»Großer Ausfall diese Nacht über das Borgo. Von zwei Seiten. Um eine hohe Person. Eilig und wichtig. Unmöglich, mehr zu melden.«Die Bleistiftschrift war fehlerhaft und schlecht, die Worte waren von der Nässe etwas verwischt, aber noch deutlich erkennbar. »Corpo di Bacco« brummte der Sergeant, »eine verfluchte Geschichte - der König muß es wissen, aber ich möchte Hundert gegen Eins wetten, daß er nicht so [94] gescheut sein wird, auf's Pferd zu steigen und nach Mola zu reiten, so lange es noch Zeit ist, sondern lieber nach dem Borgo und wo die Kugeln am Aergsten pfeifen.« »Eben deshalb müssen wir für ihn handeln. Hoffentlich erfolgt der Ausfall erst gegen Morgen. Wo stehn die nächsten Truppen auf dem Weg nach Mola?« »Hinter dem Monte Conca der Artillerie-Park, die Ablösungen in Castellone.« »Feder und Papier!« Der alte Mönch war wie verwandelt - sein Ton nicht mehr der des demüthigen Barfüssers oder des exaltirten Schwärmers, sondern der des Befehls. »Hier!« Der Fechtmeister zog einen Schreibtisch auf und legte Papier und Feder zur Hand. Der Mönch saß rasch vor dem Pult, seine ganze Natur schien sich verändert zu haben - die Feder flog über das Blatt, wenige Zeilen - dann ein zweites - dann faltete er sie. »Licht!« »Hier! hier! - aber es wird Nichts helfen - es müßte eine Ordre des Adjutanten vom Dienst sein!« »Kümmere Dich nicht darum!« - Er wandte ihm den Rücken - die Hand des Barfüssers faßte unter seine Kutte und zog einen Gegenstand hervor, der an einer härenen Schnur auf der bloßen Brust hing. Es mußte ein Petschaft oder ein Siegelring sein, denn er drückte ihn auf das Lack der beiden Briefe und verbarg ihn dann rasch wieder am alten Ort. [95] »Hier die Depesche an den kommandirenden Offizier in Castellone, - diese an General Cialdini - der Mann soll reiten, als wenn der Tod hinter ihm säße!« Der Sergeant, ganz verduzt von dem befehlenden Ton, humpelte eilig hinaus. Als er nach wenigen Minuten zurückkehrte, sah er den seltsamen Gast seines Herrn wieder am Fenster steh'n und hinaus lauschen in die Nacht. Der Sergeant trat zu ihm. »Na - der Reiter ist fort - aber was da daraus werden soll, das ist nicht meine Sache und Ihr mög'ts[mögt's] allein ausbaden Pater, wenn das Ding schief geht. He - was starrt Ihr da hinaus - von dort wird der Bombino nicht kommen bei dem Sturm.« »Was ist das für eine Barke, die da an der Terrasse schaukelt?« »Das Weibervolk ist mit herüber gekommen von Mola, die beiden Kerle, die sie gerudert, sitzen unten in der Küche und spülen sich die Gurgel aus mit meinem Weine!« »Wie spät ist's?« »Es muß bald Mitternacht sein - am Ende ist's gar Nichts mit der ganzen Geschichte und ich hab' einen dummen Streich gemacht, daß ich so leichtgläubig gewesen bin. Vielleicht ist's gar wieder eine Finte, die sie von Rom machen und Ihr seid am Ende gar kein richtiger Mönch, sondern ein verkleideter Brigante oder Dragoner!« Die Beschuldigung schien den Barfüsser tief zu treffen. Er schlug sich auf die Brust und rang die Hände. »Mea culpa! mea culpa! - Du hast Recht mein [96] Sohn - und ich habe des heiligen Amtes vergessen, das mir geworden. - All ihr Heiligen, was hab ich gethan! Die Schänder und Feinde der Kirche will ich vertheidigen, die rütteln am Felsen Petri! - Diesen König will ich retten vor dem Schicksal, das er verdient - mit den Ketzern und Mördern will ich mich verbinden gegen die Hand des Herrn! Mögen sie untergehen mit Feuer und Schwert, und liegen im Bannfluch, auch wenn tausend Messer mein Herz zerreißen. O Ihr Heiligen bittet für mich um Vergebung für meine Schwäche und gebt mir Kraft in diesem Kampf!« - Und er warf sich in die Knie und rang die Hände. Plötzlich beugte er horchend das Ohr - auch der Sergeant Bertano mußte Etwas gehört haben, denn er sprang trotz seines lahmen Fußes mit einem Satz zum Fenster und beugte sich weit hinaus: »Corpo di Papa[,] Bruder - ich glaube, Ihr hattet Recht!« Der Mönch war aufgesprungen - die Reue schien so rasch verschwunden, wie sie gekommen. »Still - hörtest Du Nichts?« »Feuern dort drüben von dem Borgo her! Der Teufel soll meine Kaldaunen haben, wenn das nicht Flintensalven sind! - Sie sind mit den Vorposten aneinander - nein, wahrhaftig, das Schießen ist schon im Borgo!« In einer Pause des Donners des rasch an den Bergen hinziehenden Wetters dröhnte es allerdings herüber von der Seite der Festung her wie Musketenfeuer. [97] »Alle Hagel - ich muß zum König!« »Halt!« der Sergeant fühlte, daß die Hand des greisen Mönchs ihn mit unerwarteter Kraft festhielt. »Hörtest Du Nichts? - dort! dort!« Eine Flintensalve dröhnte ganz unerwartet von einer andern Seite her, aus nicht allzugroßer Entfernung. Sie kam zweifellos von der Richtung der Spiaggia her - den Häusern unterhalb des Monte Agatha! »Heilige Jungfrau - rette ihn! - Der Weg nach Mola wird abgeschnitten - die Neapolitaner sind hinter uns! - Zu dem Thor, Schurke - schließe das Thor!« Der Sergeant rannte davon. - - Zwischen den Schüssen, die sich mehrten, hörte man den rasenden Galopp eines Pferdes, das auf dem Pflaster des Hofes parirt wurde. Gleich darauf fielen die schweren Thorflügel in's Schloß. »Der König! - wo ist der König?« Der Mönch kniete im Gemach und schlug mit der Stirn den Boden. »Heilige Jungfrau steh' mir bei!«
Bord der Victory. Hafen von Cartajena |
am 28. Dezember 1860. |
Kapitain Jones meldet durch die Ueberbringer, daß der San Martino eingetroffen und zu einer Ladung von Waffen und Munition nach Gaëta von der Regierung geheuert worden ist. Kapitain Jones hat das Kommando der Victory wieder übernommen und sendet dem Befehl gemäß diese Meldung durch Rafaël den Portugiesen und Nicolo den Malteser, die Seespinne begleitet. Jones Waterford.Nachschrift.
Mylord, welche Teufelei ist wieder in Sicht, daß Sie die beiden größten Schufte der ganzen Mannschaft zu sich beordern? Ich beschwöre Sie, nehmen Sie sich in Acht und wenn Gefahr ist, rufen Sie mich lieber. Die Nachrichten, welche die Victory von Roccabruna gebracht hat, sind gut, der Knabe ist wohl. Hüten Sie sich. T.
Mitbürger! An Euch, Väter und Mütter, die Ihr mit Sorge und Mühe eine geliebte Tochter auferzogen zum Trost Eures Alters! - an Euch, Ihr Brüder und [235] Freunde, die Ihr Euch an der frischen Jugend einer geliebten Schwester von Kindheit auf erfreut habt, die Ihr sie einst als die brave Gattin eines braven Mannes zu sehen hoffet! - an Dich, Volk von Madrid, das Gefühl hat für Sitte und Recht, wende ich - ein verlassener betrogener Vater - mich mit dem Schmerzensruf: wo ist mein Kind? Helft mir meine Tochter suchen! Vor zwei Tagen noch besaß ich eine Tochter, ein vierzehnjähriges frommes, ach vielleicht nur zu frommes Kind! seit gestern Morgen ist sie verschwunden, spurlos verschwunden, wie seit drei Jahren - Ihr erinnert Euch deß, Madrilenen! - viele junge Mädchen verschwunden sind, ohne daß man ihr Verbleiben erforschen konnte. Sind sie die Opfer von Räubern und Mördern geworden? ich bezweifle es! Die Bravo's und Ladrones morden nur aus Rache und Habgier. Sind sie verunglückt? - Wo ist ihre Spur? Der Manzanares behält keine Leichen. Sind sie entführt? Wer hat sie entführt? Zu welchem Zweck? - Freilich - es giebt in Spanien noch Orte, von denen man seltener zurückkehrt, als aus dem Manzanares und aus den Klauen der Räuber! Meine Tochter Dolores Villalobos Landero ging gestern Morgen zur Messe nach Santa Maria. Sie ist nicht zurückgekehrt! Mitbürger, helft mir mein Kind suchen und den Entführer zur Rechenschaft ziehen - stehe er so hoch, wie er wolle!Dem erschütternden Aufruf folgte eine kurze Personalbeschreibung des verschwundenen Mädchens. Es war nicht zu verwundern, daß der Inhalt des Blattes, welches der unglückliche Vater selbst mit einem [236] Verwandten auf der Puerta del Sol vertheilt hatte, eine große Aufregung in diesem ohnehin so leicht erregbaren Publikum hervorgebracht hatte. Wie der Graf mit flüchtigen Worten seinem Gesellschafter erzählte, waren allerdings seit etwa zwei Jahren in Madrid wiederholt sehr junge Mädchen im Alter von etwa 14 bis 18 Jahren, und meist aus guten Familien, auf eine unerklärliche Weise verschwunden, ohne daß man eine Spur von ihnen auffinden konnte. Der Volksmund behauptete, daß man die jungen Geschöpfe gegen den Willen der Eltern zum Klosterleben verlockt und in entfernte Klöster gesteckt habe. Trotz der Aufhebung der Jesuiten und der Einziehung vieler Klöster unter der Regentschaft Espartero's hatte die römische Propaganda doch den größten Einfluß bewahrt, viele der ausgewiesenen Jesuiten waren unter dem Schutz des Hofes und des berüchtigten Beichtvaters der Königin, des Jesuiten Claret, nach Spanien zurückgekehrt und bekleideten selbst ganz offen ansehnliche Stellen. Die geistliche Gerichtsbarkeit war unter anderem Namen wieder eingeführt und der Klosterunfug nahm wieder überhand unter Firma geistlicher und wohlthätiger Gesellschaften. Seltsamer Weise hatten all die verschwundenen jungen Mädchen in der Kirche Santa Maria26 ihre Meß- und Beichtgänge gehalten. Auf dem Platz hatte der Tumult größere Dimensionen angenommen; die Polizei hatte den verlassenen Vater [237] verhaftet und das Volk hatte ihn wieder befreit. Man warf mit Steinen gegen die Guardia, die sich nach dem Ministerium zurückgezogen hatte und dort vertheidigte. »Caramba,« fluchte halb lachend der Graf, »zu früh, zu früh! Ich wollte sonst was darum geben, wenn der Spektakel acht Tage später gekommen wäre. Welcher prächtige Anfang eines Pronunciamento! aber es ist Nichts vorbereitet, wir müssen warten, und da kommt auch bereits eine Abtheilung der berittenen Wache, um den Platz rein zu fegen. Kommen Sie, Oberst, es ist Zeit, daß wir uns davon machen!« Sie eilten, von den Dienern gefolgt, in die Calle Mayor, zu der die Menge vor der berittenen Sicherheitswache flüchtete, und bogen in die nächste Querstraße. »So - nun sind Sie in Sicherheit,« sagte der Graf. »Also auf Wiedersehen morgen früh!« Er drückte dem Secretair die Hand und schlug den Weg nach der Alcala ein. An einer abgelegenen Stelle der Querstraße blieb er stehen und winkte den beiden Dienern. »Du hast gesehen und gehört, was auf der Puerta del Sol so eben passirt?« sagte er zu dem Griechen. »Ja Mylord!« »Du sprichst genug Spanisch, um Erkundigungen einzuziehen. Suche zu erfahren, ob der Verbreiter jenes Flugblattes wirklich verhaftet oder wieder freigegeben ist und wo er wohnt. Es liegt mir daran. - Ist in dem Hause der Lukasstraße Alles in Ordnung?« »Wie Sie befohlen, Herr!« [238] »Die Waffen?« »Zwei Revolvers liegen in der Chatoulle.« »Ich kehre wahrscheinlich erst spät am Morgen zurück, Du brauchst mich nicht zu erwarten. Seespinne genügt. Vor zehn Uhr morgen früh empfange ich Niemand. Bis dahin muß ein Auftrag vollzogen sein, den ich Dir zu geben habe.« »Befehlen Sie, Mylord!« »Du wirst morgen Seespinne seine schlechtesten Kleider anziehen und läßt ihn durch den Portugiesen zu einem alten Schlosser bringen, der nahe dem Toledo-Thor in der Calle de la Solana wohn: und unter dem Namen der Lahme bekannt ist. Er soll ihn für seinen Verwandten ausgeben, den er zur Probe in die Lehre geben wolle, um seine mechanischen Fertigkeiten auszubeuten. Sein Wunsch sei, daß der Schlosser zunächst ihm den Gebrauch der Schlüssel und das Oeffnen jeder Art von Schlössern lehren möge. Er soll ihm 50 Duro's als Lehrgeld zahlen, das wird jede Bedenklichkeit des alten Schurken beseitigen. Seespinne wird die nöthige Instruction von mir selbst erhalten.« »Der Wechselbalg wird an Ort und Stelle gebracht werden. Soll ich ihn gleich mit mir nehmen?« »Nein - ich brauche ihn noch. Jetzt geh und rufe einen Fiakre.« Die Droschke erster Klasse wurde geholt, der Jockey an Bord spedirt und der Graf befahl: »Zum Hôtel der französischen Gesandtschaft!« [239]Martin Villalobos Landero, Kapitain a. D. vom Regiment Cordova.
» Euer Hochwohlgeboren zeige ich an, daß ich die geheime Correspondenz des Herrn von Wolawski entdeckt habe, die vollständigen Aufschluß über seine hochverrätherischen Verbindungen giebt und uns ein zahlreiches wichtiges Material zur Entdeckung einer weit verzweigten Verbindung liefert, deren Sitz diese Gegend ist. Der Pariser Emissair, den Sie suchen, ist der Kapitain Marian Langiewicz; derselbe hält sich unzweifelhaft hier verborgen und vielleicht ist es Ihnen bereits gelungen, ihn zu ergreifen. Mein unmaßgeblicher Rath wäre der, Herrn von Wolawski zur Stelle zu verhaften [329] und mit den übrigen Verdächtigen unter starker Escorte nach Konin zu senden. Ich erwarte hier Ihre weiteren Befehle.Der Kreishauptmann wandte sich zu dem Kosaken-Offizier. »Pan Kapitain, suchen Sie zwei Ihrer bestberittenen Leute aus, um Depeschen zu überbringen.« Der Kosak bezeichnete zwei derselben. Der Kollegienrath winkte seinem Gensdarmen. »Bücke Dich, Andrei, ich habe etwas zu schreiben.« Der Gensdarm bot gehorsamst seinen Rücken - der Kreishauptmann riß zwei Blätter aus seiner Brieftasche und schrieb auf Jedes einige Worte. Während er sie zusammenfaltete und adressirte, trat Herr von Wolawski, der seinen Entschluß gefaßt hatte, zu ihm. »Herr Rath,« sagte er mit bestimmtem, festem Ton, es scheint, Sie lassen mich absichtlich im Zweifel. Dieser Mann, mein Diener, ist ohne Auftrag oder Befehl von mir hierher gekommen, und macht allerlei Ausflüchte - ich bin in Besorgniß um die Meinigen, daß Etwas vorfallen sein könnte, und Sie haben nicht einmal die Güte, mich darüber zu beruhigen. Erlauben Sie dann, da ich in der That beunruhigt bin, selbst danach zu sehen.« Der Kreishauptmann hatte eben die Depeschen beendigt und geschlossen. »Ich bedauere, Herr von [330] Wolawski,« sagte er kalt, »daß dies nicht so rasch möglich sein wird!« »Und warum nicht?« »Weil ich leider gezwungen bin, Sie im Namen Sr. Majestät des Kaisers zu verhaften.« »Mich verhaften - und warum?« »Wegen Hochverrath und Vorbereitung einer Rebellion!« Der Edelmann lachte heiser. »Mein Herr Rath,« sagte er, »wir Polen sind leider dergleichen Gewaltschritte gegen uns gewohnt. Ich hoffe daher kaum, daß Sie mir die Beweise nennen werden, auf welche hin Sie einen ruhigen Bürger des Königreichs beschuldigen.« Herr von Timowsky erwiederte den leidenschaftlichen Blick des gefährdeten Mannes mit einem ruhigen kalten Ausdruck. »Ich habe nicht nöthig, über meine Maaßregeln Auskunft zu geben, will es aber aus persönlichen Rücksichten thun. Sie kennen den Kapitain Langiewicz?« »Sein Name ist aus den Zeitungen bekannt genug!« »Als der eines Emigranten und Rebellen! Keine unnützen Ausflüchte Herr! Sie haben diesen Agenten der pariser revolutionairen Propaganda bei sich aufgenommen und verbergen ihn noch?« »Darf ich fragen, wo?« Der Kreishauptmann that einen Schritt vorwärts und deutete auf den Mann, der ihn vorhin von dem anstürmenden Ur gerettet hatte. »Wollen Sie es leugnen? hier steht derselbe. Herr Kapitain, es thut mir leid, daß ich gezwungen bin, Sie [331] unter diesen Umständen gleichfalls zu verhaften, aber meine Pflicht gegen Se. Majestät den Kaiser geht über alle persönlichen Rücksichten. - Kapitain Iwan Iwanowitsch, bemächtigen Sie sich dieser beiden Männer!« Der Pole lachte in einer letzten Hoffnung des Irrthums spöttisch auf. »Ich habe diesen Mann nie in meinem Leben gesehen, als da er sich zwischen Sie und den Stier warf. Ich kenne ihn nicht, und wenn Sie behaupten, daß dieser Mann der Kapitain Langiewicz ist, und daß ich mit ihm in Verbindung stehe und ihm Aufnahme gewährt habe, so wissen Sie in der That mehr als ich.« »Das wollen wir gleich sehen. Stephan Stephanowitsch, bringe den Zeugen hierher!« Der Ober-Aufseher zog den sehr widerstrebenden Kellermeister herbei. »Ist dies der Mann, der Dir von der Ankunft des Fremden Nachricht gegeben hat?« »Ja, Euer Hochwohlgeboren - er ist der Haushofmeister des Herrn von Wolawski und hat schon lange mit Leidwesen - wie er sagt - das Treiben in diesem Hause beobachtet, bis er sich endlich entschloß, mir die Sache anzuvertrauen.« »Schuft!« sagte eine tiefe Stimme im Kreise. Der Beamte drehte sich rasch um: »Wer hat gesprochen?« - Niemand antwortete, aber der Kreishauptmann sah auf den Gesichtern einen so drohenden Ausdruck von Groll und Mißvergnügen, daß er es trotz der Anwesenheit der [332] Soldaten nicht für gerathen hielt, weitere Nachforschung anzustellen, sondern sich begnügte, das Verhör fortzusetzen. »Komm hierher Mann und fürchte Dich nicht, die Wahrheit zu sagen. Du stehst seit längerer Zeit im Dienste des Herrn von Wolawski?« »Seit dreißig Jahren!« stotterte der Kellermeister. »Ich diente treu dem seeligen Herrn!« »Und dennoch willst Du zum Verräther werden an dem Sohn?« sagte der Pole heftig. Der Alte warf ihm einen bösen Blick zu. »Gedenken Sie an die Hanka!« »Still Herr, mischen Sie sich nicht ein, oder ich muß Sie entfernen. Du hast also seit längerer Zeit Verdacht gehegt, daß Dein gegenwärtiger Herr zu den Rebellen gegen Deinen gnädigen Kaiser gehört und mit den Revolutionsmännern in Verbindung steht?« Nepomuck senkte den Kopf, dann sagte er mit verbissener Miene: »Da es nun einmal sein muß, ja - der Pan ist ein Rebell, er und die Frau auch! ich kann es beweisen!« Ein allgemeines Murren im Kreise folgte der Anklage. »Ist dies der Mann, der vor zehn Tagen zu Deinem Herrn gekommen ist und die Nacht über im Schloß blieb?« Er wies nach dem Grafen. Der Verräther musterte diesen mißtrauisch, dann meinte er zweifelhaft: »Ich weiß nicht - er scheint größer und war anders gekleidet - lassen Sie ihn die Mütze vom Kopf thun.« Der junge Pole trat vor. »Es ist unnöthig, das [333] Verhör hier fortzusetzen, Herr,« sagte er entschlossen. »Ich bin der Kapitain Marian Langiewicz, und wenn Sie das Recht zu haben glauben, mich zu verhaften, so thun Sie es!« Ein tumultarisches Geschrei, wilde Verwünschungen in der Menge folgten dieser kühnen Selbstanklage; man sah einige Männer unter den Gruppen der Bauern und Holzhauer diese zum Widerstand, zur Befreiung der Gefangenen aufreizen, aber noch war der Gedanke einer neuen Revolution im Volke zu wenig verbreitet, der offene Widerstand gegen das Militair zu gewagt, als daß man ihn hätte verursachen mögen, und als die Kosaken und Gendarmen sich rasch um den Kreishauptmann und die Gefangenen gesammelt hatten und ihre Karabiner schußfertig machten, war die Aufregung der Menge eben so schnell unterdrückt, wie sie entstanden war, und Viele machten sich sogar eilig davon. [»]Der Kreishauptmann lachte höhnisch, als er das Resultat sah und befahl, daß die Schlitten herbeigebracht würden. In einen derselben wurde Herr von Wolawski gesetzt, einer der Gendarme nahm neben ihm Platz und zehn Kosaken erhielten die Ordre, den Schlitten bis Konin zu escortiren und dort den Gefangenen im Kreisgefängniß abzuliefern. Die Wójts empfingen den Befehl, ihre Leute sofort nach Hause zu führen, so weit diese sich noch nicht selber davon gemacht und bei eigener Verantwortlichkeit für ihr ruhiges Verhalten zu sorgen. Der Oberförster, welcher die Jagd geleitet, übernahm es, mit seinen Leuten den Ur und die getödteten Wölfe [334] fortzuschaffen, und während die beiden dazu bestimmten Kosaken mit den Depeschen des Kreishauptmanns nach Norden und Osten abritten, um die beiden Infanterie-Commandos zu erreichen und zurückzurufen, waren die Schlitten bereit, um den Kreishauptmann mit seinem Gefangenen nach Bielavice zurückzuführen. Dies Alles war mit der größten Eile betrieben und seit der Verhaftung des Edelmanns noch keine Viertelstunde vergangen, als der Zug unter Begleitung der übrigen Kosaken bereits aufbrach. Herr von Timowsky hatte es nicht unbeachtet gelassen, daß die anderen, zur Theilnahme an der Jagd erschienenen Gutsbesitzer sofort nach der Verhaftung den Ort verlassen hatten. Ueber dem Allen war das frühe Winterdunkel eingetreten und das Tageslicht geschwunden, als der Platz, der noch vor Kurzem so aufregende Scenen gesehen, bereits gänzlich einsam erschien. Nur um die Hütte des Waldwärter Stenko sammelten sich mehrere dunkle Gestalten. »Sind Sie es, Pan Lemke?« »Ja Herr! warum verhinderten Sie mich, im rechten Augenblick die Bauern losschlagen zu lassen und unsere Freunde zu befreien? Wir hatten die Zahl auf unserer Seite!« »Aber nicht den Erfolg. Unsere Landleute, wenn auch von Russenhaß erfüllt, waren unvorbereitet und unbewaffnet. Die Ueberzahl konnte uns Nichts nützen. Ein guter Offizier erwägt alle Chancen. Sie zu benutzen, sehen Sie mich hier. Glauben Sie etwa, daß - weil ich [335] Sie fast mit Gewalt hinderte, nutzlos das Leben wackerer Männer gegen die Karabiner und die Lanzen der Kosaken und Gensdarmen auf's Spiel zu sehen, ich deshalb einen Versuch zur Befreiung unserer aufopfernden Freunde aufgegeben habe?« »Aber was wollen Sie thun?« »Das werden Sie sofort sehen. Graf Oginski muß auf jede Gefahr gerettet werden. Die Unvorsichtigkeit unserer Feinde hat uns dazu das Mittel geboten, indem sie ihre Macht durch den Transport der Gefangenen getheilt haben.« »Wo ist Stenko?« »Ich weiß es nicht - aber sicher nicht weit und nicht ohne Absicht. Vielleicht, daß es ihm gelingt, die Ordonnanz abzuschneiden, welche der Kreishauptmann an den Kommandeur des Bataillons gesandt hat.« »Woher wissen Sie dies?« »Der Knabe, den Jene nicht beachteten, hat es deutlich gehört, als die Ordre ertheilt wurde. Für die zweite Ordonnanz ist gesorgt.« »Und wer?« »Eine der Frauen, denen Sie in dem großen Kampfe, den wir vorbereiten, nur eine so untergeordnete Rolle anweisen wollen. Fräulein von Pustowojtów, die ich bereits als tüchtige Schlittschuhläuferin erprobt habe, ist über den See geeilt und wird den Boten, der den Umweg am Ufer entlang machen muß, sicher abfangen, ehe er die Posten der Infanterie erreicht.« »Ein Weib! was kann sie thun?!« [336] »Den Kosaken vom Pferde schießen. Sie hat meinen Revolver und versteht ihn zu brauchen!« Der Brillen-Ludwig zuckte die Achseln. »Ich baue nicht viel darauf und weiß auch nicht, was Sie damit bezwecken. Der Tod des Kosaken befreit unsere Freunde nicht. Was ist eigentlich Ihr Plan?« »Bielawice anzugreifen, sobald wir Nachricht von Stenko erhalten haben.« »Wie - wir zwei oder drei Mann?« »Sie irren Pan, und ich hoffe, daß Sie jetzt die Nothwendigkeit und die Vorzüge militairischer Taktik schätzen lernen werden. Hierher Woyczek!« Ein Mann im Bauernpelz trat aus dem Di[c]kicht, ihm folgten fünf andere. »Es sind Soldaten,« sagte der Kapitain, »zwar preußische Soldaten, aber zugleich wackere Polen, die ich jenseits der Gränze als Instruktoren für unsere zu bildenden Compagnieen zu gewinnen das Glück hatte. Sie sind sämmtlich von den Gütern des Grafen Czatanowski und das Glück hat sie gerade zur rechten Zeit herbei geführt. Ich erkannte diesen Mann, einen Unteroffizier, unter den Treibern, denen sie sich, gleich uns, angeschlossen, um der Aufmerksamkeit der Kosaken zu entgehen.« »Verlassen Sie sich auf mich Herr, es soll mir Spaß machen, dem Gesindel Eins zu versetzen.« »Ich hoffe es, wackerer Woyczek! Der Probst hat Euch gerade zur rechten Zeit gesandt. Sind die beiden Leute zu den Flössern?« »Euer Gnaden Befehl ist pünktlich befolgt worden.« [337] »Dann können Sie in zwei Stunden zurück sein. Gebe der Himmel, daß die Soldaten verhindert werden, früher einzutreffen. Aber lassen Sie uns nach der Hütte gehen und die Waffen aus den Verstecken holen.« Sie traten in das kleine Haus des Waldwärters, ohne jedoch vorerst zu wagen, Licht anzumachen, um nicht etwa die Aufmerksamkeit eines ihnen unbewußt zurückgebliebenen Spähers zu erwecken. Der Kapitain sandte seine Leute nach verschiedenen Seiten, um sich dessen zu vergewissern und führte dann die Vertreter der warschauer Comités zu dem nahen Holzhaufen. Hier begann er rüstig die Scheite auseinander zu werfen und ließ sich darin von den zurückkehrenden Posten unterstützen. Als die letzten Kloben entfernt waren, erblickte man im hellen Lichte des Mondes eine Grube, die zwar dem andern Erdboden gleich mit Moos und Holzspähnen bedeckt war, sich aber - als diese beseitigt worden, mit Gewehren, Säbeln, Picken und anderen Waffen gefüllt zeigte. Eine gute Anzahl derselben und reichliche Munition wurde herausgenommen und nach der Hütte gebracht, dann der Versteck mit dem Holz wieder zugeschichtet. Mit diesen Beschäftigungen war mehr als eine Stunde vergangen und es mochte jetzt etwa sieben Uhr Abends sein. Eine gewisse Besorgniß begann sich jetzt selbst der beiden Anführer zu bemächtigen, da noch immer von Stenko dem Waldwärter und dem Knaben Nichts zu hören war, während sie doch auf den Rath und die Hilfe des Alten bei ihren weiteren Unternehmungen gerechnet hatten. Der Kapitain hatte jetzt in genügender Entfernung [338] um die Hütte wohlbewaffnete Posten ausgestellt und fortwährend trafen einzelne Leute, rüstige entschlossene Männer aus verschiedenen Richtungen ein, die der Jagd am Mittag beigewohnt hatten und denen man Gelegenheit gehabt hatte, einen Wink zu geben, im Dunkel hierher zurückzukehren. Einige behaupteten sogar, daß dies nach ihrer Entfernung noch von dem Waldwärter selbst geschehen sei, den sie in der Richtung nach Konin, welche die Kosacken mit ihrem Gefangenen eingeschlagen hatten, mit einigen Leuten begegnet haben wollten. »Wir werden die Soldaten hier haben,« meinte unwillig der Oculiarnik - »wenn wir nicht bald zu einem Entschluß kommen. Ihre Mamsell wird schwerlich den Boten gehindert haben, sie uns über den Hals zu rufen.« »Wenn Sie Fräulein von Pustowojtów meinen, hier ist sie!« In der That stand in der geöffneten Thür der Hütte das junge Mädchen, athemlos, mit keuchender Brust und gerötheten Wangen, in ihrer Hand ein Papier schwingend und hinter ihr sah man das finstere Gesicht des alten Stenko. »Triumph - alle Beide! - Das ist ein gutes Zeichen! Herein mit Euch und rasch Ihre Botschaft, Henrietta!« Das Mädchen sprang auf den Kapitain zu und sank ihm an die Brust. »Hier Marian - lesen Sie, oh - es war schrecklich! Die starren Augen werde ich niemals vergessen!« Sie hatte dem Geliebten das Papier gereicht, der es rasch am Feuer entfaltete und las. [339] »Es ist, wie ich dachte! - die Ordre, sofort ein Detachement nach Bielawice zur Sicherung wichtiger Gefangener und Entdeckungen abzusenden. Wo trafen Sie den Kosacken? Pana?« »Es war in der That keine Zeit zu verlieren, fünf Minuten später und er wäre an dem Waldweg vorüber gewesen.« »Und der Bote - wo ist er?« Sie wandte sich ab. »Es galt Ihre Rettung, Marian. Zwei Kugeln fehlen in dem Revolver!« Sie legte die Waffe schaudernd auf den Tisch. »Ist der Schurke todt?« frug gefühllos der Oculiarnik. Sie nickte schweigend. »Um so besser. Wir müssen Leute hinsenden, um den Kerl in den See zu werfen, dort mag er faulen bis zum Frühjahr. Die Leute mögen sich am Geld bezahlt machen, das er sicher bei sich führt. Besorge das, Stenko - ha! was ist das - das erbärmliche Hundegesicht habe ich schon gesehen!« »Der Spion!« »Ah richtig, der sogenannte Haushofmeister des Herrn von Wolawski - der Schurke, der ihn verrathen hat und Zeugniß gegen ihn ablegte! Du bist ein kostbarer Bursche, Stenko - wie hast Du den Schuft in Dein Garn bekommen?« Es war in der That Nepomuk, der Haushofmeister oder Kellermeister des verrathenen Edelmanns, der mit auf den Rücken geschnürten Händen und jammervoll kläglicher Miene von zehn eben nicht säuberlichen Fäusten hinein [340] gestoßen, jetzt im Innern der Hütte stand, während hinter ihm die Spieße und sonstigen Waffen von etwa zwölf Männern ihn bedrohten. Der Waldwärter lachte in seiner grimmigen kurzen Manier vor sich hin. »Nicht ich, Der da!« Er tätschelte mit einer gewissen rohen Zärtlichkeit den Knaben Janko auf den Kopf, der, sich nicht wenig aufblasend, das Ende des Strickes hielt, an dem der ungetreue Diener gefesselt war. - Kapitain Langiewicz wußte bereits aus seinem mehrtägigen Aufenthalt bei ihm, wie der alte mürrische Waidmann zu behandeln war, und da es jetzt vor Allem galt, rasche und zuverlässige Nachrichten zu erhalten, übernahm er das Verhör in seiner Weise. »Du hast Alles gesehen, was hier vorgegangen, Alter?« »Gewiß!« »Dennoch sah ich Dich nicht, als wir uns trennten. Wann und warum hast Du Dich entfernt?« »Eins auf einmal!« »Also wann?« »Wie die Kosacken fort, auf Botschaft!« »So ist es Dir gelungen, den Schurken abzuschneiden?« »Nein!« »Teufel, das ist schlimm. Du mußt wissen, daß Fräulein von Pustowojtów -« »Weiß!« »Wir werden aber die Soldaten des Majors, der bei den Leuten blieb, die nach Kolo zurückmarschirten, in einer Stunde hier haben, wenn die Ordre sie erreicht hat!« [341] »Nein!« »Warum nicht?« »Brücke im Wald zerstört - brauchen mindestens zwei Stunden zum Umweg!« »Ah - Du hast die Brücken durch die Sümpfe zerstört? Dank, Kamerad - das zeigt von Umsicht und Entschlossenheit. Und weißt Du, was aus Herrn von Wolawski geworden?« »Morgen früh Konin, Gefängniß! Konnte es nicht hindern. Der da dafür!« »Ah - Du versuchtest, ihren Marsch zu unterbrechen?« »Und es glückte Dir nicht?« »Zu wenig Leute! Aber auf falschem Weg; werden bis morgen zu krebsen haben! Kleine Kröte fing Den da!« »Und wie?« »Unter die Kosacken geschlichen. Pferd die Flechsen durchhauen. Stürzte! Wir von zwei Seiten - Hussah! Waren froh davon zu kommen. Kümmerten sich nicht um den Lausekerl! Wackrer Junge der Kleine!« »Pan,« sagte der Knabe, »sagen Sie mir bei der Mutter Gottes, wo ist mein Herr der Graf? Er hat mir das Leben gerettet, und hätte mir der Mann hier nicht gesagt, es sei zu seinem Besten, ich wäre niemals mit ihm gegangen.« »Du hast wohl daran gethan und sollst belohnt werden. Bringt den Gefangenen herbei!« Der Kapitain hatte an dem Tisch Platz genommen, [342] in seiner Nähe, am Kaminfeuer, das jetzt wieder hell und lustig flackerte, saß die muthige Gouvernante, ihm gegenüber der Oculiarnik, der mit ungeduldiger, finstrer Miene dem Verhör folgte. »Was machen Sie für Umstände mit dem Schuft! Einen Strick und an den nächsten Baum mit ihm!« »Ich glaube vorher Besseres zu erzielen!« »Wie Sie wollen, nur machen Sie rasch. Ich will für den Burschen indeß die Schlinge drehen lassen!« Der Gefangene warf ihm einen bösen Blick zu, verharrte aber in seinem trotzigen Schweigen. »Tritt hierher Mann! Du bist der Kellermeister des Herrn von Wolawski und heißt Nepomuk Ostrowski, wie man mir gesagt hat?« »Wenn Sie's wissen, warum fragen Sie!« »Kennst Du mich!« »Do djabla! gewiß kenne ich Sie - und weiß jetzt, daß die Tölpel einen Falschen ergriffen haben! Aber ich hoffe, daß in dem Hause genug gefunden ist, um Ihren Freund an den Galgen zu bringen, auch ohne daß Sie ihm Gesellschaft leisten!« »Das hoffe ich nicht. Wie Du siehst, bin ich hier und frei, und bis morgen jenseits der Gränze. Wenn man Nichts weiter gegen Deinen Herrn vorbringen kann, als daß er mir Obdach und Schutz gewährt, und meine Person nicht einmal nachweisen kann, wird man ihn bald wieder freigeben müssen.« Der Gefangene lachte tückisch. »Täusche Dich nicht! Pan, und sei froh, daß Du Deinen Hals rettest. Der [343] Wolawski baumelt, so wa[h]r ich Nepomucen Ostrowski heiße, und ich habe ihn an den Galgen gebracht!« »Du?« sagte der Kapitain spöttisch -, was konnte ein Bursche wie Du thun, als höchstens einen Besuch verrathen. Herr von Wolawski war zu vorsichtig, um Dich in ein gefährlicheres Geheimniß blicken zu lassen, und daß Du nicht wieder schaden sollst, dafür werden wir sorgen!« »Und wenn ich zehn Mal hängen soll, ich thu's gern, da er mit d'ran muß - er und sie!« Der Kapitain zuckte statt der Antwort die Achseln. »Damit Ihr's wißt in Eurem stolzen Hochmuth und Dünkel, mit dem Ihr den Niedern, den Leibeigenen unter die Füße tretet! Sterben wird er als Hochverräther; die Papiere, die ich in die Hände der Polizei geliefert, sind genug, um hundert solche Verräther am Kaiser an den Galgen zu liefern und in diesem Augenblick ist sein Schicksal bereits entschieden - nicht umsonst haben der Stefanowicz und ich den Kreishauptmann nach Bielawice geholt!« Der Emigrant bemeisterte rasch das Erbeben, das ihn unwillkürlich durchrieselte bei der schlimmen Nachricht, die er auf so kluge Weise aus den Gefangenen herausgeholt; und er beschloß, in der eingeschlagenen Weise das Verhör fortzusetzen, indem er begriff, daß dies das einzige Mittel war, mehr zu erfahren. »Das sind Lügen,« sagte er. »Ich weiß, daß außer Herrn von Wolawski und seiner Gattin Niemand den Ort kennt, wo er seine Papiere aufbewahrt, und selbst die warschauer Polizei ist nicht schlau genug, ihn zu finden.« [344] »Aber der Haß des Unterdrückten, Mißhandelten thut es!« sagte der Gefragte triumphirend. »Was der Schlauheit der Polizei nicht gelang, sein eigen Kind hat es verrathen, und ich war es, der es dazu bewogen und den grünen Kasten mit den Briefen der Rebellen der Polizei übergeben hat! Nun Pan, glaubst Du's jetzt?« »Teufel in Menschengestalt! Verräther an Deinem Herrn und Deinem Vaterlande, was bewog Dich zu der Schandthat?« Der Kellermeister winkte mit dem Kopf nach dem Waldwärter hin. »Frage Den da, wenn Du's wissen willst!« »Du, Stenko?« Aller Blicke hatten sich nach dem Alten gekehrt, der finster auf den Verräther sah. »Bist dennoch ein Schurke, Nepomuk Ostrowsk[i]. Ein leibeigener Mann gehört dem Herrn mit Allem was sein ist, auch Fleisch und Blut!« »Fleisch und Blut!« lachte der Andere grimmig auf - »verflucht sei Deine hündische Kriecherei; wenn Du ein Mann gewesen wärst, so würdest Du dem Schurken eine Kugel durch den Kopf gejagt haben, als Du Deine Schande erfuhrst, statt das arme Kind aus dem Hause zu werfen und dem Elend preiszugeben, in dem sie längst verdorben und gestorben ist!« »Schweig,« rief der Jäger hastig, »sprich nicht von ihr! Er war des Herren Sohn, jetzt unser Herr! Hast Du nicht selbst geschwiegen?« »Vierzehn lange Jahre! Daß ich meinen Haß aber [345] nimmer vergesse, Stenko Siwak, das zeigt Dir der heutige Tag, und ich freue mich, daß er endlich gekommen, sie in ihrem Grabe zu rächen, muß ich auch dafür den Tod erleiden!« »Stenko Siwak?« frug eine frische, jugendliche Stimme - »heißt Du Siwak?« Es war der Knabe Janko der gesprochen. Der Alte wandte sich, in seinen düstern Gedanken gestört, unwillig zu ihm. »Was frägst Du, Bursche?« »Weil ich auch Siwak heiße, wie meine Mutter.« »Deine Mutter?« »Ja, Pan! Sie hat viel Noth mit mir gehabt, denn der Vater ist früh gestorben, wie sie mir sagte, und sie hat mich kümmerlich aufziehen müssen.« »Und sie war es, die Dir empfohlen, den Grafen Oginski hierher zu führen?« »Gewiß - zum alten Stenko, dem Forstwärter, wenn er noch lebte, am See von Sleszyn.« »Deine Mutter - wie heißt sie mit dem Taufnamen? Lebt sie? wo?« »Wanda Siwak! Sie wohnt in Warschau, woher wir kommen.« Der alte Jäger schlug die Hände vor das Gesicht. »Heilige Mutter Gottes - wäre es möglich - der Fluch wäre von mir genommen ...« Er faßte mit beiden Händen den Kopf des Knaben und kehrte sein Antlitz nach dem Feuer. »So wahr ich lebe - es ist ihr Gesicht, es sind ihre Augen, die mich unbewußt an sie mahnten, als ich ihn zuerst sah!« [346] Der Gefangene lachte höhnisch auf. »Hussah, Vater Stenko, gratulire zum Bastard! Der Vater am Galgen als Hochverräther, die Mutter eine Metze in Warschau - ein erbauliches Paar!« »Schurke!« - Er streckte die Faust gegen ihn - Kapitain Langiewicz stieß sie zur Seite. »Schäme Dich, Alter, überlaß ihn dem Strick, den er längst verdient hat. Fort mit dem Schuft und haltet Euch bereit, das Urtheil an ihm zu vollziehn!« - Er wandte sich in französischer Sprache an den Okuliarnik. »Wir haben jetzt gehört, was wir wissen wollten. Unsere Gegner sind in Besitz der Papiere des Herrn von Wolawski, die ihn und seine Familie verderben müssen, aber außerdem viele andere unserer treuesten Freunde, wenn sie in den Händen der Regierung bleiben. Wir müssen uns unter allen Umständen wieder in deren Besitz setzen, mit List oder Gewalt!« »Ich stimme für Gewalt!« sagte der warschauer Agent. »Eins nach dem andern - ich fürchte selbst, daß uns nichts Anderes übrig bleibt. Aber freilich ist dann Wolawski noch mehr compromittirt, während - wenn wir durch andere Mittel uns in den Besitz der Papiere setzen - die Untersuchung keine Beweise gegen ihn hat.« »Was fragt der Russe nach Beweisen! Wir müssen Ihren Stellvertreter befreien, Herr!« »Es ist leider die nächste Pflicht - so sei es denn! Wir haben kaum zwei Stunden Zeit, ehe das Militair eintreffen kann. Ehe wir jedoch zum Angriff schreiten, müssen wir unsere Streitkräfte sammeln und die der Gegner erkunden. Seien Sie versichert, daß Herr von Tymowsky gute Wache [347] halten wird. Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Kosacken, die den Kreishauptmann nach Bielawice begleitet haben?« »Ich habe sie gezählt - vierunddreißig Mann und den Kapitain.« »Wenn wir dem Schuft, der seinen Herrn verrathen, das Leben sichern wollten, könnten wir vielleicht erfahren, wie viele in Bielawice zurückgeblieben sind?« »Nimmermehr, der Kerl muß hängen!« »So müssen wir dem Glück und der Ueberraschung vertrauen. Indeß müssen wir doch versuchen, eine Verbindung mit unsern Freunden dort anzuknüpfen. Die einzige Person, die das vermag, wären Sie, Henriette! Haben Sie den Muth, sich in die Höhle des Wolfes zu wagen?« »Habe ich mit den wirklichen zu thun gehabt, werde ich mich nicht vor den zahmen scheuen. Ich bin bereit - was habe ich zu thun?« »Vorerst gehen Sie in jene Kammer und legen Sie eilig Ihre Verkleidung ab. Fräulein Pustowojtów, die Gouvernante, nicht die Bauerndirne muß nach Bielawice zurückkehren. Hier der Knabe soll Sie begleiten.« Während die Gouvernante sich zu dem Unternehmen rüstete, musterten der Kapitain und der Okuliarnik ihre geringe Mannschaft und vertheilten die Waffen. Es waren - den Jäger und die beiden Führer einbegriffen - nur siebzehn Männer vorhanden, die demnach mit einem mehr als doppelt starken wohlbewaffneten und geschulten Feinde es aufnehmen sollten. Man hoffte zwar, durch die ausgesendeten Boten einen Zuzug zu erhalten, aber man konnte nicht warten - die Zeit war kostbar. [348] Als Fräulein Pustowojtów wieder aus der Kammer trat, war man mit der Berathung des allgemeinen Plans zum Angriff, wozu auch Woyczek, der preußische Unteroffizier, gezogen worden, fertig. Der Kapitain unternahm es jetzt, das junge Mädchen zu instruiren über ihr Benehmen und das, was man von ihr erwartete. Es konnten aber nur allgemeine Instruktionen sein, das Weitere mußte ihrer eigenen Umsicht und Entschlossenheit überlassen bleiben. Der Knabe Janko sollte ihr dazu dienen, mit den zum Angriff Bereiten sich in Verbindung zu setzen. Wenn es möglich wäre, sollte ihnen der Eingang in's Haus geöffnet werden. »Und was machen wir indeß mit dem Gefangenen? Es wäre am Besten, wir knüpfen ihn an den nächsten Baum!« »Ueberlaßt ihn mir!« »Wie, Stenko - Du willst uns nicht begleiten? Wir rechnen auf Deine Büchse und Ortskenntniß.« »Stenko meint, er könnte bessern Dienst leisten. Er wird Euch die Soldaten vom Leibe halten, wenn sie kommen.« »Und wie willst Du das thun?« »Das ist meine Sache, Herr. Nur laß mich Abschied nehmen von diesem Knaben! Komm her!« Er nahm den Kopf des Jungen wieder zwischen seine Hände und küßte ihn auf das wirre Haar. »Polnisch Blut ist in Deinen Adern,« sagte er, »wenn es auch das eines Edelmanns ist! Ich bin Dein Großvater, Bursche, und die heilige Jungfrau allein weiß, ob [349] wir uns wiedersehen in dieser Welt. Aber sie hat mir Gnade durch Dich gegeben, darum sage Deiner Mutter, wenn Du sie siehst: der Stenko Siwa[c]k habe ihr vergeben und sie möge Dich zu einem treuen Polen erziehen und zu einem Feinde der Russen Dein Lebelang!« Er machte drei Mal das Zeichen des Kreuzes über ihn und führte ihn zu dem Mädchen. »Geht jetzt - Eure Zeit ist kurz. Und hier nehmt meine alte Büchse mit, Ihr werdet sie brauchen, denn zu dem, was ich vorhab', bedarf ich nicht der Waffen, nur den Beistand der Heiligen!« »Jetzt zum Letzten!« sagte der Okuliarnik. »Landsleute, Polen! Was hat jener Mann verdient, der einen Polen an unsere Tyrannen verrathen hat?« »Den Tod!« Der Ruf lief ringsum in der Männerschaar, die bereits die Hütte verlassen hatte. »Stenko Siwa[c]k - Du verlangtest ihn vorhin! Bist Du bereit, das Henkeramt an ihm zu übernehmen?« »Ich bin's!« »Du schwörst es?« »Ich schwöre!« »So übergebt ihm den Gefangenen. Was Du auch zu thun gedenkst, wenn es Dir gelingt, die Soldaten zwei Stunden aufzuhalten, wirst Du der Sache des Vaterlandes einen hohen Dienst geleistet haben. Der Gott der Freiheit sei mit Dir und schütze Dich! Vorwärts, Kameraden!« Der Kapitain war mit der Gouvernante und dem Knaben bereits in der Richtung nach dem Edelhof voran gegangen, - der Okuliarnik mit dem bewaffneten Trupp [350] folgte ihm jetzt und der Forstwärter, der den Letzten des Trupps eine geheime Weisung zuflüsterte, blieb mit dem Gefangenen allein und winkte ihn nach der Hütte zurück. Die alte finstere Stimmung und Redeweise, die das Wiederfinden des Enkels für eine kurze Zeit unterbrochen hatte, schien jetzt wiedergekehrt, während er ihm gegenüber am Tisch saß, nachdem er das Feuer im Kamin mit einigen Klötzern neu angefrischt und die Verhüllung der kleinen Fenster entfernt und sie geöffnet hatte. Das Geräusch der Abziehenden war bald verstummt. »Gott sei Dank, daß sie fort sind!« unterbrach endlich der Kellermeister die Stille. »Nun geschwind, Bruderherz, löse die Stricke!« »Die Stricke? - welche Stricke?« »Dumme Frage! - natürlich die, mit denen die Hundssöhne, - der Teufel hole sie und ihre Mütter! - mir die Arme zusammengeschnürt haben. Sie fangen an, lästig zu werden!« »Mußt's noch kurze Zeit ertragen!« »Aber warum? - Sie sind fort und es ist am Besten, wenn ich mich aus dem Staub mache, eh' sie etwa umkehren. Es war ein kluger Streich, daß Du Dich erboten, mich zu bewachen. Ich werd' Dir's gedenken, Stenko! sicher - ich schwör' Dir's!« »Schwöre nicht! Du hast keine Zeit dazu!« »Keine Zeit - was willst Du damit sagen?« »Daß ich auch geschworen habe!« »Du - was?« »Das Urtheil an Dir zu vollstrecken?« »Urtheil - welches Urtheil? Sie sind nicht meine Richter - nur das Gericht in Konin.« »Wohin Du Deinen Herrn geschickt hast! Du mußt sterben, Nepomuk Ostrowski?[!]« Der Verräther, der seinen Anklägern gegenüber so keck getrotzt, erbebte jetzt dem einzelnen Manne gegenüber. »Sterben? - Du bist ein Narr, Stenko! Du wirst doch einen alten Freund nicht ermorden, weil er Dich und sich an einem Schurken von Edelmann gerächt hat!« »Er ist unser Herr! Du hast nicht allein ihn, Du hast Polen verrathen!« »Unsinn, Stenko! - bind' mich los - mach' ein Ende! Wir waren stets gute Kameraden und ich hätte Deine Tochter geheirathet, wenn sie nicht ...« »Sie mochte Dich nicht! - Es hilft Alles Nichts, Mann - Du bist verurtheilt von Deinen Landsleuten und mußt sterben - mache Dir die Sache nicht schwerer, als sie ist.« »So willst Du wirklich Hand an mich legen?« »Nicht ich - Deine Freunde, die Russen, sollen es thun!« »Wie - Du willst mich ihnen ausliefern?« »Ja!« »Ich wußte es wohl, Stenko, Du hast doch ein gutes Herz und hältst auf einen alten Freund!« »Glaub's selbst! - Jetzt schweig und mach mich nicht wild! - Bleib hier sitzen, wo Du bist und rühre Dich nicht - oder bei der Mutter Gottes von Czenstochau, ich schlage Dir den Schädel ein!« [352] Der treulose Diener schwieg - er kannte seinen Gefährten und wußte, daß er im Stande sei, Wort zu halten. Der alte Forstwärter setzte sich an das Fenster und schien nach der Ferne zu lauschen. Endlich öffnete er die Thür und ging hinaus, um besser zu horchen. Durch die geöffnete Thür fuhr rauh der eisige Nachtwind, daß der Gefangene häufig zusammenschauerte. Dennoch wagte er anfangs nicht, das Gespräch zu erneuern. So war wohl eine Stunde vergangen. Vor der Hütte stand der Alte, die Arme gekreuzt und horchte aufmerksam bald nach der Richtung von Bielawice, bald nach der entgegengesetzten hinein in den Wald, wo der jetzt verschneite Weg durch die Sümpfe von der großen Straße nach Kolo im Osten des Sees herüber führte. Plötzlich fuhr er auf - es war, als hätte er in der Entfernung ein Geräusch gehört - freilich noch weit - aber sein scharfes an den Wald gewöhntes Jägerohr hatte es doch vernommen. »Jetzt wäre es Zeit! - Und bei Gott, ich glaube wirklich, sie sind drauf und dran!« In der That klang es von der andern Seite wie eine entfernte Salve von Flintenschüssen. Durch den Wald her wirbelte eine Trommel. Der Alte war im Nu in seiner Hütte, stürzte sich auf den Kellermeister, der überrascht fragen wollte, was geschehen, und warf ihn zu Boden. Dann stopfte er ihm ein Tuch in den Mund und schnürte ihn an den schweren Eichentisch fest. Es war das Werk weniger Augenblicke, in der nächsten [353] Minute war der Forstwärter aus der Hütte verschwunden und rannte nach dem Walde zu. Der Trommelwirbel kam näher - dann schwieg er - die Nahenden hatten das Licht aus den Fenstern der Hütte gesehn. Zugleich hatte Stenko sie erreicht. »Der Mutter Gottes von Kasan sei Dank - das sind Soldaten des Kaisers! Wo ist der Herr Offizier? Bringt mich zum Herrn Offizier!« Der Alte, der auf ein Mal seine Schweigsamkeit abgelegt, sprach Russisch so geläufig wie ein Vollrusse. Es waren in der That Soldaten - eine ganze Compagnie - von der Garnison von Kolo, dieselbe, welche am Morgen und Mittag die Chaine im Osten der Sümpfe gebildet. Der dicke Major mit der Kupfernase befand sich dabei. »Halt!« - Die Kolonne, der man die ungewöhnlichen Beschwerden dieses Nachtmarsches ansah - jeder Einzelne oft bis über die Hüften mit Schmutz und Schnee bedeckt - stand. »Bringt den Kerl hierher! Verflucht sei der Hundeweg!« Der Offizier an der Töte der Kolonne führte selbst den Forstwärter zu dem Major. Flüche und Verwünschungen über den Weg, die zerbrochene Brücke, die sie zu einem langen Umweg gezwungen, wurden ringsum laut. »Was ist das für ein Licht dort?« »Das Forsthaus am See, Euer Gnaden, wo der Weg über das Eis nach Bielawice geht. Der Wind läßt das Schießen von dort hören!« [354] »Höll und Teufel - was für ein Schießen?« »Die Bauern haben Rebellion gemacht, weil der gnädige Herr Kreishauptmann den Herrn von Wolawski verhaften mußte. Sie wollen ihn und die Frau mit Gewalt befreien!« »Jebi waschu mat! - Der Teufel hole den Umweg, den wir machen mußten - wir kommen am Ende zu spät! Wer bist Du, Kerl - wo kommst Du her? Wo geht der nächste Weg nach Bielawice?« Der Waldwärter antwortete mit einer Gegenfrage. »Sind Euer Gnaden der Herr Offizier aus Kolo, nach dem der Herr Kreishauptmann vor vier Stunden den Kosaken geschickt hat?« »Zum Teufel, ja!« »Dann eilen Euer Gnaden sich - die Herren Soldaten aus Konin sind auch ausgeblieben - ich soll ihnen entgegen!« »Marsch - umgedreht, Du zeigst uns den Weg!« »Es ist nicht nöthig, Euer Gnaden, der Weg ist nicht zu verfehlen, quer über den See - rechts und links die Stangen mit den Schoben! - Sie können einen bessern Führer haben als mich; drüben im Hause liegt der Schurke Nepomucen Ostrowski, der Vertraute des Herrn von Wolawski und ein Verräther am Kaiser wie er! Er soll Succours von den Bauern haben, aber ich habe ihn bewältigt und festgebunden. Wenn Euer Gnaden ihn zwischen die Bayonnette nehmen und nur nicht auf seine Lügen hören, kann er Sie blindlings nach dem Edelhof führen, den Rebellen in den Rücken.« [355] Der Offizier, der den Forstwärter hergeführt, trat wieder heran. »Lieutenant Dubinski vom Vortrab meldet, daß es ihm vorkomme, als höre er entferntes Schießen!« »Wie weit noch bis Bielawice?« frug der Major zum Forstwärter gewendet. »Ueber den See vier Werst - auf dem Weg durch's Land acht!« »Setzen Sie die Compagnie in Geschwindmarsch, Hauptmann Dolgurow, gerade aus nach dem Ufer! Zeig' uns dahin, Freund! Ein Unteroffizier und vier Mann nach dem Jägerhaus - sie sollen den Kerl losbinden und herbeischleppen. Nehmen Sie selbst den ersten Zug und den Halunken zwischen die Bayonnette. Wenn er sich weigert oder die geringste Verrätherei zeigt, kaltes Eisen durch den Leib! - Vorwärts!« »Euer Gnaden werden mir doch eine kleine Belohnung geben?« Der alte Forstmann war wohl schlauer, als irgend Jemand unter seinem finstern, mürrischen Wesen gesucht hatte. Grade die Dreistigkeit seiner Lügen und die Berufung auf den Kreishauptmann hatte ihm den vollen Glauben des Majors gewonnen - die Bettelei hätte vollends jeden Zweifel beseitigt. »Idi k tschertu, swototsch! - Geh' zum Teufel, Schurke - und laß Dich von dem Offizier aus Konin bezahlen! - Vorwärts! vorwärts!« Als das Gros das Seeufer erreichte, wo - obschon der Mond jetzt von Wolken bedeckt war - die auf dem Eise zur Bezeichnung des Weges aufgerichteten Stangen [356] deutlich erkennbar waren, schleppten die Soldaten bereits den unglücklichen Kellermeister herbei, der sich vergeblich in Betheuerungen erschöpfte und ohnehin nur wenig Russisch verstand. Doch genügte es, ihm klar zu machen, daß man von ihm zunächst nur die Weisung des richtigen Weges über das Eis verlangte, und da er wußte, daß er nur den Stangen zu folgen brauchte und glaubte, daß die Ankunft der Soldaten seine Rettung gewesen und jetzt seine Sicherheit sei, - marschirte er unbesorgt voran. An dem Ufer des Sees, vom Schilf verborgen, stand der Waldwärter, hämisch vor sich hin lachend. »Guten Weg, Nepomucen Ostrowski - und möge Euch Alle der Teufel holen!« - Dann schlich er, mit einem herbeigeholten Holzbeil versehen, vorsichtig der Colonne nach. Je weiter der Zug kam, desto deutlicher hörte man jetzt Schüsse; man befand sich etwa auf der Mitte des Uebergangs, doch war von dem vorliegenden Ufer noch Nichts zu sehen, da hier dichter Bruch dazwischen lag. Dagegen schimmerte rückwärts, wie ein entfernter Stern, das Licht in der Hütte des Waldwärters. Plötzlich hielt die Spitze der Kolonne. »Was ist's? - was giebt's?« Der Major wickelte das rothe Gesicht aus den Falten des Bashliks, als der Soldat, der sein Pferd führte, stehen blieb. »Die Stangen fehlen, wir müssen den Weg verloren haben!« »Was - will der polnische Halunke uns irre führen? Gebt ihm die Ladestöcke zu kosten, wenn er sich weigert!« Der Major trieb sein Pferd an und ritt vorwärts - [357] es war keine Stange auf der mit dünnem Schnee bedecketen Eisfläche mehr zu sehen, der Kellermeister krümmte sich unter einigen kräftigen Hieben, mit denen die Soldaten seine Schultern maßen. »Was weiter - es wird von hier nicht mehr nöthig sein, da der Weg nicht mehr zu verfehlen ist. Von dort her trägt der Wind den Knall herüber - vorwärts gradaus!« Die Kolonne setzte sich wieder in Marsch - plötzlich ein mehrstimmiger Schrei - man hörte es krachen und brechen - ein Plätschern und Ringen, den Ruf um Hilfe! Die vier vordersten Soldaten waren durch das Eis gebrochen an einer allzu dünnen Stelle, die sie betreten. Sie kämpften im Wasser, von der schweren Belastung mit Mantel und Bewaffnung in die Tiefe gezogen; - mehrere sprangen auf den Befehl der Offiziere zu, um zu helfen - aber unter noch Dreien brach das Eis; - man war offenbar vom richtigen Wege abgekommen und auf eine der warmen Wasseradern gerathen, deren es namentlich an den südlichen Ufern des Sees so viele giebt. Es gelang nur, vier der Eingebrochenen zu retten, drei versanken in die Tiefe. Der Major wüthete. »Durak! Skotina!41 willst Du uns ersäufen, Du Hund?« - Er hieb den unglücklichen Kellermeister mit der flachen Klinge über den Kopf, daß er schreiend zusammenbrach. Auf seinen Befehl stachelten ihn die Bayonnette der Soldaten wieder empor. [358] »Jetzt, Hund, zeig' den richtigen Weg, oder es ist Dein Letztes!« Der Mißhandelte taumelte empor - er wies hierhin - dorthin - selbst wenn er seine volle Besinnung gehabt hätte, würde er sich in der nur vom Glanz des Schnees erhellten Nacht nicht haben orientiren können. Der Gedanke an die Drohung des Waldwärters: die Russen selbst sollten das Henkeramt an ihm für den begangenen Verrath üben, - schoß ihm durch den Kopf und er versuchte, die an ihm begangene Täuschung zu erklären und seine Unschuld zu betheuern. Aber die Soldaten, ohnehin von den Anstrengungen des Marsches erbost, waren durch den Tod ihrer Kameraden zu erbittert, um auf die mangelhaften Erklärungen auch nur zu hören, und Kolbenstöße trieben ihn unbarmherzig vorwärts. Die Kolonne, jetzt zusammengedrängt und deshalb um so leichter der Gefahr des Einbrechens ausgesetzt, drängte nach einer anderen Richtung - die Offiziere voll Eifer und Aerger, denn das Schießen drüben im Westen wurde jetzt immer deutlicher und rasch aufeinander folgend hörbar. Wieder krachte das Eis - diesmal unter der gewaltigen Last in langen Sprüngen, Menschenhaufen stürzten übereinander, mehre entflohen nach verschiedenen Richtungen, aber bald zeigte ihr Hilferuf, daß sie um so rascher in die Gefahr zu ertrinken gerathen waren - nur die wunderbare willenlose Disciplin der russischen Soldaten hielt die Kolonne zusammen. »Halt! - zurück! Nach den nächsten Stangen zurück [359] - von dort werden wir finden! - Her den Spion, den Schurken zu mir!« Das Kommando des Obersten wurde erfüllt - Nepomuk zu dem Pferde geschleppt; einer der Offiziere hatte die letztpassirte Stange mit dem Schobenbusch erspäht - doch vergeblich suchte man von dort die andere, rückliegende, die doch kaum zweihundert Schritt von ihr entfernt gewesen war, als man sie vorhin passirte - nirgends das Geringste zu sehen, die Wegweiser im Rücken schienen gleichfalls verschwunden und selbst als der Mond einen Augenblick aus einem Zwischenraum des dunklen treibenden Gewölks hervortrat und seinen falben Schein über die weite Eisfläche warf, war keine Spur von den früheren Wegzeichen weit und breit zu sehen. Stenko hatte in der That seine Zeit nicht verloren. Was die Begleiter des Kapitain Langiewicz und des Oculiarnik von der bezeichneten Entfernung auf dem Wege vorwärts gethan - die Entfernung der Warnzeichen - das hatte der finstere Mann unbeachtet hinter den marschirenden Soldaten her gethan. Es konnte kein Zweifel sein - die Compagnie hatte die Richtung des Weges vollständig verloren. Doch nein - Gott und den Heiligen Dank! - dort - dort - der Stern! Nein, es ist das Licht aus der verlassenen Hütte des Waldwärters - dahin galt es zurückzukehren und von dort aus den Marsch auf dem Landweg anzutreten. Die Unvorsichtigen! - sie hatten ohne die Tücke des grimmen Stenko gerechnet und vergessen, welchen Bogen [360] sie auf dem Eise gemacht, um hierher zu gelangen. Das war es, was der Pole gewollt - in der graden Richtung nach seiner Hütte lagen eben die schlimmsten Wunen und gefährlichsten Stellen und nur der Instinkt des edlen Ukrainers, der am Abend vorher die Gouvernante über den gefährlichen Eisspiegel vor den nachheulenden Wölfen geführt, und der diesen Weg schon öfter gemacht, - hatte Fräulein Pustowojtów vor dem Tode des Ertrinkens gewahrt, um sie schließlich von den Zähnen der Bestien zerfleischen zu lassen, wenn nicht die Entschlossenheit des Emigrirten sie gerettet hätte. »Fest entschlossen! Gradaus auf das Licht! Kapitain Dolgurow, zwanzig Schritt vor der Kolonne zehn Mann als Vortrab! Sie sollen den Schurken vorangehn lassen, das Bayonnet ihm am Rücken und zugestoßen ohne Gnade, wenn er nicht richtig führt!« Der Major war vom Pferde gestiegen, er hielt sich nicht mehr sicher auf den fremden vier Beinen. Der Kellermeister wurde halbtodt vorwärts gestoßen, - neben ihm ging der Kapitain der Kompagnie, ihn am Arm festhaltend auf der andern Seite ein Unteroffizier - zwei Soldaten hinter ihm kitzelten ihm mit den Bayonnetten die Seiten. In der Entfernung von zwanzig Schritten folgte die Kompagnie. Da - ein Krachen und Bersten bis unter die Füße der Kolonne, die eilig zurück und zur Seite flüchtet - Risse und Spalten, durch welche das Wasser herauf quillt - und vorn ein entsetzlicher Schrei - ein Todesschrei! - zwei Bayonnette durchstoßen einen Menschenleib [361] - ein Blutstrom färbt Schnee und Eis - - ein Plätschern und Ringen im See, der hier seine tiefsten Stellen hat, und von dem Offizier, von dem Gefangenen und von seinen Wächtern - Nichts! Nichts! Aber von dem Ufer herüber, das kaum noch dreihundert Schritt entfernt ist, klingt es wie grimmiges Hohnlachen, der ferne Ruf: Zgie Pólska!Gehorsamst der K. Polizei-Commissar Droszdowicz.«