern und Leopardenkatzen, die den Bewohnern dieses Zeltes als Lager dienten.

Die mexicanischen Gegenstände waren von den Indianern bei ihren häufigen Einfällen in jenem Lande geraubt worden, denn namentlich sind die Comantschen der Schrecken der mexicanischen Frontier und oftmals sind schon die einzelnen, nicht befestigten Ansiedlungen und kleinen Städte an den Ufern des Rio Grando, hinauf bis nach dem silberreichen Santo Fee von ihnen gänzlich verheert worden. Die übrigen Artikel in dem Zelte waren von diesen Wilden selbst höchst künstlich und geschmackvoll angefertigt, doch fand sich außerdem noch viel werthloser Tand, den sie für enorme Preise von den Amerikanern erhandelt hatten. Das Amerikanische Gouvernement hat vom Norden nach dem Süden

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an der ganzen Frontier eine Reihe von Handelshäusern (trading houses) [trading houses (Handelshäusern)] errichtet, die noch vor die äußersten Grenzbewohner hinaus in die Wildniß geschoben und sämmtlich gut befestigt sind. Dorthin ziehen die Indianer, um gegen Häute, getrocknetes Fleisch, Bärenfell, Talg, Honig, Wachs und Goldkörner solche Dinge einzutauschen, die ihnen wünschenswerth sind und womit sie unglaublich betrogen werden.

»Sei mir willkommen in meinem Wigwam, großer Häuptling, Deine Ruhe hier mag sanft und Deine Träume mögen die schönsten sein,« sagte Kiwakia zu Farnwald, indem er demselben sein Lager anwies und sich selbst ihm gegenüber niederlegte.

»Kiwakia, hast Du wohl niemals unter den Heerden Deiner Freunde oder Feinde ein weißgeborenes Maulthier gesehen, groß und schön wie ein Pferd?« fragte Farnwald seinen Wirth, indem er sich gedankenvoll auf seinen Arm stützte.

»Ein weißgebornes Maulthier?« erwiederte der Häuptling, »das ist selten, wie ein weißgeborner Büffel und steht bei den rothen Kindern noch höher als dieser. Ich habe nur ein einziges gesehen, das meinem Vater gehörte und als er starb, haben wir es auch getödtet, damit es ihm in die ewigen Jagdgründe folgen mochte: doch war dasselbe klein.«

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»Dasjenige, von dem ich spreche, ist sehr groß, es wurde einer mexicanischen Familie an der Frontier Mexicos von Indianern geraubt und mit ihm ein Knabe von fünf Jahren. Der Knabe muß jetzt beinahe 16 Jahre alt sein und ist an einer Narbe, die er in der Form eines Hufeisens auf der Stirn trägt, kenntlich.

»Weder das Maulthier noch den Knaben erinnere ich mich jemals gesehen zu haben. Warum fragst Du nach ihnen?«

»Weil mir an beiden, namentlich aber an Letzterem unendlich viel mehr gelegen ist, als an allem «Andern, was mir jetzt die Welt bieten könnte. Ich wurde alles daran setzen, um des Knaben habhaft zu werden.«

Während Farnwald dieses sagte, richtete sich Kiwakia auf seinem Arme in die Höhe und blickte aufmerksam nach jenem herüber.

»Du sagst, Indianer hatten das Maulthier vor zehn Jahren geraubt?« fragte er dann mit augenscheinlichem Interesse.

»So ist es, und trotz aller Bemühungen konnte man keine Spur von ihm auffinden.«

»Das Maulthier ist sicher noch am Leben, denn es hat für die rothen Kinder einen zu hohen Werth, als daß nicht alle Sorgfalt auf dessen Erhaltung verwendet sein sollte. Würdest Du es denn zum Geschenk annehmen,

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wenn Kiwakia es Dir vor Dein Wigwam brächte?«

»Nichts in der Well, Kiwakia, könnte mein Herz mehr erfreuen, als den 'Knaben und das Maulthier, vorzüglich aber den Knaben in meine Hände zu bekommen. Dort, wo das Maulthier ist, kann man auch Kunde erhalten, was aus Jenem geworden und ob er noch am Leben ist. Schon die Gewißheit über seinen Tod würde, wenn er unglücklicherweise schon so früh geendet haben sollte, mir werthvoll sein, doch unschätzbar wäre es mir, seine Person aufzufinden.

»Wenn beide noch leben, so wird Kiwakia Dir beide zum Geschenk machen, ist der Knabe todt, so bindet Kiwakia das Maulthier allein vor Dein Wigwam, ist aber das Maulthier todt, so bringt Dir Kiwakia den Knaben allein. Wenn der Wald gelb wird und die Blätter fallen, werden die Comantschen großen Council[Council] (Berathung) am Puercofluß halten, dann wird Kiwakia alle Häuptlinge fragen, ob sie das große weißgeborne Maulthier gesehen haben und sie werden ihm sagen, welcher Hänplling es geritten hat, denn nur einem Häuptlinge ist es gestattet, ein solches zu besitzen. Bei den Stämmen der Comantschen befindet es sich nicht, denn sonst würde Kiwakia schon den Häuptling, der es reitet, um dessen Besitz beneidet haben. Aber die Huftritte

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der Pferde mit geschlitzten Ohren (Pferde der Comantschen) sind in fernen Ländern, auch jenseits der Eisgebirge (Cordilleren) zu finden und dem Auge des Comantschen entgeht kein schönes Maulthier, wie sollte es das weißgeborne nicht gesehen haben? Kiwakia ist wieder froh, denn er weiß jetzt, was Dein Herz erfreuen wird, großer Häuptling.«

»Wende Alles an, Kiwakia, um den Knaben ausfindig zu machen und bringst Du ihn mir, so werde ich Dein Wigwam schöner schmücken, als es jemals das eines Comantschen gewesen. Deinem Pferde werde ich einen reicheren Sattel und köstlicheren Zaum auflegen, als je das Roß eines Indianers getragen und mein Herz wird Dir so dankbar sein, als ob Du mein eigenes Leben erhalten hättest. Der Knabe hieß Fernando. Sein Vater ist todt, seine Mutter aber, an deren Freundschaft mir Alles gelegen ist, lebt noch und vergeht in Schmerz um den verlorenen Sohn. Da er über fünf Jahre alt war, als er geraubt wurde, so wird er sich seines und des Namens seiner Eltern noch erinnern.«

»Wie der Jaguar sein geraubtes Junges sucht und es ergreift und vertheidigt, wenn er es findet, so wird Kiwakia die Spur des Knaben suchen und ihn seinen Räubern entreißen, mögen sie an der Morgen- oder an

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der Abendseite der eisbedeckten Gebirge wohnen,« sagte der Häuptling indem er aufstand, zu Farnwald trat und ihm zur Bekräftigung seines Versprechens die Hand reichte.

Zarika kam jetzt mit ihrem Sohne in sas Zelt und ließ sich auf Kiwakias Lager nieder, während andere vier Frauen sich weiter hin auf Häuten zur Ruhe begeben hatten.

» Nur kurze Zeit glänzen die Sterne am Himmel und früh schon wird der Tag die Comantschen bei ihren Kriegsrossen sehen; Du bedarfst lder Ruhe, großer Häuptling, möge sie sanft und stärkend sein.«

Mit diesen Worten löschte Kiwakia die Fackel aus und ein ruhiger erquickender Schlaf herrschte bald darauf in dem Zelte.

Eine Todtenstille ruhte auf dem Lager, dessen hohe weiße Zelte, von den ersterbenden Kohlenfeuern matt beschienen, geisterhaft in der Dunkelheit emporstanden, die vielen hundert Pferde und Maulthiere des Stammes hatten sich unweit in dem hohen saftigen Grase nieder gelegt und erhoben nur von Zeit zu Zeit die Köpfe, um mit gespitzten Ohren dem abgebrochenen Gestöhne eines mordlustigen Jaguars durch die Dunkelheit zu lauschen, während sie das nie verhallende Geheul der Wölfe, welches rund um das Thal in den finstern

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Gebirgen wiederhallte, nicht zu beunruhigen schien. Leise rauschend wirbelte der leichte Nachtwind in den Wipfeln der hohen Bäume, ununterbrochen wie ein Schlafgesang zog das Brausen der über mächtige Felsblöcke hinschäumenden Wogen und des nahen hohen Wasserfalles über die Ufer des Flusses, der melancholische Ruf des Wasserraben (Cormorangans) tönte über dem Strome auf und nieder und gewaltige Fische, die sich im lustigen Spiele plätschernd aus dessen dahinjagenden Fluthen erhoben, fielen mit schwerem Schlage wieder in ihr kristallenes Element hinab.

Friede und Ruhe lag auf Berg und Thal und still und mild funkelten die Sterne am dunkeln Himmel.

Friede und Ruhe herrschte auch in dem Lager, in den Zelten, in den Herzen der hier ruhenden Wilden, ihr Schlaf war süß und ungestört und die wonnigsten Träume umgaukelten ihre zufriedenen Seelen, denn bange Sorgen, sehnsüchtige Wünsche und aufregende tobende Leidenschaften waren fern von ihnen, die Nacht gebot ihnen Ruhe und nichts hielt sie davon ab, sich derselben im vollsten Maße hinzugeben.

Kaum aber graute der Tag, als vor allen Zelten Weiber erschienen, die Feuer anfachten und das Frühstück bereiteten, während andere zu den Pferden gingen und sie aufjagten, damit sie die kurze Zeit bis zur Abreise

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der Krieger noch benutzen möchten, ihr Frühfutter einzunehmen. Bald darauf zeigten sich auch die Männer, eilten nach dem Flüsse und stürzten sich in dessen klare Wogen, um sich zu erfrischen und für des Tages Anstrengung zu stärken. Auch dieses Element schien ihnen heimisch zu sein, wie die Erde, denn sie bewegten sich darin eben so leicht und ohne Anstrengung, wie auf dem Lande, schossen mit Pfeilesschnelle der gewaltigen Strömung entgegen, tauchten auf den Grund und kamen erst nach langer Zeit an weit entfernten Strecken wieder zum Vorschein oder legten sich, wie zum Schlafe, auf die Oberfläche des Wassers und ließen sich treiben. Auch Frauen und Mädchen sprangen in die Fluthen und Mütter hielten Kinder, die kaum gehen konten, mit ihren Händen auf der Oberfläche des Wassers, um ihnen das Schwimmen zu lehren. Aus dem Bade sah man die Krieger nach kurzer Zeit zu ihren Zelten zurückkehren, um sich für die ihnen bevorstehende Unternehmung zu rüsten. Ein Haupterforderniß dazu war, wie es für einen Kriegszug unter ihnen üblich ist, ihre Gesichter gräulich und fürchterlich zu bemalen, zu welchem Zwecke sie sich vor den Zelten niedersetzten und, indem sie zugleich in einem mit den Knien gehaltenen kleinen Spiegel sich beschauten, schwarze, blaue, grüne und gelbe Farbe und besonders Zinnober dergestalt auf ihr

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Gesicht auftrugen, daß sie eher Teufeln als Menschen ähnlich sahen. Darauf widmeten sie ihrem Haar eine besondere Sorgfalt, kämmten und glätteten es und salbten es mit Bärenfett, so daß sein Glanz und seine Schwärze die höchste Vollkommenheit erreichte. Das Haar ist überhaupt der größte Schmuck des Indianers, und so stolz er darauf ist, von einem erschlagenen Feinde einen schönen Scalp zu bekommen, so besorgt ist er, einem siegreichen Gegner den seinigen in voller Schönheit zu überliefern. Nach gemachter Toilette begaben sie sich zu dem Feuer vor ihrem Zelte, um sich bei demselben auf der für sie ausgebreiteten Büffelhaut von einigen ihrer Frauen mit dem Frühstück bedienen zu lassen, während eine andere das Kriegsroß ihres Gatten herbeiführte, sattelte und zäumte und für den bevorstehenden Kriegszug mit Federn und bunten Lederstreifen schmückte. Nach beendigtem Mahle schritt der Krieger vor den Eingang des Zeltes, ließ sich von seinen Frauen die Waffen reichen, gab allen zum Abschiede die Hand und bestieg dann sein Roß.

Auch vor Kiwakias Zelte war dessen Zurüstung in gleicher Weise vor sich gegangen, als Farnwald sich von seinem Sitze beim Fener erhob, seine Revolver umschnallte, seine Doppelbüchse ergriff und, nachdem er von Zarika und ihrem Kleinen Abschied genommen hatte, die zum

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Geschenke erhaltene Büffelhaut über seinen Sattel warf und seinen Hengst bestieg.

Nahe an zweihundert Krieger hatten sich, Ureumsi an ihrer Spitze, auf ihren besten Pferden vor des Häuptlings Zelte versammelt und gewährten, die entstellende Malerei aus ihren Gesichtern abgerechnet, einen ebenso ernsten als schönen Anblick. Groß, schlank und in kräftigen edlen Formen hoben sich ihre nackten gebräunten Körper über ihren ungeduldig scharrenden und schnaubenden, wild und unbändig aufgewachsenen Rossen, über deren breite Rücken die prächtigsten Häute wilder Thiere zu beiden Teilen lang herabhingen; bunt glänzten an den Armen der nackten Ritter die mit Menschenhaaren umlockten große Schilde, um ihre glatten Schultern hingen geschmackvoll aus Thierhäuten verfertigte, mit Bogen und Pfeilen versehene Köcher und hoch über ihnen blitzten die blanken Spitzten ihrer langen Lanzen im Morgenlichte. Wie in Erz gegossene Statuen saßen die Söhne der Steppen unbeweglich auf ihren tanzenden Rossen, hell glänzen ihre großen feurigen Augen über ihren Adlernasen und mit feierlichem Schweigen harrten sie des Winks ihres Häuptlings, um ihm zum Siege oder zum Tode zu folgen.

Farnwald war dieser Anblick nichts Neues, denn er war solchen Kriegszügen der Wilden in frühern Jahren

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häufig begegnet, wenn auch nicht mit so freudigen Gefühlen, und oft hatte er es nur der Flüchtigkeit und Ausdauer seines braven Hengstes zu verdanken gehabt, daß er denselben nach einem, viele Meilen langen rasenden Sturmlauf auf Tod und Leben entgangen war.

Mit Freude, Hoffnung und Vertrauen ruhten aber jetzt seine Blicke auf diesen zuverlässigen Freunden, denn so schöu und edel die Natur ihre Körper geschaffen, so rein und und ungeheuchelt hatte sie Gefühle der Freundschaft und Treue in ihre Herzen gelegt, sie hatten ihm Hülfe zugesagt, und er wußte, sie würden gern dafür ihren Scalp, ihr Leben einsetzen.

Alt und Jung hatte sich um diesen Kern, diesen Stolz des Stammes gesammelt und Aller Blicke waren mit Zuversicht auf die schönen Männer gerichtet, als Zarika ihren Sohn vor ihren Mann auf das Pferd hob, ihre Hand dann auf des Thieres Croupe legte und mit leichtem Sprunge sich gleichfalls hinauf hinter ihren Gatten schwang, um ihn ein Stück Weges zu begleiten. Zärtlich hatte sie seinen Körper mit ihrem rechten Arm umschlungen und strich mit ihrer Linken des geliebten Mannes glänzendes Haar, da wendete dieser sich lächelnd zu Farnwald und sagte, indem er mit der Hand über seine Schulter nach der liebreizenden Frau zeigte:

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»Beste Frau unter den Comantschen. Kiwakia hätte sie aber dennoch Dir gern gegeben, wenn es auch sein Dasein getrübt, selbst sein Leben gekostet haben würde.«

Darauf winkte er den Kriegern zu, ihm zu folgen, lenkte sein Roß an Farnwalds Seite und zog mit der stattlichen Schaar, begleitet von den lauten Glückwünschen der Zurückbleibenden, am Strome hinunter.

Die Sonne stieg, ein glühender Feuerball, in voller Majestät über den östlichen Gebirgen auf und warf ihre Strahlen auf den flüchtig dahin eilenden Kriegszug. Lustlig flatterten die bunten Lederbänder und Federn an den langen Lanzen und blitzend und funkelnd spiegelten sich die Steine und Perlen der Schmucksachen, die metallenen Armspangen und die blanken Streitäxte der nackten Reiter im Morgenlichte. Bald war das Ende des Thales erreicht, und als Kiwakias Roß am Fuße des Berges hinaufeilte, schlang Zarika noch einmal ihren Arm zärtlich um den Nacken ihres Gatten, wünschte ihm Glück zu seinem Unternehmen, sagte ihm Lebewohl und sprang in das bethaute Gras neben das Pferd, indem sie ihre Hände dem Sohne entgegenhielt, der sich furchtlos in ihre Arme fallen ließ. Sie trat zur Seite, ließ die Krieger bei sich vorüberziehen, gab und empfing von jedem Einzelnen noch einen Gruß; noch lange winkte sie ihnen mit einem Palmblatte Lebewohl nach, bis die

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Wilden mit Farnwald über die Höhe eilten und ihren Blicken entschwanden.

Ein höher gelegenes Thal breitete sich jetzt vor den Reitern aus, diese ließen ihren ungeduldigen Rossen die Zügel schießen und mit wilden Jagd- und Kriegsausrufen ging es im Galopp fort über die üppige, mit blitzenden Thauperlen übersäete Grasflur den höheren Gebirgen zu. Auf steinigen schmalen Pfaden verschnaubten sich bei deren Ersteigen die wilden Rosse, bis ihnen auf ebenen Wegen die Reiter wieder den Willen ließen und sie mit ihnen im fliegenden Laufe fortstürmten. Als aber die Sonne höher stieg, die Gluth ihrer Strahlen senkrecht auf die kahlen Granitfelsen fielen und der weiße Flockenschaum der Pferde ihre Spur bezeichnete, mußten die Krieger ihre Peitschen über den edlen Thieren schwingen und solche sie mitunter fühlen lassen, um sie zu der nöthigen Eile anzutreiben. Munterer ging es bald an den südlichen Abhängen der Gebirge hinunter dem einladenden dunkeln Urwalde entgegen, der sich an dem Fuße derselben hinzog, und kaum waren die Pferde noch hintereinander zu halten, als sie den schmalen Pfad erreicht hatten, der durch die tiefen Schatten der Riesenbäume führte, denn sie witterten Wasser und verlangten ihren brennenden Durst zu stillen und sich zu kühlen. Näher und näher kam man dem

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Flusse, der sich durch das Dunkel des Waldes hinschlängelte, schon hörte man das Brausen seiner Wogen, da sprengte plötzlich die Schaar von dem Pfade links und rechts auseinander, brach durch das Dickicht hindurch und ein Jeder suchte zuerst das Ufer zu erreichen, um mit dem Roß hinab in den nur wenige Fuß tiefen Strom zu setzen und sich dann selbst von ihm herab in die Fluth zu stürzen. Doch nicht lange pflegten sie der Rast, kaum abgekühlt, waren sie auch wieder zu Pferde und in unverminderter Eile ging es abermals vorwärts, Berg auf Berg ab, der Heimath Farnwalds zu.

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Capitel 25.

Unbegreifliches Verschwinden. - Gesteigerte Besorgniß. - Verzweifelter Entschluß. - Drohendes Wetter. - Frohes Erkennen. - Der Rettungsbote. - Das Indianermahl. - Das Gewitter. - Der Aufbruch. - Der ehrliche Wirth. - Der glückliche Sklave. - Das Lager der Rowdies. - Warnung. - Der Sturm. - Der Ueberfall. - Scalpiren. - Der Gerettete. - Rückzug.


Während Farnwald mit hochschlagendem Herzen und mit wachsender Begeisterung seinen Freunden zu Hülfe eilte, hatte sich dieser eine bange Besorgniß bemeistert und sich von Stunde zu Stunde gesteigert, denn schon am Tage zuvor war des Gouverneurs abschlägige Antwort auf das Gnadengesuch eingetroffen und vergebens war der alte Swarton sofort nach Farnwalds Wohnung geeilt, um ihm diese Kunde mitzutheilen. Von Renard hatte er zwar vernommen, daß derselbe auf Werbung für den Befreiungsplan ausgeritten sei, doch zugleich, daß er die Richtung seines Rittes und die Zeit seiner Rückkehr nicht bestimmt habe.

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Heute aber, als ihm schon frühzeitig durch einen nach Farnwalds Niederlassung gesandten Boten die Nachricht zukam, daß derselbe immer noch nicht zurückgekehrt sei, stieg seine Unruhe, seine Besorgniß aufs Höchste, da der Tag der Urteilsvollstreckung rasch wie mit Riesenschritten heranrückte. Er beschloß nun auch ohne Farnwald den Rettungsplan auszuführen, sandte Boten zu den verschiedenen Freunden, die ihm ihren Beistand zugesagt hatten, und ließ sie auf den folgenden Abend zu seiner Wohnung entbieten, um von dort aus vereinigt nach dem Gefängnisse Roberts aufzubrechen.

Er selbst ritt, trotz der ungewöhnlichen Hitze, zu Jeffersons, um diesen Freunden seine verzweifelte Lage mitzutheilen und sie aufzufordern, ihm morgen in der Nacht zur Rettung seines Sohnes beizustehen. Im Vorüberreiten hatte er abermals in Farnwalds Wohnung vorgesprochen, aber wieder dessen Nichterscheinen vernommen und hatte kaum seine Weiterreise angetreten, als Georg Blanchard zu Renard gesprengt kam und gleichfalls über diese Kunde in große Unruhe gerieth.

»Es muß ihm Etwas zugestoßen sein, anders ist es nicht möglich, daß er in diesem so außerst dringenden Augenblicke ausbleibt. Wissen Sie denn gar nicht, in welcher Richtung er fortgeritten ist?« fragte der junge Mann in höchster Bestürzung Renard.

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»Ich kann Ihnen keine weitere Auskunft von ihm geben, als daß er Ihnen ausdrücklich sagen läßt, Sie könnten völlig außer Sorgen sein, er würde bei guter Zeit mit vielen Freunden eintreffen,« antwortete jener, und fügte hinzu, daß Herr Swarton bei ihm gewesen und von hier zu Jeffersons geritten sei, um sie für morgen Abend zur Ausführung des Planes zu entbieten.

So unbedingt des jungen Mannes Vertrauen zu Farnwald auch war, so konnte er sich doch dessen geheimnißvolles plötzliches Verschwinden nicht enträthseln. Mit Besorgniß und Angst bestieg er sein Pferd und eilte zu Swartons Niederlassung, um die Geliebte und deren Mutter zu trösten und sie seines Beistandes zur Rettung Roberts abermals zu versichern.

Dort traf er seine Mutter und seine beiden Geschwister, die gleichfalls erschienen waren, um die unglücklichen Freundinnen zu beruhigen. Diese waren der Verzweiflung nahe und Madame Swarton ließ es sich nicht ausreden, daß Farnwald ein Unglück begegnet sein müßte.

Der Tag verstrich bei Swartons unter Thränen und Jammer, und als die Sonne sich neigte, trieb die ungewöhnlich schwüle Hitze in den Zimmern die beiden Unglücklichen mit ihren Freunden hinaus in den Garten,

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um dort freier athmen zu können. Der Himmel im Westen schien in ein Gluthmeer verwandelt, unter dem eine feurig vergoldete schwere Wolkenbank aufstieg; tiefer und tiefer sank die Sonne und ihre letzten Blicke sandte sie über das rasch aufsteigende Gewölk, als der alte Swarton erschöpft zu den Seinigen zurückkehrte und die Nachricht mitbrachte, daß Farnwald immer noch nicht angekommen sei; er habe auf seinem Rückwege nochmals an dessen Wohnung angehalten.

»Was auch die Ursache seines Ausbleibens sein mag, so ist es doch unheilbringend für uns, daß er nicht anwesend ist. Denn viele seiner Freunde werden ohne seinen Ruf nicht kommen und mit geringer Macht ist das Gelingen unseres Unternehmens zweifelhaft, jedenfalls viel gefährlicher, da es ein hartnäckiger Kampf werden wird,« sagte der Alte, nachdem er sich neben seine Frau auf die Bank gesetzt hatte, seinen großen Strohhut abnahm und sich den Schweiß von der Stirn wischte.

»Er wird sicher kommen, Herr Swarton,« sagte Georg beruhigend zu ihm.

»Kommen, ja, aber wann? Länger als morgen Nacht warte ich nicht; mag es dann gehen, wie Gott will,« erwiederte Swarton mit einem tiefen Seufzer.

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»Soviel Leute wie Morting hat, bringen wir auch zusammen,« sagte Georg entschlossen, wir stürzen uns plötzlich gegen die Thür des Gefängnisses, schlagen sie ein und ist Robert erst heraus, dann sollen sie ihn uns wohl nicht wieder abnehmen.«

»So lange ich noch lebe, gewiß nicht,« erwiederte der Alte und ließ gedankenvoll seine Stirn auf seine Hand sinken, während Madame Swarton ihre Hände in ihrem Schooße zusammenpreßte, ihre Blicke nach oben richtete und ihr stummes Flehen zu dem Allmächtigen sendete, auf daß er die Rettung ihres Kindes gelingen lassen möchte.

Das aufsteigende Gewölk mahnte Madame Blanchard an ihren Heimritt, sie ließ die Pferde kommen, und als sie im Begriff stand, Abschied von den traurigen Freunden zu nehmen, wendete sie sich zu Georg und sagte:

»Georg, Du solltest anstatt mit mir, zu Farnwalds Wohnung reiten und dort so lange bleiben, bis derselbe zurückkehrt, damit die Nachricht davon unsern Freunden hier keinen Augenblick vorenthalten werde.«

»Gern, sehr gern,« erwiederte der junge Mann, wofür ihm Virginia mit einem thränenvollen, doch dankbaren und innigen Blick belohnte.

»Gewiß, Sie werden uns dadurch einen großen

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Freundschaftsdienst erweisen, Herr Blanchard,« sagte Madame Swarton.

»Morgen Abend aber rechne ich auf Sie, junger Freund; ich zähle Sie zweimal unter denen, auf die ich mich verlasse,« fiel der alte Swarton ein.

»Es gilt meines Bruders Leben,« sagte Virginia vertrauensvoll zu Georg.

»Sie können mich viermal zahlen, Herr Swarton; denn ich bringe meinen Bruder mit und wir Beide laden unsere Doppelflinten mit Röllern; das knallt viermal. Wenn die Sonne sinkt, sind wir hier, doch hoffentlich bringe ich Farnwald und seine Freunde mit,« antwortete Georg, durch das Gewicht begeistert, welches seine Freunde auf seine Person legten. Rasch half er seiner Mutter und Schwester, ihre Pferde zu besteigen, empfahl seinem Bruder John Sorgfalt und Eile auf dem Nachhausewege, da ein schweres Gewitter im Anzuge sei und schwang sich dann auf sein Pferd, das ihn auf dem Wege zu Farnwalds Wohnung bald aus dem Gesichtskreise der ihm nachblickenden Freunde trug.

Die Liebe und Freundschaft und das Bewußtsein, einer guten That zu folgen, hatten den jungen Mann in einen Zustand höchsten Eifers versetzt, den er auf seinen edlen Rappen übertrug. Ein ahnungsvolles Gefühl, als ob seine Ankunft bei Farnwald erwartet

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würde, ließ ihn in fliegendem Galopp durch Wald und Prairie dahin sausen, während vor ihm am Himmel die schwarzen Wolkenmassen höher stiegen und Dämmerung sich über die Erde senkte.

Nur noch geringe Entfernung lag auf dem Wege zwischen ihm und dem Ziele seines Rittes, zu dem ihn sein schweißbedecktes Roß schnaubend trug, als er von der andern Seite, auf dem Weg ihm entgegen, vor einer dichten Staubwolke eine flüchtige Reiterschaar herausprengen sah, in der er bald Indianer und an ihrer Spitze Farnwald auf seinem weißen Hengste erkannte.

»Farnwald, Gottlob Farnwald!« schrie er freudig aus und stach den Rappen in die Seiten, der ihn nun im Sturme den Heransprengenren zuführte.

»Beim Himmel, Georg, Sie kommen mir wie gerufen, denn ohne Sie hätte ich Robert nicht befreien mögen. Sie haben ein Versprechen zu erfüllen und einen schönen Dank zu verdienen. Durch Ihr Hiersein ersparen Sie mir den Ritt zu Ihnen,« sagte Farnwald zu Georg, ihm die Hand reichend, indem er und seine Schaar die Pferde zum Schritt anhielten.

»Jetzt ist es mir klar, warum Sie so plötzlich verschwunden waren, wer hätte daran gedacht?« sagte Georg.

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»Was meinen Sie zu meinen Freunden hier?« fragte Farnwald, auf die dunkeln Rittergestalten hinter sich deutend.

»Wohl bekomme es Herrn Morting und seiner Bande! Manchem von ihnen sitzt heute Nacht der Scalp verdammt lose auf dem Schädel. Soll ich zu Swartons zurückreiten und sie benachrichtigen?«

»Behüte,« rief Farnwald; »keine menschliche Seele außer Ihnen und meinem Freunde Renard darf jetzt Kenntniß davon erhalten. Heute Nacht, wenn Robert nach Hause kommt, erfahren die Seinigen es noch früh genug, und außer denen bleibt es Jedem ein Geheimniß, wie er frei geworden ist.«

Hierauf hielt er sein Pferd an, winkte Kiwakia, ihm zu folgen und lenkte, statt den Weg nach seinem Hause einzuschlagen, von demselben ab, einem dichten Waldstreifen zu, der sich an dieser Seite des Flusses befand. Die Indianer zogen hinter ihm drein durch das Dickicht, bis an das hochbegraste Ufer dahinter, sprangen, so wie er, von den Pferden, und in wenigen Minuten weideten diese, an den Vorderfüßen gefesselt, während die Krieger trocknes Holz zusammentrugen und Feuer anzündeten.

»Reiten Sie jetzt nach der Stadt und benachrichtigen Sie den treuen Jerry, daß ich gegen Mitternacht mit meinen wilden Freunden kommen werde, um seinen

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Herrn zu befreien. Sagen Sie ihm, er habe von den Indianern Nichts zu befürchten; sobald sie Morting überfallen, soll er zu dem Gefängniß springen, um die Thür mit der Axt zu zerschlagen und sie seinem Herrn zu öffnen; auch soll er sein Feuer erlöschen lassen. Sie selbst erwarten uns nach eilf Uhr an der alten Cypresse unweit der Straße, unter der Sie im vergangenen Winter den Bären streckten. Von dort können Sie uns kommen sehen, oder, wenn es eine wilde dunkele Nacht geben sollte, wie ich hoffe, so hören Sie uns wenigstens. Also auf Wiedersehen. Nehmen Sie sich die Zeit, ich sehe Ihr Pferd ist sehr heiß.[«]

»Auf Wiedersehen!« rief Georg im höchsten Entzücken, reichte Farnwald die Hand, und jagte, mit einem freudigen Blick auf die mächtige Schaar, im Galopp davon.

»Langsam, langsam, Georg!« schrie ihm Farnwald nach, doch Jener riß seinen Hut vom Kopfe, schwenkte ihn hoch über sich durch die Luft und stob durch das Gehölz dahin.

»Nimm einige Deiner Leute mit, wir wollen ein Paar fette Stiere hierhertreiben und sie erschießen, damit meine Freunde ein gutes Abendbrod bekommen. Salz wollen wir beide dann von meinem Hause hierhertragen, denn meine Diener sollen Deine Krieger hier nicht sehen,

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ich werde ihnen verbieten, meine Einzäunnug zu verlassen,« sagte Farnwald zu Kiwakia, der sechs junge Burschen herbeirief und Jenem mit ihnen folgte.

An der Einzäunung des Kornfeldes hatte sich bereits die Heerde eingefunden, um sich dort zur Ruhe zu begeben, Farnwald bezeichnete zwei fette Stiere unter ihnen, welche darauf von den Indianern nach ihrem Lagerplätze getrieben und dort von Farnwald durch seine beiden Büchsenschüsse getödtet wurden.

Während die Wilden sich anschickten, dieselben zu zertheilen, führte Farnwald, von dem Häuptlinge begleitet, sein Pferd nach seiner Wohnung, wo ihn Renard mit einem freudigen Willkommen empfing und ihm sofort Bericht über alles was vorgefallen war, abstattete. Nach kurzer Unterredung ließ Farnwald einige Beutel mit Salz füllen und begab sich, nachdem er Milly angewiesen hatte, das Abendessen bald zu bereiten, mit Kiwakia zu dessen Gefährten zurück.

Diese halten bereits das Fleisch unter sich vertheilt, schnitten Stöcke, um Spieße zum Braten desselben daraus zu verfertigen, und empfingen nun zu ihrer Freude Salz, um es damit einzureiben, einen Artikel, den die Indianer sehr lieben, aber nur selten bekommen können.

Als die rothen Krieger um ihre Feuer gelagert waren und bereits begannen, die schon von der Kohlengluth

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gebräunte Außenseite des Fleisches abzuschneiden und zu verspeisen, bat Farnwald den Häuptling, mit ihm zum Abendessen zu gehen und fragte ihn, ob er nicht auch seinem Bruder gestatten wolle, Theil daran zu nehmen. Doch Kiwakia schüttelte den Kopf und erwiederte:

»Kann nicht geschehen, Ureumsi statt meiner Häuptling hier,« worauf er sich an die Krieger wendete und sagte:

»Kiwakia wird sich bei dem großen Häuptling ruhen und stärken, damit sein Auge scharf und seine Stimme laut ist, wenn er Euch zum Kampfe führt.«

Dann winkte er Farnwald, daß er bereit sei, ihm zu folgen, warf seinen Köcher mit Bogen und Pfeilen bei seine übrigen Waffen und sein Sattelzeug, kreuzte die Arme und schritt wohlgefällig mit jenem nach dem Wohngebäude.

»Das Gewitter kommt allmälig heran; es scheint schwer zu werden, schon folgt Blitz auf Blitz, wenn wir den Donner auch noch nicht hören. Eine wilde Nacht wird es geben,« sagte Farnwald.

»Der große Geist ist uns gewogen und will die Hufschläge unserer Pferde unhörbar machen. Die Waffen unserer Feinde laßt er naß werden, damit sie ihre Kugeln nicht schleudern, doch der Pfeil der Comantschen

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wiegt desto schwerer und ihre Lanzen versagen niemals,« erwiederte der Häuptling,

»Es wacht ein treuer Sklave in der Nähe des Hauses, in dem mein Freund gefangen liegt. Er ist ein Neger und seine Haut ist so schwarz wie die Nacht, doch sein Herz ist edel und seinem Herrn treu ergeben. Wenn wir kommen, wird er zu der Thür des Gefängnisses springen und sie mit der Axt einschlagen. Du mußt Deinen Leuten anbefehlen, daß sie ihm kein Leid zufügen; unsere sämmtlichen Feinde sind weiß.«

»Die schwarzen Kinder sind niemals unsere Feinde gewesen und keiner ihrer Scalpe hängt an den Schildern der Comantschen. Wir haben sie gern als Sklaven unter uns, denn ihre Hände sind geschickt und ihre Arme kräftig,« antwortete der Häuptling, indem er mit Farnwald durch die Einzäunung schritt und in das Haus gelangte, wo sie Renard empfing und Milly an dem gedeckten, wohlbesetzten Tische mit dem Abendbrode auf sie wartete. Auch Addisson trat herein, um seines Herrn etwaige Befehle zu empfangen.

»Halte den Falben bereit, um zehn Uhr muß ich ihn reiten,« sagte Farnwald zu dem hübschen Jungen, der sich mit einem dienstfertigen »Very well Sir« flink entfernte, um den Auftrag pünktlich auszuführen.

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Milly aber konnte ihre Augen nicht von dem Wilden abwenden, so überrascht war sie von der gräßlichen Malerei, womit er sein Gesicht entstellt hatte und auch Renard sah, als sie sich zu Tisch gesetzt hatten und Kiwakia es sich gut schmecken ließ, häufig nach ihm hin, wobei ihm unwillkührlich die Operation des Scalpirens einfiel. Doch so entsetzlich und so wüthend der Indianer auch aussah, so war er doch äußerst friedlich und gemüthig gestimmt, lächelte, wenn er auch das Ansehen dadurch bekam, als ob er um sich beißen wollte, bei jedesmaligem Füllen seines Tellers und strich sich bei dem Genusse des stark versüßten Kaffees wohlbehaglich über den Leib.

Nach genossenem Mahl breitete Farnwald für den Häuptling eine Büffelhaut auf dem Fußboden aus und versah ihn eben mit einer Cigarre und Feuer, als ein furchtbarer Donnerschlag, der um den ganzen Horizont zu rollen schien, das Haus erbeben machte.

»Der große Geist hilft den rothen Kindern,« sagte Kiwakia, von seinem Lager zu Farnwald aufblickend, und nickte zufrieden mit dem Kopfe.

»Es wird eine nasse Partie geben,« bemerkte Renard »Sie können mir Ihren wasserdichten Ueberzieher zu derselben borgen.«

»Mit Vergnügen,« erwiederte Farnwald; »mir hält mein Poncho den Regen ab. Ich will doch mein Verbindzeug mitnehmen, wir könnten leicht in den Fall kommen, desselben benöthigt zu sein. Morting wird sich verzweifelt wehren, wenn das Wetter ihn nicht mit seinen Leuten in die Zelte treibt und uns dadurch gestattet wird, Robert zu erlösen, ehe Jene es gewahr werden.«

»Um so aufmerksamer werden sie sein, denn sie können wohl denken, daß die Freunde des Gefangenen gerade diese Nacht benutzen würden, um ihn zu befreien,« antwortete Renard.

Die beiden Freunde rüsteten sich, sahen ihre Waffen nach und Farnwald gab Renard noch zu der Doppelflinte, die derselbe mitgebracht hatte, ein Paar Sattelpistolen.

Während dieser Zeit hatte sich der Wind erhoben und schüttelte die Bäume, die das Gebäude überdachten, gewaltig; die Blitze und Donnerschläge aber wurden immer häufiger und der Regen schlug heftig gegen das Haus.

»Es wird Zeit, daß wir satteln lassen; es ist neun Uhr vorüber,« sagte Farnwald, trat an die Thür, und rief den Befehl dazu in die Finsterniß hinaus.

Bald darauf klopfte es an und der alte Gärtner, mit einer Laterne in der Hand, trat in das Zimmer.

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»Die Pferde stehen vor dem Hause, Herr Farnwald, aber wollen Sie nicht lieber warten, bis das Gewitter vorüber ist? Sie können jetzt unmöglich reiten, der Regen fällt in Strömen und der Sturm wird Sie vom Pferde reißen.«

»Es ist nicht das Erstemal, Paulmann, daß ich in so wilder Nacht reite, wenn man erst draußen und zu Roß ist, dann scheint es nicht mehr so schlimm, kommen Sie, Renard, lassen Sie uns in Gottes Namen aufbrechen, die Zeit ist uns günstig,« sagte Farnwald, drückte seinen breitrandigen Hut tief auf den Kopf und winkte Kiwakia, ihm zu folgen.

Der Regen war so dicht, daß die Pferde bei dem Lichte der Laterne kaum zu erkennen waren; doch schnell waren sie erstiegen, Farnwald rief Kiwakia zu, die Laterne zu nehmen, dieser betrachtete dieselbe neugierig und schritt, sie weit von sich abhaltend, voran nach dem Lagerplatze seiner Gefährten.

Trotz des starken Regens hatten dieselben einige der Feuer durch Auflegen großer Holzvorräthe erhalten und zu einer ungeheuren Gluth angefacht, in welcher das hineinströmende Wasser sofort zischend verdampfte. Um dieselben herum standen die Krieger gerüstet bei ihren Pferden und harrten der Befehle ihres Häuptlings.

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Kiwakia trat nun zwischen sie und sagte, »Ihr seht, daß unser Vorhaben dem großen Geiste wohlgefällig ist, denn sein Donner läßt die Huftritte Eurer Pferde nicht hören und die Finsterniß verhüllt Euch vor den Blicken Eurer Feinde. Ein schwarzes Kind wird die Thür des Hauses aufschlagen, in dem der Freund des großen Häuptlings gebunden ist, haltet Eure Pfeile und Eure Lanzen von ihm zurück, damit kein Tropfen seines Bluts vergossen werde. Eure Feinde sind sämmtlich Bleichgesichter, die Ihr bei der Dichte ihrer Lagerfeuer erkennen werdet, Ihre Scalpe mögen Eure Schilder zieren und ihre Rosse Euch zur reichen Beute werden. Ureumsi, Du wirst jetzt dem großen Häuptlinge helfen, wie er Dir geholfen hat, als Du ihn um seinen Beistand anflehtest.«

Darauf schwang sich der Häuptling, die Laterne in der Hand, auf sein Pferd, hielt dieselbe jedoch Farnwald zum Auslöschen hin und band sie dann mit einem Lederriemen hinter sich an den Sattel, indem er zu jenem sagte: er wolle Zarika mit dem Lichte überraschen und es ihr zum Geschenk machen.

Farnwald und Renard ritten nun, den Häuptling in ihrer Mitte, durch das Gehölz voran, während die Krieger, von Ureumsi angeführt, zwei und zwei folgten. Mit großer Gewalt erfaßte sie der Sturm von der

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Seite, als sie aus dem Walde in die Prairie zogen, doch bald hatten sie den Fahrweg erreicht, den die fast ununterbrochenen Ströme der Blitze deutlich wahrnehmen ließen, und hier bekamen sie den Wind und den Regen in den Rücken.

Georg Blanchard hatte noch vor Ausbruch des Gewitters die Stadt erreicht und war behutsam und ungesehen in den Hof des Gasthauses gelangt, wo er sein Pferd in den Stall führte und es mit Sattel und Zaum an die Raufe band. Als er sich aber eben so heimlich davon schleichen wollte, begegnete ihm vor der Stallthür der Wirth und redete ihn an.

»Sind Sie es, Herr Blanchard? ich hatte Sie in der Dunkelheit kaum erkannt. Durch das Fenster sah ich, daß ein Reisender sein Pferd in den Stall führte und dachte, es müsse wohl ein Bekannter sein, der hier Ortsgelegenheit wüßte, denn Fremde hängen die Zügel ihrer Pferde an den Pfosten vor dem Hause und überlassen es den Negern, für dieselben Sorge zu tragen. Was treibt Sie noch so spät in die Stadt? Sie werden kaum wieder nach Hause zurückreiten können, denn es ist ein schweres Wetter im Anzuge. Wenn es nur kein solcher Sturm wird, wie der vor einem Jahre, der Alles, wo er herzog, der Erde gleich machte. Soll ich Ihnen ein Zimmer bereiten lassen?«

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»Ich danke Ihnen, Squire, (der Wirth war früher Friedensrichter gewesen und hatte den Titel beibehalten) ich habe nur verschiedene Kleinigkeiten für meine Mutter einzukaufen und dann will ich mich gleich wieder auf den Heimweg machen,« antwortete Georg.

»Herr Blanchard, wie wird es mit unserm armen Robert? Ich habe von Tag zu Tag gehofft, daß seine Freunde ihm zu Hülfe kommen würden und, unter uns gesagt, ich habe auch davon gehört, daß es von ihnen beschlossen sei; der Tag der Execution ist aber schon sehr nahe. Es schaudert mich, wenn ich daran denke, denn, bei Gott, Robert wird gehangen, wenn er nicht gewaltsam befreit wird. Wissen Sie nichts Näheres darüber? Ich habe sicher auf Herrn Farnwald gerechnet.«

»Ich kann Ihnen nicht mehr darüber sagen, als Sie schon wissen, Squire; es ist die Rede davon, ihn zu befreien, ob und wann es aber ausgeführt werden soll, kann ich nicht sagen. Ich fürchte, es wird aufgeschoben, bis es zu spät ist.«

»Herr Blanchard,« erwiederte der Wirth mit einem Tone des Vorwurfs, »daß Sie mir nicht trauen, kränkt mich, da Sie wissen, daß ich mit Leib und Seele zu Ihrer Partei gehöre. Wenn Jemand um den Plan weiß, so sind Sie es, doch ich will nicht in das

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Geheimniß dringen. Lassen Sie mich Ihnen aber rathen: schieben Sie es um des Himmels Willen nicht zu lange hinaus. Swartons haben mehr heimliche Feinde hier und im Lande, als Sie glauben, und ich versichere Ihnen nochmals, Robert wird sonst gehangen.«

»Gott wird es ja verhüten,« antwortete Georg mit unterdrückter Freude, faßte die Hand des ehrlichen Wirths, schüttelte sie herzhaft und sagte im Weggehen:

»Robert wird nicht gehangen!«

»Gott gebe es,« antwortete der Wirth und sah dem jungen Manne nach, der rasch in der Dunkelheit verschwand. Dann sagte er halb laut zu sich selbst:

»So spät, bei so drohendem Wetter Kleinigkeiten für seine Mutter einkaufen, das Pferd heimlich in den Stall führen, das hat einen andern Grund - es giebt eine Nacht, wie sie sich zu der Befreiung Roberts nicht besser eignen kann. Nun, Glück zu! wenn sie nur dem Schurken, dem Morting, dabei eine Kugel durch den Kopf jagen. Zu Bette gehe ich nicht, das ist sicher; ich muß hören, wie es ausfällt; an Knallen wird es dabei nicht fehlen.«

Während der Wirth in das Haus zurückging, eilte Georg auf einem Umwege dem Lager Jerrys zu. Die Finsterniß war so groß, daß er sich bücken und nach dem Wege tasten mußte, demungeachtet aber rannte er

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bald gegen einen Stein, bald gegen einen Strauch. Bei dem Hügel jedoch schimmerte der Feuerschein von Mortings Lager durch das Dickicht, welchen er zu durchwandern hatte, um ungesehen zu dem treuen Sklaven zu gelangen. Bis auf einige vierzig Schritte hatte er sich der Eiche genähert, unter welcher Jerry nun schon seit so langer Zeit seinen Herrn bewachte; er hielt seine Schritte an, horchte einige Augenblicke und rief dann leise:

»Jerry, Jerry, ich bin's, Georg Blanchard!« Im Augenblicke darauf hörte er die Schritte des Sklaven in dem Laube auf ihn zukommen und dann erschien dessen dunkle Gestalt vor ihm in den Büschen.

»Master Georg, sind Sie es?« fragte der Neger, indem er seine lange Büchse, halb gehoben, nach diesem hinhielt.

»Ja, Jerry, ich bin es und ich bringe Dir frohe Kunde,« antwortete Georg, nahe zu ihm hintretend, »heute Nacht wird Robert befreit.«

Ein Schrei erstickte auf des Sklaven Zunge, die Büchse sank aus seinen Händen, er fiel vor Georg nieder, umklammerte dessen Knie und stammelte mit halblauter Stimme:

»Ach, Master Georg, Master Georg!«

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Mehr konnte der alte Diener nicht sagen, er ließ sein Gesicht auf die Arme sinken und weinte und schluchzte heftig.

Georg klopfte ihm auf den wollichten ehrlichen Kopf und sagte leise:

»Es kommen zweihundert Indianer, Jerry!«

»Farnwald!« rief der Neger leise im Aufspringen. »Gott mag es ihm lohnen!«

»Wenn Du sie kommen hörst, dann greife nach Deiner Axt und wenn sie das Lager Mortings stürmen, springe rasch zu der Gefängnißthür, schlage sie ein und hole Deinen Herrn heraus. Bringe ihn hierher, ich binde mein Pferd hier an, auf dem soll er sofort zu den Seinigen jagen. Wir folgen bald nach, für mich wird es wohl eins unter den Pferden der Bande Mortings geben.«

»Sein eigenes wird zu haben sein,« sagte der Neger, mit blitzenden Augen nach dem Lager Mortings hinübersehend, »er wird das Pferd in diesem Leben nie wieder besteigen; Vergeltung für das, was er meinem Herrn zu Leide gethan hat!«

Dabei schlug der Alte mit der Hand gegen die lange rostige Büchse.

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»Du brauchst Dich vor den Indianern nicht zu fürchten, Jerry, sie wissen, daß Du zu uns gehörst,« sagte Georg.

»Fürchten - Master Georg? Jerry sich fürchten, wenn es gilt, seinen Herrn zu retten? Wir haben uns zusammen manches Mal nicht gefürchtet, wenn es sich um unsern Scalp handelte.«

»Sei vorsichtig, Jerry, damit Du unfehlbar die Thür aufschlägst.«

»Sorgen Sie nicht, Master Georg, mein Leben hat niemals höhern Werth für mich gehabt, als von jetzt an bis zu dem Augenblicke, in dem ich die Thür für meinen Herrn öffne.«

»Zünde Dein Feuer nicht wieder an, ich sehe, es glühen die Kohlen noch. Nun auf Wiedersehen, Jerry,« sagte Georg und schlich durch das Dickicht zurück, während der Sklave nach seinem Lager kroch und sich dort vor dem Kohlenhaufen niederkauerte. Er goß das alte Pulver von der Pfanne seiner Büchse und schüttete frisches auf. Dann hob er das Gewehr an seine Schulter und richtete es nach dem Lager der Feinde hin auf Mortings Gestalt, der bei einem großen Feuer stand und von der Flamme hell beleuchtet wurde. Mehrere Male richtete der Neger die Büchse nach ihm hin und ließ sie dann wieder auf sein Knie sinken,

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dann legte er sie auf seine Büffelhaut, trug auch die Axt dabei und bedeckte beide mit dem Felle.

Ein mächtiger Blitzstrahl beleuchtete plötzlich die Gegend, im nächsten Augenblicke folgte der Donner mit einem Krach, als sei der Himmel eingestürzt und zog rollend und dröhnend um den ganzen Horizont.

»Jetzt kommt das Gewitter heran,« schrie Morting seinen Leuten zu; »bringt noch mehr Holz herbei, damit wir durch das Feuer hier Licht auf der Thür des Käfigs dort erhalten können; der Vogel möchte uns in der Dunkelheit davon fliegen.«

Während seine Gefährten Holz herbeitrugen und auf das Feuer warfen, nahm der schon heftige Wind immer mehr zu und trieb den Regen in schweren Tropfen schräg auf die Erde nieder.

»Frisch, Ihr Burschen! mehr Holz herbei, wenn uns der Teufel das Licht nicht ausblasen soll,« rief Morting abermals seinen Leuten zu, als einer derselben zu ihm trat und sagte:

»Dort in dem Busche ist so eben ein Kerl von einem Schimmel abgestiegen; ich glaube, es ist der einbeinige Schurke.«

»Sage ihm, er solle hierher kommen, bei diesem Wetter hat er nicht zu fürchten, daß ihn Jemand sieht,« antwortete Morting und wendete sich dann zu Warner,

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der aus dem Eingange von Mortings Zelt hervorblickte, wie der Fuchs aus seinem Bau:

»Was mag der Einbeinige wollen? in solchem Wetter kommt er nicht zu seinem Vergnügen, es muß etwas Wichtiges sein.«

In diesem Augenblicke kam der Schulmeister in dem Schatten der Eichen hinter dem Zelte herangehumpelt und stolperte in größter Eile, ohne Morting auf seinen Gruß, der in einem Fluche bestand, Antwort zu geben, in das Zelt hinein, wobei er dem, im Eingange liegenden Warner, den er im Hineinspringen nicht gesehen hatte, einen heftigen Schlag mit dem hölzernen Beine gab.

»Zum Teufel mit Eurem Holzfuße!« schrie dieser im Schmerze; »könnt Ihr nicht sehen? Was habt Ihr für eine Eile?«

»Wichtige Nachricht habe ich zu bringen; Ihr könnt leicht denken, daß ich bei diesem Wetter nicht aus meiner Wohnung hierher jagen würde, wenn nicht Viel auf dem Spiel stände.«

»Nun, was giebt's?« fragte Morting gleichgültig.

»Was es giebt?« antwortete Black, nichts Mehr und nichts Weniger, als daß die halbe County von den Freunden des Mörders aufgeboten ist, um ihn

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morgen Nacht zu befreien. Es wird eine ganze Armee heranrücken.«

»Ho, ho, wenn es weiter nichts ist?« lachte Morting hell auf; »wenn sie nur ihre Magen darauf einrichten, daß sie Blei verdauen können!«

»Mir recht, nehmt es schwer oder leicht, Eins aber sage ich Euch: laßt Ihr Euch den Gefangenen entreißen, so ist es meine Schuld nicht, wenn er nicht gehangen wird. Das Geld habt Ihr mir also jedenfalls zu zahlen.«

»Seid unbesorgt, Patrick, Euren Lohn werdet Ihr bekommen und wenn ich Euch auch eine Anweisung auf den Teufel selbst geben mußte,« antwortete Morting mit lautem Gelächter.

»Seien Sie ruhig darüber, Herr Black, das Geld wird Ihnen pünktlich ausgezahlt werden. Woher haben Sie aber das Gerücht von der Verschwörung?« fragte Warner.

»Ich habe es von meinen geheimen Freunden erfahren, die auch von Swartons aufgefordert sind, sich dabei zu betheiligen. Morgen Abend nach Sonnenuntergang ist Versammlung bei Swartons und in der Nacht soll der Ueberfall ausgeführt werden.«

»Sie sollen willkommen sein und herrlich bewirthet werden. Es ist mir lieb, daß sie uns heute die Ehre nicht zugedacht haben, es möchte mancher von unsern

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Freudenschüssen versagen, sollten sie sich jedoch noch anders besinnen und uns in dieser Nacht überraschen, so wollen wir sie dennoch aufs Herzlichste empfangen,« sagte Morting und rief dann nach seinen Gefährten hin, die sich in die wenigen Zelte hineindrängten, um sich gegen den jetzt herabströmenden Regen zu schützen:

»Haltet Eure Waffen im Stande, die Kameraden unseres Galgenvogels wollen uns heute oder morgen Nacht einen Besuch abstatten, werft Holz auf die Feuer, damit Ihr sehen könnt, wohin Ihr schießt!«

»Nein, heute habt Ihr Nichts zu befürchten,« sagte der Einbeinige, der sich in dem Zelte neben Warner an die Erde gesetzt hatte; »ich weiß es genau, daß auf morgen die Zusammenkunft bestellt ist. Ich wollte nur, ich wäre erst wieder zu Hause, das ist ja ein Wetter, als ob die Welt untergehen sollte!«

Blitz auf Blitz und Krach auf Krach zog es über die Erde und der Sturm schüttelte und beugte die umherstehenden Eichen, durch die er pfeifend und zischend den schweren Regen hintrieb.

Auch Morting wurde es jetzt draußen unangenehm, obgleich er sich in eine weiße wollene Decke gehüllt hatte, er ging nach dem Zelte, blieb aber vorn in dessen Eingange stehen und schaute bald nach dem Feuer und bald nach dem Gefängniß hinüber.

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»Seht nur den verrückten Kerl, den Neger dort, hat er sich nicht auf die Thürschwelle gesetzt und läßt es auf sich herabschütten, so viel es will?« Der Schafskopf hat den Verstand verloren; was wird er aber erst für Kunststücke machen, wenn sein Herr über ihm an der Eiche baumelt?« sagte Morting zu seinen beiden Zeltgenossen, indem er nach Jerry hinüberzeigte; er konnte freilich nicht hören, daß Jerry mit seinem Herrn sprach und zu ihm sagte:

»Master Robert, vor Mitternacht bist Du frei. Herr Farnwald kommt mit zweihundert Indianern und dann schlage ich die Thür ein. Gott der Allmächtige helfe uns nun und gebe seinen Segen dazu. Hast Du es gehört, Master Robert? Vor Mitternacht!«

»Gottlob! Jerry, laß uns beten, daß es ihnen gelingen möge,« antwortete Robert in seinem Gefängniß, der Sklave sank auf seine Knie nieder, senkte sein Gesicht auf seine gefalteten Hände und betete inbrünstig zu dem Allmächtigen. Dann stimmte er eine Hymne an, deren Melodie, von dem Sturm und dem Rollen des Donners unterbrochen, nur in einzelnen Tönen Mortings Ohr erreichte.

»Der Teufel soll mich holen, wenn der Kerl nicht Halleluja singt! Es würde mich gar nicht wundern, wenn ihn der heilige Geist jetzt erfaßte und er daran

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ginge, sich zu bekehren; es ist eine herrliche Gelegenheit, sich vom Himmel selbst seine Sünden abwaschen zu lassen,« sagte Morting und rief dann abermals nach den andern Zelten hin:

»Verdammt, Ihr müßt noch mehr Holz herbeischaffen. Es scheint eine Mondfinsterniß zu geben!«

Mortings Leute trugen bald darauf einen ganzen trockenen Baumstamm heran und warfen ihn auf das Feuer, dessen Flamme die lose Rinde ergriff und die Lohe wie eine Gluthfahne hinauf durch die alten Eichen wirbelte, daß deren Zweige zitternd hin[-] und herfuhren und das sofort verdorrte Laub in Flammen aufging.

»So, jetzt wird es gut,« rief Morting lachend, »so gewöhnt man sich nach und nach an die Hölle, Herr Black, ein wenig Abhärtung gegen die Hitze kann auch Ihnen nicht schaden.«

»Wenn ich nur wieder zu Hause wäre,« antwortete dieser, ohne Mortings anzügliche Rede zu beachten. »Jedenfalls muß ich vor Tage aufbrechen, damit ich hier nicht gesehen werde.«

»Der Sturm wird das Gewitter bald vorübertreiben; bis dahin bleiben Sie ruhig bei uns, Herr Black,« sagte Warner zu ihm, »hier trifft Sie wenigstens kein umstürzender Baum, wie es Ihnen leicht im Walde begegnen möchte.«

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Der Schulmeister ließ sich gern überreden zu bleiben und steckte nur von Zeit zu Zeit den Kopf zum Zelte hinaus, um sich zu überzeugen, ob das Wetter noch nicht nachgelassen habe. Der Regen wurde wirklich schwächer und hörte bald gänzlich auf; doch desto heftiger erhob sich der Sturm, der die Leinwand des Zeltes rasselnd schüttelte.

»Das wird ja immer toller,« sagte der Einbeinige, »ich werde mich kaum auf meinem Pferde erhalten können.«

»Ich will Ihnen jenen glühenden Klotz an Ihr hölzernes Bein binden, damit Sie mehr Gleichgewicht bekommen, auch einen Feuerbrand in die Hand geben, der Ihnen den Weg durch die Dunkelheit zeigt und gute Geister, die sich Ihnen drohend nahen möchten, verscheucht; böse Gespenster haben wir nicht zu fürchten, Patrick!« lachte Morting.

In diesem Augenblicke stieß der Sturm in einem Wirbel mit einer solchen Gewalt in das Feuer, daß die ungeheure Flamme auf den Boden hinabgedrückt wurde und, in tausend Zungen sich in weitem Kreise drehend, ihre Gluth im Vorübereilen tief in das Zelt hineinpeitschte, in welchem Patrick mit seinen beiden Gefährten verborgen war, während die glühende Asche und die brennenden Kohlen, von dem Wirbelwinde erfaßt,

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aufflogen und wie ein Feuerregen zwischen den Eichen dahinsprühten.

Morting stürzte, von der Gluth getroffen, über den Schulmeister und Warner hin und alle drei brachen an der hintern Seite des Zeltes unter der nassen Leinwand durch, um sich dem Feuer zu entziehen.

»Verdammt, das war der Böse selbst, der uns begrüßte, ich glaube, es galt Ihnen, Patrick! Sie müssen zu seinen Lieblingen gehören. Ich glaube wahrhaftig, er hat uns die Haare versengt. Kommen Sie, lassen Sie uns an das Fener treten und unsere Kleider trocknen, der Wirbel ist vorüber und die Flamme leckt jetzt steif nach Osten hin.«

Mit diesen Worten schritt Morting vor das Zelt und Warner mit Patrick folgten ihm langsam nach.

»Ich will mich jetzt auf den Heimweg machen, der Regen hat wenigstens nachgelassen,« sagte der Schullehrer zu Warner.

»Besser, Sie bleiben noch und trocknen Ihre Kleider; der Sturm wird sich auch legen,« erwiederte dieser.

»Vor Tagesanbruch nicht und so lange darf ich nicht warten. Nochmals, seien Sie morgen Nacht auf der Hut. Wird Ihnen der Gefangene entführt, so kann ich nicht darunter leiden, ich habe meine Bedingungen

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erfüllt und Sie haben mir nach Uebereinkunft tausend Dollar dafür zu zahlen,« sagte der Schullehrer.

»Beruhigen Sie sich darüber, Herr Black, ich werde Ihnen den Betrag in blankem Golde einhändigen, und was die Befreiung des Gefangenen betrifft, so läßt ihn Morting nicht lebendig aus jenem Hause; wird ein Angriff gemacht, so schlagen unsere Leute die Thür ein und tödten ihn sofort, dann braucht er nicht gehangen zu werden.«

In diesem Augenblicke schallte ein Geheul durch den Sturm zu dem Lager herüber, das denselben in seinen Wuthaccorden übertönte und keinen irdischen Stimmen anzugehören schien. Wie aus tausend Kehlen gellte es von dem Fuße des Hügels herauf und ein dröhnendes Stampfen flüchtiger Rosse wurde zugleich hörbar.

»Zu den Waffen!« brüllte Morting mit aller Gewalt seiner Stimme seinen Leuten zu und wendete sich nach dem Zelte, um seine Büchse zu ergreifen, doch in demselben Momente blitzte es von dem Lagerplätze Jerrys herüber, Morting fuhr mit der Hand auf die Brust, wankte und stürzte, von des Sklaven Kugel tödtlich getroffen, mit dem Ausrufe:

»Verdammt, das war der Neger!« mit einem nachfolgenden gräulichen Fluche zu Boden.

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»Indianer!« schrieen jetzt Mortings Gefährten, die in wilder Hast mit ihren Waffen aus den Zelten hervorgebrochen waren und feuerten nach allen Richtungen hin ihre Büchsen ab, denn von der Stadt her, hinter dem Gefängnisse hervor und aus dem Dunkel der Eichen stürmten die Indianer mit dem furchtbarsten Kriegsgeschrei heran.

Von einem panischen Schrecken ergriffen, stoben die Amerikaner auseinander, um in der Flucht Rettung vor den Wilden zu suchen, auf deren scheußlich bemalten Gesichtern der rothe Schein der Feuer glühte; doch diese flogen ihnen auf ihren Rossen nach und streckten sie mit ihren Lanzen zu Boden.

Jetzt dröhnten die schweren Axtschläge Jerrys gegen die Thür des Gefängnisses, in Splittern borst dieselbe auseinander, Robert stürzte durch die Oeffnung hervor und wurde, von den Armen des treuen Dieners umschlungen, in die Dunkelheit hinter das Blockhaus gezogen.

Beide hatten keine Worte, Robert preßte den Sklaven fest an seine Brust und dieser schluchzte laut, als Farnwald mit Renard den Hügel heraufsprengte und neben ihnen von seinem Rosse sprang.

»Fort, fort, Robert!« rief er, »nehmen Sie mein Pferd, schnell nach Hause!« doch dieser riß sich aus der

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Umarmung des Dieners los und fiel Farnwald um den Hals.

» Fort, Freund!« rief derselbe abermals, »fort, ehe es in der Stadt lebendig wird.«

»Halt, Robert!« schrie jetzt Georg herbeispringend, indem er den Befreiten beim Arme erfaßte, »dort steht ein Pferd für Sie, rasch nach Hause, wir folgen Ihnen.«

Mit Thränen der Freude drückte der glückliche junge Mann den Bruder der Geliebten an seine Brust.

Hier und dort blitzte es noch aus einem Revolver, aus einer Büchse den Indianern entgegen, während man, soweit die Feuer ihr Licht verbreiteten, Wilde auf der Erde über ihren besiegten Feinden knie[e]n und ihnen mit Siegesgeschrei die Kopfhaut abreißen sah.

Ein wildes Jauchzen der Indianer lenkte plötzlich die Aufmerksamkeit Roberts und seiner drei Freunde nach dem Zelte Mortings hin, aus dem der Einbeinige hervorstürzte und in verzweifelten Sprüngen über den Lagerplatz floh. Doch auch ihn hatten die Comantschen bald eingeholt und Ureumsi an ihrer Spitze rannte ihm den blitzenden Stahl seiner Lanze durch die Brust.

»Der Schulmeister!« schrieen Farnwald und Georg in höchstem Erstaunen.

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»Der Schurke, der Verräther hat seinen Lohn erhalten,« rief Farnwald.

»Ist es möglich, Black hier im Lager?« schrie Georg.

»Fort jetzt, Robert, so schnell Sie der Rappe tragen kann!« sagte Farnwald zu ihm, drückte ihm nochmals die Hand und Georg zog ihn, von Jerry gefolgt, dem Platze zu, wo das Pferd stand.

Der Kampf war vorüber, wer von den Amerikanern nicht den nahen Wald erreicht hatte, lag, seines Scalps beraubt, auf der Erde hingestreckt und die Wilden zogen jetzt mit den erbeuteten Pferden und Effecten der Besiegten dem Gefängnisse zu. Doch auch drei ihrer Kameraden trugen sie als Leichen herbei und hoben sie auf die Rosse dreien Kriegern in die Arme, um sie zu dem Begräbnißorte ihrer Väter zu bringen. Mehrere Andere waren verwundet, doch ließen sie es nicht laut werden und harrten schweigend der weitern Befehle ihres Häuptlings.

»Ureumsi hat Dir geholfen, großer Häuptling,« sagte Kiwakia zu Farnwald, der beiden die Hand zum Danke reichte.

»Ihr habt mir Beide Eure Schuld tausendfältig durch diesen Freundschaftsdienst abgetragen, und wenn ich Euch im Leben wieder dienen kann, so geschieht es

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mit größter Freude. Nun aber müssen wir eilen, von hier fortzukommen, damit weder Ihr, noch ich gesehen werden. Ich werde aussprengen, daß die Mescaleros es gewesen seien, damit meine Freunde, die Comantschen, sich durch die mir gegebene Hülfe keine Feinde unter den Weißen schaffen. Folgt mir durch das Dickicht den Hügel hinab, dort unten treffen wir die Straße, die nach meinem Hause zurückführt.«

Hiermit wendeten Farnwald und Renard ihre Pferde nach dem Lagerplatze Jerrys und die Wilden folgten ihnen nach, als Georg und der Sklave aus den Büschen hervorsprangen und freudig verkündeten, daß Robert auf dem Rappen davon geeilt sei.

Beide bestiegen nun erbeutete Pferde, der Zug setzte sich eilig in Bewegung und hatte bald, von dichter Finsterniß umgeben, die Straße erreicht. Als sie von der nächsten Höhe auf das Städtchen niedersahen, war dasselbe erleuchtet, alle Fenster waren erhellt und vor den meisten Häusern waren Laternen aufgehangen, doch kein Mensch ließ sich in den Straßen sehen, während einzeln der Schreckensruf »Indians« (Indianer) aus den Fenstern erschallte.

Da wo der Fußweg, der zu Swartons Besitzung führte, die Straße verließ, verabschiedete sich Farnwald

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von den Comantschen, bat Renard, nach seiner Wohnung zu reiten und Sorge zu tragen, daß keiner seiner Leute der Wilden ansichtig würde, und wies Kiwakia an, nach dem Lagerplatze unweit seines Hauses zurückzukehren, um ihn dort zu erwarten. Dann eilte er mit Georg und Jerry, so schnell es die Dunkelheit zuließ, auf dem Pfade nach Swartons Hause.

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Capitel 26.

Schwere Sorgen. - Das Gebet. - Das Mutterherz. - Der Sohn. - Der Retter. - Der Beschluß. - Die Glücklichen. - Die Ausrüstung. - Die Freiheit. - Indianerfrühstück. - Bange Ahnung. - Gewißheit. - Verdacht. - Vertheidigung. - Vereitelte Rache. - Der Verwalter. - Zurückweisung. - Gastfreundschaft.


Die Familie Swarton hatte sich heute Nacht spät zur Ruhe begeben, die bangen Sorgen dieser, schwer vom Schicksal heimgesuchten Menschen hatten lange den Schlaf von ihnen gescheucht, die Müdigkeit überwältigte sie endlich und sie suchten ihre Lager auf. Hier redete der alte Herr noch lange mit seiner Frau über die Befreiung Roberts, die morgen unternommen werden sollte, bis ihm die Worte auf der Zunge erstarben und ein tiefes Athmen Madame Swarton verkündete, daß ihr Mann, wenn auch unruhig, eingeschlummert sei. Sie selbst wollte der Schlaf noch nicht umfangen, sie lag wach, dachte an ihr mit Ketten belastetes Kind, blickte in der Dunkelheit über sich und hörte, wie der Sturm in den nahen Bäumen brauste und den Regen gegen das hölzerne Haus peitschte.

Auch in dem Mutterherzen war es Nacht; Angst

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und Sorgen ließen es bald stürmisch pochen, bald mit dem Gedanken an die Gefahr, in welcher der geliebte Sohn schwebte, sich schmerzhaft zusammenziehen. Sie faltete ihre Hände auf der Brust und betete mit leiser Stimme zu ihrem Gott, er möge ihr Kind retten, es ihrem blutenden Herzen wiedergeben, Thränen rollten dabei ohne Unterbrechung über ihre eingefallenen Wangen, und während des inbrünstigen Gebetes hob sie wiederholt ihre krampfhaft zusammengepreßten Hände zitternd nach Oben.

Plötzlich hörte sie Hufschläge eines heranjagenden Pferdes, sie lauschte, doch der Ton war vor dem Hause verhallt. Statt seiner schallten jetzt rasche Fußtritte unter der Veranda - welche Mutter kennt nicht den Tritt ihres Sohnes? - mit einem Sprunge und dem lauten Schrei »Mein Robert!« war die Frau aus dem Bette gesprungen, stürzte nach der Thür, diese flog ihr entgegen und ihr Kind lag an ihrem Herzen.

»Robert, Robert!« schrie jetzt der alte Swarton, schoß von dem Lager auf zu seinem Sohne hin, um, ihn und seine Frau zugleich zu umschließen und Virginia flog laut aufschreiend ihrem Bruder um den Hals, zog seinen Mund zu dem ihrigen nieder und benetzte ihn mit ihren Thränen. Auch die Brüder stürmten, durch den Namen Robert von ihrem Lager aufgejagt,

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herbei in das dunkle Zimmer, um den Bruder zu erfassen und ihn an ihr Herz zu drücken, und lange dachten die Ueberglücklichen nicht daran, die Seligkeit des Wiedervereintseins zu unterbrechen, sie standen in eng verschlungener Umarmung, ohne einander von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Endlich brachte sie aber der klingende Ton der Kette, die noch zwischen Roberts Händen hing, zur Besinnung.

»Mein Gott, Robert, Du bist ja noch mit Ketten belastet!« sagte die Mutter mit einem Schauder, indem sie das Eisen mit der Hand ergriff, »schnell, Bill, hole die Feile herbei, damit wir Robert die Fesseln abnehmen.«

Dann griffen sie rasch nach ihren Kleidungen und mit dem Aufleuchten des Lichtes, welches Virginia anzündete, fielen sich die Beglückten von Neuem in die Arme.

Die Wonne des Wiedersehens ließ sie nicht an die nahe nothwendige Trennung denken, sie gaben sich dem Glücke des Augenblicks hin und unter Freudenthränen ging der Gerettete aus einer Umarmung in die andere. Bill brachte die Feile, die Kette an Roberts Händen wurde gelöst und nun erst erklärte dieser den Seinigen das Unbegreifliche seiner Befreiung. Tausend Segenswünsche und Ausrufe des innigsten Dankes

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wurden Farnwald während der Erzählung Roberts von dessen Eltern und Geschwistern gezollt, während sie riefen zugleich mit eben so viel Fragen über den Hergang bestürmten. Der Bericht von dem Sprengen der Gefängnißthür durch den treuen Jerry, brachte von Neuem Thränen in die Augen der Zuhörer, Georgs Hülfe wurde mit Worten des innigsten Dankes von den Eltern gepriesen und durch einen liebestrahlenden Ausdruck in Virginias glänzenden Augen, so wie durch ein hohes Erröthen ihrer Wangen anerkannt.

Noch saßen die Glücklichen in eifrigem Gespräch zusammen, als der Ton heranjagender Pferde sie aufschreckte.

»Das ist Farnwald,« sagte Robert beruhigend, doch griff er zugleich nach der großen Doppelflinte, die neben dem Bette stand; der alte Swarton riß die Büchse, welche über dem Kamin hing, herunter und Bill, so wie auch Charles sprangen nach ihrem Zimmer, um gleichfalls ihre Waffen zu holen. Die Rüstung zu einer Vertheidigung auf Tod und Leben war aber nicht nöthig, denn nach wenigen Minuten sprang Farnwald, von Georg und Jerry gefolgt, in das Zimmer und wurde mit überströmendem Danke von der Familie empfangen. Georg ging aus der Umarmung des alten Swartons in die von dessen Frau über und als er

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sich nach Virginia wendete, öffnete diese erröthend ihre Arme und empfing ihn an ihrem Herzen, an ihrem rosigen Munde. Niemand außer Farnwald bemerkte, daß der überglückliche Georg das schöne geliebte Mädchen nicht aus seinen Armen entließ, denn Jerry, der treue Sklave, war jetzt der Gegenstand, auf den der Dank der Familie ausströmte; von Hand zu Hand, von Brust zu Brust fiel der wonnetrunkene Diener und seine schwarze Farbe ward von Allen vergessen.

Nach und nach verwogte der Sturm der seligen Gefühle, und das Glück, das plötzlich so tobend in dies Haus eingekehrt war, trübte sich wieder, da Farnwald auf die Gefahr aufmerksam machte, die für Robert durch ein längeres Verweilen hier erwüchse.

Trauer und Leid legten sich bei dessen Worten abermals auf die kaum erheiterten Züge der Familie und ihre leiderfüllten Blicke hefteten sich bald auf den, ihnen so eben zurückgegebenen Liebling, bald auf Farnwald, als flehten sie denselben um seinen fernern Rath und Beistand an.

»Jedenfalls muß Robert diese Gegend auf einige Zeit verlassen und zwar zunächst, um ganz sicher zu sein, in die Wildniß hinaus gehen,« sagte Farnwald zu seinen Freunden. »Ich wüßte keine bessere und sichere Gelegenheit, als mit Kiwakia zu reiten und sich

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vor der Hand bei ihm aufzuhalten. Da Robert aber für eine längere Dauer ein solches mußiges und nutzloses Leben nicht führen kann, so habe ich einen andern Lebensplan für ihn entworfen, der ihm ein ehrenvolles Ziel vorsteckt und den er, meiner Meinung nach, willkommen heißen wird.«

»O sagen Sie, Herr Farnwald, was ist es, das Sie ihm rathen?« fiel Madame Swarton ein.

» Der Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Mexico ist jetzt so gut als gewiß. Der commandirende General Taylor steht schon mit unserer Armee bei Corpus Christi und wartet nur auf Befehl von Washington, um die Mexicaner anzugreifen. Aus den östlichen Staaten befinden sich schon viele Freiwillige unter seinen Truppen und die Sympathie für den Krieg, wenn er auch Seitens der Amerikaner nur in altem Nationalhaß und Eroberungssucht seinen Grund hat, nimmt täglich unter dem Volke zu. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sich auch in unserer Gegend bald Compagnien bilden und zu Taylor, dem würdigen, tapferen Veteran, ziehen werden, der die Liebe und das vollste Vertrauen der Nation besitzt und für den seine Soldaten jeder Zeit bereit sind, in den Tod zu gehen. Unter seinen Fahnen sind Lorbeern zu ernten; hielten mich meine Verhältnisse nicht zurück, so könnte ich selbst

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mich entschließen, in seine Reihen einzutreten. Als Soldat ist Robert aller weitern Verfolgung überhoben und das Vaterland wird in ihm einen treuen Kämpfer für seine Sache erhalten.«

»Das soll es sicher,« sagte Robert mit hellglänzendem Blick, indem er Farnwald die Hand reichte, »ich wollte. Sie wären mein Führer, Nichts kann mir willkommner sein; wüßte ich, daß Taylor im Augenblick Freiwillige annehme, so würde ich am liebsten sofort zu ihm aufbrechen.«

»Warten Sie wenigstens, bis man etwas Bestimmteres darüber hört; es soll Ihnen sogleich gemeldet werden. Jetzt gehen Sie mit Kiwakia«, erwiederte Farnwald. Es wurde dann der von ihm gemachte Vorschlag ausführlicher besprochen und auch von Roberts Eltern genehmigt.

Der Abschied mahnte dringend und die Augen füllten sich wieder mit Thränen, da reichte Robert den Seinigen entschlossen seine Hände hin und sagte: »Wie oft bin ich wochenlang von Euch entfernt auf der Jagd gewesen, seid guten Muthes, ich werde Euch bald einen nächtlichen Besuch machen und meine Feinde werden jetzt besser thun, ihre Hände nicht nach mir auszustrecken. Jerry, Du gehst mit mir, schnell mache Alles zurecht.«

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»Ja, Master Robert, Jerry folgt Dir bis an das Ende der Welt,« rief der alte Sklave, küßte seines Herrn Hand und rannte eilig davon, um die wenigen Vorkehrungen zu treffen, die zu einem Ausflug in die Wildniß für einen Frontiermann nöthig sind.

Auch Madame Swarton wollte das Zimmer verlassen, um bei der Zurüstung behülflich zu sein, aber Farnwald nahm ihre Hand und wendete sich, indem sie zurückhielt, zugleich an Robert.

»Robert,« sagte er zu ihm, »ehe wir reiten, haben Sie eine Pflicht gegen Ihren Freund Georg zu erfüllen und ihn für die Treue und die vielen Aufopferungen zu Ihren Gunsten zu belohnen; führen Sie ihm die Schwester dafür zu, aus keiner Hand wird er sie lieber empfangen, als aus der seines dankerfüllten Freundes.«

Dabei ergriff er Roberts Hand und führte ihn zu Virginia, die mit glühenden Wangen und niedergeschlagenen Augen an dem großen Armstuhle stand und bebend dessen Lehne erfaßt hatte.

» Gern, Georg, von Herzen gern! - darf ich, Virginia?« sagte Robert in freudiger Ueberraschung, indem er der Schwester Hand nahm und sie dem Freunde entgegenhielt.

Georg empfing die Geliebte im Uebermaß seines

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Glückes und die erstaunten Eltern gaben dem liebenden Paare ihren innigsten Segen.

Die neue, unverhoffte Freude, welche dieses Ereigniß in das Haus brachte, ließ dessen Bewohner den Abschied von dem eben zurückerhaltenen Lieblinge leichter ertragen, Georg wurde mit Herzlichkeit als Mitglied der Familie aufgenommen und es schien für einen Augenblick die Abreise Roberts vergessen, als Farnwald zu Madame Swarton sagte:

»Sie haben nun noch einen Sohn mehr, der Ihnen den ältesten ersetzen soll, während derselbe auf der Jagd ist. Beeilen Sie aber jetzt Roberts Ausrüstung, denn wir haben nur noch eine Stunde bis zum Anbruch des Tages, der uns hier nicht mehr beisammen treffen darf.«

»Frisch, old lady (alte Dame), packe das Beste, was Du hast, für den Jungen zusammen, er gehört jetzt wieder uns und die ganze County soll ihn uns nicht wieder abnehmen,« sagte der alte Swarton zu seiner Frau, die in glücklicher Geschäftigkeit das Zimmer verließ, um ihren Liebling mit so vielen Dingen zu seiner Bequemlichkeit zu versehen, als das zu seiner Begleitung bestimmte Packthier tragen konnte.

Jerry führte bald zwei gesattelte Pferde und ein einem Packsattel versehenes Maulthier vor das Haus; letzteres wurde mit Wäsche, Kleidungsstücken,

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wollenen Decken, Provisionen und Vorräthen von Pulver und Blei beladen, und kaum graute der Morgen, als Alles zur Abreise fertig war.

Farnwald drang auf einen kurzen schnellen Abschied, und als er Robert aus der Umarmung seiner Mutter zog und ihn nach seinem Pferde hinschob, sagte er zu derselben:

»Ich lasse Ihnen Ihren neuen Sohn hier und bald soll Ihnen Robert einen Besuch machen.«

Dieser, so wie auch Farnwald und Jerry hatten ihre Pferde bestiegen, noch einen Händedruck - einen Gruß, und sie sprengten davon, während das Packthier frei und ohne Zügel mit seiner Last ihnen auf den Fersen folgte.

Die Dämmerung zitterte über die Erde, die Sterne verblichen vor dem nahenden Tage und der immer noch heftige Wind wehte den Reitern über die erfrischte Grasflur entgegen. Niemals hatte Robert so frei, so hoch geathmet, als jetzt, wie lachte ihm das saftige Grün des Laubes und das Wogen der üppigen Prairie zu - wie freudig begrüßte er die Vögel, die sich auf dem kühlen Morgenwinde wiegten - wie willkommen waren ihm die kräftigen übermüthigen Bewegungen seines jagdgewohnten Rosses! Er fühlte sich auf dessen stählernen Gliedern, mit der sichern Büchse in der

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Hand, wieder unabhängig und frei, wie in den Zeiten, wo die Menschen noch keine Gerichte in diesem Lande eingeführt hatten, und jubelnd begrüßte er die Wildniß, der er entgegen zog.

Stolz und mit freudestrahlendem Gesichte folgte Jerry, seine Augen auf die kräftige schöne Gestalt seines jungen Herrn geheftet, doch von Zeit zu Zeit blickte er rückwärts über das ihm folgende Maulthier auf der Straße hin, als spähe er nach Verfolgern, um seinem Herrn zeitig Kunde von deren etwaigem Sichtbarwerden zu geben.

Ohne Unterbrechung ging es fort in fliegendem Paßgänge, bis die Bauminsel, die Farnwalds Wohnung umgab, vor den Reitern anftauchte. Dann bogen sie in nördlicher Richtung vom Wege ab, eilten dem Ufer des Flusses zu und auf seiner grünen Bank dahin, bis sie das Gehölz erreichten, in welchem Kiwakia mit seinen Kriegern ihrer harrte.

Sie fanden diese behaglich um große Feuer gelagert und beim Frühstück, denn Renard hatte ihnen abermals zwei fette Stiere aus Farnwalds Heerde überwiesen, deren Fleisch jetzt an Spießen vor den Feuern aufgesteckt war. Zugleich prangten vor der Kohlengluth die Kopfhäute der erschlagenen Amerikaner,

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welche die Sieger durch rasches Trocknen vor dem Verderben bewahren wollten.

Farnwald sah sie mit Schaudern an, er zählte ihrer achtzehn und erkannte den des Schulmeisters an den rothen Haaren. Dieser Scalp war nebst noch zwei andern vor Ureumsi aufgepflanzt, und da Kiwakia neben diesem Platz genommen hatte, so setzte sich Farnwald zu ihm und theilte dem Häuptlinge mit, daß sein geretteter Freund ihn mit seinem Neger begleiten und eine Zeit lang bei ihm bleiben werde, um den weißen Feinden aus dem Wege zu gehen. Er sagte ihm, daß derselbe ein guter Jäger sei und viel Wild für ihn erlegen würde, was den Häuptling erfreute, zumal da Farnwald ihm auftrug, ihm von Zeit zu Zeit Nachricht von dem Wohlergehen seines Freundes zu geben, bei welcher Gelegenheit er dann demselben, so wie auch ihm, dem Häuptlinge, Provisionen, Taback und vielerlei Geschenke übermachen werde.

Kiwakia sagte, acht Mal den Lauf der Sonne mit der Hand bezeichnend, in acht Tagen werde er ihm einen Boten senden, damit er höre, wie es seinem Freunde gehe, und er werde ein gutes starkes Maulthier dabei schicken, welches die Geschenke zurücktragen solle. Farnwald erklärte sich erfreut über dies Versprechen und sagte, er werde das Maulthier sehr schwer

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beladen und Kiwakia möge dann dem Freunde ganz nach Gutdünken von den Mundvorräthen abgeben.

Der Häuptling reichte darauf Robert die Hand, bat ihn neben ihm Platz zu nehmen und sagte ihm, indem er auf das aufgespießte Fleisch zeigte, er möge mit ihm frühstücken.

Jerry reichte zugleich seinem Herrn einen ledernen Beutel mit Speisen, die ihm dessen Mutter für ihn gegeben hatte, und Robert theilte davon dem Häuptlinge, so wie auch dessen Bruder mit, welche in dem gemeinschaftlichen Einnehmen dieses Mahls mit ihrem neuen Bekannten einen Freundschaftsband geschlossen sahen.

Farnwald ließ sich die Wunden zeigen, die verschiedene der Krieger erhalten hatten, doch war keine von Erheblichkeit, indem sie nur in Fleischwunden bestanden, keine der Kugeln sitzen geblieben war und bei den unverdorbenen Säften eines Indianers die Heilkraft der Natur solche Verletzungen leicht und schnell wieder herstellt.

Nach beendigtem Frühstück machte Farnwald den Häuptling darauf aufmerksam, daß es Zeit für sie sei, diese Gegend zu verlassen, da möglicherweise die Bewohner der Stadt sich bewaffnen und ihnen folgen könnten, worauf Kiwakia seinen Leuten das Zeichen

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gab, sich zur Abreise fertig zu machen. Die beiden erbeuteten Pferde, welche Georg und Jerry von dem Kampfplatze aus bis zu Swartons geritten hatten, versprach Farnwald bei Uebersendung der Geschenke mitzuschicken.

Die Indianer hatten bald ihre Rosse bestiegen, ihre gefallenen Brüder wurden, in Büffelhäute eingehüllt, wieder drei Kriegern übergeben, der Häuptling und sein Bruder nahmen Abschied von Farnwald, bestiegen ihre Pferde und hatten bereits das Dickicht verlassen, als Robert seinen Dank gegen seinen Retter nochmals aufs Herzinnigste aussprach, ihm Lebewohl sagte und, von Jerry und dem Packthiere gefolgt, den Wilden nachsprengte.

Mit dem wohlthuenden Bewußtsein, dem Schwachen, dem Unterdrückten beigestanden zu haben, blickte Farnwald dem kräftigen jungen Manne nach, wobei er, befreit von den vielen Sorgen und Bekümmernissen, die dessen Angelegenheit über ihn gebracht hatte, frisch und zufrieden aufathmete. Doch kaum war Robert an der andern Seite des Flusses im Walde seinen Blicken entschwunden und er selbst hatte seiner Wohnung sich zugewendet, als der Gedanke an Doralice seine Brust bewegte und eine Bangigkeit, eine Angst sich seiner bemächtigte, wie er sie, so lange die Freundschaft noch

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seine Dienste in Anspruch nahm, nicht gekannt hatte. Sein Schicksal hing von der Frage ab, ob Mortings Gefährten ihn in letztverflossener Nacht während des Gefechts gesehen und erkannt hatten? War dies der Fall, so wurde auch sicher die Wittwe Dorst sofort davon benachrichtigt, und dann war Doralice zweifellos für ihn verloren. Doch er hatte sich ja während des Angriffs der Indianer in der Dunkelheit gehalten und gab sich gern der Hoffnung hin, daß er nicht bemerkt worden sei.

In seinem Hause angelangt, hatte er sein Pferd der Pflege des Negerknaben übergeben und hörte von der Quadrone, daß Renard sich schlafen gelegt habe. So sehr es ihm aber auch darnach verlangte, dem Freunde seine neu erwachten Sorgen mitzutheilen und seinen Rath zu hören, so wollte er ihn doch in der Ruhe nicht stören und warf sich in den Schaukelstuhl, um seinen wirren Gedanken nachzuhängen und sich in Unentschlossenheit der Bangigkeit seines Herzens zu überlassen.

Es zog ihn mit aller Macht des Herzens zu der Geliebten und doch regte sich ein Gefühl in ihm, welches ihn von ihr zurückhielt. Er erkannte, daß er, wie mit einem Vergehen, mit einer Unwahrheit vor sie treten und ihr und ihrer Mutter sagen mußte, er habe

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keinen Theil an der Befreiung des Mörders gehabt. Er zog vor, ihr zu schreiben - doch was sollte er ihr sagen? - die Wahrheit durfte er nicht gestehen und die Unwahrheit, einmal geschrieben, mußte er später mündlich bestätigen. Wurde ihr seine Theilnahme an dem Gewaltsstreich aber auch nicht gemeldet, so traf ihn doch sicher der Vorwurf, daß er nicht sofort zu ihr geeilt, da er wußte, von welcher Wichtigkeit die Kunde für sie sein mußte. Sein baldiges Erscheinen bei Dorsts war deshalb unumgänglich erforderlich, und da seine Würfel bis zu seiner Hinkunft schon gefallen sein mußten, so konnte er schweigend seine Nichttheilnahme über sich ergehen lassen, oder, im Fall er angeklagt war, seine Handlung vor der Frau und ihrer Tochter rechtfertigen. Noch ehe Renard aus seinem Schlafe erwacht war und zu Farnwald in das Zimmer trat, war dieser einig mit sich geworden, daß er morgen zeitig mit jenem aufbrechen wolle, um am Abende die Niederlassung Dorsts zu erreichen und von Doralice selbst die Entscheidung über seine Zukunft zu empfangen.

Renard war ganz damit einverstanden, doch rieth er Farnwald, vorher einen Besuch in der Stadt zu machen, um das Nähere über das Schicksal von Mortings Leuten zu erfahren und Gewißheit über die dort entstandenen Gerüchte und Vermuthungen zu erhalten,

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da sein unbefangenes Erscheinen jedenfalls den Verdacht gegen ihn selbst schwächen würde, den seine plötzliche Abreise zur Gewißheit stempeln mußte.

Farnwald willigte ein und nach zeitig eingenommenem Mittagsmahl ließ er für sich den Falben, fürRenard aber eins seiner anderen Pferde satteln, damit sein Schimmel und die Stute seines Freundes sich ruhen konnten, und eilte mit diesem dem Städtchen zu.

Absichtlich vermieden sie bei einer Farm vorzusprechen, um anscheinend gänzlich unbekannt mit dem Vorgefallenen auftreten zu können, und der Zufall fügte es auch, daß ihnen Niemand auf dem Wege begegnete, der ihnen die Kunde davon gegeben hätte.

Sobald sich ihnen auf der Straße der Blick durch den Wald nach dem Gerichtsgebäude öffnete, erkannten sie an den vielen Menschen, die sich auf dem, dasselbe umgebenden Platze versammelt hatten, die große Aufregung, die der Auftritt in letzter Nacht hervorgebracht, und als sie nun in langsamem Schritt und sich gleichgültig unterhaltend nach dem Wirthshause ritten, wendeten sich viele der in der Umgebung befindlichen Personen mit eiligen Schritten gleichfalls dorthin.

»Nun, was giebt es gutes Neues?« rief Farnwald dem Wirthe zu, der mit einem Dutzend anderer Männer

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vor der Thür des Gasthauses stand und mit einem schlauen Blick und augenscheinlicher Freude demselben entgegensah.

»Neues?« erwiederte der Wirth. »Ei, ist die große Begebenheit, die in letztvergangener Nacht hier geschehen ist, noch nicht bis zu Ihnen in das Land gedrungen? So geht es aber, wir hier in der Stadt machen aus jeder Maus einen Elephanten, wenn auch die ganze Geschichte nicht werth ist, sie eine Meile von hier weiter zu erzählen.«

»Was ist denn in der Nacht vorgefallen - doch keine Feuersbrunst? denn bei dem Sturme wäre wohl kein Haus stehen geblieben, oder sind vielleicht dem Herrn Morting und seinen Kameraden die Zelte weggeweht?« fragte Farnwald lächelnd.

»Nicht die Zelte, die Scalpe sind ihnen von den Köpfen geflogen, - achtzehn von den Helden wenigstens lagen heute früh baarhäuptig und ohne die gewohnte Fröhlichkeit in der Nähe ihres Lagers, todt wie die Ratten, und Morting war der Neunzehnte, doch hatte man ihm seine Perücke gelassen. Das Fell der Hyäne ist nichts werth.«

»Scalpirt?« rief Farnwald laut mit möglichst augenscheinlicher Ueberraschung, »scalpirt? sind denn Indianer hier in der Stadt gewesen?«

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»Ja, aber den Bürgern waren sie nicht feindlich gesinnt, sie haben sich nur die Scalpe von den fremden Helden und dann den armen Robert Swarton selbst holen wollen. Ich weiß es aus zuverlässiger Quelle, daß sie ihn todt, mausetodt geschlagen, scalpirt, auf ein Pferd gebunden und mit sich fortgenommen haben; wahrscheinlich hat er ihnen zum Frühstück dienen sollen. Hier aus meinem Fenster habe ich ihn um Gnade schreien hören, aber da half Nichts, er mußte daran glauben. Es ist ihm wohl und besser ergangen, als wenn er noch ein Paar Tage gelebt hätte; sterben mußte er ja so wie so bald. Die Andern sind so eben begraben worden.«

Bei dem Ende seiner Rede blickte der in sich vergnügte Wirth geheimnißvoll zu Farnwald auf, als wollte er ihm andeuten, daß er den ganzen Hergang der Sache genau kenne und nur der Umstehenden wegen den Bericht über Robert hinzugefügt habe.

»Ist es möglich, Morting mit achtzehn seiner Leute erschlagen und der arme Robert gleichfalls getödtet? Das ist ja schrecklich! Es müssen Mescaleros gewesen sein, denn ich habe vernommen, daß diese in letzter Zeit häufig und in großer Zahl in der Umgegend sich haben blicken lassen. Aber was konnten sie gegen die Fremden und namentlich gegen Robert haben?«

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»Wahrscheinlich alte Feindschaft, die Swartons haben manche Rothhaut kalt gemacht, und die Rache der Indianer dehnt sich über ganze Familien aus,« erwiederte der Wirth, indem er Farnwald die Hand reichte, der indessen abgestiegen war und, so wie sein Freund, sein Pferd dem Stallneger übergeben hatte.

Inzwischen hatten sich viele Neugierige zu Farnwald gedrängt, aus deren Fragen über die Indianer-Angelegenheit er deutlich erkannte, daß man ihn im Verdacht hatte, seine Hand dabei mit im Spiele gehabt zu haben; doch er äußerte sich so unbefangen und erstaunt über die Sache, daß die meisten bald überzeugt waren, er habe nicht darum gewußt, andere dagegen sprachen ihre Meinung nicht aus, gaben aber durch ihre Blicke zu verstehen, daß sie nicht zu den Leichtgläubigen gehörten, und recht wohl erriethen, wie es mit der Befreiung Roberts zugegangen sei.

Auch der County Clerk, Herr Barry und derScheriff hatten bald erfahren, daß Farnwald in der Stadt wäre und kamen, ihn zu sprechen. Wie es überhaupt in den Grenzorten gebräuchlich ist, alle Beredungen von Wichtigkeit unter Gottes freiem Himmel, im Schatten eines Hauses oder eines Baumes abzumachen, so nahmen auch diese beiden Herren Farnwald in ihre

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Mitte und traten mit ihm auf die Seite des Gebäudes, wo sie die Sonne nicht treffen konnte.

»Wie ich es vorausgesehen habe, so ist es mit Robert Swarton gekommen,« hub Barry an, »die Rettung des jungen Mannes ist mir lieb, aber sagen Sie mir, wo bleibt das Gesetz? Es besteht ja kaum noch dem Namen nach!«

»Die Rettung Roberts?« erwiederte Farnwald mit einem möglichst traurigen Blick und einem Seufzer, »wie mir der Wirth sagt, so ist er von den Indianern getödtet worden und was das Gesetz betrifft, so haben die Wilden noch niemals unter unsern Gesetzen gestanden, lieber Barry.«

»Doch die, welche sie hierher geführt und zum Eingreifen in den Gang unserer Justiz bewogen haben, stehen darunter, Herr Farnwald! Wie gesagt, es ist gut, daß es so geendigt hat, es giebt aber ein böses Beispiel und die Folgen davon werden nicht ausbleiben,« antwortete der Clerk.

»Sie reden von Gesetz und Gerechtigkeit, haben Sie denn auch gehört, daß der Herr Schullehrer unter den Scalpirten gefunden ist, dieser treue Freund Swartons, und daß die Jury mit Geld bestochen war; nennen Sie das Gerechtigkeit?« sagte Farnwald heftig.

»Sie wissen, Herr Farnwald, daß wir beide zu

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Swartons Freunden gehören und uns darüber freuen, daß Robert gerettet ist. Sie wissen aber auch, daß ich von der County angestellt, und daß ich namentlich verpflichtet bin, das Gesetz aufrecht zu erhalten,« fiel Copton ein, indem er Farnwalds Hand ergriff. »Es ist meine Pflicht, die Sache zu verfolgen; man spricht davon, Sie wegen Betheiligung an dem Ueberfalle in Anklagezustand zu versetzen. Es haben mehrere von Mortings Leuten ausgesagt, daß sie Sie unter den Indianern gesehen haben. Ich spreche nicht als Scheriff, sondern als Freund zu Ihnen, die Sache könnte sehr ernstliche Folgen für Sie haben.«

Wie ein Blitzstrahl trafen Farnwald diese Worte, er wurde blaß und die Antwort erstarb ihm auf der Zunge. Nicht, daß er über die Gefahr, die ihm von Seiten des Gerichtes drohte, besorgt gewesen wäre, aber die Worte des Scheriffs gaben ihm die Gewißheit, daß seine Betheiligung an der Befreiung des Verurtheilten nun auch der Wittwe Dorst gemeldet werden würde, und die Folgen davon waren ihm schrecklicher, als alle Gerichte des Staates ihm werden konnten.

»Lassen Sie sich nicht bange sein, Herr Farnwald,« fuhr der Scheriff fort, der seine Verstörung gewahrte, »die Klage wird gar nicht angenommen, da es an Beweisen mangelt und die Zeugen als parteiisch zurückgewiesen

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werden müssen. Seien Sie aber vorsichtig mit Reden, ein unbesonnenes Wort könnte schwer gegen Sie zeugen.«

»Es ist nicht die Anklage, die mich beunruhigt, lieber Herr Copton, meine Ueberraschung hatte einen ganz andern Grund. Uebrigens danke ich Ihnen herzlich für Ihre Freundschaft; was den Verdacht gegen mich anbelangt, so kann man mir Nichts beweisen. Uebrigens würde es wohl gut sein, nachzuforschen, ob man die Geschwornen einer Treulosigkeit gegen das Gesetz zeihen könnte; denn, daß sie durch Morting, Warner oder Mac Owen erkauft sind, darüber ist kein Zweifel. Vielleicht findet sich Nachweis in den Papieren des Schulmeisters. Das Gesetz würde sich dann gegen Roberts Ankläger richten und vor dem nächsten Bezirksgericht möchte sein Proceß eine andere Wendung nehmen. Auch dürfte man sich alsdann wegen meiner nicht weiter bemühen.«

»Sie haben Recht, Herr Farnwald, ich will sogleich mit einigen Zeugen nach des Schulmeisters Wohnung reiten und sehen, ob sich dort vielleicht Briefschaften vorfinden, die einen Verdacht gegen die Geschwornen begründen. Den Auftrag dazu kann ich mir alsbald ausfertigen lassen,« erwiederte Copton, empfahl Farnwald nochmals an, auf seiner Hut zu sein und eilte

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davon, während dieser sich nur noch kurze Zeit mit Barry unterhielt und dann nach dem Gasthause zurückging, um die Pferde satteln zu lassen; denn die Auskunft, die er zu bekommen gewünscht hatte, war ihm leider mit zu großer Bestimmtheit geworden.

»Es ist Alles verloren,« sagte er zu Renard, »Mortings Leute haben mich gesehen, Doralices Mutter wird mir nun nie vergeben und meine Geliebte wird in meiner Handlung eine Verletzung meiner Pflichten gegen sie erblicken. Alle Hoffnung ist dahin, und das alte Verhängniß schwebt wieder über mir: mein Lebenspfad ist zu schmal für Zwei. Lassen Sie uns reiten, der Lärm hier und die Neugierde der Leute ekeln mich an!«

Während die beiden Freunde auf dem Heimwege waren und Farnwald mit bekümmerter Seele und schwerem Herzen seine Gedanken zu dem innig geliebten Mädchen hinsandte, wurde auch von Doralice sowohl, wie von ihrer Mutter, seiner lebendig gedacht.

Die Sonne hatte dort bereits die Fenster des Salons verlassen, die Jalousien vor denselben waren zurückgelegt und diese waren geöffnet, um zwischen ihnen und den beiden Thüren des Zimmers, von denen die eine nach dem Corridor, die andere nach dem Garten führte, der kaum fühlbar bewegten Abendluft mehr

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Strömung zu geben, denn der Tag war drückend heiß gewesen. Es hatte hier seit Monaten nicht geregnet, so daß die ausgedörrte, durchglühte Erde sich in der Nacht nicht abkühlte und den Thau gierig verschlang, der sich aus der Luft zur Erhaltung der Pflanzenwelt herniedersenkte.

Madame Dorst saß in schwarzem luftigen Gewande auf dem Sopha vor dem offenen Fenster und ließ die aus dem Garten hereinströmende gewürzige Luft über sich hinziehen, während ein kleines rabenschwarzes Negermädchen, dessen ganzer Anzug aus einem kurzen scharlachrothen wollenen Hemdchen bestand, einen mächtigen Pfauschweif über ihr schwang und sie selbst mit einem kostbaren zierlichen Fächer sich Kühlung zuwehte. Ernst und schweigend saß die schöne Frau da, wie eine Königin, welche ihrer Feinde gedenkt, die sie ihre Macht fühlen läßt; denn der glänzende Blick ihrer dunkeln Augen verrieth den Eifer, mit der ihre Gedanken einen Gegenstand verfolgten, der ihr von großem Interesse sein mußte.

Ihr gegenüber, zwischen dem Fenster und der Thür, an einem Tische, saß Doralice, ihren Kopf auf ihre schneeige Hand gestützt, über ein Buch geneigt, in welchem sie zu lesen schien. Aber nicht einen Buchstaben sah sie auf dem Blatte des kostbar eingebunden Werkes,

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auf welches ihre Augen gerichtet waren, ein anderes Bild stand vor ihr, das sie in größte Unruhe versetzte, wenn sie sich auch bemühte, den Anschein von Ruhe zu behaupten. Sie saß unbeweglich und sah nicht nach ihrer Mutter auf, sie konnte deren Blick nicht ertragen, er schien eine Anklage gegen Den auszusprechen, dem sie ihre ganze Seele zugewandt hielt. Beide dachten an Farnwald, vor beider Gedanken stand er als Angeklagter, der von der Mutter erbarmungslos verdammt wurde, während die Tochter ihn mit allen Entschuldigungsgründen, die das liebende Mädchenherz zu ersinnen im Stande ist, vertheidigte.

Das Düster der hereinbrechenden Nacht hatte es schon unmöglich gemacht, in dem Buche zu lesen, dennoch blieb Doralice über dasselbe hingebeugt sitzen, als ihre Mutter das lange Schweigen brach und sagte:

»Bist Du immer noch nicht überzeugt, Doralice, daß der Mann zum Verräther an Dir und an mir geworden ist?«

»Nein, Mutter, verdamme ihn nicht, ehe Du ihn selbst gehört hast. Er ist unschuldig und unserer Liebe und Freundschaft werth; er ist keiner Handlung fähig, die unsern Vorwurf verdienen könnte,« antwortete Doralice beschwichtigend, doch mit Bestimmtheit.

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»Wie kommt es, daß er unserer dringenden Einladung kein Gehör schenkt? Seine Verbrüderung mit dem Mörder Deines Vatern hält ihn zurück; er bietet Alles auf, ihn der gerechten Strafe zu entziehen, und wäre unsere Macht, mit der wir ihn bewachen lassen, nicht so groß, so hätte er es ohne Zweifel schon ausgeführt. Doch nur noch wenige Tage, und mein Gatte ist gerächt, dann wird sich Dein Geliebter auch wieder einstellen,« sagte die Mutter bitter, indem sie sich in dem Sopha zurücksinken ließ und mit Heftigkeit den Fächer auf und niederschwang.

»Du thust ihm Unrecht, Mutter, er hat sich nicht bei dem Proceß betheiligt, er ist nicht im Stande, gegen uns zu handeln.«

»Er müßte dabei betheiligt sein und zwar für uns, es wäre eine heilige Pflicht für ihn, sich unserer gegen den verruchten Mörder anzunehmen. Wer darf ihm näher stehen, als seine Braut und deren Mutter?«

»Warum willst Du ihn zum Henker eines alten Freundes machen, Mutter - ist es nicht genug, wenn er ihn unseretwillen seinem Schicksale überläßt?«

»Warum ist er denn nicht hier und hält dadurch jeden Verdacht von sich fern?«

»Wenn er auch nicht hier ist, so wird er doch dadurch unseres Vertrauens nicht unwürdig. Nur eigne Angelegenheiten

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machten seine Gegenwart während der Gerichtszeit in C*** nothwendig. Traue ihm, liebe beste Mutter, Du weißt, er besitzt viele Ländereien und wird durch deren Besitz auch in vielerlei Streitigkeiten verwickelt sein,« erwiederte Doralice und fügte dann mit tiefem Athemholen hinzu: »obgleich er sein Land auf eine rechtliche Weise erworben hat.«

»Wer kommt dort mit solcher Eile herangeritten?« sagte Madame Dorst, sich plötzlich umwendend, und nach dem Einfahrtsthor an der Straße blickend »es sind mehrere Reiter - ist das nicht Warner - was ist geschehen?«

Hiermit sprang sie auf und eilte hinaus unter die Veranda, vor welcher Warner bereits vom Pferde gesprungen war und mit den Worten der Frau entgegentrat:

»Er ist befreit und Morting mit achtzehn unserer Leute sind getödtet!«

»Befreit?« rief die Wittwe mit einem Tone des Entsetzens, indem sie Warners Hand bebend ergriff und sie mit ihren beiden Händen schüttelte.

»Befreit - Wer hat ihn befreit?«

»Farnwald mit einigen hundert Indianern, er selbst hat Morting erschossen, wir haben es Alle mit angesehen.«

»Und Keiner von Euch hatte eine Kugel für ihn geladen?«

Ein Schrei von Doralice unterbrach die Frau im Ausbruch ihres Zornes, sie wandte sich erschreckt um und sah ihre Tochter zusammensinken.

»Mein Kind - mein einziges - meine Doralice!« schrie sie jetzt außer sich, fiel neben dieser nieder, hob ihren Kopf in ihren Schooß und rief dann, ihren Arm nach dem Corridor hinstreckend: »Ellen, Ellen, bringt Wasser, bringt die Tropfen!«

Dann sank sie mit ihrem Munde auf die kalten Lippen ihres ohnmächtigen Kindes nieder und bedeckte sie mit ihren Küssen. Ellen kam mit noch andern Sklavinnen herbeigeeilt, sie brachten Wasser und die belebenden Tropfen, doch starr und regungslos lag Doralice in den Armen ihrer Mutter und das Leben schien nicht wieder in sie zurückkehren zu wollen.

Mit Hülfe der Negerinnen trug Madame Dorst die Ohnmächtige in ihr Zimmer, dort wurden die Bemühungen, sie aus dem Todesschlafe zu erwecken, mit noch ängstlicherem Eifer fortgesetzt, aber umsonst, Doralice blieb kalt und bleich wie ein Marmorbild. Noch hatte der Schrecken, die Angst alle Thränen von den Augen der Mutter fern gehalten, doch jetzt, da sie die Ueberzeugung gewann, daß ihr Kind todt, daß sie allein noch

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in der Welt von all ihren Lieben übrig sei, brach sie in Verzweiflung, in Jammer und Wehklagen aus, und Ströme von Thränen fielen auf die geliebte Geschiedene nieder.

»Mein Kind, meine Doralice!« schrie sie wieder und wieder und bedeckte mit beiden Händen ihr Gesicht. Die unglückliche Frau sollte aber in ihrer Verzweiflung nicht vergehen, der Scheintod ihrer Tochter war nur ein Anruf, eine Mahnung an die besseren Gefühle ihres Herzens gewesen, denn Doralice athmete tief auf, ihre Brust hob sich und das Leben zog zögernd wieder in die schöne Hülle ein. Unter Thränen kam sie wieder zu Bewußtsein, doch gab sie ihrem Schmerze keine Worte, keine Klagelaute, still und stumm blickte sie vor sich hin; denn im höchsten Glück, im höchsten Leiden hat der Mensch keine Worte - sie fühlte, daß es keinen höheren Schmerz, keinen größeren Verlust mehr für sie gebe.

Kaum aber wußte sich Madame Dorst gegen den so nahe gewesenen Verlust sicher gestellt, als ihr Herz sich um so bitterer gegen den Schöpfer dieser Gefahr wendete und auf Farnwald den Haß mit all der Leidenschaft übertrug, den die Wittwe gegen den Mörder ihres Mannes gehegt hatte.

»Sieh zu, Ellen, ob mein Vetter noch da ist? Sage ihm, er solle im Salon auf mich warten,« flüsterte sie

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der Sklavin zu, und als diese bald darauf in das Zimmer zurückkehrte und meldete, daß Warner allein noch hier zurückgeblieben sei, wies sie die Dienerin an, bei Doralice zu bleiben und begab sich nach dem Salon, wo Jener ihrer harrte.

»Herr Warner, Sie haben mir eine Botschaft gebracht, die ich gern mit Allem, was ich besitze, zur Unwahrheit machte; doch das Schreckliche ist geschehen und meine Vorwürfe darüber sollen Sie nicht treffen. Einen Dienst aber fordere ich von Ihnen, bei dem Andenken an Ihren Freund, meinen Mann, einen Dienst, auf dessen Gewährung ich unbedingt rechne!«

»Alles, theure Cousine - « fiel Warner ein, indem er seine linke Hand auf seine Brust drückte und die Rechte feierlich empor hob.

»Hören Sie mich, Vetter! Sie sind jetzt der einzige Mann in der Welt, auf dessen Hülfe und Schutz ich noch rechnen darf. Verhüten Sie, daß dieser Verruchte, dieser Farnwald, jemals wieder unter meine Augen tritt; - wissen Sie nun, daß er mit meiner Tochter verlobt ist - verlobt war - und daß ich eher mein Kind mit einem Fluche von mir stoßen will, ehe ich sie an der Seite dieses Bösewichts, dieses Verräthers sehe. Sie verlassen dies Haus nicht, so lange ich und Doralice noch in seinen Wänden wohnen und wehren

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dem Störer unsres Friedens, seinen Fuß über diese Schwelle zu setzen, selbst hätten Sie auch Waffen dazu zu gebrauchen. Ich mache Sie hiermit in meinem und meines gemordeten Mannes Namen zum Verwalter dieser Besitzung und meines sämmtlichen Eigenthums, so daß Ihnen gesetzlich die Befugniß zusteht, von dem Hausrechte Gebrauch zu machen. Unter den Papieren meines Mannes habe ich eine Bestimmung seiner Seits gefunden, worin er Sie zu dieser Stellung erwählt und zugleich erklärt, daß er diesen seinen Willen auch bei Gericht niedergelegt habe. Farnwald wird nun bald kommen mit der glatten Freundlichkeit und Offenheit, womit er sich wie eine Schlange in unsere Herzen eingeschlichen hatte, ich erwarte, daß Sie Mann genug sind, um ihn aus unserer Nähe fern zu halten.

»Ich werde, Cousine,« erwiederte Warner mit größter Bestimmtheit, und setzte dann mit einem giftigen Blicke noch hinzu: »und kommt er allein, so ganz ohne Zeugen, so mache ich von dem Hausrecht schnell ohne Weiteres Gebrauch,« wobei er gegen den Griff einer Pistole schlug, die aus seinem Gürtel hervorsah.

»Ich verlasse mich auf Sie, Vetter,« antwortete die Frau, indem sie Warner die Hand hinhielt, die dieser hastig ergriff und seine Lippen darauf drückte.

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»Ich werde sehr bald dieses Haus, dieses Land verlassen, das mir so unsäglich viel Leid gebracht. Nach meinem Vaterlande, nach dem geliebten Mexico will ich, sobald es möglich zu machen ist, mit Doralice übersiedeln, das heißt, sobald ich Sie, lieber Vetter, gerichtlich als meinen Verwalter eingesetzt habe und dazu werden nur wenige Tage nöthig sein. Sie wissen, unsere Besitzung zwischen Linares und Monterey wird nur von einem alten major domo bewohnt und ist vollkommen eingerichtet; mein seliger Mann hielt den Platz stets zu unserm Empfange bereit, für den Fall, daß er, wie er sagte, einmal genöthigt sein sollte, über Nacht von hier abzureisen. Dort sind wir außer dem Bereiche des Verräthers und, da außer Ihnen Niemand unsern Aufenthalt gewahr wird, so sind wir vor seiner Verfolgung sicher. Machen Sie es sich jetzt bequem, lieber Vetter, Sie sind hier zu Hause; der Zustand meiner armen Doralice erheischt meine Gegenwart. Nochmals drückte Warner die ihm dargebotene Hand der Frau an seine Lippen, worauf diese im Hinausgehen aus dem Salon sich noch einmal nach ihm mit den Worten umwandte:

»Ich rechne auf Ihren Schutz.«

Die Antwort Warners, welche in einer tiefen Verbeugung bestand, hatte Madame Dorst nicht abgewartet,

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denn sie war verschwunden, als dieser sein rothes Haupt wieder erhob. Der Ausdruck der Unterwürfigkeit und der Theilnahme, der bis jetzt auf seiner Miene gelegen hatte, war ebenso bald verschwunden.

»Verwalter also,« sagte er halblaut vor sich hin, während seine Augen blitzten und um seine Lippen ein hämisches Lächeln zuckte. »Verwalter - warum nicht Herr? Was nicht ist, kann noch werden. Also Farnwald verlobt mit Doralice! komm nur allein, dann sollst Du meinen Segen haben. Sein Tod würde auch das Ende des Mädchens herbeiführen und dann wäre ich der Erbe.«

Das Hereintreten der Sklavin Ellen unterbrach sein Selbstgespräch, er fuhr wie in tiefer Bekümmerniß mit der Hand über die Stirn und sagte:

»Ach, gute Ellen, Du besorgst mir wohl frisches Wasser in das Fremdenzimmer, ich muß nothwendig Toilette machen.«

»Die Herrin sendet mich her, um mir Ihre Befehle geben zu lassen. Ist es sonst noch etwas, womit ich Ihnen dienen kann - wünschen Sie etwas zu genießen oder wollen Sie bis zum Abendessen warten?«

»Nichts, gar nichts weiter als frisches Wasser, gute Ellen, und lasse dann später mein Bett in Ordnung bringen, ich werde hier bleiben,« antwortete

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Warner mit größter Freundlichkeit und folgte der Dienerin nach seinem Zimmer.

Madame Dorst blieb bei Doralice und hielt die Zimmerthür verschlossen, während Warner sich unter der Veranda aufhielt, wo er auch nach dem Abendessen noch spät in der Nacht saß und seine spähenden Blicke nach der Straße gerichtet hielt. Der frühe Morgen traf ihn auch schon wieder dort, auf und nieder mit seinen Schritten die Gallerie messend, und nur während der Mahlzeiten erlaubte er sich in das Haus zugehen, in welcher Zeit einer der Neger für ihn Wache halten mußte, um ihn sogleich davon zu unterrichten, wenn ein Reiter sich dem Hause nahen würde. Der Tag aber verstrich und Farnwald war noch nicht erschienen, als schon die langen Schatten der Bäume an der Einzäunung bis zu dem Wohngebäude sich erstreckten.

Warner saß, in Gedanken versunken, gegen einen Pfeiler der Gallerie gelehnt, als plötzlich die eiligen Tritte mehrerer Pferde über die nahe Brücke dröhnten und gleich darauf sechs Reiter auf der Straße sichtbar wurden.

»Da kommt er,« stieß Warner aus, indem er aufsprang und die Hand in die Brusttasche seines Rockes schob, in der eine Pistole verborgen war, »aber er ist nicht allein - die Andern werden ihn hoffentlich an

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dem Thore verlassen - doch nicht - sie halten zusammen an - wollen sie Abschied nehmen? - nein, sie kommen Alle mit ihm herein - verdammt, das ist gegen die Rechnung!«

Wenige Augenblicke später hielten die Reiter vor dem Hause an, Farnwald mit Renard und noch vier Fremden, die sich unterwegs zu ihnen gesellt und beschlossen hatten, hier Nachtquartier zu beziehen, wie dies die in diesem Lande herrschende Gastfreundschaft ihnen erlaubte. Sie waren sämmtlich abgestiegen, während Warner, mit der Hand in der Brusttasche, sich an der Treppe, die auf die Veranda führte, aufgestellt hatte.

Als Farnwald im Begriff stand, dieselbe zu ersteigen, rief ihm Warner zu:

»Zurück von dieser Schwelle, Herr Farnwald, nie im Leben dürfen Sie dieselbe wieder betreten. Ich theile Ihnen dieses im Namen der Madame Dorst und in dem meinigen mit, da ich von deren verstorbenem Gatten zum Bevollmächtigten und Verwalter über sein Vermögen eingesetzt bin. Bei dem Hausrechte, welches mir zusteht, fordere ich Sie nochmals auf, die Schwelle nicht zu betreten und sofort dieses Eigenthum zu verlassen,«

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»Das erwarte ich von Madame Dorst, der Eigenthümerin selbst zu hören, ich werde hier bleiben, bis Sie dieselbe von meiner Ankunft benachrichtigt haben,« antwortete Farnwald, indem er seine Blicke scharf auf die Hand Warners geheftet hielt, um die leiseste Bewegung zu gewahren, zugleich aber auch den Griff eines seiner Revolver im Gürtel erfaßt und den Hahn aufgezogen hatte.

»Nehmen Sie die Hand aus Ihrer Brusttasche, Herr!« rief Renard jetzt, indem er seine Doppelflinte spannte; »Sie wissen, was es in diesem Lande heißt, in solcher Weise zu einem Manne zu reden und die Hand dabei im Busen zu verbergen.«

Warner wurde leichenblaß und biß sich auf die Lippe, doch sah er ein, daß er es mit großer Uebermacht zu thun hatte und zog die Hand aus dem Rocke hervor.

»Madame Dorst hat mich ausdrücklich beauftragt, Ihnen, Herr Farnwald, zu sagen, daß sie Sie nun und nimmer wieder vor sich sehen will. Sie werden sich nicht gegen den Willen einer Dame in ihre Nähe drängen wollen?«

»Gehen Sie und sagen Sie Madame Dorst, ich wünschte dies von ihren eignen Lippen zu hören, dann

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würde ich sie nie wieder behelligen,« antwortete Farnwald in bestimmtem Tone und winkte Warner mit der Hand, zu gehen.

»Mit augenscheinlichem Widerstreben begab sich dieser nun in das Haus, während Farnwald mit seinen Begleitern bei ihren Pferden stehen blieben.

»Der Schurke hatte böse Gedanken,« sagte Renard; »es ist ein Glück, daß Sie nicht allein gekommen waren.«

»Ich würde ihm keinen Vortheil über mich eingeräumt haben, denn ich kenne ihn,« antwortete Farnwald, in großer Erschütterung und bleich nach dem Wohngebäude sehend.

»Das war der Vetter von dem erschossenen Schuft Dorst, ein eben so schlechter Kerl als dieser, der jetzt, wie es scheint, den Herrn hier spielen will. Ich danke für die Gastfreundschaft dieses Burschen, ich reite weiter,« sagte einer der Fremden.

»Der Gauner hält mir die Hand zu viel in der Rocktasche,« fiel ein anderer ein.

»Wer weiß, ob man sicher wäre, sein Pferd morgen früh wiederzufinden, es könnte heißen: es sei fortgelaufen,« bemerkte der dritte.

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»Zum Teufel mit der ganzen Dorst'schen Bande, auch ich bleibe nicht hier,« rief der vierte und schwang sich in den Sattel.

In diesem Augenblicke trat Warner aus dem Hause und sagte:

»Herr Farnwald, Madame Dorst läßt Sie noch einmal ersuchen, ihr Eigenthum sofort zu verlassen, sie wird Sie unter keiner Bedingung sprechen. Thun Sie jetzt, was Ihnen beliebt, gehen Sie an ihre verschlossene Thür und versuchen Sie selbst, eine Antwort zu erhalten, wenn Sie es nicht anders wollen.«

»Kommen Sie, Farnwald, fassen Sie sich, die Leute sind der Gefühle nicht werth, die Sie für sie hegen. Schnell zu Pferd und fort. Sie reiten mit nach meinem Hause, dort wollen wir das Weitere bereden,« sagte Renard, indem er seinen Arm um den Freund schlang und ihn nach seinem Hengste zog.

Schweigend hob derselbe sich in den Sattel, warf mit blutendem Herzen noch einen Blick nach dem Hause und folgte mit Renard den vier fremden Begleitern, die im Davonreiten dem noch unter der Veranda stehenden Warner mit Flüchen ihren Abschied zuriefen.

Die nächste Farm war nur wenige Meilen von hier entfernt und die Nacht war kaum hereingebrochen,

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als die Reiter ihre todtmüden Pferde vor der rohen Einzäunung anhielten, die das an der Straße gelegene Blockhaus umgab.

»Hallo!« rief Renard nach dem Gebäude hin, aus welchem durch die nicht verschlossenen Fugen zwischen den aufeinandergelegten Baumstämmen, aus denen es errichtet war, das Licht eines hellflackernden Kaminfeuers hervordrang.

Ein junger Mann in Hemdärmeln erschien in der Thür und sagte, indem er die Hand über die Augen hielt, um besser in der Dunkelheit sehen zu können:

»Nur immer näher, gentlemen, hängen Sie die Zügel Ihrer Pferde an die Einzäunung und bringen Sie Sattel und Gepäck hier unter die Veranda, die Pferde will ich dann besorgen.«

Die Reiter folgten der freundlichen Einladung, schritten auf den treppenartig zu beiden Seiten der Einzäunung in die Erde versenkten Baumstümpfen über dieselbe hinüber und traten in das eine Zimmer, welches das Haus enthielt. Der Eigenthümer und seine hübsche junge Frau empfingen sie mit einem freundlichen Willkommen, rückten die drei hölzernen Stühle, die sie besaßen, bei das Kamin, errichteten vermittelst eines Brettes, welches sie auf zwei leere Mehlfässer legten,

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noch eine Bank und baten ihre Gäste, Platz zu nehmen.

Während der Wirth nun hinausging, um die Pferde in Sicherheit zu bringen und sie zu versorgen, beeilte sich seine Frau, das Abendbrod, zu dessen Bereitung das Feuer angezündet war, in größeren Portionen herzustellen. In einem sehr großen eisernen Topfe wurde der aus Maismehl, Milch und Eiern bereitete Teig zur Bereitung eines Brodes auf die Gluth gesetzt und dessen Deckel gleichfalls mit glühenden Kohlen bedeckt; in einer Pfanne von außergewöhnlich großem Umfange wurden Stücke mageren Specks gebraten und Eier hinzugefügt und damit war das Abendessen fertig. Die Frau deckte darauf einen, augenscheinlich aus den Brettern einer alten Kiste verfertigten Tisch, nett und sauber, stellte einen Teller mit frischer Butter, eine Schüssel mit gebratenen potatoes (süßen Kartoffeln), die sie aus der glühenden Asche im Kamin hervorholte, einen Napf mit Honigscheiben und einen Topf mit Milch darauf, und als ihr Mann wieder in das Zimmer trat, bat sie die Gäste, sich zu Tisch zu setzen, zu welchem Ende die Bank auf den Mehlfässern dorthin befördert wurde.

»Sie wohnen noch nicht lange hier?« fragte Renard den jungen Pflanzer, während die Frau den

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Kaffee einschenkte und den Gästen den Honig hinschob, um den Trank damit zu versüßen.

»Seit anderthalb Jahren; aber wir werden wohl unsere saure Arbeit hier umsonst gethan haben, denn ich kaufte dies Stück Land von dem Herrn Dorst, der sein verdientes Ende dort oben im Lande gefunden. Ich hatte es ihm kaum bezahlt, als ein gewisser Morting auftrat und behauptete, er habe ältere Rechte auf dies Land. Wir sind deshalb vor Gericht gewesen und ich werde wohl den Besitz gegen Zurückerstattung des Kaufpreises aufgeben müssen, wodurch ich mehr wie tausend Dollar einbüße, denn ich habe dem Herrn Dorst für die Miethe eines halben Dutzend Neger, die mir mein Feld von den Bäumen säuberten, Einzäunungen machen und mein Haus bauen halfen, schweres Geld bezahlt.«

»Dann können wir Ihnen eine frohe Nachricht bringen,« antwortete Renard, »der Herr Morting wird Ihnen das Land nicht mehr streitig machen, er ist gleichfalls oben im Lande erschossen.«

»Gott sei gelobt und gedankt!« rief der Pflanzer in freudiger Ueberraschung aus, »ein größerer Schurke hat niemals gelebt, als dieser abscheuliche Mensch; er hatte nicht mehr gerechten Anspruch auf dies Land, als

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mein Hund. Ist denn diese Nachricht aber auch wirklich wahr?«

»Vollkommen wahr; wir kommen direct von C***, wo er gestern Morgen begraben ist,« erwiederte Renard.

»So giebt es doch noch Gerechtigkeit in der Welt,« fiel die junge Frau ein, »wir hätten arm und hülflos hier abziehen müssen, und dennoch stimmte ich dafür, um aus der Nachbarschaft solcher gewissenloser Menschen fortzukommen; denn Morting und Dorst spielten unter einer Decke.«

Die beiden jungen Leute wußten nicht, was sie ihren Gästen, die ihnen so frohe Kunde gebracht hatten, Alles zu Gefallen thun sollten und hätten ihnen gern noch manches Andere aufgetischt, wenn sie es gehabt hätten. Wenn aber auch das Mahl einfach gewesen, so war es doch gern gegeben und durch heitere freundliche Gesichter der Spender gewürzt worden. Das Nachtlager wurde den Fremden auf dem Fußboden mit Häuten hergerichtet, dazu gaben die jungen Eheleute die Kissen aus ihrem eigenen Bette her, frühzeitig am andern Morgen erhielten die Gäste ein reichliches Frühstück, aus denselben Speisen bestehend, wie das Abendbrod, und dann bestiegen sie ihre wohlgefütterten Pferde und gaben beim Wegreiten dem Wirthe und seiner Frau

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ihren Dank als Zahlung, denn eine andere wollten dieselben, nach Landesbrauch, nicht annehmen.

Schon nachdem die Reiter wenige Meilen zurückgelegt hatten, trennten sich die vier Reisegefährten von Farnwald und Renard, und diese beiden zogen zusammen auf der Straße fort nach der Heimath des Letzteren, die sie zur Mittagszeit erreichten.

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Capitel 27.

Theilnahme. - Versuch. - Der Krieg. - Der Postmeister. - Das Streifcorps. - Geschenke. - Die Verpachtung. - Dir Briefkasteneiche. - Der Abschiedsbrief. - Schreck. - Errichtung der Compagnie.


Madame Renard empfing ihren Gast auf das Herzlichste und dieser freute sich, eine so reizende Frau als Lebensgefährtin seines Freundes kennen zu lernen, obgleich ihm dabei sein eignes trauriges Schicksal um so härter und verzweifelter erschien.

Anäis, die Tochter Renards, die er nur als Kind gekannt hatte, war zur eleganten blühenden Jungfrau herangewachsen und bot all ihre Liebenswürdigkeit auf, um sich dem alten Bekannten und Freunde ihres Vaters aufmerksam zu zeigen, während Renard selbst sein Möglichstes that, ihn zu zerstreuen und die Erinnerung an das herbe Schicksal, das ihm als Lohn für seine aufopfernde Freundschaft zu Theil geworden war, zu verscheuchen. Früh Morgens ritt er mit ihm durch die üppigen Baumwollen- und Maisfelder und forderte

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bald hier, bald dort seinen Rath. Nach dem Frühstück wurde die wohlbesetzte Bibliothek benutzt, um durch Vorlesen die Zeit angenehm hinzubringen, Nachmittags pflegte man bei dem Genusse einer kostbaren Havanahcigarre der Ruhe in der Hängematte, bis die Sonne niedrig am Himmel stand und die beiden Freunde, in Begleitung der Damen zu Pferde, die nahen Wälder durchstreiften. Abends, wenn die frische Nachtluft wohlthuend durch die offnen Thüren und Fenster des reich und prachtvoll ausgestatteten Salons wehte und der Hausherr nebst seiner Gattin und seinem Gaste sich in den Sophas der Erquickung hingaben, entlockte Anäis dem herrlichen Piano die süßesten Weisen, oder begleitete ihre Lieder, die sie mit bezaubernder Meisterschaft und Lieblichkeit vortrug. Eine Abgabe hatte dagegen Farnwald seinem Freunde jeden Abend zu zahlen: es war ein Spiel Schach, welches er regelmäßig an ihn verlor und bei dessen Ende Renard jedesmal in wahres Entzücken gerieth.

So sehr sich aber auch diese liebvolle Familie bemühte, Farnwald zu erheitern und ihm seinen Verlust vergessen zu lassen, so stand derselbe doch Tag und Nacht wie ein Gespenst vor seiner Seele und tödtete jeden aufkeimenden heitern oder fröhlichen Gedanken. Nicht, daß er sich in Klagen oder in Unmuth ergossen

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hätte, dazu war sein Charakter zu fest und das Schicksal hatte ihn schon zu oft von mühsam erklommenen Höhen des Glücks und der Ruhe plötzlich wieder herabgestürzt. Widerwärtigkeit und Täuschung war ihm nicht mehr neu und seine Kraft, ihnen zu widerstehen, ihnen zu trotzen, war gestählt. Er ging in sich gekehrt, dachte an die Zeit zurück, in der er vor den Menschen in die Wildniß geflohen war, und machte sich selbst Vorwürfe über seine Schwäche, abermals dem Lächeln des Geschicks getraut und sich der Hoffnung auf ein höheres Lebensglück hingegeben zu haben, welches er in der Vereinigung mit einem Wesen erblickte, zu dem er durch des Herzens Stimme sich so unwiderstehlich hingezogen fühlte.

Es schien ihm in das Buch seines Lebens eingeschrieben zu sein, daß ihm dies Glück nimmer werden sollte, und dennoch konnte er den Gedanken daran nicht aufgeben, er konnte es sich so leicht nicht entreißen lassen; Doralice selbst hatte sich ja noch nicht von ihm losgesagt. Er mußte sie noch einmal sehen, noch einmal sprechen, oder wenigstens schrifttich noch einmal von ihr hören.

Nach mehreren Tagen der Berathung mit Renard beschloß Farnwald, an Doralice zu schreiben, sich bei ihr wegen der Befreiung Roberts zu rechtfertigen und

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sie um eine Zusammenkunft oder mindestens um einen Brief zu bitten. Renard wollte das Schreiben selbst zu Dankward tragen und dasselbe durch ihn persönlich in Doralices Hand geben lassen.

Farnwald schrieb; seine Liebe, sein Schmerz, seine Hoffnung standen mit brennenden Worten auf dem Papiere, es wurde versiegelt und durch Renard selbst dem Postmeister Dankward übergeben.

In spannender Ungeduld verbrachte Farnwald einige Tage ohne eine Antwort, ohne ein Lebenszeichen von der Geliebten zu erhalten, Renard ritt abermals zu dem Postmeister und brachte die Nachricht zurück, daß es demselben trotz aller Bemühungen noch nicht gelungen sei, Doralice zu sehen, daß er aber neue Versuche dazu machen wolle. Abermals eilten einige Tage ohne Nachricht dahin und Renard ritt wieder zu Dankward. Dieser hatte, da er Doralice durchaus nicht ansichtig werden konnte, den Brief un Ellen, die Dienerin, gegeben, die ihm sicher versprochen hatte, denselben ihrer jungen Herrin einzuhändigen. Es kam keine Antwort. Noch ein anderer Versuch wurde gemacht, um Doralice durch den jungen Farmer, bei welchem die beiden Freunde auf ihrer Herreise übernachtet hatten, ein Schreiben zustellen zu lassen, welches gleichfalls erfolglos blieb, da Warner ihn, so wie alle andere Fremde

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selbst empfing und abfertigte, ohne daß die Damen sich sehen ließen.

Farnwalds Sorge und Schmerz steigerte sich von Tag zu Tag und es gab Augenblicke, in denen er verzweifeln wollte; sein Glaube an Doralices Liebe aber gab ihm stets wieder neue Hoffnung, wenn er auch die Zeit nicht bemessen konnte, in der dieselbe in Erfüllung gehen würde. Er hoffte, daß es der Geliebten zuletzt doch noch gelingen werde, den Zorn ihrer Mutter zu besänftigen und sie von seiner Schuldlosigkeit zu überzeugen. Zugleich aber fühlte er, daß, wenn dies nicht bald geschähe, er in dieser Weise nicht fortleben könne, da das einförmige alltägliche Leben ihm zu viel Zeit lasse, über sein Schicksal nachzudenken. Es bedürfte großer Veränderungen, schwieriger Unternehmungen, die seine ganze Thatkraft in Anspruch nahmen, um die Vergangenheit abermals in der Beschäftigung, in dem Dränge der Gegenwart, wenn auch nicht zu vergessen, doch die Erinnerung daran zu betäuben, und das war es, was neben der Sehnsucht nach der Geliebten seinen Geist augenblicklich rastlos beschäftigte.

Er dachte an die Wildniß, dachte daran, seine Besitzung zu vermiethen, abermals hinaus in die Indianergebiete zu ziehen und sich dem wilden gefahrvollen Frontierleben wieder ganz hinzugeben; aber der Reiz

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der Neuheit, der ihn damals angespornt und ihn alle Beschwerden, alle Entbehrungen hatte vergessen lassen, fehlte jetzt, er wußte vorher, wie Alles kommen würde und erblickte keine Zerstreuung, keinen Genuß in diesem Wechsel.

Mit Renard hielt er lange Beredungen über diese nothwendige Aenderung in seiner Lebensweise, und wiederholt äußerte er, daß, wenn ihm alle Aussicht auf eine Wiedervereinigung mit Doralice genommen würde, er Willens sei, in die Armee unter General Taylor einzutreten, da er in dem Kriegsleben das sicherste Mittel sähe, die Erinnerung an sein herbes Schicksal zu bekämpfen.

Renard suchte diesen Gedanken mit aller Kraft bei ihm zu unterdrücken und rieth ihm, sein Eigenthum zu verpachten und herunter in seine Nähe zu ziehen, um sich in dem geselligen und gesellschaftlichen Umgange zu zerstreuen, indem er sich zugleich erbot, ihm ein Stück seines eignen Landes zu überlassen, auf dem er sich nach Gefallen ansiedeln möge; Farnwald aber, so sehr er seinem Freunde und dessen Familie zugethan war, konnte in diesem Vorschlage keine Aussicht zur Beruhigung oder Betäubung seines Gemüthes erkennen.

Eines Nachmittags saßen sie Alle noch beim Kaffee, als der Postbote vorritt und Briefe und Zeitungen für

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Renard abgab. Dieser öffnete schnell die Briefe, welche von Geschäftsfreunden in New Orleans kamen und Nachrichten über günstige Verlaufe von Baumwolle meldeten.

»Die Wolle geht höher; das kann zum Anfange ein gutes Jahr geben, wenn ich nur solche Preise für meine Ernte bekomme,« sagte er, indem er die Briefe neben sich auf das Sopha legte und eine der Zeitungen ergriff, wie es Farnwald schon vor ihm gethan hatte.

Eine Weile wurde das Schweigen der um den Tisch Sitzenden durch Nichts unterbrochen, als durch das Geräusch, welches Madame Renard beim Einschenken des Kaffees verursachte, denn Anäis hatte ein Modejournal aufgenommen und sah nach, was es Neues in dieser Richtung gab.

»Das scheint doch jetzt Ernst zu werden mit unserm Kriege gegen Mexico, hier wird gesagt: General Taylor würde in der Kürze auf Matamoros marschiren; es werden Freiwillige aufgerufen, sich unter seine Fahnen zu reihen,« sagte Farnwald nachdenkend.

»Schlagen Sie sich das aus dem Sinn, lieber Farnwald,« erwiederte Renard.

»Es wird wohl zuletzt doch dahin kommen, daß ich mich entschließe, mitzuziehen.«

»O, pshaw, (Possen)!« das wäre noch toller wie toll, - so ohne allen Zweck sich den Mühseligkeiten und Gefahren des Krieges auszusetzen!«

»Zweck wäre wohl dabei, es hat schon manches kranke Herz Ruhe unter Kanonendonner gefunden. Es war einmal früher mein Scherzwort, daß es für ein Männerherz nur zwei schöne Todesarten gebe: die, in den Armen eines liebenden weiblichen Wesens und die, vor der Mündung eines feindlichen Geschützes. Aber in diesem Scherz liegt doch viel Wahrheit; es sind beides Momente höchster Begeisterung und beide eines Mannes würdig.«

»Die erste Todesart mag Ihnen in recht hohem Alter zu Theil werden, das wünsche und hoffe ich von Herzen; was die andere anbetrifft, so überlassen Sie diese den Hunderttausenden von Taugenichtsen, womit die Vereinigten Staaten gesegnet sind; sie sind vortreffliches Kanonenfutter,« erwiederte Renard auflachend und Farnwald schwieg, der Zeitungsartikel aber hatte seinem früheren Gedanken, in die Armee einzutreten, neue Nahrung gegeben.

Beinahe drei Wochen waren verstrichen, Farnwald hatte nicht die mindeste Nachricht von Doralice erhalten, und das stille einförmige Leben hier in der Nähe der ihm entrissenen Geliebten wurde ihm unerträglich. Er

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beschloß, nach, Hause zu reisen, ohne über einen neuen Lebensplan mit sich einig geworden zu sein.

So sehr Renard auch in ihn drang, seinen Aufenthalt bei ihm zu verlängern, so ließ er sich doch nicht mehr halten und sagte ihm und den Seinigen herzliches Lebewohl.

Es war noch früh am Morgen, als Farnwald sein Pferd bestieg und der Straße am Flusse hinauf folgte. Schweren Herzens näherte er sich mehr und mehr dem Orte, wo das Glück seiner ganzen Zukunft aufgegangen, doch auch schon im Keimen wieder vernichtet war. Es zog ihn mit gewaltigen Armen dorthin, und doch war er entschlossen, vorüberzureiten. Schon sah er ihm bekannte Punkte hier und dort aus der Landschaft hervortreten, die er in Begleitung des unvergeßlichen, theuern Mädchens besucht hatte, schon tauchten die hohen Baumgruppen vor der Wohnung der Geliebten aus der Ferne auf, und mit jedem Tritte des Pferdes schlug Farnwalds Herz ungestümer. Aber selbst der Anblick des Einfahrtsthors unter jenen Bäumen, welches nun bald in kurzer Entfernung sichtbar wurde, konnte seinen Entschluß nicht ändern, krampfhaft drückte er dem Schimmel die Sporen in die Seiten, sprengte vorüber, und bald darauf erschallten dessen Huftritte laut und dröhnend auf der Brücke.

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Sollte Doralice diesen Ton nicht hören - , sollte sie ihn nicht erkennen?

An der andern Seite der Brücke hielt er sein Pferd zurück, es war ihm, als müßte ihm Jemand folgen, ein Bote von Doralice ihn in ihre Arme zurückrufen, - doch Niemand erschien, um ihn in seinem langsamen Vorwärtsreiten aufzuhalten. Links ging der Pfad ab zu dem Postmeister, dem Farmer Dankward, - es wäre ja möglich gewesen, daß Briefe von Haus für ihn dort niedergelegt waren - vielleicht auch einer von Doralice!

Im Trabe bog er schnell in den Weg ein und fand den Postmeister vor der Thür beschäftigt, ein hölzernes Sattelgestell, einen sogenannten Bock, mit Schweinshaut zu überziehen.

»Guten Morgen, Herr Dankward! sind Briefe für mich hier?« rief er dem Farmer zu, der, den Gruß erwiedernd, zu ihm aufblickte und mit dem Kopfe schüttelnd antwortete:

»Nein, Herr Farnwald, keiner hier!«

»Wie geht es denn drüben in dem Hause bei Dorsts?«

»Bei Dorsts? bei Warner wollen Sie sagen, von Dorsts ist keine Spur mehr dort vorhanden?«

»Wie so, Herr Dankward?«

»Nun, die Madame mit ihrer Tochter ist abgereist und zwar schon vor einer Woche; wie man sagt, auf Nimmerwiederkehren.«

»Wissen Sie wohin?« fragte Farnwald in größter Ueberraschung und Bewegung.

»Das weiß Niemand, als vielleicht, oder wahrscheinlich der Herr Warner, der jetzt die Besitzungen der Wittwe verwaltet; man glaubt aber, sie seien nach Mexico auf ihre dortigen Güter gezogen. Der Herr Vetter wird wohl verwalten, bis er das ganze Vermögen in seiner eigenen Tasche hat; er spielt jetzt schon den Herrn,« antwortete der Postmeister.

Farnwalds Herz erbebte bei diesen Worten und ein Krampf schien ihm seine Brust zusammenzuschnüren.

»Leben Sie wohl, Herr Dankward,« sagte er nach einer Weile des Schweigens und griff die Zügel seines Pferdes wieder auf, um nach der Straße zurückzureiten, als der gutmüthige Pflanzer zu ihm sagte:

»Haben Sie einen chill (Anfall von Fieberfrost), Herr Farnwald? Sie sind ja ganz weiß geworden, steigen Sie ab und kommen Sie herein, bis das Fieber vorüber ist; so dürfen Sie keinenfalls weiter reiten. Meine Frau soll Ihnen Thee von der Wurzel des Tulpenbaumes kochen, das ist ein besseres und sichereres Mittel, als das abscheuliche Chinin, nach welchem einem

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die Ohren singen, als ob man eine ganze Regimentsmusik im Kopfe hätte. Kommen Sie nur schnell vom Gaul und auf das Bett, Sie bekommen das Schütteln.«

»Es wird wohl vorüber gehen; herzlichen Dank für Ihre Freundlichkeit, Herr Dankward, ich darf mich nicht aufhalten,« antwortete Farnwald, indem er dem Farmer, der zu seinem Pferde getreten war, die Hand reichte.

»Nun, wie Sie wollen, wer nicht hören will, muß fühlen. Wenn Sie aber das Schütteln packt, sollen Sie wohl bald von Ihrem Tanzmeister da herunter sein und sich ein Plätzchen an der Straße zum Lager wählen. Ich kenne das; es faßt mich jedes Jahr einige Male.«

Farnwald dankte nochmals dem gutmüthigen Manne und lenkte sein Pferd wieder zurück in den Weg nach Hause.

So unerträglich ihm der Aufenthalt in der Nähe der Geliebten geworden war, so schrecklich war ihm nun der Gedanke an die große Entfernung, die sie von ihm trennte. Jetzt konnte weder der Zufall, noch seine Bemühung ihn wieder zu ihr führen, ihr Verlust schien ihm größer und sicherer als früher, und der Entschluß, mit der Armee nach Mexico zu ziehen, stand ernster vor seinen Gedanken.

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Schweren Herzens zog er auf der Straße dahin, er kümmerte sich nicht um den Gang seines Pferdes, er fühlte nicht die Gluth der Sonnenstrahlen, die senkrecht auf ihn niederbrannten. Das Thier aber kannte seine Pflicht und beeilte sich aus eignem Antriebe, das Nachtquartier zu erreichen. Ohne einmal abzusatteln, ohne sich selbst oder seinem Roß irgend eine andere Erfrischung zu gewahren, als die, welche die klaren Bergwasser boten, legte Farnwald Meile auf Meile zurück, und die Sonne stand noch, ein rother Feuerball, über den fernen eisigen Höhen der Gebirge, als er aus einem dichten hohen Urwalde hervoreilte und die weißangestrichenen hölzernen Häuser des Städtchens L*** vor dem dunkeln Andreasberge, der sich unmittelbar hinter ihnen erhob, in dem Abendlichte freundlich und zur Ruhe einladend, zu ihm herüberglänzten.

Mit gesenktem Kopfe und seinen breiten Hals schüttelnd, schritt der ermüdete Hengst in der staubigen Straße zwischen den Häusern hin, aus welchen seinem Reiter wiederholt freundliche Grüße zugewinkt wurden, und hatte bald darauf das Gasthaus erreicht, aus dem das laute Schnauben des Thieres, womit es den Staub aus seinen rothen Nüstern bließ, den Wirth hervorrief,

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um den angekommenen Gast zu bewillkommnen und ihm sein Gepäck abzunehmen.

»Siehe da, Herr Farnwald, so eben ist in dem Zimmer die Rede von Ihnen,« sagte Fantrop, indem er ihm die Hand zum Empfange reichte, »die Jeffersons und mehrere junge Burschen aus ihrer Nachbarschaft sind drinnen, und erzählen die famose Geschichte von der Befreiung Robert Swartons durch die Indianer, wobei auch Ihr Name genannt wurde.«

»Mein Name? der hat nichts mit der Geschichte zu thun, das ist ein Irrthum,« antwortete Farnwald, indem er seine Decke, Satteltasche und Pistolenholfter vom Sattel zog.

»Geben Sie mir Ihre Sachen, ich will sie gleich auf Ihr Zimmer tragen, und gehen Sie hinein, man wird sich über Ihre Ankunft freuen,« sagte der Wirth, nahm seinem Gaste das Gepäck ab und übergab dem herzugetretenen Neger das Pferd mit den Worten:

»Du legst noch einen Baum zwischen ihn und die andern Pferde, giebst ihm jetzt nur Maisblätter in die Raufe und reibst ihn, bis er trocken ist. Herr Farnwald wird selbst nachsehen, ob Du es gut gemacht hast. - Du weißt, er versteht keinen Spaß.«

»Bei unsrer alten Hausbibel, da kommt Farnwald selbst!« rief der älteste der zwei Brüder Jefferson

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diesem aus dem hintern Zimmer des Gasthauses entgegen und sprang mit einem freudigen Willkommen auf ihn zu. »Wir haben so eben Ihren Indianerspaß verhandelt. Der Streich ist nicht mit Gelde zu bezahlen; wenn ich nur hätte dabei sein können.«

»Auch ich war nicht dabei, lieber Jefferson, ich hätte es auch gern mit angesehen,« antwortete Farnwald.

»Ho, ho!« lachten jetzt jener und alle seine Gefährten laut auf und drängten sich jubelnd um den Angekommenen, um ihn zugleich zu begrüßen.

»Nur einmal heraus mit der Sprache, Sie müssen uns die Geschichte erzählen; was haben denn die Kerls aus der County da unten für Gesichter gemacht, als ihnen die Perrücken vom Kopfe gezogen wurden?« brach Jefferson abermals mit schallendem Gelächter los.

»Ich wiederhole es Ihnen, ich war nicht dabei und wenn ich es gewesen wäre, so würde ich es nicht erzählen,« antwortete Farnwald, nahm seinen großen Filz ab und ließ sich mit den Worten:

»Das war ein heißer Ritt,« auf den Stuhl nieder.

»Haben Sie schon gehört, daß Freiwillige aufgefordert werden, in die Armee unter General Taylor zu treten? Ich habe den Aufruf in einer New Orleans Zeitung gelesen,« fuhr er nach einer Weile fort.

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»Der New York Herald hat einen gleichen erlassen,« antwortete Harry Jefferson; »schon vor acht Tagen hatten wir die Zeitung hier. Es wird viel davon im Lande gesprochen, hier eine Compagnie berittener Schützen für Taylor zu bilden und zwar Söhne aus den besten Familien haben sich bereit erklärt, einzutreten; es fehlt aber noch an Jemanden, der die Sache ernstlich anregt.«

»Auch ich habe daran gedacht, unter Taylors Fahnen Dienste zu nehmen,« sagte Farnwald vor sich hinblickend.

»Sie, Herr Farnwald, beim Himmel, dann zieht die ganze Gegend mit! Ist das Ihr Ernst?«

»Mein völliger Ernst, ich bin ziemlich fest dazu entschlossen.«

»Wenn Sie unser Hauptmann sein wollen, so treten sämmtliche junge Leute aus unserm settlement ein und verlassen dürfen Sie sich auf uns. Verdammt, wo wir weggehen, da braucht Taylor keine andere hinzusenden. Hundert Mann sind sofort zusammen, alle Burschen, die an der Frontier groß geworden sind. Dürfen wir es bekannt machen, daß Sie mitgehen wollen?«

»Sie können mich beim Wort halten, ich trete bei,«

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antwortete Farnwald fest entschlossen, worauf die Angelegenheit ernsthaft besprochen wurde.

Die Kunde von Farnwalds Entschluß verbreitete sich rasch in dem Städtchen, die Versammlung mehrte sich schnell und bald waren beide Gastzimmer mit Männern angefüllt.

Einstimmig erklärte man, daß Farnwald zum Hauptmann gewählt werden würde und bat ihn, die nöthigen Schritte zur Errichtung der Compagnie zu thun. Er setzte auf acht Tage später eine Zusammenkunft in diesem Hause an, wobei sich alle diejenigen einfinden sollten, die einzutreten gesonnen wären und die anwesenden jungen Leute übernahmen es, dies allenthalben im Lande bekannt zu machen.

Dabei wurde den Getränken des Wirths fleißig zugesprochen und auf gute Kameradschaft getrunken. Noch lange, nachdem Farnwald sich auf sein Zimmer begeben und sich zur Ruhe gelegt hatte, dauerte der Lärm und der Jubel in der Gaststube fort.

Nach einem sehr zeitigen Frühstück, als Farnwalds Pferd vorgeführt wurde, sammelten sich seine künftigen Kriegskameraden um ihn und begrüßten ihn zum Abschiede als ihren künftigen Hauptmann. Dann eilte er, mit neuer Thatkraft beseelt, seiner Heimath zu, die er zur Mittagszeit erreichte.

Milly theilte ihm bei seiner Ankunft mit, daß ein Indianer schon mehrere Male nach ihm gefragt habe, aber immer, wenn er vernommen, daß Farnwald noch nicht zurückgekehrt, gleich wieder verschwunden sei; noch während die Quadrone darüber sprach, hielt der besagte Wilde, welcher kein anderer, als der versprochene Bote Kiwakias war, wieder vor dem Hause, band sein Pferd und ein Maulthier an die Einzäunung und schritt dann dem Hause zu.

Farnwald empfing ihn freundlich, theilte ihm aber mit, er müsse sich noch einige Zeit geduldigen, da er selbst erst nach dem Städtchen reiten wolle, um die Geschenke zu holen, was dem Wilden einleuchtete. Dieser sagte ihm, daß er seit seiner Ankunft in dem Walde an der andern Seite des Flusses gelegen habe, von wo er das Haus habe im Auge halten können, um sich sogleich nach Farnwalds Rückkehr bei ihm zu zeigen.

Der folgende Tag wurde nun von Farnwald benutzt, die versprochenen Geschenke in C*** einzukaufen und zugleich vielerlei Bedürfnisse für sich selbst anzuschaffen, die ihm für seine bevorstehende Unternehmung nöthig schienen. Zu diesem Ende begleitete ihn Addisson mit einem Maulthiere, der die eingekauften Sachen nach Hause befördern mußte, während Farnwald auf seinem

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Heimwege bei Swartons vorritt, in der Hoffnung, Georg Blanchard daselbst zu treffen.

Dort war er ein sehr willkommener Gast, zumal, da er Kunde von Roberts Wohlergehen brachte, und Madame Swarton und Virginia versprachen, zeitig am folgenden Morgen verschiedene Gegenstände nach seinem Hause zu senden, um sie für Robert der Ladung des Packthiers beizufügen.

Georg Blanchard war, wie es Farnwald vorausgesehen hatte, bei seiner schönen Braut, glücklich wie diese, denn sie liebten einander innig und aufrichtig und es gab Nichts in der Welt, was ihrem Glücke störend entgegengetreten wäre.

Farnwald benutzte einen Augenblick, als er mit Georg allein war, ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit seinen Entschluß, Dienste unter Taylor zu nehmen, mitzutheilen. Dieser wurde davon sehr überrascht, aber auch schmerzlich berührt, denn Georg und seine ganze Familie hing mit unbegrenzter Freundschaft und Dankbarkeit an Farnwald. Zugleich schlug derselbe vor, ihm für ein Jahr seinen Platz mit allem Inventar zu verpachten, da er doch Virginia bald zu seiner Frau machen würde und ihm dann eine eigne Wirthschaft willkommen sein müsse. Auch wies er darauf hin, daß Swartons Besitzung nun bald dem

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Bevollmächtigten der Wittwe Dorst überwiesen werden würde und die Familie dann bei ihm eine vorläufige Heimath finden könne.

Wenn Georg nun auch der Gedanke an Farnwalds Entfernung schmerzlich war, so konnte ihm doch der Vorschlag unter den obwaltenden Umständen nur annehmbar sein, denn dessen Wohnung war bei weitem die schönste in der ganzen Gegend, und seine Ländereien unbestritten die ergiebigsten weit und breit.

»Sagen Sie vorläufig Niemandem etwas davon und überlegen Sie es sich, aber bald muß ich Antwort haben,« sagte Farnwald zu Georg, als er mit ihm in das Zimmer zurückging, sich bei der Familie verabschiedete und dann eiligst den Heimweg antrat.

Beim Abendbrod war der Wilde sein Gast, der allerdings nicht das Unterhaltende bot, wie es bei Kiwakias Besuch mit den beiden schönen Indianerinnen der Fall gewesen war, doch derselbe gehörte zu den Braven, die ihm mit Gefahr ihres Lebens beigestanden hatten, und so war er der vollsten Gastfreundschaft werth. Nachdem der Comantsche mit Hülfe seiner beiden Hände sich tüchtig satt gegessen, gab ihm Farnwald eine Cigarre und deutete ihm an, er möge es sich auf seiner Büffelhaut auf dem Fußboden bequem machen, doch der Wilde holte tief Athem, ahmte mit seiner Hand den

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Schlag seines Herzens nach und sagte: es sei ihm hier zu eng, er wolle nach seinem Lager im Walde gehen, um freier Luft schöpfen zu können.

Als er Farnwald verlassen hatte, setzte dieser sich an den Schreibtisch, um Robert Nachrichten von den Seinigen mitzutheilen und namentlich ihn von seinem Entschlüsse, sich selbst zu der Armee zu begeben, in Kenntniß zu setzen. Er forderte ihn auf baldigst bei Nacht zu seinen Eltern zurückzukehren, um sich zeitig auf dem noch zu bestimmenden Sammelplätze der Compagnie einzufinden.

Am folgenden Morgen wurde nun das Maulthier des Indianers bepackt: Gepreßter Kautaback, der zugleich fein geschnitten zum Rauchen verwendet wird, war ein Hauptgegenstand unter den Geschenken, dann befanden sich mehrere rothe und blaue wollene Decken darunter, und Spiegel, Zinnober, Perlen, Würfel, Nähnadeln, Messer, Beile und eine Menge anderer Kleinigkeiten, auf welche die Indianer Werth legen, machten den Rest derselben aus. Auch fügte Farnwald einen Sack mit Maismehl und einen solchen mit Schiffszwieback bei.

Bill Swarton traf noch zur rechten Zeit ein, um die Sendung seiner Mutter für Robert der Ladung einzuverleiben. Farnwald bezeichnete dem Indianer diesen Ballen

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als das Eigenthum Roberts, gab ihm seinen Brief an denselben, so wie auch diejenigen, welche Bill von seiner Familie für ihn mitgebracht, versah den Wilden mit einigen Cigarren und nach einem herzlichen Händedruck bestieg der Comantsche sein Pferd und verschwand bald darauf, von dem Maulthier gefolgt, in dem Walde.

Tausend Vorrichtungen und Bestimmungen drängten sich jetzt Farnwalds Ueberlegung auf, doch rasch und entschieden ordnete er sie alle in Gedanken mit der ihm früher eignen Energie und Entschlossenheit, und schritt leicht über jedes vor ihm aufsteigende Hinderniß hinweg. Beschlossen war es die jetzige Lebensweise abzuschließen, um eine ganz neue zu beginnen, und Alles dagegen Sprechende wurde aus dem Wege geräumt. Die noch übrige Zeit vor Tisch brachte er, in Gedanken seinen Einrichtungen nachhängend, in den schattigen Wegen des Gartens zu, Nachmittags schrieb er an Renard, und theilte ihm seinen unabänderlichen Entschluß, in die Armee einzutreten, mit. Zugleich sagte er ihm, daß er Milly, seinen alten Hengst und Joe während seiner Abwesenheit unter seine Obhut zu stellen wünsche und erbat sich für sie seine Fürsorge.

Diesen Brief hatte er beendigt, geschlossen und in seine Brusttasche gesteckt, als Addisson den Schimmel

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vorführte und Farnwald ihn bestieg, um das Schreiben in den nächsten Briefkasten zu tragen.

Die Sonne war schon im Scheiden, als er einer der vielen Spuren folgte, die von den Ochsenwagen, womit die Farmer ihre Baumwolle dem nächsten Landungsplatze der Dampfböte1 zuführen, nach allen Richtungen hin durch die Prairie geschnitten waren, aber, in dem bald erreichten hohen Walde sich zusammendrängend, eine rohe Straße bildeten, welche zwischen den Riesenstämmen hin[-] und herbog und sich nur hier und dort vor den Stümpfen abgehauener Bäume theilte, um diese zu beiden Seiten zu umgehen.

Die Waldluft empfing Farnwald frisch und erquickend, sie war mit dem Dufte tausendfältiger Blüthen gewürzt und ihr leichter Hauch bewegte zitternd die Blätter der Aspen und die zarten Ranken der, von den hohen Aesten herabhängen[den], Schlingpflanzen. - Es war ein wundervoller Abend; die saftblätterigen, immergrünen Baum- und Straucharten hatten schon im Schatten die Farbe der Nacht angenommen, während die mächtigen Platanen ihre schlanken hellgrünen Arme der scheidenden Sonne entgegenstreckten und ihre schwindelnd hohen Spitzen gegen den Himmel erhoben, der jetzt in allen Schattirungen des Karmins und des Goldes glühte. Adler, Silberreiher und Flamingos

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zogen mit ruhigem Flügelschlage ihrem Nachtlager zu, und die Sänger des Waldes ließen in immer mehr abgebrochenen Weisen, als würden sie vom Schlummer überwältigt, ihre Abendlieder ertönen.

Farnwald hatte dem Pferde die Zügel auf den Hals gelegt und ließ ihm nach Belieben das Geleise verfolgen, das zu dem Ziele seines Rittes, zu dem Briefkasten führte, der ungefähr eine Meile weit in den Wald hinein an einer uralten, ungeheuern immergrünen Eiche in der Höhe eines Reiters angenagelt war, und zu welchem der Postbote, der jetzt in der Stelle Dutch Charleys die Briefe auf dieser Straße hin und her zu befördern hatte, den Schlüssel führte.

Farnwald war tief in Gedanken versunken; er dachte mit blutendem Herzen an Doralice, hieß die Zerstreuungen, die Gefahren des bevorstehenden Krieges willkommen, blickte zurück nach seiner alten Heimath, nach Deutschland, und lebendig und frisch stand das Bild seiner frühen Jugend zugleich mit dem seines sturmbewegten späteren Lebens vor seiner Seele. Seine trüben Betrachtungen ließen ihn die zauberische Umgebung nicht beachten; er sah nicht die glühenden Blitze, womit die Sonne ihre letzten Strahlen durch den dunkeln Wald schoß, er hörte nicht den Abschiedsgruß, den die Vögel mit leisen süßen Melodien dem scheidenden

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Tage zuriefen, er bemerkte nicht das melancholische Willkommen, das der Whippoorwill und die Eulen der heranziehenden Nacht boten; seine Brust jedoch athmete frei und seine Pulse schlugen voll und bewegt, wie es an einem Abende unter Palmen, Cypressen und Magnolien dem Menschen vergönnt ist.

Das Stillstehen des Hengstes, der das Ziel dieser Ritte wohl kannte, weckte Farnwald aus seinen Träumereien und ließ ihn bemerken, daß er unter der Briefkasteneiche angelangt sei, an deren knorrig verwachsenen Wurzeln sich das Pferd die zartesten Gräser suchte.

Er zog den Brief aus der Tasche hervor und streckte ihn nach dem Briefkasten hin, um ihn hineinzuwerfen, als von der nächsten Biegung der Straße in nicht großer Entfernung eine Stimme ihm zurief:

»Halten Sie an, Herr Farnwald! Sie können mir den Brief gleich geben und dagegen den, welchen ich für Sie bei mir habe, in Empfang nehmen.«

Es war der neue Postbote, der nach wenigen Augenblicken seinen Pony neben Farnwald unter der Eiche anhielt.

»Sie haben einen Brief für mich?« fragte dieser denselben mit sichtbarem Interesse.

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»Ja wohl, er kommt von New Orleans,« erwiederte der Postbote, indem er seine lederne Tasche aufschnallte.

»Ich soll ihn eigentlich in der Postoffice in C*** abgeben,« fuhr er fort, »doch alsdann würden Sie ihn erst bekommen, wenn Sie ihn dort abholen ließen. Ich werde es dem Postmeister sagen, daß ich Ihnen den Brief gegeben habe, und Sie können ihm gelegentlich das Porto dafür entrichten.«

Während dem hatte der Bote den Brief unter den vielen andern, die sich in der Tasche befanden, herausgefunden und reichte ihn mit den Worten: »Hier ist er schon,« Farnwald hin, wogegen er das Schreiben an Renard in Empfang nahm.

»Himmel, von Doral - !« entfuhr ihm bei dem ersten Blick, den er auf den Brief richtete, und bebend schob er denselben in die Brusttasche. Zugleich nahm er einen Dollar aus seinem Taschenbuche, reichte ihn dem ihn verwundert anschauenden Postreiter mit den Worten hin:

»Das ist Ihr Trinkgeld dafür,« wendete seinen Hengst heimwärts und stürmte durch den dunkel werdenden Wald und über die Prairie seiner Wohnung zu.

Wie eine schwere Last hielt er den Brief gegen die Brust gedrückt, er trug die nochmalige Entscheidung seiner Zukunft im Arme, nochmals war ein Hoffnungsschimmer

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an seinem Lebenshimmel aufgegangen. Im fliegenden Lauf hatte er bei dem letzten Scheine des Tageslichts seine Wohnung erreicht, Addisson harrte seiner an der Einzäunung, empfing das Pferd, und Farnwald sprang in das Zimmer, wo er die Quadrone bereits beschäftigt fand, die Lichter auf dem Tische anzuzünden.

Die Hand an dem Briefe, war er hastig zu dem Tische getreten, als die Sklavin in gewohnter Weise Pantoffeln und Schlafrock herbeitrug.

»Leg nur hin, Milly, und komme später wieder,« sagte er mit Ungeduld zu ihr, und kaum hatte sie das Zimmer verlassen, als er den Brief hervorzog und mit bebender Hand das Siegel erbrach.

Dies war der Inhalt des Briefes, der jetzt Farnwalds Händen entsank; stumm und regungslos fiel er in den Armstuhl zurück und überließ sich jenem stillen nagenden Schmerze, der einem schweren Schlage des Unglücks stets folgt. So saß er lange Zeit, in seinen Gram versunken, während die Quadrone vergebens von der Küche nach dem Hause hinlauschte, um den Wink ihres Herrn, das Abendessen aufzutragen, zu vernehmen. Endlich entschloß sie sich, seinen Befehl dazu selbst zu erfragen. Mit ihrem eigenthümlich leichten Tritte schritt sie in das Zimmer, blieb aber erstaunt an der Thür stehen und blickte auf ihren Herrn, der mit gesenktem Haupte auf seiner Hand ruhend, in sich versunken dasaß und ihre Gegenwart nicht gewahrte. Der Athem stockte ihr, denn sie erkannte in seiner Stellung ein Unglück, das ihn niederbeugte, sie blieb wie angewurzelt stehen und wagte nicht, sich zu bewegen.

Mit einem tiefen Seufzer richtete Farnwald sich plötzlich auf und fuhr mit der Hand über die Stirn, als sein Blick auf das Mädchen fiel.

»Bist Du hier, Milly? ich habe Dich gar nicht hereinkommen hören. Unangenehme Nachrichten

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hatten mich überrascht und mich in Gedanken versenkt, darum wurde ich Dich nicht gewahr. Wolltest Du Etwas?«

»Willst Du noch nicht zu Nacht speisen, Herr? Es ist schon spät.«

»Ja so, daran habe ich gar nicht gedacht. Bring nur das Essen herein, - bald wird es wohl die letzte Mahlzeit geben!« antwortete Farnwald und schritt, seine Blicke auf den Fußboden gerichtet, in dem Zimmer auf und ab.

Die letzten Worte durchzuckten die Quadrone, und erschreckt sah sie ihrem Herrn einen Augenblick nach; doch schnell wendete sie sich nach der Thür, um dem empfangenen Befehle Folge zu leisten.

Die Vernichtung der in Farnwald noch einmal erwachten Hoffnung hatte ihn schwer getroffen und für einen Augenblick tief niedergebeugt; doch es war nur für kurze Zeit, daß ihn die Schwäche übermannte, dann gewann die Entschlossenheit, mit deren Hülfe er so viele Hindernisse im Leben überstiegen, so viele Leiden getragen, die Oberhand, und ein neuer Hoffnungsfunke blitzte durch seine Seele, denn er hatte nun die Gewißheit, daß Doralice sich in Mexico befand.

Bleich und verstört trat die Quadrone in das Zimmer und trug die Speisen auf, doch das jetzt mehr

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entschlossene Aeußere ihres Herrn trug nicht dazu bei, sie zu beruhigen und die Angst zu beseitigen, welche die letzten Worte desselben über sie gebracht hatten. Farnwald bemerkte es und bereute seine unüberlegte Aeußerung.

»Wer wollte denn über ein Paar Worte, die ohne alle Bedeutung in augenblicklichem Verdruß ausgestoßen wurden, gleich so ergriffen sein!« sagte er mit erzwungener Heiterkeit zu der Sklavin; »komm, närrisches Ding, es war ja Nichts damit gemeint. Du kennst mich ja und weißt es, daß der Aerger mich leicht übermannt, doch er ist schon wieder vorüber, nun laß mich auch Deinen hübschen Mund wieder lächeln sehen.«

Bei diesen Worten legte er seine Hand unter ihr zartes Kinn und blickte, ihren Kopf erhebend, freundlich in ihre großen Augen, unter deren langen Wimpern eine Thräne glänzend herabfiel. Zitternd und tief bewegt ergriff die Quadrone die Hand ihres Herrn und preßte ihre Lippen in heißen Küssen darauf.

»Ach Herr, wenn Du die Möglichkeit meiner Trennung von Dir aussprichst, so fällst Du mein Todesurtheil!« rief sie unter heftigem Schluchzen.

»So habe ich es ja nicht gemeint, Milly, sei doch vernünftig. Komm, sei wieder freundlich; Du bist

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auch mein gutes Mädchen,« sagte Farnwald, sie beruhigend, setzte sich anscheinend heiter zu Tische und nahm mit Scherzen und Neckereien die Speisen hin, die ihm die Sklavin bot.

Doch der Funke der Besorgniß, der in ihr Herz gefallen war, hatte gezündet und alle Verstellung, alle erzwungene Heiterkeit ihres Herrn konnte ihren scharfen Blick nicht blenden sie wußte, daß etwas an seiner Ruhe nagte und daß er dieses Etwas, so wie seinen Entschluß dagegen, ihr zu verbergen suchte. Sie bewachte ängstlich jeden seiner Schritte, erwog jedes seiner Worte und suchte in jedem seiner Blicke zu lesen, was in ihm vorging.

Farnwalds Vorbereitungen zu seiner Abreise von hier zogen ihn beinahe täglich in die Umgegend zu Leuten, mit denen er noch in Rechnung stand und häufig zu Georg Blanchard hinüber, den er entweder bei seiner Braut oder in dem Hause seiner Mutter traf, wo ihm die vielerlei zerstreuenden Verabredungen und Veschließungen keine Zeit übrig ließen, seinem Mißgeschicke, seinem Grame nachzuhängen. Während der wenigen Stunden aber, die er Abends zu Hause zubrachte und die er benutzte, um seine Papiere in Ordnung zu bringen, bemühte er sich, wenn die Quadrone zugegen war, in bester Lanue zu erscheinen.

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Die Woche verstrich und der zu der Versammlung in L*** angesetzte Tag erschien.

Schon früh am Morgen zeigte sich in dem Städtchen ungewöhnlich reges Leben, ähnlich dem, wie an Gerichts- oder Wahltagen, und bald nach der Frühstückszeit zogen von allen Seiten her Reiter heran. Vor den Trinkhäusern und auf dem Platze, wo das Gerichtsgebäude stand, traten die Leute zusammen und allenthalben hörte man die feindseligen Verwickelungen zwischen den Vereinigten Staaten und Mexico bereden. In dem Gasthause des Herrn Fantroft wurde es aber besonders lebhaft, da dort der Sammelplatz der Freiwilligen war, die sich der Compagnie anschließen wollten.

Gegen zehn Uhr verkündete ein schallendes Hurrah, daß abermals neue Verstärkung anrückte und mit Jubel wurde Farnwald begrüßt, der mit dem alten Jefferson und seinen drei Söhnen, bei welchen jener die Nacht zugebracht hatte, herangeritten kam. Von allen Seiten her reichte man Farnwald die Hände zum Gruß und hätte er allen Einladungen zu einem Trunke an Fantrops Schenktisch Folge leisten wollen, so hätten sicher die bevorstehenden Verhandlungen ohne ihn vorgenommen werden müssen. Er that aber sein Möglichstes, um seinen guten Willen zu zeigen und stimmte bald

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begeistert mit in den Jubel und die wilden Hurrahs seiner lustigen Kameraden ein.

Um eilf Uhr begab man sich nach dem Gerichtsgebäude, um dort die Listen der angemeldeten Freiwilligen aufzustellen, zu den Wahlen der Officiere zu schreiten und Näheres über den Abmarsch zu bestimmen.

Ehe diese Verhandlungen vorgenommen wurden, bestiegen mehrere Advocaten nach einander die Tribüne und erklärten die Ursache des bevorstehenden Kriegs, zeigten, wie das unbestrittenste Recht auf Seiten der Vereinigten Staaten sei, häuften Vorwürfe und Schmähungen über die Mexicaner, und schlossen mit der Ansicht, daß jeder Amerikaner bereit sein müsse, Gut und Leben für die Ehre seiner Nation, welche die erhabenste auf dem Erdenrunde sei, freudig zu opfern. Nach solchen Reden folgten dann jedesmal die stürmischsten Beifallsbezeugungen, und das Trommeln mit Stöcken und Füßen ließ das hölzerne Gebäude in allen seinen Fugen erzittern. Nach einigen Stunden, während welcher die Begeisterung den höchsten Grad erreicht hatte, schritt man zur Aufstellung der Listen, die Namen der Angemeldeten wurden verlesen, jeder einzelne Freiwillige, unter denen auch Farnwald war, trat vor, und erklärte sich bereit, in die Compagnie einzutreten. Nahe an hundert Mann waren eingeschrieben, sämmtlich junge,

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lebenskräftige, abgehärtete Burschen, deren liebste Schlafstelle unter dem offnen Sternenhimmel, und denen der Knall ihrer sichern Büchse die lieblichste Musik war. Die meisten derselben waren von ihren Vätern, sämmtlich alte Frontiermänner, hierher begleitet, die, stolz auf diese jungen Löwen blickend, das Bewußtsein aussprachen, daß sie der Fahne ihrer Nation Ehre und Geltung verschaffen würden.

Nun schritt man zu den Wahlen des Kapitains, eines ersten Lieutenants, zweier Unterlieutenants, so wie der Sergeanten und Korporale, wobei jeder einzelne Soldat seine Stimme abgab. Farnwald wurde einstimmig zum Kapitain gewählt und die Wahl des ersten Lieutenants traf Harry Jefferson, welches dessen Vater mit Stolz und Freude erfüllte.

»Die ganze Compagnie ist von mir zum Mittagsessen bei Freund Fantrop eingeladen!« rief er nach beendigter Wahl laut durch die Versammlung, verließ das Gerichtsgebäude und lenkte seine schweren Schritte dem Gasthause zu, um den Wirth, der sich auf den Empfang vieler Gäste vorbereitet hatte, von dieser seiner Einladung in Kenntniß zu setzen.

Hierauf wurden die näheren Bestimmungen über die Einrichtungen in der Compagnie verhandelt, die

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anzuschaffenden Provisionen und die Zahl der Packthiere festgestellt und die dazu nöthigen Geldbeiträge gesammelt. Den Schützen war aufgegeben, sich mit guten Waffen, die in einer Büchse, zwei Pistolen, und einem Jagdmesser bestehen sollten, so wie mit einem tüchtigen Pferde zu versehen und für das nöthige Kochgeschirr, einige blecherne Töpfe, für Kaffee und Salz Sorge zu tragen.

Es wurde festgesetzt, in vierzehn Tagen auf einem vier Tagereisen von hier weiter unten am Flusse gelegenen Landungsplätze zusammenzukommen, damit es Jedem frei stehe, den Weg dorthin zu Pferde oder mit dem Dampfschiffe zurückzulegen, von dort aber sollte sich die Compagnie dann zusammen nach dem Lager des Generals Taylor begeben. Farnwald wurde von seinen neuen Kameraden mit den Zeichen aufrichtigster Freundschaft und Anhänglichkeit als ihr Hauptmann begrüßt, und unter Jubel und Lärm führten sie ihn in ihrer Mitte nach dem Gasthause, wo ein reiches Mahl und ein kräftiger Trunk ihrer harrte.

Die Sonne war schon versunken, als der alte Jefferson sich heimlich aus der wild und lustig aufgeregten Gesellschaft entfernte, um sich allein auf den Heimweg zu machen.

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Farnwald hatte es bemerkt, folgte ihm nach dem Hofe und ließ sich, zugleich mit ihm, sein Pferd vorführen, wobei er ihm anzeigte, daß er ihn begleiten und während der Nacht seine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen wolle. Nichts hätte dem biedern Alten augenblicklich größere Freude machen können, er rieb sich die großen Hände, lachte laut auf und schwur, daß kein Feldherr sich besser aus der Schlacht, welche die jungen Burschen jetzt in dem Wirthshause lieferten, hätte zurückziehen können, als er. Die Pferde wurden bestiegen und im Paßgang eilten die Reiter dem Walde zu, wo ihnen die Nachtluft kühlend und wohlthuend um die erhitzten Schläfen wehte.

Wohl noch eine halbe Meile von Jeffersons Wohnung entfernt, holte der Alte tiefen Athem und stieß dann aus seiner Riesenbrust einen so gellenden Schrei hervor, daß es weit über die Prairie, in der sie sich befanden, im Walde hinter der Niederlassung wiederhallte, worauf bald Lichter vor dem Wohngebäude sichtbar wurden und die Angehörigen des Pflanzers ihm nach der Einzäunung entgegeneilten.

Madame Jefferson war erfreut, daß Farnwald unter ihrem Dache die Nacht zubringen wolle, setzte den beiden Männern schnell noch einige kalte Speisen und einen

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Krug mit Buttermilch vor, und ließ dann ihrem Gaste das Lager in ihrer Söhne Zimmer herrichten.

Am folgenden Morgen schied Farnwald von den einfachen braven Leuten mit dem Versprechen, sie auf seinem Ritte nach dem Sammelplätze der Compagnie nochmals zu besuchen und eilte seiner Niederlassung zu, um nun schnellmöglichst Alles zur Abreise fertig zu machen, da er wünschte, auf seinem Marsche noch einige Tage bei Renard zuzubringen.

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Capitel 28.

Das Scheiden. - Die Mittheilung. - Ergebung. - Vergangene Zeit. - Der treue Hund. - Der alte Hengst. - Rückkehr. - Abschied von der Heimath. - Die Orgelmädchen. - Begeisterung. - Leidenschaft. - Die Bethörten. - Der Sprung. - Der Geburtsort. - Letzter Abschied.


Kaum zu Hause angekommen, ließ Farnwald einen nicht sehr großen, doch sehr edlen sechsjährigen Schimmelhengst von Canadischem Blute von der Weide holen und ihn satteln, um zu Georg Blanchard zu reiten und demselben das Resultat der Zusammenkunft mitzutheilen. Er hatte dies Pferd, welches er häufig auf der Jagd geritten, für den Feldzug gewählt, indem er seinen alten treuen Hengst den Gefahren des Krieges nicht aussetzen wollte. Von heute an sollte nun der Dienst dieses Stellvertreters beginnen.

Farnwald begab sich nach Blanchards Niederlassung, wo er Georg und auch dessen Mutter traf, die er von seiner nahe bevorstehenden Abreise unterrichtete. Mit größter Bestürzung und innigem Leidwesen empfing sie so wie ihre Tochter diese Nachricht, denn sie waren ihm

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beide herzlich zugethan und betrachteten ihn als ein Mitglied ihrer Familie. In Freude und in Leid hatte er ihnen immer als treuer Freund zur Seite gestanden und schon der Gedanke, ihn in ihrer Nachbarschaft zu wissen, war ihnen stets ein Trost gewesen. Jetzt mahnte auch der Herbst an die Krankheiten, die während der Ernte der Baumwolle unter den Negern anzubrechen pflegen, bei deren Behandlung Farnwald stets thätige Hülfe geleistet und so oft Rettung den Kranken gebracht hatte. Zu ändern war aber an dem Beschlusse nichts mehr und sie mußten sich damit begnügen, daß Farnwald versprach, ihnen einen großen Vorrath von Medicamenten zurückzulassen, deren Anwendung ihnen bekannt war.

Auch bei Swartons, wohin sich Farnwald von hier aus mit Georg begab, erregte die Nachricht von seiner baldigen Abreise große Trauer, während sie ihnen andererseits in Hinblick auf Robert freudig willkommen war. Die so nahe bevorstehende Trennung rief den biedern Leuten abermals die vielen Aufopferungen Farnwalds zu ihren Gunsten ins Gedächtniß zurück und ihre innigsten Worte des Dankes wollten kein Ende nehmen. Mit Freuden dachten sie daran, daß Robert vielleicht eine Gelegenheit finden würde, sich während des Feldzugs Farnwald erkenntlich zu zeigen und baten diesen

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dringend, ihnen doch recht oft Nachricht von sich selbst und ihrem Lieblinge zukommen zu lassen.

Es war Abend geworden, als aus Farnwalds Heimritt die hohen Bäume von der Umgebung seines Hauses in der Ferne aus der Prairie auftauchten. An drei lebende Geschöpfe, die seinem Herzen nahe standen, hatte er auf dem ganzen Wege hierher gedacht und traurig richtete er seine Blicke auf die noch fernen Bäume, die ihm den Platz bezeichneten, wo diese drei Wesen lebten. Es war die Quadrone, der treue Hund und der alte Hengst. - Er wollte sie jetzt verlassen auf unbestimmte Zeit, vielleicht auf Nimmerwiedersehen.

Je näher er seiner Wohnung kam, desto drückender legte sich die Last dieser Sorge auf seine Seele, und als er endlich im Düster der hereinbrechenden Nacht die Sklavin und den Hund erkannte, wie sie beide aus dem Dunkel der Bäume hervor und ihm entgegen über das Gras kamen, da glaubte er, das Herz müsse ihm brechen.

Mit tiefer Baßstimme, freudig anschlagend, sprang der alte Hund um das Pferd seines Herrn in die Höhe und suchte dessen Hand mit seinen langen Lefzen zu erreichen, während auch Milly jetzt nahe gekommen war und ihm ihre liebe Stimme in Worten des Willkommens entgegenjauchzte.

Nicht wie sonst erwiederte er die Grüße mit ähnlicher heiterer Antwort, mit Scherzen - denn die Worte erstarben ihm in der Brust, sie drängten sich zum Herzen zurück und drohten es zu zersprengen.

Er stieg vom Pferde, hing den Zügel über die Schulter, nahm Milly bei der Hand und schritt seiner Wohnung zu, während Joe sich mit Freudengestöhn an ihn drängte und seine Hand liebkosend zwischen sein mächtiges Gebiß drückte.

In dem Wohnzimmer angelangt zündete die Quadrone die Lichter an, sorgte schnell für die Bequemlichkeit ihres Herrn und eilte dann nach der Küche, um nach dem Abendessen zu sehen.

Farnwald hatte sie niemals fühlen lassen, daß sie gezwungen war, seinen Befehlen zu gehorchen, er hatte ihr stets seine Wünsche mitgetheilt und sie dann nach Belieben schalten und walten lassen. Zugleich hatte er ihre Neigungen, ihre Liebhabereien zu erforschen gesucht, um ihnen stillschweigend nachzukommen. Das Gefühl des Dankes war mächtig in Millys reinem Herzen erglüht und ihr ganzes Dichten und Trachten ging dahin, ihrem Herrn und Wohlthäter diese Dankbarkeit durch ihr Betragen zu offenbaren; sie lag förmlich auf der Lauer, um seine Gedanken möglicherweise zu erforschen, noch ehe er sie ausgesprochen hatte. Legte er heute

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einen Gegenstand an irgend eine Stelle, so war er sicher, daß, wenn Milly denselben morgen aus irgend welchen Gründen von da wegzuräumen hatte, sie ihn wieder auf den nämlichen Fleck, in dieselbe Lage bringen würde; hatte er sich lobend über eine Speise geäußert, so erschien dieselbe niemals anders zubereitet vor ihm; beim Ausschmücken der Vasen in seinem Zimmer wählte sie immer nur die Blumen, die er besonders liebte, selbst im Schnitt ihres leichten kurzen Gewandes folgte sie auf das Sorgsamste seinem Geschmacke und wußte jede Falte genau so anzubringen, so über ihre reizenden Formen zu legen, wie er es wohl einmal belobt hatte. Ihre wundervollen Haare waren stets so geordnet, wie er es gern sah, auch den silbernen Pfeil, der die schweren Flechten an ihrem Hinterkopfe befestigte und den sie von Farnwald einst zum Geschenk erhalten hatte, putzte sie täglich, damit er in der Sprache ihrer Dankbarkeit mitrede. Bei der leisesten Anerkennung ihrer Sorgsamkeit von Seiten ihres Herrn erglänzten die großen dunkeln Augen freudig und spiegelten die Gefühle ihres Herzens, und das schöne Pfirsichroth ihrer zarten Wangen drang durch ihre kaum gelblich gefärbte durchsichtige Haut in glühendem Karmin hervor. Oft, wenn Farnwald bei rauhem wilden Wetter nach einem langen Ritte ermüdet nach Hause gekommen war und in dem

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Armstuhl vor dem flackernden Kaminfeuer ruhte, konnte sie Abende lang zu seinen Füßen an der Erde sitzen und in seinen Augen lesen, was er wünsche, oft, wenn er hier eingeschlummert und erst gegen Morgen erwachte, saß die Quadrone immer noch, ihre dunkeln Augen auf ihn geheftet und seiner Winke gewärtig. Sie kannte kein höheres Glück, als ihm ihre Dienste, ihre ganze Seele zur Verfügung zu stellen und ein freundlicher Blick, ein liebevolles warmes Wort von ihm war Seligkeit für sie.

Als sie das Zimmer verließ, um das Abendessen hereinzuholen, sah Farnwald ihr nach und der Gedanke an die Zukunft des treuen Mädchens schien ihm die Brust zusammenzupressen. Die Nähe der reizenden, lieblichen Sklavin übte eine gewaltige Macht über ihn aus und es bedürfte der ganzen Erinnerung an Doralice, an sein herbes Schicksal, an sein Zerwürfniß mit sich selbst und mit der Welt, um ihn in seinem gefaßten Entschlüsse nicht wanken zu lassen.

»Soll ich es ihr jetzt sagen, damit sie sich nach und nach an den Gedanken der Trennung gewöhne oder ist ein plötzlicher Abschied weniger hart für sie?« sagte Farnwald mit halblauter Stimme vor sich hin. Da öffnete sich die Thür und die Quadrone trat herein. Schnell hatte sie den Tisch nett und sauber gedeckt, die

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kalten Speisen aufgetragen und sich ihrem Herrn gegenüber an den Tisch gestellt, um ihn zu bedienen und den Thee einzuschenken.

Joe hatte sich neben ihn gesetzt, wie zu der Zeit, als sie noch im Grase oft ihr Nachtlager zusammen theilten, wo er dann durch seine treue Wache gar oft den Tod von ihm abgewehrt; jetzt aber saß das alte Thier und wartete auf die Leckerbissen, die ihm sein Herr hinreichte und gab seinen Dank durch Hin- und Herschlagen seiner mächtigen Ruthe zu erkennen, immer noch jeden Augenblick bereit, seine Fangzähne in die Kehle eines nahenden Feindes zu schlagen.

»Du fütterst Joe zu gut, Milly, er wird gar zu stark,« sagte Farnwald mit einem freundlichen Blicke und klopfte des alten Hundes ungeheuren Kopf.

»Ach, Herr, er hat Dir ja oft das Leben gerettet, wie kann ich ihm da etwas abschlagen?« antwortete die Quadrone und warf sich neben das Thier auf ein Knie, indem sie ihre zarten Arme liebkosend um dessen Hals schlang. »Wie oft habe ich ihn um die Zeit der Gefahr beneidet, in der er Dir dienen durfte; er hat so viel mehr für Dich gethan als ich!«

»Ja, ja, liebe Milly, es war recht gut, daß ich Dich damals nicht bei mir hatte, denn Du würdest mir eine schwere Sorge gewesen sein; doch an uns Zweien

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war ja nicht viel gelegen, - nicht wahr, alter Joe?« antwortete Farnwald mit einem warmen Blicke nach Milly und legte seine Hand schmeichelnd auf den Kopf des Hundes.

Ein Ausdruck von Wonne verbreitete sich bei diesen Worten über die Züge der Quadrone, sie erfaßte leidenschaftlich die Hand ihres Herrn und senkte, indem ihre reichen Locken dieselbe verhüllten, ihre vollen Lippen darauf.

Dann sprang sie auf, entfernte die Speisen, räumte den Tisch ab und kam zuletzt noch mit einem Teller voll Feigen, Weintrauben und Bananen zurück, den sie vor ihrem Herrn niedersetzte.

»Milly, wo würdest Du am liebsten bleiben, wenn ich auf eine kurze Zeit verreisen sollte?« fragte Farnwald, ohne die Quadrone anzusehen.

»Wo? - nun hier, Herr!« antwortete sie rasch und deutete die Unmöglichkeit, daß sie irgend wo anders bleiben könne, durch ihren Ton an.

»Nun aber, wenn ich vielleicht länger wegbleiben sollte und meinen Platz während dieser Zeit einem Andern übertragen müßte?«

»Länger wegbleiben? ach Herr!« stammelte das bleich werdende Mädchen und heftete ihre weit geöffneten Augen ängstlich auf Farnwald.

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»Komm, Milly, ich will es Dir sagen: ich glaube, ich werde bald eine Reise machen müssen, die wohl lange dauern könnte; ich gehe nach Mexico.«

»Großer Gott, nach Mexico - in den Krieg? O Herr, ich gehe mit Dir, ich kann nicht zurückbleiben, ich kann nicht ohne Dich - !«

Das Wort stockte der Sklavin auf den Lippen, sie stürzte zu ihres Herrn Füßen nieder, umklammerte seine Knie und sah mit thränenvollen, stehenden Augen nach ihm auf. Der Pfeil war aus ihren Flechten gefallen und gelöst rollten sie mit der weißen Rose, die sie im Haar trug, an den Fußboden.

Auch Farnwald war, von dem Augenblicke überwältigt, der Worte beraubt und zog die Quadrone näher zu sich herauf, indem er die weichen Locken von ihrer Stirn strich.

»Komm, komm, Milly,« sagte er endlich, »ich werde ja so lange nicht wegbleiben; sei vernünftig, Du wirst während meiner Abwesenheit gut versorgt werden.«

»Nein, nein, ich folge Dir und ginge es in den Tod; es giebt kein Leben für mich ohne Dich. Sei barmherzig, sei gut, wie Du es immer gegen mich warst, schneide mein Haar ab, ich folge Dir als Mann, ich werde Dir noch treuer sein, als es Joe gewesen ist!«

»Und wer soll für mein altes Roß und wer für Joe sorgen, denen ich mein Leben hundertmal zu danken und für die ich es so oft gegen wilde Thiere und Indianer eingesetzt habe? - willst Du es nicht thun, Milly, willst Du mir nicht erhalten, was mir nach Dir das Theuerste in diesem Lande ist?«

Die Quadrone antwortete nicht, sie verbarg ihr Gesicht an ihres Herrn Brust und ihr heftiges Schluchzen verrieth, daß ein schwerer Kampf in ihr vorging.

»Wie Du willst, Herr,« sagte sie alsdann mit gebrochener Stimme; »ich werde für beide sorgen.«

»Höre mich, Milly, ich dachte, ich wollte Dich mit diesen beiden Getreuen zu Renard bringen und Euch während meiner Abwesenheit dort lassen; er ist ein biederer Freund und ich habe Vieles für ihn gethan. Auch werde ich vor meiner Abreise einen Freibrief für Dich bei Gericht niederlegen, für den Fall, daß mir etwas Menschliches zustoßen sollte.«

»Nein, Herr - keinen Freibrief - Du nimmst mir das Leben, wenn Du mir nicht erlaubst, Deine Sklavin zu sein; keinen Freibrief, ich beschwöre Dich, nur wenn ich Dein Eigenthum bin, bleibe ich frei!«

[»] Gut Milly, so will ich ihn Dir geben, damit Du ihn für einen Nothfall hast. Sei nun guten Muthes, die Zeit eilt ja schnell dahin und bald bin ich wieder

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zurück. Gehe nun und mache die Hängematte unter der Veranda für mich zurecht, ich will draußen schlafen, es ist zu heiß hier im Hause.«

Die Quadrone folgte sofort dem Wunsche ihres Herrn, nahm die Decke von Hirschleder und ein Pferdehaarkissen von dem Bette und ging damit hinaus, um das Lager zu bereiten.

Farnwald war das Herz sehr schwer geworden; der Abschied von Allem, was er sich mit energischem Willen und eiserner Thatkraft errungen hatte, trat ihm jetzt schroff entgegen und dieses Alles war ihm im Augenblick lieber, als es ihm je vorher gewesen war. Doch der Gedanke an Doralice ließ ihn nicht ruhen, es drängte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt von hier und zog ihn unaufhaltsam nach dem Lande, wo sie jetzt weilte.

Er sann und sann, wie er alle noch erforderlichen Vorkehrungen treffen, seine letzten Einrichtungen hier machen wollte und es war schon Mitternacht vorüber, als er hinaus unter die Veranda trat, um sich zur Ruhe zu begeben.

Die leichte Kühlung der Nacht empfing ihn wohlthuend, der volle Mond stand hoch und die Sterne glänzten mild am Himmelszelt. Dort vor ihm lag der brave alte Hengst von dem hellen Silberlicht beschienen und hielt den Kopf durch die Einzäunung nach seinem

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Herrn hin. Hier im Schatten unter der Veranda, nahe bei wo die Hängematte schwang, lag Joe hingestreckt und schlug mit seiner Ruthe den Boden, als sein Herr sich ihm nahte. Da fielen Farnwalds Blicke nach der andern Seite der Hängematte, und zu seiner Verwunderung sah er die Quadrone auf dem Fußboden über einer lockigen Büffelhaut hingesunken, dem Anscheine nach, in tiefem Schlafe, Er trat zu ihr hin und beugte sich über sie. Das Mondlicht fiel auf ihr liebliches Antlitz, um das die Fülle ihrer losen Locken entfaltet war, Ihre Augen waren geschlossen und die langen schwarzen Wimpern warfen ihren Schatten über die untern Lider. Ihre schönen halbgeöffneten Lippen ließen die blendend weißen Zähne durchschimmern und ihre Wangen zeigten noch die feuchten Stellen vergossener Thränen. Sie hielt ihre kleine Linke auf ihrem Herzen, während ihr Busen hoch aufathmete und ihrer Brust von Zeit zu Zeit ein schwerer Seufzer entstieg.

Farnwald weckte die Treue nicht, er ging leise nach den Säulen, worauf die Veranda ruhte und zog die blühenden Rankenrosen und das Lianengeflecht, welches um sie hinaufwucherte, herab, um durch den Schatten des Laubes das Mondlicht von dem schlafenden Mädchen abzuwehren. Es war ihm unmöglich jetzt zu schlafen; denn seine ganze Vergangenheit drängte sich ihm

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lebendig vor die Seele. Die Jahre der Wildniß, des schweren Kampfes, zogen stürmisch vor ihm auf; bald blickte er nach dem Hengste, bald nach dem Hunde und dann wieder nach der fernen dunkeln Masse von Bäumen, in deren Nähe er in einer hölzernen Festung jene Jahre verbracht hatte. Es drängte sich ihm die Zeit der Widerwärtigkeiten, des Mißgeschicks, die er im Norden dieses Landes verlebt, gewaltsam vor die Erinnerung und seine frohe Jugend in seinem Vaterlande mit den Vielen, die sich seine Freunde genannt hatten, mit seiner Schwester und einem wahren Herzensfreunde durchzogen jene Bilder und erzeugten ein Gemisch der allerverschiedensten Gefühle in seiner Brust, die zu bemeistern ihm jetzt unmöglich war. Er eilte von der Veranda hinab durch den, das Haus umgebenden, Park nach dem Garten, in dem das Mondlicht auf den bunten Massen der wundervollsten Blumen ruhte, deren Düfte ihm lieblich entgegenwogten. Hier war die Allee von kolossalen Rosenbüschen der seltensten und edelsten Art, überdeckt mit Blüthen in allen Schattirungen des Roth, Weiß und Gelb, die er sämmtlich als Reiser, mitunter aus weiter Entfernung hierhergetragen und zu deren Erlangung er manchen harten Ritt in glühender Sonne gemacht hatte. Dort streckten ihm die Feigenbäume mit üppigen Armen ihre süßen Früchte entgegen und

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erinnerten ihn an den Augenblick, als er den Samen dazu aus einer getrockneten Smyrnaer Feige genommen und ihn in die Erde gelegt hatte. Links und rechts an den riesenblättrigen Bananen, denen er hier als kleine Sprößlinge ihre Heimath angewiesen hatte, wucherten die Malaga-Weinreben hinauf und ließen ihre, mit schweren Trauben beladenen, zarten Ranken weit um sie herabhängen, und Farnwald schaute auf die Zeit zurück, als er die Körner, woraus sie entstanden, den Beeren entnommen hatte; sie erinnerten ihn an die Zeit, in welcher das Schiff vom mittelländischen Meere an ihn in New York adressirt wurde, welches diese Malagatrauben seinen Händen zum Verkauf überbracht hatte, als dort sein überseeisches Geschäft ihm damals die glänzendsten Aussichten für die Zukunft bot. Er sah die, mit Früchten reich beladenen Obstbäume vor sich, aus Kernen entsprossen, die ihm die Schwester, die ihm der Freund vor vielen Jahren aus der alten Heimath zugesandt, und er glaubte in ihren Aesten die Arme dieser Theuern zu erblicken, die sie sehnsüchtig ihm entgegenhielten. Die Resultate aller seiner jahrelangen mühseligen und gefahrvollen Arbeiten fesselten ihn mit gewaltigen Banden zwar an diese Erde, aber mit unwiderstehlichem Dränge, mit grenzenlosem Verlangen zog es ihn zugleich fort von

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hier, nach der vorgesteckten neuen Lebensbahn, nach dem Lande, wo die Heißgeliebte wohnte.

»Fort, fort von hier, - was ist alles dies ohne Liebe - ohne Doralice!« sagte Farnwald, von stürmischen Gefühlen überwältigt, als er plötzlich seine Rechte berührt fühlte und, sich umwendend, den alten Joe erblickte, der ihm die Hand geleckt hatte,

»Joe, alter ehrlicher Joe, ja Du bist mir Freund gewesen, als ich keinen andern mehr hatte; Du hast Recht, mich der Undankbarkeit zu zeihen!« rief Farnwald und schlang seine Arme um den treuen Hund, der sich aufrecht gestellt hatte und seine Tatzen ihm auf die Schultern legte.

Der sinkende Mond blickte kaum noch über die Spitzen des Urwaldes, als Farnwald zurück nach der Veranda ging und sich in die Hängematte warf, wo ihn bald die buntesten, verworrensten Träume umfingen.

Es war ungewöhnlich spät geworden, als er sich am andern Morgen unter der Veranda zum Frühstück niedersetzte. Wie dies regelmäßig geschah, hatte Addisson dem alten Schimmelhengst die Einzäunung geöffnet, damit dieser mit wenigen Sprüngen zu seinem Herrn eilen und ihn mit freundlichen Wiehern begrüßen könne, wofür er jedesmal mit einem Stück Zucker belohnt wurde. Mit wehmüthigem Gefühl und ohne liebkosende Worte

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reichte ihm Farnwald heute diesen Lohn hin, denn er sah Thränen über Millys Wangen rollen und die Stimme versagte ihm.

Der herannahende Tritt eines Pferdes, der sich an der andern Seite des Hauses vernehmen ließ, war ihm willkommen, da er ihm Gelegenheil gab, das ernste Schweigen zu brechen.

»Geh, Milly, und sieh, wer dort kommt?« sagte er zu der Quadrone, doch kaum hatte dieselbe sich entfernt, als Bill Swarton um das Haus gesprungen kam, zu Farnwald eilte, und ihm mit freudestrahlenden Blicken und halblauter Stimme zurief:

»Robert ist in vergangener Nacht gekommen; er will mit Ihnen zur Armee ziehen!«

»Wirklich? das ist mir lieb, - nur mag er sich geheim halten, damit seine Feinde keine Ahnung von seiner Rückkehr bekommen - sie möchten den Versuch machen, seiner habhaft zu werden,« erwiederte Farnwald.

»Kommen Sie heute nicht zu uns herüber? Robert sehnt sich sehr darnach. Sie zu sprechen.«

»Ich werde gleich mit Ihnen reiten, setzen Sie sich Bill,« sagte Farnwald zu dem jungen Manne und rief dann dem Negerknaben zu, den alten Hengst zu satteln.

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Kurze Zeit nachher waren sie unterwegs nach Swartons Niederlassung, die Familie empfing Farnwald vor der Einzäunung mit freudestrahlenden Blicken und theilte ihm mit, daß der zurückgekehrte Liebling sich oben im Hause in der Mansarde befinde; Farnwald eilte hinauf in die Bodenkammer, wo er Robert und Jerry beschäftigt fand, die Waffen zu reinigen und in Stand zu setzen.

Robert erklärte nun, daß ihm die Nachricht von so baldiger Errichtung der Compagnie höchst willkommen gewesen, zumal, da Kiwakia mit seinem Stamme in der Kürze diese Gegend verlassen und weiter nördlich gelegene Weiden beziehen werde, um in der Nähe des Ortes zu sein, wo die große Zusammenkunft und Berathung der Comantschen Nation gehalten werden solle. Er hatte beschlossen in wenigen Tagen mit Jerry, der ihn begleiten wollte, aufzubrechen, und zu dem Sammelplatze der Compagnie zu reiten und zwar, um jedes Aufsehen zu vermeiden, des Nachts, bei Tage aber im Walde zu rasten.

Farnwald blieb zum Mittagsessen, zu welchem sich auch Georg Blanchard einfand, mit dem er den Tag verabredete, wo dieser zu ihm kommen und mit ihm das Inventar aufnehmen sollte. Bei seinem Abschiede versprach Farnwald den dankbaren Leuten noch einen Abschiedsbesuch und eilte dann zurück zu seiner Besitzung,

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um Hand an die eigenen, noch zu besorgenden Geschäfte zu legen.

Die Nachricht von Farnwalds bevorstehender Abreise verbreitete sich schnell in der Gegend und von nahe und fern kamen die Leute gezogen, um sich von der Wahrheit dieser Trauerkunde für sie zu überzeugen. Alle fühlten jetzt, welch hülfreicher Freund und Rathgeber er ihnen gewesen war. Mit Bangigkeit sahen sie dem Erscheinen der Fieber entgegen und baten ihn um Arzneien für vorkommende Krankheitsfälle. Während des Tags und bis spät in die Nacht hatte er alle Hände voll zu thun, um seine eignen und anderer Leute Angelegenheiten zu besorgen. Die Zeit hatte Flügel und wurde täglich kostbarer, endlich aber hatte er mit seinem Aufenthalt hier abgerechnet, es war für alles Nöthige gesorgt, die Abschiedsbesuche bei den Freunden waren gemacht und Alles war zur Abreise fertig.

Unruhig und in fieberhaften Träumen verbrachte er die letzte Nacht und erhob sich mit einem wehmüthigen Gefühle von seinem Lager, als der Tag das erste Licht durch die offenen Thüren und Fenster in das Zimmer warf. Der Abschied sollte jetzt wirklich genommen werden von alle dem, wofür er seine besten Kräfte hingegeben, wofür er Jahre lang sein Leben eingesetzt hatte; von dem Orte, wo er seine früheren Leiden

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hatte vergessen wollen und wo er geglaubt hatte, eine leidenschaftslose stille Zukunft für sich zu gründen. Wie ganz anders hatte sich aber schon Alles hier gestaltet, als zu der Zeit, wo außer ihm noch fast kein Weißer dieses Land betreten, und wie ganz anders war ihm nun in der Wirklichkeit seine Zukunft erschienen, als er gedacht und sie in seiner Phantasie ausgeschmückt hatte! Das einsame Glück, welches er während der ersten Jahre seines Hierseins genossen, war schon lange verschwunden, das gesellige Leben, vor dem er geflohen war, hatte ihn auch hier in der Wildniß aufgefunden, um ihn jetzt wieder fort in die bewegte große Welt zu treiben. Sollte er auch diese theuer erkaufte neue Heimath jemals wiedersehen und wann und wie? - das waren die Fragen, die sich ihm beständig aufdrängten.

Im Hause selbst hatte er keinen Abschied mehr zu nehmen, denn die Zimmer waren ausgeräumt und ihre Wände von Bildern und Kupferstichen entblößt. Er eilte hinaus in das Freie, wo ihn die kühle Morgenluft empfing und ihn die Vögel mit ihrem ersten Liede begrüßten.

Addisson hatte den alten Hengst gewaschen und war beschäftigt, seine langen Mähnen und den Schweif zu kämmen. Sonst pflegte er dies Geschäft mit Singen und Pfeifen eines Liedes zu begleiten. Heute aber verrichtete er es stumm, schlang von Zeit zu Zeit seine Arme um den

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blendend weißen Hals des Pferdes und als sein Herr an ihm vorüberschritt, fing der Knabe bitterlich zu weinen an und verbarg sein ehrliches schwarzes Gesicht in den seidenweichen Mähnen des geliebten Thieres.

Farnwald ging nach seinem Lieblingsplatze, nach dem Garten, um von ihm den letzten Abschied zu nehmen. Der Thau hing noch in schweren Tropfen auf den reichen Blüthen, die sich unter ihm geneigt hatten und traurig ihren scheidenden Pfleger anzublicken schienen. Von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch, von Pflanze zu Pflanze ging Farnwald mit feuchten Augen und sagte ihnen allen ein stummes Lebewohl. An einer großen gefällten goldgelben Rose aber verweilte er länger, sie war durch eine ihm theure Hand hierher gepflanzt, die der Tod vorzeitig aus dieser Welt gerufen hatte, Farnwald brach eine ihrer schönsten Blüthen, hob sie zu seinen Lippen und eilte dann, noch links und rechts Abschied nehmend, nach dem Hause zurück, wo Milly eben das Frühstück aufgetragen hatte. Es war das traurigste Mahl, welches er in diesem Hause, in diesem Lande genossen, und die Ankunft von Georg Blanchard war ihm sehr erwünscht, da sie das Zeichen zum Aufbruch gab.

Während Addisson den Hengst für seinen Herrn und den Canadischen Schimmel für Milly sattelte,

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die Farnwald nach seinem frühern Beschlusse zu Renard bringen wollte, stand der Gärtner, der ehrliche Paulmann, vor sich niederblickend an einem der Pfeiler der Veranda, drückte und drehte an seinem Hute, den er in beiden Händen hielt und schüttelte wiederholt sein gesenktes Haupt, indem einzelne Thränen über seine gebräunten faltigen Wangen herabfielen. Farnwald schritt schmerzlich bewegt zu dem Alten hin, faßte dessen beide Hände und sagte:

»In Ihrer Stellung, Paulmann, wird nichts geändert, ich habe es bei der Verpachtung bedungen, daß Sie Hierbleiben, ebenso wie bisher versorgt werden und während meiner Abwesenheit meine Interessen zu überwachen haben. Leben Sie wohl, Gott erhalte Sie gesund und lasse mich die Freude erleben, Sie bei meiner Rückkehr ebenso frisch und wohlauf zu finden, als ich Sie verlasse.«

Paulmann aber hatte keine Worte zum Abschiede, er drückte wieder und wieder Farnwalds Hände, warf einen Blick zum Himmel auf und weinte und schluchzte.

Milly stand mit abgewandtem niedergebeugten Gesichte bei ihrem Pferde und Addisson hielt weinend den Zügel des alten Rosses.

»Leben Sie wohl, Georg,« sagte jetzt Farnwald zu diesem, indem er ihm die Hand reichte. »Behandeln

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Sie den alten Gärtner und Addisson gut und lassen Sie mich darin die aufrichtige Freundschaft erkennen, die Sie mir oftmals zugesagt haben.«

Auch Georg war tief ergriffen, er fiel Farnwald weinend um den Hals, drückte ihn herzinnig an die Brust und gelobte ihm heilig, sich seiner Freundschaft werth zu zeigen.

Alles war zum Wegreiten fertig, Farnwald schüttelte Georg nochmals die Hand und trat von der Gallerie, da stieg die Sonne in ihrem Golde am fernen Horizonte auf und deutete durch ihre ersten blitzenden Strahlen auf die Gluth des neuen Tages.

Farnwald sah das glänzende Gestirn heraufziehen, schritt rasch zu dem schluchzenden Negerknaben hin und reichte ihm mit den Worten zum Abschiede die Hand:

»Bleibe brav, Addisson, damit ich Dich ferner lieb haben kann, wenn ich zurückkehre.«

Dann gab er der Quadrone einen Wink, ihr Pferd zu besteigen, sprang selbst rasch auf sein Roß und lenkte, von jener und von Joe gefolgt, dasselbe durch die Thür der Einzäunung, während er im tiefsten Innern allen Zurückbleibenden noch ein letztes wehmüthiges Lebewohl sagte.

Ohne zurückzublicken folgte Farnwald den Wagenspuren durch die Prairie und sah mit traurigem Gruß

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auf die Pracht, womit dieselbe, soweit das Auge reichte, in den buntesten Blumenfeldern prangte. Noch ehe die Sonnenstrahlen fühlbar wurden, hatte er die tiefen Schatten des Urwaldes erreicht. Wo er hinblickte, standen Erinnerungen vor ihm: hier rief ihm ein Baum, dort ein Bach eine herrliche Jagd, eine wohlthuende Rast, ein wonniges Nachtlager unter freiem Himmel in das Gedächtniß zurück, und allenthalben nahm er im Vorüberreiten Abschied auf ein ungewisses Wiedersehen. Vorwärts ging der Ritt ohne zu ruhen, bald über blumenreiche Prairien, wo der heute frisch wehende Südwind die Gluth der Sonne bekämpfte, bald wieder durch die grünen duftigen Räume des Waldes, bis die von mächtigen Lebenseichen überdachte Wohnung des biedern Jefferson die müden Wanderer wohlthuend aufnahm.

Die Freude der Alten, den Hauptmann ihrer beiden ältesten Söhne, die schon vorausgezogen waren, den Freund nochmals bewirthen zu können, war groß, sie boten Alles auf, um ihre Gastfreundschaft zu zeigen und Farnwald, so wie die Quadrone, wurden mit einem für diese Weltgegend ungewöhnlich guten Mittagsessen versorgt, wenn auch der Farbigen der Zutritt zu dem Familientische nicht gestattet ward. Bald darauf aber ging es auch hier wieder an das Abschiednehmen, die

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Pferde wurden abermals bestiegen und unter tausend Glück- und Segenswünschen zog Farnwald mit seinen Getreuen weiter.

Nur in langen Zwischenräumen erquickte ein frischer Trunk die Wanderer und mit frohem Willkommen begrüßten sie, als die Sonne zu sinken begann, die am Horizont aufsteigenden blauen Höhen, an deren Fuß das ersehnte Städtchen L*** lag.

Es war Abend geworden und die Sonne warf ihr letztes Licht über die weiten leeren Baustellen zwischen den einzelnstehenden hölzernen Häusern des Fleckens hin, als Farnwald innerhalb dessen Grenzen erschien und sein müdes, schweißbebecktes Pferd nach dem Wirthshause lenkte.

Schon von weitem bemerkte er, daß dort ungewöhnlich viel Menschen versammelt waren; bei seiner Annäherung drang plötzlich eine Orgel-Musik zu seinen Ohren und zu seiner größten Ueberraschung vernahm er deutsche Lieder, die dazu gesungen wurden. Süß und lieblich tönten ihm diese Weisen, wie Klänge aus einer längst verschwundenen Zeit, entgegen und lebendig führten sie ihm augenblicklich seine Jugend vor die Erinnerung.

Die dicht vor dem Hause versammelte Menge hinderte ihn, nahe zu dessen Thür hinan zu reiten, er lenkte

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deshalb sein Pferd um das Haus den Stallungen zu, während sein Herz nach dem deutschen Walzer tanzte, dessen Klänge jetzt vom Gebäude herüberschallten, und nicht schnell genug konnte er die Pferde und den Hund in einem Blockhause, welches zur Stallung diente, einschließen, um der Musik zuzueilen, die immer lebendiger erklang und nun von tobenden Beifallsbezeugungen und wilden rasenden Hurrahs übertönt wurde.

»Ach Herr, laß mich nicht hinein unter die Menge gehen,« sagte die Quadrone zu Farnwald, als dieser vor ihr in die Hinterthür des Hauses trat; »ich will lieber hier im Hofe in der Nähe Deines Pferdes und Deines Hundes bleiben.«

»Nein Milly,« antwortete jener; »ich werde mir gleich ein Zimmer anweisen lassen, der Wirth thut mir Alles zu Gefallen und giebt mir seine eigne Stube, wenn er keine andere mehr unbesetzt hat. Komm mit herein.«

Herr Fantrop war sehr erfreut, Farnwald zu sehen und räumte ihm wirklich sein eigenes Zimmer ein.

»Ich werde doch sobald wohl keinen Gebrauch davon machen können,« sagte er, »denn die fremden ladies vorn im Zimmer haben die Leute, wie Sie sehen, ganz verrückt gemacht und man läßt mir keinen Augenblick Ruhe. So geht es nun schon seit gestern

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Morgen ununterbrochen fort, und statt daß die Menschen sich verlaufen sollten, so wächst ihre Zahl noch mit jeder Stunde, auch die ladies hoben noch beinahe nicht geruht und die Männchen auf ihrem Musikkasten haben seit gestern nicht aufgehört zu tanzen. Aber gehen Sie hinein, Herr Farnwald, Sie werden die Fremden besser verstehen können, als wir; wie ich höre, sind es deutsche Damen. Für Ihre Dienerin hier werde ich Sorge tragen, so wie auch für Ihre Thiere.«

»Wenn Jemand in den Stall geht, wo meine Pferde sind, so muß Milly mitgehen, denn mein Hund möchte sich unfreundlich betragen,« sagte Farnwald und drängte sich, während die Quadrone sich in die bezeichnete Stube begab, durch die Menge nach dem vordern Gastzimmer.

Dort erblickte er drei deutsche Mädchen in phantastischem Costüm, von denen die eine eine Orgel drehte, auf der eine Menge kleine hölzerne Figuren im Kreise tanzten, die Andere auf einer Guitarre spielte, die Dritte, Jüngste und Hübscheste aber ein Tambourin schlug, dasselbe durch die Luft schwang, sich leicht und lustig zwischen den Zuhörern hin[-] und herbewegte und dann das Instrument diesen hinhielt, um von ihnen Geld und Banknoten zu empfangen.

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Mit den widersprechendsten Gefühlen blieb Farnwald in der Thür stehen und blickte auf die Dirnen. Lieb und wohlthuend war ihm die Erscheinung, weil sie ihn an die fröhlichen ausgelassenen Stunden seiner Jugendzeit erinnerte, in denen er sich mit seinen lebensfrohen Genossen oft an Volksbelustigungen ergötzt hatte, bei denen die Lieder solcher Sängerinnen in ähnlicher Weise öfters erklungen waren; doch widrig und empörend berührte ihn hier ihr freies Benehmen und er schämte sich, in ihnen seine Landsmänninnen vor den Amerikanern anerkennen zu müssen.

Wenn auch die rohen Frontiermänner im Augenblick von den Mädchen bis zur Raserei entzückt und hingerissen waren, so mußten sie doch bei der Verehrung, die man in Amerika für Sitte und Weiblichkeit hegt, sobald der flüchtige Rausch verflogen war, mit Ekel und Verachtung gegen diese Mädchen erfüllt werden, und gegen die deutschen Frauen überhaupt, da sie diese Dirnen, thöricht und befangen genug, als Repräsentantinnen derselben betrachteten. Denn nie würde eine Amerikanerin, auch nicht die niedrigste, in solcher Weise vor ein Publikum treten und dadurch Geld zu verdienen suchen.

Jetzt aber befand sich die zahlreiche bunte Versammlung noch auf dem Gipfel der Begeisterung. Die ihnen

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neue liebliche Musik hatte diese rauhen Leute mächtig aufgeregt, das freie, vertrauliche Benehmen der rothwangigen Schönen hatte, als etwas vorher nicht Gekanntes, ihre Pulse zu einer stiegenden Eile beschleunigt, und der reichlich genossene Branntwein hatte ihre Sinne so umnebelt, daß sie sich in einen Himmel von Wonne versetzt glaubten, Heimath, Frau und Kinder vergaßen und ihren letzten Dollar mit Freuden den Spenderinnen dieses Glückes zuwarfen.

Hier sah man einen rohen Waldsohn seine Füße wie ein Bär in den ungeschicktesten Bewegungen zum Tanze in die Höhe werfen, dort einen breitschulterigen Farmer seine rauhe Hand mit größter Schüchternheit und Verzagtheit, um nicht zu beleidigen, an den nackten Arm einer der Sängerinnen legen, während seine Augen lüstern auf den weitentblößten Nacken derselben geheftet waren, und dort brüstete sich ein anderer riesiger Hinterwäldler stolz neben der Drehorgel, indem er die Winde derselben ergriffen und sie mit seiner ungeheuern Faust in Bewegung hielt.

In solcher Weise machten sich die aufgeregten Gefühle dieser Leute Luft, bald mit Ausbrüchen zügellosen Lachens und gellender Rufe, bald durch Schlagen auf die Tische, durch Trommeln mit den Füßen und bald

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durch Proben von körperlicher Stärke, wodurch sie sich vor den Mädchen auszeichnen wollten, indem oft Einer den Andern mit einer Hand in die Höhe hob, oder mehrere schwere Männer auf seinen Rücken klettern ließ; aber bei Allen war eine gewisse Schüchternheit nicht zu verkennen, die ihnen die Gegenwart dieser sogenannten Damen auferlegte, obgleich sich diese bemühten durch freigebiges Darbieten ihrer Hände, Arme und Nacken jede Zurückhaltung zu verscheuchen.

»Job, zerbrich das Ding nur nicht!« rief einer aus der Versammlung dem Goliath zu, der die Orgel jetzt drehte.

»Verdammt, das kann nicht ein Jeder, dieses Ding richtig spielen!« antwortete der Angeredete und krümmte sich in den verschrobensten Bewegungen, um darzuthun, daß es seine Geschicklichkeit sei, wodurch er dem Kasten diese Melodien entlockte. Dabei hatte er seinen linken Arm über den breiten Hüften der Tambourinschlägerin um ihre Taille gelegt und zog sie, augenscheinlich verzagt und zögernd, näher zu sich heran, doch diese hob sich auf ihre Fußspitzen, sah lachend zu ihm auf und strich ihn ermuthigend mit der Hand über seine glühende Wange.

Wie von einem Zauberstabe berührt, hob Job jetzt das Mädchen mit entfesselter Leidenschaft in seinem

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Arme an seine Riesenbrust und stieß einen wilden thierischen Ruf aus.

Kaum hatte die Dirne den Fußboden wieder erreicht, als ein kräftiger junger Squatter (Ansiedler auf Gouvernementsland) Namens Bruno, der erst seit kurzer Zeit in der Nahe des Städtchens seine Hütte aufgeschlagen hatte, zu ihr hintrat und ihr eine Fünfdollarnote in das Tambourin legte.

Job Moore, dies war der Name des Riesen, streckte jedoch seine Hand rasch nach der Note aus, ergriff sie und warf sie in seinen weitgeöffneten Mund, wo er sie sofort mit den Zähnen zermalmte und verschlang.

»Hier meine Dame,« sagte er dann zu dem Mädchen; »hier ist gutes Geld dafür, Sie sind zu gut, um Ihnen solches falsches Papiergeld zu geben,« und warf ihr ein goldenes Fünfdollarstück in das Tambourin.

»Die Note war gut, Herr Moore,« sagte Bruno bleich vor Zorn und einen glühenden Blick nach jenem sendend; »wer weiß, ob Ihr Goldstück so viel werth ist? Hier, Fräulein, hier sind zehn Dollar in gutem Golde, nehmen Sie solche aber in Acht, oder der Herr Moore möchte sie sich gleichfalls zueignen und Ihnen dann falsches Geld dafür geben.«

Mit diesen Worten reichte der junge Mann der Sängerin das Goldstück hin und ging nach dem andern

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Zimmer, wo sich der Schenktisch befand. Bald kam er von dort zurück und eilte mit einem Glase Punsch in der Hand zu der Tambourinschlägerin, der er dasselbe darbot.

Moore hatte ihn kommen sehen, seine rothe Gesichtsfarbe hatte sich um mehrere Schattirungen verdunkelt und seine kleinen grauen Augen verriethen seinen wachsenden Zorn. Er hatte die Sängerin erreicht, als Bruno ihr das Glas hinhielt und, als sie ihre Hand darnach ausstrecke, schlug er mit der Faust darunter, daß es weithin durch das Zimmer flog und an der Wand in tausend Scherben zersplitterte.

»Nur mit mir trinkt diese Dame!« schrie er mit wüthender Bärenstimme, »und ich möchte den Mann sehen, der Etwas dagegen einzuwenden hat!«

»Der bin ich!« rief Bruno mit drohender rasender Geberde; »komme mit mir hinaus und laß uns sehen, wer von uns beiden der beste Mann ist?«

Zugleich hatte er ein langes schweres Messer aus der Scheide gezogen und wies damit nach der Thür.

»Ich gehe mit Dir zur Hölle, Du Grünschnabel! ob Du aber mit mir gehen magst, das ist die Frage?«

»Ich springe mit Dir in einen glühenden Schmelzofen, oder wohinein Du sonst willst. Du Großmaul!«

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»So komm, springe mit mir vom Andreas-Abange, wenn Du Muth hast, es wird Dir Junge aber wohl zu hoch sein!«

»Wo Du hinunterspringst, bei Gott, da springe ich mit. Komm, komm!« rief Bruno, stürzte nach der Thür und Moore, so wie die ganze tobende Versammlung rannte ihnen nach.

Unmittelbar hinter dem Städtchen erhob sich der Andreasberg, der nach dem Flusse hin in einem senkrechten Abhange von drei- bis vierhundert Fuß hinabschoß. Dorthin stürmte jetzt die wilde Schaar, die beiden Streiter voran, und in kurzer Zeit hatten sie die schroffe Felswand erreicht.

Das Mondlicht lag hell und still auf der Gegend und beleuchtete das Nebelmeer, welches in dem Abgrunde über dem Flusse wogte. In Contrast mit dem heiligen Frieden, der über Berg und Thal verbreitet war, ertönten jetzt von der steilen Höhe die Ausbrüche entfesselter wilder Leidenschaften und unter Fluchen und Toben drängte sich die Menge um die beiden rasenden Streiter, man band den rechten Arm Brunos mit dem linken Moores fest zusammen und führte sie bis auf wenige Schritte vor den Abhang.

»Jetzt mußt Du mit mir zur Hölle, Junge!« schrie Moore und stieß einen gräulichen Fluch aus.

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»Memme, ich gehe Dir voran!« rief Bruno und sprang, Moore hinter sich herziehend, die wenigen Schritte bis an den letzten Stein und dann weit über denselben hinaus, um nun wirbelnd mit seinem Feinde in die bodenlose Tiefe zu sausen.

Ein durch Mark und Bein gellender Schrei war das letzte Lebenszeichen von den beiden von ihrer Leidenschaft Bethörten und nur ein dumpfes Schwirren und Brausen in der Luft unter dem Abhange bezeichnete die Bahn, die sie genommen.

Bis zu diesem Augenblicke hatte wilde ungezügelte Aufregung die Zuschauer bewegt, doch mit dem Absprunge der beiden Männer war eine Todtenstille unter ihnen eingetreten und schweigend und nüchtern kehrte die Menge zu dem Wirthshause zurück, wo die Meisten ihre Pferde aufsuchten und, in sich gekehrt, ihrer Heimath zu und nach ihrer Familie zurückeilten.

Im Gasthause war es still geworden, die Musik war verstummt, der Orgelkasten war mit einem Wachstuchüberzug bedeckt und von den rothwangigen Sirenen war das Leben, das Lachen, die Spannkraft gewichen, die Schminke war von ihren Wangen gewaschen, die, in glänzende Gewänder eingeschnürten, schlanken Taillen waren unter losen Ueberwürfen verschwunden und die Haare in Papier eingedreht.

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In diesem Aufzuge, anstandslos gähnend und sich reckend, fand Farnwald die Mädchen in ihrem Zimmer, als er von der Schreckensscene zurückkehrte. Er wollte von ihnen hören, ob sie ihm vielleicht Nachrichten über seinen Geburtsort mittheilen könnten. Sie empfingen ihn im Schaukelstuhle und auf Bänken liegend, mit der rücksichtslosen Nachlässigkeit und Unbekümmertheit, die alles Gemeine, was nach Amerika kommt, wo es sich aller Schranken frei fühlt, so sehr charakterisirt. Farnwald erfuhr, daß die Mädchen wirklich nicht sehr weit von seiner Heimath zu Hause waren und wenn dieselben ihn auch in jeder Weise anwiderten, so erfreuten ihn doch ihre, wenn auch unbedeutenden, Mittheilungen über sein Vaterland und er verließ sie, ohne ihnen, wie er es Willens gewesen war, das Niedrige und Verächtliche ihres Erwerbes vorzuwerfen.

Bei dem sehr zeitigen Frühstück am folgenden Morgen fand Farnwald auch die Dirnen reisefertig, und als er sein Pferd bestieg, packten sie den Orgelkasten und ihre übrigen Instrumente auf einen kleinen, mit einem Maulthier bespannten, offenen Wagen, um in demselben ihre Geschäftsreise fortzusetzen,

Abends erreichte Farnwald mit Milly die Plantage seines Freundes Renard, wo er mit offenen Armen und inniger Herzlichkeit empfangen wurde. Sein Entschluß,

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sich zu der Armee zu begeben, hatte die Familie mit tiefer Betrübniß erfüllt und Renard, im Verein mit seiner Frau und Tochter, bot noch einmal seine ganze Beredsamkeit auf, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Sie sahen jedoch bald ein, daß ihr Bemühen umsonst war und bestrebten sich nun, ihrem Freunde die wenigen Tage, die er bei ihnen verweilen konnte, so viel es in ihren Kräften stand, angenehm zu machen und die düstere Stimmung, der er sich hingegeben, von ihm zu verscheuchen.

Der Mensch hängt an der Scholle, wo er geboren, wo er seine frühe Jugend zugebracht, aber für Milly hatte die Rückkehr in ihre Heimath nichts Erfreuliches. Sie war nicht mehr die verachtete ungebildete Farbige, die verkäufliche Sklavin, als welche sie diesen Ort verlassen, sie war eine ganz Andere geworden und blickte mit Scham und Widerwillen auf die Zeit und Niedrigkeit, die sie hier verlebt hatte. Ihre trefflichen natürlichen Anlagen, ihre geistigen Fähigkeiten waren durch den Umgang mit Farnwald und durch sorgsam gewählte Lectüre entwickelt worden und hatten ihr, das fühlte sie sehr wohl, einen bedeutenden Vorzug vor ihren unglücklichen Jugendgenossinnen gegeben. So viel sie aber auch über diesen stand, so sehr trennte sie doch ein unerreichbarer Abstand der Geburt von den beiden

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weißen Damen; weder bei diesen, noch aber bei den Sklaven, als ihres Gleichen, konnte sie Trost und Freundschaft suchen, und schmerzlich und tief ergriff sie das Gefühl, daß sie hinfort einsam und verlassen in der Welt dastehen werde. Traurig betrachtete sie die Plätze, wo sie einst gespielt, den Kahn, der sich neben den üppigen Pflanzen des Ufers wiegte, in dem sie so oft frohen sorglosen Sinnes dahingefahren war; traurig wanderte sie durch die mit Blüthen übersäeten Laubengänge des Gartens, unter denen sie so viele Kränze gewunden; überall gedachte sie des Augenblicks, wo sie sich von ihrem Beschützer, ihrem Erzieher trennen sollte, von ihm, dem alleinigen Trost ihrer Zukunft, dem ihre ganze Seele angehörte, um dann allein und freundlos in der Welt zu stehen. Getrennt war sie zwar jetzt schon mehr oder weniger von ihm, denn ihre Dienste riefen sie nicht mehr in seine Nähe und seinem Aufenthalte bei den weißen Damen zu nahen, war der Farbigen nicht erlaubt. Madame Renard war zwar, so wie ihr Mann, von französischer Abkunft und hegte weniger Vorurtheil gegen die unglücklichen Nachkommen der Afrikanischen Menschenrace, als die Amerikaner; dennoch wäre es zu sehr gegen Landesbrauch und Sitte gewesen, der Farbigen einen andern Zutritt in ihre Nähe zu gewähren, als in der Eigenschaft einer Dienerin.

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Madame Renard war freundlich und gütig gegen sie, befahl der schwarzen Köchin, besonders gut für sie zu sorgen, hatte ihr eine eigene Dachstube zu ihrem Aufenthalte angewiesen und sagte liebevolle Worte zu ihr, wenn sie ihr auf den Gängen, in der Küche oder außerhalb des Hauses begegnete, eine weitere Annäherung aber fand zwischen der weißen Dame und der Quadrone nicht statt.

Milly aber fühlte sich schon glücklich, wenn ihr Herr ihr von Zeit zu Zeit begegnete und freundliche Worte zu ihr sprach, oder auch, wenn ihre Blicke ihn nur durch die offenen Fenster von der Veranda aus erreichen konnten und sie seiner Stimme während der Unterhaltung mit den weißen Damen zu lauschen im Stande war.

Die Zeit eilte schnell, zu schnell für Alle dahin und der Morgen des Abschieds erschien. Renard wollte seinen Frennd bis zu dem nächsten Landungsplatze der Dampfboote, nur zehn Meilen unterhalb seiner Wohnung, begleiten und befahl während des Frühstücks, daß mit Farnwalds für den Feldzug bestimmten jungen Schimmel auch sein Pferd gesattelt werde.

Beide Rosse erschienen, zur Abreise der Freunde bereit, vor dem Hause, worauf Farnwald das Frühstückszimmer

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verließ, um Milly, dem alten Hengste und Joe Lebewohl zu sagen.

Beim Hinaustreten auf die hintere Gallerie des Gebäudes fielen seine Blicke auf die Getreuen, die seiner in kurzer Entfernung auf dem Grasplätze harrten. Milly hatte ihre kleine Rechte in die weiche Mähne des Pferdes gelegt und drückte mit ihrer Linken den Kopf des treuen Hundes an sich. Farnwald fühlte seines Herzens Schläge aussetzen, die Brust wurde ihm zu enge und seine Augen füllten sich mit Thränen. Er stürzte von der Veranda zu den Lieblingen hin, reichte der Quadrone tief bewegt die Hand und sagte ihr liebevolle Worte des Trostes und der Ermuthigung, dann schlang er seinen Arm um den Nacken des Hengstes und dann um den Hund und wollte sich eben so rasch wieder von ihnen wenden, um den schmerzlichen, sein Innerstes ergreifenden Abschied nicht zu verlängern, da warf sich ihm die Sklavin in den Weg, umklammerte sein Knie und hob mit dem Ausdrucke der Verzweiflung flehend ihre thränenvollen Blicke zu ihm auf.

»O Herr, noch nicht, noch nicht!« jammerte sie und umschlang ihn fester. »O bleibe noch, habe Erbarmen, sieh den alten Joe, sieh das treue Pferd, Du kannst sie noch nicht verlassen!«

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Farnwald, der fest zu bleiben suchte, wollte sich ihrem Arme entwinden, da stieß Joe, als erkenne er den Grund der Aufregung, einen tiefen heulenden Ton aus und der Hengst legte schmeichelnd seinen Kopf auf seines Herrn Schulter.

Der Schmerz der Trennung erfaßte Farnwald mit aller Gewalt, er schlang seine Arme wieder und wieder um die Getreuen und Thränen traten in seine Augen; da schritt Renard herzu, ergriff Farnwalds Hand und führte ihn hinweg nach den bereitstehenden Pferden, auf denen sie bald die Plantage aus den Augen verloren.

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Capitel 29.

Das schwimmende Wirthshaus. - Die Reise auf dem Strome. - Empfang. - Das Gelage. - Die Armee. - Anfang den Krieges. - Schlacht bei Palo Alto. - Im Tode noch treu. - Rast in Matamoros. - Aufbruch der Indianer. - Reise. - Das neue Lager. - Die Nation der Comantschen. - Erkundigung. - Entdeckung. - Große Berathung.


Noch Vormittags erreichten die beiden Freunde das Ziel ihrer Reise, wo sie ein Dampfboot trafen, welches mit Ausladen beschäftigt war und erst am folgenden Morgen seine Rückreise den Fluß hinunter antreten konnte. Renard schlug seinem Freunde vor, wieder zurück nach seiner Besitzung zu reiten und dort die Nacht zuzubringen, da er am nächsten Morgen hinlänglich Zeit habe, vor der Abfahrt des Schiffes hier einzutreffen;Farnwald jedoch weigerte sich der Einladung zu folgen, denn der letzte Abschied war zu schmerzlich gewesen, als daß er ihn hätte erneuern sollen. Die Freunde entschlossen sich daher, in dem sehr dürftigen schwimmenden Wirthshause, welches sich hier befand und welches in einem alten, condemnirten

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Dampfschiffe, aus welchem die Maschine entfernt worden, hergerichtet war, ihr Quartier zu nehmen. Die wenigen Stunden aber, die ihnen noch gestattet, zusammen hinzubringen, waren beiden[Beiden] von zu hohem Interesse, als daß sie die abgehende Bequemlichkeit sehr vermißt hätten; es war noch so Manches zu bereden, daß sie, selbst in ihren Betten ruhend, sich noch spät in die Nacht hinein unterhielten.

Der folgende Tag zog golden und heiter herauf und bald wirbelten dunkle Rauchwolken aus den schwarzen Schornsteinen des Dampfers, der sich zur Abreise fertig machte. Die letzten Güter waren aus demselben an das Land gebracht, die Glocke tönte zur Abfahrt, und als die letzte Bohle vom Ufer zurückgezogen werden sollte, preßten sich die beiden Freunde nochmals in die Arme und Renard verließ das Boot. Die Maschine fing zu stöhnen und zu arbeiten an, das Dampfschiff bewegte sich rückwärts und glitt dann in der Mitte der Strömung den Fluß hinab, während Farnwald und Renard sich noch lange Lebewohl zuwinkten.

Die felsigen, von der Sonne durchglühten, kahlen Ufer waren nichts desto weniger malerisch schön und boten den Vorüberfahrenden die reizendsten Bilder dar. Die dort aufgethürmten kolossalen Steinmassen mit ihren dunkeln Höhlen und Schluchten, mit den wild daraus

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hervorschäumenden Sturzbächen und den durch diese mit fortgerissenen Gerippen von Riesenbäumen, die ihre Wurzeln, ihre Aeste geisterhaft daraus hervorstreckten, zogen die Blicke der Reisenden nach allen Richtungen hin an und gern ließen sie dieselben hier an einer, mit blühenden Cactussen überrankten Felswand, dort auf dem schlanken Schaft einer Palme, dem hohen Blüthenstengel einer stachelichten Jucca, die sich kühn aus den Granitspalten hervorhob, verweilen. Wolkenlos und durchsichtig wölbte sich der Himmel über der in der Sonnengluth erzitternden Landschaft, sein glänzendes reines Blau spiegelte sich in den klaren durchsichtigen Wellen des Stromes und in warmem Purpur blickten die fernen Gebirgszüge hier und dort zwischen den aufstrebenden Ufern hervor. Oft sah man auf dem saftiggrünen, mit Blumen bedeckten Ufer, wo eine Bergschlucht einem brausenden Wasser den Weg zu dem Flusse öffnete, Rudel von Hirschen und Antilopen weiden; in den von steilen Gebirgsmassen eingeengten Thälern erblickte man Heerden wilder Pferde, durch das Schnauben der Dampfmaschine aufgeschreckt, mit fliegenden Mähnen davon eilen und einzeln wurde zwischen dem aufsteigenden Geklüfte die schwerfällige Gestalt eines Bären sichtbar. Die Büchse gewährte Farnwald und noch einigen seiner neuen Kameraden, die sich gleichfalls mit ihren Pferden

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an Bord befanden, viel Unterhaltung und manche Kugel wurde, wenn auch oft auf unerreichbare Entfernung, in die Berge gesandt. Ein Ziel jedoch bot sich ihrem Geschosse beinahe fortwährend dar und gab viel Veranlassung zum Zeitvertreibe: es waren die Alligatoren, die sich in großer Zahl an den schlüpfrigen Bänken oder auf in das Wasser hängenden Baumstämmen sonnten und die Sprünge und das Umsichschlagen eines dieser verwundeten, so verhaßten Thiere diente dann sämmtlicher Schiffsgesellschaft zur Unterhaltung.

Die Sonne wurde mit jeder Meile, die das Schiff zurücklegte, glühender, doch die Ufer wurden flacher und die Seeluft, die vom Golf her hier freier wehen konnte, wurde kräftiger und machte den Schatten unter dem auf Säulen ruhenden obern Verdeck des Schiffes angenehm und erquickend. Nur selten legte dasselbe an, begrüßte nur ein ihm begegnendes Dampfboot, welches unter schwerer Last den Strom hinauffuhr, und als die Sonne sich schon den fernen Gebirgen näherte, machte der Capitain des Schiffes Farnwald und seinen zukünftigen Kampfgenossen die Anzeige, daß sie jetzt sehr bald den Landungsplatz erreicht haben würden, wo sie das Boot zu verlassen hätten.

Sie begaben sich zu ihren Pferden, um sie zu satteln und aufzuzäumen, machten sich selbst fertig, mit ihrem

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Gepäcke an das Land zu gehen und das Schiff steuerte um eine Uferwand, wo der Fluß eine kurze Biegung machte, als plötzlich ein lautes Hurrah von dem Ufer her ertönte, eine Menge Büchsen abgefeuert wurden und die dort gelagerte neue Schützen-Compagnie freudig ihren Hauptmann begrüßte.

Nach einigen Minuten hatte das Boot den nur in kurzer Entfernung von dem Lager gelegenen Landungsplatz erreicht, Farnwald führte sein Pferd an das Land und wurde dort von den jubelnden Kameraden empfangen, die ziemlich zu gleicher Zeit mit dem Dampfboote hier angekommen waren, da sie ein gerader Weg hierher geführt, während jenes einen weiten Bogen hatte beschreiben müssen.

Einer unter der frohen Menge aber drängte sich mit frohem Ungestüm zwischen den Schützen durch und flog Farnwald in überströmender Freude um den Hals. Es war Robert Swarton, der am Tage vorher hier angekommen und von der Compagnie mit frohem Willkommen begrüßt worden war. Auch Jerry nahte sich Farnwald, nachdem der Empfang Seitens der Weißen vorüber war und dieser drückte dem treuen Diener mit aller Herzlichkeit die Hand.

Verschiedene Provisionen, die der Dampfer für die Compagnie mitgebracht hatte, wurden nun an das Land

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und dann nach dem Lager befördert, ein Fäßchen mit Cognac von dem Capitain des Schiffes erstanden, um die Ankunft des Hauptmanns zu feiern und als dann das Dampfboot seine Weiterreise den Fluß hinunter antrat, zogen die Streifschützen, mit Farnwald in ihrer Mitte, nach dem Lager zurück.

Es war eine treu, ehrlich und zuverlässig aussehende Schaar, an deren Spitze zu stehen jedes kräftige Männerherz mit Stolz und Lust erfüllen mußte. Starke sonnverbrannte Burschen waren es, denen man es ansah, daß es keine Gefahr gab, vor der sie zurückschrecken würden. Meist in Leder gekleidet, trugen sie sämmtlich große Filzhüte, unter denen ihr reiches Haar üppig hervorquoll und deren breite Ränder ihre bärtigen dunkeln Gesichter überschatteten, aus denen ihre Augen entschlossen hervorblitzten. Sie waren sämmtlich mit den langen einfachen Büchsen bewaffnet, die sie schon als Knaben in die Wälder und Prairien zur Jagd hinausgetragen, führten Pistolen und ein schweres Jagdmesser im Gürtel mit sich und ritten die Pferde, auf denen sie so oft Büffeln, Bären und Panthern im wilden Kampfe begegnet waren.

Am Tage vorher hatten sie in der nahen, viele Meilen weiten Prairie eine gemeinschaftliche Treib- und Hetzjagd zu Pferde gehalten, wobei ihnen eine Menge

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Hirsche und Antilopen zur Beute geworden, auch waren mit Anbruch des heutigen Tages zwei mächtige Bären von ihnen in den Bergen gestreckt, so daß der Wildpret[t]vorrath ein bedeutender und geeigneter war, die Speisen zu dem bevorstehenden Feste zu liefern.

Die Lagerfeuer wurden angefacht, mehrere ganz in der Nähe stehende abgestorbene Bäume wurden zur Unterhaltung derselben gefällt, und ein Jeder versah sich reichlich mit Wildpret[t], um es an hölzernen Spießen für das Mahl zu rösten. Zugleich wurden die Blechtöpfe mit Wasser auf die Kohlen gesetzt, zuerst um Kaffee und dann um heißen Grog zu bereiten, und als die Sterne hell am wolkenlosen Himmel blitzten und der Mond über der weiten Prairie, wie das glühende Auge der Nacht emporstieg, lagen die lustigen sorglosen Gesellen in einem weiten Kreise um ein großes Feuer im Grase und zechten auf das Wohl ihres Hauptmanns, des Generals Taylor, des sternbedeckten Banners ihrer Nation und auf das Glück der Amerikanischen Waffen.

Drei Tage lang verweilte die Compagnie in diesem Lager, während welcher Zeit die letzten Eingeschriebenen erschienen und am vierten setzte sie sich in Marsch nach der Seeküste, wo die dreitausend Mann starke Amerikanische Armee lagerte. Mit großem Enthusiasmus

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wurden die Freiwilligen dort empfangen, einem Regiment berittener Streifschützen einverleibt und mit Revolvern versehen. Der Ausbruch des Krieges war aber noch nicht so nahe, als man erwartet hatte, und General Taylor hatte Befehl, die Feindseligkeiten noch nicht zu beginnen und nicht weiter vorzurücken. Die Zeit wurde meist mit Waffenübungen hingebracht. Das wundervolle Klima eines Winters an der Golfküste machte den Soldaten ihren Aufenthalt angenehm, zumal sie mit vortrefflichen Lebensmitteln reichlich von den östlichen Staaten her durch leichte Küstenfahrzeuge versorgt wurden, und die gute Jagd und Fischerei in der nahen Umgegend bot ihnen viel Unterhaltung und Belustigung. Endlich erhielt Taylor den Befehl von Washington, nach dem Mexicanischen Fort Isabel aufzubrechen, welche Nachricht, als die Eröffnung des Feldzugs, von der Armee mit Jubel vernommen wurde. Demungeachtet verstrichen mit Vorbereitungen zu dem Marsche noch beinahe zwei Monate. Als das Heer sich endlich obigem Forte näherte, verließen es die Mexicaner und steckten ihre Häuser in Brand. Eine Zeit lang wich der Feind überhaupt den Amerikanern aus, griff nur mit Uebermacht ihre Vorposten an und beunruhigte sie besonders des Nachts, bis sich die beiden Armeen endlich in der weiten Ebene von Palo Alto trafen, um sich zum ersten

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Male in offener Schlacht zu messen; die Mexicaner zählten hier sechstausend Mann reguläre Truppen mit einer Mehrzahl von Cavallerie.

Von beiden Seiten wurde mit größter Erbitterung gefochten, Cavallerie- und Infanterie-Angriffe folgten sich rasch nacheinander, doch keine der Mächte wollte weichen, so daß noch, als die Sonne sich neigte, beide Heere die Stellung behaupteten, die sie zu Anfang der Schlacht eingenommen hatten. Die Geschütze richteten mörderische Verheerungen unter den Kämpfenden an, Tausende von Verwundeten und Leichen bedeckten das Schlachtfeld, und ausgezeichnete Officiere wurden auf beiden Seiten verloren.

Farnwalds Compagnie hielt mit noch einer andern seines Regiments und einer Schwadron Dragoner in der Nähe der Batterie des Kapitain D***, als bei einbrechender Nacht die Mexicanische Armee einen Gesammtangriff mit dem Bajonnet unternahm und in Linie im Sturmmarsch heranzog. Die bei weitem vorzüglichere Artillerie der Amerikaner schleuderte Tod und Verderben unter die Stürmenden und ihre Reihen geriethen in Unordnung. Dazu kam, daß vor der Batterie des Kapitain D*** das hohe trockene Gras Feuer fing, dessen lodernde Flammensäulen zwischen schwarzen

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Rauchwolken anfwirbelten und sich prasselnd, den Mexicanern entgegen, weit hin über die Ebene streckten. In Schreck und Verwirrung flohen diese vor dem heransausenden Element aus dem Thale den Höhen zu, wo das Gras niedrig und schon zertreten, dem Feuer keine Nahrung mehr gab, sammelten sich schnell und rückten abermals im Sturmmarsch über die, mit schwarzer Asche bedeckte, Ebene dem Feinde entgegen.

Da brach von ihrem rechten Flügel eine Cavallerie-Abtheilung, aus Dragonern und Lanciers bestehend, gegen die Batterie, bei welcher Farnwald hielt, vor, die Schützen und Dragoner der Amerikaner warfen sich ihnen entgegen und bald darauf kämpften sie in aufgelösten Reihen Mann gegen Mann.

Robert Swarton war, in blinder Wuth vorwärts jagend, zwischen einen Trupp feindlicher Dragoner gerathen und Jerry, der neben seinem Herrn mitfocht, sprengte ihm nach, als er plötzlich sah, wie dessen Pferd sich bäumte und sich mit seinem Reiter überschlug. Mit einem Schrei des Entsetzens sah der Sklave seinen geliebten Herrn unter den Pferden der Feinde verschwinden, beide Sporen in die Seiten seines Thieres stoßend, setzte er durch den Reitertrupp hin und hatte Robert erreicht, als eine Karabinerkugel seine treue Brust traf und ihn neben seinem Herrn auf den Boden streckte.

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In wilder verworrener Flucht jagten die Angreifer nach einem verzweifelten Gefecht zu ihrer Linie zurück und wurden von den Amerikanern bis unter deren Gewehrfeuer verfolgt.

Die Nacht machte dem allgemeinen Kampfe ein Ende, die Mexicaner zogen sich in ihre erste Stellung auf die Anhöhen zurück, und der Sieg des Tages blieb unentschieden. Auch die Amerikaner waren zu ihren Gepäck- und Provisionswagen zurückgekehrt und bald blinkten die Lagerfeuer der feindlichen Heere einander zu.

Mancher gute Kamerad wurde bei diesen Feuern vermißt, von dem man wußte, daß er sich nicht unter den in das Lager gebrachten Verwundeten befand.

Auch in Farnwalds Compagnie fehlten Viele, unter denen auch Robert Swarton und sein treuer Diener genannt wurde. Farnwald fragte seine Leute, ob Keiner von ihnen über das Schicksal dieser Beiden Auskunft geben könne? Doch Niemand wollte sie während des Gefechts, seit welchem sie verschwunden waren, gesehen haben.

Der Mond war aufgegangen und warf bald sein stilles Licht mit Tageshelle über das Schlachtfeld. Der sumpfige Platz, wo das Cavalleriegefecht stattgefunden

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hatte, war deutlich durch eine Gruppe von Mosquitbäumen bezeichnet, die in nicht sehr großer Entfernung zu erkennen waren, und so wenig Trost Farnwald auch dort über das Schicksal des Freundes, für den er sein ganzes Lebensglück geopfert hatte, zu finden hoffte, so zog es ihn doch unwiderstehlich zu jenem Platze hin, um nur Gewißheit, wenn auch die bitterste, über Robert zu erhalten. Er erwirkte sich die Erlaubniß bei seinem Commandeur, mit einigen seiner Leute nach dem Vermißten zu suchen und nahm einige dreißig bewaffnete Schützen zu diesem Zwecke mit sich.

Die Vorposten hatten sie hinter sich gelassen und wanderten in einer ausgedehnten Linie langsam und um sich spähend durch das Feld des Todes, auf dem die verstümmelten Leichen der Freunde und Feinde um sie her lagen.

Sie näherten sich der Baumgruppe, als sie drei Gestalten bemerkten, die sich dort im Mondlichte bewegten und bei ihrem Herankommen die Flucht ergriffen. Es waren Mexicaner, die wohl gleichfalls nach Freunden suchten und Farnwald rief seinen Leuten zu, sie unangefochten ziehen zu lassen.

Die Bäume waren erreicht und die Schützen befanden sich auf dem besagten Kampfplatze, wo Robert

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verschwunden war. Nach allen Richtungen hin theilten sie sich nun auseinander und gingen suchend und spähend zwischen den vielen Gefallenen hin, als in nicht großer Entfernung vor Farnwald ein Pferd sich mit Kopf und Brust in die Höhe richtete und sich wiederholt bemühte, aufzustehen. Es war ein Pferd von dunkeler Farbe, und Robert hatte einen Rappen geritten. Farnwald und mehrere seiner Kameraden liefen hinzu; es war Roberts Roß, unter dem verwundeten Thiere lag er selbst mit blutigem Haupte todt hingestreckt und zu seinen Füßen war der alte treue Neger, eine Leiche, zusammengesunken.

Schweigend standen die Schützen und blickten mit feuchten Augen auf den Kameraden, und den ihm noch im Tode treuen Sklaven. Farnwald nahm mit blutendem Herzen im Stillen Abschied von Robert; die Lebensfrist, die er für ihn so theuer erkauft hatte, war leider so kurz gemessen! -

Er gab einem der Schützen ein Zeichen, das durch die Schulter geschossene Pferd zu tödten, und wandte sich ab, um es nicht selbst mit anzusehen. Seine Gefährten folgten ihm nach dem Bivouac zurück, in welcher Richtung sie nur wenige Schritte gethan hatten, als der Büchsenknall hinter ihnen verkündete, daß auch das

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Jagdpferd seines Freundes, in dessen Nähe er so manche Büffel- und Bärenhatze gemacht, ausgelitten habe.

Mit schwerem Herzen verbrachte Farnwald die Nacht im Andenken an seine letzte Vergangenheit, und der Befehl am andern Morgen, den aufgebrochenen Mexicanern zu folgen und sie abermals anzugreifen, war ihm mehr als willkommen. Nach der Schlacht bei Resaca de la palma, in welcher an diesem Tage die feindliche Armee zum größten Theil aufgerieben wurde, bezogen die Amerikaner Quartier in der mexicanischen Stadt Matamoros, wo General Taylor Verstärkung erwarten wollte, der Rest der geschlagenen Feinde aber, der sich auf nicht mehr als zweitausend Mann belief, flüchtete sich auf der Straße nach der Bergfestung Monterey.


Während der Zeit, in welcher Farnwald in der Armee Dienste genommen hatte, und in welcher weiter im Norden ein großer Theil der Wälder sich gelb färbte und die goldenen Blätter der Bäume im Hauche des Herbstes an die Erde rieselten, hatte Kiwakia früh eines Morgens den Befehl zum Aufbruch des Lagers gegeben, um weiter nordwestlich zu der großen Berathung seiner Nation zu ziehen. Nach dem Frühstück, während die Männer noch bei den Feuern saßen, trugen die Frauen und Mädchen Alles, was die Zelte enthielten, daraus hervor und packten und hüllten es zu kleinen Ballen in

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Thierhäute ein. Dann brachen sie die großen weißen ledernen Zelte ab, zogen die Stangen daraus hervor und legten erstere gleichfalls in Ballen zusammen. Nun wurden die Packthiere von der Weide herbeigeholt, es wurde ihnen mittelst eines Riemens an jeder Seite eine der langen Zeltstangen an dem Halse so befestigt, daß deren Enden weit hinter ihnen, nur einige Fuß von einander entfernt, auf der Erde schleiften, quer darüber wurden, wie Sprossen in einer Leiter, Stöcke gebunden, und das Fuhrwerk war fertig, auf dem das Gepäck hinweg befördert werden sollte. Die Ballen wurden auf diese, hinter den Thieren herschleifenden Leitern gebunden, andere auf die Rücken der Maulthiere selbst gepackt, die Kinder dazwischen gesetzt und, nachdem die Weiber den Männern die Reitpferde gesattelt und vorgeführt hatten, schwangen sie sich auf Maulthiere oder Pferde, die sie aus der großen Heerde des Stammes ergriffen und nach kaum einer Stunde Arbeit waren die Comantschen mit ihren Häusern und Sack und Pack reisefertig.

Auf den Wink Kiwakias, der gleichfalls sein Pferd bestiegen hatte, ergriff einer der ältesten Krieger des Stammes den Feuerbrand eines Stückes Mosquitholz, welches die Gluth außerordentlich lange hält, ritt, denselben vor sich in die Höhe haltend, an die Spitze der Krieger und nahm seinen Weg nordwärts am Flusse

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hinauf, während die Weiber, Kinder, Packthiere und die ganze Heerde, aus vielen hundert Pferden und Maulthieren bestehend, in buntem Wirrwarr den Reitern folgten.

Wohl einige Meilen waren sie schweigend dahingezogen, als sie den letzten Höhepunkt erreichten, von dem ihnen noch ein Blick nach dem verlassenen Lagerplatze frei stand. Kiwakia hielt sein Pferd an, wandte es mit dem Kopfe nach jener Gegend zurück und winkte, nach seines Volkes Brauch, dem Orte, der sie so viele Monate lang in Frieden beherbergt hatte, seinen Abschiedsgruß zu. Ein Gleiches thaten die übrigen Indianer, worauf der Führer mit dem rauchenden Feuerbrande sich abermals an die Spitze der Wanderer begab und der Zug mit großer Schnelligkeit die Reise fortsetzte.

Ohne ihren Reitthieren mehr Rast zu gönnen, als an den Gewässern, in denen sie ihren Durst stillten, eilten sie während des ganzen Tages vorwärts und obgleich der Feuerbrand in der Hand des Führers längst schon erloschen war, so hielt derselbe ihn dennoch vor sich hin, um ihn bei dem Feuer auf dem nächsten Lagerplatze zu verwenden und gleichsam die ungestörte Ruhe, die sie auf dem verlassenen genossen hatten, auf diesen zu übertragen. Bei untergehender Sonne erreichten sie in den höheren Gebirgen auf einer von Felsen

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umgürteten Ebene herrliches frisches Gras und klares Quellwasser, ein Platz der, wie in den civilisirten Ländern die Wirthshäuser den Reisenden, so diesen Bewohnern der Wildniß wegen vorgenannter Vorzüge sowohl, als auch wegen seiner großen Schönheit, bekannt war und seit Jahrhunderten ihren Vorfahren zum Nachtlager auf ihren jährlichen Wanderungen nach Norden und nach Süden gedient hatte.

Diese Wilden besitzen überhaupt große Empfänglichkeit für Naturschönheiten, denn ihre Lagerplätze sind nicht allein nach dem zweckmäßigen Entsprechen ihrer Bedürfnisse gewählt, sondern es ist auch stets bei einer Auswahl von passenden Orten der vorgezogen, welcher das Auge auf das Lieblichste, auf das Angenehmste begrüßt. Eine schöne Felspartie, ein schäumender, wasserstaubumhüllter, rauschender Sturzbach, eine Durchsicht auf die unter dem Aether schwebenden Eiskuppen der Gebirge, ja ein elegant geformter schöner Baum hat Reiz für diese Kinder der Wildniß und hier wird von ihnen vorzugsweise zu ihrem längeren oder schnell vorübergehenden Aufenthalte ein Ruheplatz gewählt.

Auf dieser Station verweilten die Reisenden nur die Nacht, um sich selbst und ihren Thieren die nothwendige Rast zu gönnen, weshalb auch kein Zelt aufgeschlagen wurde, und noch verschwammen die Außenlinien

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der Gebirgsmassen in dem Düster des Morgens, als die Caravane wieder unterwegs war und der Führer den glühenden Brand in der Hand vor ihr hineilte.

Mehrere Tage lang hatten die Comantschen ihre Reise in solcher Weise fortgesetzt, als sie eines Abends mit dem Sinken der Sonne an den letzten Gebirgsabhängen hinunter, den üppig grünen Ufern des Flusses zuritten, an welchen einige Meilen Weges weiter nördlich die große Berathung ihrer Nation stattfinden sollte. Ein reiches, mit schattigen Wiesen bedecktes, Thal zog sich zu beiden Seiten des Stromes nordwärts, in welchem die vielen Stämme der Comantschen mit ihren zahlreichen Heerden Raum und Nahrung für sich und ihre Thiere fanden.

Nahe an dem Fuße der Berge hielt Kiwakia mit seinen Gefährten an und ließ in dem Schatten mächtiger Platanen und Cypressen, deren Wurzeln von den klaren Wogen des Flusses bespült wurden, das Lager aufschlagen. Während die Frauen und Mädchen die Packthiere von ihrer Last befreiten, die Ballen öffneten und mit vereinten Kräften die großen Zelte aufrichteten, hatten die Männer Feuer angezündet, sich um dieselben auf ihre Satteldecken gelagert und beobachteten die Arbeit der Weiber, wobei sie denselben von Zeit zu Zeit Anordnungen zuriefen. Das Lager wuchs, wie

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durch einen Zauberschlag aus dem hohen Grase hervor und die Abschiedsstrahlen der Sonne, als sie die Eiszacken der nicht fernen Gebirgszüge vergoldeten, fielen unter den Bäumen durch auf die blendend weißen Wohnungen der Wilden.

So weit das Auge in dem duftigen, von röthlich blauen Granitbergen eingeschlossenen, Thale reichte, stiegen unbewegte Rauchsäulen zu dem dunkel werdenden Himmel auf und zeugten von den unzähligen Lagerfeuern der schon eingetroffenen Stämme der Comantschen. Die Nacht brach schnell herein, die Sterne fingen an zu blitzen und die feurig glühenden eisigen Höhen der Berge schienen unter dem Himmelszelte zu schweben, während am Flusse hinauf eine Reihe von Lagerfeuern aus der Dunkelheit hervorleuchtete. Doch trotz der vielen Menschen, die hier in nicht großer Entfernung von einander ihre Wohnungen aufgeschlagen hatten, herrschte eine Todtenstille in dem Thale, man hörte kein Jauchzen, kein Rufen, kein Lärmen, wie dies wohl bei so großen Zusammenkünften der Weißen unausbleiblich ist und nur die ängstlich tönenden Stimmen der wilden Thiere und das laute Rauschen des Stromes unterbrach die nächtliche Ruhe.

Kaum wirbelte am folgenden Morgen von den frisch angefachten Feuern in Kiwakias Lager der Rauch

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zu dem wolkenlosen Himmel auf, als von den in der Nähe lagernden Stämmen Freunde und Verwandte hierher eilten, um die Neuangekommenen, theils seit langer Zeit nicht Gesehenen, zu begrüßen, zu bewillkommnen. Sie kamen zu Pferde am Flusse herab oder durchschwammen von dessen jenseitigem Ufer aus die reißenden Fluthen und brachten ihren Freunden frisches Wildpret als Geschenk mit, da der Indianer auf der Reise sich nicht mit Beschaffung desselben aufhält, sondern nur von getrocknetem Fleische lebt. Dieses wird bereitet, indem sie das frische Fleisch, in dünne Scheiben geschnitten, auf Gerüsten von Stöcken über stark rauchendem Feuer zugleich der Sonnengluth aussetzen, wodurch es in sehr kurzer Zeit vollkommen getrocknet wird. Dann zerreibt man es zwischen Steinen zu einem feinen Pulver, stampft dies in Blasen oder in lederne Beutel fest ein, um die Einwirkung der Luft davon abzuhalten und kann es in diesem Zustande sehr lange genießbar erhalten.

Frohsinn und Heiterkeit herrschten in Kiwakias Lager, es wurden die eigenen Schicksale und Erlebnisse der letzten Vergangenheit ausgetauscht, Begebenheiten, die sich in andern Stämmen der Comantschen zugetragen, erzählt und namentlich die Verhältnisse und Beziehungen zu fremden Nationen der Wildniß, so wie die zu den Weißen besprochen.

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Täglich mehrten sich die Rauchsäulen in dem Thale, jeder Abend brachte neue Ankömmlinge, theils einzelne Reiter, theils ganze Stämme, bis sämmtliche Comantschen in einem Umkreise von einigen Stunden Weges versammelt waren.

Der Reichthum an Wildpret in dieser Gegend war, da sie seit einem Jahre wenig beunruhigt worden, ganz außerordentlich, und insbesondere nahm die Zahl der Büffelheerden, die von der Kälte und dem Absterben der Vegetation im Norden vertrieben, nach Süden zogen, täglich zu. Die begrasten Thäler zwischen den Gebirgen waren wörtlich von diesen riesenhaften Thieren bedeckt und auf den schmalen Pfaden, die über die steinigen Höhen führten, konnte man sie in Zügen, einzeln hintereinander fortschreitend, Meilen weit erkennen.

Die Krieger ganzer Stämme der Comantschen zogen mit Pfeil, Bogen und Lanze bewaffnet hinaus in die Umgebung, verbreiteten Schrecken und Tod unter diesen rastlosen Wanderern und erlegten Tausende von ihnen, um ihr köstliches Fleisch und ihre lockigen Häute den Lagern zuzuführen und ihre riesigen Knochen den Wölfen zum Benagen und der Sonnengluth zum Bleichen zu überlassen.

In den Lagern selbst herrschte gleichfalls reges Leben: die Frauen und Mädchen waren dort beschäftigt,

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einen Theil des erbeuteten Fleisches über kleinen Feuern zu räuchern und zugleich in den Sonnenstrahlen zu trocknen, die Häute mit dem Gehirne der Thiere zu gerben und sie, zwischen Bäumen aufgespannt, mit schweren Gelenkknochen zu schlagen und zu stoßen, um ihre Fasern zu lösen und sie weich und geschmeidig zu machen, während andere in dem klaren Strome fischten und bis zu vierzig Pfund schwere Fische von dort nach den Zelten trugen, um sie vor denselben für die Mahlzeiten zuzubereiten.

Während dieser Tage besuchte Kiwakia die verschiedenen Lager, um die Häuptlinge und alten Krieger zu begrüßen und die Angelegenheiten, welche in der großen Berathung vorkommen sollten, vorläufig zu besprechen. Dahin gehörten namentlich Grenzstreitigkeiten über die verschiedenen Jagdgründe, Feindseligkeiten mit Indianern anderer Nationen und namentlich die alte, schon seit einem Jahrhundert unter ihnen besprochene, Frage wegen des steten Vordringens der Weißen in ihre Gebiete.

Allenthalben, wo er hinkam, befragte er sich, ob jemand ihm Auskunft über ein weißgeborenes Maulthier geben könne, doch blieb sein Forschen erfolglos, bis er eines Abends auf seinem Heimwege an dem Lagerfeuer eines der Häuptlinge vorüberzog, um welches

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sich die so eben von der Jagd zurückgekehrten Jäger des Stammes versammelt hatten und des Tages Begebenheiten erzählten.

»Kiwakia, lasse Dein Pferd grasen und ruhe Dich bei meinem Feuer; ich habe Deinen Ohren angenehme Worte zu sagen,« rief ihm Mopochokopi, der Häuptling zu und zeigte auf eine große lockige Büffelhaut, die neben ihm im Grase ausgebreitet lag.

Kiwakia folgte der Einladung, ließ sich neben dem Häuptlinge, nieder und zog aus der Haut einer Leopardenkatze, die ihm als Tabacksbeutel diente, seine Pfeife hervor, füllte sie und winkte, nachdem er sie angezündet hatte, jenem zu, daß er bereit sei, zu hören.

»Das weißgeborene Maulthier, wonach Du mich gefragt hast, wird von einem mächtigen alten Häuptlinge geritten, doch nicht von einem Comantschen. Pferde, Waffen und Frauen besitzt er mehr und schöner als Du, darum kannst Du das Thier nicht durch Tausch von ihm bekommen und mit den Waffen in der Hand darfst Du es ihm nicht nehmen, denn er ist unser Freund, unser Vetter. Willst Du es aus seiner Heerde fortreiten, wenn Nacht auf seinem Lager liegt und der Himmel mit Wolken bedeckt ist, so muß Dein Auge dem der Eule, Dein Ohr dem des Luchses und Dein

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Fuß dem des Panthers gleichen, denn ein Lepan ist es, der das Maulthier besitzt, es ist der alte Wallingo und die Lepans haben leisen Schlaf.«

»Wallingo?« erwiederte Kiwakia, sah vor sich in das Feuer und versank in tiefe Gedanken. Nach einer Weile des Schweigens sagte er:

»Ich habe vor längerer Zeit bei seinem Feuer gesessen, doch damals blutete sein Herz um das Kind seines Sohnes, um die schöne Owaja, und er hatte keine Freude an seinem Reichthume. Ich habe das weiße Maulthier nicht gesehen.«

»Mehrere von meinen Jägern sind ihm begegnet, als er mit seinem Stamme nach Norden zog, und ihre Augen haben sich an dem weißen Maulthiere, welches er ritt, geweidet,« antwortete Mopochokopi und rief dann die besagten Jäger unter den umstehenden Leuten auf, seine Aussage zu bestätigen. Die jungen Männer traten vor und bezeugten die Wahrheit der Kunde, worauf sich Kiwakia mit den Worten an sie wendete:

»Wohin trug Wallingo sein Lagerfeuer?«

»Dorthin, wo das Wasser durch die Gebirge mit der Sonne fließt und wo der Büffel jetzt das Gras unterm Schnee suchen muß,« antwortete der Angeredete.

»So steht jetzt sein Zelt wieder in dem Schatten der Cypresse,« sagte Kiwakia halb laut vor sich hin und

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saß noch eine lange Zeit schweigend bei dem Feuer, dann versenkte er seine Pfeife abermals in die buntgefleckte Haut, hing diese an den Sattel seines Pferdes und, nachdem er den Freunden ungestörte Ruhe gewünscht hatte, bestieg er dasselbe und eilte zu den Seinigen zurück.

Der Tag der großen Berathung erschien, in allen Lagern waren bei dessen Anbruch die Männer beschäftigt, sich festlich zu schmücken, die Frauen legten den Pferden die schönsten Decken auf und zierten deren Mähnen so wie die Schweife mit Federn und bunten Riemen. Noch ehe die Sonne über den östlichen Gebirgen aufstieg und das Gold und Purpur der Wälder zu deren Füßen bestrahlte, hatten die Häuptlinge ihre alten und jungen Krieger um sich geschaart und zogen dem Hügel der Berathung zu, der sich in der Mitte des Thales, unweit von dem Platze, wo das Lager des obersten Häupllings der Comantschen stand, in mächtigen, einige fünfzig Fuß hohen Felsblöcken erhob und auf dessen Höhe ein, auf Baumstämmen ruhendes Dach von Reisig und Rohr errichtet stand.

Stattliche Reiterzüge waren es, die sich auf der Fläche um den Felsen aufstellten, hell glänzten die rabenschwarzen, schön geglätteten und geflochtenen Haare dieser jungen kräftigen Männer in der Morgensonne,

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deren Strahlen ihre blanken Waffen und ihr buntes Geschmeide blitzen ließ.

Pahajuka, der älteste und oberste Häuptling und seine gleichfalls bejahrte Frau, welche den Beinamen der Weisen führte, waren die ersten, die von ihren Pferden stiegen und sich den Hügel hinauf nach dem Berathungsplatz begaben, worauf sämmtliche Häuptlinge, von wenigen der ältesten Krieger begleitet, ihrem Beispiel folgten. In einem großen Kreise nahmen sie sämmtlich schweigend unter dem Sonnendache mit untergeschlagenen Füßen auf der Erde Platz, die Friedenspfeife wurde angezündet, sie ging von Mund zu Mund und ein Jeder füllte seinen Magen mit Tabacksrauch.

Darauf nahm der oberste Häuptling das Wort und nannte den Zweck, weshalb sie hier zusammengekommen seien; er wies auf die Zeit hin, in welcher die Herrschaft der Comantschen sich noch bis an die Ufer des Mississippiflußes erstreckt, der Büffel seine Wanderungen noch bis zu der salzigen Fluth des Golfs ausgedehnt, und diese Länder noch nie von dem Fuße eines Bleichgesichts berührt worden seien. Er nannte die große Zahl der Stämme, die damals ihre Nation gebildet, zeigte, indem er die noch übrigen aufzählte, wie viele derselben seitdem gänzlich von der Erde verschwunden

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seien, nannte die Ursachen ihres Unterganges: das Feuerwasser (Branntwein), welches ihnen die Weißen gegeben, die vielen Krankheiten, die sie unter sie gebracht, die Kugeln, welche die Blitze der Bleichgesichter unter sie geschleudert und mahnte daran, daß es hohe Zeit sei, dem Vordringen der Fremden Einhalt zu thun, wenn nicht die alte Weissagung ihrer Voreltern in Erfüllung gehen, und der Indianer mit dem Büffel in dem nackten Gestein der Anden verhungern solle. Dann ging er zu den Feindseligkeiten mit andern Nationen der Wildniß über, deutete an, wie viele fremde Stämme seit dem Vordringen der Weißen sich in ihre Jagdgründe eingedrängt haben und trug darauf an, daß man diese zuerst mit den Waffen wieder daraus vertreiben solle. Er rügte ernstlich, daß die verschiedenen Stämme der Comantschen unter sich selbst in Uneinigkeit gerathen seien und sagte, daß wenn sie sich untereinander tödteten, die Fremden um so leichteres Spiel haben würden, sie zu überwältigen und ihre Jagdgründe an sich zu reißen. Der alte Häuptling sprach laut und lange und nach ihm nahmen die Uebrigen nach einander das Wort. Die größere Zahl von ihnen nannten Farnwald als ihren gefährlichsten Feind, da er es sei, der zuerst so weit vorgedrungen und dem dann die vielen seiner weißen Brüder nachgefolgt wären. Da trat Kiwakia entschlossen

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für ihn auf, sagte, daß die Comantschen niemals einen bessern Freund gehabt hätten, als ihn, und daß er die Ursache davon sei, daß die Weißen nicht schon längst weiter in ihr Land eingedrungen wären, indem er selbst nicht weiter vorging und seine Brüder es nicht ohne ihn wagten. Außerdem sei er in Streit und Krieg mit den Bleichgesichtern und würde, wenn die Comantschen seiner Hülfe bedürften, ihnen gern seine Kräfte leihen. Auch Pahajuka war ihm persönlich zugethan, nannte ihn seinen Freund und zeigte auf einen reichen Perlenschmuck, mit dem er sich geschmückt und den ihm Farnwald bei einem Besuche zum Geschenk gemacht hatte. Die alte Frau, die weise, auf deren Ausspruch viel Werth gelegt wurde, sprach sich mit großer Theilnahme für Farnwald aus, es neigte sich auch bald die Mehrzahl auf seine Seite und es wurde beschlossen, die Weißen in seiner Nähe vorläufig nicht zu beunruhigen. Dagegen wurden Kriegszüge gegen benachbarte Indianerstämme beschlossen und vorgebrachte Streitigkeiten unter ihren eigenen Parteien geschlichtet.

Der ganze Tag wurde von den Wilden in dieser Weise hingebracht, ohne daß sie, oder die in der Nähe befindlichen Krieger Nahrung zu sich genommen hätten. Erst als die Sonne unterging, löste sich die Versammlung auf und die Stämme zogen mit ihren Häuptlingen

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nach den verschiedenen Lagern zurück, um am folgenden Morgen sich wieder zur Fortsetzung der Berathung hier einzufinden.

So wurden diese einige Wochen lang fortgesetzt, während welcher Zeit Kiwakia vielseitige Erkundigungen über den alten Wallingo und seinen Stamm einzog, den Weg erforschte, den er gewöhnlich auf seinen Wanderungen nach Norden und nach dem Süden zurücknahm und die einzelnen Plätze ausmittelte, auf denen er während der Reise länger zu verweilen pflegte.

Nachdem alle vorgebrachten Fragen besprochen und entschieden waren, brachen die Comantschen ihre Lager ab und zogen ihren verschiedenen Winterquartieren zu.

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Capitel 30.

Die Lepans. - Trauer des Häuptlings. - Der Gast. - Der mexicanische Sklave. - Das Gebot. - Abschlägige Antwort. - Das Gastrecht. - Kindesliebe. - Die dankbaren Brüder. - Der neue Mond. - Sehnsucht. - Die Flucht. - Die Verwechselung. - Verfolgung. - Der Spürer. - Die Spur. - Der Sturm. - Das Obdach. - Ueberraschung. - Feindschaft. - Waffenstillstand. - Das Spiel. - Der Kampf. - Das tiefe Grab.


Während dieser Zeit standen die Zelte der Lepans von dem Stamme Wallingos in einem der südwestlichsten Thäler zwischen den Gebirgszügen der Kordilleren[Cordilleren], wo nur die geringere, hier nicht eigentlich heimische nordische Vegetation durch den Winter auf kurze Zeit ihres Laubschmuckes beraubt wird, die Cypressen, Myrthen- und Lorbeerarten, Magnolien und Palmen aber unaufhörlich in ihrem frischen grünen Kleide prangen und in den Wiesen Jahr aus Jahr ein die bunteste lieblichste Blumenflor aus dem üppigen Grase hervortreibt.

Wallingo hatte hier im vergangenen Sommer, als er dieses Thal verlassen und, dem Büffel folgend, nach Norden gezogen war, das zum Theil trockene hohe Gras

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in Brand gesteckt, so daß er jetzt bei seiner Rückkehr eine frische reiche Weide vorfand, auf der sich Wildpret aller Art in unglaublicher Zahl eingefunden hatte, wozu die nun nach Süden ziehenden unzählbaren Heerden von Büffeln sich gesellten und den Indianern den größten Ueberfluß an Allem, was sie bedurften, vor ihre Wohnungen brachten.

Das Lager stand unter mächtigen immergrünen Bäumen an einem wilden, über schwere Granitblöcke und zwischen riesenblätterigen Wasserpflanzen hinstürzenden Gebirgswasser; vor ihm breitete sich eine, viele Meilen weite, wogende Grasfläche aus und im Osten sowohl, als auch im Westen, hoben sich die nord- und südwärts liegenden Gebirgsmassen, wie ein Amphitheater höher und schroffer, bis sich alle Vegetation an ihren Wänden verlor und eisige Kuppen in den wunderbarsten Formen über ihrem Rücken aufstiegen.

Während einer Reihe von Jahren hatte Wallingo das Land in der Nähe von Farnwalds Wohnung selbst nicht verlassen, aus Furcht, daß während seiner Abwesenheit die Weißen über den Fluß herüberziehen würden, er hatte nur einen Theil seines Stammes mit den Büffeln nach Norden ziehen lassen, um Vorräthe von Fleisch und Häuten zu sammeln, zumal die Gegend, in der er meist verweilte, stets reich genug an

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Wildpret blieb. Der Tod seiner geliebten Enkelin Owaja aber hatte ihm den Aufenthalt in jenem Lande unerträglich gemacht und ihn bewogen, seine früheren Wanderungen wieder zu beginnen und sein Winterquartier in diesem reizenden Thale aufzuschlagen.

Es war an einem stillen wonnigen Abende, als Wallingo allein vor seinem Zelte saß, sein Kinn auf seine Hand gestützt hatte, nach Osten hin in die, in der Abendsonne glänzenden, Gebirge schaute und, wie sein trauriger Blick verrieth, trüben Erinnerungen nachhing, während bei den links und rechts etwas entfernt von ihm stehenden Zelten Frauen und Mädchen mit Arbeiten beschäftigt waren und die Männer, auf Häuten liegend, sich von der Jagd des Tages ausruhten. Vor dem Lager grasten die vielen Hundert Pferde und Maulthiere des Stammes, auf die jetzt der alte Häuptling seine Blicke heftete, wobei seiner Brust schwere Seufzer entstiegen.

Er faßte eine kleine Muschel, die an einer bunten Schnur um seinen Hals hing und ließ auf ihr einen schrillen Pfiff erschallen, worauf das goldbraune Lieblingspferd Owajas seinen Kopf nach ihm aus dem Grase erhob und dann zu ihm hineilte.

Zugleich aber setzte sich ein großes weißgebornes, ungewöhnlich schönes Maulthier in Trab, als gönne es dem

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Pferde das Wohlwollen seines jetzigen Herrn nicht und wolle ihm zuvorkommen, dessen Liebkosungen zu empfangen. Beide Thiere langten zugleich bei dem Alten an und zugleich legte er, ihnen entgegentretend, schmeichelnd seine Hände auf ihre Nacken. Doch auf dem goldbraunen Thiere ruhte sein Blick und eine Thräne fiel über seine gefurchte Wange.

In diesem Augenblicke kam ein Reiter über die Grasfläche herangezogen, den der Häuptling nicht eher bemerkte, als bis er sich ihm auf kurze Entfernung genähert hatte.

»Kiwakia, unser Vetter!« sagte Wallingo überrascht, denn dieser war der Reiter; »bringst Du mir Freundesbotschaft? Die letzte, die Du mir brachtest, war bittere Medizin für mein blutendes Herz; es ist noch nicht geheilt!«

»Ich bringe Dir Liebesgrüße von allen Comantschen, deren Herzen Dir in Freundschaft zugethan sind. Wir waren am Berathungshügel versammelt,« antwortete Kiwakia mit sichtbarer Verwirrung und hielt seine Blicke unbeweglich auf das weiße Maulthier geheftet.

»Dein Herz beneidet mich um den Besitz des milchweißen Thiers und doch würde ich deren tausend darum hingeben, könnten meine alten Augen noch einmal die Herrin der goldbraunen Stute auf ihrem Rücken sehen.

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Owaja hat alle meine Freuden mit sich genommen!« sagte der Alte und beugte sein Haupt trauernd gegen den Nacken des Pferdes seiner Enkelin.

»Du hast Recht, Wallingo, wenn Du sagst, daß sich mein Herz an dem Anblicke des weißen Maulthiers erfreue; ich würde stolz darauf sein, es mein zu nennen,« antwortete Kiwakia, indem er den Alten prüfend ansah.

»Laß Dein Pferd grasen, es hat heute viel loses Gestein überschritten und sei Du bei meinem Feuer und in meinem Zelte willkommen. Es ist nur noch die Wohnung eines einsamen traurigen alten Mannes, es wird nicht mehr von der schönen Owaja mit Blumen geschmückt und aus seinem Eingange tönt nicht mehr ihre süße Stimme hervor! Komm, ruhe Deine müden Glieder,« sagte Wallingo und führte seinen Gast zu dem Kohlenfeuer vor seinem Zelte, von wo aus er in der Richtung nach dem Wasser hinrief:

»Ahi, bringe Holz und frische das Feuer auf!«

Kiwakia richtete gespannt seine Blicke nach dem Dickicht an dem Flusse, aus welchem wenige Minuten später ein schlanker schwarzgelockter Knabe von etwa sechszehn Jahren mit einem Arm voll Reisholz auf seiner linken Schulter und mit einem schweren Stück Holz in der rechten Hand herangeschritten kam und dasselbe auf das Feuer legte. Indem er sich dabei

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niederkniete, warf er Kiwakia einen neugierigen Blick zu, neigte sich über die Kohlen und blies in die Gluth hinein, wobei seine reichen Locken über sein schönes Antlitz fielen und die Stirn, auf welche Kiwakia seine Blicke geheftet hatte, bedeckten. Die Flamme hatte das Reisig alsbald ergriffen und flackerte knisternd auf, worauf Ahi sich erhob, seinen Kopf zurückwarf und die Locken von seiner hohen Stirn zurückfielen. Da stand die Narbe in der Form eines Hufeisens über dem linken Auge, von der Farnwald Kiwakia gesagt hatte, es war kein Zweifel mehr vorhanden, dies mußte der Knabe sein, an dessen Auffindung, an dessen Besitz Jenem so viel gelegen war und das Herz des Comantschen Häuptlings schlug in überströmender Freude hoch auf.

Die großen dunkeln Augen hielt Ahi fragend auf Wallingo geheftet, als ob er auf dessen weitere Befehle harre und stand, ein Bild jugendlicher Frische und Schönheit, unbeweglich da, während die letzten Sonnenstrahlen auf seinen kräftigen nackten Körper fielen, um dessen Hüfte nur eine leichte gegerbte Antilopenhaut gewunden war. Seine Haut, obgleich von der Sonne gebräunt, widersprach dennoch, so wie die Locken seines Haares, seiner Abkunft von Indianern und seine edle, ja stolze Haltung verrieth spanisches Blut, das in seinen Adern floß. Es war wirklich Fernando, der

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geraubte Sohn der Wittwe Dorst, jetzt Ahi, der mexicanische Sklave des Lepan-Häuptlings.

Wallingo winkte ihm schweigend, sich zu entfernen und Kiwakia that, als ob er ihn nicht bemerkt habe.

Der alte Häuptling reichte nun seinem Gaste die Pfeife und, nachdem dieser zur Genüge Rauch aus derselben verschluckt hatte, gab er sie Wallingo zurück und sagte:

»Pahajuka sendet mich zu Dir, um Dir mitzutheilen, was in dem großen Rathe der Comantschen wegen der Grenzstreitigkeiten zwischen ihnen und den Lepans beschlossen worden ist, und Dir zugleich zu sagen, daß sein Herz mit Freundschaft für Dich erfüllt sei und er wünsche, die Lepans möchten stets die fettesten der Büffel und der Bären erlegen.«

Darauf berichtete er dem Alten die Resultate der stattgehabten Berathungen, die im Allgemeinen zu Gunsten der Lepans, eines der mächtigsten Verbündeten der Comantschen, ausgefallen waren, worüber Wallingo seine Zufriedenheit aussprach und ihnen bei den beschlossenen Fehden gegen fremde Indianer seine Hülfe zusagte.

Die Frauen oder besser Dienerinnen des alten Häuptlings bereiteten bei einem andern Feuer, als die Nacht über die Erde gezogen war, das Mahl für ihn und seinen Gast, während diese die Unterhaltung über ihre Lande und sonstigen Angelegenheiten fortgesetzt hatten.

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Auf einen Arm gestützt, ihre Pfeifen rauchend, lagen sie eine Zeit lang in Gedanken versunken neben dem Feuer, dessen Gluth ihre rothbraunen Körper beleuchtete und blickten bald in die um das Holz leckende Flamme, bald durch das in schwarzer Finsterniß ruhende Thal, zu den rothglühenden Eisspitzen der Berge hinauf, die dasselbe rundum umgaben und über denen sich das dunkele Himmelszelt mit seinen Sternenheeren wölbte.

»Du hast keine Freude mehr an dem Glanze des weißgeborenen Maulthiers,« hub Kiwakia nach einer langen Pause an, »besitzt Kiwakia etwas, wasWallingos Herz erfreuen könnte?«

»Wallingos Freude beginnt erst wieder in den ewigen Jagdgründen seiner Väter; sein Herz wird nicht früher aufhören zu bluten,« antwortete der alte Mann.

»Kiwakia ist jung und stolz und wünscht von dem weißen Maulthiere getragen zu werden. Was soll er Dir dafür geben? Soll er edle Pferde dafür aus dem Herzen Mexicos holen und sie an Dein Wigwam binden - soll er dort seine Maulthiere mit Gold und Silber beladen und sie Dir bringen - soll er Dir junge Frauen der Mexicaner oder der Bleichgesichter als Sklavinnen zuführen oder erfreuen schöne Waffen, schöne Decken und schöne Reitzeuge das Auge des Lepanhäuptlings?

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Sage mir, was soll ich für Dich thun, um das weiße Maulthier zu erhalten?«

»Für Wallingo giebt es keine andere Freude, als die Erinnerung, die ihm die alten Augen mit Thränen füllt; das weiße Maulthier erinnert ihn an die Zeit, in der er froh und stolz war und zugleich an seinen einzigen Sohn, den Vater Owajas, der bei dem Raube des Thieres von einem Neger erschossen wurde; die goldbraune Stute erinnert ihn an Owaja, die einst das Glück seines Lebens war. Du kannst weder das Eine, noch das Andere von mir nehmen.«

»Die goldbraune Stute, die Dich an Dein Glück erinnert, will ich nicht erwerben, für das weiße Maulthier aber will ich Dir Alles geben, was ich besitze; Alles außer Zarika, die Mutter meiner Kinder. Meine andern Frauen, meine Pferde, Maulthiere, Zelte, Decken und Waffen will ich Dir geben und will arm werden, wie mein ärmster Krieger,« sagte Kiwakia bittend und dringend zu dem Alten, doch dieser schüttelte den Kopf und antwortete:

»Das Maulthier geht mit Wallingo in die ewigen Jagdgründe seiner Väter, dort wird er wieder der frohe, stolze und glückliche Häuptling der Lepans sein.«

Wohl wußte Kiwakia, daß nach dieser abschlägigen Antwort nicht die entfernteste Aussicht mehr vorhanden

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sei, das Maulthier im Wege des Tausches von Wallingo zu bekommen, was augenblicklich seine Freude, dasselbe und den Knaben aufgefunden zu haben, sehr herabstimmte; doch verrieth kein Blick, kein Zug auf seinem Gesichte, das unbesiegbare Interesse, welches dafür in ihm lebte. Er lenkte die Unterhaltung auf andere Gegenstände, was ihm um so leichter wurde, als mehrere Krieger der Lepans herzutraten, sich gleichfalls bei dem Feuer niederließen und Fragen in Betreff der gehaltenen Berathungen an ihn richteten. Zugleich trugen die Frauen die Speisen herbei und das Abendbrod wurde verzehrt.

Während die Männer noch bei dem Feuer ruhten, führte Fernando das weiße Maulthier und Owajas Pferd von der Weide in die Nähe von Wallingos Zelt und befestigte beide mit ledernen Stricken an Bäumen, trug dann noch Holz zu dem Feuer seines Herrn und legte sich darauf in einiger Entfernung davon auf einer Büffelhaut in das Gras zur Ruhe.

Es war schon spät, als die Krieger sich erhoben und nach ihren verschiedenen Zelten zurückgingen, vor denen jetzt im ganzen Lager die Feuer niedergebrannt waren und nur noch einen matten röthlichen Schein durch ihre Kohlengluth auf sie warfen.

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Auch die Spitzen der Gebirge waren längst in der Nacht verschwunden, der Thau hatte sich in schweren Tropfen erfrischend auf die Pflanzen in dem Thale niedergelassen und die Ruhe der Wildniß lag auf der Gegend, als Wallingo aufstand und seinen Gast einlud, sein Lager in seinem Zelte mit ihm zu theilen.

Bald darauf waren beide dort auf weichen Häuten niedergesunken, doch von Kiwakias Augen blieb der Schlaf fern, seine Gedanken waren draußen bei dem weißen Maulthiere und bei dem Knaben Fernando, und tausend Pläne, wie er derselben habhaft werden könnte, kreuzten sich vor seinen Sinnen; denn haben mußte er sie und kostete es sein Leben - es war ja das Einzige, was Farnwald von ihm zum Geschenk als Zeichen seiner Dankbarkeit annehmen wollte. Das Gastrecht durfte er nicht verletzen, er war unter Wallingos Dach, sonst hatte er sich nicht bedacht und sofort einen Versuch zur Entführung des Knaben und des Thieres gemacht, doch Fernando mußte er sprechen, er mußte ihm sagen, daß seine Mutter noch lebe und daß er ihn sicher in ihre Arme zurückführen wolle.

Er hatte sich nahe an den Ausgang des Zeltes gebettet, lauschte dem Athem Wallingos und zählte dessen Züge. Lange zögerte er, ehe er es wagte, seine Ruhestätte zu verlassen, doch der schnarchende Ton des Alten

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gab ihm endlich die Gewißheit von dessen festem Schlafe und wie die Schlange sich ungehört rasch über den Boden hinwindet, so glitt Kiwakia, ohne sich zu erheben, lautlos hinaus aus dem Zelte nach dem beinahe erloschenen Kohlenhaufen, neben dem er Fernando in tiefem Schlafe liegend fand.

Leise drückte er seine Hand aus dessen Schulter, um ihn langsam zu erwecken, und als der Knabe die Berührung gewahrte, flüsterte er ihm ins Ohr:

»Keinen Laut, Fernando!«

»Fernando, sagst Du?« antwortete der Knabe mit bebender, kaum hörbarer Stimme. »Wer hat Dir den Namen genannt?«

»Deine Mutter, Fernando, deren Herz seit zehn Jahren um Dich blutet, deren Arme umsonst für Dich geöffnet blieben und deren Augen vergebens durch die Thränen, die sie um Dich weint, nach Dir gesucht haben.«

»Meine Mutter, sagst Du - so lebt sie noch und Du weißt, wo sie lebt?« sagte Fernando schluchzend, indem er mit zitternden Händen Kiwakias Hand ergriff und sie krampfhaft gegen sein Herz preßte.

»Sie lebt noch und wartet auf ihren Sohn, damit er zu ihr zurückkehre und ihr krankes Herz heile. Ich führe Dich zu ihr, doch mit Dir muß ich ihr das weiße

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Maulthier bringen, welches auch ihrem Herzen theuer ist. Wenn der Mond sich zuerst wieder am Himmel zeigt, wird Kiwakia Dich hier beim Feuer wecken, damit Du den Rücken des Maulthiers besteigst, er wird Dir den Weg zu Deiner Mutter zeigen und die Fährte des Maulthiers vor den Augen der Lepans bedecken.«

»Wenn Wallingo mich einholt, so wird er mir die Füße lahmen und mich in den Bergen von den Jaguaren zerreißen lassen,« antwortete Fernando, indem er sich nach des Häuptlings Zelt umwandte.

»Er wird Dich nicht einholen und es soll Dich keines Menschen Hand früher berühren, als die Deiner Mutter, mit der sie Dich an ihr Herz drücken wird. Sei behutsam, Fernando, und lasse keins Deiner Worte, keinen Deiner Blicke es verrathen, daß Dein Herz froher schlägt als sonst. Wenn der Mond sich wieder am Himmel zeigt, weckt Dich Kiwakia.«

Hiermit wollte er sich zurück nach dem Zelte wenden, doch Fernando ergriff abermals seine Hand, drückte seine Lippen darauf, benetzte sie mit seinen Thränen und kämpfte gewaltsam gegen sein heftiges Schluchzen; der Häuptling aber entwand sie dem Knaben und kroch ebenso ungesehen und ungehört, wie er gekommen war, wieder in das Zelt auf sein Lager zurück.

Mit des Tages erstem Grauen saß Wallingo wieder neben seinem Gaste bei dem Feuer, die eisigen Höhen der Gebirge begannen zu erglühen und die Natur erwachte aus ihrem Schlafe. Die Geier schüttelten den Thau von ihrem Gefieder und zogen ihre Kreise über dem erfrischten Thale, der Nebel rollte sich in leichtem Gewölke um die Bergköpfe und die Adler hoben sich hinauf in die durchsichtige klare Ferne.

Fernando trat wieder mit Holz zu dem Feuer, doch sein Schritt war heute fester und entschlossener als Abends zuvor und in seinen großen lebendigen Augen schien sich das Feuer zu spiegeln, womit die herannahende Sonne die Bergspitzen vergoldete.

Kiwakia sah nicht zu ihm auf, richtete schnell mehrere Fragen an den alten Häuptling, und als der Knabe dessen beide Lieblingsthiere von ihren Fesseln befreite und sie eilig vorüber nach der Weide sprangen, schob er seine Pfeife in die Kohlengluth, um sie anzuzünden.

Während des Frühstücks gab Wallingo ihm Grüße und Versicherungen seiner Freundschaft an seine Vettern, die Comantschen, versah ihn mit Lebensmitteln für die Reise, und als die Sonne ihre ersten Blitze zwischen den Bergen herunter schoß, bestieg Kiwakia sein Pferd und eilte nach Süden in dem Thale dahin.

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Während des ganzen Tages hielt er sein Roß in raschem Tritt, und als die Sonne sich neigte, lenkte er es in ein Seitenthal an einem Bache hin, dessen Ufer in der Ferne, wo die Felsen sich schroff gegenüberstanden, von hohem Walde bedeckt waren. Bald hatte er denselben erreicht, zog in dessen Schatten den Bach entlang und gelangte, noch ehe die Sonne schied, zu einer Waldwiese, wo ein großes schwarzes Maulthier graste und Ureumsi, des Häuptlings Bruder, neben einem kleinen Feuer ruhte und beschäftigt war sein Abendbrod zu bereiten.

»Das Maulthier, weiß wie der Schnee der Berge, habe ich gesehen und mit dem Knaben, der dessen Fährte vor der Stirn trägt, habe ich geredet. Wallingos Herz blieb verschlossen gegen Alles, was ich ihm bot und ich habe ihm Alles geboten, was ich habe und bekommen konnte, außer Zarika. Des Comantschen Fuß wird aber leichter sein als das Ohr des Lepans, und dessen Auge soll der Fährte des schwarzen Maulthiers folgen, bis das weiße und der Knabe Farnwalds Herz erfreut haben. Noch drei Mal muß die Sonne dort versinken, ehe der Mond sich wieder zeigt und Kiwakia zu Wallingos Wigwam schleicht, ohne mit ihm die Friedenspfeife geraucht zu haben,« sagte der Comantschen Häuptling zu dem Bruder, indem er seinem Pferde im hohen Grase Sattel

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und Zaum abnahm und sich bei dem Feuer niederlegte.

Zwei Tage verbrachten die Brüder in diesem Versteck weit außer dem Jagdgebiete der Jäger Wallingos, doch am dritten, dem Tage vor dem Erscheinen des Mondes, zogen sie in einem weiter östlich gelegenen, nach Norden laufenden Thale hinauf und verbargen sich, nur wenige Meilen von dem Lager der Lepans entfernt, in einem fast unzugänglichen Walde. Dort ruhten sie sich und ihre Thiere und warteten am folgenden Tage mit Sehnsucht auf das Hereinbrechen der Nacht, denn die Sichel, die jetzt am Himmel stand, sagte Fernando, daß Kiwakia ihn bei dem Feuer aus dem Schlafe wecken wolle.

In banger Aufregung verrichtete der Knabe heute seine Arbeiten und bewachte mit Sehnsucht den langsamen Gang der Sonne, bebend trug er, als der Abend nahte, Holz zu dem Lagerfeuer des Häuptlings und mit zitternden Händen band er das Pferd und das weiße Maulthier an die Schafte der Palmen. Dabei folgte er mit seinen Blicken der Sichel des Mondes, wie sie sich nach den Gebirgen hinunter senkte und zuletzt hinter denselben verschwand, während Wallingo noch allein neben dem Feuer lag und sich schon die nächtliche Ruhe über das Lager verbreitet hatte.

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Fernando kauerte unweit seines Herrn auf seiner Büffelhaut im hohen Grase, hielt seine Blicke unbeweglich auf ihn geheftet, und hoffte mit jeder seiner Bewegungen, ihn aufstehen und in sein Zelt gehen zu sehen; doch der Alte sank auf seinem Lager nieder, senkte den Kopf über seinen Arm und schloß die Augen. Das Feuer erstarb, eine tiefe Finsterniß lag auf dem Thale und nur noch ein matter Schein der glühenden Kohlen fiel auf die dunkele Gestalt des ruhenden Häuptlings, auf dessen hohes weißes Zelt und auf das, noch weiter entfernt stehende weiße Maulthier, so daß nur ein Schimmer dessen Form bezeichnete.

Mit weit geöffneten Augen und scharf lauschenden Ohren hatte sich Fernando aufgesetzt und spähte bald durch die Finsterniß über die Grasfläche, bald nach den immer undeutlicher werdenden Außenlinien des alten Indianers und des Maulthiers; er wagte kaum zu athmen und fürchtete, Wallingo möchte die Schläge seines Herzens hören. Alles blieb still und regungslos, nur der hauchende Flügelschlag einer über ihn hinschwebenden Eule, der flatternde Schatten einer Fledermaus schreckte ihn von Zeit zu Zeit aus seinem starren Spähen und Lauschen.

Da streckte sich ein Arm unmittelbar neben ihm aus dem Grase, eine Hand erfaßte die seinige und Kiwakia

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hob seinen Kopf empor. Fernando warf sich erschrocken und ängstlich bei ihm nieder und deutete mit der Hand auf Wallingo, dessen Form kaum noch in dem matten Schein der Kohlen zu erkennen war, Kiwakia aber gab ihm zu verstehen, ihm zu folgen, glitt in weitem Bogen um den schlafenden Häuptling lautlos kriechend durch das Gras, hielt mitunter an, hob sich genug, um einen Blick nach dem Alten thun zu können und erreichte mit dem Knaben den Platz, wo das Maulthier befestigt war, Fernando mußte nun aufstehen und sich in die Dunkelheit hinter das Thier stellen, um es durch Liebkosungen zu beruhigen, denn es spitzte die Ohren und sah mißtrauisch auf den, sich ihm kriechend nahenden, Comantschen. Doch Kiwakia klopfte ihm Hals und Brust, strich ihm schmeichelnd die zierlichen Glieder und entfaltete einen Packen mit Stücken Büffelhaut und ledernen Riemen, der ihm um die Schultern hing.

Mit unglaublicher Gewandtheit und Schnelligkeit hüllte er nun die Füße des Thieres in die Felle ein und befestigte sie mit den Lederstreifen, löste den Strick, den es um den Hals trug, von dem Baume, wand denselben in Form einer Halfter um den Kopf des Maulthiers, hob Fernando auf dessen Rücken und führte es Schritt vor Schritt langsam und lautlos von dem Zelte hinweg in das Gras und in der Finsterniß fort, bis der

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letzte Schimmer von dem Lager verschwunden war, dann schwang er sich auf den Rücken des Thieres vor Fernando und jagte in der Richtung nach einem gegen den Himmel sichtbaren Bergkopf über die Glasfläche hin.

Ein schriller Pfiff tönte den Flüchtigen bald darauf durch die Dunkelheit entgegen, Kiwakia lenkte das Thier dem Tone zu und wenige Minuten später hielten sie in dem Wasser eines breiten Baches, in dessen Mitte Ureumsi zu Pferde mit dem schwarzen Maulthiere ihrer harrte. Kiwakia sprang in den Bach, bedeutete Fernando sitzen zu bleiben, bestieg das schwarze Maulthier und lenkte dasselbe, dessen Füße gleichfalls in Felle eingebunden waren, auf das Ufer hinauf, nachdem er sich von seinem Bruder seinen Köcher mit Bogen und Pfeilen hatte reichen lassen.

»Leb wohl, Fernando,« sagte Kiwakia hierauf zu dem Knaben, »mein Bruder Ureumsi wird Dich sicher in die Nähe des Freundes Deiner Mutter geleiten, wo ich Dich wiedersehen werde. Kiwakia wird die Augen der Lepans auf seine eigne Spur lenken, damit sie nach der Deinigen nicht suchen, folgt nun dem Laufe des Wassers, damit dessen Wellen die Fährten Eurer Thiere verbergen und wählt, wenn das neue Licht die Berge röthet, ein steiniges Ufer, wo Ihr den Bach verlassen könnt, ohne eine Spur in den Boden zu drücken.«

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Dann trieb er sein Maulthier eilig in östlicher Richtung davon, während Ureumsi mit Fernando in dem Wasser hin nach Süden zogen. -

Kaum zitterte das Dämmerlicht des neuen Tages über Wallingos Lager, als des alten Häuptlings schauerlich gellendes Kriegsgeschrei erschallte und die Männer, Weiber und Kinder erschreckt von ihren Ruhestätten aufsprangen und aus ihren Zelten stürzten, um die Gefahr zu erforschen, die ihnen drohe. Alle stürmten zu dem Zelte Wallingos hin, sahen ihn mit den Waffen in der Hand aus demselben hervorbrechen und hörten seine Verwünschungen, seine Wuthausbrüche gegen den Dieb seines Weißen Maulthiers.

»Ahi, der Mexicanische Hund, hat den Rücken von Wallingos Maulthier bestiegen, um auf dessen flüchtigen Hufen die Wigwams der Bleichgesichter zu erreichen; doch die Rosse der Lepans werden dessen Fährte überspringen und der Sklave wird, mit gelähmten Füßen an das Gestein der Berge gefesselt, von den Raubthieren und Geiern verzehrt werden,« rief er in höchster Wuth, ließ sein flüchtigstes Pferd satteln und wählte die besten Spürer aus seinen Kriegern, damit sie ihm bei der Verfolgung des Entflohenen behülflich sein sollten.

Cherasco, der untrüglichste derselben, ritt an der Spitze der racheschnaubenden Schaar und untersuchte die

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Fährte des entführten Maulthiers, die in dem niedergetretenen Grase leicht zu erkennen war.

»Das weiße Maulthier ist auf der Wolle des Büffels geflohen, damit der Tritt seines Hufes das Ohr Wallingos nicht erreichen sollte,« sagte er, indem er einzelne Haare von den Grashalmen nahm, die von den Fellen, in welche die Füße des Maulthiers gebunden, dort zurückgelassen waren.

Im Galopp folgten die Lepans jetzt dem auf der Fährte dahin eilenden Spürer und erreichten bald den Bach, wo Kiwakia das weiße gegen das schwarze Maulthier vertauscht hatte.

Cherasco stieg von seinem Pferde, untersuchte abermals die Fährte, wo sie an dem Ufer hinunter in das Wasser und an dessen anderer Seite wieder aus demselben heraus in dem weichen feuchten Boden abgedrückt war; beide Spuren zeigten die Umhüllung der Hufe mit Büffelfell, doch blieb es dem Spürer verborgen, daß sie in den Bach hinein von dem weißen und heraus von dem schwarzen Maulthiere eingetreten waren.

»Der Sklave hat das Maulthier getränkt, damit es ihn flüchtiger über die trocknen Gebirge tragen möchte,« rief er dem Häuptlinge zu, indem er auf die Fährten zeigte, bestieg wieder sein Pferd und folgte abermals im

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Galopp dem Huftritte, den Kiwakias Thier in dem Grase zurückgelassen hatte.

Mehrere Meilen waren von ihnen ohne Unterbrechung zurückgelegt, als plötzlich der Spürer sein Pferd anhielt und auf eine Menge im Grase liegende Stücke Büffelfell zeigte.

»Der Mexicaner hat des Maulthiers Füße leichter gemacht,« sagte er, beugte sich von seinem Rosse zu der Erde nieder und hob eins der Hautstücke auf, um es zu betrachten.

»Folge, folge!« rief Wallingo mit zorniger Ungeduld und wieder setzte sich die Schaar mit Eile in Bewegung.

Nach vielen Meilen scharfen Reitens wendete sich Kiwakias Spur dem Flusse zu und bald hielten die Lepans an dem Ufer, wo die Fährte in das Wasser hinein zeigte. Dasselbe reichte einem Pferde kaum unter den Bauch, weshalb der Flüchtling ebensowohl darin hinauf, als auch hinunter geritten sein konnte, doch die Lepans theilten sich schnell in vier Abtheilungen, von denen zwei an beiden Ufern hinauf und die andern beiden an denselben hinunter spüren sollten, um die Fährte des Entflohenen wieder aufzufinden. Wallingo zog mit seiner Abtheilung von Cherasco geführt stromabwärts und bestimmte den andern einen Ort, wo sie

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ihn später treffen und ihm ihre Spurberichte mittheilen sollten.

Weiter als zwei Meilen war er dem Flusse gefolgt, ohne ein Zeichen des Flüchtlings zu finden, als das Ufer sich mit losem Gestein bedeckte und der Führer vom Pferde stieg, um vorsichtiger zu spüren und die gesuchte Fährte nicht zu überreiten. Hin und her spähend und sein Pferd leitend, schritt er langsam vorwärts, betrachtete genau jeden Stein, der, frisch umgeworfen, auf seiner Oberfläche von der Sonne noch nicht getrocknet war und suchte in dem Sande unweit desselben den Abdruck des Fußes zu erkennen, der ihn umgeworfen hatte. Bald war es der eines Büffels, bald der eines Hirsches oder eines wilden Pferdes gewesen, die Spur eines Maulthiers aber war nirgends zu sehen. Die Fläche war langsam und aufmerksam überritten, wieder befanden sich die Reiter auf hoch begrastem Ufer, wo es leichter war, die Schleife zu erkennen, die der Fuß eines der größeren Thiere dort hinterlassen hatte und sie beeilten wieder ihren Marsch, ohne das mindeste Kennzeichen des Entflohenen aufzufinden.

Plötzlich hielt Cherasco sein Pferd an einem breiten tiefen Bache an, der, von Osten kommend, hier in den Fluß ausmündete. Auch Wallingo und seine Krieger hatten ihn erreicht und blickten fragend auf den Spürer,

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dessen eine Hand am Strome hinunter und die andere an dem Bache hinauf zeigte, als derselbe sagte:

»Ahi hat hier zwei Wege vor sich gehabt, auf denen beiden er seine Fährte vor unsern Augen verborgen halten konnte. Will Wallingo mit seinen Kriegern stromab den Fuß des weißen Maulthiers suchen, so zieht Cherasco in dem Bache hinauf den Gebirgen zu. Seine Augen sind denen des Adlers gleich, seines Rosses Füße sind schneller, als die des weißen Maulthiers, sein Herz wünscht Wallingo zu erfreuen und ihm den Liebling zurück zu seinem Wigwam zu bringen!

Der Häuptling erkannte sehr wohl in den Worten des Spürers dessen Wunsch, die Entflohenen allein wieder einzufangen und sich durch deren Zurückbringen Dank und Belohnung zu erwerben, er vermuthete, daß Cherasco durch irgend ein Zeichen veranlaßt war, zu glauben, der Flüchtling habe hier den Fluß verlassen und sei in dem Bache hinauf den Bergen zugeeilt. Da er die unbedingte Treue und Ergebenheit des Spürers kannte, es ihm auch gleichgültig war, in welcher Weise er wieder in den Besitz der Entflohenen käme, so winkte er Cherasco seine Genehmigung zu, und eilte mit den andern Gefährten auf der Uferbank des Stromes davon.

Wie er vermuthet hatte, so war es auch: der scharfe Blick des Spürers hatte an mehreren zerknickten

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Wasserpflanzen erkannt, daß ohnlängst ein Thier hier den Fluß verlassen und in dem Bache hinaufgeschritten war, doch noch ein anderes Kennzeichen hatte es ihm zur Gewißheit gemacht, daß dies Thier gerade das gesuchte sei. Einige zwanzig Schritte weiter in dem Bache hinauf hing an einem über das Wasser geneigten Reisig ein rother Lederstreifen, der sich mit seinen Enden in den Wellen hin[-] und her bewegte und, wie Cherasco vermuthete, eines der Bänder gewesen sein mußte, womit der Flüchtling die Felle an des Maulthiers Hufe befestigt hatte.

Er sah den davoneilenden Lepans frohlockend nach, bis sie die hohen Pflanzen an einer Biegung des Stromes vor seinen Blicken verbargen, dann ritt er zu dem Lederbande hin, hob es auf und betrachtete genau die Eindrücke, welche das Verknüpfen in demselben hinterlassen hatte.

»Es ist Ahi und das weiße Maulthier,« sagte er mit sichtbarlicher Freude zu sich selbst, »Cherasco wird sie beide zu dem Lager der Lepans zurückführen und reiche Geschenke von Wallingo dafür erhalten.«

Dann trieb er sein Roß in den rauschenden Wellen des Baches hinauf und hielt seine spähenden Blicke zu beiden Seiten auf die Uferbänke geheftet.

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Die Sonnenstrahlen fielen ungewöhnlich heiß auf seinen nackten Körper und die bewegte Oberfläche des Wassers warf sie blendend zurück. Zwar hatte sich seit einer Stunde der Himmel mit einzelnen Wolken bedeckt, doch keine derselben wollte vor die Sonne treten und ihre Strahlen von der Erde abhalten. Die Luft war schwer und drückend, wiederholt blickte der Wilde nach Norden und betrachtete mißtrauisch das dort immer dichter und mächtiger aufsteigende Gewölk. Schärfer trieb er sein Pferd durch das seichter werdende Wasser und eifriger prüfte er jede Stelle an den Ufern, die einem Reiter Gelegenheit bot, dasselbe zu verlassen.

Plötzlich fiel sein Blick auf eine frisch wunde Stelle an der Uferbank und im Augenblick erkannte er auch dort den Eindruck des zierlichen Hufes eines Maulthiers.

»Nun bist Du mein, schlauer Mexicaner, das Auge Cherascos konntest Du nicht irre führen!« rief der Indianer triumphirend, sprengte sein Pferd auf das Land hinauf, folgte mit den Augen schnell den einzelnen leicht zu erkennenden Huftritten und jagte dann, wie der Wolf auf der schweißigen Fährte des Hirsches, der Spur des Maulthiers in Galopp nach.

Sie zog sich jetzt in einer Bergschlucht hin, die nur mit einer magern Grasdecke überzogen war und zeigte durch die tiefen Eingriffe in den sandigen leichten Boden,

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daß das Thier, welches sie zurückgelassen, sehr flüchtig gewesen war. Bald ging es über steinige Höhen, wo der Wilde seine Eile mäßigen mußte, um die Spur nicht zu verlieren, bald wieder durch hoch begraste Gründe, durch Palmendickichte, wo die Geflechte der Schlingpflanzen und die giftigen Stacheln der Cactusse, Aloes und Juccas seiner Hast Fesseln anlegten; Nichts aber konnte ihn zurückhalten, Nichts seine sichern Blicke von den hinterlassenen Merkmalen des Fliehenden abwenden, die mit jeder Meile frischer erschienen.

Berg auf, Berg ab stob er dahin und trieb sein ermattendes Pferd mit Peitschenhieben zu möglichster Eile an, denn wo er jetzt ein Wasser überritt, fand er noch in dessen Nähe die Fährte befeuchtet, trotzdem, daß die Sonne heiß darauf niederbrannte und sie in kurzer Zeit austrocknen mußte. Er war nahe hinter dem Fliehenden, darüber konnte kein Zweifel sein und von jeder Anhöhe, die er erjagte, hoffte er, das weiße Maulthier zu erblicken.

Aber auch der Reiter vor ihm mußte seinem Thiere keine Zeit zum Rasten geben, denn die Sonne hatte schon längst die Mittagslinie überschritten und immer noch war nichts von ihm zu sehen.

Cherasco hatte schon die wilden felsigen Schluchten der höheren Gebirge erreicht, in deren losem Gestein er

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nothgetrungen seinem Pferde mehr Zeit geben mußte, doch auch der Verfolgte hatte die Schritte seines Thieres gemäßigt, was der flach aufgetretene Huf desselben bekundete.

Die Wolkenmassen zogen aber schwerer und schwärzer vom Norden her am Himmel auf und das ferne Donnern verkündete ein herannahendes schweres Gewitter. Die Zeit wurde von Minute zu Minute kostbarer, denn fiel ein heftiger Regen, wie es in diesen Gegenden nichts Ungewöhnliches ist, so ward bald jede Spur verwaschen und eine weitere Verfolgung des Fliehenden unmöglich.

Trotz Strauchelns und Ausgleitens trieb Cherasco sein müdes Thier durch die unwegsamen Gebirge hin und gewahrte bald mit Entsetzen, daß mit dem Gewitter ein Sturm hinter ihm hergezogen kam, denn er hörte schon dessen Rauschen und Brausen an den fernen Höhen und sah das schwarze Gewölk mit größerer Eile heranziehen.

Der Gedanke an die eigne Sicherheit wurde jetzt in ihm rege, denn er kannte die Gefahren, welche die aufgeregten ungeschwächten Elemente in diesen Ländern über dessen wandernde Bewohner verhängen. Die Sonne war verschwunden, ein Düster, wie einbrechende Nacht, hatte sich über die Gebirge gelegt und der Wind sauste

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schon pfeifend durch die Schluchten an den himmelhohen schroffen Felswänden hin; dennoch konnte sich Cherasco noch nicht von der Spur des Flüchtlings trennen, obgleich es ihm mit jeder Minute schwieriger wurde, sie zu erkennen.

Ein Blitz zuckte rothglühend und blendend vor ihm durch die Gebirge und ein betäubender Donnerschlag ließ die Felsen erbeben, da hielt der Wilde, zusammenfahrend und um sich blickend, die Zügel seines gleichfalls erschreckten Pferdes an und hatte für den Augenblick die Verfolgung vergessen. Er sah hinauf zu den steilen Granitwänden, die sich an seiner rechten Seite erhoben, als fürchte er, daß ihre übereinander aufgethürmten Steinmassen sich lösen und auf ihn herniederkrachen möchten, er blickte in den jähen, tausend Fuß tiefen schwarzen Abgrund zu seiner Linken und fühlte sich in Gedanken schon von dem an ihm vorüberbrausenden Sturme mit fortgerissen und in die bodenlose Tiefe geschleudert - einen Schutz - ein Obdach oder er war verloren, denn länger konnte er sich nicht mehr auf dem Pferde halten und das Thier senkte den Kopf zur Erde, als wolle es sich niederlegen. Nicht weit hinter einem Vorsprunge der Bergwand traten die Felsen zurück; konnte er jenen Ort erreichen, so war er wenigstens gegen die Gewalt des Orkans geschützt. Er

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sprang vom Pferde, zog es hinter sich her und eilte zwischen den einzeln umherliegenden ungeheuren Granitblöcken hin dem Felsvorsprunge zu, den er erreichte, als der Sturm gänzlich entfesselt um ihn herraste und schwere Regentropfen und einzelne Eisstücke vor sich hinschleuderte.

Den vorspringenden Felsen hatte Cherasco erreicht und groß war seine Freude, als er hinter demselben eine Schlucht fand, die sich in das Gestein enger und enger hinein drängte und zuletzt unter überhängenden Granitschichten eine weite offene Grotte bildete.

In die Schlucht eingetreten, war er gegen die Gewalt des Orkans geschützt, doch der Regen fiel jetzt in solchen Strömen zwischen den senkrecht stehenden Steinmassen auf ihn herab und schlug, wie ein Sturzbach, so auf das lose Gestein um ihn her, daß er kaum erkennen konnte, wo er seinen Fuß hinsetzte. Die Angst aber ließ ihn nicht rasten, gebückt schritt er vorwärts der erkannten Grotte zu; noch ein Felsstück war zu umgehen, um in ihr schützendes Gewölbe einzutreten, der Regen traf ihn schon nicht mehr, er richtete sich auf, wischte das triefende Haar von seiner Stirn - aber wer beschreibt sein Erstaunen, als er Auge gegen Auge vor Kiwakia stand!

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»Kiwakia! - Du bist es?« schrie er in höchster Ueberraschung und trat, indem er den Bogen und eine Hand voll Pfeile aus dem Köcher riß, zurück gegen die überhängende Felswand.

»Spanne den Bogen nicht, Cherasco, denn ehe Du die Sehne in die Spannkerbe bringst, durchbohrt mein Pfeil Dein Herz. Du bist mein Vetter, ich mag Dein Blut nicht vergießen.«

»Du hast Deines Vetters Lieblingsthier von ihm genommen, als er von der Freundschaft der Comantschen träumte, Du hast die Lepans betrogen und hast ihren besten Spürer zum Narren gemacht. Ich muß Deinen Scalp oder Du den meinigen haben. Willst Du mir die Zeit nicht geben, meine Waffen zu gebrauchen und mich meuchlings zu meinen Vätern senden, so steht es bei Dir; einer von uns aber muß sterben,« erwiederte der Spürer, indem er das Knie gegen den mit einem Ende auf den Boden gestemmten Bogen hielt, um ihn zu krümmen und die Schlinge an dem Ende der schlaff hängenden Sehne in die Spannkerbe zu ziehen.

»Höre mich, ehe Du den Bogen spannst, denn, bei dem Gotte des Sturmes, der grauend und heulend um die Berggipfel stiegt, sein Blitz soll nicht rascher sein, als

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mein Pfeil, wenn Du den Bogen krümmst,« rief Kiwakia und richtete sein Geschoß auf den Lepan.

»Was soll ich hören? sage es mir, doch rede mit einer Zunge,« antwortete Cherasco, zog das Knie von dem ungespannten Bogen zurück und sah ungeduldig nach Kiwakia hin.

»Ich habe meinem Vetter das weiße Maulthier geraubt, habe die Lepans betrogen und Cherasco zum Narren gemacht, doch Wallingo hat das Maulthier und den Knaben von dessen Mutter genommen, ihr Herz blutet noch immer und mein Freund, der große Bär, der meinem Bruder das Leben wieder gab, will ihr Herz heilen. Kiwakia hat ihm für das Leben seines Bruders noch kein Geschenk gemacht und Farnwalds Herz kann durch Nichts erfreut werden, als durch das weiße Maulthier und den Knaben. Kiwakia hat Wallingo Alles geboten, was er besitzt, außer seiner Frau und seinen Kindern; doch er wollte ihn nicht hören und wollte ihm nicht helfen. Willst Du nun noch um den Scalp mit mir kämpfen, so spanne Deinen Bogen.«

»Das weiße Maulthier und den Knaben oder den Scalp des Räubers muß Cherasco vor Wallingos Wigwam bringen, will er nicht von den Weibern und Kindern der Lepans verlacht und verhöhnt werden,« antwortete der Spürer mit finsterem Blicke und drückte

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das Knie abermals an den Bogen, als ein Blitzstrahl in tausend glühenden Zacken vor der Höhle niederschlug und der Krach des Donners sie in ihrem Grunde erschütterte.

Beide Wilde sprangen entsetzt zurück und blickten scheu an den überhängenden rothen Wänden hin.

»Der Sturmgott will nicht, daß wir jetzt um den Scalp kämpfen, laß uns Frieden machen bis er vorbeigezogen ist und die Sonne die Bergspitzen röthet,« sagte Kiwakia und legte sein Geschoß neben sich auf ein Felsstück.

»Der Sturmgott ist mächtig und der Lepan hört seine Stimme,« erwiederte Cherasco und legte gleichfalls seine Waffen hinter sich auf einen Stein.

So standen die Wilden nun mit untergeschlagenen Armen, blickten bald hinaus in die wild vorübersausenden, vom Sturme getragenen Fluthen und lauschten den furchtbaren Accorden des ununterbrochenen Donners, bald sahen sie einander ernst und fragend an, doch keiner von ihnen brach das Schweigen.

Endlich, nach einer langen Pause, nahm Kiwakia das Wort und sagte:

»Willst Du spielen, Cherasco?«

»Der Sturmgott spielt auch und wirft die Steine auf die Erde. Laß uns spielen,« erwiederte der Spürer;

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die Züge auf den Gesichtern der Wilden nahmen einen heiteren Ausdruck an, beide bückten sich und huben eine gleiche Zahl kleiner Steine vom Boden auf.

Darauf setzten sie sich friedlich nahe gegen einander über und hielten ihre mit den Steinen gefüllte Rechte zum Wurfe über einen von Kiwakia mit dem Messer auf die Erde gezeichneten kleinen Kreis.

»Was gilt es?« fragte Cherasco nach seinem Gegner blickend.

»Unsern Schmuck - meine Armspangen und Perlen sind zwar schöner als die Deinigen.«

»Es gilt,« antwortete der Lepan und warf die Steine auf den Kreis vor sich.

Nachdem er dieselben wieder aufgenommen, warf Kiwakia, doch das Glück war gegen ihn, er hatte weniger Steine in den Ring geworfen und sein Schmuck war verloren. Ruhig nahm er die schönen Adlerfedern aus seinem Haar, die großen goldenen Ringe aus seinen Ohren, die langen weißen Perlen von seinem Halse und die Spangen von den Armen und reichte sie schweigend dem Spürer hin.

»Um unsere Sättel und unser Reitzeug,« sagte er hierauf und warf wieder die Steine auf den Boden.

Auch Cherasco warf und abermals war ihm das Glück gewogen, er hatte wieder gewonnen.

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»Der Sturmgott ist Dir gut,« sagte Kiwakia, stand auf, trug seinen Sattel, seine prächtige Decke und seinen reich mit Silber geschmückten Zaum auf die Seite seines Gegners und legte die Gegenstände hinter ihn an die Erde.

»Mein Maulthier gegen Dein Pferd. Wirf,« sagte Kiwakia, indem er seinen vorigen Platz wieder einnahm; »daß seine Hufe besser sind, als die Deines Pferdes, davon hast Du Dich überzeugt.«

Cherasco warf und Kiwakia that, mit etwas mehr Aufregung, ein Gleiches, doch wieder traf ihn der Verlust, sein schwarzes Maulthier war verspielt.

»Die Lepans sind glücklicher im Spiel, die Comantschen glücklicher auf der Jagd und im Kriege,« sagte der Häuptling, erhob sich abermals und führte sein Maulthier auf die Seite des Lepans, wo er dasselbe mit dem Lasso an ein Felsstück befestigte.

»Um unsere Waffen nun, außer den Scalpmessern, die werden wir beide nöthig haben,« sagte Kiwakia jetzt in zorniger Aufregung, während der Lepan ruhig nickte und seinem Gegner andeutete, er möge werfen.

Abermals fielen die Steine aus beider Hände und abermals kehrte das Glück dem Comantschen den Rücken zu.

»Hier, nimm sie hin, die Waffen, und mache ihnen Ehre, wie sie es gewohnt sind,« schrie Kiwakia jetzt und warf seinen Köcher mit Bogen und Pfeilen, so wie seinen Tomahawk auf die Seite des Spürers.

»Das Spiel ist aus, Kiwakia; der Comantschen Häuptling ist von dem Spürer der Lepans arm gemacht,« sagte Cherasco mit einem triumphirenden Blicke.

»Das Beste ist noch mein, es ist mehr werth, als Alles, was Du gewonnen hast - ich setze es dagegen - meinen Scalp gegen Deinen ganzen Gewinnst; verliere ich ihn, so sollst Du ihn mit Kiwakias eignem Messer von seinem Haupte nehmen, ohne daß sein Gesicht Schmerz zeigt.«

»Es gilt!« rief der Spürer, indem er einen frohlockenden Blick auf des Häuptlings glänzendes Haar warf, willst Du zuerst werfen?«

»Wirf Du, ich bin gewohnt den Sieg zu entscheiden,« antwortete Kiwakia, indem er seine glühenden wuthentbrannten Augen auf seinen Gegner heftete.

Cherasco warf und nur einer der Steine fiel außerhalb des auf den Boden gezeichneten Ringes.

»Du mußt sie alle hineinwerfen, wenn Du Deinen Scalp behalten willst!« rief der Spürer mit siegesglänzenden

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Blicken und sprang von seinem Sitze auf, indem er auf den Ring an der Erde zeigte.

»Kiwakia hat schwerere Würfe gethan, ohne daß sein Herz gebebt hätte; da liegen sie!« sagte er entschlossen und warf die Steine. Sie fielen sämmtlich in den Kreis.

»Gewonnen!« rief er nun mit blitzenden Augen auf seinen Gegner schauend. »Jetzt zieh Dein Messer, Lepan, denn der Comantschen Häuptling dürstet nach Deinem Blute und will sich mit Deinem Scalp schmücken.«

Zugleich hatte er sein Messer aus der Scheide gezogen, bückte sich, legte sich zum Sprunge auf seinen linken Fuß zurück und schnellte sich mit einem Schrei, der den Donner übertönte, wie der Panther auf seine Beute, auf den Lepan, der ihm gewandt auswich und den Messerstoß, den Jener nach ihm führte dadurch von sich abwehrte, daß er Kiwakias Hand ergriff. Der Comantsche aber hatte seinen Gegner im nächsten Augenblick mit seinem linken Arm so umschlungen, daß derselbe seine Waffe nicht zu gebrauchen im Stande war, preßte ihn mit eiserner Gewalt gegen seine Brust und suchte seine Rechte von dem Griff des Lepans zu befreien. Doch dieser wußte, daß er sein Leben in seiner

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Hand hielt und klemmte sie krampfhaft um das Handgelenk seines Gegners.

Wie zwei Schlangen, fest umwunden, wankten die beiden Kämpfer auf dem unebenen Boden der Höhle hin und her und ließen sie von ihrem Kriegsgeschrei erbeben, doch keiner von ihnen strauchelte, keiner konnte den andern zu einem falschen Tritte bringen. Kiwakia war augenscheinlich der Stärkere und er drängte Cherasco, der ihm an Gewandtheit überlegen war, nach einem Felsstück hin, um ihn über dasselbe niederzuwerfen.

Der Lepan sah die Gefahr, seine Kräfte reichten aber nicht aus, sich von dem Steine fern zu halten, er gab nach, wankte nach ihm zurück, warf sich rücklings mit seinem Gegner über ihn hin und überschlug sich mit demselben so, daß sie getrennt hinter dem Granitblocke an die Erde fielen. Mit wilder Wuth und erhobenen Messern stürzten sie abermals auf einander ein, doch Cherasco griff fehl nach Kiwakias Arm, dieser fing die bewaffnete Hand seines Gegners und stieß sein Messer bis an den Griff in dessen linke Seite.

Der Todesschrei des Lepans tönte kaum durch die überhängenden Felsen, als Kiwakia schon seine Knie auf dessen Brust gesetzt, seines besiegten Feindes langes Haar um seine Linke gewunden hatte, die Klinge seines Messers

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um dessen Scheitel führte und ihm den Scalp von dem Haupte riß,

»Du hast nach dem Scalp Deines Vetters, des Comantschen, verlangt und hast den eigenen verloren,« sagte Kiwakia, indem er sich von dem Getödteten erhob und hielt die blutige Kopfhaut in die Höhe. »Dein Tod erhält vielen Lepans und vielen Comantschen das Leben, denn Wallingo würde seiner Rache seinen letzten Krieger geopfert haben. Der Regen hat unsere Spuren verwischt und der deinigen soll von hier aus nur der Geier folgen.«

Hierauf schritt er zu seinem Sattel, befestigte die Kopfhaut an denselben, hüllte sich in seine Decke und setzte sich auf den Stein, hinter welchem der Lepan seinen Tod gefunden.

Noch rollte das Gewölk in schweren Waffen an den Gebirgen hin, doch das Gewitter zog nach Süden, der ihm folgende Sturm nahm an Heftigkeit ab, die Wolken brachen sich, hier und dort blickte der blaue Himmel wieder durch, und die Sonne warf scheidend ihre freundlichen Strahlen auf die aus dem Dunstmeere der Thäler aufsteigenden Berggipfel.

Kiwakia hing dem Getödteten dessen Köcher mit

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Bogen und Pfeilen um, steckte dessen Messer wieder in die Scheide und hob ihn auf seine Schulter. Er verließ die Höhle und schritt mit seiner blutigen Bürde durch die Schlucht hinaus und zu dem schroffen Abhänge hin, vor dem des Lepans Herz während des Sturmes erbebt war. Hier legte er ihn nieder, rollte ihn über den letzten Stein und blickte ihm nach, wie er wirbelnd hinuntersauste und in dem Nebelmeere tief unter ihm vor seinen Augen verschwand.

Dann ging er zu der Höhle zurück, sattelte und bestieg sein Maulthier, ließ das Pferd des Lepans an dem Lasso hinter sich folgen und zog in dem goldnen Abendlichte, welches jetzt über der weiten Berglandschaft ruhte, auf dem Büffelpfade, der ihn hiehergeleitet, dem Thale zu.

Die Nacht war schon eingebrochen, als er, einem Gebirgswasser folgend, einen Wiesengrund erreichte, dessen frisches Gras den erschöpften Thieren reiche Weide gewährte. Hier verbrachte er die Nacht, begrub das Sattelzeug Cherascos in dem Bache, gab dessen Pferde die Freiheit und setzte am folgenden Morgen seine Reise durch die Gebirge nach Südosten fort, um mit seinem Bruder an dem zwischen ihnen verabredeten Orte zusammenzutreffen und von dort aus den Knaben und das

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weiße Maulthier seinem Freunde Farnwald als Geschenk zuzuführen.

Doch Farnwald lag weit entfernt von seiner Heimath in der Nahe von Matamoros auf der Straße nach Linares mit seiner Compagnie in Quartier.

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Capitel 31.

Marsch. - Mexico. - Die Hacienda, - Freundliche Bewirthung. - Dir Reiterinnen. - Der Brief. - Unversöhnlichkeit. - Waffenstilllstand. - Der Bevollmächtigte. - Die Herrin. - Frecher Undank. - Vergebung. - Offener Raub.


General Taylor zögerte immer noch aufzubrechen und dem Feinde in das Innere des Landes nachzufolgen; täglich traten neue Freiwillige unter seine Fahnen und er hatte beschlossen, die Zahl seiner Truppen bedeutend zu vermehren, ehe er Matamoros verließ.

Die große Hitze trat aber ein und mit ihr erschienen die bösartigen Fieber, von welchen diese Küstengegend alljährlich heimgesucht wird. Der Tod raffte manchen braven Soldaten hinweg, den die Kugeln bei Palo Alto und Resaca verschont hatten und die Nachricht, daß endlich der Marsch in die Gebirge, dem Feinde entgegen, angetreten werden sollte, wurde mit lauter Freude und Jubel von der Armee begrüßt.

Die Straße nach Linares, und von da nach der gewaltigen Bergfeste Monterey war zum Marsch

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gewählt und Farnwalds Compagnie dem Vortrab zugetheilt.

Neues Leben, neue Kraft beseelte ihn und seine Kameraden, als sie dem Flachlande mit seinen Krankheiten Lebewohl sagten und bald darauf die frische leichte Bergluft sie umwehte. Singend und jubelnd ritten die jungen kräftigen Burschen, ihre ledernen Jacken unter sich auf den Sätteln, in aufgelösten Reihen über die steinigen Höhen und blickten auf die reizenden angebauten Niederungen wie auf erobertes Feindes Land hinab.

Auch Farnwalds Augen wanderten im Vorüberreiten durch die reichen paradiesischen Thäler an den schroffen Bergabhängen hin und zu den in dem klaren Aether verschwimmenden Gebirgsspitzen; doch ein ganz anderes, ein wehmüthiges Gefühl begleitete seine Blicke, denn dies war das Land, wo seine geliebte, seine ewig unvergeßliche Doralice das Licht der Welt zuerst gesehen hatte. Nach jedem einzelnen Landhause, nach jeder der unzähligen wundervollen Villas, die hier in einer Bergschlucht aus üppigen Tropenwäldern hervorsahen, dort von hohen Palmen überdacht, wie Schwalbennester über schroffen Felsen hingen, schaute er mit sehnsüchtigem Herzen hin und dachte, daß vielleicht eine derselben die Wiege des theuren Mädchens gewesen wäre.

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Es war nach einem heißen Tage, als die Sonne die fernen höheren Gebirgszüge der Anden erreichte und ihre Eiskuppen wie glühende Rubine über dem duftigen Purpur der Ferne schwebten. Der Abendwind zog säuselnd durch die luftigen Häupter der Palmen und umwehte erquickend die Reiter, die mit Farnwald ihre ermüdeten Rosse einer, fern an der Bergwand vor ihnen sichtbar werdenden, Hacienda zulenkten, bei welcher beschlossen war, Nachtquartier zu machen.

Das Düster des Abends hatte sich schon über die Gegend gelegt, doch der über den östlichen Gebirgen aufsteigende Mond verdrängte es bald und warf sein helles Licht auf die weißen Mauern des geschmackvollen, mit vielen Balkonen gezierten, so sehr ersehnten Hauses, als Farnwald seine Compagnie auf der Landstraße vor demselben halten und absitzen ließ.

Er hatte seinen Leuten aufs Strengste untersagt, die Bewohner der Flecken und einzelnen Häuser, wo sie anhielten, als Feinde zu behandeln, weshalb er stets selbst mit denselben redete und dasjenige von ihnen forderte, was er für sich und für seine Kameraden nöthig hatte. So auch an diesem Abend. Er war mit seinem ersten Lieutenant und einigen Schützen durch das große Thor des starken eisernen Geländers, welches den Landsitz umgab, in den Garten vor demselben

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eingetreten, ging zwischen den dort stehenden riesenhaften Orangen- und Citronenbäumen hin auf das Haus, zu und stand schon an der hohen marmornen Treppe im Begriff sie zu ersteigen, als einer seiner Lieutenants ihn von der Straße her mit lauter Stimme zurückrief. Rasch kehrte er um und eilte nach dem Thore zurück.

Dort war ein alter Mexicaner von seinem Pferde gestiegen und stellte sich Farnwald als den Verwalter dieser Besitzung vor. Er bat denselben, ihm in das Haus zu folgen und versicherte ihn, daß er Alles, was in seinen Kräften stehe, aufbieten wurde, um sich ihm und seinen Leuten dienlich zu zeigen. Er war ein freundlicher alter Mann, der, ohne kriechend und unterwürfig zu sein, sich höflich und, anscheinend, offen benahm.

Farnwald folgte mit seiner vorigen Begleitung dem Alten nach dem Hause und trat in den geräumigen Corridor ein, der zwar nur matt von einer Lampe erleuchtet, doch durch die breite Marmortreppe, die von hier nach dem oberen Stocke führte, durch die schönen Marmorstatuen, die in den Nischen an den Wänden standen, durch die in edlem Geschmacke gearbeiteten Säulen vor der Treppe und den herrlich mit schwarzem

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und weißen Marmor getäfelten Fußboden auf die reiche innere Ausstattung des Gebäudes schließen ließ.

Der major domo oder Verwalter öffnete neben der Treppe eine Thür und bat die Fremden in sein eignes geräumiges Zimmer einzutreten, um dort ihre Wünsche zu hören und ihnen mitzutheilen, was er für sie zu thun im Stande sei. Vor Allem forderte man Futter für die Pferde, welches in vollem Maße nach Wunsch zugesagt wurde. Fleisch für die Soldaten stellte der Alte durch Anerbieten zweier Stiere zu ihrer Verfügung und einige Säcke Maismehl erbot er sich gleichfalls zu liefern. Auch Kaffee und Cacao wollte er ihnen reichlich geben, doch den unbedeutenden Weinvorrath, den er besaß, bat er, ihm zu lassen, da es ein Artikel sei, der hier im Lande schwer anzuschaffen und seiner Herrschaft, die sich nur von Zeit zu Zeit hier aufhalte, werthvoll wäre.

Farnwald bezeigte sich auf das Vollkommenste zufriedengestellt, die zugesagten Gegenstände wurden von den Schützen in Empfang genommen und bald darauf flackerten ihre Lagerfeuer lustig auf. Der major domo fragte bei Farnwald an, für wie viel Officiere er in dem Hause Nachtlager bereiten solle; da aber der erste Lieutenant es vorzog, draußen in der freien Luft zu übernachen, so bat der Kapitain nur um ein Zimmer

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für sich selbst, beanspruchte jedoch ein Abendessen für sich und seine drei Lieutenants.

Er hatte die Vertheilung der Lebensmittel unter die Schützen in seiner Gegenwart vornehmen lassen, die nöthigen Befehle für die Nachtwachen gegeben, seinen Mantelsack nach dem Hause tragen lassen und stand bei seinem Pferde, dem er auf der Roßhaardecke, die er unter dem Sattel trug, Mais vorgelegt hatte, als der Verwalter zum Abendessen einlud.

Die Officiere traten in den durch einen Kronleuchter hellerleuchteten Saal, wo eine reich besetzte Tafel ihrer wartete. Die Pracht, womit das Zimmer ausgestattet war, überraschte die Eintretenden und zeugte von dem Reichthume und dem Geschmacke des Eigenthümers. Die kostbarsten Möbel, kolossale Wandspiegel, Vorhänge und Draperien von den schwersten Seidenstoffen, große Bronze-Uhren, wundervoll gearbeitete Blumenvasen und herrliche Oelgemälde - Alles stand in vollem Einklange und der polirte Parquetfußboden spiegelte den Schein der Lichter und der geschliffenen Glasstücke des Leuchters. Doch vermißte man das dieser Pracht entsprechende Silberzeug, wovon nicht ein Stück zu sehen war, Zwei große Glasthüren führten auf den Balkon über der Treppe, auf dem jetzt das helle Mondlicht lag und welcher zu beiden Seiten von Patinen überdacht

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wurde, deren leichte federbuschartige Zweige sich in der kühlen erquickenden Nachtluft hin und her wiegten. Der major domo führte die Gäste zu der Tafel und überließ ihre Bedienung zwei mexicanischen Dienerinnen, indem er sich selbst beurlaubte, um seinen häuslichen Obliegenheiten nachzugehen. Die Speisen waren über alle Erwartung trefflich bereitet und da sich vor jedem der Gäste eine Bouteille spanischen Weines befand, so ließ auch die frohe Laune nicht lange auf sich warten. Es wurde gelacht und gescherzt, Gesundheiten getrunken und auch der Toast auf den Spender des Mahles nicht vergessen.

Noch saßen die Officiere nach beendigter Mahlzeit bei dem schweren Wein um den Tisch und labten sich behaglich an feinen Havanah-Cigarren, die der Kapitain mit sich führte, als laute Stimmen in der Nähe seitwärts von dem Gebäude hörbar wurden und Farnwald hinaus auf den Balkon trat, um zu sehen, was diese zu bedeuten hatten.

Die Schützen führten in diesem Augenblicke drei Frauenzimmer zu Pferde von einem mexicanischen Reiter begleitet, auf der Straße her vor das Einfahrtsthor und riefen mit Lachen und Jubeln ihrem Kapitain zu, daß sie einige Amazonen gefangen hätten, die sich aus

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einer Seitenthür der Einzäunung heimlich hätten entfernen wollen. Zwei derselben, eine starke, wie es schien ältliche Dame und eine hohe schlanke jugendliche Figur, Beide mit schwarzseidenen Mantillen über dem Kopfe waren augenscheinlich die Herrinnen und die beiden andern Personen ihre Dienerschaft. Der major domo aber, der sich zu Fuß bei ihnen befand, trat jetzt unter den Balkon und theilte Farnwald mit, die Damen seien Verwandte von seiner Frau, die sich heute zu Besuch hier befunden und jetzt nach ihrer einige Meilen von hier gelegenen Wohnung zurückreiten wollten. Er bat, die Frauenzimmer ungehindert ziehen zu lassen, da dieselben ja mit dem Kriege nichts zu thun hätten, Farnwald ersuchte den Verwalter, das Mißverständniß bei den Damen in seinem Namen zu entschuldigen, sandte auch einen seiner Officiere hinunter, um ein Gleiches zu thun und ihnen ungehinderten Abzug zu gewähren.

Er selbst blieb auf dem Balkon stehen und blickte nach den Reiterinnen durch das tageshelle Mondlicht hinunter, um sich davon zu überzeugen, daß man sie weiter nicht belästige. Der Officier gelangte zu ihnen, entledigte sich höflich seines Auftrags und die um sie versammelten Schützen traten zur Seite, um ihnen die Straße frei zu geben.

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Die beiden verschleierten Damen hatten ihre Rosse gewendet und ritten voran, während das dritte Frauenzimmer mit dem Reiter ihnen nachfolgte. Farnwalds Blicke waren auf die schlanke Gestalt gerichtet, als dieselbe sich nach dem Hause zurückwendete, ein weißes Tuch, wie zum Winke zu ihrem Munde führte, es mit gleicher Bewegung wieder sinken ließ und dann unter der Mantille verbarg. Rasch zogen sie auf der Straße dahin, doch noch mehrere Male sah Farnwald, selbst noch in großer Entfernung, den weißen Schein des Tuches im Mondlicht wehen.

Er ging, als die Unbekannten im Nebelhauch der hellen Nacht vor seinen Blicken verschwunden waren, in den Saal zurück und nahm seinen Platz abermals an der Tafel, als auch der Lieutenant wieder herzutrat und sich bei ihm niedersetzte.

»Solche Feinde lasse ich mir gelten,« sagte er, indem er sein Glas leerte »die Eine wenigstens mußte sehr schön sein. Ich habe zwar nur eines ihrer Augen zwischen der schwarzen Mantille herausleuchten sehen, aber, beim Himmel, es war genug, um das Herz eines jungen Kerls von gutem Geschmack zu entzünden. Ich sage Ihnen, schwarz, wie eine Gewitternacht mit ihren Blitzen.«

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»Es ist mir unangenehm, daß man die Damen angehalten hat; der Verwalter hier ist uns sehr freundlich gewesen und es ist immer ein schlechtes Compliment für einen Soldaten, ungalant gegen Frauenzimmer zu sein. Ich wünsche, daß ähnliche Auftritte nicht wieder vorkommen,« sagte Farnwald.

»Es war sicher nur ein Scherz unserer Burschen, sie wollten sich die Amazonen einmal näher betrachten,« antwortete einer der Officiere.

»Der Amerikaner ist wegen seiner Hochachtung vor dem weiblichen Geschlecht bekannt und wird sich diesen Namen hoffentlich auch in Feindes Land zu bewahren wissen,« bemerkte Farnwald.

»Ich glaube, die Damen sind durch Sie, Kapitain, und durch die Nachricht, daß morgen unsere Truppen heranrücken, von hier verscheucht worden, denn der Verwalter fragte mich vor Tisch, ob unser Kapitain Farnwald heiße und wann die Armee hier vorüberkommen werde,« bemerkte ein anderer der Officiere.

»Wie kommt derselbe dazu, meinen Namen zu wissen,« sagte Farnwald verwundert.

»Nun, ich habe Ihren Namen laut genug gerufen, als der Verwalter angeritten kam und sich als solcher bezeichnete,« erwiederte der Erstere.

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Die Unterredung ging auf den Marsch für den folgenden Tag über, und da derselbe nach der Aussage des Mexicanischen Führers, den die Compagnie in Dienst hatte, ein weiter war, so wurde beschlossen, frühzeitig von hier aufzubrechen und sich deshalb bald zur Ruhe zu begeben.

Die drei Lieutenants hatten den Kapitain verlassen und waren hinaus zu den Lagerfeuern gegangen, als dieser auf den Balkon trat und, sich auf dessen Geländer lehnend, in die weite Gebirgslandschaft hinunterschaute, durch welche ihn heute sein Weg hierhergeführt hatte.

Mild und friedlich lag das Perlenlicht auf diesem Wunderlande, dem Paradiese der Erde, aus dem duftigen Thal hoben sich in wolkigen verschwommenen Umrissen die Hügel, die Palmenwälder, die Landsitze empor und zwischen ihnen hin glänzten die Gewässer, wie silberne Bänder. Rundum stiegen die Gebirge in mächtigen Terrassen auf, in dunkelm Purpur hoben sich die Felsen, wie Riesengebäude aus ihnen hervor und die Eismassen ihrer, zum sternübersäeten Himmel aufstrebenden, Spitzen glänzten wie weiße Atlasgewänder. Eine wohlthuende, erregende Kühle zog über die Erde und strömte neue Lebenskraft durch die, von den Gluthen

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des Tages ermattete Natur, die Blumen des Gartens, die Orangen- und Citronenblüthen, so wie die blühenden Lianen, die den Balkon umschlängen, dufteten stärker und gaben der leicht bewegten Nachtluft ihre süße Würze.

Der Zauber, der Farnwald umgab, brachte ein wehmüthiges Gefühl über ihn, denn inmitten all dieser Reize war seine angebetete, seine süße Doralice erstanden, es war ihre Heimath, die ihm aus dem Thale und von den Gebirgen herab begrüßte.

Wo weilte sie jetzt, - dachte sie seiner noch - gehörte ihr Herz noch ihm? Da trat der major domo aus dem Saal zu ihm in das helle Mondlicht auf den Balkon und fragte ihn, ob er ihm ein Zimmer anweisen dürfe, in welches sein Gepäck schon befördert sei?

Farnwald folgte der Aufforderung und ließ sich von dem freundlichen alten Mexicaner durch einen langen Corridor zu dessen Ende geleiten, wo derselbe eine Thür öffnete und ihn in das Zimmer vorangehen ließ. Der major domo wies mit einer höflichen Verbeugung und einer Handbewegung im Kreise rings durch die Stube und sagte:

»Ich hoffe, daß Sie Alles nach Wunsch finden werden; sollte noch Etwas fehlen, so bitte ich die Schelle zu ziehen. Dort in das Schlafgemach habe ich Ihre Effekten[Effecten] bringen lassen.«

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Hierauf zündete er die Wachskerzen an, die sich auf dem Tische aus schweren silbernen Leuchtern erhoben, wünschte eine angenehme Ruhe und verließ mit einer Verbeugung das Zimmer.

Farnwald war überrascht, als er in dem Gemach sich umblickte. Alles war hier anders, als er es bis jetzt in Mexicanischen Häusern angetroffen hatte und es überkam ihn eine Erinnerung an etwas Bekanntes, von dem er sich doch keine bestimmte Rechenschaft geben konnte. Die Gegenstände, die das Zimmer enthielt, waren ihm zwar sämmtlich fremd, und doch lag ein Etwas in ihrer Auswahl, in ihrer Zusammenstellung, welches ihm traulich entgegenkam und es war ihm, als wehe ein Geist durch das Gemach, dem er schon früher einmal begegnet wäre. Augenscheinlich befand er sich in dem Zimmer einer Dame, wie die verschiedenen auf Tischen und Consolen befindlichen Gegenstände und deren sorgfältige Anordnung bekundeten. Ein wundervoll mit Silber und Elfenbein ausgelegter Nähtisch, eine reich mit Gold gestickte Fußbank, ein kleines Sammetkissen, mit verschiedenen darauf gesteckten goldnen und silbernen Nadeln, welche von den Mexicanerinnen zum Befestigen der Schleier, der sogenannten seidenen Mantillen, in ihrem Haar verwandt werden und viele andere derartige Gegenstände erhoben dies zur Gewißheit. Hier hatte man

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die kostbaren Silbergeräthe, die er in dem Saale vermißt hatte, nicht bei Seite gebracht, es schien überhaupt Alles unangetastet so verblieben zu sein, wie es die frühere Inhaberin dieses Zimmers verlassen hatte.

Mit einem unerklärlichen Interesse ging er umher und betrachtete bald Dies, bald Jenes; Alles lobte den Geschmack der Eigenthümerin. Auch die Bücher, die er in einem verschlossenen Glasschränkchen gewahrte, zogen Farnwalds Aufmerksamkeit auf sich und er nahm ein Licht von dem Tische, um deren Titel zu lesen, die mit Goldschrift auf der Rückseite gedruckt waren. Da stand Shakespeare, Byron, Moore, Fielding und viele andere der englischen Classiker und zwar, wie er unterstellen mußte, sämmtlich in der Originalsprache. Viel hätte er darum gegeben, wenn er das Schränkchen hätte öffnen können; es ragten Papierzeichen aus den Büchern hervor, die ihn lebendig an die glücklichste Zeit seines Lebens erinnerten, in der er ähnliche Zeichen in dieselben Werke legte, wenn er Doralice vorgelesen hatte und in anderer beglückender Weise diese Unterhaltung unterbrochen wurde.

Mit einem Seufzer wandte er sich von dem Schränkchen weg und wollte die Thür daneben, welche ihm als die des Schlafgemachs von dem Verwalter bezeichnet war, öffnen, als sein Blick auf die etwas aufstehende

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Thür an der entgegengesetzten Wand fiel und seine Neugierde ihn dorthin zog, um jenes angrenzende Zimmer gleichfalls in Augenschein zu nehmen. Er trat ein und fand hier ein ebenso reich ausgestattetes, jedoch kleines Gemach, eine Eckstube, welche auch nach der Seite des Hauses, wohin die Aussicht der daneben befindlichen Zimmer hinzeigte, ein Fenster enthielt, nach der hintern Seite des Gebäudes aber eine Glasthür hatte, die auf einen kleinen Balkon führte, Farnwalds Blicke fielen beim Eintreten auf ein geöffnetes kostbares Piano, auf dem ein Notenblatt aufgeschlagen lag; er neigte sich zu ihm hin und fuhr halb erschrocken zurück, denn er erkannte eines seiner Lieblingslieder, welches Doralice ihm so oft gesungen hatte. Seine Hand bebte, und nochmals führte er das Licht zu den Noten, - es war wirklich das Lied - er hatte sich nicht getäuscht.

»Himmel was ist das?« rief er in diesem Augenblick eine Harfe erblickend, die weiter zurück in dem Gemach neben einem rothsammetnen Sessel stand. Es war augenscheinlich die Harfe seiner Braut, sie trug dieselbe Form, dieselben Verzierungen - es war dasselbe Instrument, auf dem sie so oft vor ihm gespielt und ihn dadurch so unendlich bezaubert hatte.

»Doralice - himmlische Doralice!« rief er aus und stand wie angewurzelt vor dem Instrument, Alles

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Glück, alles Leid seiner letzten Vergangenheit drängte sich stürmisch vor seine Seele und er hatte kein Wort, keinen Seufzer, keine Thräne, die seinen großen Schmerz gelindert hätten. Lange Zeit hatte er hier, von der Gewalt der Erinnerung gefesselt, gestanden, als ihm die Brust zu enge ward und er mit einem tiefen Athemzug aus der Glasthür hinaus auf den Balkon trat.

Eine neue Ueberraschuug harrte seiner hier. Er stand über einem schroffen schwindelnden Abhang; die Felswand, an der das Gebäude sich anlehnte, hob sich hier in zerrissenen, übereinander aufgethürmten Massen steil empor, von ihrer Höhe brauste wild schäumend ein Sturzbach herab, hinunter in die finstere Tiefe und gab seinen Staub dem leichten Winde zu tragen, der ihn wie einen Schleier vor dem Mondlicht entfaltete und dessen milden Schein als Regenbogen in Brillanten auffing.

Das Seltsame, Wundervolle seiner Umgebung, das glühend in ihm erwachte Andenken an die Zeit seines Glücks und die trostlose Ueberzeugung, daß er es vielleicht auf ewig verloren, ergriffen ihn mächtig und er stand unbeweglich da und blickte in das Zauberbild vor sich. Er sah im Geiste Doralice mit der Harfe auf dem Balkon, wie sie ihre seelenvollen Augen aus dem Spiegel des Wasserstaubs ruhen und ihre liebliche Stimme mit

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den vollen Accorden der Saiten durch das Rauschen des Baches hinziehen ließ; er glaubte die Lieder zu hören, die ihn so sehr beseligt und der Hauch der Nachtluft, der seine Wange umspielte, dünkte ihm der süße Athem ihres lieblichen Mundes.

Schon hatte der Mond die Eiskuppe eines fernen Berges erreicht und ließ sie, hinter ihr sinkend, in durchsichtigem Scheine erglänzen, als Farnwald immer noch, wie angezaubert auf dem Balkon stand und sich seinem Schmerze überließ. Erst, als das Himmelslicht verblichen und Finsterniß sich über die Gegend gelegt hatte, kehrte er in das Zimmer zurück, nahm die tief heruntergebrannte Kerze von dem Piano und schritt rasch nach dem Schlafgemach, um dort noch eine Stunde zu ruhen.

Doch Ruhe sollte ihm in dieser Nacht nicht werden, denn beim Eintritt in die Schlafstube fand er dort auf dem Tische einen Brief, dessen Anblick ihn wie ein elektrischer Schlag traf. Es war Doralices Handschrift, die ihm entgegenleuchtete. Er nahm ihn auf - es war ihm, als ob er Tod und Leben zugleich in der Hand hielt; das Siegel ward erbrochen, das Papier entfaltet.

Farnwald hatte diese Worte gelesen und sank, den Brief an seine Brust gedrückt auf das Lager nieder, welches Doralice für ihn zur Ruhe bestmimt hatte; Schlaf aber kam nicht in seine Augen, es wurde Tag, er hörte Tritte in dem Zimmer, sprang auf, verbarg den Brief und empfing den alten major domo mit

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warmer Herzlichkeit. Er bestürmte ihn mit Fragen über die Geliebte, beschwur ihn, ihren Aufenthalt zu nennen, doch der Alte schützte seine Pflicht vor und war zu keiner weitern Auskunft über sie zu bewegen, als daß ihm von seiner Herrschaft die strengste Verschwiegenheit auferlegt sei.

Farnwald folgte dem alten Diener nach dem Frühstückssaal, wo die Officiere seiner harrten und ihn in der heitern Laune begrüßten, die ein ungestörter Schlaf unter einem offenen südlichen Himmel mit sich bringt. Auch die Schützen hatten ihr Morgenbrod bereitet, welches durch einige Körbe voll der köstlichsten Apfelsinen, die der Verwalter ihnen zusandte, verherrlicht wurde, und bald darauf waren die Pferde gesattelt, die Maulthiere bepackt und die Compagnie zum Abmarsche bereit. Man wartete nur noch auf den Kapitain.

Dieser aber war nochmals hinauf in die Räume gegangen, die all sein Glück umfangen hatten, er mußte ihnen Lebewohl sagen. Schweigend nahm er von allem ihn Umgebenden Abschied, länger und trauriger aber weilten seine Blicke auf dem Piano und auf der Harfe; dann trat er nochmals auf den Balkon, schaute nochmals in den Sturzbach, durch dessen Staubregen jetzt die ersten Strahlen der aufsteigenden Sonne blitzten

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und eilte dann hinunter zu seinen Kameraden. Von seinem Pferde herab drückte er dem alten treuen Diener nochmals innig die Hand und bald verhallten die Huftritte der, auf der felsigen Straße dahinziehenden, Reiter aus dem Bereiche des Landsitzes der Wittwe Dorst, die in vergangner Nacht mit ihrer Tochter, Ellen ihrer Dienerin, und einem Mexicaner von den Schützen angehalten war und sich dann zu einer ihnen befreundeten Familie, die nur wenige Meilen von hier seitwärts von der Straße wohnte, flüchtete.

»Sieh Dich nicht um, Doralice,« sagte Madame Dorst zu ihrer Tochter, als sie von den neugierigen Schützen weg und auf der Straße dahin eilten; »wenn er ahnet, daß wir es sind, so folgt er uns nach, und hofft uns abermals mit seinen glatten Worten zu bethören. Laß uns eilen; schon der Gedanke, in seiner Nähe zu sein, ist mir unerträglich. Selbst hier in meinem schönen Vaterlande finde ich keine Ruhe vor ihm.«

»Beste Mutter, Dir zu Liebe habe ich ihm entsagt, aber schmähe ihn nicht, Du zerreißest mein Herz. Er ist brav und edel, und was Du bei ihm verdammst, zieht mich nur fester zu ihm hin. Schmähe ihn nicht, wenn ich meinem Versprechen, ihn zu meiden, treu bleiben soll.«

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Madame Dorst antwortete nicht, sondern trieb ihr Pferd zu größerer Eile an und erst, als sie von der Straße ab, in einen Nebenweg einbogen und ihre Rosse in Schritt fielen, nahm sie wieder das Gespräch auf und sagte:

»Morgen kommt die Armee bei unserm Hause vorüber, Gott weiß, was aus unsern Sachen werden wird. Das Silberzeug war aus Deinen Zimmern noch nicht weggeräumt und in das Versteck gebracht.«

»Der Verwalter wird es zeitig morgen früh besorgen. Wie kannst Du aber denken, daß unsere Truppen sich an Privateigenthum vergreifen werden?«

»Haben sich doch die Kameraden Deines Geliebten selbst an uns vergriffen, als sie uns, wie Gefangene vor ihn führen wollten.«

»Und er hat für sie um Entschuldigung gebeten und uns ungehindert ziehen lassen,« erwiederte Doralice.

»Wir können hier im Lande nicht bleiben, man wird seines Eigenthums, seines Lebens nicht sicher sein. Wir müssen nach den Vereinigten Staaten zurückkehren und zwar so bald, als möglich. Die Armee zieht nach Monterey und, sobald die Straße ruhig ist, wollen wir aufbrechen. Der Zufall hat mich mit meinem

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Feinde zusammengebracht, wer weiß, wie bald es wieder geschehen kann?«

»Die Amerikaner ehren unser Geschlecht, wir werden Nichts von ihnen zu fürchten haben.«

»Wir müssen zurück, Doralice, auf unsere Plantage, wo Dein gemordeter Vater ungerächt begraben liegt,« sagte Madame Dorst und folgte dann schweigend dem Wege zu dem Landsitze der Freunde, wo sie zu verweilen beabsichtigte, bis die Verhältnisse es gestatten würden, nach den Vereinigten Staaten zurückzukehren.

Die Amerikanische Armee erreichte Monterey, nach einem dreitägigen Sturme fiel die stolze Bergfeste und das sternbedeckte Banner Amerikas wehte über ihren Mauern. Ein Waffenstillstand wurde zwischen beiden Mächten abgeschlossen, dem, nach der damals herrschenden Ansicht, ein Friedensabschluß bald nachfolgen sollte.

Die Amerikanischen Truppen blieben theils in Monterey garnisonirt, theils lagen sie in der Umgegend. Die Einförmigkeit des Dienstes wurde aber einem großen Theile der Freiwilligen bald zum Ueberdruß und Viele von ihnen, worunter sich auch Farnwald befand, nahmen ihren Abschied, um in die Vereinigten Staaten zurückzukehren.


Um diese Zeit war es, daß an einem heißen Tage, als die Sonne versank, Warner, der seit der Abreise

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Madame Dorsts nach Mexico deren Plantage und sonstiges Eigenthum in den Vereinigten Staaten allein verwaltet hatte, vor deren Wohngebäude in Hemdärmeln unter der Veranda saß und sich von dem Obmann der Sklaven, gleichfalls einem Neger, Bericht über die vollbrachte Tagesarbeit erstatten ließ.

Er schien sehr unzufrieden damit zu sein, denn er schüttelte wiederholt den Kopf und stampfte einige Male mit dem Fuße heftig auf den Boden.

»Die Hunde haben wieder den Tag mit Faulenzen hingebracht,« sagte er dann; »sie können das Nichtsthun, welches sie unter Dorst gelernt haben, noch nicht aufgeben; aber bei Gott, sie sollen es erfahren, wer jetzt ihr Herr ist, und Dir, Schurke, werde ich zuerst das Fell von den Schultern ziehen. Du fürchtest Dich, Deine Peitsche roth zu machen, ich werde sie einmal mit Deinem eignen Blute färben, dann soll es bald besser gehen.«

Der alte Neger stand, mit dem zerrissenen Hut von Palmblättern in den Händen, bebend vor dem erzürnten Manne, während die von der Arbeit kommenden übrigen Sklaven ihre Schritte verdoppelten, um ihre Hütten zu erreichen und schnell möglichst aus dem Gesichtskreise Warners zu verschwinden.

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In diesem Augenblick hielten drei Reiterinnen ihre Pferde vor dem Thor an der Straße an und, nachdem ihr männlicher Begleiter, ein Neger, den Eingang für sie geöffnet hatte, folgten sie dem Wege nach dem Wohngebäude.

»Die Herrin, die Herrin!« schrie es plötzlich von den Negerhütten her und die Sklaven, alt und jung, rannten mit stürmischem Freudengeschrei den Kommenden entgegen, denn es war wirklich Madame Dorst, Doralice und Ellen, die, von Mexico zurückkehrend, von einem befreundeten Farmer in der Nähe des Platzes am Flusse, wo sie das Dampfschiff verlassen hatten, mit Pferden und einem Diener zu ihrer Reise hierher versorgt worden waren.

Nur mit Lumpen bedeckt, drängten sich die abgemagerten Sklaven jauchzend und weinend zu der Herrin hin, ein jeder wollte der Erste sein, ihr oder ihrer Tochter Kleid zu berühren und kaum waren die Pferde im Stande, sich durch die Haufen dieser jubelnden unglücklichen Geschöpfe zu drängen.

Warner, unangenehm überrascht durch die gänzlich unerwartete Rückkehr Madame Dorsts, blickte mit verbissenem Ingrimm auf die Kommenden und war einen Augenblick unschlüssig, in welchem Tone er sie anreden

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solle. Seine bisherige Handlungsweise aber bei der Verwaltung ihres Eigenthums zeigte ihm bald die Richtung an, die er zu nehmen hatte, und mit unverschämter Frechheit empfing er sie unter der Veranda mit den Worten:

»Wie kommen Sie denn schon wieder hierher?«

»Wie ich hierherkomme? Ich verstehe Sie nicht, Herr Warner; was veranlaßt Sie zu solcher Sprache?«

»Ich glaube, es würde vernünftiger von Ihnen gewesen sein, in Mexico zu bleiben; ich habe Mühe gehabt, diese durch Sie verdorbene Negerbrut ein wenig für das Brod, das sie ißt, arbeiten zu lehren.«

»Fort mit Euch in Eure Häuser oder ich spalte Euch das Fell!« rief Warner dann noch mit wüthender Stimme und erhobener Faust den Sklaven zu.

»In welch schrecklichein Zustande finde ich die Leute wieder? - Sie sind ja abgezehrt und in Lumpen gehüllt. Was ist hier geschehen? Herr Warner, Sie sind mir verantwortlich,« sagte Madame Dorst heftig.

»Verantwortlich bin ich, aber nicht Ihnen, Madame; von Herrn Dorst bin ich zum Verwalter seines Vermögens eingesetzt und mir bleibt es überlassen, zu überlegen, auf welche Weise dies am besten geschieht. Ich bin nicht gesonnen, dieses Negervolk zu füttern, ohne

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daß es arbeitet und eben so wenig, mir Vorschriften darüber von Ihnen machen zu lassen.«

Madame Dorst war so sehr von der rohen Frechheit Warners entrüstet, daß sie es unter ihrer Würde hielt, ihm in diesem Augenblicke zu antworten, Doralice aber trat entschlossen vor den ihr von Grund ihrer Seele verhaßten Mann und sagte:

»Herr Warner, unterfangen Sie sich nie wieder, in solchem Tone zu meiner Mutter zu reden oder ich werde Mittel zu finden wissen, uns gegen Sie zu schützen,« ihre Mutter aber ergriff ihre Hand und führte sie mit einem Blicke tiefster Verachtung auf Warner nach ihren Zimmern.

»Was ist mit Warner vorgegangen, Doralice?« sagte sie zu dieser, als sie allein waren, »um des Himmels Willen, in was für Hände sind wir gefallen - ist dies derselbe unterthänige Verwandte von uns, der er noch bei unserer Abreise von hier war?«

»Schrecklich, fürchterlich, Mutter! mir aber ist es nichts Ueberraschendes; Du weißt es, ich habe mich niemals in dem Manne geirrt,« erwiederte Doralice.

»Soll denn unser Unglück niemals enden - sollen wir nirgends Ruhe finden? Warner war die letzte Stütze, die uns Verlassenen blieb und er, den wir mit

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Wohlthaten überhäuft haben, stellt sich uns jetzt offen als Feind entgegen! Ich werde mit ihm reden, werde mir Rechnung von ihm vorlegen lassen und ihn dann verabschieden; geht er nicht gutwillig, so werde ich die Gerichte gegen ihn anrufen.«

»Ich fürchte, Mutter, daß Dir nur der letztere Weg bleiben wird; des Bösewichts offenes Auftreten gegen uns zeigt, daß er seiner Sache gewiß ist.«

Den Abend verbrachte Madame Dorst an ihrem Schreibtische. Sie schrieb an einen in New Orleans wohnenden ihr bekannten ausgezeichneten Advocaten, setzte ihm die Angelegenheit mit Warner auseinander und bat ihn dringend um seinen baldigen Rath, wie sie sich zu verhalten habe; ferner schrieb sie an einen in dem angrenzenden Staate wohnenden Herrn Bayley, mit dessen Familie sie schon seit Jahren befreundet war, klagte ihm gleichfalls das Mißgeschick, welches sie hier betroffen und sagte ihm, daß sie ihn im Nothfalle um Hülfe anrufen würde. Ellen, die treue Dienerin, wurde darauf mit den Briefen zu Dankward geschickt und dieser um schleunigste Beförderung derselben gebeten.

Nachdem die beiden Damen das Abendbrod inMadame Dorsts Zimmer eingenommen hatten, saßen sie schweren

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Herzens zusammen im Sopha und hatten sich eine Zeit lang schweigend ihren trüben Betrachtungen überlassen.

Die veredelnde Macht des Unglücks hatte Madame Dorst abermals gewaltig erfaßt und erstickte nun vollends die ungezügelte Leidenschaft, mit der die Frau ihrem Mißgeschicke früher entgegenzutreten pflegte; mit Duldung und Ergebenheit empfing sie diesen neuen Schlag und beugte sich in Demuth vor dem Lenker ihres Geschicks.

»Wir sind schwer vom Unglück verfolgt, Doralice,« sagte sie nach einer langen Pause, »wir befinden uns gänzlich in der Gewalt dieses abscheulichen Mannes und wenn er will, so kann er uns das Leben hier so verbittern, daß es uns unerträglich wird, hier wohnen zu bleiben; er treibt uns noch von unserm Eigenthum, von unsrer Heimath fort.«

»Und das ist hart, Mutter; kann das nicht den Heimathslosen zur Verzweiflung bringen, kann es nicht den besten, den gottesfürchtigsten zum Mörder machen?« erwiederte Doralice mit einer ernsten Betonung.

»Doralice!« sagte Madame Dorst ergriffen und preßte ihre Hand gegen ihre Brust, als ob sie dort

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einen Schmerz niederdrücken wollte, doch blickte sie nicht nach ihrer Tochter hin.

»Wir haben aber keinen alten Freund in unserer Nähe,« fuhr diese fort, »der Alles, was ihm theuer ist, aufs Spiel setzt, um uns vor diesem habsüchtigen gewissenlosen Menschen zu retten, den das Gesetz in seinem Unrechte beschützen wird.«

»Doralice, ich bitte Dich!« sagte Madame Dorst heftig bewegt und ergriff mit abgewandtem Gesichte ihre Hand.

»Und doch, Mutter, giebt es noch einen Freund, der sein Leben für uns lassen würde, um uns gegen unsere Feinde zu schützen, wie er seine älteren Freunde gegen uns sogar zu vertheidigen suchte,« rief Doralice, warf sich ihrer Mutter zu Füßen, ergriff ihre Hände und sah mit thränenvollen Augen flehend zu ihr auf.

»Keinen Vorwurf, meine Doralice,« sagte Madame Dorst, mild und bittend, »es bricht mir das Herz! Du weißt es, ich habe Alles aufgeboten, um Deinen Vater von dem unglückseligen Landerwerb abzubringen, habe Alles versucht, um den Swartons ihr Eigenthum zu erhalten; gegen sie habe ich nie gehandelt nur gegen den Mörder meines Gatten kehrte sich mein Zorn;

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Gott hat ihn gerichtet, er ist bei Palo Alto von einer mexicanischen Kugel getödtet, wie die Zeitung in New Orleans verkündet hat.«

»Ihn hat Dein Zorn nicht getroffen, wohl aber den Freund, der sich seiner und seiner unglücklichen, von uns verfolgten Familie annahm,« sagte Doralice schluchzend und setzte noch mit halblauter Stimme hinzu »und Deine Doralice.«

»Steh auf, mein einziges, mein theures Kind,« sagte Madame Dorst mit zitternder Stimme, zog Doralice an ihr Herz, schlang ihre Arme fest um sie und barg ihre Thränen an ihrer Brnst.

Es war seit langer Zeit der erste glückliche Augenblick der schwer geprüften Frau, ihr natürlich gutes Herz hatte sich aufgethan und Reue und Vergebung war in ihm eingezogen.

»Ich muß Vieles gut machen, ehe es mir gut gehen kann, Doralice, ich will es aber thun, wenn der Himmel mir die Möglichkeit dazu verleihen will; das gelobe ich bei dem Allmächtigen, dessen Gnade uns zu Hülfe kommen möge.«

»Mutter, gute, beste Mutter,« stammelte Doralice und hielt weinend ihren Nacken umschlungen.

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Am folgenden Morgen ließ Madame Dorst ihren Vetter Warner zu sich in den Salon entbieten. Es verging über eine halbe Stunde, ehe er der Aufforderung Folge leistete, dann trat er mit dem Hut auf dem Kopfe mit den Worten in das Zimmer:

»Und was wäre gefällig?«

»Herr Warner, ich ersuche Sie, mir über Ihre Verwaltung meines Eigenthums während meiner Abwesenheit Rechnung vorzulegen, damit ich dieselbe prüfen und über mein Einkommen bis zu dieser Zeit verfügen kann. Haben Sie die eingegangenen Gelder in einer Bank niedergelegt?« sagte Madame Dorst mit ruhigem ernsten Tone.

»Madame, in der Bestimmung des Herrn Dorst, wodurch er mich zum Verwalter seines Vermögens ernannt hat, steht Nichts davon, daß ich verpflichtet wäre Ihnen Rechnung abzulegen, es steht nur darin geschrieben, daß ich es für Sie verwalten soll und das werde ich thun und werde auch das Einkommen verwalten, was nicht zu Ihrem Unterhalt nothwendig ist. Haben Sie sonst noch Etwas, womit ich Ihnen dienen kann? Ich bin gerade sehr beschäftigt,« antwortete Warner, indem er mit halber Verbeugung der Thür zuschritt.

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»Ehrloser, ich werde Dich durch das Gesetz zwingen, mir Rechnung abzulegen« sagte Madame Dorst, empört über die unerhörte Behandlung, die ihr widerfuhr.

»Thun Sie, was Ihnen gut dünkt,« sagte Warner und verschwand dabei aus dem Saale, auch Madame Dorst stand im Begriff das Zimmer zu verlassen, als Doralice zu ihr hereintrat.

»Der Nichtswürdige weigert sich, Rechnung abzulegen, und auch von den eingenommenen Geldern will er nur das herausgeben, was zu unserm Unterhalt nothwendig wäre; er will mich also ernähren, will mir einen Gnadensold zahlen! Dieser Verruchte, der arm und ohne Aussicht für seine Zukunft hierherkam, dem wir Land schenkten, eine Heimath bauten, ihn mit Vieh, Pferden und mit Arbeitskräften versorgten, ihn mit Wohlthaten überhäuften; dieser Bösewicht will uns unser rechtmäßiges Eigenthum rauben! Mit kriechender Ergebenheit, mit heuchlerischen Versicherungen seines ewigen Dankes, seiner Liebe und Anhänglichkeit hat er sich, wie eine giftige Schlange in unser Vertrauen, in unser Wohlwollen eingeschlichen, um die Gelegenheit zu benutzen sich zum Herrn und uns abhängig von sich zu

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machen!« sagte Madame Dorst in höchstem Entsetzen und tiefster Entrüstung.

»Hat ihm die Natur nicht zur Warnung für Andere den Stempel der Verruchtheit aufgedrückt - habe ich es nicht Tausendmal in seinem teuflischen Gesicht gelesen, daß er sich uns kriechend nahe, um uns zu verderben - habe ich nicht stets in seinen süßen gleißnerischen Worten die überlegende Verworfenheit, die Gemeinheit erkannt? Und nun, Mutter, ihm gegenüber blicke auf Farnwald. Ohne Unterthänigkeit, ohne Schmeichelei, ohne gezwungenes Lächeln, ohne berechnete liebliche Worte, das Bild der Offenheit, Unabhängigkeit und Biederkeit, blieb er stets gegen uns, so wie gegen Andere derselbe hülfreiche, treue Freund, dem kein Opfer zu groß war, seiner Freunde Wohl zu fördern, zu vertheidigen. Nie würde Warner, dieser Elende, es gewagt haben, uns feindlich entgegenzutreten, hätte Farnwalds eiserner Schutz uns zur Seite gestanden. Bei diesen Worten hatte Doralice die Hand ihrer Mutter ergriffen und sah ihr mit hoffnungstrahlendem Blick bittend in die Augen.

»Du hast die Wahrheit gesagt, Doralice,« antwortete diese, »ich habe ihm großes Unrecht zugefügt, der Himmel vergönne mir, daß ich es wieder gut machen kann!«

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Nach wenigen Tagen eines unerträglichen Aufenthalts verließ Madame Dorst mit Doralice und Ellen ihre Besitzung und begab sich zu der Familie Bayley, um dort zu verweilen, bis das Gericht zwischen ihr und Warner entschieden haben würde.

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Capitel 32.

Rückmarsch. - Die neue Stadt. - Freudiges Zusammentreffen. - Die Wasserhexe. - Die Versengten. - Das Wiedersehen. - Sklavenfest. - Heimritt. - Der alte Bekannte. - Auskunft. - Die Heimath. - Neue Hoffnung.


Die Vertreter der nordischen Vegetation, die Eichen, Aspen, Ahorne, Platanen, Eschen und viele andere Baumarten, welche durch die immergrünen Wälder der nördlichen Gestade des Golfs von Mexico vertheilt sind, waren immer noch des frischen Grüns beraubt und des Winters belebender Hauch lockte aus dem, von der Sonnengluth des Sommers verdörrten, Grase dessen saftig grüne Halme und eine tausendfache bunte Blumenflor herauf, als Farnwald auf seinem Heimmarsche mit mehreren seiner Kameraden die Stadt an der Mündung des Stromes erreichte, der ihn wieder seiner Heimath zuführen sollte. Hier wollten sie sich und ihren Pferden einige Tage Ruhe gönnen, denn alle Krankheit, die die Küste des schönen Golfs im Sommer regelmäßig heimsucht, war jetzt von dieser alten Stadt

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verschwunden und nur die Vorzüge, die Reize des Südens herrschten in ihren Mauern und in ihrer Umgebung.

Farnwald hatte von Monterey aus seinem Freunde Renard die Anzeige von seiner beabsichtigten Rückkehr gemacht und ihm die Zeit seiner wahrscheinlichen Ankunft bei ihm gemeldet. Auf seiner Reise hierher war er in der Nähe des mexicanischen Landsitzes der Wittwe Dorst abgestiegen und hatte Erkundigung über dessen dermalige Bewohner eingezogen; er hatte aber erfahren, daß jetzt das Herrngebäude nur von der Frau des major domo und einigen Dienern bewohnt sei, da die Herrschaft dasselbe verlassen und auch der Verwalter schon seit einiger Zeit von da abwesend wäre.

Mit schwerem Herzen hatte er im Vorüberreiten die Mauern begrüßt, die das Glück seines Lebens beherbergt, hatte wehmüthigen Abschied von den Bergen, dem reizenden Thale und dem Sturzbach genommen, auf denen Doralices Augen bei liebevollem Andenken an ihn geruht und hatte bald darauf der Gebirgsgegend Mexicos Lebewohl gesagt, um die flachen Gestade des schönen Golfs wieder zu sehen.

Zu seiner Verwunderung war an der andern Seite des Flusses, der alten Stadt gegenüber, während seiner Abwesenheit ein bedeutender Handelsplatz erstanden, in

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welchem er, trotzdem, daß es schon spät am Abend war, noch reges Leben bemerkte. Er hatte mit seinem Pferde Quartier bezogen und wanderte nach dem Flusse hin, um sich in der kühlen Abendluft zu ergehen, als immer noch von der neuen Stadt herüber der Lärm des Geschäftslebens ertönte.

Farnwalds Neugierde zog ihn hinüber, um sich den wie durch einen Zauberschlag, geschaffenen Platz in Augenschein zu nehmen, wo bei seinem letzten Hiersein noch keine Hütte stand; er trat in ein kleines Fährboot, welches die Verbindung zwischen beiden Ufern unterhielt und von einem sonngebräunten, mit Ziegenfellen und breitrandigem, zerrissenen Filz bekleideten Mexicaner geführt wurde und hatte kurze Zeit darauf die jenseitige Bank erreicht. Das hohe Ufer war schnell erstiegen, und mit Erstaunen blickte er auf den friedlichen geschäftlichen Verkehr, der hier zwischen Mexicanern und Amerikanern betrieben wurde, während diese beiden Nationen sich doch augenblicklich im Kriege befanden. Auf mehreren Dampfschiffen war man, trotz der einbrechenden Nacht, noch emsig mit Ausladen beschäftigt; Kisten, Ballen und Fässer wurden den von Brettern errichteten Lagerhäusern zugefahren, von dort eben solche Verpackungen von den Mexicanern auf Maulthieren in langen Zügen am Ufer hinaufgeführt,

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um weiter oberhalb über den Fluß gesetzt und nach Mexico hineingeschmuggelt zu werden, und vor den imvrovisirten Geschäftslokalen[Geschäftslocalen] drängte sich das bunte Gemisch beider Nationen in Eile durcheinander hin und schloß bedeutende Geschäfte gegen Mexicanisches Gold ab.

Farnwald hatte, dem emsigen Treiben mit Erstaunen folgend, das noch nicht fertig aufgebaute große Gasthaus erreicht, um dort einige Zeitungen einzusehen, als Renard aus dessen Eingang hervorsprang, ihn jubelnd begrüßte und an seine Brust drückte. Beider Freude war groß und keiner von Beiden gab dem Andern Zeit, die an ihn gerichteten Fragen zu beantworten, jeder bestürmte den andern immer wieder mit neuen, bis sie den Schenktisch in dem Gasthause erreicht, ein Glas guten alten Sherry zusammen getrunken und eine Cigarre angezündet hatten, worauf ihre Unterhaltung einen mehr geregelten und ruhigeren Gang annahm.

»Nun, vor allen Dingen, Farnwald, eine günstige Nachricht: Doralice ist mit ihrer Mutter auf ihre Plantage zurückgekehrt,« sagte Renard, »und wie ich höre, sollen bedeutende Differenzen zwischen der Wittwe und ihrem Vetter Warner eingetreten sein, der, auf die Vollmacht fußend, die Dorst gerichtlich für ihn hinterlassen hat, den Herrn spielt und die alleinige Verwaltung des

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ganzen ungeheuern Vermögens beansprucht. In der That hat er sie auch an sich gerissen, so daß die beiden Frauenzimmer von ihm, wie von einem Vormunde behandelt werden. Es sollen kürzlich ernstliche Auftritte zwischen ihnen vorgekommen sein, die Madame Dorst veranlaßt haben, sich um Schutz an die Gerichte gegen ihn zu wenden.«

»Daß sie mit Doralice ihren Landsitz in Mexico verlassen hatte, war mir bekannt, ich wußte aber nicht, wohin sie sich begeben. Von Warner habe ich nichts Anderes erwartet, er ist ein großer Schurke; Doralice und ihre Mutter stehen nun ganz verlassen in der Welt, und ihr treuester Freund darf ihnen nicht helfen.«

»Kommt Zeit, kommt Rath, Farnwald, es kann sich noch Alles anders gestalten; ich werde Gelegenheit suchen, mich der Wittwe zu nähern, das gute Vernehmen mit ihren Nachbarn kann ihr bei dem Proceß gegen Warner von größter Wichtigkeit werden und dann will ich sehen, was ich über sie vermag. Geben Sie die Hoffnung nicht auf.«

»Es ist mir wenig Hoffnung vorhanden; der Charakter der Frau ist Ihnen unbekannt, ihr Haß kennt eben so wenig Greuzen, wie ihre Freundschaft; sie wird mir nie verzeihen,« erwiederte Farnwald und theilte dann Renard das Verhalten der beiden Damen, während

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seiner Anwesenheit auf ihrem Landsitze in Mexico mit.

Farnwald blieb zum Abendessen in dem Gasthause bei seinem Freunde, dann aber nahm er ihn mit sich nach dem Flusse hinunter, sie bestiegen dort einen Kahn, ließen sich an das andere Ufer hinübersetzen und wanderten Arm in Arm der alten Stadt zu, wo sie zusammen die Nacht verbrachten.

Am folgenden Morgen ließ Farnwald sein Gepäck über den Fluß schaffen, führte sein nacktes Roß nach demselben hinunter, bestieg mit Renard ein Boot und ließ das Pferd, den Zügel in der Hand, hinter dem Schiffe her durch den Strom schwimmen.

Nachdem er sich bei seinem Freunde in dem Gasthause einquartirt hatte, begaben sie sich nach den Geschäftslokalen[Geschäftslocalen], um sich wegen Schiffsgelegenheit den Fluß hinauf zu erkundigen. Dort wurde ihnen mitgetheilt, daß ein Dampfboot, die Wasserhexe genannt, am folgenden Morgen stromauf abfahren werde.

»Die Wasserhexe? um keinen Preis dürfen wir mit ihr gehen,« sagte Renard zu seinem Freunde »ihr Kapitain hat schon zwei Dampfschiffe in die Luft gesprengt und dieses hat er erst kürzlich neu aufputzen lassen, um es höher versichern zu können; er laßt es nun gewiß

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auch bald auffliegen. Um Gotteswillen nicht mit diesem Boote!«

»Es ist aber augenblicklich kein anderes hier, was bleibt uns übrig?« erwiederte Farnwald.

»Und wenn wir noch acht Tage hier liegen müßten, mit diesem Schiffe dürfen wir nicht reisen,« sagte Renard und schritt mit seinem Freunde zu einem andern Geschäftslokale[Geschäftslocale], wo man ihnen mittheilte, daß man stündlich einem andern Dampfer, dem Gladiator, entgegensehen könne, da dessen Ankunftszeit fällig sei.

»Gut, so warten wir auf ihn! ein besseres Boot fährt nicht auf dem Flusse und der Kapitain, ein netter, liebenswürdiger Mann, ist mir befreundet,« bemerkte Renard und Farnwald willigte, trotz der Sehnsucht, die ihn den Fluß hinaufzog, zu bleiben ein.

Noch saßen die beiden Freunde am folgenden Morgen beim Frühstücktisch, als die Abfahrtsglocke der Wasserhexe zum Erstenmale ertönte.

»Lassen Sie uns hinunter gehen und sehen, ob sich viele Passagiere an Bord dieses miserabeln Bootes befinden? Ich gebe für das Leben derselben keinen Cent,« sagte Renard und ging mit Farnwald nach dem Ufer, wo das Schiff lag.

Noch immer wurden Gütermassen auf das Deck gerollt, als die Glocke zum Zweitenmale erklang und der Rauch schon in dichten Wolken aus den schwarzen Schornsteinen hervorwirbelte. Die geschäftige und neugierige Menge drängte sich auf das Schiff und von ihm ab auf das Land, auch sah man Viele mit Reisetaschen und Mantelsäcken nach der Kajüte eilen, in denen man die Passagiere erkannte, welche sich dem zerbrechlichen alten Gebäude anvertrauen wollten.

»Ist das nicht Warner?« flüsterte Farnwald plötzlich seinem Freunde zu, indem er ihn beim Arm ergriff und mit der Hand nach einem Manne zeigte, der bei ihnen vorübergegangen und jetzt am Ufer hinunter dem Verdeck zueilte.

»Niemand Anders,« erwiederte Renard; »es ist mir nun doppelt lieb, daß wir nicht mitfahren, denn seine Gesellschaft hätte uns die Reise verbittert.

Warner war es wirklich gewesen, er trat gleich darauf wieder aus der Kajüte hervor, nahm einem Neger seinen Koffer ab und verschwand mit demselben abermals in dem Eingange.

Die Glocke ertönte zum Drittenmale, die Leute, welche die Fahrt nicht mitmachen wollten, sprangen rasch an das Ufer, die Bohlen, die als Stege dienten, wurden eingezogen und das Schiff wendete sich schnaubend gegen den Strom.

»Glückliche Reise!« sagte Renard, indem er Farnwalds Arm ergriff und nach dem Gasthause zurückschritt, »der vielen Menschen wegen, die an Bord sind, will ich wünschen, daß der Kapitain das Schiff diesmal noch nicht der Assecuranz überliefern wird, doch, daß es bald geschieht, davon bin ich überzeugt.«

Noch am selbigen Abende traf das schöne elegante Dampfboot, der Gladiator, ein und schon am folgenden Morgen befanden sich die beiden Freunde auf ihm unterwegs den Fluß hinauf. Die Reise ging gegen die heftige Strömung nur langsam von Statten, und da der Wind mit dem Schiffe wehte, so konnte er der großen Hitze, die auf demselben herrschte, nur wenig Abbruch thun. Gegen Mittag war kaum noch Bewegung in der Luft zu bemerken und die Sonnenstrahlen fielen sengend von dem wolkenlosen Himmel auf die Erde nieder.

Nach Tisch saßen die beiden Freunde im Schatten des Sturmdaches auf der vordern Gallerie und waren in ihr Gespräch versunken, als das Schiff einen Landungsplatz von etwa zehn hölzernen Häusern erreichte und Renard mit den Worten aufsprang:

»Dort steht der Spediteur, dem ich meine Baumwolle zur Beförderung nach New Orleans übermacht

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habe. Ich will ihn doch einen Augenblick sprechen. Wollen Sie mit an das Land gehen?«

»Ich bleibe lieber hier; die Sonne brennt zu stark,« antwortete Farnwald, worauf sein Begleiter an das Ufer sprang, wo vor dem nahen Trinkhause zwischen vielen andern Männern auch der Spediteur stand, und den Heraneilenden freudig begrüßte. Dieselben hatten sich nur kurze Zeit unterhalten, als Renard plötzlich laut ausrief:

»Sehen Sie dorthin, Farnwald, nach der andern Seite des Flusses; erkennen Sie das Gerippe des Schiffes, welches dort aus dem Wasser hervorsieht? Es ist die Wasserhexe, die gestern Abend dort aufgeflogen ist. Zwei und zwanzig Personen liegen in jenem Hause so schwer verwundet, daß ihrer wenige mit dem Leben davon kommen werden. Die Zahl derer, die im Wasser versunken sind, ist nicht bekannt. Der Kapitain und der Steuermann sind unverletzt an das Land geschwommen und haben sich wahrscheinlich schon vor der Explosion ins Wasser geworfen!«

Farnwald eilte nun gleichfalls an das Land und begab sich mit Renard und dem Spediteur nach dem Bretterschoppen hin, wo die Verwundeten lagen.

Sie waren durch die glühenden Dämpfe, die aus dem geplatzten Kessel über das Schiff hingestrichen,

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förmlich gebrüht und ihre hautlosen zerfleischten Körper boten ein Bild des Entsetzens. Der Arzt, nach welchem man geschickt hatte, war noch nicht angekommen, weshalb Farnwald die Männer, welche die Pflege der Unglücklichen übernommen hatten, anwies, auf welche Weise sie Kalkwasser bereiten und mit demselben und Leinöl ein Liniment herstellen möchten, um damit die Brandflecken zu bedecken. Er untersuchte die Verwundeten alle und trat zu dem letzten, an dessen rothem Haar er Warner erkannte.

Derselbe war am schwersten verletzt, er war gänzlich aller Bewegung beraubt und konnte nur durch seine Blicke, seinen verzerrten Mund den Grad seiner Schmerzen ausdrücken. Er sah Farnwald an, schloß aber sofort seine Augen und gab auf dessen Fragen auch nicht durch ein Zeichen eine Antwort.

Die Glocke des Dampfschiffs rief die Passagiere an Bord und nach wenigen Minuten hatten sie den Schreckensplatz verlassen. Später erfuhr man, daß dem Kapitain die hohe Versicherungssumme des Schiffs von der Assecuranz-Compagnie ausgezahlt sei und derselbe sich ein neues Dampfboot habe bauen lassen.

Die Ufer wurden höher und felsiger, die Wogen enger zwischen sie zusammengedrängt und die Strömung nahm an Heftigkeit zu, wodurch die Schnelligkeit des

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Schiffes verringert wurde, während Farnwalds Sehnsucht mit jeder Stunde wuchs und die Schläge seines Herzens, je näher er der Geliebten kam, ungleicher und fieberhafter wurden.

Endlich am vierten Abend legte der Dampfer an dem letzten Landungsplatze an, wo die beiden Freunde sich abermals bequemen mußten, in dem zum Wirthshause umgewandelten alten Dampfschiffe Quartier zu beziehen, da sie weder für Geld, noch für gute Worte ein Pferd bekommen konnten, um Renard nach Hause zu tragen. Farnwald bat ihn, auf seinem Rosse dorthin zu eilen, er selbst wolle die Nacht hier zubringen, doch Renard weigerte sich, ihn zu verlassen, sandte aber noch in der Nacht einen Boten nach seiner Plantage, um ein Reitthier für ihn herbeizuschaffen.

Der Morgen kam und der Gedanke an das nahe Wiedersehen seiner drei Lieblinge ließ für den Augenblick die Sehnsucht nach der Geliebten in Farnwalds Brust zurücktreten, Sie hatten ältere, theuer erkaufte Rechte an sein Herz.

Endlich erschien in der Ferne auf der rohen staubigen Straße, die aus dem hohen Walde hervorkam und nach der Farnwalds ungeduldige Blicke gerichtet waren, vor einer Staubwolke ein Reiter, er kam näher und näher, Farnwald warf seinem Schimmel Sattel und Zeug auf,

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Renard erkannte unter dem Heraneilenden sein Pferd und wenige Minuten später waren beide Freunde zu Roß und ließen ihren Thieren die Zügel schießen, um ihrer Ungeduld, ihrer Sehnsucht so wenig Zwang anzuthun als möglich. Fort stoben sie im scharfen Paß, Meile auf Meile blieb zurück, der Schaum der beiden Thiere bezeichnete ihre Spur, doch die Reiter dachten ihrer nicht, die Sporen, die Peitsche hielten sie unerbittlich in fliegendem Gange, bis sie das Ufer des Flusses wieder erreicht hatten, auf dem die breite ebene Straße sich hinzog und Renards Wohnung aus dem tiefen Schatten der Riesenbäume, die sie überdachte, einladend und Willkommen bietend hervorsah.

Renard hielt sein müdes Pferd an, um ihm auf der halben Meile, die noch vor ihm lag, Zeit zum Verschnaufen zu geben, doch Farnwald bemerkte gar nicht, daß sein Freund zurückblieb. Die Sporen fester gegen die Flanken des Rosses gedrückt, hielt er seine Blicke auf die Einzäunung vor dem Wohngebäude geheftet, dem er jetzt mit stürmischer Eile nahte, im Thore standen der alte Hengst, der Hund und die Quadrone; den lauten, gellenden, wohlbekannten Jagdschrei ließ Farnwald ertönen und ihm entgegen flogen die Lieben, die Getreuen.

Der Hengst war der erste, der seinen Herrn erreichte

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und dieser hatte sich ihm schon um den blanken glänzenden Hals geworfen, als Joe die Luft mit seinem Freudengeheul erfüllte und in langen Bogensätzen herangeflogen kam. Auch um ihn schlang Farnwald seine Arme, das alte Thier war außer sich und sprang wieder und wieder heulend an seinem Herrn in die Höhe, als Milly diesem mit ausgestreckten Händen entgegenstürzte und schreiend, lachend und weinend in seine Arme fiel.

Beide hatten keine Worte, wohl aber milde Thränen der Freude; es war ein glückliches Wiedersehen zwischen einem dankbaren Herrn und der treuesten Sklavin.

Joes Freude fand kein Ende, er sprang bellend und jubelnd um seinen Herrn und auch der alte Hengst, als versetze er sich in seine Jugendzeit, in der er mit dem Hunde um das Lagerfeuer seines Herrn gespielt, fing laut an zu wiehern, bäumte sich, schlug hinten aus und sprang in weiten Sätzen um seinen Kameraden, den alten Hund.

Farnwald hatte, mit Milly am Arm, die sich erschöpft und von der Aufregung überwältigt von ihm führen lassen mußte, das Thor der Einzäunung erreicht, als Madame Renard und Anäis ihm jauchzend entgegenkamen und ihn mit überströmender Freude und Herzlichkeit willkommen hießen. Auch Renard kam jetzt

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heran und vereinigte seine Herzensergüsse mit denen der Seinigen, es war lange so viel Freude nicht in seinem Hause rege gewesen.

Die Neger wurden aus dem Felde geholt, es wurde ihnen außergewöhnliche Speise und Trank verabreicht, sie schmückten sich in ihrem Feststaat und, als der Abend kam, klangen die lauten Töne einer Violine lustig zu ihrem Tanze, den sie hinter dem Herrenhause auf dem Rasen aufführten.

Dabei saßen Renards und Farnwald unter der Veranda hinter dem Gebäude und freuten sich mit den Fröhlichen; Milly hatte sich hinter den Stuhl ihres Herrn auf einem Bänkchen niedergelassen, Joe lag zu seinen Füßen mit dem Kopfe auf denselben, der Hengst stand vor der Veranda und blickte bald verwundert nach den vom Fackelschein beleuchteten lustigen Negern, bald streckte er den Kopf über das Geländer nach seinem Herrn hin und die Damen waren nahe zu Farnwald gerückt und lauschten seinen Erzählungen über die Begebenheiten aus seinem Kriegsleben.

Lange schon hatte sich die Herrschaft und ihr Gast in die Schlafzimmer begeben, als die Sklaven noch immer scherzend und jubelnd nach den Klängen der Violine umhersprangen, denn der herannahende Tag war ein Sonntag, an dem sie sich ungestört ausruhen konnten.

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Auch für Farnwald war derselbe ein wahrer Tag der Ruhe, die er nach einem so sehr bewegten Leben gern willkommen hieß. Auch Montag verbrachte er noch still mit seinen Freunden, doch am folgenden Tage schon hielt ihn Nichts mehr zurück, es zog ihn gewaltsam fort in die Nähe der Einziggeliebten.

Laut wiehernd kam der alte Hengst auf ihn zugetrabt, als er mit Sattel und Zaum zu der Einzäunung schritt, in welcher derselbe frei herumging, Farnwald legte dem Lieblinge das Reitzeug auf, nahm Abschied von den Freunden und von der Quadrone, die er nebst dem canadischen Schimmel vorläufig noch hier verweilen lassen wollte und eilte, von Joe begleitet, auf dem Wege am Flusse dahin.

Die Sonne stand in Mittag, als vor Farnwald die wohlbekannten Baumgruppen, welche die Wohnung Doralices umgaben, sichtbar wurden und er die Eile seines Pferdes mehr und mehr mäßigte, je näher er dem ersehnten Orte kam. Bald befand er sich vor der Einzäunung, die den Landsitz an der Straße begrenzte, seine Blicke spähten unter den hohen Bäumen hinweg nach dem Wohngebäude, ein unwiderstehliches Verlangen zog ihn nach dem Einfahrtsthore, durch welches er so oft im Uebermaße seines Glückes gegangen, er hatte es erreicht, sein Pferd blieb stehen und doch konnte, doch

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durfte er sich nicht entschließen, dasselbe zu öffnen. Er wußte ja nur zu wohl, wie wenig Hoffnung es für ihn gab, den Groll von Doralices Mutter gegen ihn zu beseitigen und daß jeder Versuch vergebens sein würde, mit ihr oder der Tochter eine Unterredung zu haben. Wie an das Thor festgebannt, hielt er da und blickte unverwandt nach dem Hause hinüber, aber kein lebendes Wesen ließ sich dort sehen.

Da fiel ihm der Postmeister jenseits der Brücke ein, jedenfalls konnte er Dies oder Jenes von ihm über Doralice erfahren, vielleicht hatte derselbe sie gesehen, vielleicht sogar gesprochen, außerdem konnte er ihr von dort aus schreiben und möglicherweise eine Antwort von ihr erhalten. Schnell wandte er sein Pferd und befand sich wenige Minuten später vor dem Blockhause des ehrlichen freundlichen Dankward.

Derselbe trat in die Thür und begrüßte ihn auf das Allerherzlichste.

»Willkommen, Kapitain Farnwald,« sagte er mit einem Ausdrucke inniger Freude, »steigen Sie ab und kommen Sie herein. Sie müssen mir etwas von Mexico erzählen. Ich erfuhr schon vor einigen Tagen durch Freiwillige, die auch zurückgekehrt sind, daß Sie kommen würden und es freut mich recht sehr, Sie wohlbehalten wiederzusehen. Führen Sie Ihr Pferd dort

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in den Schatten unter die Bäume und kommen Sie herein; auch meiner Frau wird Ihre Rückkehr Vergnügen machen.«

Farnwald folgte gern der Einladung, befestigte den Hengst auf dem angewiesenen Platze, ließ Joe sich bei demselben niederlegen und begab sich in das Haus, wo er nun auch von Madame Dankward, die mit einem Körbchen voll Lattich durch die Hinterthür eintrat, bewillkommnet wurde.

»So, nun setzen Sie sich und erzählen Sie Etwas, meine Frau macht unterdessen das Mittagsessen fertig. Haben Sie denn auch von dem Mexicanischen Golde Etwas mitgebracht? Wie man hört, so soll dort kein Mangel daran sein, und das Lumpenvolk, die Mexicaner, sind soviel des Guten doch eigentlich nicht werth. Erzählen Sie Herr Farnwald,« sagte der Alte.

»Mitgebracht habe ich kein Gold, wohl aber das meinige dort gelassen. Mexico ist für uns Soldaten ein theures Pflaster gewesen,« antwortete Farnwald, indem er sich neben der Thür niedersetzte; »sind vielleicht Briefe für mich hier angekommen, lieber Herr Dankward?«

»Keiner angekommen. - Wie war es denn bei der Einnahme von Monterey - wurde denn da nicht ein wenig geplündert? - ich sollte denken, das müßte

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doch dem Soldaten erlaubt sein und da muß es Gold genug gegeben haben.«

»Das war auf das Strengste untersagt. Wie ich höre, ist Madame Dorst mit ihrer Tochter auch wieder auf ihren Platz an der andern Seite der Brücke zurückgekehrt; haben Sie die Damen kürzlich gesehen?« fragte Farnwald ungeduldig.

»Zurückgekehrt? Ja, doch auch schon wieder abgereist. Sie hatten sich mit dem rothhaarigen Vetter entzweit, das heißt, sie hatten ausgefunden, daß er ein Schurke war, wie ich es schon lange gewußt habe und daß er sie geradezu bestahl. Da ist denn Madame Dorst mit ihrer schönen Tochter wieder abgereist, weil sie mit Warner nicht zusammenwohnen wollte. Sie wird jetzt gegen ihn klagen.«

»Wohin ist sie denn gegangen - wissen Sie ihren jetzigen Aufenthaltsort? «

»Der ist mir nicht bekannt, doch weiß ich, daß sie nicht früher zurückkehren will, bis das Gesetz den Herrn Vetter aus dem Hause geschafft hat und da kann sie noch lange warten; denn er ist durch das Testament des verstorbenen Dorst zum Verwalter seines Vermögens ernannt.« -

»Warner wird schwerlich das Haus dort wiedersehen; er ist wahrscheinlich jetzt schon todt.«

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»Todt? Das wäre gerechte Strafe, denn einen größeren Spitzbuben hat es nie gegeben und die Madame Dorst war mir eine hülfreiche, freundliche Nachbarin. Aber was ist denn mit ihm geschehen?«

»Er ist weiter unten auf dem Flusse mit einem Dampfschiffe in die Luft geflogen und lag verbrannt und sonst noch schwer verwundet in R***, als ich vorüberkam. Ich habe ihn gesehen und glaube nicht, daß er davon kommen kann,« antwortete Farnwald und beantwortete dann die vielen Fragen, die Dankward und dessen Frau in Bezug auf Mexico an ihn richteten; denn über Doralice konnte er ja nun weiter Nichts erfragen.

Er blieb zum Mittagsessen bei den freundlichen Leuten, schrieb noch einige Zeilen an Renard, worin er ihn von der Abreise seiner Doralice und ihrer Mutter benachrichtigte und ihn bat, ihren Aufenthalt zu erforschen. Dann empfahl er sich bei Dankwards und ritt davon, um noch heute L*** zu erreichen.

Seine Ankunft bei Fantroft wurde, obgleich es schon spät am Abend war, rasch in dem Städtchen bekannt, worauf sich bald Viele von dessen Bewohnern in dem Gasthause einfanden, um von Farnwald über Freunde und Verwandte, die in Mexico zurückgeblieben waren, zu hören. Ein zahlreicher Kreis von Zuhörern hatte

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sich um ihn versammelt und erst spät in der Nacht war es ihm möglich, sich von ihnen loszumachen und sein Nachtlager aufzusuchen.

Der andere Morgen brachte ihn zu den biedern Jeffersons, bei denen er leider als Trauerbote erschien, denn ihr ältester Sohn war in Matamoros ein Opfer des Fiebers geworden. Freilich war die Familie schon lange davon unterrichtet, dennoch riß Farnwalds Erscheinen die kaum verharschte Wunde wieder auf und die gewünschte genauere Mittheilung über des jungen Mannes Ende kostete den Eltern und Geschwistern abermals viele Thränen.

So dringend diese Freunde auch darauf bestanden, daß Farnwald den heutigen Tag bei ihnen zubringen möchte, so sehnte er sich doch zu sehr darnach, sein Eigenthum wiederzusehen, versprach einen baldigen längeren Besuch und setzte seine Reise mit möglichster Eile fort, um noch zeitig deren Ziel, seine eigene Behausung, zu erreichen.

Hoch schlug sein Herz bei dem Anblicke der Prairie, durch welche die letzten Meilen seines Weges führten und an die sich so unzählig viele Erinnerungen knüpften. Mit feuchten Augen sah er die hohen Bäume, die sein Haus überdachten und die ihm so oft als Wegweiser gedient hatten, an dem Saume der weiten Grasflur

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aufsteigen und mit einem Gemisch von Freude und Wehmuth öffnete er die Thür in der Stacketeneinzäunung und führte den Hengst seinem wohlbekannten frühern Aufenthaltsorte zu.

»Herr Farnwald, Herr Farnwald!« rief man jetzt von dem Garten her und Addisson flog ihm mit lautem Freudengeschrei entgegen, Paulmann, der alte Gärtner, warf, als er den Namen seines Dienstherrn hörte, den Spaten von sich und rannte, so schnell ihn seine Füße tragen wollten, zu ihm hin und die alte Negerin, Charity, eilte herbei, um ihn zu bewillkommnen.

Georg Blanchard, seit Kurzem mit Virginia Swarton verheirathet, war heute mit ihr zu ihren Eltern geritten, die, durch Warner von ihrem Eigenthum vertrieben, die kleine Farm der Wittwe Jerson käuflich an sich gebracht hatten, um dort nur für den Augenblick ein Unterkommen zu finden, während auf ihrer alten Besitzung jetzt ein Verwalter wohnte, den Warner durch das Gericht dort hatte einsetzen lassen.

Farnwald hatte nun Alles wieder, von dem ihm der Abschied so schwer geworden war, die Zeit der Verpachtung seines Landes war abgelaufen, die Ernte, welche in diesem Jahre darauf erzeugt, war eingebracht und es stand Nichts im Wege, daß er selbst nun wieder die Bewirthschaftung der Farm übernehme. Dennoch

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fühlte er sich ein Fremder, ein Heimathsloser auf seiner eigenen Besitzung, sein Herz war nicht mehr hier, seine Zuneigung, seine Anhänglichkeit, seine Liebe zog ihn nach einer unerreichbaren Ferne, alle seine Wünsche vereinigten sich in Doralice, die doch für ihn verloren schien.

Er hatte sich in den Garten auf seinen Lieblingsplatz gesetzt, ließ seine Blicke über die Blüthenmassen der wundervollen Rosen wandern und sah eben den Pfauen nach, wie sie in ihr luftiges Ruhebett, in die Spitzen der Riesenbäume am Flusse hinauf schossen, als Georg mit seiner jungen Frau angeritten kam und Farnwald sie an der Einzäunung überraschte.

Die Freude des Wiedersehens war groß, doch mit ihr erschien auch die Erinnerung an Robert und weckte von Neuem den Schmerz, der kaum in dem Herzen seiner Schwester und seiner beiden Freunde durch die heilende Zeit gelindert war.

Farnwald wurde nun ein Zimmer eingeräumt und Georg, so wie auch Virginia gereichte es zur größten Freude, den Herzensfreund, wenn auch in seinem eignen Hause, bewirthen zu können. Virginia bot Alles auf, um sich als tüchtige und liebenswürdige Hausfrau zu zeigen, sorgte für ein vortreffliches Abendessen und

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bewirthete ihren Gast mit einem köstlichen Fruchtcrême. Dann setzten sie sich traulich zusammen unter die Veranda und tauschten die gegenseitigen Erlebnisse während der Zeit ihrer Trennung aus, die allerdings mehr zu ernsten, als fröhlichen Betrachtungen führten.

»Unser braver Freund Kiwakia ist auch von Zeit zu Zeit hier gewesen und hat sich angelegentlich nach Ihnen erkundigt,« sagte Georg im Laufe des Gesprächs, »wie es mir schien, so sehnte er sich sehr nach Ihrer Rückkehr. Ich habe ihn niemals ohne reichliche Geschenke entlassen, denn solche Freundschaft und aufopfernde Treue, wie die seinige gegen uns, findet man in der That bei weißen Menschen nicht. Wenn ich nur wüßte, wie ich ihm einmal einen wirklich wesentlichen Dienst erzeigen könnte; aber was uns außerordentlich werthvoll ist, können diese Wilden kaum gebrauchen; ihre Bedürfnisse sind zu wenige und zu einfache.«

»Auch ich fühle mich noch tief in seiner Schuld; sobald er wiederkommt, werde ich ihn mit mir nach dem Städtchen nehmen und ihn dort in den Laden des Kaufmann Harris führen, damit er sich selbst aussuche, was ihm Freude macht. Ich hatte, ehe ich von hier zog, eine große Hoffnung auf ihn gebaut, doch meine schönsten Luftschlösser fallen stets zusammen. Kam er denn immer allein?« antwortete Farnwald nachdenkend.

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»Ganz allein; aber, wie gesagt, es schien ihm sehr viel daran gelegen, Sie zu sehen, denn er schüttelte jedesmal unzufrieden den Kopf und sagte: >Noch nicht zurück? sollte bald kommen; Kiwakia guter Freund,< und dann war er immer bald wieder verschwunden.«

»Hat er nie gesagt, wo sein Stamm sich augenblicklich aufhält?« fragte Farnwald mit mehr Aufmerksamkeit.

»Niemals, er fragte nur nach Ihnen und dann ritt er wieder fort.«

»Wann war er denn zum letzten Male hier?« fragte Farnwald mit gesteigertem Interesse.

»Das können wohl vier Wochen sein, überhaupt habe ich bemerkt, das er jedesmal kam, wenn der neue Mond sich zeigte,« erwiederte Georg.

»Wir haben in wenigen Tagen Neumond; möglich, daß er wiederkommt,« sagte Farnwald, indem er aufstand und nachdenkend unter der Veranda auf und niederschritt. Dann stand er plötzlich still und sagte:

»Es liegt mir unendlich viel daran, den Wilden zu sehen,« und wiederholte noch einmal halblaut: »unendlich viel!«

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Am folgenden Morgen begab sich Farnwald mit dem jungen Paare nach Georgs Mutter und von da mit ihr, Inez und John nach den alten Swartons, wo er überall mit der unbegrenztesten Freude und Herzinnigkeit empfangen wurde. Swartons hatten noch einige Blockhäuser zu ihrer größeren Bequemlichkeit weiter in den Wald hinein aufgebaut, hatten ein tüchtiges Stück Land daselbst zu Feld umgewandelt, damit sie im folgenden Jahre hinreichend Mais für sich und ihre Arbeitsthiere ernten könnten, und beabsichtigten sich unter der Hand ein passendes anderes, nicht zu weit entlegenes größeres, Stück Land auszuwählen, um sich darauf eine dauernde Heimath zu gründen.

Der Tod Roberts hatte die Familie tief erschüttert und ein jedes Wort der Unterhaltung, das die leiseste Erinnerung an ihn herbeiführte, brachte Thränen in die Augen der Eltern. Der Verlust ihrer Besitzung war schon beinahe verschmerzt, doch ihren Gram über den entrissenen Liebling hatte die Zeit noch nicht mildern können. Dennoch that es ihren Herzen wohl, von ihm zu reden, und sich dabei auszuweinen und Farnwald mußte viel von ihm erzählen.

Auch in dem Städtchen C***, wohin sich jener am folgenden Tage begab, erregte seine Rückkehr große

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Freude. Mit der innigsten Theilnahme drängten sich seine Freunde zu ihm, um ihn zu bewillkommnen und seine Mittheilungen über seine Erlebnisse zu hören. Bei der Mittagstafel in dem Gasthause konnte der ehrliche Wirth kaum genug Stühle anbringen, um die Gäste sämmtlich zu setzen, die Farnwald zu Liebe daran Theil nehmen wollten und nach Tische, statt wie gewöhnlich, mit dem letzten Bissen im Munde davon zu rennen, um keinen Augenblick der Geschäftszeit zu verlieren, blieben Alle noch um ihn versammelt, bis sein Pferd vorgeführt wurde und er, mit dem Versprechen, recht bald wieder zu kommen, sich auf den Heimweg begab.

Die Sichel des Mondes stand heute zum ersten Male wieder am Himmel und Farnwald blickte während seines Rittes oft mit einer hoffnungsvollen Ahnung nach ihr auf, denn sie erinnerte ihn an Kiwakias geheimnißvolles wiederholtes Erscheinen auf seiner Besitzung und hatte den Gedanken in ihm erzeugt, daß möglicherweise der Wilde Nachricht über das Schicksal des geraubten Sohnes der Wittwe Dorst bringen könne. Doch jedesmal, wenn dieser Gedanke in ihm aufstieg, wies er ihn mit einem Vorwurf gegen sich selbst über seine phantastischen Erwartungen von sich und rief sich Hunderte von ähnlichen getäuschten Hoffnungen aus

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seinem frühern Leben ins Gedächtniß zurück. Den Mond aber konnten seine Blicke demungeachtet nicht meiden, er schien ihn so freundlich, so klar und so beredt an, als wolle er ihm eine Freudenbotschaft anzeigen.

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Capitel 33.

Der wilde Freund. - Beglückende Kunde. - Erwartungsvolle Zeit. - Werthvolles Geschenk. - Heißes Verlangen. - Neugierde. - Der junge Indianer. - Nahe Entscheidung. - Das Erkennen. - Die beseligten Paare. - Freundschaft. - Dankbarkeit. - Zurückerstattung.


So erreichte Farnwald seine Wohnung und, kaum traute er seinen Augen: vor dem Hause stand ein Indianerpferd angebunden.

Es war wirklich das Pferd Kiwakias, denn die Thür in der Einzäunung öffnete sich, der Häuptling trat mit freudestrahlendem Blick aus ihr hervor und hielt Farnwald seine Hand entgegen.

Mit einem Sprunge war dieser vom Pferde herunter und ergriff die Hand des Wilden.

»Kiwakia, guter Freund!« sagte dieser zu ihm und drückte ihn an seine nackte Brust.

»Kiwakias Herz schlägt laut und ist voller Freuden, denn er bringt seinem Freunde mm das Geschenk, welches einzig und allein dessen Herz erfreuen konnte.«

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»Kiwakia! - ist es möglich - bringst Du mir Nachricht über den Knaben?« rief Farnwald in höchster glücklichster Ueberraschung und blickte in hoffnungsvoller Erwartung dem Wilden in die ehrlichen treuen Augen.

»Ich bringe Dir gute Nachricht von ihm und auch von dem weißen Maulthiere. - Beide wird Dir Kiwakia vor Dein Wigwam führen,« erwiederte der Indianer und sah mit Entzücken die freudige Bewegung, welche diese Nachricht in Farnwald hervorbrachte.

»Kiwakia, - treuer Freund, wie soll, wie kann ich es Dir jemals vergelten? - Du machst mich zum glücklichsten Menschen auf der Welt!« rief Farnwald in größter Bewegung und schloß den Wilden wieber und wieder in die Arme.

»Kiwakia ist glücklich, daß er Dir nun für Dein großes Geschenk Etwas zurückgeben kann, was ihm Deine Freundschaft so zuwenden wird, wie jenes Dir die seinige verschafft hat. Wir werden nun immer Freunde bleiben. Wann willst Du den Knaben und das weiße Maulthier vor Deinem Wigwam sehen?«

»Sobald es möglich ist - jeder Tag bis dahin ist mir kostbar. Eile, guter Kiwakia, Dein Geschenk ist mir mehr werth, als Alles, was ich besitze.«

»Kiwakias Zelt steht fern von hier, wo der rothe Strom klar und hell aus den Gebirgen springt und,

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der Sonne entgegen, in die großen Prairien fließt, weit von dem Wigwam Wallingos, dessen Schlaf zu fest war, um den leisen Fußtritt Kiwakias zu hören, dessen Auge die Fährte von Kiwakias schwarzem Maulthier nicht von dem Huftritt des weißgeborenen unterscheiden konnte und dessen besten Spürer Kiwakia zum Narren gemacht hat. Doch Kiwakias Pferd mit geschlitzten Ohren (Comantsche Pferd) ist das flüchtigste in der Heerde und, ehe der Mond zur Kugel wird, soll Farnwald sein eigen nennen, was ihm lieber ist, als Alles, was er besitzt.«

»Wallingo, sagst Du, war er es, der den Knaben raubte?«

»Er war es, der Fernando von dessen Mutter nahm und den der Rücken ihres weißen Maulthiers getragen hat; Kiwakias Freundschaft für Farnwald war stärker, als die für seine Vettern, die Lepans.«

»Und meine Dankbarkeit gegen Dich, Kiwakia, wird nur mit meinem Leben erlöschen. Komm herein und ruhe Dich aus von Deinem langen Ritt,« sagte Farnwald, schlang seinen Arm in den des Wilden und führte ihn in sein Zimmer, wobei er Addisson zurief, er sollte das Pferd des Indianers gut verpflegen. Dort mußte Kiwakia ihm nun den ganzen Hergang erzählen, auf welche Weise er in den Besitz des Knaben und des

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Maulthiers gekommen sei, welche Mittheilung wehmüthige Erinnerungen aus vergangenen glücklichen Zeiten in ihm erweckte, doch der Himmel der Gegenwart fing wieder an, ihm zu lächeln und gern ließ er die Sonne seiner Hoffnung an ihm aufsteigen, um von ihr seine Zukunft bestrahlen zu lassen.

Virginia, deren Dankgefühl gegen den Wilden die Gelegenheit freudig erfaßte, sich diesem erkenntlich für die Hülfe zu zeigen, die er ihrem Bruder hatte angedeihen lassen, that Alles, was in ihren Kräften stand, ihn liebevoll und freundlich zu behandeln; Georg bemühte sich in gleicher Weise und so wurde er denn von ihnen, so wie von Farnwald mit Aufmerksamkeiten und Ergüssen herzlicher Zuneigung so überhäuft, daß er im Drange seiner Anerkennung dafür häufig mit einer gewissen Verlegenheit sagte:

»Kiwakia sehr glücklich, sehr gute Freunde!« Bei dem Abendessen wurde auch süßer spanischer Wein gegeben, woran sich der Häuptling, nachdem ihm Farnwald versichert hatte, daß es kein Feuerwasser sei, außerordentlich labte, doch man verabreichte ihm nur einige Gläser voll davon, die ihn schon in eine un[ge]gewöhnlich fröhliche Stimmung versetzten. Nach seinem Wunsch ward das Nachtlager für ihn unter der Veranda bereitet, wo ihn seine, durch den Wein aufgeregte

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Phantasie in die glücklichsten Träume wiegte, denn am folgenden Morgen erzählte er, daß er während des Schlafes in den ewigen herrlichen Jagdgründen seiner Väter gewesen sei und machte die glühendsten Beschreibungen von deren Schönheit.

Mit Geschenken aller Art wurde sein Pferd beladen und froh, wie ein beschenktes Kind, ritt der Wilde davon, um mit der Schnelligkeit und Ausdauer, die nur einem Indianer möglich ist, die weite Reise durch die Wildniß zurückzulegen und, glücklich über die endliche Erfüllung seines so lange und so heiß gehegten Wunsches, einen Beweis seiner Dankbarkeit geben zu können.

Farnwald sah in seinem Glück sein ganzes verlorenes Paradies sich ihm öffnen. Durch die Zuführung des geraubten, todtgeglaubten einzigen Sohnes konnte er hoffen, den Zorn von Doralices Mutter zu überwältigen, ihn in Dankbarkeit und Zuneigung zu verwandeln und was stand dann noch seinem Glück, seiner vollkommensten irdischen Seligkeit entgegen? Er machte tausend Pläne, in welcher Weise er der Mutter das Kind zurückgeben wollte: bald gedachte er ihr, oder Doralice zu schreiben und sie von der Auffindung des Lieblings zu benachrichtigen, bald wollte er ihn selbst in ihre Arme führen und bald ihn nur bis zu ihrer Besitzung geleiten, und sich selbst dann ungesehen wieder

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von dort entfernen. Das Herz war ihm so voll, so überströmend von Glück, daß er die Welt hätte umarmen und ihr seine Gefühle mittheilen mögen und doch wagte er sogar gegen seine nächste Umgebung nicht, ein Wort davon laut werden zu lassen.

War es aber auch wohl wirklich Fernando, den Kiwakia aufgefunden hatte? es befanden sich ja viele geraubte Kinder der Weißen als Sklaven unter den Indianern - doch nein - Kiwakia hatte ihn ja bei seinem Namen genannt - der Knabe hatte sich ja der Zeit erinnert, in der er von der Mutter genommen, er trug ja die Narbe vor der Stirn und das weiß geborene Maulthier verbannte vollends alle Zweifel über seine Person - er war es - er mußte es sein, und mit aller Macht bekämpfte Farnwald jeden Gedanken, der gegen diese Wahrscheinlichkeit, gegen diese Gewißheit in ihm aufstieg.

Noch am selbigen Tage schrieb er an Renard und theilte ihm sein bevorstehendes Glück mit, beschwor ihn bei seiner Freundschaft, den Aufenthalt der Wittwe Dorst und ihrer Tochter ausfindig zu machen und ihm sobald als möglich Nachricht darüber zuzusenden.

Nie im Leben waren Farnwald die Tage so lang geworden, als diese Tage der Erwartung, der Sehnsucht. Vergebens griff er zu seinen alten Freunden,

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seinen Waffen und dem Hifthorn und ließ dessen Klänge jubelnd durch die Wälder erschallen, umsonst sprengte er den treuen Hengst, in wilder Jagd der Meute folgend, dem Bären und dem Jaguar nach, um sein Herz zu beruhigen und die Länge der Stunden zu verkürzen, überall stand sein Glück vor ihm, dem er sich immer noch nicht in die Arme werfen durfte.

Der Mond wurde voller und seine eingefallene Wange füllte sich mehr und mehr aus - nur noch einige Tage und Farnwald durfte seinem wilden Freund und dem Bruder seiner Doralice entgegensehen; da kehrte er eines Abends, als der Mond über dem flachen Osten aufstieg, ermüdet von einer Jagd zurück und fand in seinem Zimmer auf dem Tische einen Brief von Renard vor, worin derselbe ihm meldete, daß die Wittwe Dorst, von dem Tode ihres Vetters Warner benachrichtigt, wieder mit ihrer Tochter auf ihre Besitzung am Flusse zurückgekehrt sei. Er selbst, sagte er, habe ihr seine Aufwartung machen wollen, doch habe sie ihn nicht angenommen, so daß er weder ihrer noch Doralices ansichtig geworden wäre. Mit der innigsten Theilnahme sprach er seine Freude über die bevorstehende glückliche Wendung von Farnwalds Schicksal aus und rechnete sicher darauf, ihn bei sich zu sehen, wenn er der Madame Dorst den Sohn zurückgegeben habe.

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»Es wird auch Zeit,« schrieb er »daß Sie Milly wieder in Ihre Nähe kommen lassen, denn sie trauert und verliert täglich mehr von dem schönen Roth ihrer Wangen. Könnte ich meinen Sklaven nur Etwas von des Mädchens Anhänglichkeit an ihren Herrn geben, so würde ich jeder Besorgniß überhoben sein, daß sie mir davonlaufen.«

Außer sich vor Freude über die Nachricht von der Rückkehr der Geliebten und ihrer Mutter, preßte Farnwald den Brief zwischen seine Hände und drückte ihn wiederholt gegen seine Brust; er warf sich in den Schaukelstuhl, sprang wieder auf und schritt im Zimmer auf und ab, rannte hinaus in das Freie und blickte in den beinahe vollen Mond, doch nirgends ließ ihn seine Hoffnung, seine Sehnsucht ruhen.

Auch Georg und Virginia war es nicht entgangen, daß Farnwald etwas ungewöhnlich Angenehmes begegnet sein mußte, da er sich jedoch nicht darüber aussprach, so wollten sie durch Fragen nicht neugierig erscheinen und waren schon zufrieden mit der Ueberzeugung, daß er etwas Freudiges erfahren haben müsse.

Der Abend des folgenden Tages mußte den Mond in seiner vollen Größe bringen, vor welcher Zeit Kiwakia versprochen hatte, wieder zu erscheinen. Farnwald

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war zu gut mit den Charakteren der Indianer vertraut, als daß er daran hätte zweifeln können, der Wilde werde pünktlich sein Wort halten, wenn nicht ein unvorhergesehenes Ereigniß ihn davon abhalte. Wie viele Zufälligkeiten konnten aber dessen Vorhaben entgegentreten, ja, die Ausführung desselben gänzlich verhindern!

Der Morgen verstrich und Kiwakia kam nicht! - hatte Wallingo vielleicht den Aufenthalt des Knaben entdeckt - hatte er ihn gewaltsam wieder gefangen genommen - hatte er ihn vielleicht gar getödtet? Solche Fragen, solche Zweifel bedrängten Farnwald von Stunde zu Stunde mehr, denn schon neigte sich die Sonne zu den fernen Bergzügen hinab und immer noch war Kiwakia nicht erschienen.

Ueber eine Stunde war Farnwald auf der Gallerie vor dem Hause in banger ungeduldiger Erwartung auf und nieder geschritten, und hatte bald seine Blicke auf den, ihm jetzt so schnell vorkommenden Gang der Sonne gerichtet, bald sie hinüber nach dem hohen Walde an der andern Seite des Flusses gesandt, zwischen dessen bunten Laubmassen die Schatten schon tiefer wurden, und schritt nun von der Veranda hinunter durch die Stacketenthür, um sich an dem Ufer des Flusses hinauf zu begeben, dorthin, wo der alte Indianerpfad durch denselben in den Wald führte.

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Mit wachsender Besorgniß war er, vor sich niedersehend, nur eine kurze Strecke gegangen und hob abermals seine Blicke nach dem dunkeln Einschnitt in dem Walde, der den Pfad bezeichnete, als sich plötzlich die Büsche theilten, ein Indianer zu Pferde aus ihnen hervorkam und kurz hinter ihm ein weißes Maulthier erschien, dessen Rücken einen schlanken Knaben trug.

»Kiwakia! - Fernando!« rief Farnwald in freudigster Ueberraschung, rannte im fliegenden Lauf dem Flusse zu und erreichte dessen Ufer, als die beiden Reiter ihre Thiere durch die Wellen des Stromes lenkten. Bald hatten sie das Ufer erstiegen, Kiwakia sprang von seinem Pferde, nahm das Maulthier bei dem Zügel und reichte denselben Farnwald mit den Worten hin:

»Nimm, großer Häuptling, das Geschenk, welchen Kiwakia Dir für das Leben seines Bruders bringt. Das weißgeborene Maulthier und der Knabe Fernando, Beide gehören Dir.«

Farnwald warf einen liebevollen innigen Blick zu dem Bruder seiner Doralice hinauf, schlang dann seine Arme um den Wilden und drückte ihn mit Ungestüm an seine Brust. Schnell wendete er sich aber wieder zu dem Knaben, der mit schüchternen Blicken auf ihn

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niedersah, streckte ihm seine Arme entgegen, Fernando ließ sich von dem Rücken des Maulthiers herabgleiten und fiel an das Herz Farnwalds, an dem dieser ihn liebkosend empfing.

»Fernando, sei froh, Du sollst Deine Mutter, Deine Schwester wiedersehen, ich selbst will Dich in ihre Arme zurückführen,« sagte Farnwald, von stürmischen glücklichen Gefühlen übermannt und hielt den Knaben fest in seinen Armen.

Fernando schluchzte und hob bittend seine großen schönen Augen zu jenem auf, die reichen schwarzen Locken seines Hauptes fielen zurück von seiner Stirn und die letzten Strahlen der sinkenden Sonne zeigten deutlich die Narbe, die dort in der Form eines Hufeisens stand.

»Kommt, kommt nach meinem Hause,« sagte Farnwald freudetrunken, nahm die Hände der beiden Theuern und geleitete sie, von ihren Thieren gefolgt, zu seiner Wohnung.

»Sage Niemanden ein Wort über Fernando,« flüsterte er Kiwakia zu »es soll kein Mensch Etwas über ihn erfahren, bis ich ihn seiner Mutter zurückgegeben habe.«

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»Kiwakia kann schweigen, wenn auch sein Herz reden möchte,« antwortete der Häuptling und legte die Finger auf seinen Mund.

Georg und Virginia waren höchst überrascht, ihren wilden Freund sobald wieder zu sehen, mehr aber noch über das Erscheinen des schönen Knaben, der, wenn auch in der einfachen Tracht eines Indianers, mit einem kurzen Lederrock um die Hüften und einer großen Büffelhaut um die Schultern, doch durch seine Hautfarbe verrieth, daß er der weißen Menschenrace angehöre.

Farnwald nahm die beiden Gäste aber nach den ersten Begrüßungen mit sich in sein Zimmer, um sich dort seinem Glück ungestört hingeben zu können. Den Knaben zu sich in das Sopha niederziehend, hielt er ihn mit seinem Arm umschlungen und sah ihm liebevoll in die großen dunkeln Augen, denn sie glichen denen seiner angebeteten Geliebten, so wie die schönen edlen Züge Fernandos unverkennbar aussprachen, daß gleiches Blut in Doralices und seinen Adern floß.

Kiwakia saß in überglücklichem Schweigen auf seiner Büffelhaut vor dem Sopha und ließ seine freudigen Blicke auf Farnwald und dem Knaben ruhen und sagte von Zeit zu Zeit, wie um seinem Herzen Luft zu machen:

»Farnwald froh, Fernando froh, Kiwakia froh!«

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Während des Abendtisches steigerte sich bei Georg und Virginia das Interesse für den geheimnißvollen Knaben sehr, da sie sahen, daß er trotz seiner hellen Haut, doch seinem Benehmen nach ganz Indianer war und niemals vorher an einem Tische gesessen zu haben schien. Auch die auffallende Fürsorge Farnwalds für denselben fiel ihnen auf und sagte ihnen, daß seine freudige Stimmung während der letzten Tage in Beziehung zu dem Erscheinen Fernandos gestanden haben müsse; doch, so gern sie auch Näheres darüber vernommen hätten, überließ sie Farnwald dennoch ihren Vermuthungen und zog sich bald mit seinen beiden Gästen in sein Zimmer zurück.

Heute Nacht bettete er sich selbst unter die Veranda neben Fernando, an dessen anderer Seite der Häuptling sich niederlegte, denn er konnte sich nicht entschließen, den Knaben nur einen Augenblick aus seiner Nähe zu lassen. Auch das weiße Maulthier und Kiwakias Pferd wurden nahebei innerhalb der Einzäunung an Bäume befestigt und Joe sein Nachtlager neben denselben angewiesen.

Der Morgen kam und Farnwald machte sich zur Abreise mit dem Knaben fertig.

»Wenn der Mond zum dritten Male wieder rund ist, dann erwarte ich Dich hier, Kiwakia, um Dir meine

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Geschenke und die der Mutter Fernandos zu geben. Kein Indianer soll jemals reicher gewesen sein, als Du es werden wirst,« sagte Farnwald zu dem Häuptling, nachdem er demselben eine Menge Gegenstände gegeben, womit dieser sein Pferd bepackt hatte und gleichfalls zur Abreise bereit war.

Ein zärtlicher rührender Abschied fand nun zwischen dem Indianer und dem Knaben statt, dann sagten sich Ersterer und Farnwald ein inniges Lebewohl und zur Verwunderung Georgs und dessen Frau, welchen Beiden sich Farnwald gleichfalls empfohlen hatte, zog dieser mit dem Knaben, der sich auf den nackten Rücken des Maulthiers geschwungen hatte, durch die Prairie nach Süden von dannen, während der Häuptling in entgegengesetzter Richtung bald in dem hohen Walde an der andern Seite des Flusses verschwand.

Farnwald eilte jetzt seinem Glücke entgegen, denn der Gedanke, daß der Haß der Wittwe Dorst gegen ihn stärker als ihre Dankbarkeit sein würde, fand keinen Raum bei ihm. Er gab sich ganz der Hoffnung hin und wie die Meilenzahl, die zwischen ihm und der theuren Geliebten lag, sich verringerte, so nahm seine Sehnsucht nach dem Augenblicke, wo er sie wiedersehen würde, zu.

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Doch auch in der Brust des Knaben wurde es mit jeder Meile, die zurückblieb, lebendiger, die Liebe zur Mutter, die von der Natur in jedes Menschen Herz gelegt wird, erwachte mit seiner Annäherung zu ihr stärker und sehnsüchtiger und das Neue, das Ungekannte der Welt, der er entgegeneilte, vermehrte seine Aufregung. Farnwald sprach viel mit ihm und suchte ihm ein Bild von dem Leben zu entwerfen, welches auf ihn warte. Auch ließ er sich von ihm erzählen, was seine Erinnerung ihm noch aus seiner frühen Jugend bewahrt hatte und überzeugte sich, daß seine Umgebung aus jener Zeit noch deutlich in seinem Gedächtnisse stand und er namentlich das Bild seiner Mutter noch lebendig im Herzen trug.

Ohne den Reitthieren Rast zu geben, eilten sie auf der Straße dahin und zwar zum Erstaunen eines Jeden, der ihnen begegnete oder seine Blicke von den an dem Wege liegenden Farmen her auf den jungen Indianer richtete. Namentlich aber machte Fernandos Erscheinung in dem Städtchen L*** das größte Aufsehen, denn es war noch heller Tag und einen Indianer hatten dessen Einwohner seit langer Zeit nicht gesehen.

Farnwald hatte aber kaum seinen Hengst mit dem Maulthiere in dem Stalle eingeschlossen und Joe ihnen zum Wächter beigegeben, als er sich von Fantrop, dem

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Wirthe, ein Zimmer anweisen ließ, wohin er sich mit seinem jungen Schützlinge begab, um allen Fragen der vielen Neugierigen zu entgehen, die sich in dem Gastzimmer bald versammelt hatten.

Das Frühstück am folgenden Morgen bestellte er sehr zeitig auf seine Stube und die Sonne war noch nicht über dem hohen Walde aufgestiegen, als er mit Fernando nach dem Stalle eilte, beide sich auf ihre Reitthiere schwangen und nur von wenigen Leuten, welche die Neugierde schon so früh nach dem Gasthause gelockt hatte, begafft, das Städtchen verließen.

Je weiter sie auf der Straße vordrangen, um so häufiger wurden an derselben die Niederlassungen und desto größer war das Erstaunen der Leute, wenn sie den Indianer sahen, denn die wenigsten von ihnen waren Ansiedler aus der frühern Zeit, wo diese Gegend noch Frontier gewesen und man kannte darum die Wilden nur aus Abbildungen. Doch nirgends gab Farnwald dem Anrufen der Neugierigen Gehör, sondern trieb nur um so rascher sein Pferd vorwärts, um aus ihrem Bereiche zu kommen und es war kaum Mittagszeit, als er das Haus seines alten Freundes Dankward erreichte.

Mit weit geöffneten Augen und offenem Munde blickte dieser aus der Thür seines Blockhauses auf

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Fernando und sein Erstaunen war so groß, daß er keine Worte finden konnte es auszusprechen; doch Farnwald kam ihm zu Hülfe und sagte:

»Ich bringe Ihnen hier einen jungen Indianer und erbitte mir für ihn und für mich selbst Schutz unter Ihrem Dache, bis die Sonne weniger heiß ist; denn wir beide und unsere Thiere haben auf unserm Wege viel von ihrer Gluth ausstehen müssen.«

»Hei, ho!« rief Dankward, »einen Indianer! das ist denn doch wirklich der erste, den ich in meinem Leben gesehn. Sieht er doch ganz so aus, wie unser Einer. Frau, komm heraus, ein wilder Indianer will Dir seinen Besuch machen,« rief er dann in das Haus hinein, wendete sich aber gleich wieder zu Farnwald und sagte:

»Willkommen, willkommen, Kapitain Farnwald mit Ihrem wilden Kameraden; bringen Sie Ihre Thiere dort in den Schatten und treten Sie näher, meine Frau wird Sie mit einem Welschen tractiren, den ich gestern Abend dort aus jenem Baume am Flusse schoß; er ist fett wie eine Schnecke.«

Farnwald und Fernando führten ihre Thiere tief in die Büsche unter die hohen schattigen Bäume, so daß sie von der Straße aus nicht gesehen werden konnten.

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Joe mußte sich bei ihnen niederlegen und dann begaben sich die beiden Reiter in das Blockhaus, wo sie Madame Dankward nun auch mit ebenso großer Freude als Verwunderung begrüßte.

»Also, so sehen die Indianer aus!« sagte die Frau und ließ ihre Blicke mit einer gewissen Zufriedenheit um die schönen Formen des schlanken Knaben wandern. »Das lasse ich mir gefallen, ein ganz hübscher Junge, und was er für ein Paar schöne Augen hat. Ich habe mir immer einen schrecklichen Begriff von einem Wilden gemacht, doch dieser gefällt mir ganz gut. Sei mir willkommen, Du hübscher Junge,« setzte sie noch hinzu, indem sie mit wohlgefälligem Blicke auf Fernando zutrat und ihm die Hand reichte.

Dieser fing an zu lachen, da er bemerkte, daß die Frau in dem Glauben stand, er verstehe sie nicht, während er doch von seiner Kindheit an von Wallingo bei jeder Gelegenheit als Dolmetscher benutzt worden war und seine Muttersprache, wenn auch gebrochen, doch ganz verständlich redete.

»Ich glaube, er hat mich verstanden,« sagte Madame Dankward, indem sie Fernando die Wange streichelte, »thut nichts, das wirst Du noch oft genug hören, daß Du ein schöner Knabe bist.«

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»Ich glaube gar, meine Alte da verliebt sich in den Jungen, und am Ende frißt er sie mit Haut und Haar auf,« sagte Dankward laut auflachend.

» Gott bewahre, er wird ja doch wohl kein Menschenfresser sein!« erwiederte die Frau, nahm Fernando bei der Hand und führte ihn mit den Worten zu einem Stuhle:

»Setze Dich, lieber Junge, Du wirst müde sein.«

Dann bat sie Farnwald, sie zu entschuldigen, da sie nach dem Mittagsessen sehen müsse.

»Wo wollen Sie denn mit dem Indianer hin, Kapitain Farnwald?« fragte Dankward, als die Frau das Zimmer verlassen hatte.

»Ich will ihn zu Freunden von mir weiter unten am Flusse bringen, wo er eine Zeit lang bleiben soll, um eine gute Erziehung zu erhalten.

»So, das ist ja merkwürdig, was sollen denn Indianer mit Erziehung machen? zu ihren Jagd- und Kriegszügen wird sie ihnen nicht viel helfen,« erwiederte Dankward.

»Wie ich höre, so ist Ihre Nachbarin wieder mit ihrer Tochter auf ihrer Besitzung dort drüben angekommen?« sagte Farnwald mit unsicherer Stimme und bemühte sich seine Aufregung zu verbergen.

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»Ja wohl, in Folge des Todes ihres Vetters Warner. Sie hatten doch recht prophezeit, daß er absegeln würde. Ein Glück war es für die Nachbarn und besonders für die Damen drüben.«

»Sind sie denn allein, oder ist Gesellschaft bei ihnen? «

»Heute früh waren sie noch allein, denn ihr gelbes Hausmädchen fragte hier vor einigen Stunden, ob Briefe für ihre Herrschaft angekommen seien, bei welcher Gelegenheit ich mit der Mulattin über die Damen redete. Sie thun mir recht leid, denn der Tod des Alten hält sie noch tief in Trauer und besonders das Fräulein scheint sehr davon niedergebeugt.«

Farnwald war es, als ob ihm die Brust zerspringen wolle, er stand auf und bat Dankward um die Erlaubniß, von dessen beim Hause aufgestapelten trockenen Maisblättern seinen Reitthieren einen Arm voll bringen zu dürfen und Fernando folgte ihm, um ihm dabei behülflich zu sein. Nachdem sie dies besorgt, gab Fernando seinem Beschützer zu verstehen, daß er sich zu baden wünsche und dieser begab sich mit ihm an das Ufer des Flusses, wo der Knabe schnell sein Röckchen abwarf und mit einem weiten Sprunge sich kopfüber in die klare tiefe Fluth stürzte. Wie in seinem natürlichen Elemente, rollte und wiegte er sich in den Wellen, sank bis auf ihren hellen sichtbaren Grund und schnellte

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sich dann wieder hoch aus ihrer Oberfläche empor, bis Farnwald ihm winkte, zurück an das Land zu kommen.

Eben hatte der Knabe seine einfache Toilette vollendet, als Dankward von dem Hause her zum Mittagsessen rief.

So vortrefflich auch der Welsch gebraten war und so freundlich das Essen von den beiden gutmüthigen einfachen Leuten geboten wurde, so würdigte es Farnwald doch nur wenig. Die Gemüthsstimmung, in der er sich befand, nahm mit jeder Minute an Bewegung zu, bald fühlte er sich kalt und ein banges Beben meisterte sich seiner, bald jagte das Blut mit Ungestüm durch seine Adern und er konnte die Schläge seines Herzens hören; Hoffnung und bange Zweifel für die nahe bevorstehende Entscheidung seiner Zukunft, seines vollkommenen Lebensglücks, kämpften in seiner Seele und mit fieberhafter Spannung sah er die Sonne an dem westlichen Himmel hinunterziehen.

Was geschehen sollte, mußte bald geschehen. Schon dehnten sich die Schatten langer über die Erde, schon zog die gewürzige Abendluft kühler durch Wald und Prairie und der Himmel röthete sich über den fernen Gebirgen, um die Sonne in ein Bett von Gold und Purpur sinken zu lassen. Die Stunde war gekommen, die Farnwald gewählt hatte, um die Würfel für seine Zukunft fallen zu lassen.

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Der Hengst war bald gesattelt und bestiegen, dem Maulthiere der Zaum aufgelegt, Fernando schwang sich auf dessen glänzenden weißen Rücken und, nach raschem Abschiede von den gastfreien Dankwards, zogen die Reiter dem nahen Flusse zu.

Die dröhnenden Hufschläge auf der Brücke erschreckten Farnwald, denn es war ihm, als müßte Doralice sie hören, als müsse sie ihn daran erkennen. Die Einzäunung an der Straße war erreicht, Farnwald sandte einen spähenden Blick nach der Veranda des Wohngebäudes hinüber, doch sie war leer, er drückte die Sporen in die Seiten seines Pferdes, gab ihm die Zügel und sauste fliegend an dem Eingangsthore vorüber, bis er das Ende der Einzäunung erreicht, wo ein Blick von dem Hause her ihn nicht mehr treffen konnte.

Hier schlug er den wohlbekannten Fußpfad ein, der um die Niederlassung nach deren hinterer Seite auf den Weg führte, welcher zwischen dem Garten und dem See in dem Walde lag. Mit glühender Erinnerung blickte Farnwald, als er denselben erreicht hatte, auf ihm hin durch den golddurchblitzten hohen Wald, lenkte über in entgegengesetzter Richtung sein Pferd dem Eingange des Gartens zu.

Er wußte, daß beim Versinken der Sonne die Geliebte und ihre Mutter die duftigen Schatten des Gartens

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aufsuchen und in ihnen nach dem Grabe des Vaters, des Gatten wandeln würden. Er stieg von seinem Pferde, leitete es langsam durch die laubumwogten trauten Wege und Fernando folgte ihm in sehnsüchtiger Erwartung auf dem Maulthiere.

Das Grab von Fernandos Vater hatten sie erreicht, doch ohne Ahnung, was der aufgeworfene Hügel verberge, zog der Knabe an ihm vorüber, während Farnwald wehmüthig nach diesem aufsah.

Der Weg wand sich hier um hohe dichte Gebüschgruppen von immergrünen Straucharten und bog dann im Angesichte des Wohngebäudes aus ihnen hervor in den Blumengarten hinein. Farnwald blieb stehen und spähte lauschend durch die dunkeln Büsche nach dem Hause hinüber. Niemand war in dem Garten oder bei dem Gebäude zu sehen. Die feierliche Stille des Abends ruhte auf der Umgebung, die Vogel zwitscherten aus ihren dunkeln luftigen Verstecken ihre Abschiedslieder dem schwindenden Tage nach und der Abendstern fing an, am klaren Himmel zu funkeln.

Plötzlich stockte Farnwalds Athem, seine Blicke flogen nach der Seite des Hauses hin, sein Herz wollte ihm aus der Brust springen, denn von der Veranda herab schritten jetzt die beiden Ersehnten in den Garten. Es war Doralice, die süße, die himmlische Doralice und ihre Mutter.

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In schwarze Gewänder gehüllt, gingen sie ernst und schweigend zwischen den bunten Blumen hin, Madame Dorst führte sich an ihrer Tochter. Das Unglück hatte ihre hohe edle Gestalt gebeugt und ihr schönes glänzend schwarzes Haar zeigte einen silbernen Schein, auch Doralice hielt ihr Haupt gesenkt, umschloß mit ihrer kleinen Linken die in ihren Arm geschlungene Hand ihrer Mutter, und verrieth durch den wehmüthigen Ausdruck ihres schönen bleichen Antlitzes den Gram, der an ihrem Herzen nagte.

Langsam kamen sie näher, als Farnwald sich bebend zu Fernando wandte und ihm zuflüsterte:

»Dort kommt Deine Mutter und Deine Schwester, Fernando, reite ihnen entgegen! Zugleich ergriff er mit zitternder Hand den Zügel des Maulthiers, leitete es nach der Oeffnung, die durch das hohe Gebüsch in den Blumengarten führte und sandte ein inniges, stilles Flehen für einen glücklichen Ausgang zum Himmel empor.

Plötzlich gewahrten die Kommenden Fernando und stießen einen Schrei des Entsetzens aus.

»Großer Gott, was ist das? ein Indianer! - Allmächtiger, stehe uns bei!« rief Madame Dorst, schlang ihre Arme um ihre Tochter und wankte einige Schritte rückwärts.

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Doch im nämlichen Moment hefteten sich ihre Blicke auf das weiße Maulthier, das jetzt nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war, ihre Augen schienen aus ihren Höhlen dringen zu wollen, ihre Arme streckten sich ihm zitternd entgegen, ihre Lippen bebten; denn jetzt sah sie den Knaben an und das Mutterherz erkannte das Kind.

»Fernando - Fernando, mein Kind, mein Sohn!« rief sie aus, stürzte zu ihm hin, ergriff seine ihr entgegenkommenden Hände und zog ihn herab in ihre Arme, an ihre Brust, an ihr Herz.

»Fernando, mein Bruder!« rief Doralice, warf sich dem Knaben um den Hals und so standen sie innig verschlungen, schluchzend und weinend eine lange Zeit, ohne den Sturm ihrer Gefühle bewältigen zu können, bis der Knabe zuerst Worte fand und:

»Mutter - liebe Mutter!« stammelte.

»Mein Sohn - mein theurer Fernando!« schluchzte diese, strich die glänzend schwarzen Locken von seiner Stirn und bedeckte die Narbe dort mit ihren Küssen, während Doralice ihre heißen Freudenthränen an des Bruders Nacken verbarg.

»Wer hat Dich mir wiedergegeben, Fernando - welcher Engel hat Dich hierhergeführt?« fragte die glückselige Mutter mit zilternder Stimme und schaute

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mit thränenglänzendem freudigen Blicke in die großen dunkeln Augen des geliebten schönen Kindes.

»Farnwald heißt er, der mich befreien ließ und mir den Weg zu meiner Mutter zeigte,« antwortete der Knabe.

»Farnwald?« riefen Mutter und Tochter gleichzeitig und ließen ihre Blicke um sich durch den Garten eilen, doch das Auge der Liebe war das schärfste, Doralice hatte in diesem Augenblicke den Geliebten erkannt, mit offnen Armen flog sie ihm entgegen und sank beseligt an sein Herz, auch Madame Dorst hatte ihn jetzt erreicht, schlang weinend ihre Mutterarme um die Wiedervereinigten und barg ihr Antlitz neben dem Haupte ihrer namenlos glücklichen Tochter an Farnwalds Brust.

Bald aber überließ sie das wonnetrunkene Paar seinem Glück, ihr Mutterherz zog sie zurück zu dem wiedergefundenen Sohne, den sie unter Schluchzen und Freudethränen abermals an ihre Brust drückte. Es bedurfte einer langen Zeit bis die stürmischen Gefühle dieser beiden wiedervereinigten Paare sich beruhigten und sie im Uebermaße ihres Glückes den Platz verließen, auf dem sie sich wiedergefunden hatten.

Die Kunde von der Rückkehr Fernandos brachte bald die Sklaven sämmtlich nach dem Herrenhause, wo sie

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sich jauchzend und jubelnd unter die Veranda drängten, um ihren jungen Herrn zu setzen, zu bewillkommnen.

Wenn auch die langjährige Abwesenheit des Knaben ihm seine Heimath entfremdet und die Wildniß ihn den Seinigen zum Fremdling gemacht hatte, so war es doch der Zeit nicht gelungen, die Herzen der Glücklichen von einander zu entfernen und das Seltsame, das Räthselhafte, welches in Fernandos Erscheinung lag, diente nur dazu, das Interesse für ihn noch mehr zu steigern.

Farnwald versah ihn für den Augenblick mit den nothwendigsten Kleidungsstücken, die Mutter ordnete sein schönes Haar und Doralice richtete ein Zimmer für ihn ein.

Die Freude hielt den Schlaf bis spät in bie Nacht hinein von diesem Hause fern und verscheuchte ihn wieder, als kaum der neue Tag sich zeigte. Heute erschien Fernando seinem Stande vollkommen gemäß gekleidet, denn schon frühzeitig hatte dessen Mutter von dem nächsten Kaufmannsladen im Lande die nöthigen Anzüge für ihn herbeigeschafft. Zu Renard aber hatte Farnwald noch am Abend vorher einen Reiter mit der schriftlichen Nachricht von dem Wechsel seines Geschicks gesandt und ihn und die Seinigen dringend eingeladen, baldmöglichst zu ihm zu eilen und von seinem Glück sich selbst zu überzeugen.

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Früh, in der kühlen Morgenluft wandelten die Mutter mit ihrem Sohne und die beiden Geliebten Arm in Arm an dem grünen Ufer des Flusses hin, um Renard, dem treuen Freunde, entgegenzugehen.

Golden blickte die Sonne von dem heitern Aether auf sie nieder, die Wellen des Stromes schienen lustiger zu spielen und die Vögel fröhlicher zu singen als sonst.

Renard und die Seinigen ließen nicht lange auf sich warten, bald hatten sie, von Milly gefolgt, die ihnen Entgegenkommenden erreicht, und die Freundschaft sprach nun ihre Segenswünsche über die beiden beseligten Paare aus.

Doch auch die Dankbarkeit stand nicht zurück, die Quadrone nahte sich Farnwald leise und flüsterte ihm zu:

»Dein Glück, Herr, meine Seligkeit!«

Heiliger Friede, Segen und Eintracht war in Dorsts Wohnung eingezogen, aber auch in Swartons Familie sollte Freude und Ruhe wieder einkehren, denn noch heute sandte Madame Dorst einen Eilboten an sie ab, der ihnen die schriftliche Zurückgabe ihrer Besitzung überbrachte.


Footnotes:

1Sonst immer ``Dampfboote''.


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