Villafranca
oder
Die Kabinete und die Revolutionen.

von

Sir John Retcliffe

Zweiter Abschnitt:

10 Jahre!

Historisch politischer Roman aus der Gegenwart.

Zweiter Band.

Zur Reaction!

Schnell-Galgen!

1. Die Belagerung von Temesvár.

Zwei Festungen und ihre tapferen Vertheidiger erwarben sich während des ungarischen Krieges unsterblichen Ruhm:

Komorn und Temesvár.

Das erste vertheidigte der Ungar Klapka gegen die wiederholten Angriffe der österreichischen Armee, das andere hielt in einer hundert und siebentägigen Belagerung der österreichische Feldmarschall-Lieutenant Baron von Ruckowina gegen einen überlegenen Feind unter so unsäglichen Leiden und mit einer so heroischen Aufopferung der Besatzung, daß nur die Vertheidigung Saragossa's diesem Kampf an die Seite zu stellen ist.

So erwarben beide Fahnen einen glänzenden und über den Sieg und die Niederlage hinweg dauernden Ruhm - und sie bedurften für die Nachwelt desselben; denn die eine ward in diesem wilden und entsetzlichen Krieg der Nationalitäten durch Uebermuth und Verrath, - die andere durch die Grausamkeit unversöhnlicher Rache besteckt.

Wir haben im vorigen Band in kurzen Zügen den

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Beginn der ungarischen Erhebung bis zur Unabhängigkeits-Erklärung des Debrecziner Reichstags am 14. April 1849 und dem Anrücken der russischen Truppen gegeben und führen diese zur Verständniß der Geschichte weiter bis zu dem Tag der Wiederaufnahme der persönlichen Scenen.

Der Bruch zwischen den beiden Führern der ungar'schen Revolution: Kossuth und Görgey; - war durch den kühnen Schachzug des ersteren, am 14. April, von dem Reichstag zu Debreczin das Haus Habsburg-Lothringen des ungarischen Thrones verlustig, und die Republik erklären zu lassen, nur größer geworden und vergeblich jeder Versuch zur Verständigung durch die beiderseitigen patriotischen Freunde. Gegenüber den Tendenzen der republikanischen Umgestaltung wollte Görgey, in offenbar richtiger Beurtheilung der Stimmung des Volkes und Heeres, eine Aussöhnung mit dem Kaiserhause, und seine politischen Wünsche gingen über die Märzerrungenschaften nicht hinaus. Kossuth, um den Einfluß seines Nebenbuhlers auf die Armee zu entfernen, ernannte ihn zum Kriegsminister; Görgey arbeitete auf die Isolirung des Diktators und die Beseitigung der Polen.

Die Verhandlungen des Kabinets von Ollmütz wegen Intervention Rußlands, deren wir bereits im ersten Band erwähnt, waren unterdeß zum Abschluß gediehen, um so rascher, als eine Ausdehnung der ungarischen Revolution, die zum Theil unter polnischen Führern stand, Rußland selbst bedrohen mußte. Ein russisches Corps unter Lüders drang am 19. Juni durch den Rothethurmpaß in Siebenbürgen ein, schlug die Magyaren und besetzte Hermannstadt, indessen auch die Oesterreicher im Süden wieder vordrangen

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und sich - im Juli - Kronstadts bemächtigten. Die russische Hauptmacht unter Paskewitsch, an 130,000 Mann stark, rückte durch Galizien in Ungarn ein; Bem wurde aus dem nördlichen Siebenbürgen zurückgedrängt, und nach einer vergeblichen Diversion gegen die Moldau bei Schäßburg am 31. Juli geschlagen, während eine russische Division, unter Paniutine, sich der Operation Haynau's, des neuen kaiserlichen Oberfeldherrn, an den beiden Ufern der Donau anschloß.

Das Zerwürfniß zwischen Kossuth und Görgey, den man gezwungen wieder an die Spitze der Armee gestellt, war jetzt offen zum Ausbruch gekommen. Der General weigerte sich, den Befehlen der Regierung, sich hinter der Theiß zu concentriren, nachzukommen, verweigerte den Oberbefehl niederzulegen und setzte den Kampf bei Komorn fort. Am 2. und 11. war dort heftig gefochten worden, aber Görgey vermochte nicht, die österreichischen Linien zu durchbrechen, oder wollte es nicht mehr, und trat den Rückzug nach der Theiß und Szegedin an, wohin die revolutionaire Regierung sich geflüchtet hatte. Raab war von den Kaiserlichen erstürmt, Ofen und Pesth besetzt.

Nicht so glücklich hatte im Süden Jellachich in der Bácska operirt. Zwar hatte er am 7. Juni die Magyaren unter Perczel geschlagen und Peterwardein cernirt, aber bald nachher capitulirte Arad, und ein unglückliches Treffen bei Hegyesch am 14. Juli nöthigte den Banus, die Bácska zu räumen.

Nach der Einnahme von Siebenbürgen hatte sich das 5. ungarische Armee-Corps gegen Temesvár gewandt, um

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diesen einzigen und wichtigen Punkt zu brechen, den die Kaiserlichen noch zur Vertheidigung des Südens - des Banats hatten.

Es mag vielleicht eigenthümlich sein in einem Roman, wenn wir hier einen kurzen Auszug aus dem militairischen Tagebuch der Belagerung vom 25. April bis zum 9. August folgen lassen, - aber wir wollen mit unserm Roman ja nur die Bilder der Zeit in der Seele unserer Zeitgenossen in lebendigeren Formen wachrufen und wach erhalten, als die Erinnerung oder die Gleichgültigkeit sonst thut.

Und gleichgültig hat gewiß so mancher Leser die Zeitung aus der Hand gelegt, in der gemeldet worden: »Die Ungarn belagern Temesvár,« oder »Die kaiserliche Besatzung vertheidigt tapfer die Festung« - vielleicht nicht ein Mal ein Wort von dieser tapfern Vertheidigung, denn die Nachrichten flossen damals spärlich und die Kommunikation war abgeschnitten. Was denkt sich der flüchtige Leser überhaupt von der Belagerung und Vertheidigung einer Festung bis zum letzten Mann?

Er soll es auf diesen Blättern erfahren lernen! Man lehrt uns schon auf den Schulbänken, fast in der Kinderstube schon die Großthaten der Vergangenheit bewundern - das patriotische Opfer eines einzelnen Curtius oder Mutius, irgend eine geringe Schlacht der Römer und Griechen, und gleichgü[l]tig, ohne Theilnahme, gehen wir an den mehr als heldenmüthigen, an den erhabenen Aufopferungen der Treue und Tapferkeit vorüber, die wir doch selbst mit erlebt, selbst mit gesehen. Und hätte unser Buch keinen andern Erfolg, als daß es die eine, einzige Großthat jenem

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Meer ohne Ufer entreißen wird, wohin so vieles Schönes und Großes geht, dem Meer der Vergessenheit! - wir würden zufrieden sein mit diesem Erfolg!

Wir rollen dieses Bild voll Blut und Tod, voll Leiden und Heldenmuth vor dem Leser auf aus einem Aktenstück, das - unbekannt der Welt - in den österreichischen Militair-Archiven vermodert; denn von dem nachfolgend in kurzem Auszug gegebenen Tagebuch des braven - längst den Todten angehörigen - Kommandanten der Festung, dem Kaiserlichen Feldmarschall-Lieutenant Baron Ruckowina existirten nur fünfzig metallographirte Abzüge, die nie in die Oeffentlichkeit gekommen, sondern nur an jene Generale der Armee gesandt worden sind, deren Gewerbe im langen Leben sie gleichgültig gemacht hat gegen Elend und Blut.

Der Leser wird sich überdies erinnern, daß die Gräfin und die Comteß Pálffy, von der Freischaar des Walachen-Tribuns Jankó bei der Massacre von Enyád gefangen genommen, sich in den Schutz eines Streifcorps des Grafen Leiningen gegeben hatte, das den Walachen nachgesandt worden und daß die nicht unwichtigen Gefangenen von diesen Truppen auf ihrem Rückzug vor den übermächtig herandrängenden Ungarn mit nach Temesvár geführt worden waren. Der Leser findet somit hier das allgemeine Schicksal bekannter Gestalten, bis sie auf's Neue mit ihren Schmerzen und Leidenschaften handelnd in unsere Geschichte eintreten.

Der Kommandant der Festung müßte kein erfahrener Militair gewesen sein, wenn er nicht längst vorausgesehen, daß die Revolutionsarmee nach der Besetzung Siebenbürgens

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sich bald in das fruchtreiche Bannat wenden würde, und demgemäß so viel als möglich seine Vertheidigungsanstalten getroffen hätte. Von Temesvár aus war unterm 8. Februar die Festung Arad neu verproviantirt worden und es galt daher um so mehr den Abgang zu ersetzen, als die ursprüngliche Aprovisionirung der Festung nur auf 4000 Mann festgesetzt war, während zu ihrer Vertheidigung eine Besatzung von mehr als 13000 Mann nöthig ist.

Unter dem Schutze des nur langsam zurückweichenden Streifcorps Leiningen wurde die Aprovisionirung für 6000 Mann auf 3 Monate erhöht.

Temesvár ist auf morastigem Grund gebaut, fast rings außer Kanonenschußweite von Wald umgeben. Die Ableitung der Festungsgräben hatte deren Tiefe bedeutend durch den zurückbleibenden Schlamm gemindert, - die Fundamente der Festungsmauern, namentlich des Hauptwalls, waren gesunken, so daß an ein Etagenfeuer nicht zu denken war. Die Zahl der bombenfesten Gemächer und Räume war überaus gering, da sich in der Festung nur 75 größere und 91 kleinere Defensions-Kasematten befinden, die schon für die Aprovisionirung so wenig ausreichten, daß bei vollem Stande der Garnison kaum der 9tägige Vorrath gesichert verwahrt werden konnte. Außer diesen Kasematten waren nur noch das Spital - nur auf einen Krankenbestand von 600 Mann berechnet! - das Verpflegungsmagazin und die Siebenbürgener Kaserne bombensicher - alle übrigen Militairgebäude und die Privathäuser der Stadt von leichtem Bau. Schwer gefährdet war die Festung außerdem im Süden und Westen durch die beiden großen

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Vorstädte Fabrick und Josephstadt, deren Häusergruppen bis an die Werke vorgeschoben sind und gleich dem Damm am Begakanal vom siebenbürgener bis zum peterwardeiner Thor, dem Dorf Michala im Nordosten und den vielen nahen Meierhöfen die Arbeiten des Feindes sousteniren. Aus der Vorstadt Fabrick bezog die Stadt und Festung dazu durch Röhrenleitung ihren ganzen Wasservorrath. Die Stadt selbst zählte 6000, die Vorstädte zählten 12-14000 Bewohner, von denen die deutschen und jüdischen übelgesinnt, die illyrischen und walachischen wenigsten[s] gleichgültig waren.

Der Kommandant ließ sofort, da offenbar die Vorstadt Fabrick nicht zu halten war, zahlreiche neue Brunnen in der Stadt graben, die nur zum Theil auf dem morastigen Grund ein erträgliches Wasser gaben, und die schwache Garnison aus der Umgegend recrutiren.

Die Besatzung bestand, als die Thore der Stadt am 25. April geschlossen wurden, einschließlich des befestigten vorgeschobenen Lagers aus 4 Generalen, 1888 Offiziere, 8659 Soldaten - von denen 4494 neu geworbene Rekruten waren! und 1272 Pferden. Die Artillerie zählte im Ganzen nur 251 Mann, während sie 1200 aufweisen sollte, das Geniecorps nur 17 statt des Etats von 92, Geschütze verschiedenen Kalibers waren für den ganzen Umkreis statt 290 nur 213 vorhanden - für jedes Geschütz etwa ein Artillerist! - da das ungarische Ministerium früher die Vorräthe geplündert. Eben so war keine Geschützmunition fertig - zum Glück aber Pulver hinreichend vorhanden. Die Rekruten konnten weder Montur noch

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Wäsche, nur Gewehre erhalten, an allen Bedürfnissen war der größte Mangel. Unter diesen schwierigen und fast erdrückenden Verhältnissen begann die Vertheidigung in der durch einzelne Nachrichten bestätigten Erwartung, daß alsbald ein Entsatz folgen würde.

Wir lassen jetzt die Auszüge des Tagebuchs in seinen einfachen Worten folgen.

Der Feind marschirt in starken Kolonnen auf allen Straßen gegen Temesvár, das Streifcorps des Grafen Leiningen geht in das verschanzte Lager am Glacis zurück.

Der Feind besetzt die Vorstadt Josephstadt, verläßt dieselbe aber wieder auf die Bitte der Gemeinde, der - wegen ihrer schlechten Gesinnung bekannt, - der Kommandant das Bombardement angedroht hat.

Auf allen Straßen rücken feindliche Verstärkungen in die Linie, zufolge Kundschafter-Nachrichten 12-15000 Mann mit 80 Geschützen.

Der Feind hat zwischen der Josephstadt und Freydorf sein Lager aufgeschlagen.

In der Nacht Geplänkel der Patrouillen.

Wachtmeister Czyrowski von Schwarzenberg-Ulanen, in der Nacht mit 6 Ulanen gegen Remeto (an der Baga) gestreift, hat die an der Brücke beschäftigten feindlichen Pioniere überfallen, 1 Oberlieutenant, 1 Wachtmeister, 10 Gemeine, 10 Pferde mit 2 Wägen und einen Courier mit Depeschen von der deutschen Legion aus Großwardein an den Insurgenten-Chef Bem eingebracht.

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Heute wurde der durch den Ulanen-Corporal Spieß eingebrachte Spion Stigyössy standrechtmäßig erschossen.

Alle Waldränder zeigen sich besetzt. - Eine Stunde vor der Recognoscirung hat ein feindlicher Parlamentair auf den Vorposten des verschanzten Lagers eine Depesche vom »Oberkommando der Banater - siebenbürger - Armee an die Garnison von Temesvár« übergeben, die uneröffnet wieder zurückgestellt wurde.

In der verflossenen Nacht ist auf der Straße durch den Muschnitzer Wald ein Hinterhalt gelegt, der am Mittag den sehr berüchtigten Notar Kereztes samt[sammt] seinen Panduren mit verschiedenen Proclamationen aufhebt. Seine Aussagen von Wichtigkeit.

Kundschafter berichten bedeutende Truppen-Entsendungen aus dem feindlichen Lager bei Freidorf. Der Augenblick wird zu einem Ueberfall durch die Brigade Leiningen mit 2 Bataillone Sirkovich, 3 Compagnieen Zanini, 2 Compagnieen Romanen, banater Gränzer, 600 Mann Schwarzenberg-Ulanen, 20 Max-Chevaulegers und 16 Geschützen und 3 Raketen benutzt.

Zwei feindliche Infanterie-Bataillone und 6 Züge Szekler Husaren stürmen gegen das 1. Bataillon und die drei Geschütze und werden mit bedeutendem Verlust in die Flucht geschlagen. - Auch das zweite Bataillon Sirkovich mit einer Escadron Ulanen unter Rittmeister Baron Wendt wirft die stürmende feindliche Infanterie zurück - zwei Compagnieen werden vernichtet. Unterm Schutz der Batterie des Oberlieutenants Büchler kehren die Kaiserlichen in die Festung zurück. Todte 14 Mann, 19 Pferde; Verwundete 34 Mann - darunter 2 Offiziere, - 31 Pferde.

Der Feind dringt Nachmittag in die Mihala ein und führt Schlachtvieh und Rekruten fort.

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Starke feindliche Colonnen rücken, auf 3 Seiten stürmend, gegen die Vorstadt Fabrick, nur vertheidigt durch 1 Bataillon Sirkovich und 1 Batterie, er forcirt die äußersten Häuser und Gärten. Vor der bedeutenden Uebermacht, mit der ein Theil der Bewohner gemeinschaftliche Sache macht, wird endlich der Rückzug in das verschanzte Lager angetreten. Todte 20 - Verwundete 7, durch das Aufgeben der Vorstadt Fabrick ist die Festung auf 137 Quellbrunnen beschränkt (also auf 108 Menschen und 9 Pferde ein Brunnen!).

Explosion von Geschützpatronen im verschanzten Lager - Lieutenant Le Gay getödtet, 1 Offizier und 7 Soldaten verwundet.

Der Feind bewirft aus 3 Batterien mit Haubitzen und Bomben die Stadt und mit Schrapnells die Truppen im verschanzten Lager. 200 Granaten fallen in die Stadt. Das Feuer aus den Bastionen der Festung demontirt 2 feindliche Geschütze und zwingt sie zur Abfahrt. Die kaltblütige Tapferkeit des Feuerwerkers Gutbier (im verschanzten Lager), mit der er das Feuer leitete, die Haubitzen selbst gerichtet, und - nach jedem Schuß auf die Brustwehr springend - beobachtet hatte, Alles unter heftigem Tirailleurfeuer und von Schrapnells überschüttet, wird von dem Lager-Kommandanten Hauptmann Melzer rühmend erwähnt.

Von dem Streifkommando des Lieutenants Bohmann von Sirkovich-Infanterie, das seit 2 Wochen abgeschnitten in den Wäldern umherirrt, haben 10 Mann sich zur Festung durchgeschlagen.

Nächtliche Ausfälle der Freiwilligen. Der Feind ist allart. Durch zwei feindliche Parlamentaire werden 6 Mann der siebenbürger Armee, die vom Feind bei Orsowa gefangen wurden, auf

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die Vorposten gebracht. Sie sagen aus, daß Bem Herr des ganzen Banats und die siebenbürger Armee in die Walachei zurückgegangen ist.

Gegen Mittag werden 400 Arbeiter und andere Bewohner der Festung, die den bedingten Proviantvorrath nicht nachweisen können, oder nicht bleiben wollen, am wiener und siebenbürger Thor aus der Festung gebracht. Der Feind treibt sie mit Gewalt zurück.

Die Ausgewiesenen lagern noch immer vor dem wiener Thor - nur Wenige haben sich durch die Posten geschlichen - aus Menschlichkeit werden sie in die Festung wieder aufgenommen.

Der Feind hat hinter den Gartenanlagen der Vorstädte unbemerkt mehrere Batterieen gebaut und demaskirt sie.

In der Nacht haben unsere Vorposten vom Romanenbanater Grenzregiment die Bega unter heftigem feindlichen Plänklerfeuer durchschwommen und das in den feindlichen Linien aufgeschichtete Holz in Brand gesteckt.

Das Feuer dauert von beiden Seiten ununterbrochen fort. Am meisten leidet das Militairhospital, wohin Bombe auf Bombe schlägt. Die Kranken aus dem ersten Stockwerk werden in die Sousterrains getragen. Im Spital hat es zehn Mal gebrannt, in der übrigen Stadt an 30 Brände, die von der Löschcompagnie unter Lieutenant Seymann von Leiningen-Infanterie unterdrückt werden.

Das Bombardement wüthet von beiden Seiten ununterbrochen

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Tag und Nacht fort - die Verheerungen in der Stadt werden immer größer - fürchterlich ist die Lage der Kranken im Spital, das dem Feinde zum Hauptzielpunkt dient. In der ganzen Garnison kommt seit drei Mal 24 Stunden Niemand zur Ruhe; trotz der Erschöpfung ist Alles in seinem Wirkungskreis thätig.

Ohne Unterbrechung dauert das Bombardement gegenseitig verheerend schon den vierten Tag fort, die Zerstörung wird immer allgemeiner. Der Magistrat schildert den Zustand der Bürgerschaft verzweifelnd und bittet um Erwirkung eines sechsstündigen Waffenstillstandes. Das Ansinnen, Regungen bekundend, die nicht aufkommen dürfen, sollen sie der Vertheidigung nicht schädlich werden, wird mit Nachdruck zurückgewiesen. - Das Bombardement wüthet unausgesetzt fort. Die Artillerie auf den Wällen arbeitet bei 30 Grad Hitze im Schatten mit eben so großer Erschöpfung als Ausdauer. Die Pulverkammer der feindlichen Kesselbatterie wird durch einen Bombenwurf des Kanonier Dokaupil in die Luft gesprengt, an 90 Bomben explodiren - die Batterie schweigt 5 Stunden.

Das Bombardement währt gegenseitig zerstörend fort, kaum ein Gebäude ist noch verschont; in allen Kirchen ist das Gewölbe durchgeschlagen. In der Nacht hat der Feind den rechten Flügel des verschanzten Lagers mit Macht angegriffen und die Brücke über die Bega verbrannt. Ein Honved-Offizier (Preusse von der deutschen Legion) ist schwer blessirt gefangen gemacht. Um 12 Uhr Mittags erschien am wiener Thor ein feindlicher Parlamentair mit Depeschen, die aber mit dem Bedeuten zurückgewiesen werden, daß die Festung nur mündlich verkehrt.

Das Feuer aus den feindlichen Mörsern hat um 11 Uhr Nachts wieder begonnen. Es mögen bis jetzt nahe an 2000 Bomben in die Festung gefallen sein. Die Bewohner flüchten sich ohne Unterschied in die Unterkünfte des Militairs und in die

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Grüfte. - Die Hitze ist peinigend, der Krankenstand im Spital hat die Zahl 1000 erreicht.

Die Hitze steigt über 30 Grad im Schatten, der Krankenstand über 1100. Der Feind eröffnet auf's Neue das Feuer.

Der Feind baut seine erste Parallele. Die Hitze ist ungeheuer. Die menschlichen Kräfte der Garnison sind fast erschöpft. In der Bevölkerung herrschen Nervenfieber, Skorbut und choleraähnliche Zustände, und macht sich der Mangel an Mundvorrath energisch geltend. Zwei Sereschaner, die sich durch die feindlichen Posten schleichen wollten, um Kundschaft zu bringen, sind nach 30stündigen vergeblichen Versuchen wieder in die Festung zurückgekehrt.

Sechs eingetroffene Deserteure melden, daß dem Feinde Verstärkung von 30 Mörser, 9000 Bomben und vielem schweren Geschütz zugegangen ist. Ein Parlamentair trägt den Bewohnern ungehinderten Abzug aus der Festung an.

Rittmeister Baron Marburg unterhandelt über die Art und Weise des Abzugs der Bewohner. Um 2 Uhr verlassen über 800 durch das Wiener Thor die Festung.

So viel als möglich theilen die Militairs die gesicherten Lokale mit dem Civil, da diese aber bei Weitem nicht hinreichen, flüchtet sich alles Uebrige in die festeren Keller und in die Grüfte der Kirchen.

Der Gefreite Blaszek von Sirkovich-Infanterie hat sich vor sechs Tagen angetragen, scheinbar zum Feinde überzugehen, um

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Kundschaft zu bringen. Verfolgt von den feindlichen Plänklern kehrt er heut Nachmittag baarfuß zurück. Um 2 Uhr Nachts will der Feind aus allen Batterieen das Feuer wieder beginnen. Das Gerücht, daß die Russen mit 200,000 Mann zu Gunsten Oesterreichs eingerückt sind, ermuthigt die Erschöpften. Zur Zerstörung der feindlichen Batterieen fallen zwei Stunden nach Mitternacht 2 Colonnen unter Hauptmann Melzer und Major Pöschl aus. Der Ausfall gelingt vollkommen, die erste Colonne vernagelt 5 leichte Geschütze, die zweite nimmt trotz der verzweifelten Gegenwehr des Feindes zwei Batterieen im Sturm, macht die Besatzung mit dem Bayonnet nieder und vernagelt 11 Mörser und 2 Geschütze. Der Hauptmann Schwaymann fällt schwer verwundet in die Hände des Feindes. Oberlieutenant Nastaschin, der Erste in der Batterie, ist gefallen. 14 Todte, 54 Verwundete.

Um 9 Uhr beginnt der Feind aus 30 Mörsern und 30 schweren Geschützen das Feuer gegen die Festung. Er hat 20 Batterieen in Thätigkeit. Der Vertheidigungsrath hat beschlossen, das Feuer bei der geringen Zahl der noch vorhandenen Artilleristen nicht zu erwidern. Die Stadt leidet ungeheuer und muß in einem großen Schutthaufen enden.

Das Feuer mit Hohl- und Vollkörpern gegen die Festung dauert unausgesetzt fort, um 9 Uhr beginnen unsere Geschütze es zu erwidern, um 3 Uhr wird es gegenseitig eingestellt. Abermals wird ein feindlicher Parlamentair mit Depeschen zurückgewiesen, und um 5 Uhr die Beschießung gegenseitig wieder aufgenommen und durch die ganze Nacht fortgesetzt. Die Zerstörung wird immer größer, der Wallgang und die Bettungen der Bastionen der Süd- und Ostseite sind so aufgewühlt, daß an eine Fortsetzung des Feuers nicht zu denken ist. Die Brände häufen sich; - das Kloster der barmherzigen Brüder und das bürgerliche Krankenhaus stehen in Flammen, der Feind concentrirt das Feuer aller Batterieen auf diesen Punkt. Nur mit Mühe wird das Militairhospital gerettet,

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die Lage der Kranken ist eine entsetzliche, für ihre Schilderung gieb[t] es keine Worte!

Die Lebensmittel werden immer schwieriger aufzubringen, das getödtete Pferd ist schon ein gesuchter Artikel. - Die Stadt schreitet immer mehr der vollständigen Vernichtung entgegen.

Das Feuer dauert ununterbrochen auch während der Nacht fort. Der Feind erweitert und verlängert die Trancheen. Gegen Morgen zündet eine Bombe im Verpflegungsmagazin - der Brand dringt immer mehr in das Innere der Kasematten. Um 11 Uhr Nachts waren unter Kommando des Major Schifter 600 Mann Buckovina-Infanterie gegen die Mörserbatterie in der Neuen Welt unter Führung des übergetretenen Honved Janos ausgefallen. Mit Kartätschen vom Feinde empfangen, werfen sie ihn mit dem Bayonnet aus der Batterie und verfolgen ihn so lange, bis unsere Artilleristen 5 Mörser und 2 Kanonen vernagelt haben.

Die Häuser stürzen nach und nach eins um's andere ein, die festesten Keller geben keinen sichern Aufenthalt mehr, die Lage der Bewohner ist eine verzweifelte. - Von heute an wird in der Woche nur zwei Mal Fleisch gereicht, Pferdefleisch wird ausgeschrottet.

Der dritte Theil der Garnison reicht für eine Ablösung nicht mehr hin, während die andern zwei Dritt[t]heil als Bereitschaft und zu den Ausbesserungsarbeiten konsignirt werden, und somit höchstens nur auf Stunden zur Ruhe kommen können. Demzufolge wird von heute an das verschanzte Lager nur in den beiden Flanken besetzt.

Das Zeughaus, als eines der festesten Gebäude bekannt, liegt im Schutt.

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In der verflossenen Nacht 2 Uhr ging der Feind mit einer dichten Plänklerkette im ganzen Umkreis der Festung auf das Glacis und gegen das verschanzte Lager vor unterm Schutz eines heftigen Bombardements, das bis 11 Uhr Vormittag dauerte.

Der Korporal Drasits vom peterwardeiner Regiment, welcher als Kriegsgefangener in Arad zum Dienst im ungarischen Rebellencorps gezwungen wurde, ist in die Festung gelangt. Er bestätigt die Anwesenheit Kossuth's im Lager. - Kossuth soll die Wegnahme der Festung dem ungarischen 5. Armeecorps um jeden Preis zur Aufgabe gemacht haben, in Folge dessen auch in allen Trancheen große Thätigkeit bemerkt wurde.

Der Krankenbestand und die Sterblichkeit nehmen zu. Es gebricht an sichern Lokalitäten, ja selbst das Hauptspital schützt schon nicht mehr gegen die feindlichen Geschosse. Die Lage der Kranken ist eine schreckliche; Typhus und Skorbut herrschen, und so aufopfernd auch die Aerzte sind, kann der Erfolg doch nicht lohnend sein unter der Masse der schrecklichen Umstände, wie sie oft ein Jahrhundert in einen so kurzen Zeitraum zusammengedrängt, nicht auszuweisen hat.

Der Gesundheitszustand ist sehr beängstigend. Ein Viertheil der Garnison beinahe ist todt, ein zweites Viertheil theils im Spital, theils undienstbar, über 60 Offiziere sind schwer krank, und doch ist noch immer die eigentliche Zeit der Epidemie nicht da!

Die Hitze ist unerträglich - wir gehen dem Kulminationspunkt der Leiden mit Riesenschritten entgegen!

Im Spital sind heute 40 Todte - in der Stadt sind 2300 und bei den Truppen über 1000 Kranke. Manche Kompagnieen sind ganz ohne Offiziere. Die Bevölkerung, ursprünglich

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nur auf 3 Monate proviantirt, ist mit ihren Vorräthen zu Ende, auch die Garnison bekömmt, außer 3 Mal in der Woche Pferdefleisch, kein anderes Fleisch, da die wenigen Ochsen für das Spital reservirt werden müssen.

Das Hauptspital ist noch immer der Concentrationspunkt der feindlichen Geschosse und aller physischen und moralischen Leiden. - Die Nervenkranken - manche schon auf dem Wege der Besserung - verkriechen sich in schreckensvollem Entsetzen unter die Betten und sterben nach wenigen Stunden. Ich bewundere die Aerzte und Kommandanten in diesem Leichenhaus, in dem die Atmosphäre schon tod[t]bringend ist.

Schon des Nachmittags war die Stabskaserne in Brand gerathen; während der Nacht zündete auch die peterwardeiner Kaserne, und die Pompier-Abtheilung, seit 12 Stunden mit der Dämpfung von Bränden in allen Theilen der Stadt beschäftigt und den Anstrengungen beinahe erlegen, konnte trotz der größten Aufopferung des Feuers nicht Meister werden, zumal der Feind alle Geschosse gegen diese größern Brandstätten concentrirt hatte und der Wind sturmartig das Element nicht zur Ruhe kommen ließ. - Selbst die Ruinen der vor Kurzem noch so lebensfrohen reichen Stadt scheinen in Feuer aufgehen zu sollen! - Die letzten 16 Stunden waren die schrecklichsten seit 3 Monaten und haben zahllose Beispiele seltener Selbstverleugnung und Ausdauer der Garnison aufzuweisen. Heute war ihr Prüfungstag, sie hat ihn glänzend bestanden! - Jetzt ist vom Geniecorps nur noch der Oberlieutenant Keil dienstbar.

Die Desertionen häufen sich und machen die Lage der Garnison im Verein mit der großen Sterblichkeit - heute 45 Todte! - immer schwieriger.

Der Regen gießt in Strömen und doch beginnt der Feind

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um 8 Uhr Abends wieder aus allen Batterieen heftig zu feuern. Begünstigt von der finstern stürmischen Nacht greift der Feind um 10 Uhr Abends beide Flanken des verschanzten Lagers an. Er dringt zwei Mal bis an die Tambourirung vor, deren Palisaden von den Kühnsten bereits erstiegen wurden. Aber beide Male muß er mit großem Verlust - zuletzt in Flucht - zurückweichen. In dieser Nacht hat der Feind die Annäherung von der Kapelle bis an die Bega beendet. - Im Spital wüthet der Skorbut und der Typhus, heute haben wir auch schon vier mit schnellem Tod endende Cholerafälle gehabt, die ganze Garnison ist siech, die Stadt nur ein großes Krankenlager. Die meisten Aerzte sind todtkrank - auch an Medikamenten leiden wir schon empfindlichen Mangel.


Wir brechen hier das Tagebuch ab, um die direkte Darstellung der Ereignisse an demselben Tage wieder aufzunehmen.

Es war am Nachmittag 2 Uhr, als am Wiener Thor ein feindlicher Stabsoffizier und ein Rittmeister mit der Parlamentairfahne erschienen.

Der Kommandant beorderte den Obersten Sztankovics, begleitet von dem Hauptmann Feldegg, die Botschaft in Empfang zu nehmen und versah sie für alle Fälle mit Instructionen.

Die beiden Offiziere begaben sich vor das Thor, - man durfte den feindlichen Parlamentairen den schrecklichen Zustand der Stadt nicht zeigen.

Rasch hatte sich die Nachricht von den begonnenen Unterhandlungen verbreitet, die Soldaten füllten die Wälle am Thor, die halbverhungerten Bürger mit den hagern Leichengesichtern drängten sich zwischen sie und waren durch keinen Befehl mehr zurückzuhalten.

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Für den Hunger, für die Verzweiflung giebt es keine Vorschrift mehr.

Der Parlamentair der Ungarn hielt auf seinem Pferd unfern des Grabens. Er war ein anscheinend noch junger Mann von edlem Aussehen, aber ein trüber Ernst lagerte auf diesen Zügen und das Auge blickte wiederholt bang und besorgt hinüber nach der eingeäscherten Stadt.

Hinter ihm und seinem Begleiter hielt neben dem Trompeter ein berittener Honved im weißen Szür, die breite Krämpe des Hutes tief in's Gesicht geschlagen.

Der Parlamentair sah nach ihm hin und drängte sein feuriges Pferd einige Schritte zurück.

»Hast Du die Männer bemerkt, Szabó?«

»Isten teremtete. Dort stehen sie auf dem Wall und der Jude bei ihnen. Sie sehen aufmerksam hierher!«

»Dann gieb ihnen das Zeichen, sobald Du es unbeachtet thun kannst. Du hast das Papier doch bei Dir?«

»Es steckt in der Patronenhülse hier Euer Gnaden - der Lajos hat Augen wie ein Teufel und wird meine Bewegungen nicht aus der Acht lassen, oder ich will das Grab seiner Mutter verdammt sehen.«

Das Ausfallpförtchen am Thor hatte sich geöffnet, die beiden österreichischen Offiziere kamen heraus und die Ungarn stiegen sofort von den Pferden und übergaben sie ihren Begleitern.

Die Vier näherten sich einander und salutirten.

»Ich habe die Ehre, mich Ihnen als den Obersten Graf Stephan Batthyányi vorzustellen, beauftragt von Se. Excellenz dem Kommandirenden des fünften

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ungarischen Armee-Corps General Vécsey, mit dem Herrn Kommandanten von Temesvár zu unterhandeln. Dies ist der Rittmeister Fürst Woronieczky, mein Beistand, und hier sind unsere Vollmachten.«

Der österreichische Oberst lehnte sie mit einer höflichen Handbewegung ab. »Ihr Name, Herr Graf, ist uns Bürgschaft genug. Wir stehen hier im Namen des Feldmarschall-Lieutenants Baron Rukowina[Ruckowina], Ihre Mittheilungen in Empfang zu nehmen.« Er stellte sich und seinen Begleiter vor.

»Der Zustand der Festung,« fuhr der Ungar fort, »ist uns genau bekannt. Sie haben kaum Truppen noch, um die Wälle zu besetzen, alle Ihre Hilfsmittel sind erschöpft, der Tod wüthet in Ihren Mauern. Die Stadt muß in wenig Tagen in unsere Hände fallen. General Vécsey, bewundernd Ihre ritterliche Vertheidigung, läßt der Garnison durch mich hiermit eine sehr ehrenvolle Kapitulation antragen.«

Der alte Oberst verbeugte sich. »Ich bitte, Herr Kamerad, machen Sie mich mit den Bedingungen bekannt, die so ehrenvolle sein sollen!«

»Der General bietet der Garnison freien Abzug mit allen Waffenehren und ihrem Eigenthum, nur die Geschütze bleiben in der Festung zurück. Er erbietet sich, die Garnison bis an die serbische Grenze geleiten zu lassen und fünf Stabsoffiziere als Bürgen für die Innehaltung der Bedingungen zu stellen. Die Feindseligkeiten werden sogleich aufhören, der General verpflichtet sich, die Sorge für die zurückbleibenden Kranken und die Verwundeten zu übernehmen.«

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»Wir haben jetzt hundert Tage Temesvár vertheidigt Herr Kamerad,« sagte der alte Oesterreicher, »und wir sollten es jetzt dem Feind überlassen, wo jeden Augenblick unser Ersatz zu hoffen steht?«

»Sie irren, Herr Oberst,« unterbrach ihn der Fürst »jede Hoffnung auf Ersatz ist Täuschung. Unsere Truppen sind zahlreich und erhalten täglich Verstärkung - Sie sind verlassen und aufgegeben von den Ihren!«

»Dann wollen wir ihnen als Männer zeigen, daß wir wenigstens unsere Pflicht erfüllen. Ich habe im Auftrag Sr. Excellenz des Herrn Kommandanten nur eine Antwort:«

»Und die ist?«

»Daß das hunderttägige Verhalten der Garnison den General Vécsey überzeugt haben sollte, daß sich die Garnison bis zur letzten Patrone vertheidigen wird!«

Graf Stephan erhob noch einige Gegenvorstellungen, - aber sein ausweichender Blick und der gebrochene immer leisere Vortrag bewiesen, daß er die Schmach der Zumuthung solchen Männern gegenüber empfand.

Nie und nimmer, selbst in ihren edelsten Fanatikern, wird die Revolution jene hohe und sichere Würde beweisen, wie sie der Treue gehört.

»So ist dies das letzte Wort des Kommandanten?« frug der Fürst.

Der österreichische Oberst verbeugte sich schweigend.

»Dann ist unser Geschäft hier beendet. Adieu, meine Herren!«

Der Reiter im Szür führte die Pferde herbei. Plötzlich, nachdem die österreichischen Offiziere bereits zurückgetreten

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waren, - warf Graf Stephan den Zügel über den Hals seines Pferdes und trat noch einmal auf sie zu.

»Verzeihen Sie, meine Herren, daß ich die Kameradschaft, ob Ungar, ob Kaiserlicher, noch einmal in Anspruch nehme. Unser offizielles Geschäft ist beendigt, ich erlaube mir jetzt, als der Graf Batthyányi eine Frage an Sie zu richten, und ich zweifle nicht, daß Sie so freundlich sein werden, sie mir zu beantworten.«

Die Offiziere verbeugten sich. »Wir stehen zu Ihren Diensten, so weit es unsere Pflicht erlaubt.«

»Unter den Gefangenen der Festung, die von dem Corps des Herrn Grafen von Leiningen eingebracht worden, befinden sich zwei Damen.«

»Die Gräfin Pálffy, wenn ich nicht irre, Mutter und Tochter. Sie wurden der grausamen Massakre von Enyád entrissen.«

»So ist es - sie sind meine Verwandten und mir sehr theuer. Können Sie mir eine Nachricht von ihnen geben?«

»Die Gräfin Mutter,« sagte Hauptmann Feldegg, »ist seit ihrer Ankunft leidend und die nothwendigen Schrecken der Belagerung haben sie tief erschüttert. Sie lag im bürgerlichen Lazareth, das Ihre Bomben zum größten Theil demolirt haben.«

»Und die Tochter - Comtesse Helene?«

»Sie ist nicht von ihrer Seite gewichen.«

Der Graf zauderte einige Augenblicke, dann reichte er dem Gegner die Hand. »Ich danke Ihnen, mein Herr!

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Sie haben mir wenigstens eine Beruhigung gegeben. Wenn wir uns auf dem Schlachtfeld begegnen, werden wir uns auch als Feinde achten!«

Er winkte den Begleitern, die Pferde herbeizuführen.

Der Rosza[Rózsa] näherte sich ihm.

»Ist es geglückt?« frug er leise.

»Kutya lanczos! warum sollte es nicht? der Sándor ist doch nicht auf den Kopf gefallen, und seine Burschen kennen ihn!«

Sie hatten sich in den Sattel geschwungen, der Trompeter blies - noch einen Blick auf den halb zerstörten Wall, der so Theures ihm einschloß, und der Graf jagte zurück zum ungarischen Lager.

Die österreichischen Kanoniere standen bei ihren Geschützen, das Feuer der ungarischen Batterieen erwartend und bereit, es zu erwidern, aber der Tag verging ruhig.

Gegen Abend sah man vom Observatorium aus ein Bataillon im großen Umkreis gegen Lippa hin abmarschiren und auf der Arader Straße wurden 9 Geschütze abgeführt.

Es liegt Etwas in der Luft, das »Gerücht« heißt und schneller läuft als selbst der electrische Stom, die wunderbare Erfindung unserer Zeit.

Wer beobachtet, wird es häufig gefunden haben. Die Luft scheint die Ahnung, selbst die Nachricht eines Ereignisses mit sich zu tragen, von dessen Geschehen menschliche Mittel und Verbindungen unmöglich schon die Kunde gebracht haben könnten. Man weiß in entfernten Gegenden, fast in derselben Stunde schon oder doch nach unverhältnißmäßig kurzer Zeit, was dort oder da geschehen ist; ja noch

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wunderbarer - es giebt Etwas, nicht in der Kraft des Einzelnen, aber in der Natur der Menge, im Leben der Gesammtheit, was die kommenden Ereignisse im Voraus kennt.

Ein solches Gerücht, eine solche Ahnung, hatte sich der zum größten Elend herabgekommenen Besatzung von Temesvár bemächtigt; - woher die Nachricht gekommen, war nicht zu ermitteln, aber die Ansicht war allgemein verbreitet: die Stunde der Erlösung habe geschlagen, - es seien Dinge da draußen vorgegangen, welche einen nahen Entsatz verhießen.

Die scharfe Forcirung des Angriffs in den letzten Tagen und das heutige Anerbieten emer Capitulation, wie man sie gar nicht hätte erwarten können, so wie die nicht zu verheimlichende Bewegung der Truppen im Lager, ließen allerdings besondere Ereignisse vermuthen, aber es galt, sich Gewißheit zu schaffen, denn das Elend und der Jammer waren zum Unerträglichen gewachsen!

Am späten Abend fand ein Kriegsrath der wenigen noch dienstfähigen Oberoffiziere in dem einzigen Gemach, welches der Kommandant bewohnte, statt. Der Adjutant des Feldmarschall-Lieutenants führte einen zur Unkenntlichkeit verhüllten Mann in die kleine Versammlung - es war ein deutscher Kaufmann, der sich zu dem Wagestück erboten.

Die Nennung seines Namens würde ihn wahrscheinlich noch heute den Dolchen der Revolution aussetzen, wir verzichten darauf. Aber es ist sicher, daß sein Muth und seine Gewandtheit wahrscheinlich Temesvár gerettet haben!

Man verabredete mit ihm, daß er noch in derselben

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Nacht aus der Festung entfliehen sollte. Dies war nicht so schwer, da die halb zerstörten Wälle nur spärlich besetzt waren. Allnächtlich kamen jetzt Desertionen vor, da das Elend und die Noth in der That nicht mehr zu ertragen waren.

Der Flüchtige sollte sich geradezu bei den feindlichen Posten melden und sich in's Lager begeben - er sollte Aussagen machen über den Zustand der Stadt, die seine Zuverlässigkeit verbürgten. Dann sollte er sich im Lager aufhalten und so viel als möglich erkunden.

Man bestimmte eine Stelle in der Vorstadt, und eine Stunde, in der er sich in der Ferne am nächsten oder folgenden Nachmittag zeigen sollte - sehnsüchtige Augen würden vom Wall ihn beobachten.

Ein schwarzes Tuch um den Hals sollte das Zeichen sein, daß alle Hoffnung verloren, ein rothes, daß Entsatz nahe sei.

An solchen unbedeutenden Dingen hängt oft das Schicksal von Tausenden, - Sieg oder Untergang!

Der Adjutant brachte den Mann selbst bis an eine genügende Stelle des Walles - hier stieg der Deutsche, von den Segenswünschen des Führers begleitet, hinab und gelangte glücklich durch den jetzt von der Hitze aufgetrockneten Schlamm des Grabens.

Der junge Mann ging langsam und vorsichtig vorwärts, die Nacht war dunkel und finster.

Plötzlich, noch ehe er die ungarischen Posten erreicht hatte, erhob sich hinter einem Erdaufwurf ein Mann und

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eilte auf ihn zu. »Dem Himmel sei Dank, Sie sind es! Helene!«

Der Sprechende blieb vor ihm stehen, er faßte ihn heftig am Arm, ein zweiter Mann trat herbei.

»Was ist das? Du kommst allein? wo sind die Frauen?«

»Es ist der Lajos nicht, gnädiger Herr,« sagte der Zweite. »Wer bist Du, Schurke? Antwort, oder ich zerschmettere Dir den Schädel!«

Der Flüchtling fühlte das kalte Eisen der Pistole an seinen Schläfen.

»Ein Ueberläufer aus der Stadt - ein Bürger! Das Elend war nicht mehr zu ertragen und ich bin ein Freund der Magyaren!«

»Den Teufel magst Du sein, zürnte der Betyár, denn dieser war's, der ihm so rauh begegnet, indem er auf einen Wink seines Gefährten die drohende Waffe senkte. »Du kommst aus der Stadt?«

»Ja, mein Offizier, - vor zehn Minuten hab' ich sie verlassen!«

»Auf welcher Stelle?«

Der Bürger beschrieb sie genau.

»Sie ist unbesetzt? man könnte also auf ihr in die Festung gelangen?«

»Das wird schwieriger sein, als sie zu verlassen. Ein einzelner Mann vielleicht - aber ein Trupp würde sofort die Aufmerksamkeit erregen. Der Winkel liegt unterm Schutz der Geschütze.«

»Du bist ein Einwohner der Stadt?«

»Ein armer Teufel, Herr - ich habe das Leben

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gewagt, um zu entfliehen, ich wollte lieber von einer Kugel als von Hunger sterben. Der Bürger hat Nichts mehr zu essen - man schlägt sich um den Knochen eines gefallenen Pferdes. Man hat die Särge der Todten aus den Grüften entfernt, um einen Raum wenigstens für die Frauen zum Schutz gegen die ungar'schen Bomben zu haben.«

»Gott im Himmel - und sie ist dort, und muß all' das Elend ertragen, und ich muß denken, daß jeder Schuß, der aus unsern Reihen donnert, ihr den Tod bringen kann.«

»Fene egyemek!« brummte der Betyár - »wenn's so steht, können sie sich nicht halten in der Stadt, sie müssen sich ergeben noch ehe ...«

»Still! - Was hast Du gehört in der Stadt, ist Aussicht, daß sie bei dem Elend endlich übergeben wird?«

»Nicht Herr, so lange sie noch eine Kugel zu verschießen, noch einen Bissen Brod für die Soldaten haben, mag auch der Bürger verhungern. Der Kommandant ist eine eiserne Natur.«

»Aber die Bewohner? fordern sie nicht mit Gewalt die Aufgabe des thörichten Widerstandes? wir haben doch Freunde in der Stadt?«

»Der Feldmarschall-Lieutenant hat geschworen, Jeden, der ihm davon spricht, hängen zu lassen. Seine Strenge ist furchtbar. Noch diesen Abend, bevor ich mich zum Aufbruch entschloß, ist ein Soldat erschossen worden, ein Ueberlaufer aus dem ungar'schen Lager, der sich verdächtig gemacht hatte, die Festung wieder verlassen zu wollen.«

Der Betyár stieß einen wüthenden Fluch aus. »Mögen

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die Hunde sie auffressen - das ist sicher der Lajos gewesen, der Tölpel!«

»Ich glaube, so nannte er sich,« sagte der Mann, »ich war bei der Execution zugegen. Sie können denken, daß die Noth groß sein muß, da selbst nach diesem Anblick mein Entschluß fest blieb.«

»Noch Eins! Hast Du von zwei weiblichen Gefangenen gehört, die vor Beginn der Belagerung schon nach der Festung gebracht worden, einer Gräfin Pálffy und ihrer Tochter?«

»Ich habe sie mehrfach gesehn, die Gräfin ist von schwerer Krankheit genesen, aber die Comteß ist nahe daran, jetzt dem Elend zu unterliegen, denn sie entzog sich Alles, um ihre Mutter zu pflegen.«

»Ich danke Ihnen,« sagte der Offizier, »ich nehme Sie unter meinen Schutz. Rózsa, bringe den Mann nach dem nächsten Posten, man soll ihn nach dem Hauptquartier führen, er kann wichtige Mittheilungen machen. Man mag ihn dann in mein Zelt bringen.«

Der Betyár befahl dem Ueberläufer ihm zu folgen und übergab ihn der nächsten Honved-Schildwach, dann kehrte er zu dem Offizier zurück, den er brütend auf dem Erdhaufen sitzend fand.

»Es ist sicher der Lajos, den sie erschossen,« sagte der Rózsa - »der Tölpel hat sich fangen lassen, als er das Papier geholt, ich hoffe, daß der einäugige Tamas1 klüger sein wird als er.«

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»Aber was ist zu thun, wackerer Freund? - ich muß das Möglichste thun, sie zu retten, ich will selbst versuchen, verkleidet in die Festung zu dringen,« sagte Graf Stephan,

»Kutya lanczos! das sollen Sie nicht, so lange ich ein Wort drein zu reden habe,« zürnte der Betyár. »Lieber sende ich die Katharin, sie ist ein Weib und schlau und listig. Sie hörten selbst, daß die Stadt sich nicht mehr halten kann!«

»Aber der Feind rückt mit Uebermacht heran!«

»Ich hörte davon! Baszom a Mágnást - wir werden ihn schlagen wie so oft.«

»Das ist nicht gewiß, Kamerad, und wenn die Festung entsetzt wird, ist alle Hoffnung verloren. Unsere Lage ist nicht mehr dieselbe. Die Regierung ist in Zerwürfniß und hat sich nach Lugos zurückgezogen - Pesth ist in den Händen der Kaiserlichen, Fürst Lichtenstein zieht gegen Spöregh.«

»Aber Dembinszky, Mészáros, Guyon, Dessewffy, Kmety und Visoczky mit 25000 Mann stehen dort.«

»Das Glück der Schlachten ist wechselnd Freund! Wenn Dembinszky geschlagen wird, rücken die Oesterreicher und Russen gegen Temesvár. Görgey schwankt - Fürst Paskewitsch dringt von Norden her, Siebenbürgen ist bereits für uns verloren.«

»Der blaue Himmel, Herr ist über dem Ungarland und wird es nicht verlassen. Unsere Macht hier ist stark.«

»Aber Du weißt selbst, Kamerad, wie es hier steht, der Soldat thut Alles und verdient mit seinem Blut die geringe Löhnung, während das Lager voll ist von

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liederlichem unnützem Volk und den Maitressen der Offiziere, die in ihren Armen und bei Trunk und Spiel die Stunden verbringen, indeß die Unteroffiziere an ihrer Stelle befehligen. Werden wir geschlagen, so müssen wir uns zurückziehn und Comteß Helene und ihre Mutter bleiben in den Händen der Feinde! - ich sage Dir! läßt Dein Bote bis morgen Nacht Nichts von sich hören, so muß ich in die Stadt und gälte es mein Leben!«

Der Graf und sein treuer Gefährte hielten bis zum Morgen auf ihrem Posten aus, aber weder der Ueberläufer mit den Frauen, deren Flucht er befördern sollte, noch die geringste Botschaft kam.

Die Ungarn hatten während der Nacht ihre zweite Parallele am Begaufer vorgeschoben, bombardirten aber an diesem Tage nur schwach die Stadt, während die Oesterreicher am Nachmittag ein scharfes Feuer eröffneten.

Vergeblich schauten an diesem Tage ihre mit der Sendung des Boten Vertrauten nach der verabredeten Stelle - Niemand ließ sich sehen.

In tiefer, mit jeder Stunde wachsenden Entmuthigung der tapfern Garnison vergingen die Nacht und der nächste Vormittag.

Die zweite Parallele und der ganze Damm der Bega bis zur Brücke in die Fabrick zeigte sich von einer dichten Vedettenlinie besetzt, bereits sah man an der Bischofsbrücke Kanonen am rechten Ufer in die zweite Parallele eingeführt.

Wurde das Feuer von hier mit schwerem Geschütz eröffnet, so war die Stadt bei der größten Aufopferung nicht 24 Stunden mehr zu halten.

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Der alte Feldmarschall-Lieutenant beobachtete selbst die Fortschritte des Feindes, dann ließ er alle Truppen auf ihre Posten treten.

Eine Gruppe der Offiziere stand auf dem Wall um den Kommandanten - es war der letzte Tag der Hoffnung; erschien auch heute der Bote nicht, dann war er verunglückt oder treulos.

Die Vedetten unterhielten ein leichtes Plänklerfeuer, während nur zuweilen ein Kanonenschuß von beiden Seiten sich einmischte.

Der Feldmarschall-Lieutenant ging mit langsamen Schritten auf und nieder, seine Stirn war tief gefurcht, das Auge finster und trübe.

Endlich blieb er stehen und zog die Uhr. »Es ist 5 Minuten über 3 Uhr - die Stunde ist um, lassen Sie uns gehen, es ist unnütz länger zu warten. Wir müssen unser Schicksal wie Männer und treue Soldaten des Kaisers tragen bis zum Letzten. Wenn auch in Ungarn die Sache unsers Herrn jetzt verloren ist - noch hält der tapfere Radetzki die schwarzgelbe Fahne hoch am Mincio und die Zeit wird kommen, wo sie auch hier wieder weht über dem Grabe tapfrer und treuer Männer. Bis in den Tod drum meine Herren: Treue dem Kaiser!«

Und »Treue dem Kaiser!« scholl es ringsum im Kreise.

»Lassen Sie uns gehen!«

Die Adjutanten schoben die Ferngläser zusammen, - die Offiziere wandten sich, dem alten Kommandanten zu

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folgen; - auf allen Gesichtern lag die schwere Enttäuschung und trüber Ernst.

»Halt! um des Himmelswillen Halt!«

Der Feldmarschall-Lieutenant wandte sich um.

»Was giebt es?«

»Sehen Sie dort!«

»Ein Mann - ein Civilist zwischen den Plänklern - Bei Gott er ist es!«

»Und das Tuch?«

Der alte General konnte so weit nicht sehen. Vielleicht war sein Auge auch trübe von der innern Aufregung.

Der Adjutant hatte das Fernglas am Auge - fünf, sechs Gläser waren auf den Mann gerichtet, der von der Brücke daherkommend langsam mit einigen Soldaten durch die hinteren Linien des Gefechts schlenderte, als wolle er sich das Schauspiel aus der Nähe besehen.

»Das Tuch? das Tuch?«

»Gott sei gelobt - er trägt ein rothes Halstuch.«

Der alte Kommandant faltete unwillkürlich die Hände sein Blick, hob sich zu dem blauen Himmel, von dem die Sonne heiß daniederbrannte. Grade in den rauhen harten Naturen zeigt sich oft in den Stunden der Freude nach schwerem Leid der tiefe feste Glaube an die ewige Vorsehung am Klarsten.

»Noch mehr« - der junge Gränzer-Lieutenant, der den guten Boten zuerst entdeckt, sah mit seinen scharfen Augen mehr als die Herren mit ihren Gläsern! »er zieht ein Taschentuch heraus - Victoria! es ist auch roth!«

Der Kundschafter drüben in den Reihen der Feinde

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hatte in der That ein rothseidenes Taschentuch herausgezogen - er schwenkte es zwei Mal auseinander, wie man wohl zu thun pflegt, wenn man davon Gebrauch machen will.

»Drei Mal - was kann das bedeuten?«

»Es giebt nur eine Deutung meine Herren,« sagte Graf Leiningen, »es ist, daß binnen zwei Tagen Temesvár auf Ersatz zu rechnen hat.«

»So ist es!« der Feldmarschall-Lieutenant reichte den beiden Generalen, die mit ihm waren, dem Generalmajor Graf Leiningen, und dem Generalmajor Wernhardt die Hand. »Schade, daß unser braver Gläser es nicht mehr erlebt hat!2 Aber nun meine Herren, nun wir wissen, was wir mit Gottes Hilfe zu hoffen haben, wollen wir den Burschen da drüben auch noch zeigen, was sie zu erwarten haben. Oberst Sirkovich!«

»Zu Befehl!«

»Treffen Sie sogleich die Anstalten zu einem Ausfall. Wir müssen den vorlauten Narren da die Luft vertreiben uns zu nah auf den Leib zu rücken.«

»Welche Truppen befehlen Euer Excellenz?«

Der alte General sah sich im Kreise um - jeder hätte sich gern vorgedrängt. Dann haftete sein Auge auf dem jungen Romanen-Offizier des Banater Gränz-Bataillons.

»Lieutenant Jakobich!«

Der Offizier trat salutirend vor.

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»Sie waren es ja wohl, der die gute Nachricht zuerst entdeckte, nachdem wir Andern die Hoffnung aufgegeben?«

»Ich war so glücklich, Excellenz!«

»Nun da Sie so gute Augen haben, werden Sie auch sehen, was da drüben am Besten zu machen ist. Benachrichtigen Sie Hauptmann Babich, Oberst, daß er mit 150 Gränzern von der Enveloppe XXII. gegen die Plänkler-Chaine auszufallen hat und versuchen Sie, Herr Lieutenant, ob Sie bis zu den Kanonen da drüben durchzudringen vermögen.«

Der junge Offizier salutirte - sein Gesicht strahlte vor Freude und Stolz über die Wahl.

»Jetzt die Herren von der Artillerie an ihre Posten!« befahl der Oberst, dem die Anordnung des Ausfalls oblag.

Die Artilleristen eilten in die nahe belegenen, das Feld flankirenden Bastionen. Die Gränzer, kecke und verwegene Gestalten, standen bereits unter Gewehr.

Auf den Wällen hatte sich die halbe Garnison, auch viele der Einwohner versammelt, um Zeugen des Ausfalls zu sein. Die Nachricht von einem bevorstehenden Ersatz hatte sich, obschon Niemand als die betheiligten Offiziere etwas Näheres wußten, rasch verbreitet, und alle Herzen höher schlagen gemacht.

Jetzt wurde der Ausgang der Enveloppe XXII. geöffnet und die Compagnie brach unter Kommando des Hauptmann Babich hervor.

Es war eine Freude, anzusehen, wie die an dem Einzelnkampf in den wilden Grenzdistrikten gewöhnten Soldaten im raschen Vorgehen gegen die Bischofsbrücke die

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Plänkler-Chaine am Kanaldamm aufrollten, während durch das wohlgezielte Kartätschenfeuer aus den Bastionen IV, V und VI dem Feind weder ein Succurs noch der Rückzug gestattet war, so daß sich Alles, was nicht niedergemacht wurde, ergeben mußte.

Während der Hauptmann die Reserve in Ordnung und im Nachstoß hielt, stürmte an der Spitze der tapfere Gränzer-Lieutenant Jakobich weiter gegen die Josephstädter Brücke, wo eine aufgestellte halbe Kompagnie der Honveds mit Zurücklassung der zwei dreipfündigen Geschütze nach kurzem Kampf die Flucht zu ergreifen gezwungen wurde.

Im Triumph kehrten die Braven zurück mit ihren Gefangenen. Der Jubel der Garnison war groß, jedes Herz von frischem Muth erfüllt. -


Es war Abends gegen 11 Uhr - die Ungarn arbeiteten am Begadamm zur Verstärkung desselben und der dort angelegten Batterieen, die Garnison störte jedoch fortwährend durch Wachtelwürfe das Vorrücken der Arbeiten; die Aufmerksamkeit war daher hauptsächlich diesem Theil der Circumvallation zugerichtet.

In einem niedern aber noch bombenfesten Gemach mit vergitterten Fenstern der Stabskaserne saßen zwei Frauen, die Gräfin Pálffy und Comteß Helene, ihre Tochter.

Die eingefallenen Züge, die hagern Wangen und hohlen Augen der Frauen bewiesen, was auch sie während der schrecklichen Belagerung gelitten. Dazu kam noch bei der jungen Comteß die tiefe Sorge der Liebe, der schwer verletzte Stolz des kühnen Herzens, das sich

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widerstandlos gefesselt sah, während draußen der Kampf um die höchsten Interessen des Vaterlands wogte, und bei der Gräfin der rastlos intriguirende Geist, der sich hier auf so geringes Feld, wie die bisher kläglich ausgefallenen Freiheitsversuche, beschränken mußte.

Die beiden Frauen waren zwar streng bewacht aber im Allgemeinen nicht hart behandelt worden. Man kannte den großen Einfluß und die rastlose Thätigkeit, die Beide mit williger Aufopferung ihres Vermögens für die Sache der ungarischen Freiheit gezeigt hatten, und man hielt es daher für nöthig, sie in Gefangenschaft zu halten. Im Uebrigen hatten sie eben nur das allgemeine Elend zu erdulden gehabt und waren selbst nur wenig im Verkehr beschränkt.

Sie durften in Begleitung einer Wache mit den Bürgern verkehren und hatten eine Frau aus den untern Ständen zu ihrer Bedienung, die unbehindert und zu jeder Zeit bei ihnen eintreten konnte.

»Die Ancsa kommt nicht,« sagte endlich die Comteß in fieberhafter Aufregung, »und sie weiß doch, wie sehnsüchtig wir Nachrichten erwarten. Sollte auch sie uns verlassen?«

»Die Furcht thut Alles bei Leuten von solcher Herkunft,« - bemerkte die Gräfin bitter; »daß der Mann, welcher den Brief an Dich gebracht, der durch des Juden und ihre Hilfe in unsere Hände kam, ergriffen und erschossen worden ist, hat sie in Schrecken gesetzt.«

»Aber sie war bis jetzt treu und Isaschar ist es um seines Vortheils willen.«

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»Dann hätte er uns Nachricht senden sollen, was in der Stadt vorgeht. Es müssen diesen Nachmittag sich wichtige Dinge ereignet haben, - die Soldaten jubeln und sind guter Dinge! diese Lage ist nicht mehr zu ertragen; wenn Dein Starrsinn nicht wäre Helene, hätte man uns längst freigegeben.«

Das blasse leidende Gesicht der Comteß färbte sich in stolzem Unwillen. »Wie magst Du so sprechen Mutter? Ich sollte mein Wort geben diesen Knechten der verhaßten Tyrannei, mein Vaterland zu verlassen und an seinem Heldenkampf keinen Theil mehr zu nehmen? Niemals - lieber Gefangene unter tausend Leiden bis zum letzten Athemzug.«

»Du hast nicht gelitten, Undankbare, was ich litt auf dem Krankenbett in jenem scheußlichen Hospital. Heiliger Gott - diese schrecklichen Gestalten, dieses niedre gemeine Volk um mich - schon seine Nähe ist verpestend! und dazu jeden Augenblick die Furcht vor dem Tode durch eine der Bomben, die so rücksichtslos unsere Freunde in die Stadt werfen. Sie hätten doch bedenken sollen, daß wir hier sind, daß uns die gleiche Gefahr drohte ...«

»Mutter!«

»Mon Dieu, Kind - es ist wahr! Dein Stephan hätte Mittel finden müssen für unsere Sicherheit. Bedenke selbst, eine Gräfin Pálffy im gemeinen Bürgerhospital und jeden Augenblick in Gefahr, von den eigenen Freunden erschossen zu werden! Diese Leiden und Schrecken sind nicht länger zu ertragen.«

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»Ich war bei Dir Mutter, und hatte noch die Sorge um Dich!«

»Du bist jung, Helene und von stärkeren Nerven. Schon jene Nacht in Enyád hat meine Gesundheit zerstört - warum war ich auch so thöricht, Deinen Bitten nachzugeben und das sichere Pesth zu verlassen. Dein Eigensinn und Deine Leidenschaft sind es, die all' dies Elend und diese Gefahr über uns gebracht haben, und Dein sauberer Stephan, statt uns um jeden Preis zu befreien, schießt auf uns mit seinen Kanonen!«

Die Tochter beugte die Stirn bei den Vorwürfen der durch die kaum überstandene Krankheit noch reizbareren Frau, schweigend theils in verletztem Stolz, theils in dem Gefühl, daß ihre Liebe wirklich die Ursach gegeben. Plötzlich fuhr sie lauschend empor. »Hörten Sie Nichts, Mama? man kommt!«

Die Gräfin war aufmerksam geworden. »Mein Gott, so spät noch - ich bedarf mindestens der Nachtruhe, wenn man sie unter dem ewigen Schießen finden kann! - Wahrscheinlich eine neue Quälerei, um zu sehen, ob wir noch nicht aus diesen Eisengittern entflohen sind - zwei schwache, leidende Frauen!«

Die Thür öffnete sich - eine Frauengestalt, in grobes Gewand und in ein Regentuch dicht verhüllt, schlüpfte herein.

»Es ist die Ancsa! - Gott sei Dank, daß Du kommst!«

»Es ist unverantwortlich, so spät Dich an Deinen Dienst zu erinnern und uns so lange allein zu lassen.«

Die Frau machte den gewöhnlichen demüthigen Gruß,

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ohne weder auf den Willkommen noch auf den Vorwurf zu antworten. Dann überzeugte sie sich zunächst, daß die Thür verschlossen war und als dies geschehen, nahm sie das Regentuch ab.

»Was soll das heißen - das ist die Ancsa nicht! Wer bist Du? was willst Du hier?«

»Still Ihro Gnaden - bei unser Aller Leben beschwör ich Sie! Sehn mich Euer Gnaden recht an,« - sie trat in das Licht der Lampe. »Erkennen mich Ihro Gnaden nicht?«

Die Comteß Helene betrachtete sie fest. »Es ist wahr, dies Gesicht ist mir nicht unbekannt - ich muß es irgendwo gesehen haben!«

»Oft genug vor den Thoren Ihres Schlosses in unserer gesegneten Heimath, wenn ich auch ein armes verfolgtes Weib war und der Rózsa Sándor noch ein geächteter Mann auf den Pußten, statt wie jetzt ein geehrter Krieger des Ungarnlands und der Freund Ihres blanken Bräutigams.«

»Katharina Bodo?«

»Ich bin's - das Weib des Sándor!«

»Gott sei gepriesen - so bringst Du uns Nachricht von Graf Stephan. Wo ist er?«

Das entschlossene und gewandte Weib des Betyárs trat der Comteß noch näher und wies mit einer Bewegung des Daumens nach dem vergitterten Fenster des Gemachs. »Keine hundert Schritt von hier Ihro Gnaden. Er und der Rózsa.«

»[]Die Comteß erbebte, ein tödtlicher Schrecken ging

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ihr durch's Herz, daß ihr Geliebter sich um ihretwillen so großer Gefahr ausgesetzt hatte, und dennoch erfreute es sie auch als ein Beweis seiner Liebe.

Aber die Gräfin selbst mengte sich jetzt in das Gespräch. Bei der geringsten Aussicht auf Rettung war ihr der politischen Intrigue zugeneigter Geist sofort wieder in voller Thätigkeit.

»So hat man Anstalten getroffen, uns zu befreien, gute Frau?«

»Ja Ihro Gnaden. Der Oberst wollte durchaus das Wagniß bestehen, da man nicht wissen kann, was schon der nächste Tag bringt, und die Comteß dann vielleicht auf immer ihm vorloren wäre.«

»Was meinst Du damit, was ist geschehen - ? Die Festung kann sich unmöglich auch nur Tage noch halten und dann wären wir ohnehin befreit.«

Die Betyárenfrau schüttelte den Kopf. »So wissen Ihro Gnaden nicht, was sich ereignet?«

»Keine Sylbe - nur diesen Nachmittag sahen wir, daß die Hoffnung unserer Feinde auf's Neue gestiegen!«

»Die Festung,« berichtete Katharina, »kann jeden Augenblick Beistand erhalten. Es sind Nachrichten eingetroffen, daß die Deutschen und die Russen herankommen. Die Sache der Freiheit ist in Gefahr, Pesth ist in den Händen der Feinde, die Unsern sind mehrfach geschlagen und zurückgedrängt -, der Bluthund Haynau zieht gegen Szegedin heran.«

»Aber die ungarische Armee?« frug athemlos, der eigenen Noth vergessend, die Comteß.

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»General Dembinsky und Mészáros stehen ihm noch in sicherer Stellung gegenüber. General Vécsey hat alle Truppen, die er entbehren konnte, ihnen zu Hilfe gesandt, dort muß sich das Schicksal Ungarns entscheiden; denn wenn unsere Freunde die Deutschen schlagen, ist Temesvár gefallen.«

»Warum hat der Graf sich dann in diese Gefahr begeben?«

Die Botin zuckte die Achseln. »Es kann auch das Gegentheil kommen und der Oberst will sein Liebstes retten. Der Sándor meint, die Honveds würden kämpfen wie die Bären, aber unter den Offizieren herrscht Zwietracht und Mißtrauen.«

»Wir müssen den Versuch auf alle Fälle wagen,« entschied die Gräfin. »Wie soll es geschehn?«

»Der Oberst und Sándor sind verkleidet in der Festung, « berichtete die Frau. »Der Jude Isaschar hat uns von Allem unterrichtet, auch daß der Lajos entdeckt und erschossen ist. Aber er war treu, der Bursche, und hat Nichts verrathen. Mit des Juden Beistand nahm ich die Kleider der Frau, die Ihro Gnaden bedient. Es ist nicht schwer, aus der Festung zu entkommen, wenn das Auge scharf und das Herz entschlossen sind. Der Graf und der Sándor sind in jenem Hause versteckt, das nur noch ein Trümmerhaufen. Hier sind zwei Falina-Tücher, die Ihro Gnaden um den Kopf nehmen müssen, wenn Sie entschlossen sind, mit uns zugehen. Niemand wird unter dieser Hülle die Gräfinnen Pálffy vermuthen.«

»Aber wie gelangen wir von hier fort,« frug die

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Comteß. »Es steht eine Schildwach vor der Thür und wir dürfen bei Nacht die Kaserne nicht verlassen.«

»Ebbadta - das ist unsere Sache, wenn Ihro Gnaden erst entschlossen und bereit sind. Der Sándor ist ein Tapferer und hat an Alles gedacht. Was nicht auf den Wällen oder im Dienst ist, liegt in tiefem Schlaf. Aber Eile thut Noth und ich muß sonst zurückkehren zu meinem Mann.«

Es folgte eine kurze Berathung zwischen den Frauen, ob sie den Versuch wagen sollten oder nicht, und obschon die Gräfin im Augenblick der That wieder in ihre gewöhnliche Furcht und Unentschlossenheit zurückfiel, bestand Comteß Helene doch auf der Ausführung des Entschlusses.

Katharina Bodo, das Weib des Betyáren, ergriff die Lampe, die auf dem Tisch stand, trat damit an das mit Eisenstäben gesicherte Fenster und erhob sie drei Mal.

Dann setzte sie sich nieder und horchte.

Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck fester Entschlossenheit und vollen Vertrauens auf die Gewandtheit und Kraft ihres Gatten, dennoch - wie sehr sie auch an Gefahr und Blutvergießen in ihrem abenteuerlichen Leben gewöhnt war - zitterte ihre Hand, als sie die Lampe wieder auf den Tisch stellte.

Die Comteß begriff, daß draußen eine jener schrecklichen Scenen vorgehen werde, wie sie so oft der wilde Kampf der Nationalitäten hervorrief.

Man hörte in den längeren Pausen, welche jetzt der Donner der Geschütze ließ, den schleppenden unregelmäßigen Schritt der Schildwache, die - durch die unsäglichen

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Anstrengungen des Dienstes erschöpft, vor der Thür des Gebäudes hin- und herging und sich von Zeit zu Zeit, gegen den Schlaf kämpfend, an die Mauer lehnte.

Der Mann war vom Banater Gränzer-Bataillon, das sich bei dem Ausfall am Nachmittag so glänzend ausgezeichnet hatte.

Der Schritt der Wache hatte jetzt wieder aufgehört - einige Augenblicke folgte eine tiefe Stille - dann klang es wie ein leises Aechzen und ein schwerer Fall.

Comteß Cäcilie erbebte und bedeckte ihr Gesicht mit der Hand - Katharina hob bedeutsam den Finger - die Gräfin sah erstaunt auf die Beiden, ohne zu begreifen, was vorging.

Bald darauf vernahm man wieder den Schritt der Schildwache, aber kräftiger, regelmäßiger, als zuvor. Die beiden Frauen athmeten hoch auf, die Comteß, weil sie eine blutige That ungeschehen glaubte, die Frau des Betyáren, weil die Gefahr beseitigt war.

Gleich darauf hörte man, wie ein Kieselstein oder ein ähnlicher leichter Gegenstand an das Fenster geworfen wurde.

Die Betyárenfrau erhob sich. »Es ist Zeit! Nehmen Ihro Gnaden die Tücher!«

Sie löschte die Lampe aus. Dann öffnete sie die Thür und horchte hinaus auf den Gang. Es regte sich Nichts in dem, in den obern Geschossen gleichfalls längst zerstörten Gebäude; - wer von den Bewohnern nicht auf den Wällen war, lag in tod[t]ähnlichem Schlaf.

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»Jetzt, Ihro Gnaden, halten Sie sich fest zu mir und folgen mir. Ich habe den Weg gemerkt.«

Die kecke Frau schlich voran, die Comteß, ihre Mutter stützend, folgte mit dieser.

Es war, wie gesagt, kein Hinderniß auf dem Weg, die Gefangenen gelangten über den Gang und einige Stufen in den Flur des Gebäudes und an die offene Thür.

Die frische Nachtluft wehte ihnen entgegen, als sie heraustraten. Ein leichter rother Schein von einem an der andern Seite der Stadt durch die Bomben entzündeten Feuer fiel bis hierher und ließ sie die Gegenstände erkennen.

»Rasch, rasch - in den Schatten dort, nach der andern Seite!« flüsterte die Führerin.

Die Gräfin wollte aufschreien - dicht neben sich erblickte sie die Schildwache; doch die Frau, den gewohnten Respect bei Seite setzend, drückte ihr die Hand auf den Mund.

»Still um der Heiligen willen! Es ist der Rózsa!«

Die Comteß schauderte - sie erkannte jetzt die Wahrheit, und sah jetzt auch, daß die Betyárenfrau ein langes spitzes Messer in der Hand hielt. Der Betyár mit dem Gewehr und Tschako der Wache angethan, wandte sogleich den Flüchtenden den Rücken und setzte seinen Gang an dem Gebäude entlang fort.

Die drei Frauen eilten rasch über den freien Platz fort, dem bergenden Schatten des gegenüberliegenden in Trümmer geschossenen Hauses zu.

»Cäcilie!«

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Die Comteß fühlte sich von warmen Armen umschlungen und an ein Freude klopfendes treues Herz gedrückt. Es war Graf Stephan, der hier, gleich seinem Gefährten, in die Uniform eines der österreichischen Ueberläufers verkleidet, ihrer harrte.

Wie innig und warm auch die Gefühle der so lange und unter so schrecklichen Gefahren Getrennten waren, - die Begrüßung durfte doch nur wenige Augenblicke dauern, denn diese waren kostbar.

Zwei Männer waren bei dem Grafen, der Jude Isaschar, der während der ganzen Belagerung den Spion gemacht und mit den Belagernden in Verbindung gestanden hatte, und der Honved, der mit dem ertappten Lajos in die Festung gekommen war. Der Jude drängte zum sofortigen Aufbruch, da der geringste Zufall sie verrathen konnte.

Katharina legte die Hand an den Mund und ließ einen Ton erklingen wie das Krächzen des kleinen grauen Käuzleins, das die Oede der Pußten bewohnt. Ein gleicher Ton antwortete von der Seite der Wache her.

»Jetzt Jude vorwärts und führe uns. Der Sándor wird bald genug hinter uns sein.«

»Gott der Gerechte,« klagte der Spion, »warum will der gnädige Herr Rózsa, der grauße und berühmte Held, nicht noch bleiben ä Stund auf 'en Posten - es wär gut für uns Alle. Denn wenn sie kommen und finden keine Wach, könnt' es geben Spektakel!«

»Hund von einem Juden,« sagte die entschlossene Frau, »meinst Du, daß Mann meinigter hier in der Falle der

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Deutschen bleiben soll? Ich dächte, er hätte genug gethan, und vorwärts jetzt - denn mir ahnt Gefahr!«

Der Jude ging voran, zunächst so viel als möglich im Schutz der Schatten und auf abgelegenen Wegen sie führend, dann folgte in einiger Entfernung die Betyárenfrau mit der Gräfin, hinter ihnen der Offizier mit seiner Braut. Wieder in kurzer Entfernung kam der Deserteur, einer der schlauen und verwegenen Burschen aus der Freischaar des Betyáren, gleichsam als schützende Nachhut, und die kleine Gesellschaft hatte noch nicht die zweite Straße zurückgelegt, als der Graf beim Zurückblicken bemerkte, daß eine zweite Gestalt sich zu jenem gesellt hatte. Er wußte, daß der treue und kühne Rózsa, auf den er alles Vertrauen setzte, jetzt ihren Rückzug decken half, und benachrichtigte mit einem kurzen Wort die Frau von dem glücklichen Entkommen ihres Gatten, worauf Alle noch mehr ihre Schritte beschleunigten.

Wir haben bereits erwähnt, daß, was von der Garnison auf den Wällen nicht unter Waffen stand, oder im Dienst beschäftigt war, der erlittenen Noth und den Strapatzen in tiefem Schlaf unterlag; dasselbe war mit den Bewohnern der unglücklichen Stadt der Fall. Die Gefahr der Entdeckung war dadurch bedeutend vermindert, und obschon bei der fortdauernden Kanonade die Straßen keineswegs leer waren, ließ doch die Dunkelheit, die Verhüllung der Frauen und die österreichische Uniform der Männer, so wie der Umstand, daß sie in abgesonderten Gruppen gingen, die Flüchtenden ungehindert die Gassen bis in die Nähe der halbzerstörten Festungswerke passiren.

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Sie waren bis zu der Stelle gekommen, wo der Graf mit dem Betyáren durch den trockenen Graben sich in die Stadt geschlichen, und vereinten sich hier in dem Schatten einer Mauer.

Der Oberst reichte dem Juden eine wohlgefüllte Börse. »Nimm Isaschar, und wie das Geschick der Schlachten sich auch entscheiden mag, die Dienste, die Du geleistet, werden nicht vergessen werden.«

Der Jude erschöpfte sich in Danksagungen und verschwand, während die Zurückbleibenden sich rasch beriethen, in welcher Weise sie am besten die gefährliche Stelle passiren könnten. Aber schon nach wenigen Augenblicken kam jener hastig zurück.

»Gott Moses und der Propheten - es ist Lärm in der Stadt, es muß sein gepassirt eppes Ungewöhnliches - sie haben vielleicht entdeckt die Schildwach, die der Herr da erschlagen. Retten Sie sich, da es noch ist an der Zeit.«

Er floh auf's Neue davon, für seine eigene Sicherheit sorgend. »Vorwärts denn,« sagte der Graf entschlossen - »wir müssen den Versuch wagen und setzen uns höchstens der Kugel der Schildwach dort auf der Bastion aus. Ehe sie munter werden, sind wir im Dunkel des Grabens. Tamas, Du gehst mit mir voran, den Weg zu sichern - Rózsa Du folgst in zwei Minuten mit den Frauen.«

Er drückte der Comteß die Hand und schritt vorwärts in den freien Raum, der sie von der Courtine und deren Winkel an der Bastion trennte; der Betyár machte sich bereit, ihnen mit den drei Frauen zu folgen, denn sein

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scharfes Ohr vernahm in den entfernten Straßen militairische Signale.

Der Graf mit seinem Begleiter war etwa zwanzig Schritt vorwärts gegangen, als von derselben Stelle her, der er sich näherte, Worte erklangen.

»Hierher Herr,« sagte eine ernste gebietende Stimme. »Helfen Sie dem Herrn herauf, Hauptmann. Gott sei Dank, daß Sie zurückgekehrt sind und gute Botschaft bringen.«

»Ich weiß nicht, mit wem ich die Ehre habe zu sprechen,« antwortete eine scharfe, durch die Anstrengung des Heraufsteigens etwas bewegte Stimme, deren Klang dem Ungarn nicht unbekannt schien und ihm ein Gefühl verursachte, wie etwa der widrige Zischlaut der Schlange dem ruhigen Wanderer - »aber es sind jedenfalls Offiziere Seiner Majestät, und wenn ich auch nicht Derjenige bin, den Sie erwarten, so gehöre ich der guten Sache und bringe die besten Nachrichten.«

»Das gebe Gott! Wer sind Sie Herr - Sie kannten die Parole, die mit Herrn ... verabredet worden?«

»Davon nachher - er befindet sich wohlbehalten im Lager der Rebellen, durfte aber selbst die Rückkehr nicht wagen, weil er sich mit jedem Versuch leicht verdächtig gemacht hätte. Zunächst bitte ich, führen Sie mich zu Se. Excellenz dem Herrn Kommandanten, ich habe Depeschen von der größten Wichtigkeit für ihn.«

»Dann haben Sie nicht weit zu gehn. Ich bin der Feldmarschall-Lieutenant Rukovina!«

Die Sprechenden waren näher gekommen - der Graf

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mit seinem Begleiter blieb stehen, er wußte, daß jeder Versuch, sich zu entfernen, nur die Aufmerksamkeit auf sie lenken mußte und vertraute dem scharfen Ohr des Betyáren, daß er genug gehört, um mit den Frauen zurückzubleiben, bis die Gefahr vorüber war.

»Dann erlauben Euer Excellenz mir,« fuhr der Fremde stehen bleibend fort, »Ihnen sofort diese Depesche des Herrn Feldzeugmeisters zu übergeben. Sie hat die höchste Eile und ist erst diesen Abend durch unsere Vertrauten im Lager eingetroffen. Deshalb hab' ich selbst das Wagstück übernommen, sie in die Festung zu schaffen. Das Zeichen auf dem Umschlag besagt: Bei Tag oder Nacht sofort!«

»Dann wäre jeder Augenblick Verzögerung! - Hierher meine Herren, hat einer von Ihnen Feuerzeug bei sich? - Wer steht da?«

Die Frage galt dem Grafen und seinem Begleiter. Der Ungar stand in der reglementsmäßigen Haltung.

»Soldat von der ersten Kompagnie Zanini,« sagte er mit rascher Geistesgegenwart, seiner Verkleidung entsprechend.

»Was thust Du hier?«

»Wir haben einen Kranken vom Wall nach dem Lazareth gebracht.«

»Gut - geht auf Eure Posten. Aber - halt! Schön Hauptmann - das wird uns helfen. Geben Sie das Ende Licht dort dem Mann zu halten, wir können den Inhalt der Depesche da gleich erfahren.«

Einer der Begleiter des alten Kommandanten hatte in der That, da dergleichen Runden häufig vorkamen, ein Ende Wachskerze aus der Tasche geholt und mit einem

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Streichholz in Brand gesetzt. Er reichte das Licht dem vermeintlichen Soldaten, der es mit fester Hand empfing und mit ausgestrecktem Arm vor sich hin hielt.

Der greise Kommandant trat dicht an das Licht, untersuchte zuerst die Enveloppe der zu einer Diminutivform zusammen gefalteten Depesche und öffnete sie sodann.

Seine Umgebung bildete in der Entfernung von etwa zwei Schritten einen Kreis um ihn. Es waren vier Offiziere und der Fremde, welcher die Depesche gebracht hatte; alle - auch der Letztere - waren wohl bewaffnet. Der zweite verkleidete Soldat, von der Freischaar Rózsa's, Tamas, stand etwas zurück außerhalb des Kreises, aber er wagte natürlich gleichfalls nicht, sich zu rühren.

Die Situation war entsetzlich, selbst für die stärksten Nerven. Das Licht, das Graf Stephan in der ausgestreckten Hand hielt, verbreitete zwar nur einen geringen Schein, aber doch genügend, um die Gesichter der Anwesenden zu erkennen - am hellsten fiel er auf sein eigenes.

Ein rascher Blick hatte dem Grafen gezeigt, daß keine gleiche Uniform wie die seine, also kein Offizier von Zanini-Infanterie im Kreise war. Erst dann begann er das Auge zu erheben, um die Gestalten der Anwesenden näher zu erforschen, und für alle Eventualitäten die Kräfte seiner Gegner und die Chancen des Entkommens zu prüfen.

Er mußte alle Kraft seines starken Geistes, alle Besonnenheit seines Mannesmuths aufbieten, um sich nicht durch ein unwillkürliches Zeichen zu verrathen.

Das erste Gesicht, auf das seine Augen fielen, war ihm nicht unbekannt. Es war das des Hauptmann Feldegg,

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desselben Offiziers, mit dem er zwei Tage vorher als Parlamentair vor dem Thor der Festung unterhandelt und den er um Nachrichten von der Geliebten und ihrer Mutter befragt hatte.

Das Auge des Kapitains ruhte gleichfalls, wohl zufällig auf ihm, aber er glaubte den Ausdruck des Staunens, des Nachsinnens in ihm zu erkennen - der Blick wurde fester und fester.

Welche Marter - welche entsetzliche Anstrengung der Seele! Eine aufsteigende Röthe mußte ihn verrathen, die geringste Verlegenheit konnte Verdacht erregen.

Der Oberst nahm alle seine Kraft zusammen, er erwiderte den Blick ruhig aber achtungsvoll und senkte dann gleichgültig das Auge.

Die Aufmerksamkeit des Hauptmanns wurde überdies nach einer andern Seite in Anspruch genommen; als der verkleidete Ungar wieder aufblickte, war das Auge seines Gegenüber auf den alten Kommandanten gerichtet, der dicht über das inhaltschwere Papier gebeugt, so nahe als möglich dem Licht, die Schriftzüge entzifferte und mit einzelnen Ausrufungen und Mittheilungen begleitete.

Keine dreißig Schritt davon, also vollkommen in dem Bereich, Alles zu hören und zu sehen, was vorging, befand sich die Gesellschaft der Flüchtlinge im Schutz der dunklen Schatten des Gemäuers. Der Graf, der vor seiner entsetzlichen Lage nicht erzitterte, erbebte bei dem Gedanken, was die Geliebte in diesem Augenblick um ihn leiden mußte. Er wagte nicht, den Blick nach jener Seite zu richten.

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»Victoria, meine Herren,« sagte alte Kommandant während des Lesens - »unsere Ausdauer trägt den Sieg davon! - Gott sei Dank - die kaiserlichen Fahnen sind überall im Sieg! - der Feldzeugmeister steht in Szegedin und wird morgen früh die Ungarn angreifen. - Baron Blomberg!«

»Zu Befehl Excellenz!«

Der Alte las immer weiter. »Die Absicht des Feldzeugmeisters geht darauf, Dembinski und Meczaros[Mészáros] über den Bega-Kanal zurückzuwerfen, bevor Bem sich mit ihnen vereinigen kann. Er rechnet auf unsere Unterstützung. Ueber wie viel waffenfähige Mannschaft disponiren wir im Augenblick?«

»Dreitausend achthundert Mann Excellenz und fünfhundert Pferde.«

»Es muß Alles verwandt werden, was irgend entbehrlich ist. Nehmen Sie den Rest der sechs Schwadronen Schwarzenberg Ulanen, eine Division von Sirkovich und meiner Infanterie, fünfzig Schützen und Pioniere und eine sechspfündige Batterie und lassen Sie diese zum Ausfall bereit sein von morgen früh neun Uhr. - Was ist das für ein Lärmen dort in der Stadt?«

Der Graf hätte, mit dem Interesse des Kriegers die rasch gesprochenen Nachrichten des Festungskommandanten und seine Befehle anhörend, fast die eigene gefährliche Lage darüber vergessen können, wenn es seit einigen Minuten nicht auf ihm gelegen, wie ein schwerer drückender Alp.

In den Dschungeln Indiens, wo die Palme sich hoch über das Gewirr der Cacteen, des schwankenden Rohrs

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und der tausend blüthenreichen Schlingpflanzen zum glühenden Himmel emporschwingt, empfindet der kühne Wanderer, der alle Schrecken der Wüste bestanden, plötzlich ein drückendes belastendes Gefühl - eine unheimliche Nähe, die wie ein unsichtbarer Giftodem seinen Athem preßt. Obschon keine Spur, nicht das geringste Geräusch ihre Nähe verräth, weiß er, daß eine drohende Gefahr ihm nahe - wie von geheimnißvollem Magnetismus werden seine Augen nach einer bestimmten Stelle gezogen, - er kämpft vergeblich gegen diese Gewalt an, und doch muß er seine Blicke dahin richten, einzig und allein in dem weiten - doch so vieles Gefährliche bergenden - Umkreis nach jener Stelle, wo dem Auge doch nur eine dunkle smaragdne Blätterhülle sich zeigt. Aber die Wand der grünen Lianen und der breiten riesigen Blätter des Pisang hat eine Stelle, die seltsam leuchtet und glänzt; - sind es zwei Thautropfen der Nacht, die im schützenden Schatten der verzehrenden Sonnengluth widerstanden haben? sind es Smaragden mit dem wildgrünen Feuer - die geheimnißvollen Strahlen des schwarzen Diamanten?

Ein dünner rother Streif züngelt durch das Laub - ein heißer Athem dampft hervor - barmherziger Gott, es ist die Boa, die hier verborgen liegt, und ihr teuflisches Auge hält bereits den Wanderer in seinem Bann, nachdem er glücklich so weite Länder durchzogen - so hundert Gefahren entgangen ist. Er weiß, daß er am Ende seiner Pilgerfahrt steht, daß Nichts ihn dem tödtlichen Bann mehr entreißen kann, der wie eine Fessel sich um seine Glieder legt, daß die leiseste Bewegung, der geringste

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Versuch zur Rettung und Flucht sein Schicksal nur zu beschleunigen vermag.

Da giebt der Tapferste den Widerstand auf und überläßt sich ohnmächtig dem furchtbaren Verhängniß! -


Die dralle Walachendirne, das kecke runde Gesicht mit der zierlichen Goldmütze auf den langen münzendurchflochtenen Zöpfen dreht sich im Arme des stattlichen Zaräny-Sohns mit der viereckigen Mütze und dem weit vom Stiefel aufgeschlitzten Beinkleid mit den bunten Näthen[Nähten] in wirbelndem Tanz. Plötzlich erbleicht die rothe Wange, jede Kraft der strammen Schenkel hat sie verlassen und der Liebhaber muß sie vom Tanzplatz fast tragen zurück zum Sitz, dem gebleichten mächtigen Ochsenschädel. Was hat die gesunde kräftige Dirne in dem Tanzgewühl an der Linde so plötzlich getroffen? - ihre Blicke sind wirr und starren doch immer nach einer Stelle und ihr Busen hebt sich in tödtlicher Angst, ohne daß sie doch mit einem Wort sagen kann, sagen darf, welche Gefahr sie befürchtet!

Drüben hinter den Zigeuner-Musikanten her, die den wilden Tanz fiedeln und auf der Sackpfeife blasen, aus der Menge der Zuschauenden und Zechenden haben sie zwei Augen getroffen, zwei graue stechende Augen in bleichem Gesicht, stechend wie der Biß einer Natter. Ihr Blick ist ihnen begegnet, und seitdem ist ihre Kraft gelähmt; denn wie gebannt liegen diese Augen, diese fürchterliche Augen auf ihr und begleiten jede ihrer Bewegungen. Sie fühlt, daß sie ihnen nicht mehr entgehen kann, daß sie in ihrem Bann verbluten muß das junge frische Leben - und dennoch ist der Fremde, dem sie gehören, ein schöner stattlicher

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Mann in reichem Gewand, stattlich genug, um jede Dirne zu locken zum Freien.

Zu Nacht wird der neue Freier sie besuchen, die blassen Lippen werden den vollen Nacken, den üppig schwellenden Busen küssen so fest, so fest - daß sie sich gar nicht losreißen können, bis all' das warme Leben in sie übergegangen! Es ist der Wudkoklak - es ist der Vampyr - er will ihr Herzblut, und sie muß es ihm geben, denn aller Widerstand ist vergeblich.

Wie der Wanderer das Auge der Boa, - wie die Walachin das Auge des Vampyrs fühlte Graf Stephan ein fremdes unheimliches Gewicht auf sich ruhen, als er die seinen nach jener Seite kehrte.

Dort stand der Fremde, der die Depesche gebracht, erst weiter zurück im Schatten, daß er der ersten raschen Umschau entgangen, jetzt näher an den Lichtkreis getreten. Das Auge des Grafen hob sich langsam an der Gestalt empor.

Der Mann, von mittlerer schmächtiger Statur, trug die rauhe Kleidung eines Ochsentreibers oder Fuhrmanns aus den Gränzbezirken, wie sie zu Hunderten von der ungarischen Armee requirirt worden waren und im Lager täglich ab- und zufuhren mit Proviant, Munition und hundert andern Dingen. Er hatte den breitgekrempten niederhängenden Hut auf dem Kopf und schwarze fettglänzende straffe Zöpfe hingen vor seinen Ohren nieder und umrahmten das blasse Gesicht. Zu beiden Seiten des aufgeworfenen Mundes hingen die langen Spitzen des Schnurrbarts in gleicher Weise nieder.

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Die Augen des Grafen begegneten dem starren Blick des Fremden, der fest auf ihm ruhte und es zuckte wie ein Stich durch sein tapferes Herz - ehe er sich selbst noch Rechenschaft zu geben vermochte über das, was er sah. Die Augen des Fremden waren groß, rund und hellgrau, aber ihre gewöhnliche Härte hatte jetzt einen Glanz, wie der brennende Blick der Schlange. Das Gesicht mit der langen leichtgebogenen Nase und den weitgeöffneten Augen, dem kräftigen, dem thierischen Element gehörigen Kinn, der hochgewölbten breiten Stirn und den schmalen tiefen Schläfen trat selbst unter der wohlgelungenen Verkleidung hervor und der hämische, höhnende Ausdruck, der teuflische Triumph, der in diesen Augen und in dem indolenten Zug um den Mund lag, überzeugten den Grafen sofort, daß er recht gesehen.

Das tapfere muthige Herz in der Brust erbebte ihm - trotz all' seiner Selbstbeherrschung machte er eine unwillkürliche Bewegung des Schreckens.

Schon zwei Mal hatte er diesem Menschen in ähnlicher Situation gegenüber gestanden, im Garten des Belvedere, als er verkleidet sich durch das kaiserliche Heer aus dem cernirten Wien zu schleichen versucht hatte, und Jener zur Revange für die Verachtung, die er dem Kebsmann der Gräfin an der Barrikade gezeigt, dem österreichischen Feldmarschall seinen Namen nannte, - und dann vor vier oder fünf Monaten in der Csárda am Weg nach Enyád, wo er, der Flüchtling, mit dem Verkleideten Pistolenschüsse wechselte.

Es war sein Todfeind - der Doktor Lazare, der

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Verräther - der Spion! Er fühlte im Augenblick, daß er erkannt sei, daß er von diesem Mann keine Schonung zu erwarten habe.

Der Doktor hatte die unwillkürliche Bewegung des Grafen bemerkt, auch er wußte, daß er erkannt war, und der triumphirende Zug auf seinem Gesicht nahm etwas wahrhaft Diabolisches an. Wie zum Hohn hob sich langsam seine Hand nach dem Mund und entfernte den falschen schwarzen Bart, der ihn umgab.

Die grauen, runden Augen des Doktors blieben unverwandt auf dem Opfer haften, das ihm der Zufall so günstig in die Hände gegeben - der Blick des Grafen starrte eben so fest auf seinen Feind. Obschon das Blut aus seinem Gesicht wich und das Herz sich ihm zusammen krampfte, zwang er sich, die Augen nicht abzuwenden von dem Todfeind, der jetzt der Sieger war.

Er wußte, daß er jetzt verloren und der tapfere Gefährte mit ihm, daß die Flucht der Damen entdeckt werden mußte und an ein Entkommen nicht mehr zu denken war.

»Wir müssen versuchen, Vécsey von der Straße nach Gyarmata abzudrängen und nach Szent Andras zu werfen«, fuhr der greise Kommandant fort. »Lieutenant Weiler, benachrichtigen Sie sofort Ihren Obersten. Graf Salis, sehen Sie nach, was es in der Stadt giebt, der Lärmen wird immer größer. Sie finden mich am Arader Thor.«

Der junge Ulanen-Offizier wollte sich entfernen, aber die Linke des Agenten hielt ihn zurück, während die rechte Hand desselben einen unter der Guba verborgenen Gegenstand zu fassen schien.

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Seine Augen verließen dabei keinen Augenblick den Grafen.

»Einen Augenblick, Excellenz«, sagte der Doktor, »ich glaube, wir werden diese Herren noch brauchen!«

»Was meinen Sie?«

Der Doktor blickte hämisch auf den Ungar - es war, als wolle er seine Nerven prüfen, so langsam - Tropfen um Tropfen - verspritzte er sein Gift.

»Euer Excellenz sind von Verrath umgeben - es befinden sich in diesem Moment ungarische Spione in der Festung.«

»Das wäre der Teufel! Wo stecken sie? Können Sie uns Näheres angeben? Es ist von der größten Wichtigkeit, daß in diesem Augenblick keine Nachrichten an den Feind gelangen!«

»Ich bin von dieser Wichtigkeit um so mehr überzeugt, als die Spione bereits um Euer Excellenz Befehle für den Ausfall wissen!«

»Das ist unmöglich! Sie müßten denn unter uns sein!«

»Das sind sie!«

»Wo?«

»Dort!«

Der Finger des Doktors wies auf den Grafen, der noch immer mit ausgestrecktem Arm das Licht hielt. Sein Gesicht war bleich, aber der Mund fest geschlossen - noch hoffte er, mit dem eigenen Opfer vielleicht die Freunde zu retten.

»Diese Uniform ist Verkleidung - lassen Euer Excellenz

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die Beiden ergreifen, es sind ungarische Spione, bei meinem Kopf!«

Die Offiziere griffen nach ihren Waffen, der greise Kommandant starrte einen Augenblick sprachlos den falschen Soldaten an. »Tod und Teufel! - was ist das?«

»Es ist wahr, Herr - ich bin Ihr Gefangener!«

»Nehmt ihn fest! - Wachen herbei! Durchsucht die Umgebung!«

Der Offizier von Rukowina[Ruckowina] Infanterie faßte den Grafen an der Schulter: »Deine Waffen her, Bursche, oder ich stoße Dich nieder!« Plötzlich taumelte er zur Seite und im selben Augenblick knallte ein Schuß aus dem Dunkel des Gemäuers.

»Baszom a lelkedet! Sind wir noch nicht so weit! Fort, Kameraden - nicht lebendig sollen sie den Sándor haben!«

Der Betyár, sein Weib an der linken Hand mit sich fortreißend, stürzte sich gleich einem im Sprung begriffenen Tiger auf die Gruppe der Offiziere, die noch von der eben gemachten Entdeckung überrascht waren, und warf sie aus[] auseinander - der alte Kommandant selbst wurde über den Haufen geworfen und zu Boden geschleudert - der Betyár hatte nach dem Schuß die Muskete fallen lassen und schwang in der Rechten eine schwere Pistole, mit der er, rechts und links gewichtige Schläge austheilend, sich Bahn brach. »Hierher, Herr! ich weiß den Weg!«

Der Graf hatte die Kerze fortgeworfen - er begriff, daß die verzweifelte That seines Begleiters sie vielleicht noch zu retten vermöge, denn die Dunkelheit und die Gefahr,

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daß Einer den Andern verwunde, hinderte die Offiziere, obschon die Ueberzahl auf ihrer Seite war, von den Waffen Gebrauch zu machen. Er warf rasch entschlossen den ihm zunächst Stehenden zur Seite, sprang über den Körper des alten Kommandanten fort und stürzte gegen den Wall, wohin sich sein tollkühner Gefährte mit seinem Weibe bereits glücklich durchgeschlagen.

Auch Tamas, der einäugige Honved, der bisher unbeachtet außerhalb des Kreises gestanden, ohne doch zu wagen, einen Versuch zu seiner Rettung zu machen, vermehrte die Verwirrung durch seine Flucht, aber er gerieth in eine falsche Richtung und lief den Wachen in die Arme, die von der Bastion herbeieilten.

Der Betyár mit seinem Weibe war bereits auf dem Kamm der Courtine, wo die Kugeln der ungarischen Batterien den Wall zusammengerissen hatten. Auf der nahen Bastion rannten die dunklen Gestalten der Wachen und Artilleristen an ihre Posten; die Stimme des kommandirenden Offiziers, den der Lärmen aufmerksam gemacht, war deutlich zu hören: »An die Geschütze! - Aufgepaßt! - Lunten her!«

Es galt Tod oder Leben!

»Feuer auf sie! Feuer von der Bastion - laßt sie nicht entkommen!« scholl die dröhnende Kommandostimme des alten Kommandanten, den seine Adjutanten vom Boden aufgerafft und der mit jugendlicher Behendigkeit der Kehle der Bastion zuraunte.

»Fertig! - Aufgesetzt! - Feuer!«

Das Geschütz, das den Wall flankirte, krachte in die

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Nacht und spie einen Hagel von Kartätschen über den Wallabhang und den Graben.

Einen Augenblick vorher hatte der Betyár mit starkem Arm sein Weib umfaßt und sich mit ihr den Wall hinab mehr geworfen, als daß es ein Sprung gewesen wäre. Seine ungeheure Muskelkraft und Gewandtheit allein rettete sie, indem sie über die Trümmer der Bresche in den Graben rollten. Sie lagen auf dem modrigen Boden desselben, zwischen nachrollenden Steinen und Erde, als die Kartätschenladung über sie weg fegte - dem Umstand allein dankten sie ihre Rettung.

Zerstoßen - halb zerschmettert und zerquetscht raffte der Betyár sich doch augenblicklich empor. »Lebst Du Katharin oder bist verwundet?«

»Szent Kereszt sei Dank Szábo, das Unglück ist an mir vorübergegangen!«

Der Betyár stieß einen wilden Freudenruf aus, zum Hohn den Feinden: »Eljen Hungaria!«

»Schießt! schießt! dort sind sie!«

Aber die Musketen krachten vergebens - im Schutz der Dunkelheit huschten der kühne Freischaarenführer und sein Weib auf dem modrigen Grunde des Grabens hin, bis sie aus der gefährlichen Nähe waren und die andere Seite des Grabens hinauf klimmen konnten, um über das Glacis hinweg eine der haushohen Schanzarbeiten zu erreichen, welche die Arbeit der ungarischen Genie-Offiziere Szábo und Dembinski, aus der österreichischen Schule hervorgegangen, gegen die Festung vorgeschoben hatte.

Keuchend von der Anstrengung, erschöpft von der

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überstandenen Gefahr blieb die Betyárenfrau im Schutz derselben stehn.

»Szent Endre - der Graf - was ist aus dem Herrn geworden, Rózsa?«

Der Betyár ballte die Faust hinüber gegen die dunklen Wälle der Festung, von denen einzelne Leuchtkugeln empor stiegen, in ihrem Zerplatzen ein blaues schauriges Licht über die Umgebung verbreitend. »Baszom à[a] lelkedet! was wird es sein - er ist gefangen! Aber tapfere Ungarn-Nation wird morgen Temesvár haben und der Graf befreit sein!« -


Es wäre Graf Stephan wahrscheinlich gelungen, in der ersten Verwirrung des raschen und kühnen Ueberfalls zu entkommen, und - wenn er der Kartätschen-Ladung entgangen, - die Bresche und den Graben zu erreichen, aber er hatte bei seiner Flucht nicht auf den Todfeind gerechnet.

Der Doktor Lazare hatte mit dem Auge des Geiers, der seine Beute gefesselt hält, jede Bewegung seines Opfers belauert. Als der Betyár so unerwartet hervorbrach, sprang er rasch und gewandt zur Seite, aber obschon die Kerze verlöscht war, verlor er die Gestalt des Grafen keinen Moment aus dem Auge.

Rasch wie der Blitz hatte er unter der Guba das Doppelterzerol hervorgeholt und gespannt - der Schuß krachte hinter dem Fliehenden drein - dann der zweite. Beim zweiten sank der unglückliche Flüchtling in die Knie, - die Kugel hatte den Unterschenkel getroffen und den Knochen zersplittert.

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Im Nu waren die Verfolger hinter ihm und über ihn her, denn von der Stadt stürmte unter der Anführung mehrerer Offiziere ein Haufen von Soldaten, denen sich, wie bei jedem Lärmen, einzelne Bürger angeschlossen hatten.

»Mord! Verrath! - haltet die Spione auf - schlagt sie nieder! Es sind Feinde in der Festung!«

Ueber den Platz, aus dem Dunkel der Ruinen her flog ein anderer dunkler Schatten und warf sich schützend über den Gefallenen. »Um Gottes Barmherzigkeit willen haltet ein - tödtet ihn nicht, er ist kein Spion!«

Das Licht der Fackeln, welche die Herbeistürmenden schwangen, fiel auf das todtbleiche angstvolle Gesicht der Comteß. Die Gräfin, ihre Mutter, vorziehend, sich in den Schutz der Offiziere zu begeben, als den rohen Insulten der Menge ausgesetzt zu sein, folgte ihrer Tochter und trat, das verhüllende Tuch zurückgeworfen, in den Lichtkreis und auf den Feldmarschalllieutenant zu, der mit den Offizieren jetzt bei dem Verwundeten stand.

»Ich begebe mich in Ihren Schutz Herr«, sagte die Gräfin, »lassen Sie uns zurückbringen nach unserem Gefängniß!«

Der alte Soldat stieß eine grimmige Verwünschung aus. »Wie kommen die Weiber hierher? die Geschichte ist schlimmer als ich gedacht - ein förmliches Complott! Wie konnten Sie die Ihnen angewiesene Wohnung verlassen, Madame, da es untersagt ist, bei Nacht sich zu entfernen?«

»Durch einen Mord!« sagte eine Stimme aus dem

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Kreis. »Ich habe Euer Excellenz zu melden, daß die Schildwach vor dem Ausgang der Stabskaserne bei meiner Ronde vermißt wurde. Wir fanden die Leiche mit durchstoßener Kehle in einem dunklen Winkel versteckt und der Waffen beraubt.«

»Tod und Teufel - und das in der Festung - mitten unter unsern Truppen!«

»Bei Allem, was heilig ist, ich weiß Nichts davon«, jammerte die Gräfin. »Ich bin unschuldig an der blutigen That!«

»Wie kommen Sie dann hierher Madame, zu dieser Stunde, unter so verdächtigen Umständen?«

Die Comteß hatte sich erhoben von der Seite des Geliebten. »Wir sind freie ungarische Frauen, Herr, die man widerrechtlich hier gefangen hält. Wir haben versucht, unsere Freiheit wieder zu gewinnen mit Hilfe unserer Freunde, das ist unser Recht, und wenn es mißglückt ist, so ist dies das Geschick des Krieges und diese Männer haben gleich uns Anspruch auf ehrenhafte Behandlung, denn es sind Ihre Kriegsgefangenen!«

»Mörder und Spione haben kein Anrecht an ehrliche Soldatenbehandlung. Diese Schurken haben sich unter der Verkleidung unserer Uniformen in die Festung geschlichen und das Kriegsgericht wird über sie entscheiden wie über die Anstifter des Mordes. Sie haben uns einen großen Dienst erwiesen, Herr, daß Sie den Verrath entdeckten. Kennen Sie die Gefangenen?«

»Diesen hier! - ich erkannte ihn sogleich, als das Licht der Kerze auf ihn fiel und war so glücklich, seine

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Flucht zu verhindern«, sagte der Agent, der mit kaltem, grausamen Auge die weitere Entwickelung der Scene beobachtet hatte.

»Ich danke Ihnen dafür! Wer ist der Bursche?«

Der Agent warf einen boshaft triumphirenden Blick auf den gefallenen Feind, der finster und den Schmerz der Wunde unterdrückend am Boden saß und auf die angstvoll bebenden Frauen blickte, denn sie wußten, daß die Nennung des Namens die Wichtigkeit der Gefangennahme bedeutend erhöhen und die Maßregeln der Gegner nur verschärfen mußte. Eben so gut wußte dies der Graf und zugleich, daß er von diesem Feinde keine Verheimlichung zu erwarten hatte.

Desto erstaunter blickte er auf, als er nach einer Pause den Doktor mit ruhiger Miene sagen hörte: »Ich habe ihn mehrfach im ungarischen Lager gesehen und auch schon bei früheren Gelegenheiten. Ich weiß nur, daß er ein Rebell und ein Freund und Gefährte des berüchtigten Rózsa Sándor ist, der wahrscheinlich jener Mann war, welcher sich über den Wall gerettet!«

Der Graf warf einen Blick auf das Gesicht seines Feindes - was sollte diese Verheimlichung seines Namens bedeuten? Aber das Antlitz des Agenten hatte bereits wieder seine stehende Maske - das eiskalte, graue Auge mit dem spöttischen Zug um den Mund - angenommen.

Ein Offizier brachte die Meldung, daß eine sorgfältige Nachforschung auf dem Wall und in dem Graben keine Spur von den Geflüchteten ergeben habe, sie mußten also entkommen sein. Das und die Weigerung der Gefangenen,

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eine Auskunft zu geben, konnte eben nicht die gute Laune des alten Kommandanten erhöhen. Er befahl, die Frauen nach ihrem Gefängniß zurück zu führen, sie und das Gemach genau zu visitiren und sie dann streng zu bewachen. Graf Bathyányi und Tamas wurden gebunden und der Erstere, da seine Wunde ihm nicht das Gehen gestattete, auf drei Gewehren nach den Kasematten und in strengste Haft gebracht. Dann setzte der unermüdliche Greis seine Ronde fort und traf weitere Anstalten für den morgenden entscheidenden Tag. -

Es war auf beiden Seiten Ruhe bis gegen neun Uhr Morgens - in Folge der permanenten Wachtelwürfe der Belagerten während der Nacht hatten die Arbeiten des Feindes am Begadamm, zur Verstärkung seiner beiden dort etablirten Batterien, keine Fortschritte gemacht. Gegen diese Zeit bemerkte man endlich eine große Bewegung im Lager und in den Trancheen, und aus der Richtung von Szegedin her ließ sich kontinuirlich starker Kanonendonner hören, der immer näher und näher zu rücken schien.

Man konnte nicht mehr zweifeln - eine Schlacht war in vollem Gange und die Ungarn wurden zurückgedrängt.

Gegen Mittag war die Kanonade höchstens zwei bis drei Stunden entfernt; starke Wagenkolonnen zogen flüchtig aus der Richtung von Klein-Becskerek gegen Gyarmata.

Es läßt sich denken, mit welchem Interesse die Garnison und die ausgehungerten Bewohner der Stadt von den Wällen und allen zur Observation geeigneten Punkten her jedes Zeichen des Kampfes beobachteten.

Die Ungarn waren offenbar im Nachtheil - auf der

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ganzen Linie vom rechten Ufer des Begakanals über Beschenowa hinaus, bis gegen Merzidorf, wurde von großen Heeresmassen gekämpft. Gegen zwei Uhr steht das Gefecht, der Feind hat den Csoker Wald sehr stark besetzt und den Rand desselben mit einem großen Theil seiner Geschütze garnirt.

Der Augenblick für die tapfere Garnison, an der Schlacht Theil zu nehmen, ist gekommen! -


Die Macht der ungarischen Revolution war bereits im vollen Zusammenbrechen.

Szegedin war von den Truppen Haynau's besetzt - Fürst Lichtenstein hatte mit den Brigaden des tapfern und getreuen ungarischen Helden Benedek und Jablonowsky und einem Theil des russischen Armee-Corps unter Paniutine die Arrieregarde der Ungarn nach hitzigem Gefecht aus ihrer Position gedrängt und nach Szöregh zurück geworfen, wo sich das Hauptcorps verschanzte, um den Uebergang und das Vordringen der österreichischen Truppen zu verhindern. Aber der Fürst warf sich mit dem größten Theil der Hauptarmee und den Russen Paniutine's sofort am 5. auf die Position - umging mit einem Cavallerie-Angriff den ungarischen linken Flügel und stürmte die hinter diesem aufgestellten Batterien - das unwiderstehliche Feuer der österreichischen Artillerie zwang die Gegner, Szöregh zu räumen. Am Tage darauf fiel Mako mit ungeheuren Proviantvorräthen in die Hände der Kaiserlichen; zugleich überschritt Feldmarschall-Lieutenant Ramberg nach einem hitzigen Gefecht bei Kanisza die Theiß; Baja wurde niedergebrannt.

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Es blieb der ungarischen Armee unter Dembinski und Mészáros kein anderer Weg, als sich gegen Temesvár zurückzuziehen und sich mit dem Concernirungscorps Vécsey's zu vereinigen, oder sich nach Arad zu werfen und dort Görgei[Görgey] zu treffen.

Aber der Entschluß Görgei's[Görgey's], sich nach Arad zurückzuziehen, war damals noch unbekannt, und vom Süden her drang der Banus heran, dem man sich gleichfalls entgegenstellen mußte.

Unter diesen Umständen sammelten die ungarischen Generale ihre Macht bei Kis (Klein) Becskerek, um hier einen letzten entscheidenden Schlag zu führen. Das vereinigte Corps betrug noch über 40000 Mann, und wenn durch die Demoralisation der Offiziere, durch die Uneinigkeit der Führer, die Kossuth bald ein-, bald abzusetzen sich mühte, und durch den von Fahrlässigkeit herbeigeführten Mangel an Lebensmitteln auch eine Auflösung drohte, noch war durch die Tapferkeit und Zähigkeit des gemeinen Soldaten dies eine sehr gefährliche Macht.

Die ungarische Armee hatte eine vortreffliche Stellung inne, als am Morgen des 9. August von Szegedin her die Avantgarde der kaiserlichen Truppen gegen sie vordrang.

Das Corps des Feldzeugmeisters war, selbst mit der Abtheilung der Russen unter Paniutine, welche die Reserve bildeten, kaum so stark, als die Ungarn, denn Fürst Lichtenstein war mit seinem Corps bei Hodos und dort in ein Gefecht mit einer ungarischen Abtheilung verwickelt. Durch diese geringere Machtentfaltung gelang es Haynau, die

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Gegner aus ihrer festen Position herauszulocken und über den Bach in ein morastiges Terrain zu drängen.

Die Schlacht tobte bereits seit drei Stunden; trotz der tapfersten Gegenwehr wurden die Ungarn auf allen Punkten zurückgedrängt und gaben bereits den Kampf für verloren, als plötzlich Bem mit einer Handvoll Husaren von Lugos her auf den Höhen erschien, die Flüchtenden zurücktrieb und dem Kampf eine andere Wendung gab.

Der tapfere Pole hatte nach dem Treffen bei Schäßburg die Trümmer seines Corps in Déva unter dem Kommando Lózár's zurückgelassen und war nach Lugos geeilt, das er mit Flüchtlingen angefüllt fand und wohin sich viele Mitglieder der jetzt rath- und hilflosen Regierung zurückgezogen hatten, während Kossuth mit einigen anderen sich noch in Arad befand und von da aus die widersprechendsten Befehle dictirte. Am frühen Morgen in Lugos angekommen, hörte der General von dem Anrücken der Oesterreicher zum Entsatz von Temesvár und eilte sogleich mit seiner kleinen Eskorte weiter.

Er traf gegen Mittag auf dem Schlachtfeld ein und wendete sofort durch sein Eingreifen das bereits fast entschiedene Geschick des Kampfes.

Während die ungarische Kavalerie und Artillerie, zu neuem Widerstand ermuthigt, tapfer den Feind in seinem Vordringen hinderte, ließ der General ein starkes Detaschement Husaren, das in dem hinter dem Baragszóer Bach belegenen Wald versteckt war, den linken Flügel der Kaiserlichen umgehen. Vergebens rief der Feldzeugmeister die Abtheilung Paniutine's und die Reserve Artillerie in

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die Schlachtordnung - die magyarischen Truppen fochten mit einer unwiderstehlichen Energie und die Oesterreicher wurden auf der ganzen Linie zurückgedrängt.

Die Wage des Glücks hatte gewechselt - schon triumphirten die Ungarn, der Sieg war in ihren Händen, Temesvár verloren.

In diesem Augenblick, es war Nachmittag 2 Uhr, erschien Fürst Lichtenstein mit seinem Corps von Hodos her, wo er den Feind geworfen, auf dem Schlachtfeld und schloß sich bei St. Endre dem schon geschlagenen linken Flügel der kaiserlichen Stellung an.

Auf's Neue wandte sich jetzt die Schlacht und diesmal in letzter entscheidender Weise.

Die auf dem rechten Flügel der Ungarn postirten Husaren-Rekruten, die zum ersten Mal im Feuer standen - obschon sie sich vorher mit Bravour geschlagen hatten - vermochten den Stoß der frischen Truppen nicht auszuhalten und wurden von einem panischen Schrecken ergriffen; vergessend die alte Glorie des ungarischen Husarennamens wandten sie sich zur Flucht und ließen die Geschütze ohne Deckung, und ihre Vertheidigung den Kanonieren, die tapfer kämpfend an ihnen niedergehauen wurden.

Dieser Augenblick war es, den der greise Kommandant von Temesvár zu dem Ausfall der Garnison benutzte.

Der Oberst Baron Blomberg warf sich an der Spitze der Schwarzenberg-Ulanen, unterstützt von zwei Divisionen3 Infanterie auf den Feind, griff ihn im Rücken an und

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drängte ihn aus dem Präsidentengarten, den Friedhöfen und dem Pulvermagazin von der Straße nach Gyarmata ab nach jener von Szent Endre, wo das Lichtensteinsche Corps ihn empfing.

Der Ruf »Alles ist verloren!« verbreitete sich bald auch auf dem linken Flügel der Ungarn, wo Bem jetzt kommandirte und die Verwirrung artete in offene Flucht aus. Vergebens stürzte sich der tapfere Pole zwischen die Fliehenden und versuchte die Ordnung wieder herzustellen, er wurde im Gedränge vom Pferde geworfen und verwundete sich am Arm. Kaum, daß seine treuen Husaren ihn aus dem Gewühl zu retten und auf die Straße nach Lugos zu flüchten vermochten.

Der Rückzug der ungarischen Truppen über Szent Endre dahin artete in vollkommene Flucht aus, der panische Schrecken, der sie ergriffen, war so groß, daß kein Halt mehr zu gebieten war. Ein großer Theil floh in die Wälder, Andere entwichen haufenweise und wurden später aufgefangen. Eine furchtbare Vergeltung übte ihr Recht, wer mit Waffen ergriffen wurde, und war es auch nur ein Messer, wurde ohne Barmherzigkeit erschossen oder gehängt. Die eiserne Zuchtruthe des aufrührerischen Bergamo und Brescia, der Mann, der in seinem amtlichen Rapport über die Erstürmung Brescia's selbst gesagt: »Ich befahl, daß kein Gefangener gemacht, sondern Jeder augenblicklich niedergemacht würde, welcher mit den Waffen in der Hand ergriffen würde; die Häuser, aus denen geschossen wurde, befahl ich, in Brand zu stecken!« - er, dem der Haß der Italiener den blutigen Namen der Hyäne

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von Brescia gegeben hatte, er kannte auch kein Erbarmen gegen die ungarischen Rebellen, und der Schnellgalgen wanderte von jetzt mit seinem entsetzlichen Arm durch das Land und pflanzte sich an hundert und aber hundert Stätten auf, seine Opfer zu empfangen.

Noch ehe die Nacht vollständig hereingebrochen, erreichte der unerbittliche, aber von seinen Soldaten wegen seiner Leutseligkeit und unablässigen Sorge für sie hochgeliebte General an der Spitze seiner Kavalerie und begleitet von General Paniutine und mehreren anderen russischen Ober-Offizieren, die Festung, deren Thore sich vor dem Befreier von namenlosen Qualen, unter dem fieberhaften Jubel der Garnison und der Bevölkerung, zum ersten Mal nach einhundert und sieben Tagen wieder öffneten.

Die Mihala, die Josephstadt, die Fabri[c]k und der Jagd-Wald blieben zwar noch von dem Feinde stark besetzt; nach Mitternacht aber räumte er auch diese Stellungen und ging auf beiden Parallelstraßen nach Lugos zurück.

Temesvár war entsetzt!

Aber um welchen Preis, nach welchen entsetzlichen Opfern!

Die tapfere Garnison hatte in der hundert und siebentägigen Belagerung, mit mehr Schlachttagen, als oft ein ganzer Feldzug in sich schließt, ihre dem Kossuth'schen Manifest entgegen gestellte Erklärung vom 10. Oktober des vergangenen Jahres zur Wahrheit gemacht und ein erhabenes Beispiel der Treue mehr in die Blätter der Geschichte gezeichnet.

Diese tapfere Behauptung der Festung im Süden des

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revolutionirenden Ungarns hat unbedingt den wichtigsten Erfolg für die kaiserliche Sache gehabt und den endlichen Sieg ihrer Waffen vorbereitet.

Die Energie, welche der Feind namentlich im letzten Dritttheil der Belagerung entwickelte, hatten ihn bereits so weit gebracht, daß er in wenig Tagen mit seinen Arbeiten auf dem Kamm des Glacis gestanden hätte, zumal an Ausfälle nicht mehr zu denken war und die Vertheidigung bei der kleinen Zahl der Dienstbaren sich auf den Hauptwall hätte beschränken müssen.

Die Cernirungs-Armee hatte 36 Mörser, 13 Haubitzen, 20 Belagerungs- und 22 Feldgeschütze verschiedenen Kalibers, zusammen 91 Geschütze, in ihre Batterien eingeführt, denen auf der ganzen Circumvallation der Festung nur 213 entgegen gestellt werden konnten. Ueberdies fehlte es den Belagerten, wenn auch nicht an Pulvervorräthen, so doch sehr an fertiger Munition, namentlich an Zündgranaten, während der Feind die größten Vorräthe, so daß nach dem Entsatz viele tausend gefüllter Bomben, Granaten und Vollkugeln großen Kalibers in die Festung eingebracht werden konnten, besaß, und in dem Dorf Szent Endre eine Stückgießerei, im Jagdwald selbst eine Gewehrfabrik etablirt hatte.

Welche unsäglichen Leiden die Garnison und die Bewohner erduldet, haben wir früher bereits angedeutet - dennoch wankte der Heldenmuth der tapfern Vertheidiger keinen Augenblick.

Die Festung hatte 41,322 Schüsse oder Würfe gethan, darunter 16,225 Bomben und Granaten, und 25,097 Vollkugeln

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- es waren also durchschnittlich täglich 386 Schüsse oder alle drei Minuten bei Tag und Nacht während hundert und sieben Tagen ein Schuß gethan! - Man kann annehmen, daß der Feind mindestens die doppelte Zahl an Geschossen auf die unglückliche Stadt geschleudert hatte.

Wenn auch die Zahl der vor dem Feinde Gefallenen und Verwundeten nicht so bedeutend war, - desto schlimmer wütheten Noth und Krankheit in den Neihen der Vertheidiger. Die Festung hatte an Todten 6 Offiziere4, 155 Mann vom Feldwebel abwärts und 123 Pferde; an Verwundeten 15 Offiziere, 361 Mann und 96 Pferde - an Gefangenen 3 Offiziere und 24 Mann. Außerdem aber erlagen während der Belagerung an Zweitausend Mann der Epidemie!

Beim Entsatz waren annähernd 2000 Kranke, welche beinahe alle gestorben sind! Auch die Verwundeten wurden in der Mehrzahl »friedliche Schläfer auf den Kirchhöfen!«

In neun Ausfällen hatte die Garnison dem Feinde 16 Mörser und Kanonen vernagelt und eine Fahne und 2 Kanonen genommen.

Die Beute, welche die kaiserliche Armee bei dem Entsatz der Festung im ungarischen Lager machte, war groß, eine ungeheure Menge von Bagagewagen fiel in ihre Hände.

Das blutige Trauerspiel nahte seinem Ende!

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Schnell-Galgen

2. Eine Brautnacht!

Es war am Nachmittag des 12. August an einem Sonntag.

Die kaiserliche Armee mit ihren russischen Soutien, welche die Schlacht bei Beczkereck geschlagen und Temesvár befreit hatte, hatte das eroberte Lager der Ungarn bezogen und selbst ein großer Theil der noch waffenfähigen Garnison war in die halbzerstörten Vorstädte verlegt worden, da der innere Raum der Stadt nur einen Trümmerhaufen und in Folge der vielen Krankheiten noch immer einen Heerd der Ansteckung und des Verderbens bot.

Die warme Jahreszeit machte überdies den Aufenthalt im Freien unter dem grünen Schatten der Wälder weit annehmlicher, als unter den zertrümmerten Mauern der Stadt.

In einer der größern jetzt geräumten Baracken des Jagdwaldes, die zur Gewehrfabrik des ungarischen Cernirungscorps gedient hatten, saßen drei Personen zusammen, die dem Leser aus frühern Begegnissen bekannt sind.

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Es waren der Fürst Trubetzkoi, seine Maitresse die Zigeunerin Tunsa, und der ehemalige Legionair und jetzige Agent der kaiserliche Befehlshaber Dr. Lazare.

Der Fürst schlürfte an einem Becher mit einem kühlenden und zugleich stärkenden Getränk, das die Hand der Zigeunerin nach der Vorschrift der Aerzte ihm bereitet hatte. Sein gedunsenes verschwommenes Gesicht mit den unschönen tartarischen Zügen hatte einen finstern hämischen Ausdruck.

»So kennt also noch Niemand den wahren Stand und Namen der Gefangenen?«

»Niemand, als wir Durchlaucht. Der anonyme Zettel, mit der Warnung, ihn zu verrathen, da Freunde ihn zu retten hofften, den ich den beiden Gräfinnen in die Hände spielen ließ, wird seine Wirkung nicht verfehlen.«

»Und was soll die Komödie? Glauben Sie etwa, daß der Feldzeugmeister sich abhalten lassen wird, mit dem Namen Bathyányi den Galgen zu schmücken, dann kennen Sie ihn schlecht und Ungarn wird ein Gericht sehn, so schwer, daß man ein Jahrhundert es nicht vergessen wird.«

Der Agent lächelte höhnisch. »Euer Durchlaucht verstehn sich nicht auf die Rache«, sagte er. »Für Sie ist Graf Batthyányi nur ein Nebenbuhler, ein Feind!«

»Er hat mich zum Krüppel geschossen, der Hund!« rief der Russe wild. »Sehn Sie mich an, was ich jetzt bin, und hat er mir mein Leben genommen, so will ich das seine dafür haben!«

Der Tartar knirschte mit den weißen Zähnen und preßte im wilden Zorn die geballte Faust auf den Tisch.

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»Man stirbt nur ein Mal, und unter Umständen soll der Tod ziemlich leicht sein,« sagte der Doktor. Mich Durchlaucht, hat er nicht verwundet, aber er hat mich verächtlich behandelt und beleidigt, und dafür soll er hundertfach sterben. Indem ich Ihnen helfe, räche ich mich - darum bat ich Sie, das Kriegsgericht über die Drei so lange zu verhindern, bis ich von der Mission nach Arad zurückgekehrt sei.«

Die Zigeunerin reichte ihm die Hand über den Tisch hinüber. »Fene egyemek - Du bist eine armselige Kreatur, goldbedeckter Iwan gegen diesen Burschen da! Das ist mein Mann, ich lieb ihn und will ihn heirathen!«

»Schweig, Närrin!«

Die Zigeunerin warf trotzig die Lippen auf: »Er hat im kleinen Finger mehr Witz,« sagte sie frech, »als Du in Deinem ganzen Leib. Wenn ich Dich nicht erst mit der stolzen Gräfin verheirathen müßte, der Henker soll mich holen, wenn ich nicht mit ihm davon liefe. Wir Beide wollten Unheil genug stiften!«

»Das glaub' ich selbst,« murrte der Fürst. »Die Dirne hat den Teufel im Leib seit der Nacht von Enyád und ist so toll und boshaft, daß ich sie kaum zu bändigen vermag!«

Ein funkelnder Blitz schoß aus den schwarzen Augen des Mädchens. »Warum ließet Ihr ihn hängen,« sagte sie heftig. »Ihr konntet ihn retten und Ihr thatet's nicht. Dafür will ich Dich quälen, so lange ich lebe!«

Sie hatte zu dem Fürsten in russischer Sprache gesprochen, die sie sich mit jener merkwürdigen Fähigkeit,

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welche die slawischen und südlichen Racen für Sprachenerlernung auszeichnet, im Laufe des Jahres angeeignet hatte.

»Ich konnte es nicht - Feodora! Du weißt es. Sei vernünftig Kind,« entgegnete der Fürst. »Mir wäre es doch gleich gewesen, ob ein Zigeuner mehr auf der Welt umher läuft oder nicht - aber Du bist damit der ganzen Sippschaft ledig geworden und Niemand hat ein Recht mehr, Dich an Deine Abstammung zu erinnern.«

»Als ich selbst?« - Ueber das rasch bewegliche Antlitz der Dirne flog ein finstrer Schatten, jener schwermüthige veredelnde Zug, der sich häufig im Charakter ihres seltsamen Volkes zeigt. »Du hast Recht, Fürst Iwan, seit ich die Aeltermutter von der Schwelle peitschen und den Vater hängen sah, während ich Deinen Champagner trank, bin ich schlecht genug, eine Deiner großen Damen zu sein, die kein Herz haben und keine Seele. Und deshalb lebt der Geist des Unheilstiftens doppelt in mir und Du sollst die blanke Gräfin haben, so wahr die Tunsa jetzt Feodora heißt!«

Sie stemmte den Kopf in den Arm und starrte vor sich hin, ohne auf die Schmeicheleien oder Befehle zu achten, die der Fürst an sie richtete.

»Sprich weiter, Blasser,« sagte sie zu dem Doktor. »Deine Augen sind die des Vampyrs und ich weiß, Du wirst ihnen den letzten Blutstropfen aus dem Herzen saugen.«

»Es befinden sich unter den Offizieren der Garnison,« fuhr der Doktor zu dem Russen fort, »einige Thoren, die der Name und Rang des Gefangenen und sein bekanntes

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Verhältniß zu der Comteß Pálffy zu der Entscheidung veranlassen könnte, daß er nicht als Spion in die Festung gekommen sei. Es ist darum besser, daß er als gewöhnlicher Honved verurtheilt wird. Die Gräfinnen werden begreifen, daß es Ihnen ein Leichteres sein muß, für den unbekannten Soldaten Begnadigung zu erwirken, als für ein bekanntes Haupt der Rebellen. Sie wissen, daß in Ihrer Discretion das Schicksal des Gefangenen liegt, und es müßte schlimm sein, wenn Sie mit dieser Waffe den Widerstand der Comteß nicht brechen sollten.«

Der Russe schüttelte den Kopf. »Sie kennen diesen stolzen Charakter nicht,« sagte er. »Der Tod ihres Liebhabers wird in ihren Augen ein Märtyrertod für ihr Phantom, die Freiheit Ungarns sein. Sie wird ihn desto mehr lieben und desto bestimmter sich weigern.«

»Die Gewißheit, daß eine Verbindung mit Ihnen allein die Güter der Familie vor Confiscation retten kann, daß sie sonst Bettlerinnen sein würden, muß dazu in's Gewicht fallen.«

»Bei der Mutter, ja - bei der Tochter nicht!«

»Aber es muß doch eine Stelle in dieser Brust geben, wie in jedem Menschenherzen,« sagte der Agent, »an der wir sie fassen und zwingen können!«

Die Zigeunerin ließ den Arm fallen und hob den Kopf. Sie betrachtete einige Augenblicke die beiden Männer mit boshaftem triumphirendem Blick.

»K tschortu!« sagte höhnisch, den Lieblingsfluch ihres Gebieters parodirend, »ich hätte zwei Teufeln, wie Ihr,

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mehr Witz zugetraut, als daß Euch ein Weib beschämen muß!«

»Kannst Du helfen?«

»Ich kann's!«

»Dann sprich! welches ist die Stelle, wo ich den Willen dieses Weibes zwingen kann?«

»Die Mutter!«

Der Doktor schlug sich vor die Stirn. »Ich bin ein Stümper,« sagte er, »daß ich nicht gleich auf den Gedanken kam, der so nahe lag.[.] Sind Sie noch im Besitz des Portefeuilles, von dem Sie mir sagten, Durchlaucht?«

»Das man in Enyád unter den Sachen der beiden Gräfinnen gefunden und das ich an mich nahm?«

Der Doktor nickte. »Lassen Sie es gefälligst holen, es müßte seltsam sein, wenn wir nicht Etwas darin finden sollten, das uns paßt. Wie Sie und Andere die Gräfin mir beschrieben haben, liebt sie, sich in politische Intriguen zu mischen.«

»Sie ist ehrgeizig und unruhig, aber im Augenblick der Gefahr fehlen ihr der Muth und die Entschlossenheit, die ihre Tochter besitzt.« Der Fürst hatte seinem Kammerdiener geschellt und ihm einen Befehl gegeben. »Aber wenn das Mädchen nun das Leben und die Freiheit ihres Liebhabers als Bedingung stellt?«

Der Agent zuckte die Achseln. »Ich dächte Durchlaucht, wir wären über diesen Punkt einig. Sie versprechen Alles und erwirken die schriftliche Begnadigung des Verurtheilten!«

Der Fürst sah ihn finster an. »Tscherti tjebie by wsiali!

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Sie werden doch nicht verlangen, daß er entkommen soll?«

Der Doktor lächelte mit dem Hohn eines Teufels. »Ueberlassen Sie mir das!« Pierre, der französische Kammerdiener des Russen trat ein und übergab seinem Herrn ein ziemlich umfangreiches Portefeuille, dessen Schloß aufgesprengt und das nur zusammengebunden war. Zugleich meldete er eine Ordonnanz aus dem Hauptquartier, welche die Einladung brachte, sich sofort dort einzustellen.

Während der Doktor Lazare die Briefschaften durchblätterte, ertheilte der Fürst den Befehl, seinen Wagen vorfahren zu lassen, da er nur ungern seit seiner Verwundung zu Pferde stieg, und ließ sich von seinem Kammerdiener ankleiden.

»Dies genügt vollkommen,« sagte triumphirend der Agent, indem er ein Packet Briefe, das er ausgesondert hatte, in die Höhe hielt. »Es sind Korrespondenzen mit Kossuth, Perczel und dem alten Batthyányi und an die Mutter gerichtet. Wir müssen die Comteß schonen, um desto sicherer auf sie zu wirken. Die Schwierigkeiten auch in Betreff des Vermögens dürfen nicht unnöthig erhöht werden, aber dies genügt, um die alte Rebellin nöthigenfalls auf's Schaffot zu liefern. - Ich bitte Sie um einen Platz in Ihrem Wagen Durchlaucht, denn die Pferde meiner Kalesche sind zum Tode abgehetzt, und es ist Zeit, daß ich dem Feldzeugmeister meinen Bericht bringe, er wird ungeduldig genug sein. Verlassen Sie sich darauf diese Papiere sollen im rechten Augenblick ihre Wirkung thun!«

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Der Doktor bot der Maitresse des Fürsten seinen Arm, denn sie bestand wie gewöhnlich darauf ihn zu begleiten, und führte sie zum Wagen. Gleich darauf rasselte dieser mit den Verbündeten der Stadt zu. -


Das Hauptquartier der kaiserlichen Armee befand sich in der Vorstadt in einem der größern durch seine Lage von der Kanonade aus der Stadt möglichst verschont gebliebenen Gebäude.

Offiziere und Ordonnanzen aller Waffengattungen ab- und zuströmend oder in bunten Gruppen in belebter Unterhaltung umherstehend füllten die Straße; in der Nähe hatten mehrere Marketenderinnen ihr Lager aufgeschlagen, und Offiziere und Soldaten paralysirten an den fliegenden Tischen mit einer Flasche feurigen Ungarweins den brennend scharfen Geschmack des Kollasz oder einer der andern landesüblichen mit Paprika förmlich geschwängerten Lieblingsspeisen des Landes. So fanatisch streng der Oberbefehlshaber auch im Dienst war und so wenig er in diesem die geringste Ordnungswidrigkeit und Abschweifung duldete, so gern sah er es, wenn die Soldaten außerhalb desselben sich lustig machten oder nach ihren Neigungen beschäftigten.

Grade der geringe Zwang, den der Soldat erlitt, der Schutz und die Gerechtigkeit, die er ihnen bei jeder Gelegenheit angedeihen ließ, und die Selbstverleugnung, mit welcher er jede Mühseligkeit und Strapatze wie der geringste seiner Krieger trug, waren es, die den Feldzeugmeister

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trotz seiner bis zur Grausamkeit gesteigerten Strenge bei dem Gros der Armee so beliebt machten. -

In einem größern Gemach des Hauses, das zum Hauptquartier diente, saß ein alter Offizier im militairischen Interimsrock in bequemer Stellung, den einen Fuß über den andern geschlagen, auf der Ecke eines großen Arbeitstisches, der mit Karten, Papieren und Rapporten in strenger Ordnung bedeckt war. Obschon er bereits im Anfang der Sechsziger stand, war seine Haltung, wenn er sich im Lauf des Gesprächs erhob, doch grad und ungebeugt. Die etwas hagere hohe Gestalt hatte sich sehr gut conservirt und an ihrer Elasticität wenig verloren. Da er blonde Haare hatte, waren selbst an diesen die Spuren des Alters weniger sichtbar und nur das von Wind und Wetter und dem Dampf der Schlachten gebräunte hagere Gesicht, dem der lange starke und fast weißblonde Schnurrbart ein etwas wildes Aussehen gab, verrieth die Zeichen der Jahre und des rauhen Lebens, das der alte Offizier geführt.

Der Feldzeugmeister - denn es war der durch seine Besiegung des italienischen und ungarischen Aufstandes und fast mehr noch durch seine eiserne, keine Versöhnung noch Rücksicht kennende Strenge in der Bestrafung derselben berühmt gewordene Partisan des österreichischen Kaiserhauses, - dampfte gemüthlich aus einer dicken Meerschaumpfeife, während er sich mit einem ihm gegenüber auf dem Rohrsopha sitzenden Mann unterhielt.

Ein Offizier vom Generalstab war an einem Nebentisch eifrig mit Ausfertigung von Ordres beschäftigt und

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Ordonnanzoffiziere aus den mit Adjutanten und Militairs gefüllten Nebenzimmern gingen ab und zu, mit dem expedirenden Major verkehrend.

Der Feldzeugmeister Freiherr Julius Jakob von Haynau, - das Grab[l]deckt bereits seine großen Verdienste und seine blutigen Thaten! - war bekanntlich ein jüngerer Sohn des Kurfürsten Wilhelm I. von Hessen und der Frau von Lindenthal, und - 1786 zu Kassel geboren - bereits 1801 in die österreichische Armee getreten, in der er seitdem alle Feldzüge derselben im Laufe des neuen Jahrhundert mitgekämpft hatte. Im Jahr 1835 stand er als Divisionair in Italien und 1847 in Temesvár, woher ihm die Festung wohlbekannt und lieb war. Beim Ausbruch des Krieges in Italien im Jahre 1848 hatte er freiwillig dort seine Dienste angeboten, und während die Hauptarmee gegen Custozza operirte, als Commandant von Verona durch den glücklichen Gedanken, auf eigene Hand aus der Festung in der Nacht zum 25. Juli eine Brigade nach Sommacampagna zu entsenden, bedeutend zu dem erfolgreichen Siege der österreichischen Armee beigetragen. Die Beschießung Peschiera's vollendete seinen Feldherrnruf. Ohne hier weiter seine mit Blut und Schrecken gezeichnete militairische Bahn in Italien zu verfolgen, erwähnen wir nur, daß von der Belagerung Venedigs im Mai 1849 ein kaiserliches Handbillet ihn abberufen hatte, um ihm mit dem Range eines Feldzeugmeisters das Oberkommando der österreichischen Armee in Ungarn zu ertheilen, und daß von diesem Zeitpunkt ab das Unglück der kaiserlichen Waffen sich wandte und ein Erfolg dem andern sich anreihte.

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Der Mann, mit welchem der Feldzeugmeister sich in diesem Augenblick unterhielt, war ganz das Gegentheil dieser rauhen militairischen Natur. Er war etwa 30 Jahre, von kleiner zierlicher Gestalt und in seinem ganzen Wesen lag etwas Geschliffenes, Höfliches und Schmiegendes. Das schmale etwas blasse Gesicht mit den seinen Lippen, der leicht gebogenen Nase und der schmalen aber hochgewölbten Stirn zeigte von Intelligenz und der Ausdruck der Augen bewies Auffassungsgabe und Beobachtungsgeist.

»Sie können also Herrn von Manteuffel melden,« sagte der Feldzeugmeister, »daß die ungarische Revolution ihr Ende erre[i]cht hat.«

»Erlauben Sie nur die Bemerkung Excellenz,« erwiederte der Civilist, »daß General Klapka noch das unüberwindliche Komorn hält und Görgey noch immer eine bedeutende Macht zu seinem Befehl hat.«

Der Feldzeugmeister stieß dichte Dampfwolken von sich und lachte ganz gemüthlich. »Mein Herr Spiegelthal,« sagte er, »Sie scheinen im Anfang Ihrer diplomatischen Carriere zu stehen und haben noch Manches zu lernen. Sie befinden sich jetzt seit sechs Wochen als Agent Ihres Ministers bei der kaiserlichen Armee - ich hätte Sie beiläufig bemerkt, längst zum Teufel geschickt, wenn ich nicht eben selbst an Ihnen Gefallen gefunden und gern mit Ihnen über preußische Verhältnisse geplaudert hätte! Sollten Sie wirklich noch nicht wissen, daß wir in der ungarischen Armee sehr gute Freunde haben?«

Der preußische Agent lächelte fein. »Euer Excellenz

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wollen mich daran erinnern, daß in dem Kabinet des General Görgey zwei Brüder eines Ihrer Adjutanten arbeiten!«

»Teufel! Sie haben Ihre Augen besser aufgethan, als ich dachte - aber es ist jetzt gleichgültig, das Spiel ist vorbei. Ich erwarte jede Stunde die Nachricht, daß Görgey die Waffen gestreckt hat. Sie mögen dann meinetwegen nach Berlin zurückkehren und Herrn von Manteuffel erzählen, was Sie bei uns gesehen, und daß wir auch ohne preußische Hilfe fertig werden können Vielleicht wird man es einmal bedauern, uns das russische Bündniß aufgenöthigt zu haben.«

»Euer Excellenz mögen bedenken, daß Preußen in Schleswig-Holstein, in Dresden und in Baden engagirt ist.«

»Das sind die Früchte der zweideutigen Politik, die man in Berlin getrieben hat; der Krieg in Holstein hieß nichts Besseres, als die Rebellion gegen den Landesherrn unterstützen, und mit der Gesellschaft in Frankfurt hätte man von vorn herein anders umspringen sollen, dann wäre es so weit nicht gekommen; Preußen mag sich gratuliren, daß die Affairen so abgelaufen und beendet sind.«

So gewandt und Herr seiner selbst auch der Agent sein mochte, konnte er doch nicht ganz die Empfindlichkeit unterdrücken, welche der Angriff gegen sein Vaterland ihm erregte.

»Euer Excellenz vergessen, daß Preußen in Schleswig für deutsche Nationalität focht, und daß es in der Hand König Friedrich Wilhelm IV. lag, die deutsche Kaiserkrone zu tragen.«

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Der alte General nahm erstaunt die Pfeife aus dem Mund. »Sie werden doch nicht so thöricht sein, Mann, auch nur eine Minute daran zu glauben, daß Oesterreich dies zugegeben hätte? Was den deutschen Nationalitätsschwindel betrifft, so mag sich Preußen hüten, da hinein zu fallen, wenn ihm seine eigene Existenz lieb ist und es nicht einen ewigen Kampf mit der Revolution haben will. Das ist eine Hyder, deren Köpfe immer auf's Neue wachsen, wenn man sie nicht bei Zeiten ausbrennt. Denken Sie daran, wenn Sie vielleicht einmal in Ihrem Vaterland eine Rolle spielen und der alte Haynau längst in seinem Grabe liegt. Ein starkes Oesterreich und ein starkes Preußen, das ist das Einzige, was ich kenne und was Bestand haben kann. Graf Brandenburg ist der Mann, der das erkennt, so gut wie wir, während Ihr Mäcen, sonst ein ganz verständiger Mann, sich mit allerlei deutschen Spekulationen im Stillen trägt und noch manche politische Nackenschläge ernten wird. Wie die Welt jetzt läuft, hat nur eine entschiedene Politik Aussicht auf Erfolg, und dem Festen und Entschlossenen gehört selbst die öffentliche Meinung, das sehen Sie jetzt an Ihrem eigenen General Wrangel.«

»Ich bin seit vier Wochen ohne alle direkte Nachricht von Berlin.«

»Dann kann ich Ihnen solche geben. Der Belagerungszustand ist aufgehoben und die berliner Stadtverordneten, die im Herbst Ihrem rebellischen Parlament den eignen Sitzungssaal gaben und gegen die Truppen ihres Königs marschiren wollten, wollen jetzt den General zum

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Ehrenbürger machen und ihm einen Degen schenken. Auf der andern Seite begnügt sich Ihre Justiz, einem Mitglied des obersten Gerichtshofes, das den Eid gegen seinen König so weit vergessen, um über den Kampf gegen königliche Truppen mit Rebellen zu berathen, einen albernen und zweifelhaften Prozeß anzuhängen, statt den Mann einfach in irgend eine Festung zu stecken, und Ihr Polizeipräsident muß Straßencravalle entriren, um nur eine Entschuldigung zu haben, die frechsten demokratischen Schreier am Kragen zu nehmen und aus der Residenz zu jagen. Constitutionelle Freiheit constitutionelle Rechte! Der Henker hole das ganze Gewäsch, wenn man erst zehn Richter und Advokaten nöthig haben soll, um einen meineidigen Beamten oder einen rebellischen Schreier zur Raison zu bringen!«

Der Agent konnte ein Lächeln über diese soldatische Kritik der konstitutionellen Zustände nicht unterdrücken.

»Man ist viel zu mild mit den besiegten Rebellen in Baden umgesprungen,« fuhr der Feldzeugmeister fort. »General Hirschfeldt ist der Einzige, der den Muth gehabt hat, den Leuten zu zeigen, was Hochverräthern gebührt!«

»Was ist geschehn?«

»Der General hat am letzten Juli einen der Führer der Rebellen, der schon früher flüchtig war wegen Meuterei, und als preußischer Soldat dann in Baden gegen seine Landsleute focht, erschießen lassen, obschon alle Minen in Bewegung gesetzt wurden, den Hochverräther seiner Strafe zu entziehen.«

»Wissen Euer Excellenz zufällig den Namen?«

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Der Feldzeugmeister nahm ein Zeitungsblatt vom Tisch. »Dortu heißt er - da, nehmen Sie es mit und lesen Sie sich die Nachrichten selbst. Wie es den Anschein gewinnt, hat bei den Wahlen diesmal in Preußen die conservative Partei gesiegt - was mich betrifft, so halte ich von den ganzen Kammergeschichten nicht viel und gehe als Soldat meinen Weg. Deshalb ersuche ich Sie, noch einige Tage bei uns zu bleiben, Sie werden dann genauer in Berlin erzählen können, wie der Feldzeugmeister Haynau mit den Feinden seines Kaisers verfährt!«

Ein finstrer, harter Ausdruck hatte sich über das Gesicht des Feldherrn gelegt, der weiße Schnurbart schien sich gleich dem Barthaar des Tigers zu sträuben, der die gewichtige Tatze auf sein Opfer legt. Zugleich hatte er sich erhoben und eine Bewegung der Hand bedeutete den Agenten, daß die Audienz beendet sei. Der angehende Diplomat beeilte sich, dem Wink zu folgen, denn er konnte sich eines leichten Schauers nicht erwehren bei der unheimlichen Wendung, welche die Unterhaltung genommen. Als er durch das mit Offizieren gefüllte Vorzimmer ging, traten soeben von der andern Seite der Generalmajor Fürst Trubetzkoi und der Doktor ein.

Obschon manche äußere Aehnlichkeit zwischen beiden Agenten existirte, und beide schlaue und thätige Männer waren, trat der große Unterschied zwischen ihnen doch dem schärferen Beobachter sofort nahe. Während der Preuße seine Pflicht, die Mission seiner Regierung erfüllte und sein Auge offen Jedem begegnete, konnte das glatte Wesen des frühern Legionairs doch das Unheimliche und

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Gefährliche seines Charakters nicht ganz verbergen und schloß ihn zu seinem Verdruß von der offenen ehrlichen Gesellschaft der Offiziere aus, in welcher sich der Preuße als ein gern gesehener Gast bewegte. Auch jetzt wurde dieser von mehrern der Anwesenden freundlich begrüßt und in ein Gespräch über die Tagesereignisse verwickelt, indeß der Russe mit seinem Begleiter das Zimmer des Oberbefehlshabers betrat.

Seit dem Vormittag bereits war auf Befehl des Zeugmeisters sowohl in der Festung wie im Lager der Truppen ein Kriegsgericht in Thätigkeit, um über die Gefangenen, deren auch die Besatzung bei dem Ausfall auf das ungarische Lager eine ziemliche Anzahl gemacht hatte, abzuurtheilen.

Es handelte sich zunächst darum, die Unglücklichen zu ermitteln, welche aus der kaiserlichen Armee desertirt waren, um bei dem Heere der Rebellen Dienste zu nehmen. Bereits am Morgen waren zwei Offiziere und dreizehn Gemeine, denen die Desertion nachgewiesen war, erschossen worden. Doch auch verschiedene andere Personen, denen ein Verrath oder eine Feindseligkeit gegen die kaiserliche Sache Schuld gegeben werden konnte, oder die bewaffnet ergriffen worden, wurden vor das jetzt permanente Gericht gestellt.

Der preußische Agent hatte mit zwei ihm bekannten Offizieren das Haus verlassen, man sprach von dem Prozeß der beiden Gräfinnen Pálffy, der noch heute verhandelt werden sollte, als sich eine Frau durch die Soldatengruppen drängte und in das Haus einzudringen versuchte.

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Die Wachen stießen rauh die Wehklagende zurück, daß sie zu Boden fiel. Hier blieb sie liegen, rang die Hände und erfüllte mit ihrem Schluchzen die Umgebung.

Der Anblick erregte große Theilnahme, denn die Frau war jung, von großer Schönheit und gehörte ihrer Kleidung und ihrem reichen Schmuck nach offenbar zu den vornehmern Ständen. Ihrer Tracht nach war sie eine Walachin, und das schwarze Haar, mit seinem in's Blaue schimmernden Reflex umrahmte, jetzt in langen aufgelösten Flechten, aus denen unbeachtet die sonst zierlich eingeflochtenen Schnüre der Goldmünzen und Perlen niederhingen, ein volles schönes Gesicht, dem selbst der Thränenstrom aus den dunklen blitzenden Augen und die Blässe der Wangen den Reiz der strotzenden Frische nicht zu nehmen vermochten.

Neben der Schluchzenden und sie aufrichtend und tröstend stand ein junges Mädchen von etwa dreizehn Jahren. Die Aehnlichkeit der Gesichtszüge ließ die Schwester nicht verkennen, denn die Frau selbst war noch zu jung, als daß die Andere ihre Tochter hätte sein können, obschon bei diesen Racen eine weit frühere Entwickelung der weiblichen Reize stattfindet. Dies war auch hier der Fall und das junge Mädchen bot bei den bereits vollkommen entwickelten schwellenden Formen mit ihrem jugendlich frischen unschuldsvollen Gesicht einen lieblichen Anblick.

Es war deshalb kein Wunder, daß viele der Offiziere sich für die Gruppe interessirten und auch der berliner Agent und sein Begleiter traten näher. Man hatte die weinende und klagende Frau zur Seite geführt und

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hörte bald, daß sie die Gattin eines alten reichen Bojaren war, der sich seit mehreren Jahren in einer der Vorstädte der Festung niedergelassen hatte und für einen Anhänger der Revolution galt. Er war beschuldigt, die anrückenden Cernirungstruppen mit wichtigen Nachrichten versehen und sie unterstützt zu haben, indem bei dem ersten Gefecht in der Vorstadt selbst aus seinem Hause auf die Kaiserlichen geschossen worden war. Als die Schlacht verloren war, hatte er es vorgezogen, zurückzubleiben um sein Eigenthum zu sichern, statt mit den Geschlagenen zu fliehen, und war auf die Denunciation eines Nachbaren verhaftet und an diesem Morgen vor das Kriegsgericht gestellt worden, das ihn zum Tode verurtheilt hatte.

Die Dame, seine Gattin, wollte bei dem Feldzeugmeister einen Fußfall thun, um die Begnadigung ihres Gatten zu erbitten.

Welche große Theilnahme auch die Offiziere für die weinende Schönheit empfanden, keiner wollte es wagen, die Frau zu dem Oberkommandirenden zu führen, denn Jeder wußte, daß es vergeblich sein und daß man sich nur einen strengen Verweis zuziehen werde, denn der Feldzeugmeister war im Kreise der Offiziere eben so gefürchtet, wie bei den Soldaten beliebt.

Durch eine zufällige Aeußerung ergab sich, daß der preußische Agent grade in dem, der bedrohten Familie gehörigen, in dem Bombardement nur wenig beschädigten Hause seine Wohnung gefunden hatte, ohne daß bis dahin die Damen ihm zu Gesicht gekommen waren. Er erbot sich menschenfreundlich, den Versuch zu machen, ihnen

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Zutritt zum Feldzeugmeister zu verschaffen, oder wenn dieser sein Quartier verließ, sie zu ihm zu führen und ihre Bitte zu unterstützen; aber die eigenen Adjutanten des Generals riethen dringend davon ab und als einziges Mittel an, mit der Bitte um Begnadigung sich an den alten Kommandanten von Temesvár zu wenden, dem überdies der Entscheid über die Verurtheilung der von der Garnison gemachten Gefangenen zunächst zustand.

Die Bojarenfrau hatte kaum gehört, daß der Mann welcher Theilnahme für ihre Lage zeigte, in ihrem Hause Quartier genommen, als sie ihn mit Bitten bestürmte, sie nicht zu verlassen und ihr beizustehen, und der Preuße hätte ein härteres Herz haben müssen, als er wirklich besaß, um so schönen weinenden Augen widerstehen zu können. Er versprach, zu thun was in seinen Kräften stehe und glaubte in der That den Weinenden einige Hoffnung geben zu können, da bei seinem Besuch des greisen Feldmarschall-Lieutenants, des tapfern Vertheidigers der Festung, dieser ihm besondere Freundlichkeit bewiesen hatte.

Die Dame am Arm, die mit jenem, den südlichen Charakteren eigenen raschen Wechsel der Empfindungen den kleinen Hoffnungsschimmer schon für Gewißheit ansah, drängte er sich durch das Gewühl der Soldaten und Fuhrwerke nach dem Thor der Festung. -

Der Fürst mit Doktor Lazare war in das Zimmer des Feldzeugmeisters getreten, der ihnen hastig entgegen kam.

»Guten Morgen Durchlaucht,« sagte er dem Russen die Hand reichend - »ich ließ Sie zu mir bitten, da

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General Paniutin mir melden ließ, daß er unwohl sei. Zunächst aber habe ich mit diesem Herrn zu thun, der Nachrichten bringt, die für uns Beide von größtem Interesse sein müssen. Ich erwartete Sie bereits diesen Morgen Herr und liebe eine rasche Erfüllung meiner Befehle!«

»Euer Excellenz Auftrag,« sagte der Doktor ruhig, »lautete, nur mit bestimmten Nachrichten zurückzukehren. Der Zustand der Pferde, die mich zurück gebracht, wird beweisen, daß ich die möglichste Eile angewandt habe!«

»Zur Sache Herr! Welche Nachrichten bringen Sie?«

»Am Samstag ist ein Theil der Görgei'schen[Görgey'schen] Armee in Neu-Arad auf das Armee-Corps des Feldzeugmeister Schlick gestoßen und der Feind über den Maros nach Alt-Arad zurückgeworfen worden.«

»Das weiß ich bereits durch die Militair-Rapporte.«

»Ich traf am Freitag Abend in Arad ein. Die Stadt hat durch das ausgehaltene Bombardement schrecklich gelitten und vermochte kaum die von allen Seiten herbeiströmenden Flüchtlinge und die Armee der Rebellen zu fassen. In der Nacht hatte ich meine erste Unterredung mit dem General.«

»Und das Resultat? das Resultat?«

Der Doktor zog zwei Papiere hervor und überreichte sie dem Feldzeugmeister.

»Die Abdankung Kossuth's, die Diktatur Görgey's!« Es waren in der That die beiden zur traurigen Berühmtheit gekommenen Erklärungen, welche am Abend des 11. August in Arad angeschlagen wurden, die Bekanntmachung Kossuth's »An die Nation!« mit unterzeichnet

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von den seitherigen Ministern Dekovich, Csányi und Horvath, worin er die Niederlegung der Regierung und die Bekleidung des General Görgey mit der höchsten Civil- und Militairgewalt anzeigt, und die mit den Worten schließt

>Der Gott der Gerechtigkeit und Gnade sei mit der Nation!<

und die darauf folgende Ansprache des neuen Diktators: >Bürger! die bisherige provisorische Regierung Ungarns ist nicht mehr!<

»Erzählen Sie!«

»Die Lage der Rebellen war schlimm, der General selbst erkannte dies an. Seine ermüdeten Truppen standen bei Körös, Dembinszky's zersprengte Armee mit Guyon und Bem bei Lugos, das Lager Vécsey's bei Kiszetó, wie ich ihm berichten konnte, denn nur die letzteren beiden stehen in Verbindung. Ich benachrichtigte ihn Euer Excellenz Auftrag gemäß, daß der Fürst von Erivan mit der russischen Hauptmacht bei Großwardein sich befindet und Euer Excellenz hier die Stellung behaupten werden. Daß Graf Rüdiger bei Kis-Jenö und Remete steht und Graf Schlick mit dem 1. Armee-Corps in Neu-Arad, wußte der General, aber es war ihm noch unbekannt, daß die in Siebenbürgen vereinigte österreichisch-russische Macht bereits auf zwei Stationen von Déva vorgerückt ist und somit es keinen Ausweg für die Armee der Rebellen giebt. Er war bereits selbst mit dem Gedanken vertraut, die Waffen zu strecken und nur der Zweifel an Kossuth war das Hinderniß.«

»Weiter!«

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»Ich habe den General mit den nöthigen Beweisen über die Stellung und Anzahl der Truppen versehen, noch in der Nacht wurde mit Kiß und Pöltenberg unterhandelt. Der General wünschte, daß Kossuth selbst die Unterhandlung einleite, aber der Fuchs war zu schlau dazu. In dem gemischten Kriegs- und Ministerrath, der bei Anbruch des Tages gehalten wurde, ging es überaus lebhaft her und die Herren Görgey und Kossuth haben sich gegenseitig die bittersten Dinge gesagt. Der Gubernator weigerte sich zuletzt ganz bestimmt, auf seinen Namen die Verhandlungen zu beginnen, obschon er deren Unabwendbarkeit einsah; um sich für die Zukunft bei der revolutionairen Partei möglich zu erhalten.«

Der Feldzeugmeister lächelte finster. »Wir wollen das verhüten, wenn er erst in unsern Händen ist!«

Der Agent zuckte die Achseln. »Ich glaube, Herr Kossuth ist von dem guten Willen Euer Excellenz überzeugt, deshalb noch am selben Tage nach Lugos abgereist und jetzt wahrscheinlich schon auf dem Weg über Orsova nach der Walachei, wenn er nicht schon die türkische Grenze überschritten hat.«

Der Feldzeugmeister stampfte wild mit dem Fuß auf den Boden. »Verflucht! - aber man wird die Türken zur Auslieferung zwingen! Ein solcher Nagel darf nicht im Fleisch Oesterreichs bleiben! Was geschah in Arad? warum widersetzte sich Görgey nicht der Abreise?«

»Es war unmöglich ohne einen Gewaltstreich und den durfte er nicht wagen. So blieb Nichts übrig, als die Diktatur anzunehmen, die ihm der schlaue Fuchs auf den

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Hals geschoben. Am Sonntag Morgen wurde noch ein Scheinversuch gemacht, bei Lippa über die Maros zu setzen, dann begannen die Unterhandlungen.«

»Er hat die Bedingungen angenommen?«

»Nein, Excellenz!«

»Zum Henker - so reden Sie - was ist geschehn!«

»Die ungarische Armee, 24000 Mann stark mit 144 Kanonen, überliefert in diesem Augenblick in Folge des Vertrags von Világos bei Szöllös die Waffen!«

Der alte Feldzeugmeister schlug erfreut die Hände zusammen. »Also doch! Das ist ein Triumph der österreichischen Fahne, der durch die Welt hallen und den Herren Revolutionairen den besten Stoß versetzen wird. Aber ich gönne ihn Schlick!«

Ein eigenthümliches Lächeln zuckte um den Mund des Unterhändlers und ein rascher Blick wurde zwischen ihm und dem Russen gewechselt.

»General Rüdiger wird gewiß sehr erfreut sein über diesen Erfolg.«

»Das versteht sich, das versteht sich - aber das ist Nebensache, wenn ich auch den Einfluß, den seine Stellung auf die Beschleunigung ausgeübt, nicht verkenne. Bringen Sie Abschrift des Vertrages?«

»General Rüdiger wird sie mit besonderm Courier Ew. Excellenz senden, ich bin nur voraus geeilt!«

»Rüdiger! Rüdiger! zum Henker warum sendet sie nicht Schlick selbst?«

Der Agent sah den alten Feldzeugmeister mit gut geheucheltem Erstaunen an. »Entschuldigen Euer Excellenz,

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aber wenn der General den Vertrag geschlossen, ist er es, der Euer Excellenz die offizielle Mittheilung zu machen hat.«

»Wer hat den Vertrag geschlossen?«

»General Rüdiger in Világos!«

»Und Görgei[Görgey] hat die ungarische Armee übergeben ...« die Stimme des alten Feldherrn war plötzlich so heiser geworden, daß die Frage halb erstickt aus der Kehle kam. Eine dunkle Röthe wie bei einem plötzlichen Schlaganfall färbte das Gesicht bis über die Wurzeln der Haare, bis in das Weiße der Augen.

»An die Russen!«

Der Feldzeugmeister machte eine Bewegung gegen den ruhig und kaltblütig vor ihm stehenden Agenten, wie ein Löwe, der sich auf den Jäger stürzen will, dessen Kugel ihn so eben im innersten Leben getroffen. Dann stieß er einen gotteslästerlichen Fluch aus und kehrte dem Agenten und seinem Mäcen den Rücken, um sie die tiefe Bewegung nicht sehen zu lassen, die ihn bei der unerwarteten Nachricht erschütterte.

»General Görgey,« berichtete der Agent ruhig weiter, während er wieder einen Blick mit dem Russen tauschte, »richtete am Sonnabend Abend 9 Uhr einen Brief am General Rüdiger, in dem er ihm anzeigte, daß er bereit sei, sich ohne Bedingungen den Russen zu unterwerfen, aber daß er sich um keinen Preis an die Oesterreicher ergeben werde. Er bezeichnete dem russischen General den Marsch, den er am andern Tage nehmen werde, damit das russische Corps sich zwischen ihn und die österreichischen

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Truppen schieben könne; denn er sei entschlossen, sich gegen die letzteren lieber bis zum letzten Mann zu schlagen.«

Der Feldzeugmeister, den Rücken noch immer gegen die Beiden gekehrt, hatte die Faust auf den Tisch gestemmt. Der Ballen, zu dem sie die vorhin von dem Agenten übergebenen Proclamationen zusammengekrampft hielt, bewies genügend die bittere Erregung des alten Soldaten.

»Schlick hätte es thun sollen - es wäre besser gewesen, als den kaiserlichen Fahnen diese Schmach anthun zu lassen!«

»Euer Excellenz sind ohne alle Ursache unwillig,« warf der Fürst ein. »Wir sind Verbündete in diesem Kampf für einen Zweck und es ist demnach gleichgültig, welchem von uns sich die Armee der Rebellen ergeben hat, wenn nur die Unterwerfung vollendet und überdies unnützes Blutvergießen verhindert ist. Es ist leicht zu erklären, daß General Görgey es vorgezogen hat, sich lieber freiwillig den Russen, als gezwungen seinen bisherigen Ueberwindern, der tapfern Armee Euer Excellenz zu übergeben.«

Der Feldzeugmeister verschluckte mit ziemlich saurer Miene das zweideutige Kompliment, aber er sah ein, daß er sich von seinem Groll schon zu weit hatte hinreißen lassen und versuchte, sich mit Gewalt zu bezwingen.

»Euer Durchlaucht haben im Grunde Recht, es bleibt sich gleich, Russe oder Oesterreicher; Sie würden dieselbe Befriedigung empfunden haben, hätte es Herrn Görgey beliebt, die Fahne der Rebellion vor seinem rechtmäßigen Landesherrn zu strecken. Wahrscheinlich sind Euer Durchlaucht

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schon die nähern Bedingungen bekannt, unter denen dies erfolgt ist.«

»Keine Bedingung Excellenz - die Unterwerfung ist unbedingt erfolgt,« sagte der Fürst hochmüthig, ohne zu merken, daß er in eine Schlinge ging.

Der Feldzeugmeister nickte leicht mit dem Kopf und heftete auf den Agenten einen festen Blick. »Es ist, wie ich mir dachte!«

Selbst die kalte Unverschämtheit des Spions konnte vor dem ehrlichen Auge des alten Soldaten nicht Stand halten und er erröthete leicht.

»Se. Durchlaucht,« bemerkte er, »hatte die Güte, mich eine Strecke weit in seinem Wagen mitzunehmen, da meine Pferde nicht mehr weiter konnten und ich hatte keine Ursache, ihm die gute Nachricht zu verschweigen.«

»Die Bedingungen, Herr?« sagte der Feldzeugmeister kurz.

»Se. Durchlaucht hat sie bereits gesagt - bedingungslose Unterwerfung!«

»Wie - mit 24,000 Mann hinter sich und ohne jede Bedingung, während Sie Vollmacht hatten ..., und seine Generale, Kiß, Pöltenberg, Schweigel, Nagy, Sándor, Aulich, Leiningen, Lenkey und wie sie heißen - sie sind doch in der Kapitulation mit begriffen?«

»Keiner von ihnen ist gesichert - nicht einmal die Kranken! Die Generale und Stabsoffiziere werden als Gefangene nach Arad gebracht - die in diesem Augenblick bereits entwaffneten Truppen nach Zaránd und Großwardein.«

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»Das sieht ihm ähnlich - sein Ich war sein Gott!« Ein finstrer unheilverkündender Ausdruck zuckte über das Gesicht des Feldzeugmeisters und der blonde Schnurbart schien sich zu sträuben. »Unter diesen Umständen Durchlaucht,« sagte er zu dem Russen, »werden wir auch noch einigen Antheil an dem Geschäft von Világos haben.«

Schwebte ihm vielleicht, in diesem Augenblick schon jener schreckliche 6. Oktober vor - die schauerliche Vergeltung am Jahrestag für Latour?

Der Doktor zog das Packet Briefe aus der Tasche, das er im Quartier des Fürsten ausgesucht hatte.

»Erlauben Euer Excellenz, nachdem ich meinen Rapport beendet habe, Ihnen noch einige Schriften zu übergeben, die durch Zufall in meine Hände gelangt sind.«

»Was ist's?«

»Briefe des Minister-Präsidenten Grafen Batthyányi, des flüchtigen Gubernators und mehrerer anderen an der Revolution betheiligten Personen an die Gräfin Pálffy!«

Der Feldzeugmeister riß ihm die Papiere aus den Händen. »An die nichtswürdige Rebellin, die schon wegen des Mordes einer Schildwach angeklagt ist? - Wir wollen den Weibsbildern vertreiben, Revolution zu spielen! Es ist gut, daß Sie mich daran erinnern, man hat ja wohl Ihres Zeugnisses wegen die Abhaltung des Kriegsgerichts über einige Spione verschoben?«

Der Doktor verbeugte sich.

»Geben Sie die Liste der Angeklagten her, Waldkirch!«

Der Major vom Generalstab, der im Gemach des Feldzeugmeisters arbeitete, überreichte diesem ein Papier

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- eine lange Reihe von Namen. Hinter verschiedenen war ein kurzer Vermerk eingeschaltet, daß und wozu sie bereits verurtheilt waren, einige waren durchstrichen, zum Zeichen, daß das Urtheil schon vollstreckt sei.

»Lassen Sie dem Vorsitzenden des Kriegsgerichts der Garnison anzeigen, sofort die Sache der Gräfinnen Pálffy und ihrer Genossen vorzunehmen. Ich wünsche der Verhandlung beizuwohnen und werde in einer halben Stunde dort sein. Entschuldigen Sie mich bis dahin Durchlaucht, da ich noch einige Ordres zu ertheilen habe. Sie mein Herr, werden sich sofort bei dem Auditeur des Gerichts melden.«

Der Generalmajor empfahl sich und verließ, von dem Agenten begleitet, die Wohnung des Feldherrn. Auf dem Wege zu dem erkrankten Commandirenden des russischen Corps, dem der Fürst einen Besuch und Bericht abstatten wollte, hatten die drei Verbündeten Zeit, ihre Pläne weiter zu besprechen. Nicht der am Wenigsten boshafte Teufel war dabei die kleine Zigeunerin. -

Das Kriegsgericht der Garnison hielt seine Sitzungen in einer der Kasematten, die der Vorstadt Mihala am Nächsten liegen. Wie wir bereits erwähnt, waren im Lauf des Tages mehrere Urtheile gesprochen worden.

Man hatte den Grafen Stephan, dessen Identität bisher durch das Schweigen aller Betheiligten bewahrt worden war, aus dem Lazareth, in das man ihn seiner Verwundung wegen gebracht, herbeigeschafft. Die Kugel Lazares hatte ihn unterhalb des Knies getroffen und obschon der Zustand der Wunde sich nach dem Verband gebessert,

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konnte er doch nicht aufrecht stehen und mußte auf einem Sessel herbeigebracht werden.

Es war das erste Mal seit dem verhängnisvollen Befreiungsversuch, daß er die Geliebte wiedersah. Sein Antlitz war bleich und erschöpft, nicht sowohl von dem Blutverlust und den Schmerzen der Wunde, als von der Sorge um die Frauen und dem Kummer über den Fall der Sache, der er sein Leben geweiht; denn der Ausgang der Schlacht war den Gefangenen nicht verborgen geblieben. Damit war natürlich jede Hoffnung auf eine Befreiung durch seine Freunde verloren.

Thamas[Tamas], der Gefangene aus der wilden Freischaar des Betyáren, hatte treu bei seinem vornehmern Unglücksgefährten ausgehalten und ihn mit aller Aufopferung seiner rohen Natur gepflegt. Er wußte, daß der Verwundete ein Freund seines Hauptmanns war und hätte sich daher eher in Stücke reißen lassen, als daß er Etwas gesagt oder gethan hätte, was jenem zum Nachtheil sein konnte. Um das eigene Leben war er bei der Gleichgültigkeit dieser wilden Naturen ziemlich unbekümmert. Auch jetzt stand er, nachdem man ihm die Fesseln abgenommen, neben dem Stuhl des Grafen und bemühte sich, ihm einige Erleichterungen zu verschaffen.

Das versammelte Kriegsgericht hatte so eben zwei Ueberläufer aus der Festung, die am Tage nach der Schlacht in den Wäldern gefangen genommen und von einigen Kameraden erkannt worden waren, zum Tode verurtheilt, als das Klirren der präsentirten Gewehre und das Rasseln der Säbel die Ankunft mehrerer hohen Offiziere verkündete.

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Es war der Feldzeugmeister selbst, der nach einem kurzen Besuch bei dem greisen Kommandanten mit diesem und mehreren Stabsoffizieren in den Kasematten erschien, um den Verhandlungen beizuwohnen.

Die Nachricht, daß das Schicksal zweier vornehmen ungarischen Damen verhandelt werden sollte, die nicht allein die Offiziere der Garnison als ihre Leidensgefährten während der Belagerung, sondern auch viele der Armee aus früheren Verhältnissen her kannten, hatte eine überaus zahlreiche Zuhörerschaft zu den Verhandlungen gezogen.

Der Feldzeugmeister in Begleitung des greisen Festungskommandanten Feldmarschall-Lieutenant Ruckowina, dessen Aeußeres jetzt auffallend die Spuren der überstandenen Leiden und Sorgen zeigte, betrat, kurz die Mitglieder des Gerichts grüßend, die Halle und nahm zur Seite des obern Endes der Tafel Platz.

Auf den Befehl des Vorsitzenden wurden jetzt Graf Stephan in seinem Stuhl näher herbeigeschoben und sein Gefährte neben ihn gestellt. Zugleich traten in Begleitung eines Offiziers und mehrerer Wachen die beiden Gräfinnen ein.

Das Gesicht der älteren Dame zeigte deutlich die Spuren der Aufregung und der wechselnden Stimmungen, während das ihrer Tochter kalt und entschlossen blieb. Nur als sie den Geliebten erblickte, färbte ein höheres Roth ihre Wangen und sie wäre auf ihn zugeeilt, wenn die Wache nicht dazwischen getreten wäre. So vermochten sie nur durch die Augen die Versicherungen der Treue und des Vertrauens zu wiederholen, denn die Comteß war

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durch die anonyme Warnung bestimmt, Alles zu vermeiden, was den Namen und Rang des Gefangenen verrathen konnte.

Der Auditeur wollte den Damen Sessel anbieten, aber ein Zeichen des Feldzeugmeisters ließ ihn davon abstehen.

Die Anklage war kurz und schlagend. Sie ging darauf hinaus, daß sich die beiden Ungarn verkleidet in österreichische Uniformen als Spione in die Festung geschlichen und mit den Gefangenen zu deren Befreiung Verbindungen angeknüpft hätten, die nur durch zufällige Entdeckung verhindert worden sei. Die Uniformen, welche der Graf und der Honved trugen, sprachen zu deutlich für die Absicht der Spionage und Täuschung, um eine andere Ausrede zuzulassen. Die Anklage beschuldigte überdies die beiden Gefangenen der Ermordung der Schildwach und die beiden Gräfinnen der Theilnahme an diesem Verbrechen.

Der Präsident wandte sich an die beiden Ungarn, zunächst an den Grafen.

»Angeklagter Euer Name?«

»Stephan!«

»Ich verlange Euren vollständigen Namen,« wiederholte der Präsident.

Der Ungar zauderte einen Augenblick, bevor er antwortete, sein Stolz sträubte sich gegen die Verleugnung, aber ein bittender Blick der Geliebten bewog ihn zu der Antwort:

»Ich heiße Stephan, dies kann genügen!«

»Und Ihr?«

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»Tamas Herr! Man nennt mich gewöhnlich den Einäugigen.«

»Ihr gesteht zu, in der Armee der sogenannten provisorischen Regierung gegen die kaiserlichen Truppen gedient zu haben?«

»Ich bin Soldat in der Armee meines Vaterlandes!« sagte der Graf fest.

»Es liegt der Verdacht vor, daß beide Angeklagte Spießgesellen des berüchtigten Räubers Rózsa Sándor sind, der in der Armee der Rebellen eine Freischaar unterhielt, und daß dieser selbst in der Festung und der Dritte war, welcher bei dem Versuch, heimlich dieselbe wieder zu verlassen betroffen wurde, aber unglücklicher Weise durch seine Verwegenheit entkommen ist. Ich frage die Angeklagten, ob dem so ist?«

Der Einäugige schwieg trotzig, auch der Graf gab keine Antwort.

»Die Angeklagten verweigern die Antwort,« fuhr der Vorsitzende fort, »aber wir haben einen Zeugen, der den Räuberhauptmann erkannt hat. Zu welchem Zweck seid Ihr in die Festung gekommen?«

Der Betyár war, wie sein Hauptmann von ihm gerühmt, nicht ohne Schlauheit. Er erklärte, daß er desertirt sei und gar nicht den Willen gehabt habe, die Festung wieder zu verlassen. Nur durch Zufall sei er mit den beiden Fremden zusammengetroffen und bewogen worden, ihnen den Weg zu zeigen. Eben so wenig wollte er von der Ermordung der Schildwache wissen, und betheuerte, diese müsse von dem Entkommenen verübt worden sein.

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Aber der Umstand, daß man ihn in dieser Gesellschaft gefunden, daß er bewaffnet war und den Fluchtversuch gemacht hatte, wog zu schwer gegen ihn.

Der Vorsitzende wandte sich auf's Neue an den Verwundeten. Das feste männliche Wesen, seine Sprache, die offenbar einen ganz andern Stand und Bildungsgrad verrieth, als sein Gefährte besaß, waren nicht ohne Einfluß auf die Mitglieder des Gerichts geblieben.

»Angeklagter Stephan, wie Sie sich nennen, können Sie beweisen, daß Sie als Deserteur in die Festung gekommen sind?«

Das bleiche Gesicht des Verwundeten röthete sich bei der gutgemeinten Frage. »Ich bin ein Ungar Herr,« sagte er stolz, »und werde nie die Fahne meines Vaterlandes verlassen!«

»Sie kennen das Schicksal, was ein Spion zu erwarten hat?«

»Ich bin weder Deserteur noch Spion.«

»Die Verkleidung, die Sie noch tragen, spricht gegen Sie. Sie sind unter dem Schutz derselben heimlich in die Festung gedrungen und geben selbst zu, daß dies nicht geschehen ist, um sich als Deserteur zu melden. Sie haben hier verrätherische Verbindungen angeknüpft und sind dabei betroffen worden, wie Sie die Festung heimlich wieder verlassen wollten. Die Criterien der Spionage treffen vollkommen zu.«

»Mein Zweck war, diese Damen, die man widerrechtlich gefangen hielt, zu befreien,« sagte fest der Graf. »Daß ich nur unter dem Schutz einer Verkleidung hoffen

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konnte, dies auszuführen, liegt nahe. Ich weise den Verdacht, ein Spion zu sein, mit Verachtung zurück.«

»Was veranlaßte Sie, vorausgesetzt daß Ihre Erklärung richtig, für die Gefangenen Ihr Leben zu wagen?«

Der junge Mann schwieg einige Augenblicke, dann sagte er mit einem Blick auf die Comteß ruhig: »Die Belohnung, die mir dafür geworden wäre!«

Es war vielleicht keiner unter den anwesenden Offizieren, der nicht den Doppelsinn der Antwort empfand und überzeugt war, daß der Angeklagte einem höhern Stande angehörte, aber der ritterliche Geist der Ehre unterdrückte jede Bemerkung und steigerte die Theilnahme für den Ungar.

»Zur Befreiung der beiden Gefangenen,« fuhr der Vorsitzende fort, »ist die Schildwach vor der Stabskaserne in ihrem Dienst ermordet worden. Sie werden der That beschuldigt.«

»Die Schildwach,« sagte der Graf mit Bestimmtheit, »ist nicht von meiner Hand gefallen, sondern von der meines Gefährten, der glücklicherweise aus dem Bereich Ihrer Macht ist. Ich kann und will meine Kenntniß der That nicht leugnen, aber ich protestire dagegen, daß man sie als Mord bezeichnet. Der Soldat war bewaffnet und in seinem Dienst, und die Aufhebung oder Tödtung eines bewaffneten feindlichen Postens kann im Krieg unmöglich als Mord gelten. Ich bin als Feind in die Festung gekommen und habe als solcher gehandelt.«

Der Feldzeugmeister unterbrach hier zum ersten Mal die Verhandlung, der er bisher mit finsterer Miene, aber nicht ohne Interesse beigewohnt hatte. »Wer verkleidet in

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das Lager des Feindes sich schleicht,« sagte er hart, »hat damit den Anspruch aufgegeben, als Soldat behandelt zu werden, wenn überhaupt das Anrecht eines Rebellen auf solche Behandlung anerkannt werden könnte. - Fahren Sie fort!«

Die Verhandlung nahm ihren raschen weitern Verlauf, in dem nach einem kurzen Verhör der beiden Frauen die Zeugen gegen die Angeklagten vorgefordert wurden.

Zwei der Offiziere, welche den Kommandanten bei der nächtlichen Runde begleitet hatten, bekundeten die Vorgänge dabei und die offenbare Absicht der Gefangenen, die Festung heimlich zu verlassen. Ebenso wurde die Tödtung der Schildwach constatirt - die Angeklagten hatten überdies gar nicht versucht, ihre Theilnahme daran zu leugnen. Dagegen weigerten sie sich, auch die Frauen, auf das Bestimmteste, irgend eine Angabe über ihre Vertrauten und Helfershelfer in der Stadt zu machen. Denn daß sie diese gehabt und der Plan einer Flucht schon lange im Werke gewesen war, wurde durch mehrere Brieffragmente bewiesen, die man bei der genauen Durchsuchung der Zelle der beiden Frauen aufgefunden hatte. Die bisherige Aufwärterin, auf welche der natürliche Verdacht fiel, konnte nicht vernommen werden, da das Weib am Tage des Entsatzes der Festung vom Typhus befallen worden war und hoffnungslos danieder lag.

Der letzte Zeuge, der vorgefordert wurde, war der Agent Dr. Lazare. Schon der Aufruf des Namens rief trotz aller bewiesenen Selbstbeherrschung in dem Verwundeten Zeichen der innern Bewegung hervor, als er aber

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dem eintretenden Feinde entgegen blickte, zuckte er plötzlich zusammen, denn hinter dem Agenten folgte, auf seinen Stock gestützt, ein Mann in russischer Generalsuniform, sein Feind und Nebenbuhler, der Fürst Trubetzkoi.

Der Ungar wandte sich unwillkürlich nach der Seite, wo die Comteß, seine Verlobte stand, gleich als wolle er sie auf die Gefahr aufmerksam machen; aber die dunkle Röthe, die das abgehagerte Gesicht des Mädchens überzogen hatte, bewies ihm hinlänglich, daß auch sie den beiderseitigen Feind erkannt hatte. Mußte sie das doch um so eher, da sie erst noch vor wenig Monaten seiner brutalen Verfolgung begegnet war.

Der Feldzeugmeister hatte dem Russen an seiner Seite Platz gemacht, und der Fürst setzte sich und betrachtete durch sein Lorgnon mit kalter unveränderter Miene die Versammlung.

Auffallender Weise zeigte sein Gesicht nicht das geringste Zeichen des Erkennens, als sein Auge auf dem Angeklagten ruhte.

Der Doktor, befragt, erklärte, daß er den ersten Angeklagten bei der Begegnung, als er selbst sich zur Ueberbringung der Nachricht heimlich in die Festung geschlichen hatte, sofort als ein Mitglied der Revolutionsarmee und als einen Gefährten des berüchtigten Freischaarenführers Rózsa Sándor, des Betyáren erkannt habe, mit dem er bei wiederholten Gelegenheiten zusammen getroffen sei. Zum Erstaunen des Grafen vermied er auch jetzt, seinen Stand und Namen zu nennen, ja er erklärte auf Befragen, ihn nicht zu kennen.

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Der Gedanke, diesem Menschen, seinem Feinde, eine Art von Schutz oder Beistand verdanken zu sollen, war peinigender für ihn, als der an die Gefahr und mehrmals war er in Versuchung, aufzuspringen und sich selbst anzugeben, aber das bittende warnende Auge der Frauen hielt ihn stets auf's Neue zurück.

Das Zeugenverhör war geschlossen und der Auditeur schickte sich an, die Anklage zusammenzufassen, als der Feldzeugmeister sich erhob.

»Einen Augenblick, Herr,« sagte er ernst. »Ich habe dem Gericht diese Briefe zu übergeben, die an die Gräfin Pálffy gerichtet sind und auf die Anklage und das Urtheil von Einfluß sein müssen. Die Anklage erstreckt sich demnach nicht bloß auf den Fluchtversuch und die Theilnahme an der Ermordung der Schildwache sondern auch auf Hochverrath!«

Die Gräfin vermochte sich nicht zu beherrschen, ein Ausruf des Schreckens entfuhr ihr bei dem Anblick der Briefe. Das Gesicht ihrer Tochter ward bleich, aber aus ihrem Auge und den fest zusammengepreßten Lippen leuchteten Stolz und Entschlossenheit.

Welche unverkennbare Bewegung der Theilnahme auch in der Versammlung an dem Geschick der beiden Frauen bei dieser neuen Wendung ihrer Lage sich zeigte, das Gericht mußte seiner Pflicht gehorchen und nach einer kurzen Prüfung der Briefe legte der Vorsitzende der Gräfin die Schriften vor mit der Frage, ob sie dieselben erkenne.

Eine Ableugnung war nicht möglich, außer mehreren Briefen, die an sie selbst von den Führern der Revolution

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geschrieben waren, lagen zwei Concepte von ihrer eigenen Hand zu Schreiben vor, welche sie an den ältern Batthyányi gerichtet hatte. Auf ihren Namen und ihren Rang vertrauend, leugnete die Gräfin auch keineswegs. »Ich weiß nicht, auf welche Weise man diese Briefe uns gestohlen hat,« sagte sie hochmüthig, denn sie erinnerte sich nicht, daß die Comteß sie mit nach Enyád genommen hatte, »aber ich protestire dagegen, daß man die Privatcorrespondenz zweier Frauen benutzen will, um sie anzuklagen.«

»Diese Briefe Madame,« sagte der Vorsitzende, »sind an Sie allein gerichtet.«

Die Comteß erhob sich. »Das ist falsch Herr,« sagte sie heftig. »Diese Briefe gelten mir wie meiner Mutter, und wenn man niedrig genug ist, sie gegen uns zu benutzen, so will ich die Schuld theilen. Wenn es ein Verbrechen ist, daß die Frauen Ungarns das Herz ihrer Söhne und Brüder ermuthigt haben zu dem heiligen Kampf für die Rechte und die Freiheit des Vaterlandes, daß sie ihr Hab und Gut für den großen Zweck hingegeben, so habe ich das Verbrechen begangen, und mich mögen Sie richten!«

»Ihr Vater, Comteß,« sagte der alte Commandant der Festung, »war ein treuer Diener seines Kaisers.«

»Des Königs von Ungarn, Herr, wollen Sie sagen, denn nur diesem hat ein Pálffy gedient,« entgegnete die Comteß mit stolzem Hohn. »Ich protestire gegen das Gericht in meinem und meiner Mutter Namen. Wir gehören zu den Magnaten dieses Landes und können nur vor der Magnatentafel des Hochverraths angeklagt werden. Sie

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können uns ermorden, wie Sie uns widerrechtlich gefangen gehalten haben, aber nicht richten!«

Die Ungarin stand hoch aufgerichtet, die feuersprühenden Augen auf die Offiziere geheftet, die Hand erhoben - selbst die Feinde ihrer Sache konnten dem jungen, nach so vielen Leiden ungebeugten Mädchen ihre Bewunderung nicht versagen.

Der Fürst betrachtete sie durch das Lorgnon. »Beim Teufel - sie ist wirklich schön! - Schade ...«

Mit begeistertem Blick schaute der Graf, ihr Verlobter, auf sie - was war der Tod, wenn er erlitten wurde für sie und das Vaterland!

Auch der Feldzeugmeister hatte sich erhoben, der heroische Trotz des Mädchens schien seine schlimme Laune noch zu vermehren.

»Machen Sie ein Ende mit der Närrin,« sagte er hart. »Wir haben keine Zeit, uns mit tollgewordenen Weibern zu streiten, die an den Kochheerd oder in die Kinderstube gehören, nicht in den Kampf der Männer. Lassen Sie die Angeklagten abtreten und sammeln Sie die Stimmen!«

Der Vorsitzende des Gerichts gab das Zeichen, die Angeklagten abzuführen; auch die Zuhörer verließen den unheimlichen Raum.

An dem Ausgang reichte die Comteß ihrem Verlobten die Hand.

»Fideliter et fortiter!« sagte sie, sich der jedem gebildeten Ungar noch immer geläufigen Sprache bedienend und an den Wahrspruch ihres Hauses erinnernd.

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Die Wachen trennten sie.

Hinter der Gräfin stand plötzlich der Fürst Trubetzkoi. »Es ist eine schlimme Lage Madame, in die Sie sich verwickelt,« sagte er auf französisch. »Sie sehen, wie besser Sie gethan hätten, sich meinem Schutz anzuvertrauen. Aber ich bin nicht rachsüchtig, was ein alter Freund thun kann, soll geschehen.«

Sie faßte unruhig seinen Arm. »O Fürst, wir rechnen auf Ihren Schutz - Sie waren ein Freund meines Gatten, Sie müssen Ihren Einfluß aufbieten, uns dieser abscheulichen Haft endlich zu entziehen.«

Der Russe sah sie groß an. »Sie fürchten weiter Nichts Madame? ich besorge, Sie täuschen sich über Ihre Lage?«

»Aber was kann man uns thun? wir sind Frauen, die Gräfinnen Pálffy, wir gehören zu dem ersten Adel des Reichs. Mon Dieu - man wird doch nicht wagen ...«

»Der Feldzeugmeister ist ein Mann, der keine Rücksichten kennt,« sagte kalt der Russe. »Ich fürchte, Sie müssen sich auf das Schlimmste gefaßt machen. - Es giebt nur ein Mittel ...«

»Ich beschwöre Sie - welches? O verlassen Sie uns nicht, Sie sind der einzige Freund, den wir hier haben.«

»Ich werde in einer Stunde bei Ihnen sein, wenn ich die Erlaubniß dazu erhalte.« Der Russe machte eine Verbeugung, denn eben trat die Comteß Cäcilie zu ihrer Mutter, und zog sich, ohne diese anzusprechen, zurück.

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Erst jetzt durch die Selbstanklage ihrer Tochter erfuhr die Gräfin, daß die verhängnißvollen Briefe, die sie in ihrer Wohnung in Pesth zurückgelassen zu haben glaubte, wahrscheinlich in Enyád in die Hände der Feinde gefallen und auf irgend eine Weise an den österreichischen Oberbefehlshaber gekommen sein mußten. Obschon Comteß Cäcilie offen den Verdacht aussprach, daß der Fürst aus Rache für die abgewiesene Bewerbung dabei die Hand im Spiel gehabt haben dürfte, vertheidigte ihn die Gräfin heftig, ja sie ging so weit, im Egoismus ihres Charakters dem unglücklichen Mädchen die heftigsten Vorwürfe zu machen, daß sie vor der Flucht aus ihrem Hause in Enyád in jener entsetzlichen Nacht nicht die gefährliche Correspondenz vernichtet hätte und maß ihr alle Schuld ihres Unglücks zu.

Schweigend hörte das Mädchen die Vorwürfe der Mutter an - ihr Kopf zermarterte sich mit dem Gedanken, wie die drohende Gefahr des Geliebten abzuwenden sei, an die eigene dachte sie nicht.

Die Berathung der Mitglieder des Kriegsgerichts dauerte ungewöhnlich lange, während mit jeder Minute die folternde Spannung der Bedrohten wuchs. Es mochte fast eine halbe Stunde vergangen sein, als der diensthabende Offizier erschien, um die beiden Frauen in das Gerichtszimmer zurückzuführen.

Der Graf und sein Gefährte waren bereits dort - die Augen der Verlobten begegneten sich, sie sprachen einander gegenseitig Muth ein.

Die Gesichter der Beisitzer des Gerichts waren ernst und feierlich, mit ungewöhnlicher Theilnahme hatten sich

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hinter den Angeklagten Offiziere und Soldaten in das Gemach gedrängt. An dem obern Ende des Tisches saß jetzt der Feldzeugmeister, seine Miene war eisern und finster, der lange weiße Schnurbart zuckte unheimlich auf und nieder.

Der Vorsitzende des Gerichts erhob sich und verlas das Urtheil. Es war kurz und lautete: gegen den Honved Stephan, überführt als Spion verkleidet in die Festung gekommen zu sein, an einem Befreiungsversuch von Gefangenen und der Ermordung einer kaiserlichen Schildwach Theil genommen zu haben, mit, allen gegen eine Stimme auf den Tod durch den Strang; gegen den Honved Tamas desgleichen; gegen die Gräfin Cäcilie Pálffy wegen Einverständnisses mit den Feinden der kaiserlichen Regierung und offenkundiger hochverräterischer Gesinnung auf Verbannung; gegen die Gräfin Anna Pálffy wegen Hochverraths und Unterstützung des Feindes auf Confiscation ihrer Güter, lebenslängliches Gefängniß und«

Der Vorlesende hielt einen Augenblick inne, gleich als bedrücke auch ihn das Schreckliche des Urtheils.

»Fahren Sie fort,« sagte der Feldzeugmeister mit Strenge.

»auf Befehl Seiner Excellenz des Oberstkommandirenden der Königlich Kaiserlichen Armee in Ungarn General-Feldzeugmeisters Freiherrn v. Haynau - zur Warnung und zum Exempel für Jedermann, auf Empfang von dreißig Ruthenhieben auf einem öffentlichen Platze

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des Lagers Kaiserlich Königlicher Truppen vor der Stadt Temesvár.«

Der Graf hatte mit Fassung und schweigend das fast unvermeidliche ihn betreffende Urtheil angehört - sein Auge ruhte auf der Verlobten, die krampfhaft die Hand auf ihr Herz gepreßt hielt; als der Vorsitzer des Gerichts jedoch den infamirenden von dem General-Feldzeugmeister diktirten Zusatz der harten Strafe der Gräfin verkündete, und diese mit einem gellenden Aufschrei ohnmächtig zusammenbrach, sprang er trotz seiner Wunde empor, als wolle er sich auf die Beisitzer des Gerichts und den Feldherrn selbst stürzen.

»Feiger Tyrann, an dem Mann räche Dich, der Deinen Henkern Trotz bietet, nicht an Frauen! Wer giebt Dir das Recht, den Namen Pálffy zu beschimpfen, der in Ungarns Geschichte glänzte, ehe Deine Bastardväter deutsche Erde entehrten!«

Die Wachen rissen den Erbitterten zurück, während der Feldzeugmeister mit eherner Ruhe die Feder dem Feldmarschall-Lieutenant Ruckowina reichte, der als Kommandant der Festung das Urtheil des Gerichts zu unterzeichnen hatte; nur an der fliegenden Röthe auf seiner Stirn hätte ein Kundiger bemerken können, daß der bittere Hohn des Ungars getroffen.

»Lassen Sie die Gefangenen fortbringen und das Urtheil morgen früh vollstrecken,« sagte er kalt. »Sie sehen, daß ich warte, meine Herren!«

Die letzten Worte galten den Beisitzern des Gerichts, da noch über mehrere Angeklagte zu entscheiden war. Einer

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der Offfziere des Gerichts trat zu den Gefangenen. »Führen Sie die Damen fort,« sagte er zu dem Profoß, »und sorgen Sie dafür, daß ihnen Beistand und milde Behandlung zu Theil wird, bis Sie weitere Befehle erhalten. Die Gefangenen werden in ihr Gefängniß zurückgebracht und jeder billige Wunsch möge Ihnen erfüllt werden.«

Während die Gräfin, noch immer ohnmächtig, hinaus getragen wurde, drängten die Wachen die beiden zum Tode Verurtheilten nach der Thür. Noch ein Mal wandte sich der junge Graf an dieser zurück in das Gemach.

»Bastard von Hessen, - blutiger Schlächter von Brescia,« rief er mit schneidender Stimme - »Du magst die Söhne der Freiheit morden, aber die Freiheit selbst ist außer Deiner Mörderhand! Blutdürstiges Werkzeug der Tyrannei, mögst Du, ehe ein Jahr vergeht, von Denen selbst verrathen und verstoßen sein, für die Du jetzt das edelste Blut des Landes vergießest Freiherr v. Haynau, ich lade Dich vor den Richterstuhl Europa's, vor den Thron Gottes, ich - Stephan von ...«

Eine Hand legte sich schwer auf seinen Mund und schob ihn mit Gewalt aus dem Gemach. »Wollen Sie sich der letzten Aussicht auf Rettung berauben, Graf,« flüsterte die Stimme des wackern österreichischen Offiziers. »Glauben Sie, wir hätten Sie nicht erkannt, sofort, und wüßten nicht, daß Sie nicht als Spion und nur um der Befreiung der Gräfin willen in die Festung gekommen sind? - Aber der Wille des Feldzeugmeisters ist schwer zu ändern und wenn er wüßte, daß Sie den gefährlichen Namen tragen, vermöchte Nichts in der Welt Sie zu retten.

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Noch ist nicht alle Hoffnung verloren, darum verhalten Sie sich ruhig!«

Der Gefangene reichte ihm die Hand. »Gott vergelte Ihnen Kamerad, aber was Sie thun wollen, geschehe nicht für mich, sondern für die unglücklichen Frauen, und unter Ihrem Galgen wird Stephan Batthyányi es Ihnen noch danken!« -


Der Fürst Trubetzkoi ging in eifrigem Gespräch mit dem Agenten und der ihn mit ihrem launenhaften tyrannischen Charakter beherrschenden Maitresse auf dem Glacis auf und nieder. Er berichtete ihnen eben den Erfolg seiner Unterredung mit der älteren Gräfin.

Der Fürst hatte es einzurichten gewußt, sie allein zu sprechen. Als er sie um eine Unterredung bitten ließ, stürzte sie ihm in Schrecken und Thränen aufgelöst, entgegen - all ihr Stolz, all ihr Muth war gebrochen vor dem unbarmherzigen Urtheil des Feldzeugmeisters und sie klagte in einem Athem ihre Tochter, den unglücklichen Verlobten derselben und die ungarische Armee an, die sich schlagen lassen, statt sie zu befreien. Dann bat sie den Fürsten um Verzeihung, daß sie ihm nicht in Enyád vertraut, und forderte im nächsten Augenblick mit Ungestüm, daß er sie als ein Freund ihres Mannes gegen die Barbarei der Oesterreicher schützen sollte.

Der Fürst kannte ihren hochfahrenden und doch wieder haltlosen Charakter und ließ den ersten Sturm ruhig vorübergehen. Dann aber erklärte er ihr, daß es außer seiner Macht sei, gegen das gefällte Urtheil zu protestiren, und daß der Charakter des Feldzeugmeisters viel zu unbeugsam,

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seine Strenge gegen die Revolution und Alles, was mit ihr zusammenhing, viel zu bekannt sei, um mit der geringsten Aussicht eine Bitte zu versuchen.

Die unglückliche, an jeden Luxus gewöhnte Frau lag auf der Bank des Gemachs, in das man sie gebracht und rang verzweifelnd die Hände.

»Es hätte vielleicht einen Weg gegeben, gnädige Frau,« sagte der Russe, der den Jammer der Unglücklichen mit innerer Schadenfreude betrachtete, »um Sie und die Comteß diesem beklagenswerthen Schicksal zu entziehen - aber ich kann nicht erwarten, daß Sie das Ihnen verhaßte wählen werden und ich selbst darf mich nicht einer neuen Demüthigung aussetzen.«

Die Dame hob die Hände zu ihm empor, sie wäre ihm fast zu Füßen gefallen bei der geringsten Hoffnung, die sich ihr bot.

»Fürst, ich beschwöre Sie, reden Sie - sprechen Sie, es kann kein Mittel geben, das ich nicht mit ewiger Dankbarkeit ergreifen würde.«

»Sie wollen sich erinnern Madame, daß der Fürst Trubetzkoi einst sich die Ehre gab, um die Hand Ihrer Tochter anzuhalten, und daß Sie es waren und die Comteß, welche seine Bewerbung gegen den Willen Ihres Gatten verschmähten!«

»Ich war thöricht - man hat mich betrogen, Fürst, man hat mich mit Gewalt in die Intriguen der Batthyányi's hinein gezogen und mich gegen Sie eingenommen!«

»Dem Fürsten Trubetzkoi,« fuhr der Versucher fort, »der für ihm bekannte Damen, die ihn selbst einst schwer

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beleidigt, um Gnade bittet, hat man ein Recht, diese zu verweigern, aber ...«

»Sprechen Sie - ich beschwöre Sie!«

»Kein österreichischer General, und sei er noch so hoch gestellt, wird es wagen, die Gemahlin des russischen Generalmajors Fürsten Trubetzkoi, eines kommandirenden Offiziers der verbündeten Truppen, im Gefängniß zu halten oder seine Schwiegermutter peitschen zu lassen!«

Die Gräfin starrte ihn an ängstlich, zweifelnd ...

»Wie Fürst, Sie wollten ...«

»Ich weiß, was ich dem Andenken Ihres verstorbenen Gemahls schuldig bin. Man hat mich schwer gekränkt, ich danke einem Gliede Ihrer Familie eine böse Wunde, aber es ist das einzige Mittel, Sie zu retten!«

»Aber Cäcilie - sie ist die Verlobte des Grafen Stephan, den Sie erkannt haben müssen und nur aus Edelmuth geschont haben, - sie liebt ihn!«

»Ich kenne nur den Honved Stephan, Madame,« sagte der Fürst kalt, »der als Spion zum Tode verurtheilt worden ist und ihn ohne Zweifel erleiden wird. Die erste Pflicht einer Tochter ist, dem Wohl ihrer Eltern die eigenen Wünsche zu opfern. Ueberdies ...«

Die Gräfin sah ihn fragend an, es konnte kein Zweifel mehr sein, daß ihr Widerstand gebrochen war und sie nur noch einen Vorwand suchte, das Opfer nicht allein um ihrer selbst willen zu fordern.

»Ueberdies,« fuhr der Fürst fort, »ist es das einzige Mittel, Ihrer Familie ihre Besitzungen zu erhalten, die das österreichische Gouvernement sonst unnachsichtlich

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confisciren wird. Sie wissen, daß die Finanzen in Wien ein unersättlicher Schlund sind, dem jede Gelegenheit willkommen. Wollen Sie Comteß Cäcilie als Bettlerin in die Welt hinaus stoßen?«

Die Gräfin war entschieden - sie reichte ihm die Hand. »Ich erkenne ganz das Großmüthige Ihres Anerbietens,« sagte sie. »Möge meine Tochter im Stande sein, Ihnen einigermaßen diese Freundschaft zu vergelten.«

»Aber wird Comteß Cäcilie einwilligen? Sie selbst sagten mir, daß sie den jungen Grafen Batthyányi liebt.«

»Den Bettler - den Rebellen, der uns in all das Unglück gestürzt hat! Möge er seinen Lohn erhalten - ich kümmere mich nicht mehr um ihn,« rief die Gräfin, sich rasch in eine künstliche Erbitterung hinein arbeitend. »Sie müßte eine Undankbare, eine Wahnsinnige sein, sie verdiente meinen Fluch, wenn sie einen Augenblick zögern könnte, ihre unglückliche Mutter und sich selbst zu retten. Lassen Sie uns sogleich zu ihr gehen, sie soll meinen Willen hören.«

Der Fürst hielt sie zurück. »Um des Himmelswillen nicht, meine Beste, das hieße Alles verderben. Sie wissen, daß die Comteß ein Vorurtheil gegen mich hegt, und ich will meine ehrliche Werbung nicht nochmals einer schnöden Zurückweisung aussetzen. Darum ist es unbedingt nöthig, daß Sie zuvor mit ihr sprechen und sie bestimmen. Sie wissen Gräfin, es handelt sich um eine entsetzliche Schmach und wenn Comteß Cäcilie einen Funken Liebe für Sie hat ...«

Die Gräfin bat ihn unbesorgt zu sein. Seit die

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wankelmüthige, des höheren Halts entbehrende Frau dieses Mittel der Rettung vor sich sah, klammerte sie sich mit allen Kräften an diesen Anker.

Der Fürst wußte, daß sie Nichts unversucht lassen würde, daß sein Spiel mehr als halb gewonnen war. Das war es, was er so eben seinen beiden Verbündeten mitgetheilt hatte.

»Sie wird einwilligen,« sagte der Doktor hämisch, »und sollte sie auch wissen, daß es das ganze Glück ihres Lebens kostet. Sie könnte ihre Mutter, das thörichte Weib, vielleicht sterben sehen auf dem Schaffot, wenn es das Phantom gilt, für das sie bereit ist, sich selbst zu opfern, aber die Schande der Ruthenhiebe auf dem Rücken einer Pálffy geht über ihre Kraft. Nur rathe ich Ihnen Durchlaucht, halten Sie sie auf der Stelle beim Wort - die Trauung muß augenblicklich stattfinden, oder der geringste Zufall kann Ihnen den Sieg entreißen!«

»Kutya teremtete - ich will Dir das Brautbett bereiten,« lachte die Zigeunerin. »Du sollst sehen Schatz, daß die Feodora nicht so viel eifersüchtig ist! Ich gratulire der hochmüthigen blassen Gräfin zur Hochzeitsnacht, bei dem Aldobaran - es steht viel Vergnügen für sie in den Sternen geschrieben!«

Der Fürst schleuderte ihr einen wüthenden Blick zu, der ihre böse Zunge für den Moment verstummen machte.

»Es ist möglich, daß sie sich fügt,« sagte er finster zu dem Agenten. »Aber wenn sie nun als Bedingung das Leben ihres Geliebten verlangt?«

»Bah, so sichern Sie es ihr zu!«

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»Das ist unmöglich - Sie kennen den Feldzeugmeister nicht! ich werde schon Mühe genug haben, die Frauen seinen Zähnen zu entreißen und Panintine's ganzen Einflusses bedürfen. Wenn Ruckowina allein das Urtheil unterzeichnet hätte, so wäre es ein Leichtes, was kommt es auf einen Honved mehr oder weniger an! Aber der Feldzeugmeister selbst hat es bestätigt und er ist so unbeugsam wie die Eichen seiner deutschen Wälder. Unser Coup, daß Görgey sich an die Russen übergeben, hat ihn ohnedies wild genug gemacht!«

Der Doktor hatte ihn mit eigenthümlicher Miene betrachtet. »Beabsichtigen Sie wirklich, Durchlaucht, wenn es in Ihrer Macht stände, den Grafen Stephan Batthyányi dem Galgen entkommen zu lassen?«

Der Russe lächelte mit dem Ausdruck tiefen Hasses. »Wenn ich die Gräfin dadurch zwingen kann, - warum nicht! Haben Sie meine beiden Ordonnanzkosaken gesehen?«

»Ich glaube!«

»Nun K tschortu! ich versichere Sie, Petrowitsch schießt auf hundert Schritt einen Rubel Ihnen zwischen den Fingern fort, und Alexei wirft auf zwanzig Schritt sein Messer mitten durch's Herz!«

Der Doktor zuckte verächtlich die Achseln. »Ich wiederhole Ihnen, der Tod des Feindes ist keine Rache, nur die Art, wie er stirbt. Wenn ich die Macht hätte, ich würde ihn in die sibirischen Bergwerke schicken - ihn lebendig begraben zu wissen, wäre ein Genuß!«

»Aber das giebt mir keine Antwort, was ich thun kann, wenn die Comteß seine Begnadigung fordert. Suchen

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Sie irgend einen Ausweg, Sie wissen, daß meine Kasse Ihnen zur Verfügung steht. Noch einen Dienst müssen Sie mir erweisen.« Er sprach die letzten Worte französisch, damit die Zigeunerin sie nicht verstände.

Der Doktor lorgnettirte seit einigen Augenblicken einen Mann, der in einiger Entfernung an dem Stumpf eines Pfahls lehnte.

»Wenn die Comteß sich entschließt, wird der Feldpope sofort zur Hand sein, die Trauung zu vollziehen. Aber ich muß ein zweites Quartier haben, wenigstens für die ersten Tage, bis ich die nöthigen Anstalten treffen kann. Ich traue der Dirne hier nicht, daß sie mir nicht einen ihrer gewöhnlichen boshaften Streiche spielt, trotz alles Anscheins, den sie sich giebt; sie ist ein eingefleischter Satan, aber ich kann sie nicht missen, ich bin gewöhnt an sie und überdies - wenn ich sie behalte, - wird es den Hochmuth der Pálffy um so tiefer kränken.«

Der Doktor lächelte. »Ich werde mich bemühen, Durchlaucht, doch da kommt ein Mann, der Ihnen vielleicht leichter in dieser Sache dienen kann, weil er mit den Offizieren auf einem bessern Fuß zu stehen scheint als ich. Ich glaube, Sie kennen ihn.«

Der Fürst hatte sich nach dem Nahenden gewandt. »Ah Monsieur Spiegelthal! Wo kommen Sie her - Sie machen ja ein Gesicht, so trübselig, als hätte Ihr Ministerium Brandenburg-Manteuffel einem solchen Waldeck Platz gemacht!«

Der Agent des preußischen Ministers des Auswärtigen, der bei seinem besondern Talent für hervorragende

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Bekanntschaften, während seiner Begleitung des Hauptquartiers natürlich auch nicht versäumt hatte, den russischen Führern sich vorstellen zu lassen, trat näher. Sein intelligentes Gesicht zeigte in diesem Augenblick allerdings den Ausdruck einer fehlgeschlagenen Hoffnung, einer unangenehmen Täuschung.

»Ich habe das traurige Geschäft vor mir, Durchlaucht,« sagte er, »einer hübschen verzweifelnden Frau, der ich meinen Beistand zugesagt, die traurige Nachricht bringen zu müssen, daß alle Fürbitte vergeblich gewesen ist und ihr Gatte sterben muß.«

»Was ist das für eine Sache?« frug der Fürst gleichgültig.

»Es betrifft den Gatten meiner Wirthin, einen alten walachischen Bojaren Namens Stephanowitsch, der seit einigen Jahren hier in der Vorstadt sich angesiedelt hatte und bei dem Beginn der Belagerung mit den Rebellen gemeinschaftliche Sache gemacht haben soll gegen die Truppen der Garnison. Man hat ihn gefangen und ihn vor das Kriegsgericht gestellt und er ist heute Mittag zum Tode verurtheilt worden!«

»Es geschieht dem Schurken recht,« unterbrach ihn der Fürst.

»Seine Gattin ist jung und hübsch, aber sie scheint den Alten wie einen Vater zu lieben und ist, im Gegensatz zu anderen Frauen in solcher Situation, in voller Verzweiflung. Ich habe zufällig mein Quartier in ihrem Hause erhalten und nahm mich der armen Frauen an, aber Baron Rukowina[Ruckowina] will Nichts hören davon. Schade,

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daß Fürst Lichtenstein, der dasselbe Haus seit der Aufhebung der Belagerung bewohnt, diesen Morgen mit einem Streifcorps abkommandirt worden ist, er hätte sicher der Aermsten sein gewichtigeres Fürwort nicht verweigert!«

»Ist das Quartier des Generalmajors bereits wieder besetzt?« frug der Doktor, sich in das Gespräch mischend.

»So viel ich weiß noch nicht, aber es wird rasch geschehen, wenn man weiß, daß der General nicht zurückkehrt.«

Der Doktor flüsterte dem Fürsten hastig einige Worte zu. Dieser sah ihn erstaunt an, aber ein ungeduldiger Wink des Andern machte ihn sich fügen.

»Dienst für Dienst Monsieur de Spiegelthal,« sagte der Russe. »Ich brauche noch diesen Abend zwei oder drei Zimmer hier in der Vorstadt und ich will dafür bei Baron Ruckowina noch einen Versuch zu Gunsten Ihres Schützlings machen. Ich kenne den Feldmarschall-Lieutenant und mein Wort dürfte nicht ohne Erfolg sein!«

»Dann möge es der Himmel Ihnen danken Durchlaucht. Verfügen Sie ganz über mich für jeden andern Dienst. Es versteht sich von selbst, daß unter allen Umstanden für Sie Quartier in unserm Hause geschafft werden soll und müßte ich das meine räumen. Frau von Stephanowitsch ...«

»Halt,« sagte der Fürst. »Eine Bedingung! Niemand darf wissen, daß ich mich um die Begnadigung des Verurtheilten bemüht habe - ich habe sonst morgen zwanzig heulende Weiber oder Schwestern vor meiner Thür für diese Laune. Ich will jetzt in die Stadt Monsieur de

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Spiegelthal, und hoffe Ihnen gute Nachricht senden zu können! Unterdeß, vergessen Sie meinen Wunsch nicht, Sie werden bald erfahren, was der Grund ist,«

Der preußische Agent ging, der trostlosen Frau neuen Muth einzusprechen, während der Russe mit seinen Begleitern sich nach dem Thor der Festung wandte.

»Was zum Teufel ficht Sie an Doktor,« sagte er mürrisch, »daß ich mich in diese Geschichte mengen soll? Ich kümmere mich den Henker darum, ob sie fünfzig Bojaren aufhängen oder füsiliren, und habe genug mit unsern eigenen Angelegenheiten zu thun. Meine Dukaten genügen für das Quartier!«

»Die Sache gehört zu unsern eigenen Angelegenheiten,« sagte der Doktor fest. »Ich werde Ihnen sogleich das Nähere mittheilen, aber entfernen Sie Ihre Begleiterin, wenn es möglich ist, sie wird uns nur hinderlich sein.«

Das Gespräch war, auch mit dem Preußen, französisch geführt worden. Die kleine Zigeunerin hatte mit dem Anschein der Gleichgültigkeit zugehört, keine Miene verrieth, ob sie den Inhalt verstanden oder nicht.

»Ich dächte, die Stunde wäre längst vorbei, Blanker, die Du dem stolzen Weibe bewilligt, sich zu entscheiden.« sagte die Zigeunerin plötzlich. »Es ist Zeit, daß Du erfährst, ob Du heute Nacht ein glücklicher Hochzeiter sein wirst, oder Feodora das Vergnügen hat, Dich in ihrer Gesellschaft zu sehen.«

»Du wirst es zeitig genug hören,« brummte der Fürst. »Icht mach, daß Du fortkommst, denn ich habe Geschäfte. Bringen Sie sie zum Wagen Doktor.«

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Die Zigeunerin drehte sich auf der Ferse um. »Ebbadta! er ist ein solcher Verräther wie Du, und ich erwische Euch Beide noch. Ich kann allein gehen - Du sollst Deine Gräfin haben, Schatz, denn die Tunsa hat's einmal geschworen; aber hängen sollt Ihr ihn doch nicht, ich mag's nicht mehr sehen, seit die Huska zu meinen Füßen zerbrach!«

Sie schüttelte drohend die Hand und sprang, das lange Seidenkleid, das hinter ihr rauschte, nicht achtend, über die Trümmer davon. »Der Teufel sitzt in der Dirne,« schalt der Fürst. »Wir müssen die Augen aufhalten, daß sie uns keinen Streich spielt. Gehen Sie ihr nach Doktor, und sehen Sie, daß sie keinen Schaden nimmt und Vernunft anhört, Sie haben großen Einfluß auf die wilde Katze.«

Der Doktor lachte. »Unbesorgt Durchlaucht, sie findet ihren Weg allein, ich werde später nach ihr sehen. Glauben Sie, bei dem Kommandanten der Festung es erreichen zu können, daß der Bojar Stephanowitsch begnadigt wird?«

»Ich zweifle keinen Augenblick daran, nöthigenfalls würde ich ihn für einen russischen Unterthan erklären. Aber was geht er uns an?«

»Sehr viel. Können Sie mich mit zu der Unterredung mit Baron Ruckowina nehmen?«

»Warum nicht - er wird gern Näheres von Ihnen hören über die Waffenstreckung Görgey's.«

»So bitte ich darum, und sehen Sie zu, daß wir möglichst allein sind. Fahren Sie jetzt zu den Gräfinnen

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Durchlaucht, indeß ich in mein Quartier eile, und sorgen Sie dafür, daß Mademoiselle Feodora in das ihre zurückkehrt. Sie werden mich an dem Ausgang des Gefängnisses finden.«

Der Fürst, auf seinen Stock sich stützend, ging nach der Straße, wo sein Wagen hielt. Die kleine Zigeunerin saß schmollend in der Ecke auf den Kissen, wie eine wilde Katze zusammengehockt und gab auf seine Fragen nicht die geringste Antwort. Der Herr und Besitzer von mehr als zwanzigtausend Seelen wußte, daß mit den Launen der wilden Dirne Nichts zu machen war und ließ sie nach einigen Versuchen gewähren.

In der Nähe des Gefängnisses ließ der Fürst halten und stieg aus, dann befahl er dem Kutscher und dem Mädchen, ihn hier zu erwarten.

Durch die Theilnahme mehrerer Offiziere war den unglücklichen Frauen die möglichste Erleichterung zu Theil geworden. Sie wurden scharf bewacht, aber der Zutritt zu ihnen war, nachdem ihr Urtheil gefällt worden, Personen von Ansehn unverweigert.

Die Gräfin Mutter empfing den Fürsten in großer Aufregung, ihre Augen waren verweint, ihr Gesicht geröthet. Sie theilte ihm unter Schluchzen und Klagen mit, daß die Comteß sich geweigert, eine Antwort zu geben, bis sie selbst den Fürsten gesprochen hätte. Aber sie bestehe darauf, daß es allein geschehe.

Einige Augenblicke darauf trat der Fürst in die Zelle, die man der jungen Gräfin eingeräumt.

Die Comteß stand an dem schmalen vergitterten Fenster,

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der Thür den Rücken zugekehrt, die Augen zu dem glänzend blauen Himmel erhoben, an dem die Sonne dem Horizont zusank, um jenseits desselben anderen lebenden, denkenden und fühlenden Wesen vielleicht zu ähnlicher Trauer, zu ähnlichem Elend aufzugehen.

Denn wo, über die Oceane hinweg, über die Erden hin beleuchtete das glänzende Gestirn des räthselvollen Himmels nicht mehr Schmerzen als Glück!

Die Comteß schien des Eingetretenen nicht zu achten und starr in ihre Gedanken versunken. Erst als der Fürst wiederholt Zeichen seiner Anwesenheit gegeben, wandte sie sich um.

Ihre Augen waren in dem sonst bleichen abgemagerten Gesicht schwer um die Lider geröthet, die marmorne Stirn über den dunklen hochgeschweiften Brauen zu einer tiefen Falte gezogen.

Sie blieb an dem Fenster stehen - ein gebietender Wink scheuchte den Fürsten zurück, der sich ihr nähern wollte, und hieß ihn auf seinem Platze bleiben.

»Comteß,« sagte er, aber sie unterbrach ihn sogleich.

»Haben Sie den Geistlichen bestellt?« frug sie mit hartem eisigen Ton. »Wann soll die Trauung sein? denn ich begreife, daß Sie Ihre Waare nicht verkaufen werden, bis die Trauung geschehen.«

»Es hängt ganz von Ihnen ab, theure Freundin,« sagte demüthig der Fürst. »Sie machen mich zum Glücklichsten der Sterblichen durch Ihre Einwilligung. Ich hoffe, daß die Zeit nicht fern ist, wo Sie meine Treue und Ergebenheit erkennen werden!«

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Ein dunkles verächtliches Lächeln glitt über die stolzen Züge des unglücklichen Mädchens. »Lassen Sie uns bei der Sache bleiben, mein Herr,« sprach sie. »Sir haben meiner Mutter einen Handel vorgeschlagen und ich feilsche mit Ihnen, wie mit jedem andern Händler. Daß zufällig diese arme Person die Waare, die aus irgend einem Grund das Verlangen des Fürsten Trubetzkoi auf sich gezogen hat, das ist ein Unglück, aber das mich allein betrifft. Machen wir einfach unsere Bedingungen, - nur sage ich Ihnen im Voraus,« - das verächtliche Lächeln, das um ihre Lippen zuckte, wurde zum finstern Hohn - »in diesem Magazin sind prix fixes!«

Der Fürst biß die Lippe zusammen, daß ein rother Streif darauf blieb, aber er beherrschte sich vollkommen. »Sie thun Unrecht, Cäcilie, daß Sie mich kränken, aber auch dies soll mich nicht hindern, Ihnen zu helfen!«

Ein stolzer Wink ihrer Hand wies die Vertraulichkeit zurück. »Bitte, Herr, wir sind noch nicht so weit. Setzen Sie sich dorthin - ich habe Ihnen nichts Anderes zu bieten, als den Schem[m]el der Gefangenen, aber ich habe gehört, daß das Stehen Ihnen beschwerlich ist.«

Eine leichte Röthe zuckte über das aschige Gesicht des Fürsten. Er lehnte mit einer Verbeugung den Sitz ab, auch sie blieb in ihrer früheren Stellung, die Arme über die Brust gekreuzt.

»Die Gräfin Pálffy hat nicht die Kraft, ihre Tage für die Sache Ungarns in einem Gefängniß zu vertrauern - noch weniger, ihren Leib dem Märtyrerthum einer Mißhandlung preis zu geben, welche nur die Henker schänden

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kann, nicht das Opfer. Sie geht in ihrer Liebe so weit, daß nicht einmal ihre Tochter eine Bettlerin sein darf auf fremder Erde für ihr Vaterland! Aber sie ist meine Mutter, und ich kenne meine Aufgabe. Sie verpflichten sich, wenn ich einwillige, Ihre Gemahlin zu werden, daß das nichtswürdige Urtheil an meiner Mutter nicht vollzogen wird?«

»Ich möchte Den sehen, der es wagen würde, Hand an die Schwiegermutter des Kaiserlichen Generalmajor Fürsten Trubetzkoi zu legen! Das Urtheil wird nicht vollzogen werden; die Gräfin, meine Schwiegermutter, wird in anständiger Haft bleiben, bis der Kourier, den ich nach Olmütz schicken werde, mit der vollständigen Begnadigung zurückkehrt, für die ich mein Ehrenwort verpfände. Daß die Fürstin Trubetzkoi frei und aller ihrer Rechte sicher ist, versteht sich von selbst.«

»Es ist gut - ich weiß daß Sie Ihr Wort erfüllen müssen und daß ich den Preis vorher zahlen muß! Aber ich habe Ihnen noch Anderes zu sagen. Ich liebe Sie nicht - ich muß aufrichtig sein, ich verabscheue Sie!«

»Desto größer wird der Triumph meiner Liebe sein, mir Ihre Neigung zu erwerben,« sagte der Fürst nicht ohne einen Anflug von Hohn.

Sie fühlte denselben, aber sie war zu stolz, darauf zu achten. Sie wußte, daß so oder so das Glück ihres Lebens in dieser erzwungenen Heirath unwiederbringlich verloren war.

»Ich liebe einen Anderen Herr!«

Der Fürst richtete sich hochmüthig empor. »Was

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kümmert das mich? Die Fürstin Trubetzkoi wird nie vergessen, was sie der Ehre des Namens schuldig ist, den sie trägt.«

Die Comteß zuckte verächtlich die Achseln. »Der Name einer Fürstin Trubetzkoi ist mir gleich - aber ich heiße Cäcilie Pálffy! - Sie haben den Mann gesehen, der mich aus diesen Mauern befreien wollte, und der heute um meinetwillen zum Tode verurtheilt worden ist.«

»Den Ungar, der sich Stephan nennt?«

Die Comteß nickte. »Sie kennen ihn. Ich weiß nicht, welcher Grund Sie bewogen hat, seinen Namen nicht zu nennen, aber ich danke Ihnen dafür; denn dem Namen Batthyányi wäre auch die letzte Aussicht auf Rettung bei den deutschen Henkern verloren gewesen.«

»Graf Stephan Batthyányi ist mein persönlicher Feind - ich kenne nur den verurtheilten Honved Stephan!«

»Wie es auch sei - ich danke Ihnen. Sie fordern mein Leben - Sie sollen es haben, unter einer letzten Bedingung und Cäcilie Pálffy wird dann nie ihre Pflicht als Gattin vergessen!«

»Und diese Bedingung?«

»Die Begnadigung des Verurtheilten. Es sei das traurige Brautgeschenk für Cäcilie Pálffy, und nur gegen dieses wird ihr Mund das bindende Ja sprechen, so wahr die heilige Jungfrau mir zur ewigen Seligkeit helfe, ich schwöre es!«

»Es ist schwierig - aber ich will all' meinen Einfluß aufbieten.«

»Hören Sie mich wohl an,« sagte die Comteß

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bestimmt. »Ich fordere die schriftliche Begnadigung, ich will sie selbst haben, und erst, wenn meine Hand sie hält, wird sie die Ihre berühren am Altar!«

»Sie fordern fast das Unmögliche - was kann ich thun, wenn man sie hartnäckig verweigert? - Ich will das Möglichste versuchen, kein Geld soll gespart werden, um ihm zur Flucht zu verhelfen - obschon ich die Spuren seiner Kugel bis zum Grabe mit mir tragen werde und ihm ein schmerzliches Krankenlager danke!«

Die Comteß trat hastig auf ihn zu. »Sie irren sich Fürst! Sie können um so bereiter handeln, da Graf Stephan niemals Ihr Blut vergossen hat!«

Der Fürst starrte sie an. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich spreche von jenem Duell mit meinem bisherigen Verlobten an jenem Abend auf der Herrschaft Telek meines Vaters an der Theiß.«

»K tschortu! ich erhielt die Kugel des Grafen in die Hüfte!«

»Graf Stephan hatte an jenem Abend Wichtigeres zu thun, als sich Ihnen entgegen zu stellen. Er wurde mit Gewalt verhindert, zur rechten Zeit auf dem Kampfplatz zu erscheinen. Die Person, die seine Stelle einnahm und seine Ehre vertrat ...«

»Nun?«

»Es ist nöthig, daß Sie Ihre künftige Gattin ganz kennen lernen - diese Person war ich!«

Der Fürst wich zurück. Die fahle Blässe seines Gesichts verwandelte sich in eine dunkle Röthe.

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»Sie schossen die Kugel?«

»Ich habe das Glück - oder das Unglück gehabt, Sie zu verwunden!«

Der Brautwerber faßte nach der Lehne des Stuhls, der ihm zunächst stand. Dies Geständniß kam ihm offenbar ganz unerwartet und eine mächtige Revolution schien in ihm vorzugehen. Die kleinen tartarisch gespaltenen Augen ruhten einige Momente lang ein wahrhaft dämonisches Feuer auf die Comteß, dunkelrothe Flecke zeigten sich wechselnd auf seinem Gesicht und er athmete schwer.

Die Comteß betrachtete mit einem leichten Lächeln des Hohns um den schönen Mund diese Wirkung Ihrer Worte.

»Wenn dies Geständniß, das ich Ihnen zu machen verpflichtet war, schon um Ihre Gesinnung gegen einen Unschuldigen zu ändern,« sagte sie ruhig, »Ihre Ansichten mein Herr in Bezug auf mich ändern sollte, so bitte ich Sie, sich nicht zu geniren.«

Der Fürst hatte sich gefaßt. Er trat auf sie zu. »Ich kann als Cavalier nur Ihren Heldenmuth bewundern, Comteß,« sagte er mit erzwungener Galanterie, »aber ich hoffe nicht, daß Sie je in die Verlegenheit kommen werden, für die Ehre des Namens Trubetzkoi in gleicher Weise einzustehen. Ich bin jetzt um so berechtigter, auf Ihrer Hand zu bestehen, als ich mit meinem Blute das Recht darauf bezahlt habe und ein ewiges Andenken an Sie trage.«

»Euer Durchlaucht kennen die Bedingung; die Begnadigungs-Ausfertigung des Verurtheilten!«

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Der Fürst trat noch einen Schritt auf sie zu. »Besorgen Sie Ihren Hochzeitsschleier, schöne Braut,« sagte er finster. »So wahr ich lebe. Sie sollen die Begnadigung des Honved Stephan vor dem Priester empfangen, als Revange für die Kugel von Telek, bei der Ehre des Namens Trubetzkoi!«

»Ich werde bereit sein!«

Er verließ mit einer kurzen Verbeugung das Gemach.

Der Fürst hatte nur wenige Schritte sich von der Thür des Gefängnisses entfernt, als er bereits dem Doktor Lazare begegnete.

»Nun - ist es gelungen? Aber um des Himmelswillen Durchlaucht, was ist geschehen? wie sehen Sie aus?«

Der Russe stieß einen abscheulichen Fluch aus. »Nichts! Nichts! Es steht Alles gut, sie willigt ein!«

»Sie sind angegriffen Durchlaucht, stützen Sie sich auf meinen Arm.«

Der Fürst nahm denselben. Er fuhr sich mit dem Taschentuch wiederholt über das Gesicht. Plötzlich, ehe sie den Wagen erreicht hatten, blieb er stehen. »Wollen Sie tausend Dukaten verdienen?« sagte er heftig.

»Geld kann nie schaden Durchlaucht, Sie wissen, daß ich ganz zu Ihren Befehlen stehe.«

»Ich muß eine Begnadigung jenes Buben haben - sie will nicht eher das Ja sprechen, als bis sie das Papier in der Hand hat. Können Sie mir ein solches verschaffen? - es ist nicht möglich die wirkliche Begnadigung zu erhalten, also gefälscht, mit allen Zeichen, daß sie Nichts merkt!«

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Der Doktor lachte. »Das wäre etwas gefährlich und könnte mich selbst den Hals kosten, denn der Feldzeugmeister läßt nicht mit sich scherzen. Aber es ist nicht nöthig - wenn Sie nur genau meine Bitten von vorhin befolgen, sollen Sie das Begnadigungsdokument so genügend haben, daß nicht ein Titelchen daran fehlt.«

»Aber ...« die Augen des Russen funkelten wie die eines wilden Thiers, - die vier Worte, die nachkamen, zischten unheimlich selbst dem scharfen Ohr des Agenten kaum verständlich durch die Zähne.

Der Doktor lächelte. »Verlassen Sie sich darauf!« Sie gingen auf den Wagen zu, in dem die Zigeunerin noch immer hockte, mit boshaftem Blick Alles beobachtend.

»Feodora,« sagte der Fürst, »Dein Rath hat sich wirklich als gut bewährt, Comteß Cäcilie hat eingewilligt - noch diesen Abend wird die Trauung vollzogen werden und Du weißt, daß Deine Hilfe nicht Dein Schaden sein wird. Du sollst Gold haben, blankes Gold, damit Du kaufen kannst, was Du willst. - Aber Du wirst begreifen, daß die Gräfin nicht heute schon mit Dir unter demselben Dach sein darf. Ich werde daher diese Nacht in der Stadt zubringen. Willst Du sogleich nach dem Quartier zurückkehren, oder warten bis ich noch einen Gang gethan?«

»Ich werde warten Schatz,« sagte das Mädchen mit boshaftem Lachen. »Wer weiß, ob Deine neue Frau nicht die kleine Tunsa wieder auf ihre Pußten schickt, drum will ich wenigstens bei meinem Liebsten bleiben, so lange es geht! Ich muß Dir ja noch Rathschläge für die Hochzeitsnacht ertheilen - Du bist gar zu unschuldig dazu!«

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»Still Dirne, oder ich lasse Dich peitschen statt der alten Närrin. Kommen Sie Doktor - der Wagen mag uns folgen.«

Er schritt mit dem Agenten voraus nach der Wohnung, die der greise Kommandant von Temesvár inne hatte. Ueberall sah man bereits die Arbeiten begonnen, um in der unglücklichen Stadt wenigstens auf das Nothwendigste die entsetzlichen Zerstörungen zu beseitigen und bewohnbare Räume wieder herzustellen.

Die Gesundheit des Feldmarschall-Lieutenants war tief erschüttert, nur die Aufregung der letzten Tage hatte ihn so lange empor gehalten, indem der eiserne Wille und das begeisterte Pflichtgefühl die schwindenden Kräfte gestärkt hielt. Jetzt aber machte die Reaction sich geltend und der Greis war schwer erschöpft nach der Trennung von dem Oberfeldherrn nach seiner Wohnung zurückgekehrt, wo er jetzt auf einem Ruhebette sich erholte.

So fand ihn der Fürst, als er mit seinem Begleiter bei ihm eintrat, und litt es nicht, daß der alte Mann sich erhob, ihn zu bewillkommnen.

»Ich komme als Freund, Baron,« sagte er geschmeidig, »nicht im Dienst, und habe Ihnen einige persönliche Angelegenheiten vorzutragen. Dieser Herr hat mich begleitet, weil ich hoffte, es würde Ihnen Vergnügen machen, manches Nähere von der Uebergabe der ungarischen Armee zu hören, die zum besten Theil Ihrer heldenmüthigen Vertheidigung zu danken ist!«

Die rauhe ehrliche Soldatennatur des Greises konnte sich der freundlichen Anerkennung von Seiten eines der

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russischen Führer nicht ganz verschließen und er reichte herzlich dem Gast die Hand. Auf seinen Wink ließ der anwesende Adjutant sie allein. Der Agent erzählte gewandt und das Interesse des alten Kriegers fesselnd von den Unterhandlungen Görgey's und den letzten Schritten der provisorischen Regierung. Dann wandte sich das Gespräch auf die Verhandlungen des Gerichts und die beiden Frauen.

»Wann sollen die Urtheile vollstreckt werden?« frug der Fürst.

»Morgen früh - der Befehl dazu ist bereits ertheilt. Ich gestehe Ihnen offen, daß ich Theilnahme hege für die beiden Frauen und den jungen Mann, der ihre Befreiung versucht hat. Er ist offenbar kein gewöhnlicher Honved - aber die Kriegsgesetze sind bestimmt, und es ist ihm nicht zu helfen. Nur die Vollstreckung des Urtheils an der alten Thörin ist mir zuwider, wie sehr sie es auch verdient haben mag.«

»Sie werden wenigstens einen Aufschub eintreten lassen müssen, Baron,« sagte der Fürst.

»Es ist unmöglich - nur der Feldzeugmeister kann es thun, er hat selbst die Urtheile unterzeichnet.«

»Dann wird es der Feldzeugmeister thun - ich hoffe, Ihnen noch diesen Abend die Einwilligung zu überbringen.«

»Sie müßten ein Hexenmeister sein, Durchlaucht, um das durchzusetzen, obschon ich Ihnen herzlich dankbar dafür sein würde, denn die Sache widert mich an. Aber Sie kennen den Feldzeugmeister nicht.«

»Baron Haynau kann die Gräfin Pálffy in dieser

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Weise strafen,« sagte der Russe, »aber nicht die Schwiegermutter eines Generals der verbündeten Armee.«

Der alte Kommandant sah ihn groß an. »Was meinen Sie damit, Durchlaucht?«

»Ich komme, um Ihnen anzuzeigen, daß ich in einer Stunde mit der Comteß Pálffy, Ihrer Gefangenen, schon längst meiner verlobten Braut, mich trauen zu lassen gedenke.«

»Sie scherzen, Fürst - es ist unmöglich!«

»Ich bin weit entfernt von jedem Scherz. Die Erlaubniß, die Gefangenen zu besuchen, haben Sie selbst gegeben und Sie werden hoffentlich dieselbe nicht zurücknehmen.«

»Ich habe keine Veranlassung dazu und wünsche ihnen jede Erleichterung ihres traurigen Schicksals zu gewähren.«

»Nun wohl - Sie werden also erst offiziell davon erfahren, wenn die Sache geschehen ist. Zwei Oberoffiziere unserer Armee werden die Zeugen sein.«

»Aber der Feldzeugmeister?«

»Er kann in keiner Weise mich hindern, die Comteß Pálffy zur Fürstin Trubetzkoi zu machen. Aber ich denke, er wird sich besinnen, die Schwiegermutter des Zweitkommandirenden des russischen Corps vor den Thoren von Temesvár, das wir entsetzen geholfen, peitschen zu lassen, wenigstens so lange, bis weitere Entscheidung von Olmütz eingetroffen ist! - ich übernehme alle Verantwortung und werde sofort nach der Trauung mich zu ihm begeben und die Freilassung meiner Gemahlin fordern.«

Der Feldmarschall-Lieutenant dachte einige Augenblicke nach, dann reichte er ihm die Hand.

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»Auf Ehre Durchlaucht, das ist eine schöne Handlung, die Sie da üben, und was an mir liegt, soll geschehen, sie zu unterstützen, denn ich bin oft genug im Haus des verstorbenen Grafen Pálffy gewesen und habe so manche Reiherjagd mit ihm gemacht, um nicht aufrichtig Theil zu nehmen an dem Schicksal seiner Frau und Tochter, auch wenn diese zur Revolutionspartei gehören.«

Es klopfte an der Thür und einer der Offiziere des Kommandanten trat ein.

»Was bringen Sie Feldegg?«

»Es betrifft die morgende Execution Excellenz an den drei Verurtheilten.«

»Sie ist auf 5 Uhr Morgens bestimmt. Sind die Ordres dem Profoß ausgehändigt?«

[»]Zu Befehl Excellenz, aber derselbe weigert sich, die dritte Execution zu vollstrecken.«

»Welche?«

»Die an dem Honved Stephan.«

»Warum?«

»Der Profoß und seine Gehilfen berufen sich auf ihr altes Recht und Herkommen, daß sie keine Hand legen dürfen an einen kranken Mann!«

»Es ist wahr! - Indeß der Befehl ist gegeben und es muß mindestens jeder Formalität genügt werden. Lassen Sie die Vorbereitungen zur Hinrichtung treffen und zur bestimmten Stunde die Verurtheilten an Ort und Stelle bringen. Wenn dann der Profoß sich weigert, ist es nicht unsere Sache und wir können nur an das Hauptquartier

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rapportiren. Vielleicht, daß dem armen Teufel der Aufschub nützlich ist.«

Der Offizier trat ab - der alte Kommandant war offenbar mit dem Hinderniß nicht unzufrieden und in bester Laune.

Der Fürst und der Doktor hatten rasch einen verständigenden Blick gewechselt.

»Eine traurige Pflicht,« sagte der Erstere. »Doch da fällt mir ein, daß ich versprochen habe, eine Fürbitte bei Euer Excellenz einzulegen. Heißt der dritte der Verurtheilten, die morgen am Galgen enden sollen, vielleicht Stephanowitsch?«

»Ja Durchlaucht - kennen Sie den Kerl?«

»Er stammt aus der Walachei und stand dort unter russischem Schutz. Seine Schwester war meine Amme und man hat sich an mich gewandt, eine Fürbitte für ihn einzulegen. In Ihrer Hand Excellenz liegt die Bestätigung des Urtheils, wie ich weiß, und wenn seine Schuld nicht zu schwer ...«

»Er ist der offenkundigen Unterstützung der Rebellen überführt. Aus seinem Hause ist am 14. Mai auf meine Soldaten geschossen worden.«

»Aber es ist nicht bewiesen, daß es von ihm geschehen ist,« beharrte der Fürst. »Ich bitte für ihn um Gnade Excellenz, bestrafen Sie ihn mit Verbannung, das wird genügen. In der That, Sie erweisen mir eine persönliche Gunst mit seiner Begnadigung und können auf meine Gegendienste rechnen.«

Der Feldmarschall-Lieutenant bedachte sich einige

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Augenblicke. »Der Kerl verdient den Strick von allen Dreien am meisten,« sagte er endlich, »und ich habe seine Begnadigung heute bereits einem Bittsteller abgeschlagen, dem ich sonst gern einen Gefallen gethan hätte. Aber Euer Durchlaucht Vorwort kommt ihm zu statten und wenn Sie ihn als unter russischem Schutz gestanden reclamiren ...«

»Ich reclamire ihn!«

»Wohl - es sei! ich werde die Begnadigung ausfertigen lassen.«

»Vollenden Sie Ihre Freundlichkeit, Baron und geben Sie mir die Ausfertigung sogleich. Ich möchte das Vergnügen haben, mit der Ueberbringung derselben zwei prächtige schwarze Augen zu trocknen.«

Der alte Soldat lachte. »Den Teufel - daher weht der Wind! Die Stephanowitsch gilt für eine Schönheit und es hat Mühe genug gekostet, ihren Thränen zu widerstehen. Nehmen Sie sich in Acht, Freundchen, daß die Pálffy nicht Ihre Galanterie erfährt!«

Der Feldmarschall-Lieutenant hatte sich von dem Ruhebett erhoben und die Pfeife fortgestellt, um die Ordre auszufertigen, aber der Fürst kam ihm zuvor.

»Bleiben Sie sitzen Baron, ich kann sie ja schreiben oder hier der Doktor!«

»Nichts da! nichts da - die Pfote des alten Ruckowina ist besser bekannt, es bedarf auch nur einiger Worte. Aber lassen Sie den Halunken wenigstens noch diese Nacht zappeln in der Todesangst. Er hat es reichlich verdient. Seine hübsche Frau mag ihn dann morgen unterm Galgen wegholen, das wird ihm eine Lection sein.«

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Er hatte sich zum Schreiben niedergesetzt, der Begleiter des Fürsten, der sich dienstfertig am Tisch zu schaffen gemacht, schob ihm das Papier vor und reichte ihm die Brille, die darauf lag.

»Die Augen werden schwach, Durchlaucht, und es will nicht mehr fort,« sagte der greise Offizier. »Aber meine Aufgabe ist erfüllt und ich kann nun abmarschiren zur großen Armee. Gott sei Dank, daß wenigstens das morsche Haus so lange zusammen gehalten hat, bis ich die siegreichen Fahnen meines Herrn und Kaisers wieder vor diesen Mauern wehen gesehen!«

Er nahm die frische Feder, die ihm der Doktor reichte, ohne darauf zu achten, daß dieser sie nicht, in das gewöhnliche Dintenfaß getaucht hatte und schrieb mit fester Hand und in großen Zügen:


    »Dem Verurtheilten Stephanowitsch ist das Leben geschenkt und das Urtheil des Kriegsgerichts in Verbannung aus den Kaiserlich Königlichen Staaten verwandelt. Bei Betreff innerhalb derselben nach drei Mal vierundzwanzig Stunden verfällt Inculpat dem Strick.

    Temesvár, den 13. August 1849.

                   Ruckowina,

                   Feldmarschall-Lieutenant

                   und Festungs-Kommandant.

                   m. pr.«

Der Fürst hatte, das Lorgnon im Auge, die Schriftzüge des alten Kriegers verfolgt und ein Zug boshafter Befriedigung flog über sein gebleichtes häßliches Gesicht, als der Kommandant jetzt das verhängnißvolle Papier mit seinem Siegel versah und ihm überreichte.

»Ich werde der hübschen Stephanowitsch die Ueberraschung

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nicht verderben,« sagte der Herr lächelnd, »darum soll Niemand etwas erfahren von der Ordre. Sie Durchlaucht aber nehmen meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Vermählung, auch wenn ich meiner Stellung wegen als Zeuge nicht zugegen sein kann. Einer meiner Offiziere soll in der Nähe sein, um etwaige Hindernisse zu beseitigen und für den Fall, daß Sie seiner bedürfen. Ich werde ihm die Ordre zur Entlassung der Comteß aus ihrer Haft noch diesen Abend ertheilen, da dieser Nichts im Wege steht; - wohin sie sich begiebt, ist dann nicht mehr meine Sache. Der Feldzeugmeister,« - der alte Kommandant lachte bei dem Gedanken - »wird ein verteufeltes Gesicht machen, wenn er den Handel erfährt, doch das ist Ihre Angelegenheit.«

»Ich werde die Mittel finden, ihn zu beruhigen, verlassen Sie sich darauf,« entgegnete der Fürst, ihm die Hand reichend. »Morgen Excellenz, sollen Sie von mir hören und nochmals meinen besten Dank empfangen.«

Der alte Kommandant begleitete ihn bis zur Thür, dann streckte er sich wieder auf sein Feldbett und nahm die Pfeife zur Hand. »Wahrhaftig!« murmelte er, »ich hätte ihm so viel Menschenfreundlichkeit nicht zugetraut - aber man kann sich täuschen in den Gesichtern. Potz Bomben und Kartätschen - die Güter sind freilich keine üble Zugabe und er ist der Mann, sie der Hofkanzlei in Wien aus den Zähnen zu reißen!«

Der wackere alte Soldat freute sich des guten Werks, zu dem er geholfen! -


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Vor der Thür des Kommandanten blieb der Fürst stehen, der joviale gleichgültige Ausdruck, den sein Gesicht bis jetzt gezeigt, war verschwunden und hatte einem unheimlichen, Unheil verkündenden Funkeln der kleinen Augen Platz gemacht, um den breiten aufgeworfenen Mund lag der Zug eines harten bestimmten Entschlusses.

Er reichte dem Doktor das Papier. »Lesen Sie! - Paßt es so?«

»Vortrefflich!«

»Was ist nun zu thun?«

»Geben Sie mir das Papier und fahren Sie mit Mademoiselle Feodora in Ihr Quartier, um den Geistlichen zu holen und Ihre Anstalten zur Trauung zu treffen. Wann können Sie zurück sein?«

Der Fürst sah nach der Uhr. »Es ist jetzt 6 Uhr - um 8 Uhr werde ich mit meinen Zeugen hier sein.«

»Gut - ich werde Sie erwarten Durchlaucht, und Sie sollen Ihrer schönen Braut das versprochene Dokument übergeben. Nur ist es nöthig, daß Sie ihr als Befehl des Feldmarschall-Lieutenants mittheilen, daß die Begnadigung heute noch Geheimniß bleiben und erst morgen auf dem Platz der Urtheilsvollstreckung dem Gefangenen bekannt gemacht werden soll!«

»Es wird geschehen!«

»Ich gehe jetzt, Ihre Wohnung und Ihr Brautgemach einrichten zu lassen,« fuhr der Doktor mit faunischem Lächeln fort. »Ich hoffe mir den Dank der künftigen Fürstin zu verdienen.«

[»]Und er?«

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»Verlassen Sie sich darauf!«

»Aber Sie haben gehört, daß der Profoß sich weigert!«

»Ich habe das Nöthige!«

»Sie wissen meinen Willen in Betreff der Stelle!«

»Gewiß!«

Der Fürst reichte ihm die Hand - sie waren am Wagen, - und ließ sich hineinheben. »Au revoir!«

»Je vous attendrai mon Prince!« Er verbeugte sich mit vertraulichem Lächeln vor der Maitresse, die nicht der Mühe werth hielt, ihm zu danken. Dann flog die Equipage davon.

Der Agent sah ihr nach. »Der boshafte Affe hat Witz genug,« murmelte er, »um Einfluß über ihn zu behalten. Um ihn zu beherrschen, muß ich ihrer Herr sein, - und das soll geschehen!«

Eine Hand berührte seinen Arm, - er drehte sich um, - der Mann, den er am Nachmittag beim Gespräch mit dem Fürsten und dem preußischen Emissair von dem Glacis aus beobachtet hatte, stand neben ihm.

Es war ein großer wild aussehender Kerl im rothen Seressaner Mantel, den Kopf allein von dem Wust seiner schwarzen Haare bedeckt, in dem Auge ein eigenthümliches Funkeln. Statt der Gurts trug er um die Hüften mehre Stricke gewickelt und in ihnen als Waffe ein breites türkisches Messer.

Der Doktor machte eine Bewegung wie etwa ein Mann, der plötzlich eine Spinne berührt, oder dem eine Kröte oder sonst ein widriges Thier über den Fuß gekrochen. Er stäubte unwillkürlich mit seinem Taschentuch

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die Stelle ab, wo jener ihn berührt, als er ärgerlich frug: »Was willst Du hier, Kerl?«

»Nun Herr - giebt es Arbeit für armen Szábo?«

»Du sollst sie finden. - Komm, aber halte Dich ein wenig entfernt. Man geht mit Deinesgleichen nicht gern über die Straße.«

Er ging nach der Vorstadt - der rothe Kerl schlich wie ein knurrender Buldogg hinter ihm her.

Sein Weg führte den Doktor zunächst nach dem Hause des verurtheilten Bojaren, um den preußischen Agenten Spiegelthal dort aufzusuchen. Ihm übergab er, wie er meldete im Auftrag des Fürsten, die Begnadigung, die dieser von dem Feldmarschall-Lieutenant erwirkt hatte, um damit die Gattin und Schwägerin des dem Tode geweihten Mannes vorläufig zu beruhigen, da die Verkündigung der Begnadigung erst am andern Morgen auf der Richtstätte erfolgen sollte. Auch knüpfte er die Bedingung daran, daß Niemand, auch die Frauen nicht, von der Vermittelung des Fürsten erfahren sollten, und ersuchte den Preußen, das Nöthige in Betreff des von dem Fürsten gewünschten Quartiers in Ordnung zu bringen.

Der erfolglose Versuch, den die schöne Frau mit Hilfe des berliner Agenten bei dem Festungs-Kommandanten gemacht, hatte sie auf's Neue in die größte Trauer und Verzweiflung gestürzt und die beiden Schwestern saßen weinend in ihrer Kammer, als der Agent mit der freudigen Nachricht und dem verhängnißvollen Dokument erschien. Wie sehr er auch ihren Dank abzulehnen suchte und die Begnadigung einer spätern Willensänderung des Commandanten

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oder anderen Einflüssen zuschrieb, die beiden Frauen sahen in ihm einen Himmelsboten, dem sie allein die Rettung des Gatten und Schwagers zu danken hatten, und mit jener Leidenschaftlichkeit aller Gefühle, welche die südlichen Racen auszeichnet, umarmten sie seine Füße, küßten seine Hände und erschöpften die Sprache in Betheuerungen ihrer ewigen Dankbarkeit.

Nur mit halber Gewalt konnte sich der Preuße von ihnen befreien und ihnen Schweigen auferlegen. Daß unter diesen Umständen seine Bitte in Betreff des Quartiers des Fürsten ein Befehl für sie war, versteht sich von selbst. Sie flogen davon, um Alles auf's Beste nach ihren Kräften einzurichten, die von einer wohlgefüllten Börse unterstützt wurden, welche der Doktor zurückließ.

Mit seinem gewöhnlichen impertinenten Lächeln betrachtete dieser die Dankbezeugungen und den Eifer der beiden Frauen.

»Bei Allem, was schön und reizend ist, Herr,« sagte er zu dem Preußen, der ihn vor das Haus begleitete, »Sie sind zu beneiden um die Aussicht für heute Nacht!«

»Wie meinen Sie das?«

»Sind Sie wirklich so berlinerisch unschuldig und kennen die aufopfernde Dankbarkeit unserer orientalischen Frauen nicht?«

»Ich wiederhole Ihnen,« sagte der Preuße ruhig, dem überhaupt nicht der anmaßende spöttische Ton des Juden gefiel - »daß ich Sie nicht verstehe!«

»Bah - dann werden Sie es, ehe die Welt um

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eine Nacht älter ist. Ich wünschte, ich könnte mindestens halbiren!«

»Ich bin bereit, Ihnen den Dank der Damen ganz zu überlassen, da ich sehr wohl weiß, daß ich nur den guten Willen, nicht den Erfolg mir zurechnen darf.«

»Keine falsche Bescheidenheit, Sie sind die Veranlassung und haben uns einen Dienst geleistet, größer wie Sie meinen. Kassiren Sie daher immer die Sporteln ein, Männer in unserer Stellung müssen die Sitten und Gefühle der Nationen bis in's Innerste studiren. Adieu Herr - selbst wenn ich mit Ihnen theilen könnte, so geht es nicht - meine Nacht gehört anderen Genüssen, die für den Kenner nicht minder sind süß!«

Sie waren vor das Haus getreten - im Fortgehen blieb der österreichische Agent noch ein Mal stehen und betrachtete die Fenster.

»Wo sagten Sie, daß das Schlafzimmer des Fürsten liegt?«

»Ich denke jenes dort an der Ecke. Es ist das besterhaltenste des Hauses.«

Der Doktor trat einige Schritte näher und prüfte die Umgebung. Dann nickte er mit dem Kopf. »Es ist gut so - sorgen Sie gefälligst, daß man es dazu wählt, - die Aussicht wird vortrefflich sein!«

Er grüßte höflich und entfernte sich. -


Es war nach 8 Uhr Abends, die Sonne untergegangen und die Dämmerung um so rascher im Zunehmen, als nach der schwülen Hitze des Tages der Horizont mit Gewitterwolken umzogen war und das ferne electrische

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Leuchten ringsum für die Nacht den Ausbruch eines schweren Wetters verkündete.

Der Fürst war kurz vorher von seinem Quartier im Jagdwald zurückgekehrt, zwei hohe russische Offiziere begleiteten ihn, um Zeugen der Trauung zu sein. Der Feldpope, der sie vollziehen sollte, saß bei dem Kutscher auf dem Bock.

Der Wagen fuhr zuerst bei dem Quartier des Doktor Lazare vor und der Fürst hatte mit diesem eine kurze Unterredung unter vier Augen. Als er wieder einstieg lag auf seinem Gesicht einige Augenblicke lang das Frohlocken eines Teufels.

Wenige Minuten später hielt der Wagen vor dem Gebäude, in dem die Gräfin mit ihrer Tochter gefangen saßen.

Dem Range des russischen Offiziers öffneten sich auch so spät noch die Thüren und der diensthabende Unteroffizier führte die Herren in ein größeres leeres Gemach, wo der Pope rasch seine Vorbereitungen traf, indeß der Fürst sich zu Mutter und Tochter geleiten ließ. Einige Dukaten, die er in die Hand des Unteroffiziers gleiten ließ, machten diesen ganz seinem Willen gehorchen. Außerdem schien der Mann bereits die stille Ordre zu haben, Alles geschehen zu lassen mit Ausnahme einer Flucht der Gefangenen, und dafür bürgte der Doppelposten an der Thür.

Der Fürst fand die beiden Frauen in der Zelle, die ihnen zum Gefängniß angewiesen worden, zusammen. Die Comteß, obschon sie die Ankunft des Wagens gehört haben

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mußte, saß an dem kleinen vergitterten Fenster und schaute in den von dem fernen Wetterleuchten zerrissenen Himmel.

Die Gräfin stürzte auf ihn zu. »Die Begnadigung? Sie bringen meine Begnadigung? man wird mich nicht peitschen?«

»Sie kennen die nothwendige Bedingung gnädige Frau, die vorausgehen muß, ehe ich das Recht und die Macht habe, sie zu erzwingen. Von Comteß Cäcilie allein hängt es ab!«

Die junge Ungarin hatte sich erhoben, sie kam langsam auf den Fürsten zu, der sehr wohl bemerkte, daß sie in ihrem ärmlich und fast unscheinbar gewordenen Anzug nicht die geringste jener Veränderungen und Vorbereitungen gemacht, die sonst wohl jedes Mädchen, selbst das ärmste, für eine solche Stunde zu treffen sucht.

Der Fürst, der ein Etui in der Hand trug, überreichte es ihr. »Verzeihen Sie Cäcilie,« sagte er mit süßlicher Höflichkeit, »daß ich unter den gegenwärtigen Umständen nichts Besseres herbeischaffen konnte. Es ist das Beste, was in Temesvár noch aufzutreiben war. Mein Jäger Petrowitsch wartet vor der Thür mit einem Carton, das den Brautschleier und einige Kleinigkeiten enthält. Aber es war unmöglich, in so kurzer Zeit für eine bessere Toilette zu sorgen. Der Courier, der bereit steht, nach Olmütz abzugehen, wird nach Pesth die nöthigen Befehle überbringen.«

Sie wies mit einer stolzen Bewegung der Hand das Etui zurück, das aufgeschlagen der Russe ihr bot und das einen kostbaren Schmuck von jenen unheimlich funkelnden

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Edelsteinen aus den Bergen ihrer Heimath, den farbenschillernden Opalen in Rubinen gefaßt, bot.

»Geben Sie!« sagte sie ungeduldig.

Der Fürst zog aus der Brusttasche ein Couvert, und nahm daraus ein Papier. Dies überreichte er der Comteß.

Mit einem Sprung war die Ungarin an dem Tisch, der die Lampe trug und hatte das Papier entfaltet. Ihre Augen schienen darüber hinweg zu fliegen, dann las sie laut mit fliegendem Busen, indem eine helle Röthe ihr abgehärmtes Gesicht bedeckte:


    »Dem Verurtheilten Stephan               ist das Leben geschenkt und das Urtheil des Kriegsgerichts in Verbannung aus den Kaiserlich Königlichen Staaten verwandelt. Bei Betreff innerhalb derselben nach drei Mal vierundzwanzig Stunden verfällt Inculpat dem Strick.

    Temesvár, den 13. August 1849.

                   Ruckowina,

                   Feldmarschall-Lieutenant

                   und Festungs-Kommandant.

                   m. pr.«

Als sie das letzte Wort gelesen, ließ sie das verhängnißvolle Papier auf den Tisch fallen, sie bedeckte das Gesicht mit den Händen und ein heftiges Schluchzen stieg aus der gequälten Brust empor und machte sich Luft trotz aller Anstrengung, es zu unterdrücken.

Die Gräfin hatte das Geschmeide an sich genommen, und las jetzt nochmals die Ordre. »Gott sei Dank,« sagte sie, »es ist Alles in Ordnung, obschon er es nicht um uns verdient hat. Der Fürst hat das Seine gethan - nun denke an Deine unglückliche Mutter, deren Leben mehr noch wie das seine von Dir abhängt!«

Die Comteß hatte das Papier wieder ergriffen,

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sie wandte es zwei Mal um und prüfte sorgfältig die Schrift und das Siegel.

Der Fürst lächelte spöttisch. »Der Kommandant Feldmarschall-Lieutenant Ruckowina hat die Ordre eigenhändig geschrieben, jeder Offizier wird seine Schrift und sein Siegel Ihnen bestätigen, wenn es dessen bedarf. Nur hat er eine Bedingung gestellt.«

»Die ist?«

»Die Begnadigung darf erst morgen früh vor der Execution bekannt werden.«

Sie sah ihn fest an. »Das ist nicht mehr als billig,« sagte sie ruhig - »wir stehen beide vor einem Grabe, nur weiß ich nicht, wessen Nacht die schlimmere sein wird!«

»Cäcilie!«

»Still Mutter. - Sie haben gethan, was ich verlangte, Fürst - ich bin bereit, jetzt zu thun, was Sie verlangen. Hier ist die Hand, die Sie begehren - wenn Alles fertig ist, so lassen Sie uns gehen.«

Der Fürst verbeugte sich und griff nach dem Dokument, das auf dem Tisch lag, aber er begegnete einem so drohend funkelnden Blick aus den Augen seiner Braut, daß er unwillkürlich zurücktrat.

»Das ist mein,« sagte sie herrisch, »mein erkauftes Eigenthum! Rühren Sie es nicht an!«

»[]Sie nahm das Papier und besah es nochmals sorgfältig; dann schlug sie es in ein Couvert aus den Schreibmaterialien, die man ihr auf ihr Verlangen am Nachmittag gebracht hatte, und versiegelte es mit dem Wappenring ihres Vaters, den sie am Finger trug.

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Das Couvert steckte sie in ihren Busen.

»Jetzt bin ich bereit!«

Die Gräfin trat zu ihr, um ihr das Geschmeide anzulegen, aber sie wies es mit einer stolzen Handbewegung zurück. Nur den langen kostbaren Schleier, den die Mutter aus dem herbeigeholten Carton genommen, ließ sie sich in dem dunklen Haar befestigen und zog ihn dann über das Gesicht.

Ein ungeduldiges Zeichen bedeutete den Fürsten, daß sie warte.

Er öffnete die Thür und reichte ihr den Arm. Der riesige Kosak Petrowitsch schritt vor ihnen her, nach dem Gemach, in dem die Zeugen ihrer warteten.

Der Pope stand an dem zu einem Altar improvisirten Tisch. Nur die beiden Russen und ein österreichischer Offizier waren gegenwärtig.

Der Letztere war der Hauptmann Feldegg, derselbe, welcher die Unterredung mit dem Parlamentair der Revolutions-Armee am Tage vor der Schlacht gehalten und der bei der Verurtheilung des Kriegsgerichts mitleidig den Grafen zum Schweigen ermahnt hatte.

Der Fürst stellte seine Braut den Offizieren vor, sie beantwortete schweigend, mit kaltem Kopfneigen ihre Glückwünsche.

Der österreichische Offizier blieb vor ihr stehen.

»Mit Ihro Gnaden Erlaubniß habe ich Ihnen im Namen des Kommandanten Feldmarschall-Lieutenants Baron von Ruckowina anzuzeigen, daß Ihro Gnaden der Haft

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entlassen sind, aber binnen drei Tagen das österreichische Gebiet zu meiden haben.«

Die Comteß nickte. »Das ist die Sache des Fürsten. Einen Augenblick Herr!«

»Ich stehe Ihro Gnaden zu Befehl!«

»Ich habe einige Fragen an Sie zu richten und bitte Sie, mir auf Ihre Ehre als Offizier zu antworten!«

Der Hauptmann verbeugte sich zustimmend.

»Wann soll das Todesurtheil an den Gefangenen vollstreckt werden, die gestern mit uns vor Ihrem Gericht standen?«

»Morgen früh!«

»Kann ich den Offizier sprechen, der der Vollstreckung beizuwohnen hat?«

»Als Mitglied des Kriegsgerichts ist mir leider diese Pflicht zugefallen. Ich bedaure unendlich ...«

Die Comteß unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Ich habe bemerkt, daß Sie ein Herz haben auch für das Unglück des Feindes. Ich lege in Ihre Hände dies Papier und bitte Sie, mir Ihr Ehrenwort zu geben, daß es keinen Augenblick aus Ihrer Verwahrung kommt, daß Sie es morgen vor Beginn der Hinrichtung öffnen und daß die darin enthaltene Ordre vollzogen wird.«

Der Offizier sah sie erstaunt und fragend an. »Wenn es eine dienstliche Ordre enthält, versteht sich die Vollziehung von selbst.«

»Ich habe nicht das Recht, Ihnen Weiteres zu sagen, aber es hängt Tod und Leben davon ab. Ich habe Ihr Wort, daß Sie das Papier fest bewahren?«

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»Mein Ehrenwort!«

»Ich danke Ihnen!« - Sie übergab ihm das Couvert mit dem verhängnißvollen Dokument, dann wandte sie sich zu dem Fürsten. - »Nunmehr mein Herr, ist Cäcilie Pálffy bereit, Fürstin Trubetzkoi zu werden.«

Der Fürst hatte der kurzen Verhandlung beigewohnt, ohne eine Miene zu verziehen, jetzt nahm er die Hand der Braut und führte sie vor den Geistlichen.

Die Ceremonie war kurz, - als sie vollendet und die Ringe gewechselt waren, küßte der Fürst nach russischer Sitte seine junge Gattin, die mit fester klarer Stimme das verhängnißvolle »Ja!« gesprochen, auf die Stirn und die Offiziere traten herbei, dem Paar ihre Glückwünsche abzustatten. Die Gräfin warf sich in die Arme ihrer Tochter und weinte heftig.

Die Fürstin blieb ruhig und kalt, selbst den Thränen ihrer Mutter gegenüber. Sie war sehr bleich, aber mit dem Augenblick, daß sie vom Altar zurückgetreten, jede äußere Spur der Aufregung verschwunden und sie nahm die Gratulationen der Offiziere mit der Ruhe der vornehmen Dame in Empfang. Erst als den Formen der Convenienz volles Genüge geschehen, wandte sie sich an ihren Gemahl. »Ich bitte Sie Durchlaucht,« sagte sie, »nunmehr die Schritte zu thun, zu denen Sie das Recht und die Pflicht haben.«

Der Kosak Petrowitsch hatte während der Ceremonie von außen die Thür bewacht, damit keinerlei Störung eintreten könne. Der Fürst verbeugte sich gegen seine Gemahlin und öffnete selbst die Thür.

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»Ist Lieutenant Damoroff da?«

»Ja Herr! Er wartet vor der Thür in der Kibitka.«

»Hole ihn!«

Zwei Minuten darauf trat ein junger russischer Offizier in der Feldjäger-Uniform ein und blieb salutirend an der Thür stehen.

Der Fürst nahm aus seinem Portefeuille eine offene Depesche und reichte sie seiner Gemahlin. »Sie ist an Fürst Schwarzenberg gerichtet und enthält die Anzeige unserer Verbindung und die Forderung der vollständigen Begnadigung Ihrer Mutter, Madame,« sagte er. »Belieben Sie dieselbe zu lesen?«

Die Fürstin lehnte es mit einer Bewegung ab, die Gräfin aber that es und umarmte, nachdem sie den Brief gelesen, dankbar ihren Schwiegersohn.

»Ihren Siegelring, Madame, wenn ich bitten darf.«

Die Fürstin reichte ihm denselben ohne eine Bemerkung zu machen. Wie sie vorhin die Begnadigungsordre, so siegelte der Fürst jetzt seine Depesche und trat zu dem Feldjäger.

»Nicolai Damoroff,« sagte er seine Uhr ziehend - »es ist jetzt 8 Uhr 50 Minuten. Du sieh'st?«

»Ich sehe!«

»Binnen hier und achtundvierzig Stunden mußt Du in Olmütz sein und diese Depesche an ihre Adresse geben.«

»Ja!«

»Sobald Du die Antwort erhalten, kehrst Du hierher zurück.«

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»Nimm die Depesche!« - Der Offizier steckte sie in die Ledertasche, die er vor der Brust trug und schnallte diese zu.

»Du hast meinen Befehl verstanden Lieutenant Damoroff?«

»Ich habe!«

»Dann geh!«

Die lebendige Maschine salutirte, dann drehte sie sich um und verließ, ohne auch nur mit einem Wort sich zu verabschieden, das Gemach.

Hätte die Ordre ihn an die fernste Grenze Sibiriens, an die Ufer des Baikal oder in's Escurial gesandt, es wäre dasselbe gewesen.

Der Fürst bot seiner Gemahlin den Arm. »Erlauben Sie mir jetzt Madame la Princesse, Sie in die Wohnung zu geleiten, die ich vorläufig, so gut es die Umstände erlaubten, für Sie ausgesucht. Ich muß Sie dann verlassen, um mit diesen beiden Herren Baron Haynau meinen Besuch zu machen und ihm unsere Vermählung anzuzeigen. Seien Sie versichert Madame, daß ich ungeduldig die Minuten zählen werde, bis ich das Glück habe, Sie wiederzusehen.«

Sie antwortete nicht. Sie umarmte eben so schweigend die Gräfin ihre Mutter, die sie mit Thränen, Dankesworten und Segenswünschen überschüttete.

Dann ließ sie sich zum Wagen führen, während die Gräfin mit erleichtertem Herzen in ihre vorläufige Haft zurückkehrte.

An der Thür des Hauses des Bojaren Stephanowitsch

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empfing die schöne Frau desselben mit ihrer Schwester und dem preußischen Agenten das neuvermählte Paar. Der Fürst geleitete seine Gattin nach den Zimmern, die man für sie hergerichtet und beurlaubte sich dann. - Afanasja, die Schwester der Bojarin sollte bei der Fürstin zurückbleiben, um ihr die Dienste der fehlenden Kammerfrau zu leisten.

Als der Fürst zu seinem Wagen zurückkehrte, fand er zu seinem Staunen den Kosaken Alexei bei seinem Kameraden.

»Wo kommst Du her, warum bist Du nicht in dem Hause geblieben, wie ich Dir befahl.«

»Verzeihung Batuschka - aber es ist etwas passirt!«

»Was?«

»Sie ist fort!«

»Wer?«

»Die Panuschka - die kleine Herrin!«

»Feodora?«

»Du sagst es, Väterchen!«

»Der Teufel ist Dein Väterchen, Schurke. Ich werde Dir hundert Hiebe geben lassen, wenn es wahr ist. Hab' ich Dir nicht verboten, sie fortzulassen.?«

»Sie ist auch nicht durch die Thür fort,« sagte der Kosak trotz der Aussicht auf die Hiebe über seine bewiesene Klugheit schmunzelnd. »Alexei ist kein Esel und als sie fortlaufen wollte, hab' ich mich quer vor die Thür gestellt.«

»K tschortu! wie ist sie denn herausgekommen?«

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»Durch's Fenster Väterchen, sie klettert wie eine Katze. Du hast mir bloß von der Thür gesagt.«

»Dummkopf! Du sollst Deiner Strafe nicht entgehen. Mag sie zum Teufel laufen, wenn sie es müde ist, wird sie schon zurückkehren. Petrowitsch - Du bleibst hier und entfernst Dich nicht von der Thür des Hauses, während dieser Tölpel mich begleitet. Sollte die Dirne versuchen, hier einzudringen, so hältst Du sie fest.«

Die Kosaken halfen dem Gebieter in den Wagen, in dem bereits die Trauzeugen Platz genommen. Dann flog das Dreigespann davon, dem Hauptquartier des Oberfeldherrn zu. -


Es war eilf Uhr - der Donner grollte näher und näher - und die Luft wurde nur durch das grelle Leuchten der Blitze von Zeit zu Zeit erhellt; - trotz der zahlreichen Menschenmasse, die jetzt in der Umgebung der Festung lagerte, war der Platz vor dem Hause des Bojaren leer, denn wer irgend konnte, hatte Schutz vor dem drohenden Unwetter gesucht.

An der Thür des Hauses lehnte der Kosak Petrowitsch, die Kabardiner Pfeife im Munde, gleichgültig der Arbeit zuschauend, die vier oder fünf Männer etwa zwanzig Schritt von der Ecke des Gebäudes bei dem Schein einer Fackel ausführten. Es waren Soldaten vom Gränzer Bataillon, die bei der Schwüle des Abends ihre Jacken abgeworfen und eifrig mit Graben beschäftigt waren. Ein Mann in einen rothen Seressener Mantel gehüllt, den Kopf bloß und nur von dem Wust seiner schwarzen Haare

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bedeckt, leitete die Arbeit und gab Anweisung, wo und wie tief die Löcher, die sie in den Boden höhlten, gegraben werden sollten.

Ueber den Platz kam mit raschem elastischem Schritt der österreichische Agent und ging auf den Kosaken zu.

»Ist der Fürst zurück?«

»Nein Herr!«

»Wahrhaftig - er hat keine besondere Eile auf die Brautnacht!« Der Doktor verließ die Thür und trat zu dem Mann im rothen Mantel. »Ist die Sache in Ordnung?«

Der Rothe lachte tückisch. »Der Szábo wird verstehen doch sein Werk! Wollen Euer Gnaden selber sehen - Bursche einfältige wollten graben dort drüben, aber hab' ich bestanden drauf, daß Platz gewählt ist hier!«

»Es ist recht so - aber ich sehe Nichts!«

Der Andere nahm die Fackel und hielt sie hoch - in einiger Entfernung sah' man drei behauene Balken und einige kürzere Querhölzer liegen.

Der Doktor nickte nachdenklich. »Im Grunde genommen ist das Leiden viel zu kurz - ich habe es mit ihm zu thun, nicht mit ihr! Der Fürst ist ein Thor, der seinen Vortheil nicht versteht.«

»Meinen Sie?«

Er wandte sich erschrocken um, denn er hatte unwillkürlich laut gedacht. Hinter ihm stand eine Frauengestalt in einen dunk[l]en Mantel gehüllt.

»Kommen Sie hierher Doktor!«

Er erkannte die Stimme. »Wie, Sie hier ...«

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»Still! Hierher sage ich!«

Sie ging ihm voran - einige Schritte abseit, wo die Dunkelheit sie verbarg und die Arbeiter sie nicht hören konnten. Es war die Zigeunerin.

»Was machen Sie hier?« frug sie gebieterisch.

»Ich warte auf den Fürsten!«

»Bizony! Keine Ausflüchte Doktor - wir sind entweder Verbündete oder Feinde!«

»Schöne Feodora, Sie wissen, wie gerne ich mit Ihnen Freundschaft halte. Es wird jetzt um so nützlicher sein für uns Beide.«

»Fene egyemek! ich kümmere mich den Teufel darum. Aber ich will nicht, daß er sterben soll.«

»Wer?«

»Stellen Sie sich nicht unwissend an. Der Graf!«

»Es liegt mir ebenfalls Nichts daran - ich wüßte ihn lieber in den Bleigruben Sibiriens oder in der grauen Kutte in den Felsschluchten des Elbrus!«

»Das ist mir gleich - nur hängen sollt Ihr ihn nicht. Seit sie den alten Fiedler, meinen Vater, gehängt, verabscheue ich den Gedanken.«

»Aber es ist keine Möglichkeit, sein Schicksal zu ändern.«

»Das blanke Geld vermag Alles - damit kauft man Euch Alle.«

»Aber ich habe kein Geld für den Zweck!«

»Ich habe es - der Fürst ist nicht geizig. In dieser Rolle sind hundert Goldstücke, Sie sollen das Doppelte haben, wenn es dessen bedarf.«

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»Das ist ganz gut - aber ich brauche andere Hilfe. Ich sehe den Weg noch nicht!«

»Versuchen Sie Ihr Heil im Lazareth - bestechen Sie die Wächter - den Wundarzt! - Hier, auf diesem Papier steht ein Mann, dem Sie vertrauen können, es ist der Jude Isaschar.«

»Wer gab Ihnen den Namen, Feodorowna?«

»Einer der muthiger und schlauer ist, als Sie und ich zusammen. Der Rózsa Sándor!«

»Wer, der Betyár? Er ist hier?«

»Glauben Sie, daß er seine Freunde sterben lassen würde, ohne alles Mögliche zu ihrer Rettung zu versuchen? Ich kenne ihn besser von jener Zeit her, als er auf den Pußten am Feuer unsers Stammes lagerte. Er ist kaum zweihundert Schritt von hier und ein Laut von mir könnte ihn warnen, oder zu meiner Hilfe herbeirufen. Aber er darf sich nicht in die Festung wagen. Entschließen Sie sich kurz - denn ich höre das Rollen eines Wagens.«

Der Doktor schien in der That seinen Entschluß gefaßt zu haben.

»Haben Sie Vertrauen zu mir und bleibt das Geld unter allen Umständen zu meiner Verfügung?«

»Behalten Sie den Bettel!«

»So sagen Sie dem Betyáren, daß er sich fern halten und in keiner Weise einmischen soll, was er auch sehen und hören möge. Von den Dreien, die morgen sterben sollen, werden nur zwei den Tod erleiden. Einer ist begnadigt!«

»Der Graf?«

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»Das weiß ich nicht! - ich werde thun, was ich kann, ich bin bereit, meine persönliche Fehde mit Ihrem Schützling Ihrem Willen zu opfern - vergessen Sie das nicht. Er soll selbst wählen, ob er leben oder sterben will. Aber jetzt gehen Sie, wenn der Fürst Sie nicht finden soll, denn dort kommt wirklich sein Wagen.«

Sie hielt ihn noch einen Augenblick zurück. »Noch Eins - wo ist das Brautgemach der stolzen Gräfin?«

»Jene zwei Fenster dort mit den erleuchteten Vorhängen.«

Die Maitresse lachte höhnisch. »Viel Vergnügen im Brautbett. Wollen Sie ein Geheimniß wissen, Doktor?«

»Dazu bin ich immer bereit?[!]«

Sie flüsterte ihm einige Worte in's Ohr. Der Agent fuhr erstaunt zurück. »Ist es möglich - Sie nach ...«

»Es soll Ihre Belohnung sein, wenn Sie meinen Willen erfüllen! Ich erwarte Sie in Ihrem Quartier.«

Der Wagen des Fürsten rasselte heran, während sie davon huschte. Der Doktor sprang an den Schlag.

Die beiden Kosacken halfen ihrem Gebieter aus dem Wagen. Er murmelte etwas Unverständliches als Antwort auf die Anrede seines Vertrauten, und als er in den erleuchteten Flur trat, bemerkte dieser, daß seine Augen starr und gläsern, die Farbe seines Gesichts dunkel geröthet war.

Er hatte offenbar einer jener Libationen wieder gefröhnt, denen er früher oft genug sich ergeben.

»Hier herein, Durchlaucht, einen Augenblick!«

Der Doktor öffnete eine Thür und leitete den schwankenden

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Gang des Fürsten dort hinein, wo er ihn auf einen Stuhl niederließ.

»Meinst Du, ich sei betrunken, Bursche?« sagte er stammelnd. »Zum Henker mit Dir! Champagner her - die Fürstin Trubetzkoi soll leben - ich kenne meine eheliche Pflicht!«

Er lachte tückisch auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Sie haben den Feldzeugmeister gesehen, Fürst?« unterbrach ihn der Agent.

»K tschortu - was er für Augen machte, der deutsche Bastard, und wie er sich den Schnurbart strich, als ich mich ihm als Ehemann der Pálffy vorstellte. Er sah, daß heute zum zweiten Mal der Russe ihm die Beute fortgeschnappt! Dies deutsche Gezücht soll noch besser lernen, daß der Russe sein Herr ist und Europa nach seiner Pfeife tanzen muß! Im Staub soll sie zittern, die deutsche Kanaille!«

Der Doktor schien die Prahlerei zu überhören, die all' den so lange unter der Außentünche verborgenen brutalen Uebermuth in der Offenherzigkeit des Trunks zu Tage brachte. »Hat der Feldzeugmeister in die Aufhebung des Urtheils der Gräfin gewilligt?«

»Bah - er hat den Kirchbach, seinen Adjutanten in die Festung geschickt mit der Ordre, ihr anständige Haft zu geben, wie es sich für die Schwiegermutter des Fürsten Trubetzkoi ziemt!«

»Aber die Vollstreckung der Strafe morgen - das Peitschen ...«

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»Bist Du toll Doktor! Keine Sylbe war mehr die Rede davon - das versteht sich von selbst. Wo ist die Tunsa - schafft die Tunsa her, oder ich lasse Allen die Knute geben und Dir Spitzbuben zuerst!«

»Sie ist nicht hier - ich habe gehört, daß sie entflohen durch die Schuld Ihres Kosaken!«

»Der Hund - die Bestie! mit dem nächsten Transport soll er nach dem Kaukasus. Tschorte wos mi - wir sind klüger mit unsern Gefangenen, als Ihr deutschen Tölpel. Zum Futter für die Tscherkessenkugeln oder in meinen Bergwerken am Ural kann ich sie besser brauchen. Der Hund der Alexei soll mit - schaff die Tunsa herbei, die Hexe soll bei mir bleiben!«

»Ich werde sie aussuchen Durchlaucht, - aber ich muß Ihre Ordre haben, daß ich nöthigenfalls Gewalt brauchen kann, wenn sie sich weigert. Nur Ihren Namenszug Durchlaucht!«

»Her damit!« Der Trunkene riß ihm die Feder aus der Hand, die jener ihm mit einem Blatt Papier bot und kritzelte seinen Namen darauf. Ehe er weiter zur Besinnung kam, hatte der Doktor bereits das Papier an sich genommen und eingesteckt.

»Haben Sie vergessen Fürst, daß man Sie erwartet?«

»Wer?«

»Wer sonst als Ihre junge Gattin! Haben Sie denn ganz vergessen, daß eine Brautnacht Ihrer harrt, die Sie so lang ersehnt? daß diese Nacht bestimmt ist zur Rache an Ihrem Feind?«

»Zur Rache!« Der Trunkene hatte sich erhoben,

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wiederum schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß der Leuchter emporsprang. »Petrowitsch! Ruf den Petrowitsch!«

Der Doktor sah ihn erstaunt an, aber es lag eine so furchtbare Energie in dem Gesicht des Trunkenen, daß er mit keiner Sylbe zu widersprechen wagte, sondern nach der Thür ging und den Kosaken rief.

Dieser schien fast des Rufes geharrt zu haben, denn er trat sogleich ein.

»Wasser!«

Der Fürst hielt sich an dem Tisch fest, die Augen stier auf einen Punkt gerichtet. Der Agent wagte nicht ihn anzureden, so schrecklich war sein Aussehen.

Zwei Minuten darauf trat der Kosak ein mit einem großen Stalleimer voll Wasser und stellte ihn vor den Fürsten auf den Tisch.

»Zieh mich aus!«

Der Kosak öffnete seinem Herrn die Uniform und zog sie ihm aus.

Sobald dies geschehen, steckte der Trunkene das ganze Gesicht in den Eimer und wiederholte dies schnaufend drei Mal.

»Vorwärts! gieß zu!«

Der Kosak hob den Eimer und goß langsam den ganzen Inhalt seinem Herrn über Kopf und Nacken.

»Einen andern!«

Petrowitsch verließ das Zimmer und kehrte schnell mit dem neu gefüllten Eimer zurück, mit dem er dasselbe Manöver wiederholte.

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Die Stube schwamm fast in Wasser, so daß der Doktor sich in eine Ecke retirirte.

Der Fürst blieb einige Minuten in derselben Stellung, in der er das Bad erhalten, dann richtete er sich empor und schüttelte sich wie ein Pudel, den man in's Wasser geworfen.

Sein Gesicht hatte die frühere Bleifarbe wieder angenommen, jede Spur der Trunkenheit war aus seiner Haltung verschwunden.

»Ich danke Ihnen Doktor, daß Sie mich erinnert. Ist Alles in Ordnung, wie ich es befohlen?«

»Ja Durchlaucht!«

»So leben Sie wohl bis morgen. Wenn die schöne Pálffy mich nicht etwa erwürgt haben sollte, so können Sie morgen Ihre tausend Dukaten in Empfang nehmen. Ist Pierre da?«

»Er wartet auf Dich Batuschka mit den Kleidern!«

»Gut! - Finden Sie die tolle Dirne, so bringen Sie sie in Sicherheit! - Ihr Werk ist gethan, jetzt beginnt das meine! Adieu!«

Er nickte dem Agenten zu und schritt, ohne sich des Stocks zu bedienen, nach der Thür, die der Kosak demüthig öffnete.

Der Doktor sah ihm erstaunt nach. -


Es war Mitternacht. Der Emissair des Herrn von Manteuffel war in dem Gemach, das die Bojarenfrau ihm eingeräumt, im Begriff, das Lager zu suchen, nachdem

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er seine Tagesnotizen niedergeschrieben und nochmals überlesen hatte.

Draußen tobte das Gewitter jetzt mit voller Macht, der Donner rollte in gewaltigen Schlägen und der Sturm rasselte an den losen Fenstern des Gebäudes und ließ die Schläfer sich freuen, daß sie unter Obdach geborgen waren.

Im Begriff, seine Lampe auszulöschen, glaubte der Preuße es leise an seine Thür pochen zu hören. Zuerst hielt er es für das Rasseln des Sturms, aber gleich darauf wiederholte sich das Pochen lauter.

Er zog seinen Rock an und öffnete die Thür.

Vor ihm stand, ein Licht in der Hand mit demüthig zur Erde gesenktem Blick, nur von einem Feredschi oder leichten türkischen Mantel umhüllt, die schöne Bojarenfrau, an ihrer Hand ihre auf gleiche Weise gekleidete Schwester.

Der Agent trat erstaunt zurück. »Was ist geschehen, Madame - bedürfen Sie meines Beistands?«

Sie trat zwei Schritte näher und zog das schüchtern zögernde Mädchen hinter ihr drein. Dann schloß sie selbst die Thür und setzte ihr Licht auf den Tisch.

»Wir kommen, Dir zu danken Herr für das Leben des Stephanowitsch.«

Sie sank zu seinen Füßen und umfaßte seine Knie, der leichte Mantel löste sich von den Schultern und die schöne Büste der jungen Frau mit dem wogenden vollen Busen, über den in langen Strähnen das schwarze Haar niederfiel, bot sich frei den zögernden Augen des Mannes.

Er versuchte sie aufzuheben - seine Hände zitterten vor dem Blutschlag, der durch seine Adern zu pulsen begann.

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»Stehn Sie auf Madame - was ich gethan, war meine Pflicht als Mann - nicht mir haben Sie es zu danken ...«

»Du bist unser Retter, Du hast ein Herz für unsere Thränen gehabt,« sagte das schöne Weib mit den leidenschaftlichen Worten des orientalischen Bilderreichthums - »Du bist der Herr und wir sind Deine Dienerinnen. Wirst Du unsern Dank verschmähen? Suzzana hat Nichts zu geben als sich selbst und den jungfräulichen Leib ihrer Schwester. Wähle Herr, welche Dein Arm umfangen will und laß die Andere Deine Sclavin sein.«

Sie lag vor ihm in dem ganzen Reiz des üppig schönen Frauenleibes - eine Bewegung ihrer Hand riß den grünen Feredschi von den Schultern ihrer Schwester und in der ganzen Herrlichkeit des jungfräulichen Körpers stand das bis über die Stirn erröthende Mädchen, die kleinen Hände über die Brust gekreuzt ohne jede Hülle vor dem betroffenen Diplomaten.

Die Versuchung des heiligen Antonius war bei den destringirenden Vorbereitungen desselben ein Kinderspiel gegen die Lockung dieser doppelt sich öffnenden Liebesarme. Erst jetzt wurde es dem jungen Agenten klar, was sein österreichischer Kollege mit seinen Anspielungen gemeint, und einige Augenblicke lang kämpfte das rasende Blut in seinen Adern mit den Mahnungen des Verstandes und der Pflicht. Aber die Schule der ascetischen Diplomatie des Herrn v. Manteuffel war streng genug, um den Sieg davon zu tragen, und rasch die Lampe verlöschend, damit ihr Licht in dem verlockenden Anblick nicht den spartanischen

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Entschluß des Verstandes zu schmelzendem Schnee vor der Sonne der Schönheit machen möge, - drängte er die ihn umfangenden warmen Wellenformen der Frauen zurück nach der Thür.

Die Pflichten der Diplomatie sind manchmal gar seltsam und hart! Man glaube nicht - wenn man diese jungen Attachés und Legationssecretaire mit dem Kneifer im matten Auge und den gebiegelten und geschniegelten Taillen auf den Trottoirs der Residenzen flaniren, in den Klubs diniren und auf den Bällen sich angenehm machen sieht, daß ihr Loos ein so bequemes thatenloses ist. - Könnt Ihr in die Geheimnisse der Kabinete sehen und wissen, welcher Staatsräthin oder Kammerjungfer sie die Kur schneiden, bei welcher Maitresse sie sich opfern, welche Coulisse sie darstellen, an wen sie ihr Geld verlieren oder wen sie auf fünfzehn Schritt Distance mit Avanciren fordern müssen? O die Geheimnisse der Diplomatie sind oft höchst wunderbar und das Geschlecht der Attachés mit den hagern Lenden und tiefen Augen ist ein höchst nützliches Institut für die Welt!

Der Agent des Herrn v. Manteuffel hatte freilich nicht die Aussicht, auf diesem Wege seine diplomatische Carriere zu machen, sondern war auf seine Thätigkeit und seinen Verstand angewiesen und hat sie mit diesen Mitteln gemacht. Ob aber im spätern Leben, als er Gelegenheit hatte, den Unterschied zwischen der Dankbarkeit der heißblütigen Frauen des Südens und dem des nordischen Kabinets in der Wilhelmstraße kennen zu lernen, ihm nicht manchmal die bedauernde Erinnerung an jene dem kaltem Verstande

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geopferte Nacht in der bombenzerrissenen Vorstadt Temesvár gekommen - wer möchte dafür bürgen! -


Mit sicherem ruhigem Schritt, keine Spur der genossenen Libation mehr in seinem Aeußeren mit Ausnahme der dunkel geschwollenen Ringe um seine Augen trat der Fürst bei seiner unglücklichen Gemahlin ein.

Die Fürstin, in ein Nachtkeid gehüllt, saß theilnahmlos auf dem Rohrdivan. Sie schien den Eintritt ihres Gemahls kaum zu beachten.

Der Fürst trug jetzt einen weiten türkischen Schlafrock und gleiche Beinkleider. Er stellte das Licht, das er in der Hand trug, auf den Tisch und schloß dann die Thür von innen ab. Den Schlüssel steckte er in die Tasche und setzte sich neben sein Opfer.

»Sie haben sich etwas lange gedulden müssen meine Theure,« sagte er lustig, »und an einem solchen Abend lieben das die jungen Frauen nicht. Indeß, es ließ sich nicht ändern, dieser deutsche Starrkopf konnte nur schwer überzeugt werden, daß Sie wirklich bereits Fürstin Trubetzkoi sind, und dann konnte ich mich unmöglich der Gesellschaft meiner Freunde so rasch entziehen. Indeß ich denke, wir holen das Versäumte nach Kräften nach, wir haben ja die ganze schöne Nacht vor uns und wie Sie gesehen, habe ich als zärtlicher Ehegatte dafür gesorgt, daß wir nicht gestört werden.«

Die Ungarin erhob sich stolz. »Ich bitte Euer Durchlaucht,« sagte sie ernst, »in Ihrer Sprache nicht zu vergessen,

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daß Sie Ihre Gemahlin, nicht Ihre Maitresse vor sich haben.«

»Vortrefflich Püppchen, der Stolz steht Dir allerliebst. Aber im Grunde, wenn's auf das Endresultat hinaus kommt, seid Ihr Alle gleich, Zigeunerin oder Gräfin, wenn nur die Bettgenossin schön küßt und wärmt und darum lassen Sie uns den Anfang machen und geben Sie mir einen zärtlichen Kuß!«

Die Röthe des Unwillens bei der frechen und schaamlosen Sprache übergoß ihr Gesicht, als sie mit Gewalt sich von seinen Händen frei machte. »Ich bin Ihr Eigenthum, leider,« sagte sie stolz, »ich kenne meine traurigen Pflichten, aber ich werde nicht dulden, daß Sie mich erniedrigen. Ehe ich mich Ihrer Willkür übergebe, will ich des Kaufpreises sicher sein und wissen, was hat man mit der Gräfin, meiner Mutter, gemacht?«

»Der Adjutant des Feldzeugmeisters, Major Kirchbach, hat schon vor zwei Stunden dem Festungscommando die Ordre gebracht, der Schwiegermutter des Fürsten Trubetzkoi ein passendes Gemach einzuräumen und ihr alle Berücksichtigung angedeihen zu lassen. Mein Ehrenwort darauf.«

»Tch[Ich] danke Ihnen! und jenes empörende Urtheil?«

»Bah - der Feldzeugmeister hat seiner mit keiner Sylbe mehr erwähnt. Es versteht sich, daß nach meiner Vermählung mit Ihnen nicht mehr die Rede davon sein konnte.«

Die junge Frau hatte sich ihm genähert und blieb vor ihm stehen. Ihr großes dunkles Auge ruhte, wenn auch

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ohne Liebe, doch nicht in finsterm Haß und Feindschaft auf ihm.

»Der Wille Gottes, Herr, und Ihr eigener hat mich an Sie gekettet. Welches Unglück es auch für mein junges Leben ist, Sie werden mich stets bereit finden, die Pflichten meiner Stellung zu erfüllen. An Ihnen wird es liegen, für die kurze Spanne Zeit meines Lebens mir dies nicht allzuschwer zu machen.«

»Ihre erste Pflicht Theuerste,« sagte der Fürst lustig, »wird sein, mir möglichst viel Vergnügen zu machen; Ihre zweite: dem Namen Trubetzkoi einen Erben zu geben. Sind Sie damit einverstanden?«

Sie bebte zurück bei der rohen Berührung dieser Worte.

»D'rum munter Liebchen und lassen Sie uns anfangen. Wie haben Sie das Programm unserer Hochzeitsnacht aufgestellt?«

Sie warf ihm einen Blick der Verachtung zu - er lachte, aber es war nicht das Lachen eines bloß frivolen Scherzes, es war etwas Teuflisch-Tückisches, Höhnendes in ihm. »Hören Sie! ich kann Ihnen leider kein Ständchen bieten zur Begleitung unserer ersten Umarmungen, meine Regimentsmusik ist etwas weit - wir müssen uns mit dem Klopfen und Hämmern da draußen begnügen!«

In der That vernahm man deutlich in den Pausen des Sturms und Donners das Geräusch der Säge oder die Schläge der Axt und das Klopfen des Hammers.

»Was geschieht da draußen?«

»Bah - ich denke! man holt die Ehren- und

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Blumenpforte nach, die man der jungen Frau schuldig ist und zu der man diesen Abend keine Gelegenheit hatte. Wir werden morgen Zeit haben, sie zu bewundern und wollen uns nicht die Ueberraschung verderben!«

Der Donner des Himmels zerriß die Lust, als zürne die gewaltige Stimme der Natur über die frevelnden Worte. Die unglückliche Frau erbebte ohne selbst zu wissen warum.

Der Fürst stürzte auf sie zu. »Soll ich Ihre Kammerjunfer abgeben? Sie sehen, meine liebende Ungeduld läßt sich nicht länger zügeln.«

Sie stieß ihn zurück mit der letzten Kraft und flüchtete nach dem Alkoven.

Schlag um Schlag tönte draußen der Aufruhr der Elemente, unter dem gewaltigen Ausbruch des Wetters waren die Axtschläge verstummt und die unheimlichen Arbeiter unter ein schirmendes Obdach geflüchtet. Der Sturm rüttelte in wilden Stößen an den Mauern des Hauses.

»Heißah - das wird eine lustige Brautnacht Madame. Wenn solch Wetter da draußen tobt, tändelt sich's um so schöner im warmen Arm der Liebe! Meinen Sie nicht auch Madame!«

Ein leiser halb unterstickter Seufzer antwortete ihm allein. Der Fürst trat in den dunklen Alkoven und kam sofort wieder heraus.

Er trug im Arm die Kleidung der jungen Frau und ihr Negligee, ballte sie zu einem Bündel zusammen und warf sie aus der Thür, die er wieder verschloß.

»Was thun Sie da, Fürst - was soll das bedeuten?«

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»Keine Sorge meine Theuerste - Sie werden morgen Besseres an ihrer Stelle finden. Ueberdies sichert die kleine Vorsicht mir mein Glück, damit Sie meiner Zärtlichkeit nicht entwischen können! Die jungen Frauen sollen manchmal lieben, den Gatten schmachten zu lassen! Sind Sie bereit?«

Ihm antwortete keines jener verschämten Worte der Liebe, kein Seufzer glücklicher Sehnsucht, die sich am Ziel der irdischen Wünsche findet in jener Nacht, die die heiligste, seligste ist des Lebens für Die, welche das Herz zusammengeführt, der Traum des Jünglings und die süße Erinnerung noch des greisen Paares, das den kommenden Geschlechtern Platz macht zu ihrem Lieben und Leben auf der schönen Erde!

Der Russe hatte den Schlafrock von sich geworfen, so stand er auf der Schwelle des Alkoven, seine Brust keuchte, seine Augen waren auf's Neue mit Blut unterlaufen und dunkle Röthe bedeckte seine Stirn - es war, als wenn all' der Taumel und die Aufregung des Trunks, die er vorhin erstickt, auf's Neue sich seiner Sinne bemächtigt hätten.

»Erinnern Sie sich an unser Duell im Wald von Telek meine Holde?«

Sie antwortete nicht!

»Wohl, Sie haben den Dank noch zu gut für Ihre Kugel. Sie haben schlimm gezielt Madame, und wenn der Dank Ihnen jetzt kein Vergnügen macht, dann bedenken Sie, daß es Ihre eigene Schuld ist!«

Er stieß mit einem lauten Gelächter die Lampe um und stürzte sich in das Kloset. -


Draußen tobte der Kampf der Natur! - Die Nacht war schwarz - dunkler und tiefer noch die Nacht da drinnen, wo Liebe um Liebe sich tauschen sollte in ewiger Vereinigung! - entsetzlicher der Kampf da drinnen, wo der Leib die Harmonie der Seelen besiegeln sollte! -

Ein gellender Aufschrei unter dem wilden frechen Gelächter des Russen - ein langes schreckliches Ringen - dann das Keuchen der sinkenden Kraft, schwächer und schwächer - zuletzt ein leises Wimmern.

An den Fenstern und Mauern schüttelte der Sturm - ferner und ferner rollte der Donner!

Dann begannen die Axt und der Hammer auf's Neue ihr nächtliches Werk und die Säge kreischte ihren widrigen einförmigen Sang! -


Ein kurzer gedämpfter Trommelschlag, näher und näher, der Tritt einer marschirenden Kolonne.

»Halt!«

Durch die geschlossenen Vorhänge des Gemachs leuchtete seit Stunden der blaue heitere Augustmorgen, sonniger und freundlicher noch nach der wilden Gewitternacht.

Das bleiche zerstörte Gesicht auf die Hand gestützt, ruhte die junge Frau auf dem Lager. Der Arm des schlafenden Gatten hatte sich um ihren Leib geschlungen, daß sie keine Bewegung hätte machen können, ohne ihn zu wecken.

Sie machte auch keine Bewegung - selbst das große

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dunkle Auge rührte sich nicht - nicht einmal zu einem Thränenstrom, sondern haftete starr gedankenlos auf einem Fleck. Ihre Kraft war erschöpft, jener Stolz gebeugt, der sie aufrecht erhalten; - ein geschändeter Leib, das Spiel brutaler Willkür, ein gebrochenes Herz, das war, was der Lendemain auf dem hochzeitlichen Lager beleuchtete.

Ob sie sich jene Stunde wohl so geträumt in den keuschen Träumen ihrer Jugend?!

Nicht der tröstende Schlaf war in ihre Augen gekommen, stundenlang hatte sie so dagelegen und gleichgültig dem Erwachen des Tages zugesehen. Sie hätte fast den Mann beneiden können, an dessen Brutalität sie gefesselt sein sollte bis zum erlösenden Tod, wie er so neben ihr lag im tiefen Schlaf nach dem erschöpfenden schrecklichen nächtlichen Kampf.

Das leichte Nachtgewand hing zerrissen vom rohen Griff um ihre Schulter - der weiße jungfräuliche Busen quoll rund und warm an das unkeusche Licht - was kümmerte es sie!

Ob sie in diesen Stunden an jene Judith dachte, wie sie sich erhebt von dem nächtlichen Lager ihres hochherzigen Opfers - erhebt, um das Haupt ihres Entehrers zu nehmen?

Aber das Auge hätte vergeblich das Schwert des Holofernes gesucht, - nicht einmal ein Gewand hätte es gefunden, in das sie fliehend mit, dem Haupt ihre Schaam hätte verhüllen können.

Und wohin hätte sie fliehen sollen - wo war das

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Heer Judäa's? - Zersprengt in die Winde, geopfert von Feigheit und Verrath!

Wieder wirbelten in kurzem Schlag die Trommeln. Die folgende Stille wurde von einer Stimme unterbrochen, die etwas sprach oder verlas - sie konnte die Worte nicht verstehen, nur der gleichförmige Ton schlug an ihr Ohr.

Dennoch begann sie unwillkürlich aufmerksam zu werden, die Bewegung, die sie machte, erweckte den Schläfer.

Gähnend streckte und dehnte er sich und zog sie zurück auf das Lager. »Wahrhaftig, es ist ja heute Hochzeitsmorgen, den müssen wir benutzen - küsse mich Kind! K tschortu, Du bist so hübsch beim Morgenlicht und ich so verliebt, daß wir auf's Neue beginnen können!«

Die Unglückliche schauderte, als die breiten Lippen des Tyrannen auf ihrem Nacken sogen und schmatzten.

»Haben Sie Erbarmen mit mir!«

»Bah! Erbarmen - Mitleid? hast Du es gehabt, als Du so boshaft gezielt? Du hast Dich selbst um das Beste gebracht, Püppchen und mich dazu, drum halte still für das Uebrige!« Er zog sie mit Gewalt zurück zu seiner brutalen Lust.

Plötzlich schreckte sie empor und versuchte sich seinen Armen zu entwinden.

»Barmherziger Gott - was ist das?«

Ein kurzer starker Trommelwirbel - im leisen Rollen verlaufend - eine unheimliche gräßliche Stille.

»Jesus Maria - lassen Sie mich - was geschieht dort draußen?«

Sie wollte vom Lager springen, aber sein Arme fesselten

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sie mit Gewalt und rissen sie zurück. »Hier geblieben Schätzchen, hier ist Dein Platz. Was wird es sein - eine kleine Einleitung zum Morgenständchen, das man uns bringt!«

Sie kämpfte sich ab, wie mit ehernen Klammern hielt ihr brutaler Tyrann sie fest.

Wieder - nach längerer Pause jener schreckliche Wirbel - jene noch gräßlichere Stille!

Dann nochmals die Stimme, die sie vorhin gehört ... sie konnte die Worte nicht verstehen, aber ein gellender jubelnder Aufschrei folgte - ein lautes Weinen und Schluchzen ...

»Gewehr auf!«

Die Waffen klirrten ... »Gewehr über! Marsch!«

In den Tritt der abmarschirenden Kolonne mischten sich von fern her andere Töne, der Klang einer vollen Regimentsmusik in lustigem Marsch näher und näher, bis sie unter den Fenstern hielten.

Der Fürst ließ sie los. »Ich glaube, es ist Zeit Madame, daß Sie Ihr Lendemain-Geschenk in Empfang nehmen. Sie sollen sehen, daß ich dankbar bin. Wir müssen meine Getreuen begrüßen, die gekommen sind, uns zu gratuliren!«

Eine unsägliche Angst hatte sie ergriffen - mit einem Sprung stürzte sie sich vom Lager und nach dem Fenster.

Der Fürst folgte ihr gemächlich und zog seinen Schlafrock an. »Nehmen Sie sich in Acht meine Liebe - Sie werden sich ein Rheuma zuziehen - Ihre Toilette ist etwas derangirt!«

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Keine Gewalt der Erde hätte sie mehr gehalten, so fieberisch schlug ihr Herz - so krampfhaft flogen die Glieder, als sie, ohne den Riegel zu öffnen, die Jalousie aufstieß, daß das goldene Sonnenlicht im breiten Strom hereinbrach und ihre halbnackte Gestalt überfluthete.

Die irren Augen flogen umher ...

Im Halbkreis aufmarschirt stand das Regiment ihres Gemahls, vor ihm die Musikbanden und Gruppen von Offizieren ...

An der Thür des Hauses, kaum mehr bekleidet wie sie, lag die schöne Bojarenfrau in den Armen ihres alten vom Tode befreiten Gatten jubelnd und weinend ...

Und dort ...

Ihre Augen schienen zu wachsen und aus den Höhlen zu dringen - die Hände zuckten empor nach den Schläfen.

Kaum fünfzig Schritt von den Fenstern entfernt streckten sich drei Balken in die Luft mit roh gezimmerten Querhölzern.

Schnellgalgen!!

Der dritte war leer, nur an seinem Fuß lehnte im rothen Seressaner Mantel eine wilde Gestalt und sah wie bedauernd zu der niederhängenden Schlinge empor - an den Armen der beiden andern schwankten im Morgenwind zwei langgestreckte Gestalten, die Hände auf den Rücken gebunden, das blauschwarz unterlaufene Gesicht zur Seite geneigt - zwei Leichen - die eine in der Kleidung des Betyáren-Deserteurs - die andere in der wohlbekannten Uniform, in der sich der Graf in die Festung geschlichen

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und ergriffen war; - auf der Brust der schwankenden Leichen zwei Papiere mit großen Buchstaben:

Honved Tamas!

Honved Stephan!

Der Fürst erhob sein Taschentuch und winkte hinaus.

»Es leben Ihro Gnaden, unser Väterchen, der General und unser Mütterchen, die Fürstin! Hurräh! Hurräh!«

In dem rauschenden Tusch der Musik verklang der wahnsinnige Schrei, mit dem die jungfräuliche entehrte Frau zusammenbrach.

Der Fürst betrachtete durch das goldene Lorgnon ruhig den Galgen und ihre Frucht und dann sein bewußtlos am Boden liegendes Weib.

»Gerächt!«



Um 10 Uhr Morgens wurde auf einem Platz im Lager der Kaiserlichen Truppen die Gräfin Pálffy mit Ruthen gepeitscht.

Der Feldzeugmeister Baron Haynau ließ dem Fürsten Trubetzkoi nach der Execution durch einen seiner Adjutanten melden, daß er bedauere, dies Urtheil des Kriegsgerichts um des Beispiels willen nicht haben aufhalten zu können. Jede Erleichterung der Haft solle dagegen der Schwiegermutter des Fürsten willig zu Theil werden bis zum Eingang der Entscheidung von Olmütz.

Der Fürst hätte sich eigentlich herzlich wenig um das Peitschen gekümmert, ja er gönnte es im Stillen der ihm verhaßten Dame von Herzen, aber öffentlich mußte er den Beleidigten spielen, und die Anklagen von Seiten der Russen,

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die in jeder Richtung bemüht waren, mit Unrecht die Unterwerfung Ungarn hauptsächlich sich zuzuschreiben, - trugen später nicht wenig zu dem plötzlichen Fall des unbeugsamen Feldherrn bei.

Die Fürstin erfuhr von der traurigen Execution an ihrer Mutter und der Vergeblichkeit ihres Opfers Nichts, denn sie raste in schwerem Fieber. Das Bett der Kranken verließ die Zigeunerin Tunsa nicht, die sich am Morgen wieder eingestellt hatte und auch hierin mit ihrem gewöhnlichen Eigensinn allen Befehlen des Fürsten trotzte. Die Frau und Schwägerin des Bojaren unterstützten sie treu in dieser Pflege, während dieser selbst schon am andern Tage über die serbische Grenze ging.

Die Ordre des Kommandanten, die der Offizier des Kriegsgerichts versiegelt aus den Händen der unglücklichen Frau erhalten und auf dem Platz der Hinrichtung geöffnet hatte, hatte auf die Begnadigung des Verurtheilten Stephanowitsch gelautet unter der Bedingung, binnen drei Tagen das Kaiserliche Gebiet zu verlassen. -

Am Abend des Tages, welcher der Execution folgte, verließ ein Transport der Kriegsgefangenen, welche das russische Corps Paniutine gemacht, das Lager desselben, um nach dem Kaukasus und den Bergwerken des Ural transportirt zu werden. Der Kosak Alexei, bei seinem Gebieter in Ungnade gefallen, begleitete ihn. In derselben Nacht waren die beiden Leichen der Gehenkten von ihrem Galgen abgeschnitten und spurlos verschwunden. Die strengste Untersuchung ergab keine Spur über die kühnen Hände, die es gewagt, sie aus der Mitte einer Armee zu stehlen. -



Am 16. August vereinigte sich die Südarmee des Banus mit der Donau-Armee Haynau's bei Neu-Pécs. Arad, der einzige Halt, den die Ungarn in diesem Theil noch inne hatten, war von dem Schlick'schen Corps cernirt und wurde - obschon in gutem Stande und reich verproviantirt - von seinem Kommandanten Damjanich an die Russen übergeben, die seinen Truppen freien Abzug gewährten. Auch er vergaß sein Loos und das seiner Kranken zu sichern. Am andern Tag rückten die Oesterreicher ein. Unter den Gefangenen, die sie hier befreiten, befand sich auch der Panduren-Hauptmann Jurisch.

Ein einziges Gefecht fiel noch bei Schäßburg vor, dann ergaben sich die letzten Trümmer der Revolutionsarmee in Siebenbürgen und an der Theiß bei Szibo, Boros-Jenó und Pisky an die Russen und Oesterreicher. Peterwardein öffnete am 7. September den Letzteren auf Gnade und Ungnade seine Thore. -


Es war in der Nacht zum 18. August als ein Haufe von etwa zwanzig Personen bei Währova unterhalb Orsova nahe der türkischen Grenze auf öder Haide eine tiefe Grube umstand. In der Nähe hielt ein Fuhrwerk ohne Führer, denn auch dieser war unter den Männern an der Grube, die sie selbst gegraben, obschon ihre Hand sonst nur an den Griff des Säbels oder die Feder gewöhnt war.

An mitgebrachten Stricken wurden drei Kisten hin unter gesenkt und dann sorgfältig die Erde wieder aufgeschaufelt und der Platz geebnet.

Einer der Männer streute Saamen über die Stelle, damit bald das grüne Gewand der Natur sie wieder bedecken

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möge, ein Anderer maß den Schatten einer einsam zitternden Birke, dessen Spitze der Mond aus die Stelle warf.

In tiefem Schweigen, in den kurzen ungarischen Mantel gehüllt, hatte ein Mann, offenbar der Führer der nächtlichen Gesellschaft, in ihrer Mitte gestanden, die Arme über die Brust gekreuzt. Von dem Kalpak schwankte die hohe Reiherfeder, das Auge des Mannes ruhte finster und schwer auf der Gruft.

Was sie hier begraben - war es vielleicht der Traum seines Lebens, die stolze geheime Hoffnung seiner Seele, der er sich nahe dünkte, als er an jenem 14. April auf dem Reichstag zu Debreczin das Haus Habsburg-Lothringen jener Krone verlustig erklären ließ, die er hier jetzt verscharrte auf dem letzten Fleck ungarischer Erde, den sein Fuß betrat?!

Fünf Monde waren kaum vergangen und jetzt?

Rüttelt nicht an den alten Thronen - Gott selbst hat sie gemacht, ihre Pfeiler sind Granit, ihre Spitze ragt zum Himmel, in ihrem Sturz würden sie Euch begraben, die Ihr nichts Besseres bietet den Völkern! -

Der Mann trat vor, er hob den Kalpak von seinem Haupt, seine Rechte streckte den ungarischen Säbel, der nie das Blut des Feindes getrunken, weithinaus, daß die jungfräuliche Klinge im Mondlicht blitzte.

»Schwört!«

Und aus den Scheiden rasselten die Säbel, die schartig geworden im blutigen Kampf für das Vaterland, und legten sich klirrend auf die Klinge des Diktators!

»Wir schwören!«

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»Schweigen!«

»Schweigen!«

»Bis zum Tod - oder bis wir sie auf's Neue dem Licht des Tages wiedergeben in dem befreiten Ungarland!«

»Wir schwören!«

Die Säbel kehrten zurück in die Scheiden, die Hände der Männer preßten sich krampfhaft.

»Lebt wohl Brüder - auf Wiedersehen jenseits der Donau! Bei dem Halbmond laßt uns den Schutz suchen, den das christliche Europa Ungarns Söhnen verweigert!«

So schieden sie. -


Sie haben den Schwur gehalten. Die Krone des heiligen Stephan mit den Reichskleinodien blieb in ungarischer Erde verborgen länger als vier Jahre. Nur Gerüchte über den Ort, wo man sie vergraben, waren der kaiserlichen Regierung zu Ohren gekommen und hatten wiederholte Nachsuchungen veranlaßt, die aber lange vergeblich blieben. Man erfuhr im Allgemeinen nur die Gegend, nicht die Stelle, und wollte bereits die durch den ganzen Sommer 1853 fortgesetzten Nachgrabungen einstellen, als am 8. September ein walachischer Arbeiter, der im Streit von den Aufsehern fortgeschickt worden, auf eigene Hand nachgrabend auf die hölzerne und eiserne Kiste stieß, die den Schatz barg.5 -


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Am 27. September wurde das letzte Bollwerk des ungarischen Kampfes - die jungfräuliche, nur durch Aushungern einnehmbare Festung - Komorn durch Kapitulation übergeben.

Selbst der starre Sinn des österreichischen Feldherrn achtete die heldenmüthige Vertheidigung und gewährte dem tapfern Kommandanten und seiner Besatzung so ehrenvolle und liberale Bedingungen, wie keinem andern Theil der revolutionairen Armee.

Georg Klapka hat den Ruhm in sein Exil mitgenommen, daß er der einzige unbesiegte Kämpfer der ungarischen Revolution, daß er ein Patriot ohne Eigennutz und Intrigue gewesen ist.

Sein Abschiedswort lautete:


               »Kameraden!

Meine Brust wird enge, da ich zum letzten Male zu Euch rede, zu Euch, an die mich so viel Leid und Freud, so viel für theures Patriotenblut gewonnene Glorie, und das allgemein gewordene Gefühl einer heiligen Verpflichtung unzertrennlich geknüpft hat.


Wir leisteten, was die menschliche Kraft zu leisten vermag, und können ohne Erröthen uns vor den Richterstuhl der Welt und des Allerhöchsten hinstellen. Jedoch im Buche des Schicksals war es anders vorgezeichnet, ...

Wir treten ab, weil das Vaterland es fordert, das auch für die Zukunft treuer Söhne bedarf; wir treten ab, weil wir heilige Verpflichtungen für jenes Vaterland haben,

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welches allein Trost für die Zukunft in unserer ungebeugten Anhänglichkeit finden kann.


Empfanget daher für Eure männlichen entschlossenen Kämpfe den heißesten Dank des Vaterlandes!

Nehmet zugleich meinen innigen herzlichen Abschied entgegen.

Gott mit Euch!

               Georg Klapka, General.«


Das Drama war zu Ende - die ungarische Armee nach einem nur anderthalbjährigen Kampf von der Bühne der Welt abgetreten.

Das schreckliche Nachspiel begann!

Kossuth, Vetter, Perczel, Visoczky, K. Batthyányi, Vukovics, Szemere, Hajnik, Mészáros, Dembinszki, Bem und ein großer Theil der Deputirten und Zeitungsredakteure hatten sich in's Ausland gerettet.

Aber viele Andere waren gefangen, oder durch Görgey herzlos aufgeopfert worden. Schutzlos, der Rache der Sieger preisgegeben, irrte der verführte Honved durch das Land und hinter ihm her wanderte mit drohendem Arm der Schnellgalgen.

Furchtbar, entsetzlich war das Gericht, das der Feldzeugmeister über das unglückliche Lano hielt, über das er jetzt eine unbeschränkte Militair-Diktatur übte. Mit den Soldaten-Kommando's, die das Land durchstreiften, zog der Henker, den Galgen auf seinem Karren, und wo in Haide und Wald, in der Tanya oder am Weg ein Unglücklicher gefunden wurde, der eine Waffe trug oder

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sich nicht legitimiren konnte und gestehen mußte, unter der Revolutionsarmee gedient zu haben, war der Prozeß ein kurzer. Die Trommel auf die Erde, der Fuß des Schnellgalgens in das rasch gegrabene Loch und zehn Minuten darauf zappelte das Opfer an dem verhängnißvollen Haken. Die Gewohnheit verthiert und zuletzt überhoben sich diese Executionspatrouillen auch der letzten Spur eines gerichtlichen Verfahrens.

Schrecklich beging der Feldzeugmeister den Jahrestag der Ermordung seines Freundes Latour, den 6. Oktober.

Auf seinen Befehl wurden an diesem Tage die Urtheile vollzogen, welche die Kriegsgerichte in Pesth und Arad über die in seine Hände gefallenen oder von Görgey und den Russen treulos ihm ausgelieferten Führern der Revolutionsarmee gefällt hatten.

In Arad allein endeten an diesem schauervollen Tage am Galgen:

Graf Karl Vécsey, 42 Jahr alt, Ludwig Aulich, 54 Jahr, Ignatz Török, 54 Jahr, Georg Lahner, 53 Jahr, Ernst Pöltenberg von Polt, 35 Jahr, Joseph von Nagy Sándor, Karl Knécizs, 41 Jahr, Karl Graf Leiningen, 30 Jahre, Johann Damjanics, 45 Jahre, Ernst Kiß, 49 Jahre, Aristid von Dessewsffy, 47 Jahr. Wilhelm Lázár, 34 Jahre, und Joseph Schweidel, 53 Jahre, wurden erschossen.

Sie Alle waren ungarische Generale und hatten vorher in der österreichischen Armee als Offiziere verschiedener Grade gedient. In mehr als einer Schlacht hatten sie sich ausgezeichnet. Sechs von ihnen hatten zum

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Generalstab Görgey's gehört, Männer, die seinen Ruhm begründet, seine Werke in Ausführung gebracht, für ihn gekämpft hatten, und die er treulos verrathen, um das eigene Leben zu retten.

Alle waren im Morgen-Negligee, als sie zum Tode gingen, Lahner ausgenommen, der in Generalsuniform mit den ungarischen Orden decorirt, erschien. Er trat ruhig und kaltblütig vor, den schrecklichen Reigen zu eröffnen.

Damjanics blieb der Letzte. Als er unter den Galgen hinkte, rief er aus: »Wunderbar, sonst war ich doch immer der Erste!«

So starben sie! -

Der große Holzhof in Pesth sah an dem Abend ein trauriges Schauspiel.

Ludwig Graf Batthyányi, der Präsident des unabhängigen Ministeriums, ein Mann von großem Verdienst um die österreichische Sache, ein langjähriger Freund des Erzherzog Stephan, nur kurze Zeit selbst auf dem Kampfplatz thätig und Führer der Deputation des Reichstags, die Anfang Januar 1849 auf seinen Betrieb an den nahenden Fürsten Windischgrätz gesandt worden, eine letzte friedliche Ausgleichung zu versuchen, war nach dem Einzug der Oesterreicher in Pesth am 8. Januar 1849 in der Wohnung seiner Schwägerin, der Gräfin Karolyi, verhaftet worden.

Er wurde nach Ofen, dann nach Olmütz, Laibach, endlich im August 1849 wieder nach Pesth gebracht.

Niemand dachte an das Schicksal, das ihn erwartete.

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Aber ihm war nicht vergessen, daß er in übermüthiger Stunde auf einem Hofball den schönen Banus von Croatien den Schürzenhelden genannt hatte.

Am 5. Oktober ward er durch Spruch des Kriegsgerichts zum Tode durch den Strang verurtheilt.

Eine Dame steckte ihm am Abend, als sie ihn in dem Gefängniß besuchte, einen kleinen Dolch zu.

Mit diesem brachte der Graf sich während der Nacht mehrere Wunden am Halse bei, um nicht durch Henkershand zu sterben. Die Eskorte, die ihn zum Galgen abzuholen kam, fand ihn in seinem Blut, und der Profoß weigerte sich - wie bei seinem Neffen in Temesvár, - auf alten Brauch und Henkersrecht sich stützend, das Urtheil an einem kranken Mann zu vollstrecken.

Der Befehl lautete aber bestimmt.

Die Kunst der Aerzte verband seine Wunden. Geschwächt durch Blutverlust betrat der Graf bei Sonnenuntergang auf den Arm des Geistlichen gestützt, die Richtstätte, wo er heimlich durch Pulver und Blei vom Leben zum Tode gebracht werden sollte.

Er war in schwarzer Kleidung, im Atila, eine lichtblaue Mütze auf dem Kopf. Das kahle Haupt, der große, schon in's Graue spielende Bart, verliehen dem blassen, antik edlen Gesicht einen erhabenen Ausdruck.

Man stellte ihn gegen einen Holzstoß.

Der leise Ansruf: »Allez, allez Jäger!« ... die Büchsen knallten - ein edles Leben hatte geendet.

Erst den todten Körper hing man am Galgen auf und zeigte ihn so öffentlich dem scheuen Volke.

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Der Befehl von Olmütz lautete, daß der freche Spötter am Galgen enden müsse! -


Noch heute zeigt man in Pesth auf dem großen Holzhof heiml[i]ch dem Fremden und dem trauernden Freunde des Ungarlands die Stelle, wo die Sägespähne edles Blut getrunken. Auf dem Josephkirchhof liegt er begraben. -

Beuge Dich, Ungarland!

Meinen Helm! mein Schwert!

Es war gegen zehn Uhr Abends - Dienstag den 5. November im Jahre 1850. Durch die Berliner Linden vom Thiergarten her peitschte der Herbstwind und fegte die wenigen gelben trockenen Blätter von den Bäumen, die der Sommerstaub, das Gas und der Dunstkreis der großen Stadt etwa noch an den Zweigen gelassen.

Es war eine merkwürdig zerfahrene Zeit außen wie im Innern - die Spannung der Gemüther eine große, denn Niemand von dem an Schöpfungen des Herzens und Idealen des besten Willens hängenden König bis zum Handwerksmann herab, der für des Schicksal der Seinen, mehr als für alle deutsche Reichsunion besorgt war, wenn diese ihn zu der Landwehr-Mobilmachung rufen sollte, wußte eigentlich, woran er war. Preußen, das mit der Revolution so tapfer gebrochen, beschützte sie - selbst gegen den Bundestagsbeschluß im Geheimen - in Schleswig! - das die Demokratie in Baden niedergetreten und in Dresden zu Boden geworfen, das in Breslau, Schweidnitz,

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Elberfeld, Iserlohn und Düsseldorf den kläglichen Versuchen für Aufrechthaltung der Paulskirchen-Beschlüsse mit ernster Waffengewalt entgegen getreten war, dasselbe Preußen stellte seine Soldaten in Hessen für sie in's Feld. Die große Idee der deutschen Einheit, die das Volk gehabt, und der von den Intriguanten der republikanischen Propaganda leider die rothe Jacobinermütze über das behelmte Haupt gezogen worden, sie fand einen ungenügenden Nachhall in dem monarchischen Versuch der Union, an deren Horizont bereits die Schmach von Olmütz lauerte. Erhabene Gedanken fanden unpraktische Vollstrecker, man wollte Thürme bauen auf Schollen, die noch von den Zuckungen des politischen Erdbebens erzitterten - es war eine Uebergangszeit voll falscher Träume, falscher Mittel und bitterer Erfahrungen!

Wie im äußeren politischen Leben, so auch im innern.

Die conservative Regierung hatte noch nicht recht festen Halt gewonnen und traute sich selber nicht, darum ein Haschen nach Uebertritten und ein Kokettiren nach Popularität, die man hätte verachten sollen; denn die wahre schließt sich nur an energisches Handeln, nicht an Excursionen in Schluder'sche Bierstuben. Der Parteienhaß war noch in voller Kraft, aber die niedrige Heuchelei, das Hoflieferantenthum und die gemästete Lüge bei Bürgern und Beamten von oben herab gefördert, - nur selten der Muth der Consequenz. Subjecte, die am 18. März sich verkrochen oder mit der Revolution fraternisirt, jetzt [groß]großmäulig überall voran, Treubundsovationen und ekle Parforcejagden nach einem Bemerktwerden bei Hofe in

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patriotischen Demonstrationen und Lotterieen bei Kroll! Zank überall in der Presse vom Barmherzigkeitsdolch des Zuschauers in den »März-Reminiscenzen« bis zur Leierkastensaalbaderei der Haym'schen Konstitutionellen Zeitung! Erfurter Schwindel, reaktionaire Unduldsamkeit, strenge Zurückgezogenheit der bewußten Demokratie und Gothaer Phantasterei - wenig Ehrlichkeit und schlaffe tiefgesunkene Moralität, so war der Sommer und Herbst des Jahres gewesen, das zum zweiten Mal den Schandfleck des versuchten Königsmordes auf die Blätter der preußischen Geschichte geworfen.

Aus der Zeit der Freiheit und Volkssouveränität ragte noch so manches Zuchtlose herüber in den öffentlichen Verkehr; - die eiserne Polizeiherrschaft Hinkeldey's hatte noch genug mit den politischen Operationen und den lächerlichen Büchsenverschwörungen und Handgranaten zu schaffen, während man das wirklich Gefährliche mit einigen mehr revolutionair als juristisch gehandhabten Prozessen und collegialischen Desaveu's zu schrecken suchte. Sie hatte noch nicht Zeit gehabt, mit dem jämmerlich städtischen Lösch- und Straßenreinigungswesen und den berliner Biermamsells sich zu beschäftigen und die Polkawirthschaft stand noch in voller Blüthe. Schaamlose Weibsstücke tanzten von Mitternacht ab halb oder ganz nackend auf den Tischen zwischen den Bierseideln der jubelnden Gäste Cachucha, oder übertrieben hundert Schritt vom Centralsitz der Polizei das altenburger Kostüm bis zu einer so schmutzigen Wirklichkeit, daß die ehemalige Jacobiner Göttin der Vernunft dagegen noch den Vorzug des sanitätspolizeilichen

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Idealismus besaß. Man hatte eben in der preußischen Hauptstadt zu viel noch in deutscher Politik zu machen, um sich um deutsche Sitte und Anstand bekümmern zu können, oder wollte dem vornehmen und niedern Pöbel nicht allzurasch alle Errungenschaften beschneiden. -


Von den Linden her kamen zwei Männer, in ihre Mäntel gehüllt, das Trottoir der Wilhelmstraße entlang; der eine größere, von hagerer Gestalt, trug einen kleinen Reisesack unter dem Mantel in der Hand, der andere, kleiner und beleibt, bewegte sich sehr behaglich und kommod neben ihm.

Die Straße war dicht mit Stroh belegt, von dem Eingang der Behrenstraße bis zum Palais Radziwill, auch schienen die Wagen absichtlich diesen Weg zu vermeiden, nur zwei Doktorwagen an ihrem ungleichen Gespann und dem tiefen Kasten kenntlich, hielten vor dem Gebäude des Staatsministeriums, dessen Front im ersten Stock nur einige matt hinter den Gardinen erleuchtete Fenster zeigte.

»Wie geht es ihm?« frug er. »Ich war heute dort, im Auftrag Monsignores, aber ein neues Bulletin noch nicht ausgelegt.«

Der Kleine zuckte die Achseln. »Schlecht genug - die Pillen, die sie ihm in Warschau zu verschlucken gegeben, und die er für die Fehler der Andern hinnehmen mußte, waren zu stark. Der Preußenstolz ist in ihm auf das Schwerste verletzt. Das Gehirnfieber ist wieder gekehrt und die lichten Augenblicke sollen nur selten sein.«

»Und wie hat der König es aufgenommen?«

Jener wies nach den Laternen einer Equipage, die

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rasch von der Leipziger-Straße daher kam und an ihnen vorbeieilte. »Es ist Herr von Gerlach,« sagte er. »Der König hat ihn gesandt um noch mit dem letzten Zuge Nachrichten zu erhalten. Sie können in seiner Gesellschaft fahren.«

Der Größere blieb noch ein Mal stehen und sah zurück. »Es sollte mir leid thun, wenn er sterben müßte. Ich höre, er ist alsbald nach dem Ministerrath am Sonnabend erkrankt.«

»Die Sendung war nicht viel besser wie ein Mord, auch Rauch ist ähnlich gestorben. Der Graf brachte offenbar die Galle mit sich zurück, von der das ärztliche Bulletin spricht. Ich habe kein besonderes Faible für ihn, aber für einen Mann wie er, ehrlich, kühn, ein Preuße bis in die Fußspitzen und das königliche Blut in den Adern muß es entsetzlich gewesen sein, sich von Schwarzenberg coramiren zu lassen und die Thorheit eines Andern mit der eigenen Demüthigung vor der russischen Diktatur zu erkaufen.«

Sie waren an der Ecke des Platzes, der Sprecher wies nach dem Palais, das sie bildet.

»Der Prinz hat sich von Warschau mit nach Petersburg begeben,« fuhr er fort. »Die verwand[t]schaftliche Einladung ist ein Pflaster auf die bittere Wunde der Politik, aber es kann den Schaden so wenig decken, wie die moderirte Note, die heute Herr v. Budberg übergeben, die Sprache ihrer Vorgängerin.«

Der Andere blieb wieder stehen. »Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit, bis ich auf dem Bahnhof sein muß,« sagte er - »und Sie wissen, daß ich erst einen Tag vor der Abreise Monsignores von Breslau aus Galizien

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zu ihm gestoßen bin. Auch gestehe ich offen, daß ich mich mehr mit den politischen Verhältnissen des Südens beschäftigt habe, als mit Deutschland, und heute über andere Interessen des Ordens, namentlich wegen jener beiden Kinder - der Erbin des südamerikanischen Vermächtnisses und des Judenknaben von Bologna mit Ihnen zu sprechen hatte. Aber es ist nöthig, daß ich wenigstens im Allgemeinen über die augenblicklichen politischen Verhältnisse unterrichtet bin, wenn man in Rom Erläuterungen zu Ihren Berichten verlangt.«

Der Kleine blieb an einer der Banken stehen, die an der Statue des alten Dessauers sich befinden. »Lassen Sie uns eine Viertelstunde hier niedersetzen Fra Antonio,« sagte er. »Es scheint meine Bestimmung, daß ich Ihnen stets einige politische Erläuterungen geben soll, wenn Sie aus den Urwäldern zurückkommen, damals in Hamburg aus den Dschungeln der Havannah - jetzt aus den galizischen Bergen, wo die würdigen Naturkinder unter Ihrer Führung eine kleine reactionaire Razzia unter dem liberalen Adel gehalten haben.«

»Ich erinnere mich - es war am Abend des großen Brandes, den Sie ...«

»Silentio Senjor Antonio! die Sache ist zwar vorüber und hier in Preußen hat man wenig Ursache, mit dem Dank der Herren Hansestädter für die Hilfe zufrieden zu sein, die man ihnen damals erwiesen, aber es ist unnöthig, von vergangenen Dingen zu reden. Die Herren in der City von London haben nur kurze Zeit davon profitirt. Aber um auf Ihren Wunsch zurückzukommen, so

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kann ich Ihnen einen ungenirten Rapport geben, da wir ungehört hier sind, denn Niemand, der etwa vorüberkommt, versteht unser Spanisch.«

Der Andere hatte die Reisetasche neben sich auf die Bank gelegt und die Stellung eines aufmerksamen Hörers angenommen.

»Dem steinernen Herrn da neben uns,« fuhr der Dicke fort, »würde die Geschichte zwar freilich wenig behagen, wenn er uns hören könnte, zum Glück lebt aber auch sein Schüler von Mollwitz nicht mehr, der unserm lieben Oesterreich anders in Warschau hätte antworten lassen. Sie kennen die Verhältnisse bis zu der Frankfurter Revolte?«

Der Spanier nickte. »Sie wissen, daß der Zufall mich an jenem Tag als Beichtiger an ein Sterbebett führte.«

»Bien! - daß Se. Majestät der König von Preußen die von dem liberalen Parlament ihm angebotene deutsche Kaiserkrone zurückwies, so lange nicht die deutschen Fürsten sich mit der Frankfurter Verfassung einverstanden erklärt, werden Sie selbst in den galizischen Urwäldern gehört haben. Wäre der König damals weniger gewissenhaft gewesen, Oesterreich hätte wenig dagegen haben können, denn es war in Italien und Ungarn engagirt und Preußen hatte die Leitung in Deutschland in der Hand. Auch den österreichischen Vorschlag der Theilung in Nord- und Süddeutschland und später die Tripeltheilung hatte er zurückgewiesen wegen der revolutionairen Grundlagen des Projects, und das vergißt ihm so leicht Oesterreich nicht, das gern seine Macht vergrößert und im Trüben fischt. Aber es war sehr natürlich, daß eine Idee, wie die der deutschen

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Einheit, nicht spurlos an einem Geiste wie der König Friedrich Wilhelms IV. vorübergehen konnte. Nur verträgt sich der ehrliche Mann mit dem Idealismus in ihm nicht. Was der revolutionaire Weg nicht zu Stande bringen durfte, das versuchte er auf dem der Fürstenverständigung, und da der alte Frankfurter Bundestag nach preußischer Meinung vollständig aufgelöst ist, hat der König eine Union der deutschen Fürsten mit einem Parlament der deutschen Staaten vorerst unter Ausschluß Oesterreichs versucht, die gemeinsam das künftige Deutschland feststellen sollten. Aber Württemberg, Bayern und Oesterreich wollten Nichts davon wissen und erklärten die alte Bundesverfassung für noch zu Recht bestehend. Die Idee, für welche der Minister von Radowitz, ein erklärter Gegner Oesterreichs, den Könige gewonnen, fiel kläglich mit dem Erfurter Parlament in's Wasser, die Bundesgenossen Sachsen und Hannover - Gott schütze jeden Menschen vor guten Freunden! - fielen ab, und Preußen mußte auf den Rückzug mit seinen deutschen Unionsplänen denken. Die Fürsten wollen nun einmal keine Union, was ich ihnen gar nicht verdenken kann, weil in dieser der Große den Kleinen aufspeist, und die Völker haben nicht das Zeug dazu. Dazu ist der Deutsche viel zu engherzig. Erst wenn der Stahl ihn lange genug geschlagen, sprüht der Stein Funken. Was uns oder vielmehr die katholische Kirche betrifft, so haben wir auch keine Ursach, uns für eine Union zu echauffiren.«

»Das ist richtig - der Liberalismus ist der natürliche Verbündete der Ketzerei. Ich bin diesem allgemeinen Gang

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der deutschen Geschichte der letzten zwei Jahre genügend gefolgt, aber der Zusammenhang mit den gegenwärtigen Ereignissen ist mir noch nicht klar.«

»Das ist bloß die Gelegenheit zum Austrag Senjor Antonio. Der König meint es wirklich ehrlich mit dem Constitutionalismus und hat das Faible, die Segnung der konstitutionellen Errungenschaften auch andern deutschen Staaten sichern zu wollen, z. B. die hessische Verfassung von 1838, die noch unterm alten Bundestag mit Preußens Hilfe zu Stande gekommen und von ihm garantirt worden ist. Der Kurfürst aber ist anderer Meinung gewesen und hat die Gelegenheit wahrgenommen, mit der Revolution auch die Constitution sich vom Halse zu schaffen. Das hat denn viel Verwirrung im Lande gegeben und die Beamten und selbst die Offiziere protestiren, obschon es dem Volk ziemlich egal ist, ob es unter der Souveränität oder der Constitution Steuern zahlt. Da der Bundestag aufgelöst ist, hat die preußische Regierung geglaubt, sich populair machen zu müssen, indem sie den Schutz der Verfassung, oder vielmehr der obstinaten Beamten und Offiziere übernommen hat, und Executionstruppen in Cassel einrücken ließ.«

»Und Oesterreich?«

»Oesterreich, Bayern und Württemberg mit seinem Anhang nehmen die Gelegenheit war, der verhaßten Großmacht im Norden ein Bein unterzuschlagen. Die Politik Schwarzenberg leugnet, daß der Bundestag aufgehört habe zu existiren. Man hat ihn auf's Neue berufen und Beschlüsse gefaßt, während Preußen die Rechtsbeständigkeit

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und damit thörichter Weise seine Theilnahme verweigerte. So bat der Bundestag beschlossen, Schleswig-Holstein mit Gewalt zu pacificiren und Oesterreich und Sachsen die Execution übertragen, das heißt, Preußen hinaus zu werfen, wenn es nicht gutwillig die Holsteiner im Stich läßt. Die Pille ist bitter, aber sie hätte sich allenfalls noch verschlucken lassen, obschon sie den König einen seiner entschlossensten Freunde, den Eisenkopf Rauch gekostet hat. Die Mission nach Petersburg und Kopenhagen hat ihm Etwas eingebracht, den Tod! man kann also nicht mehr sagen: travailler pour le roi de Prusse! Aber die Erinnerung in Wien, daß Preußen ein halbes Jahr Souverainin Deutschland gespielt, soll ihm noch ganz andere Kränkungen bereiten. Während der eigensinnige Kurfürst von Hessen gegen die preußische Execution einen Protest über den andern erläßt, hat der Bundestag die Execution an Bayern und Oesterreich übertragen und Preußen auch hier desavouirt. Man verlangt von ihm, sich den Bundestagstruppen zu fügen und Preußen verweigert die Anerkennung dieser Beschlüsse und will nicht weichen.«

»Muy bien - so mögen sie sich darum schlagen!«

»Dazu wird es auch kommen, wenn Preußen nicht nachgiebt, denn fast alle seine Bundesgenossen haben sich zurückgezogen. Der Kaiser Nicolaus hat sich in diesem Streit zum Schiedsrichter aufgeworfen. Er hat Oesterreich und Preußen vor sich nach Warschau geladen und will mit Gewalt die heilige Alliance aufrecht erhalten. Oesterreich, seines Triumphes gewiß, hat sich in der Person des Kaisers und des Fürsten Schwarzenberg eingestellt - der König

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aber traute dem Landfrieden nicht und darum hat man den Minister-Präsidenten Grafen Brandenburg geschickt. Die Oesterreicher haben ihn schlecht behandelt und der Kaiser dazu. Der Graf vertheidigte die Politik Radowitz nicht, aber er wollte die preußische Soldatenehre wahren. Kaiser Nicolaus hat als Ultimatum erklärt, daß er den Krieg in Deutschland nicht dulden und daß er gegen den marschiren werde, der ihn begönne. Damit hat man den Grafen nach Hause geschickt und jetzt erstickt er an seiner Galle.«

»Aber wie reimt sich der Rücktritt des Minister Radowitz mit der beabsichtigten Mobilmachung? Auf der einen Seite das Aufgeben der anti-österreichischen Politik, auf der andern die Vorbereitung zum kräftigen Widerstand?«

»Bah - eine Komödie, die nur für die Menge berechnet ist. Um der sogenannten militairischen Ehre willen will man zeigen, daß man zum Widerstand fähig und bereit ist, und das ist - unter uns, eine Lüge; denn ehe nach den Vernachlässigungen des langen Friedens und bei den jetzigen Einrichtungen die Mobilmachung zur Hälfte fertig sein kann, wären die Oesterreicher von Böhmen herauf längst in Berlin. Man wird vielleicht ein Bischen plänkeln, Graf Groben steht in diesem Augenblick in Fulda den Bayern und Oesterreichern gegenüber, und dann wird die Diplomatie sich dazwischen legen und die armen Soldaten sehr friedfertig eine Position nach der andern räumen lassen, bis zuletzt Nichts mehr zu räumen ist. Man spricht bereits von neuen Konferenzen in Olmütz oder Dresden.

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Preußen ist in diesem Augenblick nicht im Stande, den Krieg zu führen; denn England, auf das man dabei gerechnet, erklärt, nur mit Noten und Anleihen Beistand leisten zu können, da die Heydt'sche Schutzzoll-Politik es vor den Kopf gestoßen hat.«

»Aber Frankreich?«

»Die constitutionelle Republik liegt im Kreisen. Der Prinz-Präsident ist ein schlauer Fuchs und geht mit großen Plänen um. Er würde jeden Zwist benutzen.«

Der Spanier hatte einige Augenblicke nachgedacht. »Ich danke Ihnen Senjor und bin jetzt vollkommen unterrichtet. Ein vereintes Deutschland unter preußischem Scepter würde für uns ein großes Unglück sein - wir haben die deutschen Kaiser zur Genüge in Italien gehabt. Was die russische Einmischung betrifft, so bin ich der Meinung, daß Oesterreich sich sehr bald von allem Dank emancipiren wird!«

Der Dicke nickte lächelnd.

»Die Förderung seiner Interessen liegt hier in guten Händen. Preußen ist zu gefährlich durch seinen Rationalismus, als daß man nicht Alles daran setzen müßte, sein Geschick immer in der Hand zu behalten, um, wenn es sich gegen die Kirche auflehnen sollte, ihm ein Ende zu machen. Indem der öffentliche Führer der revolutionairen Partei der Unsere und das Werkzeug der Congregation ist, wird es leicht, der Regierung jede Schwierigkeit zu bereiten, die sie auf die Unterstützung der katholischen Partei verweist. Die Annexation der katholischen Hohenzollern ist ein wichtiger Schritt vorwärts. Jetzt noch einmal zu

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unseren persönlichen Angelegenheiten. Von der zweiten Frau des Fürsten sind also keine Ansprüche mehr zu fürchten?«

»Sie ist in Mecklenburg verheirathet. Das Geheimniß ist vollständig gewahrt und das Kind mit 20,000 Thlr. abgefunden.«

»Aber wenn nun plötzlich ein anderer Erbe aus einer früheren Verbindung, etwa ein Sohn aufträte, Senjor Boltmann?«

Der Kommissionsrath warf dem Verbündeten einen raschen scharfen Blick zu. »Verbindungen hat der Fürst genug gehabt, aber es sollte schwer werden, zu beweisen, daß eine legitime darunter war. Das ist ein Feld, auf das wir uns nicht einlassen dürfen. Das Testament des Fürsten lautet bestimmt und Sie wissen, daß eine hier und in Wien sehr einflußreiche Dame, die wir nicht vor den Kopf stoßen dürfen, sofort den Kampf aufnehmen würde. Die Verhältnisse nützen uns mehr, so wie sie sind.«

»Es war auch nur der hingeworfene Gedanke, da ich in Spanien zufällig von einem Verhältniß gehört. Ihre Entdeckung verspricht jedenfalls mehr Erfolg, wenn das Kind am Leben bleibt.«

»Es ist der besten Sorge übergeben!«

»Und die Mutter?«

»Hätten Sie Zeit Fra Antonio, so würde ich sie Ihnen zeigen, sie befindet sich keine dreihundert Schritt von hier, aber sie hat den Satan im Leib und man muß sich vor ihr in Acht nehmen. Sie ist ganz toll geworden über den Tod des Kindes, den die Berenburg so geschickt untergeschoben, als dasselbe verschwunden war. Hätte sie eine

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Ahnung von dem Leben des Kindes, sie würde es mit dem Messer in der Hand aus jedem Versteck holen. Sie darf nicht eher davon wissen, als bis wir unserer Sache sicher sind. Aber ich lasse sie nicht aus den Augen.«

»Eine halbe Million! Der Orden kann sie brauchen. Lassen Sie uns gehen - es wird Zeit.«

Sie hatten sich erhoben und gingen nach der Leipziger Straße. An der Ecke derselben begegnete ihnen ein Menschenstrom, der Zug vom Rhein war kurz vorher eingetroffen und die Passagiere zogen noch immer zu Fuß und in Droschken nach der Stadt. Am Thor, das grade durch mehre der letztem gesperrt war, traf der Kommissionsrath auf einen Bekannten, der mit einem großen stattlichen Herrn einen Augenblick stehen geblieben war, um die Innsitzenden einer haltenden Droschke zu mustern.

»Sieh da, Doktor - kommen Sie von Potsdam?«

»Ich war einen Augenblick noch in der Redaktion um zu hören, ob Depeschen vom »Kriegsschauplatz« eingegangen. Bei Bronzell soll heute Morgen ein Zusammenstoß der preußischen und bayrischen Vorposten stattgefunden haben und die Mobilmachung ist unvermeidlich.«

Der Commissionsrath schien Lust zu haben, von dem Journalisten Näheres über die Neuigkeiten zu erfahren. »Wo gehen Sie hin Doktor?«

Der Andere lachte. »Davon spricht man eigentlich nicht gern. Aber Ihnen kann man schon trauen und darum sollen Sie wissen, daß mein Begleiter große Lust hat, aus purem Amtseifer, denn er ist ein Kollege Hinkeldey's, eine unserer berüchtigten Polkakneipen zu inspiciren. Da Sie

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Alles kennen in Berlin, werden Sie uns auch sagen können, welche sich der Mühe lohnt.«

Die Sprechenden waren auf die Stufen der Steuerwache getreten, die Droschke, die der Journalist früher beobachtet, hatte längst ihr »Passirt« erhalten und einer andern Platz gemacht.

»Wenn Sie einen Augenblick auf mich warten wollen Doktorchen,« sagte der Dicke, »so führe ich Sie selbst. Es soll mir Vergnügen machen und wir verplaudern dann eine Stunde. Ich habe nur diesen Herrn hier zum Bahnhof zu bringen.«

Der Doktor nickte. »Das ist liebenswürdig von Ihnen, wir werden warten. Aber sputen Sie sich, denn der Zug geht sogleich ab.«

Der Spanier und der Kommissionsrath eilten zum Bahnhof, die beiden Zurückbleibenden schritten auf und nieder.

»Wer ist der Herr?« frug der Begleiter des Journalisten, ein großer stattlicher Mann von aristokratischem Ansehn.

»Wir hätten keine bessere Gesellschaft finden können liebster Präsident, als der Zufall uns hier in den Weg geworfen. Der Rath Bollmann[Boltmann], obschon erst seit einigen Jahren in Berlin, ist das Factotum der halben Stadt, verkehrt in allen Kreisen vom höchsten bis zum geringsten, und kennt die Chronique scandaleuse vom Hof bis in die geringsten Stände. Der Mann scheint einzig sein Geld darauf zu verwenden, Alles zu wissen. Wenn ich eine Auskunft über irgend eine Person, etwa die dunkle

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Vorgeschichte oder schwache Seite einer unserer Celebritäten in der Kammer, in der Justiz, in der demokratischen Agitation oder gar der lieben Polizei bedarf, wende ich mich nur an ihn.«

»Aber seine Stellung?«

»Er macht Kommissionsgeschäfte, selbst für den Hof, Geldvermittelungen und dergleichen; er hat für irgend einen der kleinen Staaten Anleihen negocirt oder Banken gegründet und daher seinen Titel.«

Der Besprochene ließ nicht lange auf sich warten. Er kam dicht hinter einer Droschke drein, die eben in's Thor fuhr und einen Augenblick an der Steuercontrolle hielt. Ein einzelner Herr saß darin. Der Wagen fuhr sogleich weiter.

Der Rath sah ihm nachdenklich nach. »Haben Sie gesehen wer es war?« frug er leise den Doktor.

»Eben so gut wie vorhin die linke Hand des Herrn von Manteuffel, den künftigen Hofbanquier! Der Herr Hofbanquier hatte gute Gesellschaft bei sich.«

»Ich hab' es gesehen, es war Anwuchs vom Ballet. Ich wette, daß er den Lieferungscontract für die Mobilmachung heute im Josty-Keller mit einem Souper feiert. Es wird ein hübsches Sümmchen für die beiden Schnorrer abfallen.«

»Sie sind neidisch würdigster Rath.«

»Pah - Sie täuschen sich - ich konnte meinen Antheil haben, aber ich bin jetzt anders beschäftigt, als für die preußische Armee Lieferungen zu besorgen. Ich ärgere mich nur, daß die Burschen ihr Souper allein halten und

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hätte große Lust, dem Einen das Vergnügen zu vergällen mit der kleinen Anecdote, daß die schönste Frau Israels mit einem Lichterzieher ihn zum Hahnrei macht.«

»Haben Sie nicht vielleicht auch eine kleine Schandgeschichte für den Andern in petto?«

»Da müssen Sie seine Haushälterin fragen. Es ist seit Ostern bereits die fünfte, und alle waren verteufelt hübsche Mädchen. Die vorletzte lief davon, weil sie das adamitische Kostüm, mit dem er sie zu empfangen pflegt, wenn er sie mit der Klingel in seine Arbeitsstube ruft, doch etwas zu paradiesisch, oder ihn vielmehr zu alt zum Apfelpflücken fand.«

»Pfui Kommissionsrath.«

»Es hat ein Jeder seine Schwächen. Ich möchte aber wohl wissen, was Herr von Manteuffel für ein Gesicht machen würde, wenn er von den geheimen Besuchen hörte, die sein Leibfinancier des Abends im französischen Gesandschaftshotel neben Hiltl abstattet.«

»Herr v. Manteuffel sollte Sie zum Chef seiner geheimen Polizei machen.«

»Er würde vielleicht dabei nicht so übel fahren. Er hat ein eigenes Talent, schofle Subjecte um sich zu dulden. Einige tüchtige Talente und gewandte Personen hat er allerdings zur Hand, wie die von vorhin, aber im Ganzen ist viel Gesindel da, das Nichts nutzt und ihn nur compromittirt. Ich habe einige Pröbchen in Erfurt erlebt.«

Sie waren weiter gegangen. Der Journalist wies mit dem Daumen auf ein Haus. »Haben Sie Nichts über Diesen zu sagen?«

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»Er ist ihnen Allen zu klug und wird noch eine Rolle spielen, wenn seine Zeit kommt. Sie haben doch die neue hübsche Anekdote gehört, wie man Portefeuille's rettet?«

»Bitte, erzählen Sie!«

»Die Frau eines bei einem Tumult am Rhein erschossenen Offiziers kommt in voriger Woche zu ihm, um seine Protection in Betreff der Pension zu bitten. Die junge Wittwe ist ein hübsches Weib und der huldvolle Protector glaubt in der Einsamkeit seines Audienzzimmers einen Angriff auf ihre Tugend riskiren zu können. Aber leider kommt er unrecht an, die untröstliche Wittwe droht ihm die Augen auszukratzen und auf der Stelle nach Sanssouci zu gehen, um sich bei Ihrer Majestät zu beschweren. Die Sache ist kitzlich, bei den moralischen Anschauungen, die man bei uns Allerhöchsten Orts hat - und guter Rath theuer. Es gilt also einen raschen Entschluß zu fassen und dies geschieht, indem sich der verunglückte Don Juan in den nächsten Bahnzug wirft und in Sanssouci melden läßt. »Ich komme,« sagt der kluge Politiker, »Eurer Majestät mein Amt zu Füßen zu legen, da ich mich dessen nicht mehr würdig fühle.« »Aber ich bitte Sie,« frägt der König, »was soll daß[das] heißen? was ist geschehen? ich kann Sie nicht missen!« »Der Teufel der Fleischeslust hat mich geblendet, Majestät, so und so, das und das ist mir passirt, ich war meiner nicht mehr Herr und komme nun selbst, mich zur Strafe aus Eurer Majestät Augen zu verbannen. Ich muß auf meiner wegen der politischen Verhältnisse eingegebenen Entlassung

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bestehen.« Sie kennen den König in seiner Gutmüthigkeit und Jovialität. »Die Sache ist allerdings sehr fatal,« soll er, wie mein Gewährsmann erzählt, gesagt haben, »aber wir sind allesammt Sünder und aufrichtige Reue ist die beste Sühne. Wegen einer solchen unzeitigen Galanterie kann ich keinen so tüchtigen Diener des Staates entbehren. Gehen Sie und überlassen die Sache mir. Unter der Bedingung, daß Sie Ihr Entlassungsgesuch zurücknehmen, will ich sie schon in Ordnung bringen.« Am andern Tage kommt eine Allerhöchste Dame sehr erbittert: »Denke Dir Fritz, der N. N.« »Ich weiß schon, ich weiß schon! laß mich zufrieden - hier ist die Ordre wegen der Pension und nun will ich von der Geschichte kein Wort mehr hören!« Drum sitzt seit drei Tagen unser Damenfreund fester wie zuvor.«

Die beiden Hörer lachten. »Die boshafte Geschichte haben Sie im Solde von Palmerston erfunden,« sagte der Journalist. »Aber wenn sie auch nicht wahr, so erzählen Sie doch vortrefflich.«

Man war auf den Wilhelmsplatz gekommen und ging schweigend an der Statue des Helden von Moys vorüber um das Rondeel. Um eine Cigarre anzuzünden, blieb man zufällig stehen. Plötzlich zog der Rath seine Begleiter noch mehr in den Schatten. »Still - keinen Laut!«

Von der andern Seite her kamen langsam, offenbar nur im Auf- und Niedergehen begriffen, im halblauten Gespräch zwei Männer. Die Aufmerksamkeit, die sie darauf verwendeten, und das Rollen der Wagen auf der nahen Straße, die damals noch jener wunderbaren Erfindung der

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zwei Fontanellen für die städtische Pflasterkasse entbehrte, welche gegenwärtig das Nachdenken der preußischen Politik in der Wilhelmstraße fördern helfen, ließen sie die Gegenwart anderer Personen auf der entgegengesetzten Seite des blätterlosen Bosquets nicht bemerken, das diesen erlaubte, die Nahenden zu beobachten und ihre Worte zu verstehen.

Jene waren beide unter Mittelgröße, der eine noch kleiner als der andere. Sein etwas markirter Ton, obschon vorsichtig gedämpft, war deutlich hörbar; er bewies offenbar seinem Begleiter besondere Achtung, der ihn vertraulich obenhin behandelte.

»Sie sind also gewiß, ihn erkannt zu haben?« frug eine breite Stimme.

»Ich folgte ihm vom Bahnhof bis zum Hôtel - zwei Minuten vorher, ehe ich Euer Excellenz begegnete.«

»Und woher schließen Sie, daß er wirklich in dieser kurzen Zeit in Paris gewesen? Er kann eben so gut nach Potsdam gefahren sein.«

»Ich sah, wie er einem Passagier aus der dritten Klasse, der sich beim Aussteigen in seine Nähe drängte, offenbar sein Diener, einen Wink gab. Der Bursche ließ sich am Gepäckraum eine Reisetasche geben, auf der ich noch die Marke »Paris« im Fluge sah, die man abzunehmen vergessen. Der Diener ging zu Fuß fort, und Herr v. Persigny stieg am Palais des Prinzen Carl aus der Droschke.«

»Vielleicht ein neuer Theilungsplan,« sagte der andere spöttisch. »Ich werde diesen Herrn Vialin an Bismark empfehlen müssen, er schießt vortrefflich und hat ihn

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neulich bei der Soirée des Fürsten auf den Fuß getreten, worauf der Franzose sich noch höflich entschuldigte.«

»Herr v. Bismark scheint ein besonderer Gegner des Napoleonismus.«

»Für jetzt ja - indeß die Ansichten wechseln! Er hat noch nicht mit den Oesterreichern zu thun gehabt. Herr von Prokesch ...«

Der Journalist hustete stark und machte eine Bewegung, weiter zu gehen.

»Still!« flüsterte auf der andern Seite des Bosquets der Zweite - »dort kommen Leute!« Die Nahenden schwiegen und wandten sich in den Seitenweg nach der Straße - die ersten Drei setzten rasch ihren Weg fort.

»Der Henker hole Ihren Husten,« rief der Dicke, als sie weit genug entfernt waren, um nicht gehört zu werden. »Konnten Sie ihn denn nicht unterdrücken?«

»Ich fand es nicht nöthig, daß Sie vielleicht Dinge hörten, die nicht für unsere Ohren bestimmt waren,« lautete ziemlich rauh die Antwort. »Es ist vollständig genug, daß Sie alle Privatklatschereien und Scandalgeschichten der Stadt wissen. Haben Sie den Kleinen erkannt?«

»So gut wie am Thor. Ich sagte Ihnen bereits, daß ich ihn für den gewandtesten Agenten des Ministers halte. Man hat sich direct in Warschau seine Anwesenheit verbeten.«

»Kaiser Nicolaus erinnerte sich wahrscheinlich an Herrn Wedeke und wollte die Kamine in Lazienka nicht verderben.«

»Was meinen Sie damit?« frug der Präsident.

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»Je nun, die Geschichte ist doch bekannt genug. Der neugierige Hofrath wollte ein Mal in irgend wessen Auftrag oder aus eigener Wißbegier einer Unterredung des Kaisers beiwohnen, als dieser im hiesigen Schloß logirte, und versteckte sich in den Schlot des Kamins. Aber gleich beim Beginn der Unterredung kam der Ruß dem armen Politiker in die Kehle und er polterte den Kamin herunter zum höchsten Erstaunen Seiner moskowitischen Majestät, die ihn anfangs erstechen wollte, zuletzt aber, nachdem er allerlei gebeichtet und verrathen, durch einen Leibkosaken mit einer tüchtigen Dosis Kantschuh und dem Versprechen die Treppe hinunter werfen ließ, daß er zu Tode geknutet werden würde, wenn er noch ein Mal ihm unter die Augen zu treten wage.«

Der Journalist lachte. »Der Andere ist klüger, dafür wird er auch nicht in's Exil nach der Schweiz gehen, sondern sich bei Zeiten irgend eine Residentur oder ein General-Konsulat sichern. Geschwind, Kommissionsräthchen, noch eine Anekdote, denn wir sind gleich an Ort und Stelle.«

»Ich wüßte Nichts, als daß Grafen Redern gestern ein höchst merkwürdiges Diner gegeben hat.«

»Wie so merkwürdig?«

»Durch den wilden Schweinskopf, der dabei auf der Tafel paradirte. Der Eber war aus den Lonker Forsten des Grafen und wog 400 Pfund.«

»War die Rarität zum Ansehen oder zum Essen?«

»Da sehen Sie, was Sie selber boshaft sind, während Sie mir es immer zuschieben. Es soll Alles so vollständig

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bei dem Diner gewesen sein, daß wirklich Alle satt geworden sind!«

»Dann haben sie mehr Glück gehabt, als die armen Prinzessinnen, wie sie sich neulich zum Tanzen anmelden ließen,« sagte der Journalist trocken. »Der Pariser Keller kann also wieder geschlossen werden!«

Der lange Präsident hatte nicht ohne ein stilles Mißbehagen die scharfe Plänkelei der beiden Plebejer angehört, aber er hütete sich, ein Wort einzuschieben, obschon seine aristokratischen und büreaukratischen Gefühle arg verletzt wurden. So war man zum Eingang der berüchtigten Polkakneipe gekommen. Es war ein kleines Haus zu Anfang der Mohrenstraße, der offene Hausgang winkte dunkel zum heimlichen Eintritt - die Fensterläden des Parterres waren geschlossen.

Ein dumpfes Summen untermischt mit Tönen hellen Gelächters und schreiender Saiten drang zuweilen aus dieser Höhle des Vergnügens nach Außen.

»Nun wie ist's - wollen wir?« frug der Dicke mit dem Fal[l]staffgesicht und den Mephistoaugen.

»Vorwärts - gehen Sie voran! Jedem das Seine!«

Die Thür öffnete sich und sie traten ein.

Ein lange Halle aus mehreren in Wandbogen durchbrochenen Zimmern streckte sich vor ihnen von der Straßenfront weit in das Hintergebäude, ziemlich spärlich beleuchtet in dem dicken Tabaksqualm und dem Broden[Brodem] von allerlei Getränken und Speisen, der dem langen Raum erfüllte und wie eine Wolke an der niedern Decke lag. Der Raum an den Straßenfenstern schien durch ein stillschweigendes

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Uebereinkommen frei gelassen, und nur für Falle der Ueberfüllung des Lokals aufgespart. Er war noch dunkler als die andern Theile und nur zwei Männer sah man dort mit ihren Seideln an einem Tisch.

Gegenüber der Thür befand sich das Büffet, ein breiter Holztisch mit Zinkplatte, darauf eine Punschmaschine mit loderndem Spiritusfeuer, - auf der andern Seite ein Aequivalent zu Glühwein, an der Hinterwand eine lange Garnitur von farbigen Liqueurflaschen, darunter das frisch angestochene Achtel, aus dem der Wirth-Ganymed der Kneipe unaufhörlich die durstenden Kehlen mit jenem abscheulichen Getränk versah, das unter dem Namen Bairisch gleich den pariser Moden, dem französischen Socialismus und der Judenemancipation jetzt ganz Deutschland überfluthet.

In wahrhaft majestätischem fleischigem Cynismus thronte die Wirthin hinter diesem Büffet, nahm das Geld ein, lächelte den Lieblingsgästen zu und conversirte mit den Nymphen der Halle.

Obschon diese nichts weniger als eine Aehnlichkeit mit der freien Atmosphäre der tyroler Berge hatte - es müßten denn die bunten Phantasieen eines angehenden berliner Anstreichers in Felsen, Klüften, furchtbaren Hängebrücken und Gletschern mit elephantengroßen Gemsen darauf, mit denen die Wände bedeckt waren, diesen Anspruch ertheilt haben, - erschienen die fünf Polkanymphen, welche die Bedienung des Lokals bildeten, doch in der Tracht von Tyrolerinnen mit übermäßig kurzen schwarzen oder rothen

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Röcken, beketteter Jacke, bunten Strümpfen und grünem Berghut. Nur die Gesichter zeigten nicht die kräftige frische Rundung und gesunde Farbe der Alpenmädchen; - meist hübsch, oder mit den unverkennbaren Spuren früherer Schönheit, trugen sie das Gepräge der tiefsten Abspannung, die Falten der Liederlichkeit und Ausschweifung um Nase und Mundwinkel und in den tiefliegenden dunklen Ringen der frechen funkelnden sprühenden Augen.

»Ah mein Dicker willkommen! Hier ist ein frisches - ich will Dir Platz zeigen!« Die Aelteste der Phrynen hatte den Rath schon unter'm Arm und schleppte ihn durch den Tabaksdampf und die Reihe der rechts und links an den Wänden placirten und mit Gästen aller Art besetzten Tische.

Eine zweite war bereits an dem Fremden, den sein Begleiter Präsident genannt. »Den nehme ich! Du gefällst mir mein Junge! Kathi will Dich küssen!« Die Geste, die sie damit zum Willkommen verband, war so abscheulich tiefgreifend, daß der Betroffene sie unwillkürlich zurückstieß und einen Augenblick schwankte, ob er die Pesthöhle nicht lieber wieder verlassen sollte. Aber das Gelächter der Nächstsitzenden und ein Wink des Journalisten bestimmten ihn, weiter zu gehen. Ueberdies schien das Frauenzimmer von dem üblen Empfang ihrer Aufdringlichkeit keineswegs beleidigt, sondern daran gewohnt und lief lachend zum nächsten Tisch, wo sie sich einem jungen Handwerker auf den Schoos warf, sein Bierglas leerte und ihn umhalste.

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    »Komme doch, komme doch Prinz von Preußen,
    Komme doch, komme doch nach Berlin!«

schmetterten zwei Mädchenstimmen - Liesli und Anneli faßten die beiden Eingetretenen an den Armen und chassirten mit ihnen nolens volens den Gang hinunter hinter dem Rath drein. Zugleich stimmte die ganze Gesellschaft rechts und links in die berüchtigte Polka, das Orchester - im Hintergrund der Halle auf einer mit rothem und blauem Glanzcattun drapirten Estrade placirt und aus einer Harfe, einer Geige und einer Klarinette bestehend, - brach mitten in »Dein ist mein Herz« ab und spielte die gesungene Melodie. Alsbald sprangen drei Viertel der Gäste in die Höhe, schwangen ihre Bierseidel und Punschgläser in der einen Hand, faßten mit der andern ihre Stühle und begannen um die Tische her oder hinter den drei Paaren drein zu polken.

Der Staub stieg in dicken Wolken in die Höhe unter diesem Lärmen und verdichtete die Atmosphäre des Gases und Tabaksrauches.

»Es lebe die Polka! Hurrah für die Polka!« Ein dünnleibiger Schneider tanzte auf einem Tisch und schwang zu dem Toast sein Glas. Plötzlich, wahrscheinlich in Folge eines boshaften wohlgezielten Stoßes gerieth sein Podium in's Schwanken und der Schneider, der eben auf den Fußspitzen eine Pirouette schlug, stürzte unter allgemeinem Gelächter zwischen die Tische und Gläser.

Jubel, Hohngeschrei, Vivats, der Ruf nach einem Tusch der Musik gellten aus dem Haufen, der sich um den Gefallenen drängte. Die dicke Wirthin schreckte in die

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Höhe und erhob ihre kreischende Stimme: »Meine Herren! meine Herren! bedenken Sie, Sie befinden sich in einem anständigen Hause. An der Ecke steht ein Constabler!«

»Constabulör! Constabulör, Mama Techown!« heulte die Menge.

Der Tumult hatte wenigstens den Eingetretenen Gelegenheit gegeben, einen unbesetzten Tisch in der Nähe des Orchesters zu gewinnen und sich niederzulassen. Der Doktor hatte ihn noch anders benutzt.

»Was giebt es Neues von Mimili?« lautete seine hastige Frage an die falsche Tyrolerin.

»Bah - Du wirst sie gleich sehen, sie ist heute wieder in ihrer tollen Laune und es wird ihren Kurmacher schweres Geld kosten. Dort sitzt er und lauert auf sie und hat keine Ahnung davon, daß der Jude sie zum Souper eingeladen hat. Ich wollte, es würde unser Einer auch einmal so lecker!«

»Wer - Herr Samuel Jonas?«

»Ja wohl - da drüben sitzt er mit dem bucklichen Maler, der von uns immer so hübsche Bilder macht.«

Der Rath sah hinüber. »Es ist wahr!«

»Aber sage mir Dicker,« fuhr die Dirne fort, »warum willst Du denn stets Alles wissen, was die Mimili oder Male oder wie sie heißt, immer treibt? Bist Du etwa gar eifersüchtig auf sie?«

»Das kümmert Dich nicht. Da nimm!« Er drückte ihr einen Thaler in die Hand. »Es ist ein Dunst, daß man die Hand kaum vor den Augen sehen kann. Spielt er noch?«

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»Na - was thäte der anders?«

Der Rath war aufgestanden, zündete sich eine Cigarre an und setzte sich an den gegenüberstehenden Tisch, an dem zwei Personen saßen, Herr Samuel Jonas und eine kleine buckliche Figur mit großem schönem Gesicht von ernstem sinnendem Ausdruck.

Herr Samuel Jonas hatte durchaus Nichts mehr von dem alten schmutzigen Trödeljuden an sich, der noch vor anderthalb Jahren in der Jakobstraße seine Höhle hatte. Er war glatt rasirt mit einem kurzen schwarzen Backenbart und zeigte bereits einen Ansatz zum Embonpoint. Er trug die kurzen Finger voll kostbarer Ringe, und einen blauen Frack mit goldenen Knöpfen. Darüber trug er einen Paletot, dessen aufgeschlagener Kragen ihn wahrscheinlich incognito machen sollte, und den weißen Hut auf dem Kopf. Aber die jüdische Prahlsucht konnte sich nicht verleugnen, und er benutzte, indem er sich den Anschein gab, die Urwähler Zeitung zu lesen, jede Gelegenheit, die Diamanten seiner Ringe spielen zu lassen oder an der dicken goldenen Uhrkette mit den vielen Berlocques, die aus seinem Frack hervorhing, zu zerren.

Der Buckliche ihm gegenüber, den Rücken nach dem Orchester gewandt, hatte sein Notizbuch in der Hand und scizzirte offenbar die Physiognomie seines Gegenüber, aber Herr Jonas that als bemerke er es nicht.

Der Kommissionsrath hatte sich neben den Maler gesetzt. »Guten Abend lieber Professor! Ich war neulich in Ihrem Atelier, um Ihnen mein Compliment über Ihre schönen Bilher auf der Ausstellung zu machen, fand Sie

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aber nicht anwesend. Ist das Portrait der Fürstin Trubetzkoi, das ich dort sah, vollendet?«

»Bis auf eine geringe Retouche!«

»Es ist ein vortreffliches Bild, ganz die stolze königliche Miene der Dame mit dem schwermüthigen fast leidenden Ausdruck im Auge.«

»Es ist wahr,« sagte der Maler - »ich habe seit Rom kein Bild mit solcher Liebe gemalt, als dieses. Se. Majestät der König beehrten neulich mein Atelier und Sie wissen, daß ich auf das Urtheil eines so geistreichen Kenners großes Gewicht lege. Schade, daß ich das Gegenstück nicht vollenden kann.«

»Wie so Professor?«

»Ich stieß vor etwa zehn Tagen auf einen gleich interessanten Kopf und nahm ihn als Modell - aber der Bursche ist auf eine merkwürdige Weise plötzlich verschwunden.«

»Wer war es?«

»Ein armer Slowak - einer jener wandernden Hechelkrämer, die aus Ungarn kommen und mit ihrem Drahtkram die Welt durchziehen, um ein Paar Thaler als Schatz in die Heimath zurückzubringen. Es war ein Gesicht, das einem Apoll Ehre machen würde, und in den Augen lag ein Ausdruck, wie die melancholische Tiefe des Meers. Er war wie all diese Leute sehr wenig mittheilsam gegen Fremde, aber das Wenige, was er sprach, war gutes Deutsch und verrieth sogar eine gewisse Bildung.«

»Aber warum haben Sie ihn laufen lassen?«

»Ich konnte nicht an der Arbeit bleiben, weil ich mit dem Bild der Fürstin beschäftigt war. Aber ich gab ihm

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Geld, seine Herberge zu bezahlen, und er versprach, so lange hier zu bleiben, als ich ihn brauchen würde. Zwei Mal ist er gekommen, seit acht Tagen aber spurlos verschwunden. Ich war selbst in dem gewöhnlichen Nachtquartier dieser Leute auf dem Wedding, aber Niemand weiß, wo er geblieben, obschon seine Wandertasche und sein Paß noch dort sind.«

»Bah - Sie werden einen Andern finden, denn es wäre Schade, wenn das Publikum um ein interessantes Genrebild von Ihrer Hand käme, das gewiß ein Nebenstück zu Kaulbach's römischem Hirten bei Raczinski gegeben hätte. Aber ich wundere mich, Sie hier zu treffen?«

»Ich bin hier wahrscheinlich aus demselben Grund wie Sie - ich liebe die Originale, und habe hier schon Manches für ein Bild gefunden, das mir Lord Heresford, mein edler Protector, bestellt, dem ich verdanke, was ich bin.«

Der kleine Maler, den der englische Sonderling am Tage des Auszugs Garibaldi aus Rom entführt und nach seiner Vaterstadt zurückgebracht hatte, wo sein Pinsel ihm trotz der ungünstigen Zeit bald Existenz und Ruf verschafft, reichte dem Rath das Scizzenbuch. Derselbe lachte, als er die letzten Blätter ansah. »Der Tausend - das muß ich sagen! das ist ja« - er that als ob er eben erst sein Vis-à-vis erkenne - »sieh da Herr Jonas, Sie auch hier?«

»Man muß doch protegiren die Celebritäten in jedem Fach,« lächelte der ehemalige Trödler. »Ich habe gehört, so viel von dem genialen Gesang der Mamsell Mimili, daß ich mich hab wollen überzeugen und wenn's wahr ist, sie einladen in eine kleine Gesellschaft, die ich gebe meinen

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guten Freunden. Wenn Sie haben Zeit Herr Rath, wollt ich Sie bitten, zu beehren mich gleichfalls, es sind da vornehme Herrn, Fürsten und Barone und meine Fräulein Töchter unterhalten sie sehr gut! Wollen Sie nicht die Güte haben, mich zu machen bekannt mit dem Herrn!«

Der Kommissionsrath präsentirte sie mit etwas sarkastischem Lächeln gegenseitig. »Herr Portrait- und Historienmaler Professor S. - Herr Banquier und Rentier Jonas, ein großer Mäcen aller Künste.«

»Sie schmeicheln, aber es ist wahr, ich liebe die Kunst und meine Jüngste soll werden ein zweiter Meierbeer. Ich erinnere mich, ich habe gesehn von Ihnen drei große Bilder auf der Ausstellung, Sie sollen machen auch mein Portrait.«

»Sie müssen mich entschuldigen,« sagte der Maler kalt, der zur Genüge den Ruf des soi disant Banquiers kannte, - »ich vortraitire nicht für den neuen Pitaval.«

»Nein, es soll sein für die nächste Ausstellung - Sie können machen Ihren Preis. Wollen Sie mir vielleicht die Ehre schenken und besuchen meine Gesellschaft, wir sind alle Abende ganz ungenirt und Sie werden finden auch viele Herrn von's Metier, Künstler und Dichter, außer den Herrn Grafen und Baronen, mit denen Sie sich können unterhalten, wenn Sie nicht lieben zu machen ein Spielchen. Es geht Alles zu in bester Ordnung, die Herrn von der hohen Polizei beehren mir auch.«

»Nimmt auch der Verfasser der berühmten Grabschrift daran Theil?«

»Wie heißt? - Was meinen Sie?«

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»Ich erinnere mich nur der ersten Zeile,« sagte der Künstler ruhig, dessen idealer Natur alle Gemeinheit und die Schaamlosigkeit des Gelddünkels in tiefster Seele zuwider war.« Sie lautete:


    »Hier liegt sie wie sie sonst zu liegen pflegte!«

Diesmal verstand Herr Jonas, denn er wurde puterroth, und einer jener wilden Blicke, wie sie sonst wohl der »schwarze Schmul« auf seine Opfer geschleudert haben mochte, fiel auf die kleine verwachsene Gestalt mit dem muthigen wackeren Herzen. Aber die Erinnerung, daß er mit aller Vergangenheit gebrochen und der ehemalige Dieb und Einbrecher nebst Verwandtschaft überhaupt nicht mehr existirte, sondern nur ein reich gewordener Geschäftsmann, dessen Haus - zur Schande der Gesellschaft muß es gesagt werden - in der That von Grafen, Baronen, Offizieren und hohen Beamten besucht wurde, die sich seine Soirée's gefallen ließen, weil sie bis über den Hals in den Klauen des Wucherers steckten, und die oft die Versilberung neuer Wechsel an seinem Spieltisch auf's Neue verschleuderten, diese Erinnerung ließ ihn die Pille verbeißen, obschon es trotz seiner dreisten Stirn doch nicht ohne Verlegenheit klang, als er sich geschwind an den Kommissionsrath wandte. »Apropos, werther Freund, der Herr Lieutenant von Röbel hat an mir geschrieben wieder um Geld. Der Herr Baron stehn jetzt vor dem Feind und das Geschäft ist gewagt - es könnte kommen eine Kugel und mir machen ein Strich durch die Rechnung, wie gefallen ist sein Bruder am 18. März.«

Die Worte waren so laut gesprochen, daß der Spieler

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mit dunklem wirren Haarwuchs am nächsten Tisch, von dem vorhin die falsche Tyrolerin gesprochen, sie hören mußte.

Er fuhr unwillkürlich zusammen und drehte sich um. Sein geröthetes stechendes Auge fiel auf den Juden.

Aber dieser hatte die Wirkung seiner zufälligen Worte nicht bemerkt. »Wollen Sie ausstellen den Wechsel Herr Rath,« fuhr er fort, »will ich geben dem Herrn Baron mit Vergnügen das Geld.«

»Bah Herr Jonas - der Herr Lieutenant v. Röbel ist in Hessen so sicher, als säß er in Berlin. Es kommt zu keinem Krieg, wenn das Ihre einzige Befürchtung ist, denn Sie wissen, daß ich solche Geschäfte nicht mache.«

»Aber ich habe mit eigenen Augen gesehen heute Nachmittag Unter den Linden wie der Herr Prinz von Preußen Königliche Hoheit und der Herr General von Wrangel haben gemustert zwei Bataillone von's siebente Regiment, die gleich fortmarschirt mit der Anhalter Bahn, obschon sie gekommen sind erst diesen Morgen nach Berlin.«

»Sie werden eben so ruhig wieder zurückkehren, verlassen Sie sich darauf.«

»Es ist nur,« sagte der Wechselkäufer kleinlaut, »weil ich hab' gemacht die Bekanntschaft des Herrn Lieutenant unter Ihrer Protection. Wenn Sie meinen, daß die Erbschaft ist sicher, werd ich ihm geben auch die zweitausend Thaler, obschon er bereits hoch steht in meinem Buch.«

»Ich habe Ihnen mitgetheilt, was ich darüber wußte,« sagte der Kommissionsrath kalt. »Der Eigensinn des Vaters allein hat sie zurückgewiesen.«

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»Gott der Gerechte, wie kann man sein ein solcher Thor. Eine halbe Million! Aber er wird sich bekehren, er wird haben ein Einsehen oder er wird doch nicht leben ewig, er ist ein alter Mann.«

»Jedenfalls ist die Familie gut,« sagte der Kommissionsrath, »für mehr als Ihre zweitausend Thaler.«

»Es ist wahr, ich habe mir erkundigt - ich werde geben dem jungen Herrn Baron das Geld, hat er mir doch zugeführt viele vornehme Bekanntschaft, die besucht meine Soiréen und spielt mit meinen Demoiselles Töchtern Klavier und Sechsundsechszig. Er soll es haben.«

Der Rath war aufgestanden und reichte dem Maler die Hand. »Ich sehe, die Herren, mit denen ich gekommen, winken mir. Auf baldiges Wiederfinden Ihres Modells lieber Professor. Sehen Sie dort den stattlichen Kopf hinter dem Tisch am Fenster - der entschlossene feste Ausdruck dieses jungen Gesichts möchte sich nicht minder für Ihr Album eignen. - Es thut mir leid Herr Jonas, daß ich Sie heute nicht besuchen kann, aber ich habe noch dringend zu thun.«

Er nickte ihm zu, die Hand in der Hosentasche, um nicht genöthigt zu sein, sie ihm zu reichen und kehrte zu seinem Tisch zurück. -

Der Rath hatte sich zu seiner Gesellschaft gesetzt. »In welche Hölle haben Sie mich geführt,« sagte der Präsident, »diese Luft ist zum Ersticken und die Gesellschaft würdig, die Saturnalien des Alterthums zu feiern oder auf dem Blocksberg zu tanzen. Daß man dergleichen hier in der

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Residenz unter den Augen des frommen sittenstrengen Königs duldet, hätte ich niemals gedacht.«

»Vorerst Werthester,« belehrte der Kommissionsrath mit philosophischer Ruhe, »geruhen Seine Majestät noch höchst selten diese liebe undankbare Residenz mit einem Besuch zu beehren und haben gegenwärtig andere Dinge zu thun. Ehrlich gestanden, glaube ich auch nicht, daß die freie Wirthschaft lange dauern wird, einstweilen aber nehmen Wirthe und Publikum die Sache noch mit. Die Freiheit ist von der Politik auf's Amüsement voltigirt und Etwas muß der Berliner doch haben. Darum ist auch die Gesellschaft gar nicht so schlecht als Sie denken! Sehn Sie dort in dem halbtrunkenen Kreis der sechs jungen Leute befinden sich zwei, die ein Mal, wenn die Alten die Augen zumachen werden, eine Million zu kommandiren haben. Jene Beiden sind Künstler, von denen der Eine heute ein ganzes Opernhaus zum Applauswahnsinn hingerissen hat. Dort in der Ecke sitzen zwei Börsenleute; der mit der Habichtsnase macht namentlich in Hypotheken und verschafft den Gardeoffizieren Geld zu bloß hundertfünfzig Prozent. Schon auf den Schulbänken schacherte Goldschmidt seinen Mitschülern die silbernen Uhren für Hosenträger, Nadelbüchschen und Schuhschnallen ab; der Andere hat bereits ein Haus unter den Linden - er kündigte 48 die Hypothek und erstand es zum fünften Theil des Werths. Ich wette zehn Flaschen Champagner - Nota bene ich bezahle nie eine Wette! - daß der alte Sünder da am Ofen, der den Mantelkragen so hoch heraufgeschlagen hat, das Gesicht hinter der Doppelbrille mit den blauen Gläsern verbirgt und die Hand

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eben in Kathis Mieder schiebt, ein alter Sünder aus dem Geheimerathsviertel ist, von der Sorte, mit der man wirklich in Berlin die Straßen pflastern könnte.«

»Sie scherzen!«

»Scherzen - na ob! Wissen Sie nicht, daß vor 14 Tagen Mutter Colditzen, die famose Haus- und Kammerklatsche der Reaction, Herrn von Hinkeldey um die Erlaubniß angegangen ist, ein Bordell bloß für die Geheimeräthe und sonstige vornehme Kunden anlegen zu dürfen? - die Sache ist aktenmäßig. - Am Ende - sind wir nicht selbst hier?«

Der Aristokrat zuckte mit ziemlich saurer Miene die Achseln. »Ich habe Ihnen den Zweck gesagt, der mich hierher geführt,« meinte er. »Ich bitte, fahren Sie fort in Ihrer pikanten Erläuterung.«

Der Rath nahm eine Prise. »Das da,« belehrte er, sind Handwerker, Familienväter, ganz ehrbare Leute, für ordinair Stammgäste von Klausing. Dort - Ladenschwengels, die den Prinzipal bemausen - Wundärzte mit dem Privilegium der fünf Messingbecken - höchst wahrscheinlich fehlen auch einige Gauner, Schlepper und Spitzbuben nicht - und dort die Gesellschaft am Tisch - ventre saint gris! wenn Sie morgen bei Schott diniren oder in einer Stunde zu Ewest gehen, werden Sie sicher dieselben Gesichter dort finden. Aber zum Teufel - es ist noch keine Lust unter den Gentlemen! - Gebt etwas Politisches zum Besten,« fuhr er fort, in übergroßer Großmuth ein ganzes Zweigroschenstück auf das Notenblatt der Harfenistin werfend, die eben umher sammeln ging, - »des lahmen

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Straß lahme Marseillaise: >Schleswig-Holstein meerumschlungen!< oder unser gemüthliches >Immer langsam voran!< das besser auf uns Preußen als auf die Oesterreicher und Strafbayern paßt, oder die >Schöne Minka< und den >Neuen Nebukadnezar!< Wo zum Henker bleibt Mimili?«

»Du hast Recht altes Haus,« sagte am Tisch vorübertaumelnd ein langer Kerl mit einem Gesicht, das seit acht Tagen nicht gewaschen und rasirt war. »Heraus mit der Mimili - Mimili raus! Unterdeß wollen wir den Holsteiner singen! Auf Dein Wohl Bruder Deutscher!« Die schmutzige Faust streckte sich herüber, ergriff das Bierseidel, das eben die schöne Kathi vor den Rath hingesetzt, und leerte es auf einen Zug.

Der Dicke zuckte die Achseln und zwinkerte mit den Augen zu dem Aristokraten hinüber. »Wie manche Flasche Clicquot hab ich mit ihm geleert! Er hatte 40000 Thaler von seinem Vater geerbt,« flüsterte er mit bedeutsamen Daumenzeichen. »Das Königstädtische Theater oder vielmehr seine Grazien haben ihm in 2 Jahren davon geholfen. Er flüchtete nach Paris und ist jetzt zurück gekommen, weil man ihm doch Nichts nehmen kann, und wichst jetzt einstweilen Stiefeln bis auf bessere Zeiten.«

»Ein Bouquet schöner Herr!« - »Schwefelhölzer Herr Graf!« [-] »Hundert Wachslichte für lumpige zwei Groschen. Sie halten drei Treppen aus, wenn Sie zur Liebsten gehen!«

Das Elend - oder mehr noch die Schande und die Verderbtheit im frühesten Keim lag auf diesen kindlichen Gesichtern; - Mädchen, von 10 und 12 Jahren schon

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mit den dunklen Ringen der Befleckung um die Augen - Knaben mit den frechsten Zoten-Anekdoten und noch frecheren Geberden die Gäste zum wiehernden Gelächter reizend - ein System von zudringlichster Bettelei zarter Jugend neben dem grell aufgeputzten Alter mit den Präzel- und Kuchenkörben, das den Menschenfreund erbeben ließ bei dem Blick in die Zukunft.

»Hagelsbrut - daß dich das Donnerwetter zerschmeiße! Wollt Ihr dem schönen Karl Platz machen!« Ein Mensch von mittlerer Figur mit grauem Husarenschnurbart, eine Militairmütze auf dem spärlichen grauen Haar, den Körper in einen polnischen Schnürrock gehüllt, stößt die Kinder zur Seite. »Laßt mich heran, ihr Satansbrut! - Cigarrenhalter meine Herren, echter Meerschaum, Wiener Spitzen aber keine Spitzerl! - Hier Herr Baron, etwas für den höhern Geschmack! Grecourts Gedichte und Jettchen und Julchen auf der Leipziger Messe!«

Ein Blick tiefen Mitleidens fiel aus den Augen des Journalisten auf das faltige Gesicht des alten Bettlers. Der »schöne Karl« war in der That einst als der schöne Husar, der schönste Mann Berlins bekannt, und Fürstinnen und Gräfinnen schwärmten für ihn und liefen ihm nach!

Die Harfe zirpte in schrillen Akkorden, Violine und Klarinette arbeiteten hinterdrein und aus der Menge klang es in mächtigen Tönen empor:


    »Schleswig-Holstein meerumschlungen,
    Deutscher Sitte hohe Wacht« -

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Der politische Choral, der letzte Aufschrei deutscher Sympathieen - erhaben, wenn er auch aus der Feder eines Advokaten kam, - brauste mit seinen veredelnden Klängen über diesen Pfuhl von Gemeinheit. Schleswig-Holstein - Sturmruf des deutschen Aufschwungs gegen das kleine Dänemark, während kein Sänger und kein Demokrat ein Wort fand für Lothringen, Flamland und Elsaß gegen das mächtige Frankreich! Schleswig-Holstein getränkt mit preußischem, mit deutschem Blut, damit die niederen Emeuten von 48 vergessen würden in einem erhabenen Kampf - in diesem Augenblick zertrat der gewaltige Fuß des Moscowiter Czaaren und der Lackstiefel des englischen Krämer-Demokraten Palmerston die junge Blume Deiner Freiheit, und die deutsche Einigkeit deutscher Fürsten stellte sich zum Todeskampf gegen einander, wer die Glorie Deiner Unterdrückung - nein: Deiner Pacificirung haben sollte!!

»Sehen Sie den kleinen Burschen - ich erinnere mich ganz gut des kleinen barfüßigen Rackers,« erzählte der Journalist - »es war vor zwei Jahren, am Tage, als die Opernhausthüren und die Nationalversammlung vernagelt wurden und Jung den Obersten v. Griesheim Arm in Arm durch die Menge führen mußte, wenn er nicht die Terzerolkugel durch die Schläfe haben wollte. Ich saß bei Scheibel und neben mir Lindenmüller, als der Kleine da athemlos hereinstürzte, das Feuer politischer Begeisterung auf dem stammenden Gesicht; >Herr Präsident! Herr Präsident!< [-] »[>]Was soll's Taugenichts?«[<] - >Herr Präsident - das souveräne Volk rückt an mit Fackeln!<[«] -

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Aus dem brüllenden Gesang erhob sich eine volle Altstimme, kräftig, wie der Aeolsklang von Engelharfen, der über dem Toben der Gewitter schwebt, und durch den rauhen Bierbaß und den fistelnden Tenor der Zecher erklang es:


    »Hohe Wacht an deutscher Pforte -,
    Sollst nicht preisgegeben stehn.
    Hör' die mächt'gen Losungsworte,
    Die durch Deutschlands Auen geh'n,
    Schleswig-Holstein stammverwandt:
    Einheit! Treue! Vaterland!«

Erstaunt, betroffen - denn auch der Journalist befand sich zum ersten Mal an diesem Ort, - blickten die beiden Männer auf. Die Kattunvorhänge zur Seite des Orchesters hatten sich getheilt, auf einem niedern Postament stand die Sängerin - ein Mädchen in Tyrolertracht, wie die andern - und doch so anders als diese. Es war eine große stattliche Blondine von schönen Formen, mit prachtvollem Haar um das runde Gesicht, die Büste und die Wölbung der Hüften von junonischer Schönheit, der Mund voll und üppig gewölbt; aber das schöne Gesicht mit dem durchsichtigen Teint war auf den Wangen von jener hektischen Röthe angemalt, die ein inneres Fieber verkündet, und in dem lichtblauen Auge, das mit einer gewissen Starrheit über die Gesellschaft hinausschweifte, lag ein Ausdruck von Trotz und Bitterkeit.

»Mimili! die Königin der Polka!« flüsterte der Kommissionsrath. »Ich sage Ihnen, Sie sollten das Mädchen in der Musenhalle polken sehen - sie hat drei Teufel im

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Leibe, so theilnahmlos sie aussieht. Nun halten sie das Herz fest - und die Börse dazu!«

»Wer ist sie? - woher stammt sie? - sie sieht aus, als wäre der Körper bloß hier und ihr Geist weit abwesend und ganz anders beschäftigt, als uns hier Freiheitslieder vorzusingen.«

»Sie heißt Amalie und ist die Schwester eines Diebshehlers oder Wechselfälschers, der in Spandau im Zuchthause sitzt. Ein Offizier hat sie vor drei Jahren - sie ist höchstens zweiundzwanzig - verführt. Nur um das Kind in gute Pflege bringen zu können, wurde sie Biermamsell, wie ich mir habe erzählen lassen und soll eine wahre Lucretia unter der eben nicht durch große Ehrbarkeit sich auszeichnenden Gesellschaft gewesen sein. Aber seit das arme Würmchen gestorben, ist der Teufel in das Mädchen gefahren und sie legt es förmlich darauf an, in Tollheit und Ausschweifung Alles zu überbieten, als wolle sie sich selbst aufreiben. Man sagt, der Offizier, der in den Märztagen erschossen wurde, habe sie heirathen wollen. Ihre prächtige Stimme und der höhere Grad von Bildung, den sie sich erworben, und der launenhafte Eigensinn, den sie bei jeder Gelegenheit zeigt, haben ihr eine Art Ruf vor allen ihren Genossinnen verschafft, selbst unter der höhern Männerwelt.«

Schwächer und schwächer wurde der Chor, - einer der Sänger nach dem andern schwieg und lauschte dem reinen Metallklang des Mädchens, deren Augen jetzt lebendiger, herausfordernder umherfuhren. Mit einer Kraft, mit einer Energie, der man das anfangs so apathische

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Wesen in dieser Umgebung nicht hätte für fähig halten sollen, erklangen die schönen Verse:


    Gott ist stark auch in den Schwachen,
    Wenn sie gläubig ihm vertrau'n.
    Zage nimmer und dein Nachen
    Wird trotz Sturm den Hafen schau'n.
    Schleswig-Holstein stammverwandt:
    Harre aus mein Vaterland!

    Nein, der Däne soll's nicht haben!
    Und der Russ' soll nicht herein!
    Unsre Warte, Wall und Graben,
    Sollen unsre Leiber sein!
    Schleswig-Holstein stammverwandt:
    Ewig bleib beim Vaterland!

Die Augen der Sängerin fielen am Schluß der Strophe auf den Kartenspieler ihr gegenüber, der sich vorhin bei den Worten des Banquiers umgewandt und der bei ihrem Erscheinen die Karten fortgelegt hatte, sie mit seinen Blicken förmlich verschlingend.

Ein finstrer Triumph, ein wilder Haß funkelte in dem Strahl ihres Auges wie ein Dolchstoß nach jener Richtung hin - aber es war nur einen Moment, dann wandte es sich nach der andern Seite, wo der Rath und seine Gesellschaft saßen. Sie ließ die Guitarre fallen, die sie im Arm trug, unbekümmert, ob das Instrument Schaden nähme oder nicht, klatschte in die Hände, setzte den zierlichen Fuß auf die Lehne des Stuhls und sprang über den nächsten Tisch, zwischen den Seideln und Gläsern hindurch, in keineswegs sehr decenter Haltung, auf den Boden. Im nächsten Augenblick

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stand sie, die Arme in die Seiten gestemmt, vor den beiden Fremden.

»Ein Hurrah für Mimili! Hip hip Hurrah!« schrie einer der Ladenschwungs und schwang sein Seidel, indem er ihre Taille umschlingen wollte. Sie stieß ihn kräftig zurück. »Geh' zum Teufel, Nassauer! Du bist mir viel zu grün! Knöpfe der Kathi Dein Herz auf, sie kann vielleicht Dich zum Menschen machen!«

Sie saß bereits dem Präsidenten auf dem Schooß, dessen Taschen sie sehr ungenirt zu visitiren begann und dem gewaltig warm wurde bei dieser Conversation. »Höre, mein hübscher Langer, Du bist wohl nicht in Berlin gewachsen?«

»Warum glauben Sie das, Mademoiselle?«

»Ah bah, dumme Frage! Das sieht man Dir gleich an der Nase an. Hier hast Du einen Kuß und nun schenk mir Etwas zu einem neuen Ballkleid. Ich will tanzen - tanzen - tanzen! Wenn man im Galop rast, dann vergißt man sich selbst und das Vergangene!«

Ihre von dunklen Schatten umgebenen Augen waren dabei immer auf den Kommissionsrath gerichtet, wie fragend; er zuckte bedauernd die Achseln.

»Wenn's Ihnen beliebt, Fräulein Mimili«, sagte eine süßliche Stimme. »Bin ich doch gekommen, wie Sie gewollt, hierher - Sie abzuholen. Der Wagen wartet draußen.«

Sie sah ihn groß an. »Was willst Du? - Ich habe keine Zeit! Pack' Dich!«

»Sie werden doch nicht sein eigensinnig - Sie werden

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doch halten Ihr Wort, und haben's mir versprochen heute Mittag auf meine Einladung, daß Sie wollen singen in meiner Gesellschaft in Kostüm, wenn ich Sie wollte abholen hier bei der Madam Techow.«

Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Es ist wahr«, sagte sie leise. »Sie haben Recht - man spielt ja wohl viel bei Ihnen, Herr Jonas, und hoch?«

»Was heißt hoch? Ein Paar Lugedore. Es ist für die Herren Cavaliere, die lieben mehr die Musik von's klingende Gold, als die Musik von's Klavier. Die Unterhaltung ist frei, und der Punsch und das Essen auch. Ich spare Nichts, um gute Gesellschaft zu haben und alle Herrschaften und Celebritäten in meinem Salon zu sehen. Wenn ich erst werde haben gekauft ein eignes Haus, wird's noch schöner werden!«

»Ich kann nicht ohne Begleiter zu Ihnen gehen; laden Sie den Herrn dort ein, mitzukommen.«

Sie wies mit dem Finger nach dem Mann, der am Tisch gegenüber saß und sie mit seinen Blicken verfolgte.

»Main! - Ich habe doch nicht die Ehre, ihn zu kennen!«

»Das ist auch gleichgültig - er wird spielen, das ist genug!«

Herr Itzig Samuel Jonas, als er sah, daß er die Polka-Primadonna, die er seinen vornehmen Gästen versprochen hatte, nicht von der Stelle bringen würde, wenn er nicht ihren Willen erfülle, machte sich mit einer Verbeugung an den unerwarteten Gast.

Dieser war ein Mann von mittlerer Größe und schlanker

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Figur, wohl gekleidet und etwa einige dreißig Jahre alt. Sein blasses, gelbes Gesicht zeigte die Spuren starker Leidenschaften in den beim Sprechen sehr beweglichen, leicht verzerrten Zügen, und in der That tobten auch zwei große und gefährliche Gewalten in seinem Innern - er liebte die Polka-Königin mit einer sinnlichen Leidenschaft und Begierde, die um so heftiger wurde, als er sich von ihr verhöhnt und genarrt sah, - und er war ein ebenso leidenschaftlicher Spieler.

Das Mädchen beobachtete den Erfolg ihrer Sendung, um die Einladung nöthigenfalls zu unterstützen, denn trotz der abstoßenden Behandlung, die sie ihrem Verehrer zu Theil werden ließ, wußte sie ihn durch berechnete Koketterie der Art zu behandeln, daß er wie ein Sklave ihr folgte, der vergeblich gegen seine Ketten knirscht.

Der Journalist sah den Kommissionsrath fragend an. »Was bedeutet das?«

»Kennen Sie den Mann dort drüben?«

»Dann wissen Sie, daß er ein brillantes Geschäft hat, aber er ist toll und voll in die Dirne verliebt und überall zu finden, wo sie ist, obschon sie ihn behandelt wie einen Hund. Er hat sie schon früher heirathen wollen, und hat sich jetzt wieder scheiden lassen, nachdem er seine Frau lange mißhandelt, bloß in der Hoffnung, daß ihn das Mädchen jetzt, wo der Fleiß und das Geschick jener sein Geschäft in Blüthe gebracht hatte, heirathen würde. Aber mit dem Wohlstand wird's nicht lange dauern, denn er vernachlässigt Alles, um diesem Mädchen nachzulaufen, und läßt

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sich von ihr zur tollsten Verschwendung hinleiten, obschon sie nie einen Pfennigwerth von ihm annehmen soll.«

»Das ist merkwürdig!«

»Aber leicht erklärlich - wenn man den Schlüssel dazu hat!«

»Und das ist?«

»Die Rache!«

Das kurze Gespräch war leise geführt worden, denn der Präsident, dem das tolle Treiben Spaß machte, hatte eine Bowle Punsch kommen lassen, und sofort sammelte sich die ganze Gesellschaft der Pseudo-Tyrolerinnen um den Tisch, ihren Antheil zu erhalten. Schallendes Gelächter, obscöne Späße und Tollheiten aller Art kreuzten einander. Dazwischen fiedelte und klimperte die Musik wieder lustige Tänze, und eine wilde Gesellschaft am andern Ende des Saals jubelte das »Mädel ruck ruck« in verschiedenen Variationen.

Der Mann, von dem der Journalist und der Rath so eben gesprochen, stand plötzlich neben der Polka-Königin und preßte ihr heftig den Arm.

»Sie haben von dem Herrn da einen Fünfthalerschein genommen - leugnen Sie es nicht, ich habe es gesehen!«

Seine Augen glühten, die gelbe Stirn war mit fliegender Röthe überdeckt.

»Das fällt mir nicht ein - was geht es Sie an, ich will ein neues Ballkleid!«

»Amalie!« sagte er bittend, demüthig - »Sie wissen, daß Sie nur ein Wort zu sagen brauchen und Sie sollen in Sammet und Seide gehen. Warum weigern Sie sich,

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meine Frau zu werden, da ich jetzt wieder frei bin? Warum nehmen Sie nicht wenigstens von mir, was Sie brauchen? Da - in dieser Brieftasche sind zweihundert Thaler - nehmen Sie, was Sie wollen - nehmen Sie Alles! Sie sollen mehr haben, als das!«

»Ich will Nichts!«

»Aber warum - warum verschmähen Sie mich allein!«

»Sie wissen es!«

Dunkle Gluth des Zorns flammte wieder über das gelbe Gesicht. »Der Teufel hole ihn, ich wünschte, ich hätte zehn Kugeln in seine Brust geschickt, denn er stiehlt Sie mir noch im Tode. Aber ich werde Sie zwingen, ich will es nicht länger dulden, daß Sie Geld von Andern nehmen und mit Andern schön thun!«

»Was soll ich mit Ihren zweihundert Thalern? Gewinnen Sie heute Abend zweitausend damit, vielleicht nehme ich sie. Ich werde mit Ihnen spielen!«

»Wo?«

»Der Herr da hat Sie ja eingeladen! - Ich dächte, es wäre genug, wenn ich Ihnen erlaube, mich zu begleiten. Gehen wir! - Meinen Mantel!«

Ihre Geberde war so gebieterisch, daß der unglückliche Liebhaber fortschlich, ohne ein Wort zu sagen, um den Mantel aus der Garderobe zu holen.

Sogleich änderte sich der Ausdruck ihres Gesichts, sie sank auf einen Stuhl, ihre lichten Augen starrten vor sich hin.

»Sie ruiniren ihn«, sagte der Kommissionsrath, neben

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dem sie saß, leise. »Bei Jonas wird hoch gespielt; er verliert immer und er soll bereits stark in Schulden stecken.«

Sie starrte ihn wie geistesabwesend an. »Das ist mir lieb!«

»Aber was nützt es Ihnen - warum wahren Sie nicht wenigstens Ihren Vortheil dabei?«

»Ich von ihm Geld nehmen - von seiner blutigen Hand? Wissen Sie nicht, daß er den Mann ermordet hat, der mich liebte, mich, das arme, verlassene Mädchen, allein auf Gottes Welt? Darum hasse ich ihn, und wenn zehn Mal das Glück ihm immer wieder auf die Beine hilft, er soll verderben und in Verzweiflung enden!«

»Aber Sie ruiniren sich selbst dabei!«

»Was thut's - hab' ich nicht Alles verloren - ihn, den ich liebte, und das Kind, mein letztes Gut! Fluch dem Mörder und Fluch Allen, die mich gezwungen, mein Kind von mir zu geben! Möge ihre Herzenshärte und ihr Stolz ihnen zum eignen Verderben werden!«

»So sind Sie jetzt gewiß überzeugt, daß Ihr Kind todt ist?«

»Todt! - Ich wollte es Anfangs nicht glauben, daß mein lieber kleiner Engel todt sein könnte, ich hab' ihn ja nicht wieder gesehen, denn er war schon begraben, als sie mich es wissen ließen, und es ist den Müttern nicht erlaubt, mit ihren Nägeln die Gräber aufzuwühlen! - Aber sie haben mir's ja bewiesen, schwarz auf weiß mit dem Todtenschein, und die Frau v. Berenburg ist eine fromme Frau, die Nichts dafür kann, daß grade mein Kind von

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dem umfallenden Schrank erschlagen werden mußte und das andere am Leben blieb!« -

»Armes Mädchen!«

Er sagte es nicht ohne Mitgefühl mit dem Schmerz, obschon er wußte, daß ein Wort von ihm sie hätte glücklich, selig machen können. Aber er wußte auch, daß bei der Energie ihres Charakters die geringste Andeutung hingereicht hätte, sie auf seine Spur zu führen und es seinen Plänen zu entreißen, ehe diese zum Ziel gereist. Darum hatte er zu dem Betrug geschwiegen, den die würdige, fromme Haltemutter mit einer andern kleinen Leiche zur Vertuschung ihrer Fahrlässigkeit gespielt.

Die Polka-Königin reichte ihm die Hand. »Sie sind gut und freundlich mit mir und haben, seit ich Sie kenne, wie ein Freund zu mir gesprochen, darum habe ich Vertrauen zu Ihnen; denn der einzige Mann, der es redlich mit mir meinte, der Freund Ferdinand's, ist fern von hier, und ich habe ihn nicht wieder gesehen. Ich habe Nichts mehr zu thun in der Welt, als mich zu rächen - und Der da« - sie wies mit einem finstern Blick nach dem Nahenden - »seiner Hand allein dank' ich es, daß ich geworden, was ich bin, und daß mein süßes Kind sterben mußte unter Fremden!«

Sie ergriff das Punschglas, das vor dem Rath stand und leerte es auf einem Zug. »Es lebe die Polka! Musik! Musik! Heute Nacht giebt's Ball in der Friedrichstädtischen!«

Sie warf den Mantel um ihre Schulter, und schwang den Tyrolerhut. »Vorwärts Kleiner! ich hoffe Du läßt Champagner springen! Zum Teufel mit der Melancholie!

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    Komme doch komme doch Prinz von Preußen
    Komme doch komme doch nach Berlin!«

Sie raste zur Thür hinaus unter dem Bravo und Hurrah der Gäste - Herr Itzig Samuel Jonas in hocheigener Person trug ihr die Guitarre hinter drein.

»Sie ist heute in der Laune, die größten Tollheiten zu begehen,« sagte ihr nachsehend der Rath. »Wenn sie es so forttreibt, lebt sie keine zwei Jahre mehr!«

Er blickte nachdenkend einige Augenblicke vor sich hin, dann sah er nach der Uhr. »Es ist halb Eilf und Sie müssen mich entschuldigen, ich habe noch eine Zusammenkunft, die ich nicht versäumen darf.«

Auch der Präsident und der Journalist erklärten genug zu haben und gehen zu wollen. Man beschenkte die Dirnen, die sich wie Kletten an die Männer hingen, um ihnen mit eklen Liebkosungen Geld abzuschmeicheln und überließ ihnen und ihren Louis den Rest der Punschbowle.

Während sie hinausgingen blieb der Rath einen Augenblick stehen und sah scharf nach den beiden Männern, die im vorderen Theil des Zimmers allein saßen und sich leise unterhielten.

Der Eine war ein großer hagerer Mann mit stechenden Augen - der Kalabreser Hut lag neben ihm auf dem Tisch; der zweite, auf den der Rath früher im Gespräch mit dem Maler gedeutet, war um Vieles jünger, sehr einfach gekleidet wie etwa ein Handwerks-Gesell. Sein regelmäßiges Gesicht mit der langen geraden Nase zeigte Muth und Entschlossenheit.

Als sie vor der Thür auf der Straße standen, frug

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der Rath dem Journalisten: »Haben Sie den Mann gekannt, der am Fenster im Halbdunkel saß?«

»Ich habe nicht Acht darauf gegeben.«

»Ein Zeitungsschreiber muß die Augen überall haben. Er kannte Sie wohl, denn er machte den Andern auf Sie aufmerksam.«

»Wer war es denn?«

»Einer der schlimmsten Demokraten, ein Rother, in der Wolle gefärbt - der Tabackshändler Gleich. Ich möchte wohl wissen, wer sein Gesellschafter ist. Das Gesicht ist mir nicht ganz fremd - ich muß, es schon gesehn haben.« Er dachte einen Augenblick nach - »jetzt erinnere ich mich, es ist der junge Schlosser, der neulich eine Reparatur bei mir machte!« -

»Dieser Gleich soll ein gefährlicher Mensch sein,« bemerkte der Präsident. »Ich erinnere mich, schon mehrmals den Namen gelesen zu haben!«

»Nicht mehr als die Andern - aber sie sind gefährlich und stark durch ihr entschlossenes und freies Zusammenhalten, das keine Opfer und keine Mühe und Gefahr scheut, während - wir wollen uns darüber klar sein - unsere gute conservative Partei an Egoismus und Apathie des Einzelnen, an Trägheit, Mißmuth zum geringsten Opfer und jämmerlicher Philisterhaftigkeit das Möglichste leistet. Ich bin unparteiischer Beobachter, weil ich eigentlich Ausländer bin, aber ich sage Ihnen, man täuscht sich schwer, wenn man glaubt, mit jenen Leuten bereits fertig zu sein. Sie benutzen ihre Niederlage, um sich besser zu organisiren. Das zeigt das gemeinsame Enthalten von den Wahlen.

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Aber sie warten ihrer Zeit und untergraben einstweilen die Fundamente der Monarchie, bis der Augenblick kommt, wo sie am Gebäude selbst rütteln können.«

»Die Regierung ist Gott sei Dank stark und fest!«

Der Rath lachte. »Sie hat nicht die Energie, einen Einzigen ordentlich beim Kopf zu nehmen, so wenig wie einer der Herren Junker oder selbst Offiziere, persönlich für die täglichen Schmähungen gegen seine Partei einzustehen, und den ersten besten Schreier über den Haufen zu schießen oder wenigstens zu reitpeitschen! Hat man doch nicht einmal den Muth gehabt, Kinkel erschießen zu lassen, als man das Recht dazu hatte. Es wäre strenge Justiz gewesen, aber einen Professor in Naugardt und Spandau Wolle zupfen zu lassen, ist eine politische Dummheit. Die Oesterreicher verstehen das besser. Man überläßt hier Alles der conservativen Presse und in der That, die Kreuzzeitung allein ist Ihre conservative Partei!«

Der Journalist nickte zustimmend. »Es ist wahr! Kaum ist die Gefahr vorüber, so ist der Hochmuth und der Egoismus von früher wieder da! Die vornehmen Herren glauben wirklich schon zu viel zu thun, wenn sie einem Gruß mit einem gnädigen Kopfnicken danken, während sie vor zwei Jahren nicht genug die Hand zu schütteln wußten. Sie sind selbst Aristokrat, liebster Präsident, aber glauben Sie mir, wenn man sich nicht für das Princip schlüge, für das Königthum im Ganzen, unsere sogenannte conservative Partei ist meist nicht werth, daß man sich einen Finger drum schwarz macht.«

»Das Schlimmste, was die Regierung thun kann,«

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fuhr der Rath fort, während der Präsident nicht gerade sehr angenehm berührt, aber die Wahrheit der scharfen Kritik anerkennend schwieg, - »das Schlimmste sind die halben Maßregeln und das Kokettiren mit den halben und ganzen Gegnern. Statt eine Phalanx sich zu bilden aus Denen, die sich bewährt haben, ist die ganze Politik darauf gerichtet, nicht blos die Feigen und Ausreißer zurückzuholen, sondern auch die Feinde durch Gunstbezeugungen zu bestechen und zu gewinnen. Die Folgen werden dieser Politik Manteuffel vielleicht einst bitter klar werden. Man darf mit einem Staat nicht experimentiren, das sehen wir in Kassel! Und nun Adieu meine Herren und amüsiren Sie sich besser, als mit der leidigen Politik.«

Sie trennten sich, Herr Boltmann, um wie er sagte, nach seiner Wohnung zu gehen, die beiden Andern schlugen, trotz seines Raths, die politische Unterhaltung fortsetzend, den Weg zu dem Ewest'schen Keller ein, wo sie gewiß waren, Gesinnungsgenossen zu treffen.

Die Bemerkung des Kommissionsraths über die Energie und Opferfähigkeit der demokratischen Partei war wohl begründet; - hätten die Drei dem Gespräch lauschen können, das eben von den Beiden geführt wurde, welche Veranlassung zu den politischen Expectorationen gegeben hatten, sie würden eine Probe gesehen haben, die bevor zwei Tage vergangen, nicht blos Berlin, sondern Deutschland in Staunen und -, wir wollen es offen sagen in Bewunderung setzen sollte.

Der jüngere Mann hatte sein Seidel ausgetrunken und schob es zurück. Es ist Zeit, daß ich aufbreche,«

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sagte er in dem leisen vorsichtigen Ton, in dem die ganze Unterredung geführt worden. »Sie haben mich also vollständig verstanden und werden Alles besorgen?«

»Verlassen Sie sich darauf!«

»Lassen Sie es uns noch einmal kurz wiederholen. Falkenthal wird dafür sorgen, daß der Wagen aus Moabit Punkt 12 Uhr in Spandau ist. Das Erkennungszeichen für den Kutscher ist ein weißes Taschentuch in der linken Hand. Der Mann, der es trägt, wird ihn zur Stelle begleiten, wo er halten muß, bis wir zu ihm kommen.«

»Der Besitzer der Pferde fährt selbst - Sie können den Wagen leicht erkennen, ein Schimmel und ein Brauner.«

»Das ist mir nicht lieb, weil es auffallen kann, aber nicht zu ändern. Die Kleidung muß der Doktor bereit haben, wir dürfen uns unterwegs nicht aufhalten.«

»Es ist bereits besorgt.«

»Schicken Sie morgen S... nochmals nach Potsdam. Die Relais am Stern im Thiergarten, in Nowaweß und auf dem Wege nach Brandenburg müssen bis Morgens 5 Uhr warten. Wenn wir nicht kommen, die nächste Nacht wieder ohne weitere Ordre!«

Der Tabackshändler nickte. »Für welche Weise haben Sie sich also entschieden?«

»Das muß der Augenblick lehren - wir müssen uns ganz auf Bruns verlassen. Den Offiziermantel und den Helm hat er glücklich versteckt, aber ich bin, wenn die Nacht irgend finster und schlecht ist, wie zu hoffen steht,

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für die Flucht an dem Seil. Das Verlassen des Gefängnisses als Offizier der Ronde kann zu leicht zu rascher Entdeckung führen, wenn der richtige kommt und ehe wir den nöthigen Vorsprung haben.«

»Aber die Wache, die in dem Gäßchen steht?«

»Der Rathsherr wird sie auf irgend eine Weise beschäftigen. Für den Nothfall bin ich zur Stelle und stoße sie nieder, ehe der Bursche einen Laut von sich geben kann. Die Sache muß morgen versucht werden, denn ich weiß bestimmt, daß der Direktor des Zuchthauses gewarnt worden ist - nur kann ich den Verräther nicht ermitteln. Geserich hat zwar gelacht und gesagt, er habe den einzigen Schlüssel stets unter seinem Kopfkissen, aber er könnte doch versucht sein, in den nächsten Tagen neue Vorsichtsmaßregeln zu treffen.«

»Sie dürfen dem Wärter unbedingt vertrauen?«

»Er hat die Hälfte des Geldes - die andere erhält er, sobald der Gefangene außerhalb der Mauern ist. Die Schlauheit, mit der er uns den Abdruck des Schlüssels zur Thür der Zelle verschafft hat, bürgt für seine Gewandtheit. Ich habe ihm angeboten, uns zu begleiten, aber er zieht es vor, zu bleiben und sich herauszuwickeln so gut es geht, wenn Verdacht auf ihn fallen sollte.«

»Sagen Sie mir Herr Schurz, warum bringen Sie den Professor nicht gleich nach Warnemünde, wo Niemann das Schiff bereit hält?«

»Wir müssen die Verfolgung auf falsche Spur bringen, - darum machen wir den Weg nach Berlin - hier verliert sich am leichtesten die Spur, und dann auf das

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Gut von ... bei Brandenburg, wo er einige Tage bleiben soll, bis der erste Eifer der Verfolgung verraucht und durch die falschen Nachrichten nach anderer Seite geleitet ist. Man wird von Bremen aus seine Einschiffung melden. Es soll Herrn Patzke schwer werden, uns zum dritten Mal die Sache zu vereiteln wie in Schöppenstedt und an der Waldecker Gränze, obschon er ihm jetzt dicht vor der Nase bleiben wird. Wir müssen vor jedem Zufall sicher sein und ich selbst werde erst den Weg machen und für die Relais sorgen, da wir bis Rostock nur bei Nacht fahren dürfen und jedes Mißverständniß von den schwersten Folgen sein könnte. Wir haben noch 17000 Thaler und treue Freunde, damit erreicht man jedes Ziel.«

Der lange Tabackshändler reichte dem jungen Mann die Hand. »Den treuesten hat der arme Professor in Ihnen. Seit der Zeit, wo Sie als Schlosserlehrling bei ... eintraten und Tag und Nacht an dem großen Werk seiner Befreiung arbeiteten, weiß ich erst, was wir vermögen. Dies Beispiel wird die Tyrannen auf ihren Thronen zittern lassen!«

Der junge Mann hatte sich erhoben. »Leben Sie wohl denn und grüßen Sie unsere Freunde. Vermeiden Sie morgen möglichst jeden unnöthigen Verkehr - die Aufmerksamkeit, welche die Krankheit Brandenburg's erregt, wird uns zu Hilfe kommen. Wie steht es mit ihm?«

»Schlecht! Wir werden hoffentlich bald von diesem einen der reactionairen Schurken befreit sein!«

»Pfui Herr - er ist ein ganzer Mann und das

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muß man achten, selbst am Feinde! Jetzt Adieu - ohne Aufsehen!«

Der Tabackshändler hielt ihn nochmals zurück. »Ist es nicht zu gefährlich mit dem Strick, wird er auch halten? Bedenken Sie, vier Stock hoch ist keine Kleinigkeit!«

Der Andere zuckte die Achseln. »Glauben Sie, daß ich das Wagestück dem Freunde zumuthen würde, ohne daß ich es dreifach selbst probirt? Die zerschundenen Hände kann der Professor in ... heilen! Gute Nacht, denn mein Weg ist weit! Donnerstag früh, wenn Alles gelungen, erhaltet Ihr hier in Berlin von Moabit aus das besprochene Zeichen!«

»Hinkeldey wird rasen! - Unsere Gedanken werden bei Ihnen sein! Auf Wiedersehen, wenn die Sonne der Freiheit auch hier aus dem Blut der Reaction sich erhebt und wir Gericht halten über die Tyrannen!«

Sie schüttelten sich die Hände und trennten sich - der Tabakshändler blieb zurück in der Kneipe.

Sie sahen sich nicht wieder. Den revolutionairen Träumen des Einen machte bald darauf der Tod ein Ende, - der Andere zog über's Weltmeer, nachdem er sein einer Frau gegebenes Wort gelöst hatte, um dort die Freiheit zu suchen und - in ihrer Nacktheit kennen zu lernen. Erst als Gesandter der zerfallenden Republik des amerikanischen Nordens sah er nach zwölf Jahren auf flüchtiger Durchreise die rebenbekränzten Ufer der Heimath wieder.



Der Kommissionsrath war auf dem Weg zu seiner Wohnung die Wilhelmsstraße entlang gegangen. Vor der

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offenen Thür des Staatsministeriums hielten die Wagen der Aerzte nicht mehr - auf seine Erkundigung bei einem Diener hörte er, daß man sie nach Hause geschickt, Dr. von Stosch - der Hausarzt des Kranken - wollte die Nacht bei ihm zubringen.

Der Rath stand noch vor dem Hause, als ein großer schlanker Mann, in einen Mantel gehüllt und von den Linden herkommend, die Stufen hinaufstieg, offenbar in der Absicht, sich gleichfalls zu erkundigen oder das ausgelegte Bulletin nachzusehen; denn die Nachricht hatte sich am Abend rasch verbreitet, daß die Krankheit des Grafen die bedrohlichste Wendung genommen. Die Gattin und die Töchter des Kranken waren, durch den Telegraphen herbeigerufen, schon am Vormittag aus Warschau und Schlesien angekommen, die ganze Familie um den Leidenden versammelt.

Der Rath sah dem Eintretenden aufmerksam nach - von der Stelle, wo er stand, konnte man das matt beleuchtete Innere des Hausflurs und den Aufgang der Treppe zum obern Stockwerk überschauen.

Die beiden Schildwachen vor der Thür, die bisher still auf und nieder geschritten, fuhren plötzlich auf ihre Posten, das Gewehr an, kerzengrade sich richtend. Die Treppe herab, von einem kleinen Mann in Civil und den beiden ältesten Söhnen des Verstorbenen begleitet, kam in seinen Militairmantel gewickelt, ein Offizier von hoher Gestalt.

Der Mann in Civil, den Hut in der Hand und anscheinend auch auf dem Wege, das Haus zu verlassen, redete respektvoll auf den Offizier ein, doch schien dieser den Worten nicht die geringste Beachtung zu zollen. Auf

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der letzten Stufe der Treppe blieb er stehen und wies die beiden ihn begleitenden Familienmitglieder zurück, indem er sie umarmte.

Eine energische Geberde bedeutete den Herrn in Civil, ihm nicht zu folgen; er schritt allein dem Ausgang des Hôtels zu, wo er auf den Eintretenden stieß.

Dieser verbeugte sich respektvoll.

Einen Augenblick blieb der Offizier stehen, stolz aufgerichtet, ohne den Gruß zu erwiedern, dann drehte er sich um und machte eine fast wegwerfende Handbewegung, als wolle er die beiden Herren, den Eintretenden und den, welcher ihn durch den Flur begleitet, an einander verweisen, und verließ das Haus.

Die Schildwachen präsentirten.

»Bei Gott der Prinz!«

Der Kommissionsrath hatte, wenn auch undeutlich, die ganze Scene mit angesehen; er lachte jetzt still in sich hinein, als er sah, wie der kleine Herr den Eingetretenen in ein Parterre-Zimmer zur rechten Hand nöthigte, das zum Bureau diente.

»Ich möchte wohl in diesem Augenblick ein Mäuschen sein,« sagte er, sich die Hände reibend, »die Unterhaltung muß recht angenehm werden!«

Damit ging er seines Weges.

Der Herr, welcher hier gleichsam den Wirth in Vertretung des Hausherrn oder seiner um den Kranken versammelten Familie spielte, hatte die Thür geöffnet; das Vorzimmer und das anstoßende Gemach, in das er den Andern nöthigte, waren von einer Astrallampe erleuchtet.

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»Treten Sie näher Herr Baron, es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie selbst noch so spät sich erkundigen, wie der arme Graf sich befindet. Leider bin ich außer Stande, Ihnen gute Nachrichten zu geben, ich komme so eben von ihm, er liegt in wilden Fieberphantasieen.«

Wären der Präsident oder der Journalist zugegen gewesen, sie würden sicher die breite Stimme wieder erkannt haben, die sie vorhin zufällig hinter dem Bosquet des Wilhelmsplatzes belauscht. Der Eingeladene erwiederte höflich die Komplimte. Er war noch ziemlich jung, hatte eine hohe schlanke Figur, blondes Haar und dünnen Backenbart, seine Gesichtszüge zeichneten etwas hohe Backenknochen aus, die auf östlichen Ursprung schließen ließen.

»Das bedauere ich von Herzen,« sagte er höflich, »der Kaiser mein Herr nimmt den größten Antheil daran. Ich habe den Befehl, täglich zwei Mal durch den Telegraphen Nachricht zu senden, und komme daher selbst, nachzufragen, da ein Gerücht diesen Abend mich besorgt gemacht hat. Es würde Seiner Majestät tiefen Schmerz bereiten, wenn Preußen einen so würdigen und biedern Staatsmann und er selbst einen geachteten und lieben Verwandten verlieren sollte.«

»Es wäre vielleicht besser«, sagte der Kleine trocken, »wenn man das etwas eher befürchtet hätte! - Aber ich bitte, Herr Baron, nehmen Sie einige Augenblicke Platz und lassen Sie mich die Gelegenheit benutzen, daß ich die Ehre habe, Sie hier zu treffen, um Ihnen eine Mittheilung zu machen, die mir morgen einen offiziellen Besuch erspart.«

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Der Baron verbeugte sich. »Ich stehe Euer Excellenz stets zu Befehl!«

Der Andere wies auf den Divan und nahm selbst einen der umher stehenden Stühle. Er hatte so geschickt manövrirt, daß er den Halbschatten für sich behielt.

»Seine Majestät haben geruht«, sagte er, »bis zum Eintreffen des Herrn Grafen von Bernstorff aus Wien, der durch den Telegraphen berufen ist, die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten meinen schwachen Kräften anzuvertrauen.«

Der Baron lächelte ziemlich geringschätzig. »Madame la Comtesse,«, sagte er, »können Wien nicht verlassen, sie sind krank.«

»Ich spreche von dem Grafen, mein Herr!«

»Richtig - ich habe mich auch nur geirrt, der Graf ist krank, er wird sich schwerlich beeilen, und, offen gesagt, Euer Excellenz, halte ich es für glücklicher, wenn die Leitung der deutschen Frage in Ihren Händen bleibt. Ich schätze Ihre Herren Diplomaten von Herzen, aber der Herr Graf dürfte vielleicht die hessische Angelegenheit nicht ganz richtig auffassen, sonst hätte er es schwerlich in Wien nicht so weit kommen lassen.«

Der Andere schien es nicht der Mühe werth zu erachten, sich mit der Vertheidigung des Diplomaten aufzuhalten, sondern verfolgte sogleich seine eigenen Eröffnungen.

»Wenn ich auch in Betreff Oesterreichs mit den Intentionen des Herrn von Radowitz von vorn herein nicht einverstanden war, so muß ich doch bemerken, daß man

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von jener Seite eine sehr zweideutige Rolle gegen uns gespielt hat. Das Bündniß von Bregenz und die Unterstützung der Schweiz durch das Wiener Kabinet, als wir von Baden aus die Execution zur Wiedererlangung unsers Eigenthums Neuchâtel beabsichtigten, hat uns bewiesen, welche Gesinnung man in Wien gegen Preußen hegt.«

Der Baron zuckte die Achseln. »Euer Excellenz konnten das nicht anders erwarten nach der Suprematie, welche Preußen durch die Aufgabe des Bundestags, den Versuch in Erfurt und neuerdings durch die Union und das Vorgehen in Cassel über die kleineren deutschen Staaten zu erreichen gesucht.«

»Das ist falsch, mein Herr - der König meint es ehrlich mit den deutschen Interessen, und es ist, grade heraus gesagt, vielleicht sein größter Fehler, daß er Niemand zu nahe treten will. Er hat das bewiesen bei der Ablehnung der deutschen Kaiserkrone, und es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß dies noch neuerdings geschehen ist.«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Herr von Meyendorf«, sagte der Minister scharf, »hat seine Polizei hier und in Wien viel zu gut eingerichtet, als daß Sie nicht wissen sollten, wie das Wiener Kabinet zur Verhütung der Ernennung des Herrn v. Radowitz hier nochmals die Theilung Deutschlands, und zwar diesmal ein Triplegeschäft, in Vorschlag gebracht hat.«

»Euer Excellenz setzen mich in Erstaunen!«

Dem Minister entschlüpfte eine unwillige Bewegung.

»Daß Oesterreich es aufrichtig mit Preußen meint und entschlossen ist, die heilige Allianz aufrecht zu

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erhalten«, fuhr der Diplomat fort, »das beweist die scharfe Ablehnung, die Herr von Prokesch vor kaum acht Tagen an Herrn v. Persigny gegeben hat, als dieser ihm die Zerstückelung Preußens vorgeschlagen, unter der Bedingung der Rheingränze.«

Der Minister blickte den Redner aus seinem Schatten von der Seite an. »Ich finde das keine große Kunst«, sagte er trocken, »nachdem Ihr Souverain zuerst das Project mit der Erwerbung von Polen, Preußen und Schlesien abgelehnt hatte. Indeß muß ich doch bemerken, daß Preußen auch noch eine Stimme dabei gehabt hätte, und man des Bären Fell nicht gut theilen kann, ehe man ihn hat. Aber erlauben Sie mir, auf die Sache einzugehen. Die Regierung Seiner Majestät ist den österreichischen Anmaßungen und Wünschen in einer Weise entgegen gekommen, wie es sich kaum noch mit ihrer Ehre verträgt. Wir haben unsere Truppen aus Schleswig-Holstein zurückgezogen und sind bereit, die Pacificirung den deutschen Bundestruppen zu überlassen. Wir sind ferner bereit, die Union fallen zu lassen und über die Wiederherstellung des Bundestags in freien Conferenzen zu unterhandeln, aber unsere Ehre gestattet uns nicht, uns auf solche Weise aus Hessen verdrängen zu lassen.«

Der Diplomat antwortete durch Schweigen.

Der Minister zog ein Papier aus der Tasche. »Diese Antwort des bayrischen Oberbefehlshabers an den Grafen Groeben, in der er erklärt, unsere Truppen mit Gewalt vertreiben zu wollen, ist eine Unverschämtheit und stützt sich allein auf die Instructionen des Grafen Rechberg.

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Wir haben unsere möglichste Bereitwilligkeit zum Nachgeben und zu einer freundlichen Ausgleichung bewiesen, aber man will uns die Schmach einer Demüthigung anthun, weil wir die Idee eines einheitlichen Deutschlands auf eine ehrliche Weise auszuführen versucht haben. Hiermit hört die deutsche Frage auf und die der preußischen Ehre tritt in den Vordergrund. Ich muß daher Ihnen im Auftrage Seiner Majestät Kenntniß geben, daß morgen im Ministerrath die Mobilmachung der preußischen Armee beschlossen werden wird.«

Es erfolgte eine Pause auf diese Ankündigung, dann erhob sich der fremde Diplomat.

»Ich bedaure, Euer Excellenz wiederholen zu müssen, daß im Fall eines Krieges zwischen deutschen Bundesstaaten der Kaiser, mein Herr, unabänderlich entschlossen ist, hunderttausend Mann einrücken zu lassen.«

»Gegen wen?«

»Gegen Den, welcher den Frieden gebrochen!«

»Und wer giebt Ihnen das Recht dazu, sich in die innern deutschen Angelegenheiten zu mischen?«

»Die heilige Allianz. Das Kabinet Seiner Majestät des Kaisers kennt nur deutsche Fürsten, seine Verbündeten, nicht ein Deutschland.«

Auch der Minister hatte sich erhoben; die kleine, für gewöhnlich jeder äußeren Repräsentation so unzugängliche Gestalt richtete sich fest und sicher empor, der ungewisse, apathische Blick hinter den Gläsern der Brille nahm eine Würde an, wie sie nur das empörte Gefühl und aufrichtiger, wahrer Patriotismus verleihen mag, und in den so

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schlaffen, büreaukratischen Falten des Gesichts drückte sich Kraft und Entschlossenheit aus.

»Die preußische Armee wird mobil gemacht werden!« sagte er fest und mit Würde; »der Beschluß ist gefaßt und muß ausgeführt werden, schon um anderer Zwecke willen. Wenn Preußen dann sich vor Gegnern zurückziehen muß, denen es sehr wohl die Spitze bieten könnte, so wird Europa wenigstens sehen, daß es nicht aus Furcht vor diesen geschehen ist, sondern weil wir wissen, daß wir in diesem Augenblick nicht mit Rußland dazu den Kampf beginnen können. Aber, mein Herr Baron, ich hoffe, es wird eine Zeit kommen, wo Preußen an der Spitze von Deutschland jede fremde Einmischung in unsere Ordnung, ob von Westen oder Osten, mit Erfolg zurück weisen kann. Bis dahin wird auch das große Rußland vielleicht die Erfahrung gemacht haben, welcher Verlaß auf österreichische Dankbarkeit ist; und wenn mich nicht Alles trügt, wird ebenso die Zeit kommen, wo das kluge Oesterreich mit sehnsüchtigem Auge nach preußischer Hilfe ausschauen wird. Dann, Herr Baron, wird man in Petersburg wie in Wien vergebens den Tag von Warschau bedauern! Uns kostet er einen Ehrenmann - was er Rußland und Oesterreich kosten wird, liegt im Schooß der Zukunft!«

Er verbeugte sich höflich und begleitete den Diplomaten zur Thür. -


Der Kommissionsrath war nach dem kurzen Verweilen an der Thür des Staatsministeriums eilig nach seiner Wohnung gegangen.

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Der alte Diener, den wir bereits aus früheren Scenen kennen, erwartete ihn an der Thür.

»Ist Jemand da?«

»Die Frau Gräfin! Sie hat bereits drei Mal gefragt, ob Sie noch nicht zurückgekehrt. Ich habe sie in den Salon geführt, indem ich sagte, daß Sie den Schlüssel zum Kabinet mitgenommen.«

»Dann vorsichtig, daß sie mich nicht hört. ehe Du mir Rapport abgestattet. Ich bin wirklich froh, daß sie nicht mehr im Hause wohnt!«

Der Diener öffnete leise die Thür des Arbeitskabinets des Kommissionsraths. Die Lampen waren bereits angezündet, das Zimmer war behaglich erwärmt und die dicken Teppiche dämpften jedes Geräusch.

»War Jemand hier?«

»Zwei Personen. Der Secretair aus dem Ministerium, der Große, Hagere. Er kam zwei Mal und schien es sehr dringend zu haben.«

»Bah, er kommt zu spät mit der Nachricht, ich kenne sie bereits. Und der Andere?«

»Ein Fremder. Er kommt von Hamburg - der Name, den er mir sagte, klang polnisch.«

»Du hast ihn nicht behalten?«

»Doch! ich habe ihn aufgeschrieben.« Er reichte dem Rath den Zettel.

»Zum Henker - das thut mir leid, das ich ihn verfehlt. Wird er wiederkommen?«

»Er ist mit dem Nachtzug nach Warschau abgereist und hat mich nur beauftragt, Ihnen zu sagen, daß in

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Irland und Liverpool die Sachen gut ständen. Der Sieg sei gewiß. - Vier Briefe sind eingegangen.«

Er wies nach dem zierlich gestickten Korb an der Wand. Der Kommissionsrath nahm sie und betrachtete die Aufschriften und Siegel.

»Wer hat sie gebracht?«

»Zwei sind vor einer halben Stunde von einem Diener aus dem französischen Gesandtschaftshotel gebracht worden, einen brachte die Stadtpost, den vierten gab ein Knabe ab.«

»Bleib' in der Nähe, wenn ich Dir vielleicht noch einen Auftrag zu ertheilen habe.«

Er hatte sich an sein Bureau gesetzt und begann die Briefe zu erbrechen, nachdem er sich sorgfältig überzeugt hatte, daß keine Verletzung der Siegel stattgefunden.

»Aus Paris!« murmelte er - »es ist also richtig, der Agent des Herrn von Manteuffel ist kein Dummkopf und er war wirklich dort. Sehen wir, was die Marquise schreibt.« - Er las. »Also zwanzig Millionen Franken - Der reichste Grundbesitzer Montevideo's! - Der Oberst ist am 19. in Paris mit seiner Tochter angekommen und bereits zwei Mal im Elysée gewesen. - Sennora Carmen etwas eigensinniger Natur und scheint nicht besondere Neigung für den Grafen zu verrathen ...vielleicht wäre es besser, das Project der Kammerherrin zu kreuzen, ihren Neffen der Gesandschaft in Paris zu attachiren! - Aber er ist zu unbedeutend und wird sich desto rascher ruiniren!«

Er hatte den zweiten Brief geöffnet; derselbe schien ihn sehr zu interessiren, denn er las ihn aufmerksam zwei

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Mal, ehe er ihn sorgfältig zusammenlegte und in einem geheimen Fach des Secretairs verschloß.

»Wahrhaftig - der Plan ist nicht übel, und die Spanierin will nicht gering hinaus. Die Mutter ist eine Intriguantin, aber die schöne Eugenie ein Charakter und der Kirche fest ergeben, wie ihre Schwester, die Alba! - Wenn wir ihr beistehn, werden wir uns jede Einwirkung bewahren, während das Beispiel Marie Luisen's zeigt, daß es nicht immer die Prinzessinnen sind, denen die Männer gehorchen. - Laßt sehen!« Er nahm den Gothaer Almanach und blätterte darin. »Die Pläne am sächsischen Hofe zu durchkreuzen, wird leicht sein, - in Petersburg hat er ohnehin keine Aussicht, dazu kennen wir Kaiser Nikolaus zu gut, und der Korb wird in seinem Groll unsere Zwecke fördern. Prinzessin Elisabeth ist dem Oesterreicher bestimmt - die Italienerinnen kommen nicht in Betracht! Bei dem Herzen des heiligen Ignatius - ein Plan aus Weiberkopf ist oft schlauer, als was das Hirn des klügsten Jesuiten ersann!«

Er hatte bereits den dritten Brief geöffnet. Die kleinen listigen Augen in dem wohlgenährten Gesicht funkelten. »Fünfundzwanzig tausend Thaler in Wechseln auf Bleichröder - die Spekulation ist also gelungen und die Papiere werden morgen um 2 Prozent fallen. Das ersetzt den Verlust der Lieferung, obschon wir uns die Revange an dem Tölpel von Geheimen Rath vorbehalten. Ei ei - was bedeutet das; - er ist von dem Mädchen, das ich im Interesse der Gräfin bei ihrer Nichte, der kleinen Fürstin mit dem Marmorgesicht in Dienst gebracht. Wahrhaftig,

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für unsere katholischen Schulen hier in Berlin muß etwas gethan werden - die Gründung eines Ursuliner-Klosters ist nothwendig. Das Gekritzel der Dirne ist kaum zu lesen.«

Das war es in der That, erst nach einiger Mühe fand er aus der klassischen Orthographie und Stylistik den Sinn heraus.

»Ein Mann seit acht Tagen heimlich in einem Zimmer unmittelbar neben dem der Fürstin verborgen? Nur die Maitresse des Fürsten und der Kosak wissen um ihn?« - Bah, die Launen dieser russischen Nabobs sind oft seltsam - ich habe mehr zu thun, als mich um schmuzige Liebschaften zu kümmern und werde der Gräfin den Brief geben. Jetzt an die österreichische Sache - sie wird bereits ungeduldig sein.«

Er schellte dem Diener. »Benachrichtige die Gräfin, daß ich da bin und führe sie hierher.«

Einige Augenblicke später - er hatte selbst die Seitenthür geöffnet, die nach den andern Zimmern führte, nachdem er seine Correspondence bei Seite gebracht, rauschte die Dame herein. Sie hatte einen schottischen Mantel umgeworfen und sich eine Cigarre angezündet, um sich die Zeit des Wartens zu vertreiben.«

»Pardioux - Sie haben magnifique Condaflores Räthchen« sagte sie, sich auf die Bergère werfend. »Sie müssen mir tausend Stück davon schicken und können es auf unsere Abrechnung schreiben. Zum Henker, ich habe fast eine Stunde auf Sie gewartet und hätte ich das Album mit den Kupferstichen von Reni nicht gefunden und »Les

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quarante-huit manières du Palais Royal«, ich hätte irgend eine Tollheit aus langer Weile begangen, etwa Ihre Schubfächer visitirt oder Ihrem Papagei den Hals umgedreht.«

»Meine Schubfächer haben gute Schlösser,« sagte der Kommissionsrath lachend, »und mein Papagei kratzt und beißt. Ich habe ihn von Herrn von Rothschild zum Geschenk erhalten, dem er zu bösartig und zu offenherzig war.«

»Wie so? Das Papchen spricht allerliebst - man kann sich förmlich mit ihm unterhalten!«

»So meinte Herr von Rothschild auch, als er ihn in Paris bei dem Vogelhändler an der Madeleine sah und kaufte ihn darum für 20 Louisd'or. Da aber die Thiere bekanntlich durch den Transport auf den Bahnen für längere Zeit sehr eingeschüchtert werden, ließ er einen Handwerksburschen ermitteln, der nach Frankfurt heim wanderte und übergab diesem gegen eine sehr kleine Vergütung den Vogel zum Transport. Der Mann traf an einem Abend in Frankfurt ein, an dem der Baron gerade große Gesellschaft hatte und dieser ließ dem Träger einen Gulden Extra-Trinkgeld zahlen und den Vogel in den Salon bringen. Die ganze Gesellschaft sammelte sich um das Wunderthier, das in einen bereitgehaltenen prächtigen Käfig gesetzt wurde, vor dem der Hausherr jetzt ein Stück Zucker als Belohnung in der Hand in seinem berühmten Französisch frug: Qui est ton maitre? - Sie können sich denken, welches homerische Gelächter erscholl, als der Vogel in Folge der täglichen Instruktion, die er unterwegs erhalten

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hatte, in gutem frankfurter Deutsch schrie: »Schäbiger Jud! schäbiger Jud!«

Die Gräfin lachte, daß ihr die Cigarre aus den Fingern fiel. »Eine hübsche Lection für diese orientalische Geldaristokratie! Die Anekdote ist allerliebst, ich werde sie colportiren!«

»Aber nicht auf mein Conto, denn ich stehe mit Herrn Anselm vortrefflich.« Er hatte ihr galant eine andere Cigarre präsentirt und reichte ihr die Wachskerze, um sie nicht in der höchst ungenirten Stellung, wie sie das Bein auf die Lehne stemmte, zu stören. »Sie können dann gleich eine zweite mit in den Kauf nehmen.«

»Bitte Räthchen - lassen Sie hören. Sie erzählen so hübsch Anekdoten, namentlich die equivoken. Ihre letzte, von der jungen Assessorin, die sich für die Brautnacht ätherisiren ließ, hat Furore gemacht.«

Der Rath kannte die schwache oder vielmehr starke Seite der Dame und warf geschwind eine Anekdote von einem silbernen Löffel ein, den ein Jugendfreund beim Besuch eines katholischen Landpfarrers in dessen Bett versteckt hatte, und nach dessen Verbleib der würdige Pfarrer auf Betrieb seiner hübschen Nichte nach vierzehn Tagen noch bei dem Schalk von Universitätsfreund nachfrug. »Aber die andere Anekdote, Räthchen,« beharrte die Gräfin, die sich ein Glas Burgunder eingeschenkt. »Lassen Sie hören!«

»Sie wissen vielleicht, daß die kleine hübsche Jüdin, die Frau des Banquier Fuchs Unter den Linden, in Wochen ist?«

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»Ich hab' es gehört.«

»Daß Sie den Mann kennen aus Ihren Geldgeschäften weiß ich. Vorgestern schickt er in aller Eile Abends nach dem Geheimen Rath, seinem Hausarzt - Madame liegt in den höchsten Nöthen. Der Doktor kommt, besieht sich die Kranke und meint, es hätte noch keine Noth, in vier oder fünf Stunden würde er wiederkommen. Aber der kleine Banquier beschwört ihn bei allen Fäden der Thora, ihn nicht zu verlassen, und der Doktor bequemte sich endlich dazu unter der Bedingung einer guten Flasche Lafitte und eines Whists en deux. Im Nebenzimmer liegt die Kranke und stöhnt alle Viertelstunden: Mon Dieu - quel douleur! quel douleur! je meurs! je meurs! Der liebende Ehegatte will sich die Haare ausreißen vor Verzweiflung über die Leiden seiner theuren Hälfte, läuft wie ein Narr umher und beschwört jedes Mal den Doktor, doch geschwind zu helfen. Aber der Doktor drückt ihn immer wieder hartherzig auf den Stuhl zurück, will von keiner Gefahr wissen und trinkt eine Flasche nach der andern. Endlich um 3 Uhr Morgens erschallt's aus dem Schlafzimmer: »Waih geschrien! ich sterbe!« Da springt der Doktor auf und sagt: »Nun lieber Freund ist's Zeit, jetzt kommt die Natur zum Ausbruch!«

Die Gräfin lachte. »Sie sind unverbesserlich mit Ihrem Spott und doch werden Sie die steigende Macht und den Einfluß des Orientalismus nicht hindern!«

»Preußen ist nicht Europa, nicht einmal Deutschland,« sagte er ernst. »Man wird hier einst die Konzessionen schwer empfinden, die man dem Rationalismus einzig zu

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Gunsten dieser wie der Epheu überwuchernden Herrschaft gemacht hat. Einstweilen darf man den Kampf nicht aufgeben. Aber nun zu unsern dringenderen Fragen. Sie waren bei der Kammerherrin?«

»Drei volle Stunden!«

»Und Sie haben erfahren?«

»Alles was ich wissen wollte aus dem Kabinet des Königs. Wenn auch nicht direkt, so doch auf Umwegen!«

»Ich kenne Ihre große Gewandtheit meine Gnädigste. Ist es erlaubt, Sie um die Resultate zu fragen?«

»Warum nicht - wir gehen ja Hand in Hand. Der Coup mit der untergeschobenen Proklamation des Grafen v. d. Groben wäre ohne Ihre Hilfe nicht möglich gewesen.«

Der Kommissionsrath lachte. »Es ist wahr,« sagte er - »die Sache hat die Regierung arg compromittirt und vollständig in die schiefe Situation gedrängt.«

»Die Mobilmachung ist beschlossen!«

»Ich weiß es bereits. Aber ebenso das Nachgeben! Zu was also erst der Lärmen?«

»Es ist eine erzwungene Konzession an den Prinzen. Es soll zu einem sehr heftigen Auftritt mit Herrn von Manteuffel gekommen sein - man spricht von einem zerbrochenen Stuhl.«

»Der König soll sich nur schwer zur Unterzeichnung entschließen. Es wäre sehr zu wünschen gewesen, er thäte es nicht!«

»Warum? - gerade die Mobilmachung wird die Demüthigung Preußens und den Sieg Oesterreichs in den deutschen Angelegenheiten erst recht eclatant machen! Sie

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wissen, daß wenn Oesterreich in diesem Augenblick mit seinen Verbündeten Ernst machen will, selbst ohne russische Hilfe, wir in vierzehn Tagen von Berlin aus unsere Bedingungen diktiren können.«

Der Rath schüttelte ernst den Kopf. »Diese erzwungene Mobilmachung ist ein Bruch der österreichischen Obergewalt in Deutschland - man hätte es nicht so weit kommen lassen sollen.«

»Wie so? ich verstehe das nicht!«

»Es ist freilich zu spät, es zu ändern und das Wiener Kabinet scheint entschlossen, mit dieser Demüthigung Preußens auf Grund der begangenen Fehler seine Scharten von Achtundvierzig auszumerzen. Schwarzenberg und Rechberg sind darin einig. Aber hören Sie mich an, und Sie werden mir Recht geben.«

»Ich bin begierig!«

»Die preußische Armee ist in diesem Augenblick blos, noch durch den Ruf gefährlich. Der lange Frieden hat sie, wenn auch nicht demoralisirt, doch zum Schlendrian des Kamaschendienstes heruntergebracht. Die Episoden in Schleswig-Holstein und Baden waren zu unbedeutend, um zu zeigen, daß es dem »herrlichen Kriegsheer« an sehr Vielem gebricht und daß gar Vieles auf dem Papier steht, was in der Wirklichkeit nicht vorhanden ist.«

»Desto besser für uns!«

»Nicht desto besser für uns! Der Prinz ist ein tüchtiger, ein wirklicher Soldat, in Wahrheit der erste der Armee und er kennt dieselbe zehnfach besser, als sein königlicher Bruder. Ich weiß ganz bestimmt, daß er schon bei

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Lebzeiten seines Vaters und dann wiederholt seinem Bruder ein umfassendes Projekt über die Reorganisation der Armee vorgelegt hat, das diese wieder auf einen den kriegsgewohnten Heeren der andern europäischen Mächte entsprechenden Standpunkt bringen soll. Er kennt die jetzigen Mängel und Schwächen ganz genau, und deshalb dringt er auf die Mobilmachung, weil dieselbe unbedingt die Schwerfälligkeit und das Gefährliche des jetzigen Systems und alle die vorhandenen Mängel in der Ausrüstung ergeben muß, so daß man sich dem nicht mehr wird entschlagen können, Hand an die Besserung zu legen. Daß das preußische Volk an und für sich von einem tapfern militärischen Geist beseelt ist, werden auch seine Feinde nicht leugnen; durch die von Oesterreich erzwungene Mobilmachung aber wird seine Armee, mag man auch zuerst über die offenbar gewordenen Mängel spotten, eine um so gefährlichere; deshalb suchen Rußland und Frankreich auch diese Mobilmachung zu vermeiden, während Oesterreich sie thörichter Weise erzwingt.«

»Ich hätte in der That nicht so viel militärisches Genie hinter Ihnen gesucht,« sagte die Gräfin spöttisch.

»Ueberdies« ... er beachtete ihren Hohn nicht.

»Nun?«

»Die Demüthigung, die Oestreich Preußen in Hessen und bei den bevorstehenden Versammlungen - kennen Sie bereits den Ort?«

»Olmütz oder Dresden!«

»Also in Hessen und Olmütz bereiten mag, wird man zwar auf die Schultern des Herrn von Manteuffel laden,

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der eben nur dem Verstand und der Nothwendigkeit folgt, aber in der Nation selbst wird eine tiefe Erbitterung, ein neues Mißtrauen gegen Oesterreich zurückbleiben, und das Madame, wird uns für die Folge sehr hinderlich sein!«

»Bah -«sagte sie leichtfertig, - »was kümmert uns die Zukunft! die preußischen Fehler werden uns nie fehlen, wir haben Diplomaten und Preußen hat nie deren gehabt, und Fürst Schwarzenberg ist der Mann, mit Berlin wie mit Petersburg umzuspringen. Die Art, wie er Graf Brandenburg in Warschau behandelt hat, ist großartig.«

»Die Russen müssen blind gewesen sein, nicht zu merken, was ihrer selbst wartet!«

»Unsere Dankbarkeit wird die Welt noch einmal in Erstaunen setzen,« sagte die Dame, den berüchtigten Ausspruch des österreichischen Premiers parodirend. »Preußen mag jetzt büßen, daß es dem Theilungsplan widerstrebt hat. Die einzig richtige Politik ist, zu nehmen, was man bekommen kann, und das bringt mir in Erinnerung, daß ich dringend Geld brauche.«

»Ich habe Ihnen die Anweisung am Ersten ausgezahlt.«

»Bah - als ob eine Dame von Stand nicht Extra-Ausgaben hätte. Ich muß zu morgen tausend Thaler haben - sonst ...«

»Sonst?«

»Nun, sonst bekommt der Fürst von Thurn und Taxis nicht die Abschrift der Instruction, die morgen an den Grafen abgehen wird!«

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»Wie - Sie sind in deren Besitz? wie haben Sie dieselbe erlangt?«

»Erst die tausend Thaler!«

Der Agent öffnete sein Pult und nahm zehn Banknoten heraus.

»Quittiren Sie!«

»Mit Vergnügen! und hier ist die Abschrift. Der Fürst wird sehen, daß er ohne Gefahr für unsere lieben Bayern vorrücken kann, auf Fulda und Kassel. Man wird mit Parlamentiren und unter dem Vorwand gefährdeter militärischer Stellungen sich zurückziehen und es in keinem Fall zum ernsten Schlagen kommen lassen.«

»Diese Gewißheit ist für den Fürsten von größter Wichtigkeit - die Nachricht muß mit dem ersten Zug nach Hünfeld mitgetheilt werden, wo augenblicklich das Hauptquartier ist.«

»Ziska ist bereit, er kann morgen mit dem Frühzug abreisen.«

»Natürlich über Weimar und Gotha. Ich werde die Depesche fertig machen und Abschrift für Wien nehmen. Haben Sie sonst Nachrichten?«

»Die Kammern sollen zum 21. einberufen werden.«

Der Kommissionsrath zuckte die Achseln.

»Für den Fall der Mobilmachung bereitet die conservative Partei den Aufruf zu einer National-Anleihe vor. Er wird am Tage nach der Erklärung von der Kreuzzeitung ausgehen.«

»Schau! was diese Herren Journalisten verschwiegen sind, ich werde es mir merken. Die Sache ist wichtiger,

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als die Kammern; denn trotz der Märztage lebt in diesem Volke noch ein solcher Patriotismus, ein solcher Zusammenhang, daß das Ergebniß einer solchen Nationalanleihe ein bedeutendes sein muß. Zehn Jahre weiter werden darin viel geändert haben. Selbst für die antiösterreichische Stimmung ist die Sache von Bedeutung; denn wenn die Leute dabei noch Geld im Spiel haben, steigt die Antipathie, und dies Schauspiel wird antiösterreichisch wirken, weil dort die Finanzen sehr schlecht stehen und das Silber eine Seltenheit ist!«

»Bah - für uns hat es noch nie an baarem Gelde gefehlt - die Kanaille mag sehen, wie sie sich arrangirt. A propos - wie geht es dem Kleinen?«

»Wem?«

»Baszom a lelkedet! Meinem Pflegekinde, das Sie mir so bald wieder fortgenommen?«

»Was kümmert es Sie?«

»Man muß sich um Alles kümmern, was vorkommt, und von der Idee, daß das Ding eine Frucht Ihrer petits amusements gewesen ist, bin ich so ziemlich zurück gekommen. Warum haben Sie es mir eigentlich schon am nächsten Tage gleichfalls bei Nacht und Nebel wieder fortgeholt? Ich liebe die Schooßhündchen.«

»Eben deshalb!«

»Glauben Sie denn, daß ich so einfältig gewesen bin, nicht weitere Erkundigungen einzuziehen? Das Interesse an der Diebsbande, die man in jener Nacht bei einem Einbruch in ein Haus, nicht weit von dem Ort, wo ich Sie traf, beim Kragen nahm, absorbirte freilich alles Andere.

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Einige Tage darauf hörte man aber, daß ein Kind verunglückt war in demselben Haus, von dessen Bewohnern man sich überhaupt seltsame Dinge erzählt. Das Auffallendste war mir, daß selbst meine würdige Freundin, die Kammerherrin, für die sonst die Populace gar nicht existirt, an dem Tode des Haltekindes besondern Theil zu nehmen schien. Sagen Sie mir doch, liebes Räthchen ...«

Der Kommissionsrath unterbrach sie. »Einen Augenblick, Frau Gräfin!« Er trat an sein Bureau, schloß ein Fach auf und nahm ein kleines Packet heraus. Dasselbe enthielt ein beschriebenes Blatt und drei kleine, in Form der Pulverdüten der Apotheker zusammen gefaltete Papiere.

Der Rath öffnete eins derselben. »Wissen Sie vielleicht, was das hier sein mag?« frug er ruhig.

»Bah - wie soll ich das sagen? Wahrscheinlich ein Brausepulver!« ...

»Es hat allerdings eine niederschlagende Wirkung, jedenfalls auf unnütze Neugier! - Diese Pulver, - Sie wissen, daß ich ein Sammler von merkwürdigen Dingen bin, - hat eine etwas lebenslustige Dame vor Zeiten sehr unvorsichtiger Weise dem Jäger ihres Gemahls, mit dem sie ein kleines Verhältniß hatte, gegeben, um sie bei Gelegenheit in den Kaffee oder die Chocolade seines Herrn zu mischen. Ich bin überzeugt, daß sie eben nur ein kleines Stärkungsmittel, vielleicht adstringirender Natur sind, um die Liebe des lauen Eheherrn aufzufrischen. Es ist eine Vermuthung, denn die Pulver sind wirklich ohne allen Geruch und Geschmack und hinterlassen keinerlei Spur.«

Die Gräfin war sehr unruhig geworden bei der kurzen,

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gleichgültigen Erzählung des Raths; eine fliegende Röthe wechselte mehrmals auf ihrem Gesicht.

»Wahrscheinlich ist es so«, sagte sie endlich. »Aber was hat das mit unserm Gespräch zu thun?«

»O, in der Welt Gottes Nichts? Es fiel mir nur grade so ein als Merkwürdigkeit. Freilich gewinnen die drei Pulver erst durch das beiliegende Papier Bedeutung.«

»Wie so?« - ihr Gesicht war sehr bleich.

»Es enthält die von dem Geistlichen auf sein Verlangen aufgesetzte Beichte des seitdem verstorbenen Jägers, von ihm selbst unterschrieben, in welcher er jenen Auftrag erwähnt mit allen Daten und Namen, und erklärt, daß sein Gewissen es nicht zugelassen habe, denselben zu erfüllen. Er habe seine vornehme Geliebte daher getäuscht.«

Die Gräfin murmelte etwas zwischen den Zähnen, was wie »der Elende!« klang.

»Sagten Sie etwas?«

»Ich? - Nein! - Darf man die Namen in Ihrem interessanten Manuscript vielleicht lesen?«

»Die Unterschrift? - Sehr gern! Aber den Namen der Dame und ihres Gemahls Ihnen zu zeigen, erlaubt meine Discretion nicht!«

»Geben Sie her!«

Er zeigte das zusammengefaltete Papier ihr hin, doch so, daß eben nur die Unterschrift des Verstorbenen zu erkennen war.

Die Gräfin warf einen kurzen Blick darauf. Sie hatte die Lippen fest zusammen geklemmt und suchte mit Aufbietung aller Kraft eine äußere Ruhe zu behaupten.

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»Es ist gut!«

Der Rath schlug das Papier sorgfältig wieder zusammen und verschloß es in den Secretair. »Und nun, liebe Freundin, lassen Sie uns weiter plaudern. Sie frugen, wenn ich mich recht erinnere, wegen des Kindes, das Sie damals so freundlich waren, vierundzwanzig Stunden bei sich zu pflegen?« ...

»Daß ich nicht wüßte! die ganze Sache geht mich überhaupt nichts an - ich habe genug zu thun mit meinen eigenen Angelegenheiten!«

»Ich glaube das selbst,« sagte der Kommissionsrath trocken. »In dieser Beziehung - haben sie kürzlich Ihre schöne Verwandte, die Fürsten Trubetzkoi gesehen?«

»Wir kommen nur selten zusammen - Sie wissen ja, daß sie sich von aller Welt zurückzieht. Auch will der Fürst, nachdem hier die Ankäufe, die er für den Kaiser gemacht, beendet sind, schon im Dezember nach Paris oder dem Süden gehen.«

»Ist der Fürst eifersüchtig?«

Die Gräfin lachte ausgelassen, sie hatte sich vollkommen von dem Intermezzo von vorhin erholt. »Eifersüchtig, auf wen? auf die Nonne?«

»Es würde auch nicht mit dem, was man mir erzählt hat, harmoniren.«

»Darf man das wissen?«

»Warum nicht? Seit acht Tagen verweilt ein Mann heimlich in der Wohnung des Fürsten, ohne daß die Hausgenossen ihn zu sehen bekommen. Er ist in dem Zimmer neben dem Schlafgemach der Fürstin eingeschlossen und

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nur der Kosak oder das Mädchen, das eine so zweideutige Stellung in dem Reisehaushalt des Fürsten einnimmt, verkehren mit ihm.«

»Das ist allerdings eigenthümlich!« Die Gräfin sann einige Augenblicke nach. »Lazare hat mir höchst pikante Dinge erzählt von dieser Heirath, als er mich im vorigen Jahr hier besuchte, ehe er nach Paris und London geschickt wurde. Wenn nicht die Maitresse des Fürsten und sein Leibkosak darum wüßten, würde ich wirklich glauben, die ungarische Vestalin, meine werthe Nichte, wäre ein trübes Wässerchen und setzte ihrem gestrengen Herrn und Gebieter die wohlverdienten Hörner auf.«

»Der Ruf der Fürstin ist fleckenlos,« sagte der Rath. »Um so mehr wundert man sich, daß sie ein so zweideutiges Geschöpf, wie jenes wilde Mädchen um sich duldet, das die Maitresse des Fürsten vor seiner Verheirathung gewesen, ja noch immer sein soll. Man sagt sogar, daß sie sehr vertraut mit ihr umgeht!«

»Ebbadta - die Tugendheldin ist immer ein Original gewesen. Lazare wollte nicht mit der Sprache heraus - ich glaube aber sicher, daß er den Schlüssel dazu hat. Vielleicht ist es irgend eine politische Persönlichkeit, ein Compromittirter, den der Fürst dort versteckt hält. Aber ich will es schon herausspioniren - morgen am Tag, oder vielmehr heute, denn es ist über Mitternacht, werde ich einen Besuch im Hôtel machen.«

Der Kommissionsrath dachte über die hingeworfene Aeußerung der Gräfin nach. »Es ist nicht unwahrscheinlich. Ich will Ihnen sogar sagen, daß man in Petersburg

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seit dieser ungarischen Heirath den Fürsten mit einigem Mißtrauen betrachtet. Man glaubt, daß er sich der Partei des jungen Rußland zuneige. Jedenfalls sind auffallende Einflüsse seit jener Zeit bei ihm bemerkbar geworden.«

Die Gräfin lachte. »Er ist der ärgste Autokrat, den ich mir denken kann!«

»Grade solche Charaktere schlagen oft in das Gegentheil um. Die Sache mit dem Unbekannten ist zwar nicht von Wichtigkeit, aber es ist doch gut, Kenntniß davon zu haben. Ich verlasse mich auf Ihr Talent - Sie haben es glänzend bewiesen mit der geheimen Instruktion an den General.«

»Meinen Sie?«

»Es ist ein Meisterstück! Wie zum Henker sind Sie in den Besitz der Abschrift gekommen?«

»So frägt man dem Bauer die Künste ab! Aber Scherz bei Seite - die Vertrauten Sr. Majestät des Königs von Preußen sollten etwas weniger Vertrauen in ihre Bedienten setzen - die Sache kann einmal sehr unangenehm werden! doch nun Adieu - mein Tagewerk ist gethan, und Sie haben noch zu thun. Um wie viel Uhr soll ich bei Ihnen sein, die Briefe abzuholen?«

»Sie wollen sich selbst bemühen? das wäre zu viel, denn es wird ziemlich spät werden. Schicken Sie Ziska um 6 Uhr früh zu mir, der Zug geht um 7 Uhr ab.«

»Par Dieu! Glauben Sie denn, daß ich jetzt Lust habe, schon nach Hause zu gehen? ich muß eine kleine Erholung haben auf meine Mühe und meinen Aerger, besonders, da ich tausend Thaler in der Tasche habe.

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Wenn ich am Morgen nach Hause komme, ist es Zeit, den Burschen zu wecken und ich bringe ihn selbst hierher. Der Vormittag ist zum Schlafen.«

Sie hatte sich eine frische Cigarre angezündet und hüllte sich in ihren Mantel. Der Rath machte keine Miene, sie länger aufzuhalten.

»Wenn Sie wollen, so thun Sie es. Mein Diener wird auf Sie warten, und Sie können unterwegs den Jäger instruiren, das erspart uns die Zeit. Viel Vergnügen Gräfin, und sein Sie hübsch vorsichtig. Sie wissen, daß wenn Ihr Treiben heraus käme, Ihre ganze Stellung unhaltbar wäre!«

»Bah - ich kümmere mich so viel darum!« - An der Thür drehte sie sich nochmals um und kehrte zu dem Rath zurück, der sich bereits zum Schreiben niedergesetzt hatte. Sie reichte ihm die Hand.

»Wir sind Freunde,« sagte sie, »und Freunde achten ihre kleinen Geheimnisse, nicht, Räthchen?«

»Bewahren Sie diesen Grundsatz. Von meiner Seite wird er nicht gebrochen werden!«

»Ihr Wort?«

»Mein Wort darauf!«

Sie trat zum Tisch, nahm ihm die Feder aus der Hand und schrieb mit einem raschen Zug auf das Papier einige Buchstaben.

Sie lauteten:

I.  H. S.

Sie warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu und verließ, ohne ein Wort hinzuzufügen, das Zimmer.

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Der Kommissionsrath betrachtete mit ärgerlicher Miene das Zeichen.

»Sie ist ein Satan und hat mich errathen! - Aber sie ist in meinen Händen und das genügt!«

Er nahm einen andern Bogen und begann seine Arbeit. -



Ein süßer, die Sinne angenehm aufregender Ambraduft füllte das Gemach - in der Mitte desselben stand ein breites Bett, von faltigen Gardinen umflossen - auf diesem von seidenen Kissen gebildeten Lager ruhten zwei Gestalten, Arm in Arm verschlungen, Herz an Herz - ein Mann und eine Frau - beide jung, beide schön, beide in seltsamer Uebereinstimmung der Seelen mit einem tiefen Gram im Herzen, der sich auf ihren Zügen ausprägte.

Aber diese Züge vermochte in diesem Augenblick Niemand zu prüfen, denn das ganze, so reich und kostbar drapirte Gemach war in das absoluteste Dunkel gehüllt.

Der Mann, der auf dem Lager ruhte, schlief. Sein Kopf war auf den Busen seiner nächtlichen Gefährtin gesunken und hatte dort ein süßes Lager für seine Träume gefunden. Denn er träumte in der That - vielleicht einen köstlichen Traum, weil die halb geöffneten Lippen ruhig und leicht athmeten.

Die Frau schlief nicht! Sie hatte den einen Arm auf die Kissen und den Kopf in die Hand gestüht, während die andere auf dem Schläfer an ihrer Brust ruhte. Ihr offenes Auge war in der Dunkelheit ernst und schwer auf den Schläfer geheftet.

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So lag sie wohl schon eine Stunde lang in tiefen Gedanken.

Der Mann bewegte sich - ein leichter Seufzer kam über seine Lippen, dann ein Name, zwei Mal mit besonderem Ausdruck wiederholt.

Der Name klang so seltsam - er erinnerte an die tyroler Berge, an die frische Natursprache des kräftigen Volks.

»Nandl! - Nandl!«

Die Frau an der Seite des Schläfers lächelte traurig! - War es ihr eigener Name? Fühlte er im Traum das süße Liebesglück weiter, das er so eben an ihrem Herzen genossen, kam ihr Name unwillkürlich von seinen Lippen voll Liebe und Dank?

Nein - es war nicht der Name der Frau an seiner Seite! -

»Der Arme!« flüsterte sie leise vor sich hin. »Der Name stammt nicht aus seiner Heimath, - wer weiß, wo er ihm auf seinem Wege begegnet ist, denn es ist nicht das erste Mal, daß ich ihn in seinen Träumen höre, und er muß seinem Herzen theuer sein.«

Wiederum versank sie in tiefes Sinnen. »Und warum sollte nicht auch in der Brust des Niedrigsten die Liebe wohnen?« sagte sie nach einer Pause. »Und wie schwer wird dann die Erinnerung dieser Nächte auf seiner Seele lasten. Ist er doch überhaupt so anders als ich dachte - jedes Wort, das er zu mir sprach, verräth eine Bildung weit über seinen Stand und dennoch mochte ich nicht fragen um sein Geheimniß, denn es hätte ihm ein Recht

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gegeben an das unsere! - Es ist Zeit, daß dieses herzlose Spiel ein Ende nimmt, - ich fühle, daß ich mich zu stark und zu kalt geglaubt! Eine Frau kann niemals gleichgültig sein gegen den Vater ihres Kindes!«

Sie machte eine Bewegung - der Schläfer erwachte, - er griff mit der Hand um sich und fühlte die warme wonnige Gestalt.

»Sie ist da« - murmelte er - »es ist kein Traum!«

»Sie haben Recht,« sagte sie - »es ist kein Traum, ich bin in Ihrer Nähe. Thut Ihnen das so sehr leid?«

Der Schläfer hatte sich ermuntert - seine Hand hatte die ihre gesucht und gefunden. »Wer Sie auch sein mögen,« sagte er traurig - »ich habe Sie ja nie gesehn, und weiß kaum durch den frischen Odem Ihres Mundes, durch die süße Form dieser Glieder, daß Sie jung sein müssen, wie ich. Aber ich kann Ihnen nicht zürnen, so seltsam auch Alles ist, was mir begegnet - wie ich mich in diesem Zimmer wieder fand, nachdem ich mit jenem Mann gesprochen, ohne daß ich weiß, wie ich hierher gekommen! - diese einsame Haft, - diese Nächte ...«

»Bedauern Sie dieselben?«

»Ich habe Ihnen schon gesagt, ich weiß nicht - wie mir geschieht. Sie waren so freundlich und gütig gegen mich, wenn ich Sie plötzlich an meiner Seite fand im Dunkel der Nacht - ich müßte ein Undankbarer sein, und dennoch bin ich unglücklich - denn ich habe den Glauben an meine Kraft und an meine Buße verloren.«

»Ich verstehe Sie nicht!«

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»Es ist gut, daß Sie es nicht thun - Sie würden dem Ausgestoßenen, der durch die Welt irrt, die Theilnahme entziehen, die Sie ihm so unbegreiflicher Weise gewidmet haben.«

»Sie sind nicht, was Sie scheinen?«

»Ich bin der Sohn eines verlorenen Stammes, der in seiner Heimath nicht einmal das Recht hat, sich Mensch zu nennen. Tót nem ember! ein Bettler, schlechter als der ärmste dieses Landes, Nichts weiter, ich schwöre es Ihnen,«

»Bewahren Sie Ihr Geheimniß, so gut wie ich das meine. Dies ist das erste Mal, daß wir so viele Worte gewechselt - wahrscheinlich ist es auch das letzte Mal!«

»Wie - ich werde Sie nicht mehr sehen - oder vielmehr hören und finden?«

»Sie sind frei - und die Heiligen mögen mir vergeben, was ich gethan. Wollen Sie mir eine Bitte erfüllen?«

»Ich - Ihnen?«

»Ich weiß, daß Sie an einem Finger Ihrer linken Hand einen kleinen silbernen Ring tragen. Geben Sie ihn mir!«

»Es ist das einzige Andenken an eine todte Schwester.«

»Er wird das Andenken dem lebendigen Kinde sein!«

»Dem Kinde? welchem Kinde?«

»Ihrem Kind - dem Wesen, das ich aus diesen Nächten unter meinem Herzen trage. Nehmen Sie!«

Der junge Mann fühlte, wie sie ihm sanft den einfachen Reif vom Finger zog und einen andern an seine

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Stelle steckte, dessen Stein sie sorgfältig nach dem Innern der Hand drehte.

»Jetzt,« sagte sie - »leben Sie wohl und vergessen Sie, wo Sie waren - wir werden in diesem Leben uns nicht wiedersehen! Verzeihen Sie einer Unglücklichen und wenn Sie das Mädchen einst wiedersehen, dessen Namen Sie in der Täuschung des Traumes mehr als ein Mal an der Brust einer Andern genannt, so erinnern Sie sich, daß Ihr Herz nicht untreu war der Lebenden, wie ich nicht dem Todten!«

Sie schlug den Arm um ihn und ein warmer Kuß brannte auf seinen Lippen.

Dann langte die freie Hand zurück nach dem Nachttisch, der an ihrer Seite des Lagers stand.

Einen Augenblick suchte ihre Hand unter einem auf der Marmorplatte liegenden Tuch, dann kehrte sie zurück, einen feuchten Schwamm zwischen den Fingern.

Der Mann, berauscht von der warmen Gluth jenes Kusses, suchte die schwellenden Lippen, indem er die süße Gestalt umschlang.

Plötzlich sanken kraftlos seine Arme nieder - seine Sinne verwirrten sich, sein Bewußtsein schwand und starr wie ein Todter sank er zurück auf die Kissen ...


Die Frau hatte sich von dem Lager erhoben, sie schlüpfte geräuschlos in die Morgenschuh, die vor demselben standen und hüllte sich in ein weites Nachtgewand. Dann glitt sie eben so leise über den Teppich, der den Boden

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des Zimmers deckte nach der gegenüber liegenden Wand und öffnete eine Tapetenthür.

Das Zimmer, in das sie trat, war von einer Ampel erhellt, - ein kostbares Möblement zeigte von dem Luxus der Bewohner, das seidene Himmelbett, die silbervergoldete Toilette und hundert andere Gegenstände bewiesen, daß man sich in dem Schlafzimmer einer vornehmen Dame befand.

Auf dem Tisch stand ein silberner Armleuchter mit tief herunter gebrannten Kerzen. Neben dem Tisch, in einem Armstuhl, schlief eine Frau - ein junges Mädchen in einen warmen türkischen Shawl gehüllt. Das bräunliche Gesicht der Schläferin hatte etwas Pikantes, Boshaftes.

Die Dame in dem Nachtgewand blieb einen Augenblick neben dem Sessel stehen. In dem Schein der Kerzen und der Ampel ließ sich jetzt wirklich erkennen, daß sie jung und schön, und ihre Gestalt hoch und schlank war. Aber das von schwarzen, jetzt fessellos niederhängenden Haaren umwallte stolze Gesicht hatte in seiner Blässe etwas Kaltes und Düsteres.

Sie blickte starr vor sich hin - ein finsteres trotziges Lächeln glitt über ihre schönen Züge, dann legte sie ihre Hand auf die Schulter der Schläferin.

Diese sprang sogleich empor.

»Gnädigste Frau ...«

»Rufe Petrowitsch,« sagte die Dame kalt - »der Mann in jenem Zimmer muß noch in dieser Nacht entfernt werden!«

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Das Mädchen sah sie etwas erstaunt und fragend an. »Wie Durchlaucht ...«

Die Dame unterbrach mit einem stolzen kurzen Neigen des Kopfes die Frage. »Du kannst Deinem Gebieter sagen, daß sein Wille erfüllt ist und die Familie Trubetzkoi einen Erben haben wird - das Blut der Niedrigsten und Verachtetsten aus dem Volk wird in seinen Adern rollen. Geh! - ich bin schwanger!«

Das Mädchen wollte Etwas erwiedern, aber ein herrischer Wink der Dame wies sie fort. Sie verschwand durch die Thür und kehrte nach einigen Minuten zurück, hinter sich die herkulische Figur des Kosaken Petrowitsch.

Er trug auf seinem Arm ein Bündel schmutziger häßlicher Kleidungsstücke und einen Haufen blecherner Hecheln, Mausefallen und ähnlicher Geräthe von Drath[Draht].

»Geht hinein und kleidet ihn an,« sagte die Dame, die auf einem Ruhebett Platz genommen. »Wenn er eine Bewegung macht, zu erwachen, dann braucht den Schwamm!«

Das braune Mädchen öffnete dem Kosaken die Tapetenthür, indem sie den Armleuchter mit den Kerzen ergriff; beide verschwanden in dem anstoßenden Zimmer.

Nach etwa zehn Minuten kehrte das Mädchen zurück.

»Es ist geschehn - der Mensch ist in seine alten Lumpen gekleidet. Wollen Ihre Durchlaucht ihn sehen?«

Sie schüttelte verneinend den Kopf. »Ist jede Spur beseitigt?«

»Alles - nur ...«

»Schweig! - Es ist drei Uhr. Nimm ein Licht und sieh zu, ob Alles im Hause schläft, ehe Du die Hausthür

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öffnest Feodora. Nimm dieses Tuch, Petrowitsch soll den Körper darein verhüllen, wenn er ihn fortträgt. Es ist am Besten, er legt ihn auf die Stufen der Kirche nieder, wo er ihn damals abgeholt.«

»Ja Durchlaucht! Haben Sie noch Etwas zu befehlen?«

Sie reichte ihr die Hand. »Nichts Kind - als das ewige Schweigen! - Morgen magst Du ihm sagen, was ich Dir aufgetragen habe.«

Zwei große Thränen rollten über die marmorbleichen Wangen, wie die großen dunklen Augen so starr vor sich hin blickten.

Die braune Dirne faßte ihre Hand und küßte sie demüthig. »Arme blanke Frau! - Aber Tunsa leidet mit Dir und wird Dich beschützen!«

Sie ging.

Gleich darauf schlich ein schwerer aber vorsichtiger Schritt die mit Teppichen belegte Treppe hinab.

Die Hausthür öffnete sich. -



Ein großes, nur matt erleuchtetes Zimmer - der gedämpfte Schein der Lampe hinter dem Schirm mischte sich mit dem ersten durch die niedergelassenen Vorhänge grauenden Schimmer des Morgens.

Es war ein Sterbezimmer - der erhabene Ernst des nahenden Augenblicks, der ein Leben von allem Irdischem scheidet, lag auf den thränenreichen bleichen Gesichtern der

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Anwesenden, auf den leisen Bewegungen - selbst auf der Luft des Gemachs.

Auf einem einfachen Lager ruhte eine mächtige Gestalt - das eingefallene Gesicht war von der Gluth des im Innern tobenden Fiebers geröthet, die Hände fuhren in jenem krampfhaften seltsamen Zucken auf der Bettdecke umher, das gewöhnlich der furchtbaren Entscheidung vorangeht.

An dem Bett des Kranken saß eine stattliche ältliche Dame von runden vollen Formen, von Zeit zu Zeit die feuchte Stirn des Leidenden trocknend oder sein Lager ordnend. Zwei junge Männer, kräftige stattliche Gestalten in Uniform, trotz der Verwüstungen der Krankheit unverkennbar die Ebenbilder des Leidenden standen am Fußende des Bettes, schweigend den tiefen Seelenschmerz unterdrückend - ein dritter in Civil sprach flüsternd Worte des Trostes zu zwei jungen Damen, die weinend in den Ecken des Divans saßen.

Neben der Gattin, von Zeit zu Zeit seine Hand an den Puls des Kranken oder beruhigend durch den menschlischen Magnetismus auf seine Stirn legend, stand die ernste Gestalt des Arztes.

Einer der Söhne näherte sich. »Wie steht es Doktor! Sagen Sie mir die Wahrheit!«

»Das Fieber ist leider im Zunehmen - 150 Pulsschläge in der Minute. Ich kann Ihnen nicht verbergen, daß der Anfall entscheidend sein wird. Wir müssen unser Vertrauen auf Gott setzen, der Alles zum Besten lenken mag.«

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Der junge Offizier senkte traurig den Kopf - er hatte die Meinung des Arztes verstanden. Er ergriff die Hand seiner Mutter und küßte sie.

In diesem Augenblick warf sich der Kranke nach der andern Seite - seine Augen waren weit geöffnet - als starrten sie auf eine, den Anwesenden unsichtbare Person.

»Sire,« sagte er mit leiser Stimme - »nehmen Sie sich in Acht, den preußischen Stolz zu schwer zu verletzen. Bedenken Sie Sire, daß der König« - seine Worte verloren sich in ein unverständliches Gemurmel.

Die Dame an seiner Seite beugte sich über ihn und trocknete seine Stirn. »Beruhige Dich, Friedrich,« sagte sie sanft. »Du bist hier - bei Deiner Familie!«

Der Kranke faßte die Hand, die ihn unterstützte. »Es sind die Weißmäntel - still! ich kenne sie! Hörst Du die Harnische klirren? - Bon soir Messieurs! en vérité, le chemin est miserable! En quelle direction est l'ennemi? - wie die französischen Palasche rasseln - auf meine Ehre, es sind tüchtige Gesellen! - Dort ist der Weg nach Chateauvert jetzt mein wackerer Fuchs gilt es französischen Abschied! - Hurrah! wie sie schreien und sakrementiren, daß der Preuße sie genarrt hat!«

Der Arzt versuchte auf's Neue sich der Hand des Kranken zu bemächtigen, um den Puls zu fühlen. Seine andere hielt die Secundenuhr. »Er denkt an seine Heldenthat von 1813, als er unter den französischen Kürassieren ritt. - Hundert drei und achtzig in der Minute - es ist entsetzlich!«

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Der Kranke fuhr empor. »Niemals!« rief er laut -»bedenken Sie es wohl meine Herren: Niemals! - Niemals!«

Ueber die Wangen der drei Söhne, die an dem Sterbelager versammelt standen, rollten schwere Thränen - die Mädchen schluchzten leise.

Einige Minuten hörte man nur diese Ausbrüche des Schmerzes - der Kranke selbst lag starr und still auf seinem Lager, die brennende Röthe hatte einer gelben unheimlichen Blässe Platz gemacht - der Arzt beobachtete mit besorgtem Gesicht die schwer sich hebende Brust. »Wenn der Anfall sich nicht erneuert,« sagte er - »so ist Hoffnung!«

Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als der Kranke mit einer raschen Bewegung sich emporwarf - so rasch und heftig, daß er halb aus dem Bett war, ehe die Umstehenden ihn zu hindern vermochten.

Seine Augen stammten - die Hände griffen in die Luft: »Falsches Oesterreich! - die Oesterreicher kommen - dort! dort! Meinen Helm! mein Schwert! - sattelt das Pferd - Vorwärts Kürassiere - mein Schwert - - Oesterreich! Oesterreich!«

Ein gurgelnder Laut drang aus der Kehle herauf - die mächtige Gestalt fiel zurück auf das Lager - die Augen schlossen sich - die erschöpfte Brust athmete nur leise noch - kaum hörbar.

Der Arzt steckte die Uhr in die Tasche und trat von dem Bett zurück. »Die Krisis ist vorüber,« sagte er tonlos. »Ich bin jetzt unnütz hier - erlauben Sie mir, daß

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ich mich einstweilen entferne - in einer Stunde werde ich wieder hier sein.«

Die Familie hatte ihn umringt, - sie hielt ihn fest, Bitten und Fragen über den Ausgang bedrängten ihn.

Der Arzt hatte seinen Hut genommen. »Menschliches Wissen,« sagte er feierlich - »ist zu Ende! Beten sie zu Gott - er allein kann helfen!«

Er verließ das Zimmer. -


Es war kurz nach dieser Zeit, fünf Uhr Morgens vorüber - das erste Grauen des Tages trat in die Schatten der Nacht.

Von dem Zeughausplatz her am Opernhaus vorüber kamen zwei Personen, eine Dame, in einen schottischen Mantel gehüllt, und ein Mann, und bogen an der katholischen Kirche hin nach der Behrenstraße ein.

Plötzlich blieb der Mann, eine feste gedrungene Gestalt im Mantel, stehen. »Hörten Sie Nichts, Frau Gräfin?«

»Was?«

»Ein Aechzen - ein Stöhnen?«

»Narr - glaubst Du etwa, daß Gespenster sich hier umhertreiben?«

»Es brauchen keine Gespenster zu sein - aber vielleicht ist ein Unglück passirt!«

»Was kümmert's uns!«

»Aber ich höre es deutlich - dort auf den Stufen der Kirche sah ich Etwas sich bewegen - wir können doch unmöglich so vorübergehen, ohne wenigstens nachzusehen!«

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»Dann mach rasch - ich habe nicht Lust, wegen Deiner albernen Humanität mir hier den Schnupfen zu holen und bin müde!«

Der Mann war die Stufen hinauf gegangen und vor dem dunklen Gegenstand, der auf der obersten lag, stehen geblieben. »Bei Gott - es ist ein Mensch, - er ist vielleicht erkrankt!«

»Oder betrunken,« sagte die Frau ärgerlich. »Mach fort dort kommen Leute, sie können ihm beistehen.«

Man hörte in der That von dem Opernplatz her einen lustigen leichtfertigen Gesang und sah eine Laterne im Hüpfen und Springen eilig näher kommen.

Die Frau, die eine Cigarre rauchte, war ungeduldig einige Stufen hinaufgetreten und stand jetzt in der Nähe des Kranken.

»Der arme Kerl,« sagte dieser - »es ist ein Slowak, da liegen seine Mausefallen. Er hat sicher kein Unterkommen gefunden und geglaubt, es schliefe sich auf den Stufen der Kirchen hier so warm wie in bessern Ländern.«

»So laß das Vieh liegen! Komm!«

Sie hatte sich ungeduldig zum Gehen gewandt, als plötzlich einige Worte, die der Kranke oder Trunkene ausstieß, ihren Fuß zurückhielten.

»Ich will kein Spion sein - nein, ich will nicht!«

Die Worte wurden in deutscher Sprache ausgestoßen - der Ton war ihr so bekannt - auch die Worte klangen in ihrer Erinnerung wieder.

»Was ist das? - Hast Du Feuerzeug bei Dir Ziska?«

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»Hier Herrin.« Er reichte ihr das Etui mit den Wachshölzchen.

Sie hatte rasch zwei derselben an dem Feuer ihrer Cigarre angezündet, die sie dann fortwarf, und beleuchtete den am Boden Liegenden.

Es war, wie der Jäger Ziska gesagt, ein Slowak, nur spärlich von seinem braunen Filzmantel bedeckt - der Hut war von seinem Kopf gefallen, und der enge Schein des improvisirten Lichts beleuchtete ein todtenbleiches verzerrtes Antlitz - auf den blauen Lippen stand ein dünner weißer Schaum.

»Der Feldwebel - der Feldwebel, er ist sein Onkel! - Martha - die Nandl! Ich will nicht - Blut, Szabó Blut - Du hast ihn erschlagen ...«

Trotz der Verzerrung aller Züge des Unglücklichen schien die Gräfin Törkyeny, denn diese war es, die neben ihm stand, dieselben zu erkennen.

Einen Augenblick schrak sie unwillkürlich zurück. »Matthias! - wie kommt der Elende hierher!« -

Die Laterne war näher gekommen, sie hing an einem dunklen Kasten, den zwei Männer im Hundetrab an Handhaben zwischen sich daher trugen.

Dicht vor der Kirche blieben sie stehen und setzten den auf einer Bahre befestigten Kasten nieder, um sich zu verschnaufen.

»Verflucht - es is kalt und eklich bei des Jeschäft,« sagte der eine - »jib mal die Bulle her, des ik mir stärke.«

»Et is heute Nacht der zweite« - sagte der Andere, als er ihm die Schnapsflasche hinüberreichte. »Ick hoffe,

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die Doktersch erfinden noch lange Nischt nich dagegen. Wat der Kerl für Oogen jemacht haben wird, als sie ihn rausbuddeln wollten in de Charité und er erst insah, deß er schon mausedodt war.«

Die beiden Kerle lachten über den schlechten Witz, während sie über den Kasten hin einander zutranken.

Die Gräfin hatte sich aufgerichtet - die Wachshölzchen waren längst verloschen, aber der dämmernde Morgen erlaubte, die Gestalten zu erkennen.

»Was ist das?«

»Es sind Krankenträger,« sagte der Jäger. »Sie haben wahrscheinlich einen Cholerakranken zum Lazareth befördert oder holen einen solchen. Die Cholera war seit zwei Tagen wieder heftiger in der Stadt.«

Die Frau blieb einige Augenblicke stehen - dann stieg sie entschlossen die Stufen herunter.

»Komm!«

Der Jäger folgte dem strengen Gebot - er kannte den Ton und wußte, daß er keinen Widerspruch gestattete[.] Die Frau blieb drei Schritte von den Trägern stehn, die neugierig ihr entgegen sahen.

»Ist der Korb leer?«

»Ja Madamken, aber noch warm - ist's jefällig inzusteijen?«

Die Kerle lachten über ihre gottlose Frechheit.

»Wollt Ihr zwei Thaler verdienen?«

»Jott warum des nich? Davor kann unsereins sich lange die Beene abloofen - sie bezahlen hundsföttsch uf die Armencommission!«

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»Hier ist das Geld!« Sie warf zwei Thalerstücke auf das Pflaster, die Männer beeilten sich, sie aufzuraffen.

»Wat is zu dhun, Madamken. Denn umsonste is in Berlin nich mal der Dodt!«

»Da auf den Kirchstufen liegt ein armer Kerl - er hat die Cholera, schon im letzten Stadium, denn der Starrkrampf ist eingetreten. Legt ihn in den Kasten da, und bringt ihn in's nächste Lazareth!«

»Wenn's weiter nischt is!« Sie hatten die Laterne genommen und beleuchteten den angeblichen Kranken. Die krampfhaften Zuckungen, in welche die starke Anwendung des Chloroform den Unglücklichen versetzt hatte, ließ keinen Zweifel aufkommen - auch hätten sie sich den zwei Thalern gegenüber wenig um einen solchen gekümmert.

»Donnerwetter - s'is en ausländscher Kerl! Na des Jeld hätten Sie sparen können - um so en Viech!«

»Wat kümmerts uns - angepackt Kümmellude!«

Sie hoben den Stöhnenden empor und warfen ihn in den Kasten.

»Noch en kleenes Drinkgeld Madamken - vor en Schnaps!«

Die Frau war verschwunden, der Jäger mit ihr.

»Et is schändlich, wat sie bei de Menschenliebe noch knickrich sind! -«

Das Paar setzte sich mit der Bahre wieder in Gang.

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Am Mittwoch Morgen den 6. November um 7 Uhr 42 Minuten war der Minister-Präsident von Preußen Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg verschieden.

Die letzte Stunde seines Lebens lag der Kranke, von den vorhergegangenen Delirien erschöpft, still und ruhig, ohne einen Laut und ohne eine Aeußerug des Schmerzes; er starb von seiner Familie umgeben.

Mittag um ein Uhr beschloß der Ministerrath, dem Seine Majestät der König präsidirte, die Mobilmachung der Preußischen Armee! -


Ein edles Leben hatte geendet, um einem schmachvollen diplomatischen Spiel Platz zu machen. Nicht auf dem Schlachtfeld für sein Vaterland war ein ritterlicher und hochherziger Mann den Opfertod gestorben, und doch auf dem Altar dieses Vaterlands!

Möge das Preußenland sich an diesen Tod erinnern - möge jeder seiner Söhne ein Herz haben gleich dem Todten für Preußens Ehre, daß nicht die Schmach der Untreu, nicht die Demüthigung fremder Anmaßung ihr Spiegelschild mehr beflecke. -

Niemals! Niemals! Niemals!

Ein Nachtrag.

Am Donnerstag Morgen, dem Tage nach dem Tode des Minister-Präsidenten Grafen Brandenburg und des Beschlusses der Mobilmachung der Armee war der Gefangene aus dem Revolutionskampf in der Pfalz, Professor Kinkel aus dem Zuchthaus zu Spandau entflohen.6

Die Nachricht hätte noch größeres Aufsehen gemacht, wenn sie eben nicht mitten zwischen die wichtigeren Ereignisse gekommen wäre.

Dennoch werden einige Details auch jetzt noch viele Leser interessiren, eben da die That in jener Zeit unbeachteter vorüberging.

Wir stimmen der im vorigen Kapitel enthaltenen Aeußerung vollkommen zu: man war vollständig berechtigt, den mit den Waffen gegen die vaterländische Armee in der Hand ergriffenen Rebellen Kinkel erschießen zu lassen, - aber es war eine politische Dummheit, den Professor Kinkel Wolle zupfen zu lassen!

Zum ersten Mal zeigte die Demokratie hierbei ihre Energie, ihr festes Zusammenhalten.

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Die Befreiung Kinkels war eine längst beschlossene, wohl vorbereitete Sache.

Zur Erreichung dieses Zweckes waren im Stillen unter der Demokratie 20000 Thaler gesammelt worden.

Verschiedene, theils von dem Gefangenen selbst, theils von seinen Freunden früher ausgegangene Versuche zu seiner Befreiung waren vereitelt worden.

Da sie eben nur wenig bekannt geworden sind, wollen wir ihrer hier erwähnen.

Aus dem Zuchthaus zu Naugard, wo Kinkel damals saß, wurde er im April 1850 durch Beamte der Berliner Polizei: den Obersten der Schutzmannschaft, einen Lieutenant und zwei Wachtmeister abgeholt und auf der Eisenbahn zur Verhandlung des bekannten Kommunisten-Prozesses - in dem eines der gegenwärtigen Mitglieder des Abgeordneten-Hauses als Hauptangeklagter figurirte, - nach Cöln transportirt. Die Beamten hatten zu diesem Zweck ein Coupé gemiethet und während der Nacht in des Gefangenen Gegenwart die Verabredung getroffen, umwechselnd, während die Andern schliefen, zu wachen. Die Reihe war an dem Lieutenant, als der Zug in Schöppenstedt anhielt. Der Conducteur öffnete die Thür des Coupé's mit den Worten: »Drei Minuten Aufenthalt!«

Durch das Aufhalten des Zuges war der Führer des Transports erwacht, er sah durch die halbgeöffneten Augenlider, daß die andern Beamten, auch der wachhabende, schliefen und der Gefangene, nachdem er sich sorgfältig umgesehen, Miene machte, dies zu benutzen und das Coupé zu verlassen.

Kinkel stieg aus, blieb aber, um sich nicht durch eilige Flucht zu verrathen, auf dem Perron vor der angelehnten Thür stehen, das Gesicht nach dem Fenster gewendet, um seine Wächter zu beobachten.

Der Beamte nahm unbemerkt aus der Brusttasche seines Paletots ein doppelläufiges kurzes Pistol.

In diesem Augenblick kam der Schaffner und frug den vor dem Coupé Stehenden: »Fahren Sie mit?« - Kinkel antwortete: »Nein!« und der Schaffner schloß die Thür. Der Gefangene blieb in seiner vorigen Haltung stehen, um die Abfahrt des Zuges abzuwarten. Jetzt schlug der Beamte die Augen auf, that aber, als

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sähe er den Flüchtling nicht, sondern schaute nach der Decke, während er zu gleicher Zeit die Läufe des gespannten Pistols auf den Rand des Coupéfensters legte.

Sofort öffnete der Gefangene selbst die Thür und stieg wieder ein - kein Wort wurde während der ganzen Scene gewechselt.

Bei der Ankunft des Zuges in Deuz fuhr derselbe Beamte allein mit dem Gefangenen in einem Fiakre über die Schiffbrücke nach Cöln. Die andern Begleiter folgten in einem zweiten Wagen.

Die Brücke war zur Durchlassung von Schiffen geöffnet - die Wagen mußten halten, mehrere hundert Menschen waren an dem Durchlaß versammelt.

Kinkel war am Rhein sehr bekannt, sein Schicksal hatte große Theilnahme erregt, es war bekannt, daß er in Cöln eintreffen sollte und unzweifelhaft, daß wenn es ihm gelang, die Menge aufzurufen und sich zu erkennen zu geben, man ihn mit Gewalt befreit und seinem Wächter wahrscheinlich in den Rhein geworfen haben würde. In dem Gesicht des Gefangenen malte sich der Kampf, der Entschluß, er legte das Gesicht gegen das Fenster des Wagens und hob die Hand.

In diesem Moment fühlte er die kalten Mündungen der Pistole hinter seinem Ohr und hörte die leisen Worte: »Bei dem geringsten Laut zerschmettere ich Ihnen den Kopf!«

Der Professor sank auf den Sitz zurück und kam ruhig in Cöln an, wo er von den rheinischen Geschwornen von dem erwiesenen Sturm und der Plünderung des Siegburger Zeughauses freigesprochen wurde.

Glücklicher ließ sich sein Fluchtversuch auf der Rückkehr von Cöln nach Berlin an.

Das Berliner Polizei-Präsidium hatte bestimmte Nachrichten erhalten, daß die Demokratie auf den sämmtlichen Bahnstationen der Cöln-Mindener-Berliner Bahn Etappen aufgestellt, um bei geeigneter Gelegenheit selbst mit Gewalt die Befreiung des Gefangenen auf dem Rücktransport zu bewirken. Die Polizei-Direktion in Cöln meldete, daß sie nicht wage, den Gefangenen abzusenden.

In dieser Verlegenheit erhielt der Beamte, welcher den ersten Transport geleitet, auf's Neue den geheimen Auftrag, den Gefangenen zurückzuholen.

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Er verwarf die gewöhnliche Eisenbahntour und verließ im Stillen Berlin, nachdem er die früheren Begleiter in Civil ohne Aufsehen nach Trebbin vorausgesandt hatte. Von hier fuhr man mit der Anhalter Bahn bis Cassel, von dort mit Extrapost durch Waldeck über Brilon und Meschede nach Cöln. Man bestellte überall Relais zur Rückfahrt, traf in Cöln bei Nacht ein, übernahm sofort den Gefangenen und kehrte mit ihm auf demselben Wege zurück.

Durch einen besonderen Zufall hatte der leitende Beamte auf der ersten Station aus dem Waldeck'schen (Bredelar) einen Postillion getroffen, der sich - in der damals sehr durchwühlten und unzuverlässigen Gegend - durch seine royalistische altpreußische Gesinnung auszeichnete und diesem, wie von einer Ahnung getrieben, den Auftrag gegeben, bei seiner Rückkehr sich wieder bei ihm zu melden, da er ein Geschäft für ihn habe. Der Beamte hatte für den Rückweg das abgelegene Posthaus - ein altes Klostergebäude - zur Station für das Abendessen bestimmt. Beim Eintreffen fand er den Postillon richtig an der Thür seiner harren und hieß ihn, einstweilen dort verweilen, bis er später mit ihm sprechen könne.

Ein langer Gang führte von der Thür, dem einzigen Ausgang, nach einer Treppe zum ersten Stock, in diesem wieder ein langer Corridor zurück zu dem Zimmer, in dem die Gesellschaft speisen sollte, und das über dem Eingang lag. Eiserne Gitter innerhalb des Fensters dieses Refectoriums angebracht, sperrten das Oeffnen desselben.

Das Essen war so ziemlich vorüber, der leitende Beamte hatte sich auf ein Sopha gesetzt, die drei andern Wächter saßen noch bei Tisch, der Gefangene, mit dem man sich bisher unterhalten und der auf das Sorgfältigste sich gehütet, Anlaß zum Verdacht zu geben, promenirte in der Stube umher. Plötzlich schoß er auf die aus schwerem Eichenholz bestehende Thür, die einzige des Zimmers, zu, sprang hinaus und schloß sie - er hatte bemerkt, daß der Schlüssel von Außen steckte - zu, ehe einer seiner Wächter auch nur aufspringen konnte. Sie hörten den Schlüssel abziehen und den Entflohenen davon springen.

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Die Beamten waren vollständig eingesperrt und außer Stande, Hilfe herbeizurufen und die Flucht zu hindern.

Die Geistesgegenwart des Polizeiobersten und jener eigenthümliche Zufall thaten dies allein.

Er war ein starker kräftiger Mann; er erfaßte das morsche Eisengitter vor dem Fenster und riß es mit einem Ruck aus der Mauer. Ein zweiter Schlag stürzte das Fensterkreuz aus seiner Wandung, daß die Scheiben auf den Boden klirrten. Der Beamte wußte, daß unter ihm der einzige Ausgang des Hauses lag. »Bist Du da Schwager?« - »Ja Herr!« - »Fünfzig Thaler, wenn Du den Mann festhältst, der gleich herauskommen wird - den großen, hagern! er ist entsprungen und hat uns hier eingeschlossen!« - »Da ist er schon!« In der That rannte der Flüchtige in diesem Augenblick aus dem Hause, der Postillon sprang ihm an den Hals - Beide faßten und würgten sich, Kinkel hatte als einzige Waffe ein Federmesser, mit dem er seinen Gegner stach. Dieser hätte wahrscheinlich loslassen müssen, wenn nicht noch ein zweiter Helfer dazu gekommen. Den Beiden gelang es, den Flüchtigen zu überwältigen und ihn unter einen Holzstoß zu werfen. Als er sich verloren sah, gab er selbst den Schlüssel zu dem Zimmer heraus, mit dem die Beamten aus ihrem Gefängniß befreit wurden. Man kann sich denken, daß sie grade nicht die freundlichste Gesinnung gegen den hegten, der sie so kühn und geschickt dupirt hatte, nur den flehendlichsten Bitten und Vorstellungen des Gefangenen gelang es, zu verhindern, daß er nicht gebunden die Reise fortzusetzen brauchte. Der Postillon und sein Gefährte erhielten natürlich jeder die versprochene Belohnung.

Seitdem hatte Kinkel im Zuchthaus zu Spandau gesessen.

Seine Zelle befand sich im vierten Stock des Gebäudes, an der Seite nach einem neben dem Gebäude hinlaufenden Gäßchen, in dem eine Schildwach steht.

Die Zelle des Gefangenen war wohlverwahrt; vor derselben befand sich ein Verschlag, in dem sich stets einer der beiden Gefangenwärter aufhielt, denen die spezielle Bewachung übertragen war. In dem Gange vor der Zelle durfte der Gefangene promeniren. Der damalige Direktor der Anstalt, Geserich, nahm alle

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Abend den Schlüssel der Zelle an sich und hielt die Haft für vollkommen gesichert.

Wir haben bereits erwähnt, daß die Demokratie im Geheimen eine bedeutende Summe zusammen gebracht hatte, um die Befreiung des Gefangenen zu bewerkstelligen. Der Student Carl Schurz übernahm das Werk und gelobte der Gattin des Gefangenen, nicht zu ruhen, bis er ihn entführt.

Mit den nöthigen Mitteln ausgerüstet kam er nach Berlin und fand hier jede Unterstützung, bei dem jüdischen Arzt Dr. Falkenthal in Moabit längere Zeit Wohnung und durch die Vermittelung eines Apothekers in Spandau und eines Schlossers die Bekanntschaft eines der beiden Aufseher, denen die Bewachung Kinkels anvertraut war.

Wir haben es hier nicht mit einer nähern Schilderung der Vorbereitungen der Flucht zu thun, sondern wollen nur einige Thatsachen anführen, die wenig oder gar nicht bekannt geworden sind.

Sonntag den 3. November ging dem Polizei-Präsidenten v. Hinkeldey durch einen Brief aus Dresden die bestimmte Nachricht zu, daß im Lauf der Woche die Befreiung Kinkels ausgeführt werden solle und daß ein Apotheker und ein Beamter in Spandau im Vertrauen der Betheiligten wären. Der Brief war von einer Person, auf deren Nachrichten man sich verlassen konnte, denn sie lebte mitten in der demokratischen Agitation und genoß deren vollstes Vertrauen. Die berliner Demokratie würde staunen, wollten wir den Namen nennen -, wir müssen es unterlassen, weil die Person noch lebt und sich noch wie früher in jenen Kreisen bewegt.

Herr v. Hinkeldey sandte noch an demselben Nachmittag einen Beamten nach Spandau, den Direktor der Anstalt zu warnen. Dieser nahm die Warnung lachend auf, erklärte, daß die Bewachung zwei alten zuverlässigen Soldaten vom Kolberger Regiment anvertraut und die Flucht eine baare Unmöglichkeit sei und überzeugte den Beamten von der Festigkeit der Zelle.

Vier Tage darauf war Kinkel entflohen.

Die Korrespondenz mit ihm wurde von den Verschworenen zunächst durch Vermittelung des durch Geld gewonnenen Wächters Bruns in der Höhlung des Brotes unterhalten. Man

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hatte sich einen Abdruck des Schlüssels zur Zelle und danach einen zweiten Schlüssel verschafft.

Die Nacht, die zur Ausführung des Unternehmens bestimmt worden, - die Nacht nach dem Tode des Grafen Brandenburg - war stürmisch und regnerisch.

Im Lauf des Tages waren für die Richtung der Flucht neue und spezielle Ordres gegeben worden; die Relais standen auf Nebenwegen für die ganze Strecke bis zur mecklenburger Grenze bereit.

In der Nacht um 1 Uhr öffnete der Gefangenwärter Bruns Kinkel die Zelle und führte ihn heraus. Man ging nach dem Boden des Gebäudes und nahm dort die Wäscheleinen, damit an diesen der Gefangene sich aus der Luke in das Gäßchen hinablassen sollte.

Erst nach zwei Stunden entschloß sich Kinkel auf vieles Zureden, den gefahrvollen Weg zu unternehmen. Er gelangte - die Schildwach hatte sich bei dem Wetter in's Schilderhaus geflüchtet - glücklich hinunter, seine Hände aber waren ganz durchschnitten und zerfleischt. In der nächsten Straße harrte seiner eine verschlossene Kutsche, die ihn sofort aufnahm und aus der Stadt entführte.

In dem Wagen wechselte er die Kleidung; die Züchtlingskleider nahm Dr. Falkenthal mit nach Moabit, wo sie später bei einer Haussuchung in seiner Wohnung aufgefunden wurden. Schurz begleitete den Flüchtling.

Man schlug zuerst nur Feldwege ein. Nur dem Umstand, daß die am Morgen von Berlin nachgesandten Beamten annahmen, die Flüchtlinge Hütten von Nauen aus die Eisenbahn benutzt, verdankten sie ihre Rettung, denn man hatte die Spur der Kutsche bereits aufgefunden und diese hatte auf den Feldwegen unterwegs Schaden genommen, so daß ein mehrstündiger Aufenthalt entstanden war.

Der verborgene Aufenthalt in Rostock und die Einschiffung der Flüchtigen in Warnemünde sind bekannt.

Welcher politischen Partei man auch angehören mag, die Befreiung Kinkels muß jeder als eine kühne und energische That achten. Die muthigen und schlauen Entweichungen der unter

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ähnlichen Umständen gefangen gehaltenen Demokraten Schütte aus der Festung Josephstadt und Rösler vom Hohen Asperg stehen ihr zur Seite, während der feige Bruch des Ehrenworts, den sich der durch seine bübische Lüge beim Zeughaussturm in Berlin bekannte frühere preußische Lieutenant Techow in Magdeburg zu schulden kommen ließ, ihn bei der eigenen Partei der Verachtung übergeben hat.

Der 2. Dezember.

Wir haben in dem Kapitel »Die Zukünftigen« einige Scenen geschildert, welche der Wahl des Präsidenten der neuen französischen Republik vorausgingen und sie vorbereiteten.

Am 10. und 11. Dezember 1848 war der ehemalige Gefangene von Hamm, der frühere Carbonari und Verschwörer von Straßburg und Boulogne, der Volksrepräsentant Bürger Louis Napoléon mit 5 Millionen 534,520 Stimmen unter 7,426,252 auf 4 Jahre zum Präsidenten dieser einen und untheilbaren demokratischen Republik gewählt worden.

Die Geistlichkeit, die Bourgeoisie, die Armee, die Financiers und selbst die Legitimisten hatten ihm ihre Stimmen gegeben: die Geistlichen, weil sie den Schutz der Kirche von ihm erwarteten, die Bourgeois und Financiers, weil sie das rothe Gespenst der socialen Republik fürchteten und Ruhe haben wollten um jeden Preis, das Landvolk und die Armee, weil sie an seinen Namen die unvergeßlichen Erinnerungen des Kaiserglanzes knüpften, die Legitimisten endlich, weil sie ihn für den geeigneten und nothwendigen

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Uebergang zur Wiederherstellung des Thrones hielten. Die Rothen stimmten gegen Cavaignac, den einzigen bedeutenden Rivalen, trotz der Erinnerungen seiner Familie, weil sie ihm den Sieg der Junitage nicht vergeben konnten.

Die Puppen hatten willig getanzt an den Dräthen[Drähten] des großen Komödianten.

Aber sie waren schwierig geworden, als es den zweiten Akt galt, die Permanenz!

Wir schreiben keine Geschichte der pariser, das heißt: der französischen Republik, und können also nur, um die Selbsterlebnisse des Lesers in der Erinnerung au fait zu erhalten, in einzelnen kurzen Zügen den Gang der allgemeinen Ereignisse scizziren bis zur Wiederaufnahme der Scenen unseres Buchs.

Fünf und eine halbe Million Stimmen! Es müßte ein Dummkopf gewesen sein, wer mit einem solchen Fundament die Traditionen des Kaiserreichs nicht fortzubauen versucht hätte. Das französische Volk ist zu Nichts weniger, als zu einer Republik gemacht. Selbst der große Onkel des noch so kleinen Prinzen hatte bei den drei Gelegenheiten, wo er Frankreich über sich abstimmen ließ: im Jahre 8 der Republik wegen des Consulats -, 9 wegen der Lebensdauer desselben, und wegen der erblichen Kaiserwürde nur 3\frac12 Million Stimmen erreicht.

Louis Napoléon war also Präsident der französischen Republik, das heißt - er repräsentirte nach der gegebenen Konstitution die executive Gewalt. Aber die Konstitution legte ihm bedeutende Fesseln an. Seine Wahl galt vor Allem nur 4 Jahre, das heißt bis zum zweiten Sonntag des

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Mai 1852. Eine Wiederwahl durfte nur nach einer Zwischenfrist von 4 Jahren stattfinden. Der Artikel 50 untersagte ihm, je in Person das Kommando der Armee zu führen - Artikel 51 und 68 bei Strafe des Hochverraths und der sofortigen Entsetzung und Vogelfreiheit, die Herrschaft der Constitution und der gegebenen Gesetze durch Vertagung oder Auflösung der Nationalversammlung auf irgend eine Weise aufheben zu wollen.

Diese Constitution beschwor der »Bürger Carl Ludwig Napoleon Bonaparte, geboren zu Paris«, als Marrast, der Präsident der Nationalversammlung ihn am 20. Dezember 1848 auf die Tribüne des Hauses rief mit folgendem Eid:


    »Im Angesicht Gottes und vor dem französischen Volke, welches hier durch die Nationalversammlung vertreten wird, schwöre ich der einen und untheilbaren demokratischen Republik treu zu bleiben und alle die Pflichten zu erfüllen, welche die Constitution mir auflegt.«

Der neue Präsident bezog das Elisée - ein bourbonisches Palais - den Lieblingsaufenthalt seines Onkels, der einst dem Grafen d'Evreux - der Marquise von Pompadour - dem Financier Beaujon - der Herzogin von Bourbon - der Regierungs-Buchdruckerei in den ersten Tagen der Republik - Mürat - dem Herzog von Berry und Madame Adelaide, der Schwester Louis Philipps gehört hat. Kaiser Alexander von Rußland bewohnte es 1814, Welligton im Jahre darauf. In einem blau und golddekorirten Schlafzimmer zeigt man noch das Bett, auf welchem der alte Napoleon in Paris nach der Schlacht von

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Belle-Alliance geschlafen, - wenn er damals geschlafen hat! In dem Salon du Travail unterzeichnete er seine Abdankung.

Von dem Augenblick der Uebernahme der Präsidentschaft an beobachtete der Prinz die kalte berechnende Politik, die Parteien bekämpfen und sich gegenseitig abnutzen zu lassen, nur von Zeit zu Zeit durch ein geschicktes Manöver den Kampf schürend und währenddeß im Stillen seine Macht befestigend, indem er die Augen der Menge auf sich richtete, als den Einzigen, der das Gewirr zu lösen vermöge.

Es folgte die Wahl der neuen Nationalversammlung am 13. Mai 1849 und mit panischem Schrecken erkannte die Bourgeoisie die Fortschritte der Sozialisten! Schon damals wurde der Ruf nach einem Staatsstreich, nach einer Diktatur laut. Die Bergpartei zählte über 200 Mitglieder, die Monarchisten unter Molé zählten an 300, die Demokratie unter Dufaure gegen 400. Durch den Zug nach Rom zur Vernichtung der römischen Republik und zur Wiederherstellung der Macht des Papstes hatte der Prinz-Präsident einen dieser kühnen und schlauen Schachzüge gethan, welche die Parteien spalteten. Die Kirche und die Legitimisten - die sich selbst im Ministerium durch de Falloux repräsentirt waren - glaubten ihre Erwartungen erfüllt. Knirschend sahen die Rothen im September die Freiheitsbäume in Paris auf Befehl der Regierung unter der Axt fallen.

Sie antworteten im März und April 1850 mit der

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Wahl der vier socialistischen Repräsentanten von Paris: Carnot, Vidal, de Flotte und Eugen Sue.

Das vom Ministerium Baroche vorgelegte neue Wahlgesetz, welches das allgemeine Wahlrecht aufhob, ging am 31. Mai durch - Molé und Thiers, die Führer der Monarchisten waren in diesem Augenblick die vertrauten Gäste des Elysée.

Alle Parteien erwarteten zu ihren Gunsten einen Staatsstreich - die Legitimisten sahen bereits Heinrich V. auf dem Throne Frankreichs, die Partei Orleans hoffte von General Changarnier, dem Oberbefehlshaber der Armee, ihre Retablirung, die Rothen zählten darauf, daß er an der Spitze des Heeres jeden Staatsstreich zur Wiederherstellung der Monarchie verhindern würde.

Nur der Präsident hüllte sich in Schweigen und begnügte sich, Rundreisen durch die Departements zu machen, Anreden an die Truppen zu halten und die napoleonischen Erinnerungen aufzufrischen.

Das Jahr 1851 hatte unter steigenden Verwickelungen begonnen - die große Frage der Session war die geschickt durch den Präsidenten in allen Parteien angeregte »Revision der Verfassung.«

Es war an der Zeit, die Laufgräben zu demaskiren, der offene Zwist der Regierung mit der Nationalversammlung brach aus. Sehr geschickt hatte der Prinz dazu die Verweigerung der Haft eines Repräsentanten wegen Schulden benutzt, um die Finanziers auf seine Seite zu ziehen. Dem Mißtrauensvotum gegen sein Ministerium antwortete er keck mit der Enthebung des Generals Changarnier vom

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Kommando der Armee. Die Losung: Wiederwahl des Präsidenten wurde gegeben und der verunglückte Versuch der Parlaments-Kommission, ein Komplott zu beweisen, das den Präsidenten zum Kaiser machen wollte, mit der Entdeckung einer socialistischen Verschwörung und hundert Verhaftungen beantwortet.

Die Ministerkrisis wurde aus dem Elysée klug mit der Bildung eines Uebergangs-Ministeriums aus unberühmten und tendenzlosen Namen beseitigt, unter deren Schutz die Spaltung zwischen der Executive und der Nationalversammlung immer weiter gerissen wurde.

Die Presse war in der Zeit der Republik geknechteter, als je zuvor - die Confiscationen und Prozesse jagten einander - während der Constitutionell, das Organ des Elysée, geheimnißvolle Andeutungen über die Zukunft brachte. Unter der Herrschaft der Republik war das Gesetz entstanden, daß die Artikel der Journale mit dem Namen der Verfasser unterzeichnet sein müßten.

Es ist wahrscheinlich, daß Louis Napoléon in dieser Zeit von einer Revision der Verfassung noch die Sicherung seiner Präsidentur hoffte und den Staatsstreich vermeiden wollte, deshalb wurde auch der Heber der Petitionen in Bewegung gesetzt und 2 Millionen Wähler und die 80 Departementsräthe verlangten in Adressen von der National-Versammlung diese Revision, während die bonapartistischen Journale mit Verschwörungen und Emeuten der Rothen drohten und die Armee ganz offen auf die Seite des Präsidenten trat. Der Kriegsminister sah sich genöthigt, den heftigen Tagesbefehlen mehrerer Regiments-Commandeure

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Einhalt zu thun, welche ganz offen ihren Soldaten erklärten, daß sie ohne Erbarmen die Demokraten niedermetzeln müßten.

Was aber auch die Absichten des Präsidenten sein mochten, die Ereignisse drängten zu einer raschen Entscheidung. Die Legitimisten hatten sich gänzlich von ihm zurückgezogen, die Nationalversammlung verwarf am 14. Juli den Antrag des Ministeriums auf Revision der Verfassung und vertagte sich bis zum 4. November - die Orleanisten, Thiers an ihrer Spitze, beschlossen den Prinzen von Joinville als Kandidaten für die Präsidentur aufzustellen, die Rothen: Carnot!

In diese Zeit fallen das große Fest der Einweihung der neuen Marktplätze, mit der sich der Prinz-Präsident bei den »Damen der Halle« populair machte, die Banquets, die er den Soldaten bei jeder Gelegenheit gab, die Feten an die Offiziere, bei denen der Champagner in Strömen floß und das Geschrei der großen Lieferanten, in deren Schuldbüchern er mit Hunderttausenden figurirte.

Es gab nur zwei Wege: die Eroberung der dauernden Herrschaft, oder den Schuldthurm, sobald die Präsidentur abgelaufen war.

Die Wahl war leicht!

Zwei Mal hatte der Prinz-Präsident seitdem das Kabinet verändern müssen; alle Welt empfand die drückende Nähe einer Krisis, die Unabwendbarkeit eines Staatsstreichs, der den Sieg der rothen Republik oder die Wiederaufrichtung der Napoleoniden herbeiführen mußte.

Es galt jetzt die letzten, entscheidenden Züge.

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Der Präsident verlangte die Aufhebung des Wahlgesetzes und die Wiederherstellung des allgemeinen Stimmrechts. Das Ministerium Faucher weigerte sich und trat ab - ein neues aus meist unbedeutenden Namen, Coulissen zur Vorbereitung des Trauerspiels, wurde ernannt, aber zugleich Maupas, der bisherige Präfect der Haute Garonne, feig und kraftlos, aber bereitwillig zu jedem Gehorsam, zum Nachfolger Carliers als Polizeipräfect von Paris, und der General L. Roy de St. Arnaud, aus Algier vor Kurzem zum Kommando der 2. Division der Besatzung von Paris berufen, zum Kriegsminister.

Die Nationalversammlung verwarf am 13. November die Wiederherstellung des allgemeinen Stimmrechts, aber es waren nur noch 7 Stimmen Majorität gegen das Elysée und der Präsident hielt die berüchtigte Anrede an die Offiziere der Garnison, in welcher er die Hilfe der Armee verlangte und sagte: wenn der Tag der Gefahr käme, werde er nicht wie die früheren Regierungen ihnen zurufen: »Marschirt, - ich folge Euch!« sondern: »Ich marschire: folgt mir!«

Vergeblich versuchte am 17. die gesetzgebende Versammlung, durch Cavaignac, Changarnier und Lamoricière getrieben, das ausschließliche Kommando über die Truppen zu erhalten, statt die Befehle durch den Kriegsminister zu übermitteln; - der Antrag ward schon mit 408 gegen 300 Stimmen abgelehnt, die Truppen empfingen den Präsidenten bei der Parade auf dem Marsfeld mit Jubel, und am 24. November schleuderte die Feder Granier's de Cassagnac

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im Constitutionell die Anklage einer Verschwörung der Ordnungspartei gegen den Präsidenten in die Oeffentlichkeit.

Die Nationalversammlung, die Bergpartei und die Legitimisten vereint, suchte das seit zwei Jahren in Vergessenheit gekommene Gesetz über die Verantwortlichkeit des Präsidenten wieder zur Berathung hervor, dessen Paragraphen es für Hochverrath erklärten, wenn der Präsident es versuchen sollte, ohne Unterbrechung seine Amtsdauer über vier Jahre zu verlängern.

Die Frucht war reif - der Tag der Entscheidung gekommen.



Es war der Abend des 1. Dezember, ein Montag.

Paris amüsirte sich, wie sich Paris selbst unter der Guillotine und unter dem Einmarsch der Preußen amüsirt hatte. Wann hätte je das drohende Gewitter am politischen Himmel, selbst der zuckende Blitz Paris von seinem Amüsement abgehalten? Man wischt höchstens das Blut ab und tanzt auf derselben Stelle, es ist gleichgültig, ob es die Carmagnole von 1793 oder ein Cancan von 1862 ist - man tanzt!

Auch heute wußte man, daß ein Gewittexschlag am Horizont schwebte, aber nicht, wenn er sich entladen würde, und man dachte an Nichts weniger, als an seine unmittelbare Nähe.

Der Prinz-Präsident gab eine große Soirée; wer nicht dort, oder noch nicht dort war von der Modewelt, war sicher in der Opera comique, wo eine neue Oper von

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Limnandier: »Das Schloß des Blaubart« gegeben wurde. Das Theater war zum Erdrücken voll, die Diplomatie, die politischen Notabilitäten, die tonangebenden Schönheiten und die Börse waren zahlreich vertreten.

Der erste Akt war zu Ende - in dem prachtvollen Foyer mit den Büsten der berühmtesten französischen Komponisten drängte sich eine elegante Menge, während aus den geöffneten Thüren der petits salons der ersten Logenreihe die Inhaber die Promenirenden lorgnettirten, oder mit Bekannten plauderten.

Eine Gesellschaft von drei Herren kam die Treppe herauf von den Orchesterplätzen und zog nach dem Foyer.

Einer der Herren, ein eleganter stattlicher Mann, in dem Knopfloch seines Fracks das Kreuz der Ehrenlegion und den päpstlichen Christusorden um den Hals, grüßte mit besonderer Höflichkeit nach der Loge, an der sie eben vorüber kamen.

Man sah der Haltung, der wegwerfenden legèren Noblesse des Mannes an, daß er zu den aristokratischen Kreisen gehörte. Er trug Civil, obschon sein Gesicht durch mehrere breite Narben bedeckt und die früher wahrscheinlich schön und edel geformte Nase durch einen Bruch des Nasenbeins sehr entstellt war.

»Wen grüßten Sie da lieber Graf?« frug ein Offizier in ausländischer, preußischer Uniform.

»Oh - eine kleine Höflichkeit, ich habe Fräulein Miron nur an das schöne Gesicht eines früheren Anbeters erinnern wollen.«

»Miron - wer ist die Dame? ich kenne sie nicht.«

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»Valga me Dios! Da sieht man, mein junger Freund, daß Sie einzig und allein Augen für die kleine Argentinerin haben. Nehmen Sie sich vor dem Spanier in Acht, Sie wissen, er ist der Bräutigam und die Familie steht famos im Elisée!«

Der Offizier erröthete leicht. »Das sagt mir immer noch nicht, wer die Miron ist!«

»Glücklicher Mensch, dessen Finanzen so vortrefflich sind, daß er nicht ein Mal die Namen unserer Börsen-Crösusse kennt. Ich versichere Sie, Monsieur de Röbel, ich habe, bevor die kleine Erbschaft meines Onkels des Ludwigsritters mir erlaubte, mit meinen Gläubigern zu accordiren und aus Rom zurückzukehren, einen ganz besondern Respekt vor dem Namen Miron gehabt und bin sogar einmal nahe daran gewesen, die schöne Cora zu heirathen, wenn sie nicht zu klug gewesen wäre, um ihre guten Vierprozentigen mit dem letzten Blut der Montboisier zu vermischen.«

Der Offizier war bei der Erwähnung seiner Finanzen etwas verlegen geworden, aber er half sich geschickt, indem er das Gespräch bei dem wirklichen Gegenstand hielt. »Unsere Börsenmatadore werden leider auch zäh. Einer meiner Freunde hatte neulich alle Festigkeit seines Charakters nothwendig, um dem Banquier, der gern einen Grafen zum Schwiegersohn haben wollte, die zweimalhunderttausend Thaler Mitgift abzugewinnen. Der alte Jude hatte die Unverschämtheit, bei der Besprechung der Mitgift 40,000 Thaler zu bieten.«

»Und wie machte es Ihr Graf?«

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»Er nahm, ohne ein Wort zu sagen, seinen Hut und ging. An der Thür des Salons hatte der künftige Schwiegervater die Aussteuer schon auf Sechszigtausend erhöht, an der ersten Treppenstufe bot er Hunderttausend - keine Antwort - und als er höflichst die Hausthür öffnete, waren die Zweimalhundertausend richtig voll.«

Montboisier lachte. »Ich werde mir das Recept merken trotz meiner entstellten Visage; denn ich fürchte, daß Fräulein Cora Miron, nachdem sie den Thron ihrer Herrschaft an die schöne Creolin hat abtreten müssen, am Ende gezwungen sein wird, es bei mir auf einen Gegenkorb ankommen zu lassen!«

»Man sagt, daß sie sich nicht entschließen kann zu heirathen wegen einer romantischen Inclination, von der Papa Miron Nichts wissen will.«

»Bah liebster Düplessis[Duplessis] - wer sagt das? die bösen Zungen. Ich bin Kapitain Fromentin viel zu viel Dank schuldig, daß er mich vor der fatalen Füsilade am San Montorio gerettet, der die arme Herzogin von Ricasoli zum Opfer fiel, als daß ich ihn so blindlings in sein Unglück rennen lassen würde! Mademoiselle Miron würde den braven Artilleristen noch um ganz andere Dinge bringen, als um seine Erfindung der gezogenen Geschütze!«

»Wissen Sie, daß der Kapitain in Paris ist?« frug der Journalist.

»In Paris? - das ist unmöglich!«

»Ich habe ihn vor zwei Stunden auf dem Boulevard

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Italien gesprochen. Er frug nach Ihnen und ich sagte ihm, daß er uns hier treffen würde.«

Der Graf biß sich leicht auf die Lippe - die Begegnung war ihm offenbar nicht ganz angenehm. »Was führt ihn her - ist er auf Urlaub?«

»Er hat seinen Abschied genommen, weil man - wie er mir sagte, - ihm den Urlaub beharrlich verweigert hat.«

»Wann ist Kommandant Fromentin hier eingetroffen?«

»Heute Mittag erst - aber Sie nennen ihn mit Unrecht Kommandant - er ist nicht so glücklich wie Sie und hat den Abschied nur in seiner Charge als Kapitain erhalten.«

»Das ist ungerecht, denn er ist ein braver Bursche und verdienter Soldat. Da sehen Sie, wie das demokratische Elysée mit dem Faubourg St. Germain kokettirt. Ich habe kaum drei Monate Dienst gethan und man hat dem Bürger Montboisier das Patent an den Hals geworfen, bloß weil er zufällig Graf ist.«

»Die Herren Legitimisten scheinen den guten Willen des Präsidenten wenig zu würdigen,« sagte der Journalist lachend - »sie haben sich so gut von ihm losgesagt wie der Berg und die Gemäßigten. Man scheint in der Straße de Lille ganz besondere Erwartungen zu hegen, sonst hätte de Laborde unmöglich heute in der Nationalversammlung den Antrag auf einfache Wiederherstellung der legitimen Monarchie einbringen können!«

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»Valga me Dios - er hätte damit warten sollen, bis Souloucque7 in Clichy sitzt. Waren Sie dort?«

»Wie halb Paris - man erwartete besondere Dinge und sah sich ärgerlich getäuscht. Dupin wies den Antrag als inconstutionell zurück, obschon Laroche-Jaquelin ihn unterstützte, und er fiel mit ungeheurer Majorität. Nachher bloß eine Debatte über die Bahn von Avignon und einige unbedeutende Paragraphen des Wahlgesetzes - voilà tout!«

»Da haben Sie den Staatsstreich,« sagte der Legitimist lachend - »man tanzt im Elysée und denkt vorläufig an andere Dinge als an Ordonnanzen. Miron ist ein Schlaukopf gewesen, als er das schöne Geschäft ablehnte!«

»Was meinen Sie?«

»Ei, die hundert Millionen des Präsidenten, die ihm zuerst angetragen wurden zu zehn Prozent, die Sache ist kein Geheimniß mehr.«

»Aber mir unbekannt!«

»Dann müssen Sie in der That weniger wissen, lieber Redakteur, als hier unser preußischer Freund. Wo zum Teufel sollte Souloucque denn das Geld hergenommen haben, nachdem er Gott und aller Welt schuldig ist, um täglich Feten im Elysée zu geben?«

»Oh die ruiniren ihn nicht - es ist bekannt, daß man dort sehr ordinairen Ponsch trinkt.«

»Ja - aber die Gelage der Offiziere schwimmen in Champagner, Sie kennen doch die neueste Karrikatur? und die Soldaten, welche die Sparsamkeit der würdigen

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Nationalversammlung vom petit bleu8 auf Coco9 gesetzt hat, consumiren aus bonapartistischer Tasche eine ganz anständige Masse Spirituosen.«

»Es ist allerdings auffallend!«

»Aber erklärlich und baar bezahlt. Souloucque hat wie gesagt eine Anleihe von hundert Millionen gemacht, das heißt zehn Millionen erhalten - wofür hundert gezahlt werden sollen, wenn er erst Kaiser von Frankreich ist!«

»Wer in aller Welt sollte so thöricht gewesen sein, ein solches Geschäft zu machen?«

»Königswarter der Bonapartist hat sie übernommen - ich weiß es von seinem eigenen Bruder, der zu den Unsern gehört. Das Geschäft ist mit englischen Kapitalisten in London geschlossen worden. Aber ich weiß, daß von diesen zehn Millionen kein Sous mehr da ist, und deshalb eben zweifle ich an diesem Staatsstreich, den alle Welt fürchtet; denn zum Kriegführen gehört vor Allem Geld, wie Ihr großer Friedrich gesagt hat, Monsieur de Röbel.«

»Und Miron hatte man dies Geschäft angeboten?«

»So vertraute mir der Sohn. Er hat sich gehütet, es mit den Millionen seiner Braut zu machen, sonst würde er jetzt schwerlich so zufrieden und guter Dinge zwei Tage

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vor seiner Hochzeit dort drüben in seiner Loge sitzen und seiner kleinen Braut von den heutigen Coursen der Coulisse schwatzen können, statt in's Foyer zu kommen. Sie sind doch eingeladen zur Hochzeit?«

»Man hat mir eine Karte gesandt, aber ich habe bei Cavaignac zugesagt, die Hochzeit des Generals ist an demselben Tage.«

»Zwei Millionairinnen - die Börse und die Fraktion der constitutionellen Demokratie haben Glück. Der General scheint sich die pikanten Artikel des Herrn Girardin wenig anfechten zu lassen.«

»Girardin ist ein Mensch ohne Ehre und Gewissen. Der General meint es ehrlich mit der Constitution. Was kann er dafür, daß sein Bruder zur Partei der Rothen gehörte.«

»O was das anbetrifft,« sagte der Graf kalt, den Rest aus seinem Glase Eis löffelnd - »so liegt das im Blut. Père Cavaignac hat nicht umsonst zu den Mitgliedern gehört, die Marie Antoinette zum Tode verurtheilten, und als Commissair des Convents jene zwanzig jungen Mädchen in Verdun unter das Messer der Guillotine gesandt, weil sie dem König von Preußen - es war ja wohl der Großvater Ihrer jetzigen Majestät, Monsieur de Röbel? - beim Einzug in die Festung mit Blumen begrüßt hatten.«

»Herr Girardin ist doch bei andern Gelegenheiten in der Politik sehr tolerant!«

»Ah nicht bloß in der Politik, er war es auch im Häuslichen,« sagte lachend der Graf, »und seine Kurzsichtigkeit

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soll ihm bei einigen Gelegenheiten vortrefflich zu statten gekommen sein, als er nicht sehen wollte, wenn Madame Delphine sich grade amüsirte. Die Dame hatte das Vorrecht, so ungenirt zu sein, wie ihre Mutter, Madame Gay, die dem ersten Napoleon auf seine Frage, was sie denn während der zwei Jahre ihrer Verbannung nach Aachen dort gemacht habe, sehr naiv antwortete: »Drei Kinder, Sire!« - Aber fassen Sie sich in Geduld Herr Kamerad, ich kann um keinen Preis den zweiten Akt der Oper einbüßen, auch wenn Sie noch so große Eile haben, in's Elysée zu kommen.«

»Mein Gesandter ...«

»Ihr Gesandter wird sich den Henker um die schlechte Gesellschaft im Elysée scheeren, auch wenn der Prinz noch zehn Mal Herrn Kossuth und Konsorten die Durchreise durch Frankreich verweigert, um sich bei den östlichen Höfen lieb Kind zu machen. Ueberdies habe ich eben Herrn Morny noch ganz ruhig neben Cavaignac und Thiers in ihren Logen sitzen sehen, wir leben in einer wahren Idylle von Politik heutzutage. Was Sie zur Eile drängt, das ist, die kleine Creolin dort zu sehen, deren Papa, der enragirte Bonapartist, eine so besondere Aufmerksamkeit für Sie zeigt, daß man glauben könnte, er habe Sie zum Schwiegersohn ausersehen, wenn dieser langweilige Spanier nicht bereits das Vorrecht hätte.«

»Das besondere Vertrauen, das mir Oberst Massaignac zeigt,« bemerkte der Offizier, »rührt von einem Dienst her, den ihm mein Vater 1815 geleistet.«

»Das ist eine ganz hübsche Anwartschaft auf Cadeaux

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wie der prächtige Braune, den Sie gestern in den elysäischen Feldern ritten, und selbst hier und da für eine kleine Anleihe, denn Nabobs gegenüber braucht man nicht allzu penible zu sein; aber hüten Sie sich, an den Feueraugen der Signora Carmen die Flügel zu verbrennen, die Kleine ist eine ärgere Kokette, als selbst die Miron.«

Sie hatten eben das Foyer verlassen und waren im Begriff, die Treppen hinabzusteigen, als der ziemlich laut gesprochene Name die Aufmerksamkeit eines Entgegenkommenden erregte.

»Herr Graf ...«

»Valga me Dios! Kapitain Fromentin! Seien Sie willkommen in Paris!«

Der Legitimist reichte dem ehemaligen Gegner unbefangen die Hand. Nur zwischen den Zähnen murmelte er: »Da geht der zweite Akt des Blaubart zum Teufel.«

»Ich bedauere,« sagte der Artillerie-Offizier - »Sie einige Augenblicke aufhalten zu müssen, da ich Sie sprechen muß!«

»Hat die Sache nicht Zeit, bis morgen?«

»Es thut mir leid, aber ich bin nicht gewöhnt, derartige Geschäfte aufzuschieben.«

Der Graf verbeugte sich. »Das Foyer wird in einem Augenblick leer sein. Die Herren werden entschuldigen.«

»Diese Herren,« sagte der Kapitain, »würden mich verbinden, wollten sie unserer Unterredung beiwohnen. Herr Düplessis[Duplessis] ist uns Beiden befreundet und dieser Herr ...«

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Der Graf beeilte sich, den Offizier als auf Urlaub in Paris anwesend und an ihn empfohlen, vorzustellen.

Die Männer verbeugten sich.

»Darf ich bitten!«

Das Foyer war in der That leer - Alles strömte nach dem Saal.

Die vier Männer nahmen in einer Ecke Platz, wo sie nicht gehört werden konnten.

»Mein Herr,« sagte der Artillerist, »Sie wissen, daß aus früherer Zeit noch eine Angelegenheit zwischen uns zu ordnen ist. Ich habe Sie an dem Tage des Sturms auf die Villa Corsini schwer beleidigt, und wenn auch Ihre Gefangenschaft in Rom ein hinreichender Grund war, die Verzögerung dessen zu rechtfertigen, was unter Männern von Ehre in solchem Fall üblich ist, so durfte ich doch erwarten, daß Sie Rom nach Ihrer Befreiung nicht Verlassen würden, ohne unsere Angelegenheiten zu ordnen.«

Zwei rothe Flecken zeigten sich auf den Wangen des Grafen - sein Auge schoß einen kurzen heftigen Blitz zorniger Erregung auf seinen Gegner, aber er unterdrückte mit Gewalt diese Aufregung.

»Ich habe Rom nicht verlassen mein Herr,« sagte er mit ruhiger Würde, »ohne Ihnen wenigstens schriftlich die schuldige Andeutung über mein Betragen gegeben zu haben. Ich habe die Ehre, den Namen Montboisier zu tragen und ich glaube, daß dieser genügt, mich vor dem Verdacht der Feigheit zu schützen.«

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Der Kapitain verbeugte sich höflich. »Niemand denkt an einen solchen Vorwurf.«

»Wohlan denn, Sie werden zugeben vor diesen Herren, daß ich der Beleidigte war!«

»Ich habe Sie beleidigt!«

»An mir war es also, Genugthung zu fordern. Meine Gefangennehmung verhinderte dies. Später wollte ich es nicht, und zog deshalb vor, mich von Rom zu entfernen.«

»Aber Sie haben auch keinen meiner Briefe beantwortet!«

»Einen Augenblick noch - ich habe diesen Herren zu erklären, weshalb ich mich nicht mit Ihnen schlagen konnte.«

»Ich wiederhole - Niemand zweifelt an Ihrem Muth Herr Graf.«

»Das ist nicht genug. Diese Herren müssen wissen, warum ich es nicht konnte und niemals können werde. Ich zweifle, daß Einer von Ihnen schon einmal in seinem Leben vor der Mündung von zehn Büchsen gestanden, die auf seine Brust gerichtet waren, mit der Gewißheit, in zwei Minuten eine Leiche zu sein.«

»Parbleu« - rief der dicke Journalist, »ich habe zwar schon oft einer Pistolenmündung Stand gehalten, aber da waren die Chancen gleich. Die Empfindungen müssen etwa die nämlichen sein, die unser würdiger Nationalvertreter in seinem dernier jour d'un condamné gemalt hat.«

»Nun ich versichere Sie, daß nur Der, welcher es selbst erfahren, wissen kann, was es bedeutet. Ich habe es erfahren und hier, Kapitain Fromentin war es, der in jener Stunde mein Leben gerettet.«

Der dicke Journalist legte ganz gegen seine Gewohnheit

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sehr ernst die Hand auf den Arm des Artilleristen. »Dann Herr Kapitain, kann sich der Graf unmöglich mit Ihnen schlagen!«

»Er wird müssen, oder eingestehen, daß er gelogen hat!«

»Mein Herr!«

»Ich bedauere aufrichtig, zu diesen Worten gezwungen zu sein, aber Sie sehen, daß der Herr Graf selbst nicht antwortet.«

In der That hatte der Legitimist auf die neue Beleidigung sich begnügt, finster den Kopf zu senken.

Der Journalist, dessen Ruf als Duellant bekannt war, rückte unwillkürlich einen Schritt den Stuhl von dem seines Bekannten zurück, gleich als sei dieser durch sein Schweigen vervehmt. »In der That,« sagte er, »ich begreife das nicht. Ist es vielleicht erlaubt, etwas Näheres von der Sache zu erfahren?«

Der Graf hob ruhig den Kopf - sein Gesicht war finster, aber er schien einen bestimmten Entschluß gefaßt zu haben.

»Sie werden Ihre Beschuldigung zurücknehmen Herr Kapitain, ich, der Graf Anatole Montboisier, bitte Sie darum.«

»Sie wissen, daß das unmöglich ist!«

»Es ist möglich - denn die Sache ist wahr!«

»Herr ...«

»Still - keine neue Beleidigung, Sie wissen, daß ich waffenlos gegen Sie bin. Hätten Sie nicht mein Leben gerettet und mich dadurch zu einem andern Mann gemacht,

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als ich war, so würde ich Ihnen, mit dem Degen in der Hand, die Antwort geweigert haben. Jetzt habe ich eine andere Pflicht - ich kann mich nicht mit Ihnen schlagen, aber eben so wenig in Ihren Augen einen Flecken auf meiner Ehre lassen. Ich gestehe es jetzt ganz offen, daß ich es gewesen bin, der bei dem Kriegsminister es seit zwei Jahren hintertrieben hat, daß Ihnen der wiederholt verlangte Urlaub von Rom verweigert worden ist.«

Der Kapitain verbeugte sich ironisch. »Ich begreife, daß gewisse Rücksichten ...«

»Sie irren Herr Kapitain,« sagte der Graf ruhig. »Eben um dem Ziel Ihrer Wünsche Nichts in den Weg zu legen, habe ich Ihre Urlaubsgesuche bisher hintertrieben. Ich weiß nicht, welche Ursache Sie veranlaßt hat, durch Aufgabe Ihrer Stellung Ihre Rückkehr nach Paris zu erzwingen; aber um jener Erfüllung Ihrer Wünsche willen, bitte ich Sie nochmals, Ihre Beleidigung zurückzunehmen.«

»Ich bin gezwungen, bei meinen Worten zu verharren!«

»Dann Herr Kapitain, ist die Sache eine andere.« Er nahm ein Portefeuille aus der Brusttasche seines Rocks und suchte in einer Seitentasche ein Papier. Es war die flüchtige kleine Scizze eines Kopfes, nur in einzelnen Zügen, aber von Meisterhand.

Er reichte sie dem Offizier.

»Kennen Sie das Gesicht?«

»Die Fleur de Mort,« rief der Kapitain erstaunt - »wie kommen Sie zu dem Bilde?«

»Es ist ein Andenken an einen Todten. Chevaulet,

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der in der Villa Corsini erschlagen wurde, hat es bei der Guerin gezeichnet!«

»Das ist ...«

»Still! - ich hätte Ihnen damals mit leichter Mühe die Wahrheit meiner Worte beweisen können, denn zwei Personen waren zugegen, welche sie bestätigen konnten. Aber meine verletzte Eitelkeit suchte Streit mit Ihnen, da ich Sie für die Ursache des Korbs hielt, den Mademoiselle Miron mir gegeben.«

»Sie irren - welchen Anspruch hätte ein armer Soldat auf solche Beachtung einer reichen Dame.«

Die Worte waren nicht ohne Bitterkeit gesprochen - aber der Graf schüttelte ernst den Kopf. »Der Irrthum ist auf Ihrer Seite, glauben Sie mir, und Sie sind der einzige Mann, für den diese Kokette je empfunden hat und noch empfindet. Sie hat in den zwei Jahren gewiß fünfzig Mal Ihrer erwähnt und hatte im Sommer das Projekt, nach Italien zu reisen. Aber eben weil ich Ihr Freund bin, würde ich sie lieber selber heirathen, als zugeben, daß Sie sich zeitlebens unglücklich machen!«

Der Offizier zuckte ungeduldig die Achseln. »Ich bin kein Kind mein Herr!«

»Deshalb versuche ich auch nicht, die Medizin zu versüßen. Die Hand, die jene Zeichnung gemacht, ruht unter dem Rasen der Villa Corsini. Chevaulet und Rainville, der mit ihm in einem Grabe schläft, waren die Zeugen Ihrer Beleidigung, und grade sie hätten Ihnen sagen können, daß ich die Wahrheit gesprochen.«

»Sie berufen sich auf die Todten!«

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»Deshalb ist es nöthig, Ihnen andere Beweise zu geben.« Er nahm ein zweites klein zusammengefaltetes Blatt aus der geheimen Tasche seines Portefeuilles und reichte es dem Offizier.

»Sind Ihnen diese Worte bekannt?«

Der Kapitain öffnete das Papier - er zuckte zusammen, als er die eine Zeile las und fuhr mit der Hand über die Augen, als wolle er eine böse Erinnerung verscheuchen.

Auf dem Papier stand in kleiner zierlicher Schrift:


    »Ich bitte, dem Ueberbringer zu vertrauen und ihm zu folgen.
                   Cora von Miron.«10

»Dies Blatt ...«

»Wird Sie vielleicht an ein anderes von gleichem Inhalt mit Ihrer Unterschrift erinnern.«

»Und mit jenem Papier?«

»Hat man das vollführt, was ich behauptet. Ich bedauere jetzt aufrichtig den Antheil, den ich an einer Sache hatte, die ich damals höchstens für einen leichtfertigen Spaß hielt; aber hier ist ein dritter Zeuge, der Ihnen bestätigen wird, daß ich die Wahrheit gesprochen.«

Der Kapitain sah mit wildem verstörtem Blick um sich. »Wo - wer?«

Der Graf wies auf den dicken Journalisten: »Dieser Herr war Zeuge!«

»Von was? zum Henker, ich verstehe die ganze Geschichte nicht!«

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»Daß am Abend des 9. Oktober Achtundvierzig Herr Levy oder Leon von Miron ein Mädchen, das man die Fleur de Mort nennt, in Folge einer Wette in eine etwas lockere Gesellschaft bei der Guerin brachte.«

»Das ist wahr, ich erinnere mich, die Kleine ersetzte jene seltsame Schöne, die der arme Chevaulet die »Venus von Rom« nannte. Sie war in der That hübsch, aber kalt wie Zampa's Marmorbraut.«

»Und wer - Herr - wer wettete?«

»Die Erde deckt ihn und unseren Antheil. Chevaulet verlor hundert Louisd'or und Herr Miron gewann die Wette.«

»Durch jenes Papier!«

»Durch das Papier!«

Der Kapitain preßte krampfhaft den Arm des Cavaliers - die Worte kamen ihm schwer aus der Kehle. »Auf Ihre Ehre Herr - die Mortelle - was geschah mit meiner Schwester?«

»Ihre Schwester - um Gotteswillen, das ist unmöglich ...«

»Es ist gleich - uns tränkte dieselbe Brust! Auf Ihre Ehre Graf, was geschah mit der Mortelle?«

Der Aristokrat sah finster zur Seite. »Sie waren noch nie bei der Guerin?«

»Nein!«

»Dann erlassen Sie mir die Antwort - ich bin jetzt bereit Herr Kapitain, mich mit Ihnen zu schlagen! Sollte die Sache von Folgen gewesen sein, so ist Miron reich genug ...«

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Der Offizier aus dem Volk warf ihm einen Blick zu, der ihn verstummen machte. Er erhob sich, seine Lippen waren fest aufeinander gepreßt, seine Stirn über der Wurzel der Nase in schweren Falten.

»Ich habe mit Ihnen Nichts mehr zu schaffen und bitte Sie vor diesen Herren um Verzeihung.«

Der Graf streckte ihm die Hand entgegen. »Es giebt kein Unglück, das sich nicht wieder gut machen läßt. Haben Sie das Mädchen gesehen - ich gestehe, daß ich mich leider nicht weiter um sie gekümmert habe.«

Der Kapitain verbeugte sich kurz, ohne die gebotene Hand zu berühren. »Ich habe Mademoiselle diesen Abend gesehen, mit ihrem Bruder, der gestern aus Afrika hier eingetroffen ist, um seine Schwester nach seiner neuen Heimath zu holen. Der Geist des Mädchens - das leider nicht erzogen war, so kleine Scherze gebührend zu würdigen - ist jetzt vollends umnachtet und Ihre Erklärung mein Herr giebt mir ein entsetzliches Licht über die Deutung ihrer Reden!«

»Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich es bedauere.«

Der Offizier machte eine kurze abwehrende Bewegung mit der Hand. »Ich bitte Sie, mir zu sagen, wo ich Herrn Leon von Miron treffe!«

»Beruhigen Sie sich lieber Freund, keine Uebereilung, bedenken Sie ...«

»Wollen Sie meine Frage beantworten?«

»Das ist meine Pflicht! Herr Miron befindet sich im Theater, Loge Nummer Fünfzehn, er wird sich am Donnerstag vermählen.«

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Der Offizier that einen Schritt nach dem Ausgang des Foyers - der Graf hielt ihn zurück. »Bedenken Sie, was Sie thun, mein Freund. Er ist nicht allein, seine Braut und seine Schwester befinden sich in seiner Gesellschaft.«

»Desto besser, Sie werden die Güte haben, mir einige Worte mit Herrn Miron zu verschaffen!«

»Ueberlegen Sie es nochmals! - wenn wirklich Ihr Glück im Spiel ist, wenn Sie Mademoiselle Miron ernstlich lieben ...«

Der Offizier machte eine ungeduldige Bewegung. »Wollen Sie oder soll ich selbst die Loge öffnen?«

»Das ist nicht nöthig - ich erkläre Ihnen, daß ich Nichts mit der Sache zu thun haben mag. Aber dort verläßt eben Lord Heresford mit dem Kapitain Peard seine Loge - ich habe die Ehre Mylord zu kennen, und er wird Ihnen gern seine Loge überlassen, die neben der Mirons sich befindet.«

In der That kamen eben durch den Korridor zwei Herren, denen man, so verschieden sie auch waren, die englischen Originale auf den ersten Blick ansah.«

Der Eine war der berühmte Excentric, Viscount Heresford. Er war von hoher schlanker Figur, und einige vierzig Jahr alt. Sein Gesicht war von dunkler Färbung, das Auge eben noch so matt und gleichgültig, wie es damals, als wir ihm zuerst begegneten in Gesellschaft des bucklichen Malers, über die gelbe Fluth des Tiber schweifte. Die drei Jahre hatten nicht den geringsten Unterschied in

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seinem Aeußern hervorgebracht, obschon er seitdem im Kaukasus und in Central-Afrika umhergeschweift war.

Auf diesen Reisen hatte er wahrscheinlich seinen Begleiter getroffen, denn er liebte es, Originale wie er selbst, mit sich zu führen, und sie zu studiren.

Der Leser unseres Buchs Villafranca wird sich des Namens vielleicht noch erinnern; - es war in der That der Kapitain Peard, den wir auf seiner Menschenjagd an den Ufern des Uruguay getroffen haben. Auch der weibisch verzärtelte Stutzer, der seinen Schooshund nicht der rauhen Berührung der Erde aussetzen mochte und zu seinem Vergnügen Indianer erschoß, hatte sich nur wenig verändert und war noch immer der lispelnde, empfindsame Geck und Gourmand von damals.

Die beiden Herren waren in eleganter Salontoilette und beabsichtigten offenbar noch den Rest des Abends an einem andern Ort zuzubringen, denn sie traten an die Garderobe und ließen sich ihre Paletots reichen.

»By Jove - ich habe noch nie einen Menschen am Kitzeln der Fußsohlen sterben sehen,« sagte der englische Stutzer. »Dieser Blaubart muß ein genialer Kopf gewesen sein. Es ist schade Mylord, daß ich auf den Gedanken nicht in Indien gekommen bin - wissen Sie, die Anwendung der Zimmermannskäfer auf die Geschlechtstheile ist bei Weitem nicht so interessant, die Weiber schneiden zu weinerliche Gesichter dabei und ihr Gekreisch verletzt das Trommelfell. Aber lachend, lachend sterben - noch dazu, wenn das Frauenzimmer jung und hübsch ist, das muß amüsant sein, ich möchte das Experiment wohl sehen.«

»So kaufen Sie ein Individuum dazu!«

»Ei - ich bin nicht so reich wie Sie, daß ich mir alle Liebhabereien erlauben darf. Man hat so viel Schwierigkeiten in diesem Europa - und an andern Orten muß man so viel Unbequemlichkeiten ertragen. Glauben Sie wohl, daß man bei diesem rohen Burschen, dem König von Dahomay, als ich ihm die Ehre anthat, seinen Opferfesten beizuwohnen, das Antilopenfleisch ohne Champignonsauce bereitete?«

»Ich pflege meinen Koch bei mir zu führen,« sagte der Lord trocken.

»Das können Sie - aber ich habe leider nur viertausend Pfund Rente. Aber trotz der Unbequemlichkeit war das Fest doch höchst amüsant. Denken Sie - acht Tage lang, am ersten gleich hundertfünfzig Neger und so jeden Tag, die Weiber und Kinder gar nicht mitgezählt. Was ich da für allerliebste Studien gemacht - ich will Ihnen mein Tagebuch geben, die Beobachtungen über das Aufschneiden des Bauchs bei lebendigem Leibe und das Herausnehmen der Eingeweide sind wirklich interessant. Im Durchschnitt lebten die Leute ohne Magen immer noch zwischen 5 und 8 Minuten. Aber es sind sehr rohe Naturen müssen Sie wissen - hier in Frankreich hielte man es gewiß nicht so lange aus.«

Der Viscount lächelte. »Goddam - wir werden ja sehen, wie lange es Frankreich aushält, wenn Freund Louis es tranchirt.«

»Oh,« sagte der Kapitain - »ich bin sehr gespannt darauf, den Prinz-Präsidenten kennen zu lernen. Er soll

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ein Mann von Geist sein, dem man Vorschläge machen kann. Nicht so langweilig, wie dieser Prinz-Gemahl!«

In diesem Augenblick war der Graf zu dem Viscount getreten, hatte ihn begrüßt und ihm einige Worte gesagt.

Der Lord verbeugte sich mit der Höflichkeit des Weltmanns gegen die Herren. »Sie erzeigen mir eine große Ehre,« sagte er zuvorkommend, »wenn Sie meine Loge benutzen wollen. Ich muß mir das Vergnügen versagen, die Oper zu Ende zu sehen, da ich versprochen habe, im Elysée zu sein.«

»Ich hoffe, Sie dort noch zu treffen, Mylord,« bemerkte der Graf. »Empfangen Sie vorläufig unsern besten Dank.«

Man wechselte noch einige Höflichkeiten, dann trennten sich die beiden Gruppen und der Lord stieg mit seinem Begleiter in dem gewohnten trägen Gang die Treppe hinab, um seinen Wagen zu erwarten.

Die Schließerin öffnete die Loge - der Kapitain trat ein, gefolgt von den drei Männern. Keiner - selbst der Graf nicht - hatte sich entschließen können, dem Auftritt nicht beizuwohnen. Der Akt ging zu Ende - es spielte eben die vorletzte Scene. Das Geräusch, das der Eintritt machte, wendete die Aufmerksamkeit der Umsitzenden und des Parquets auf sie. In der Loge zur Linken saß Herr Leon von Miron mit seiner Braut und Schwester. Die Damen hatten die vorderen Plätze eingenommen, die schöne Cora zunächst an

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der die Logen trennenden niedern Wand - der junge Banquier saß hinter seiner Braut.

Eine helle Röthe flog über das Gesicht der Dame, als sie so unerwartet ihren alten Verehrer eintreten sah und sie konnte sich nicht enthalten, seine stumme Verbeugung mit einer freundlichen Bewegung zu erwiedern. Im nächsten Augenblick aber gewann die Koketterie und Launenhaftigkeit den Sieg über das Gefühl, und die freundliche Bewegung des Willkommens wurde zu einer spröden hochmüthigen Verbeugung.

Der Kapitain überließ mit einer Handbewegung seinen Begleitern die Vorderplätze, der Graf und der fremde Offizier nahmen die Stühle der ersten Reihe, der Graf an der Seite der schönen Miron, der Kapitain setzte sich hinter ihn.

»Wir bitten um Entschuldigung, Mademoiselle de Miron,« sagte der Graf mit jenem nachlässigen halben Tone der Logen, der oft die Musikfreunde zur Verzweiflung bringt, »daß wir an Stelle einer so ausgezeichneten und berühmten Nachbarschaft wie Lord Heresford, Sie mit unserer Gesellschaft ennuyiren. Aber der Wunsch, mit Ihnen zu plaudern, war zu verlockend, um die Einladung des Lords auszuschlagen.«

»Ich finde, wenigstens zum Theil, in der Nachbarschaft keine besondere Veränderung,« sagte wegwerfend die Dame. »Mylord ennuyirte wenigstens nicht durch überflüssiges Sprechen.«

Der Graf negligirte die Worte. »Sie werden sich vielleicht freuen, einen früheren Bekannten wiederzusehen,

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dessen Heldenmuth Sie wenigstens verdanken, daß ein Verehrer mehr zu Ihren Füßen schmachtet. Kapitain Fromentin, einer unserer Paladine von Rom, giebt sich die Ehre, Sie zu begrüßen.«

Er setzte den lauten Worten rasch leise hinzu: »Seien Sie freundlich mit ihm, es giebt sonst ein Unglück!«

Die Dame verstand die Warnung nicht, oder wollte sie nicht verstehen. Sie wandte halb den Kopf über die Schulter und legte das Lorgnon an das Auge. »In der That - ich entsinne mich - Der Kapitain Fromentin! Sie haben uns ja lange nicht die Ehre erzeigt. Waren Sie abwesend?«

Der Offizier verneigte sich kalt, obschon eine heiße Gluth seine Stirn überlief. »Ich bin diesen Mittag erst nach Paris zurückgekehrt.«

»Ah - ganz richtig! wie ist mir denn - der alte Invalide, Ihr Papa, der so hübsch das Hortensienlied spielt, wenn er den Hof unsers Hôtels erfreut, erzählte mir, daß Sie bei der Besatzung von Rom stehen. Haben Sie sich gut amüsirt in Italien, Herr Kapitain? Die Oper soll in Rom und Mailand jetzt ungleich vortrefflicher sein, als bei uns.«

Die Gluth auf dem Gesicht des braven Offiziers war noch dunkler geworden. »Mein Vater, der alte Invalide von Waterloo mit seinem Kreuz und seinem Leierkasten, hat Sie recht berichtet, mein Fräulein, ich war in Italien, und das allein hat mich abgehalten, Ihnen meine Achtung zu bezeugen.«

Die Worte waren so eisig, kalt und ceremoniell

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gesprochen, daß die Kokette augenblicklich bemerkte, sie sei zu weit gegangen und einzulenken versuchte.

»Sie müssen mir von Italien erzählen Herr Kapitain - ich hätte gern in diesem Herbst es noch einmal besucht, aber es war so reizend auf unserer Villa bei Saint Cloud und Leon hätte mich um keinen Preis fortgelassen, weil seine Braut uns besuchte. Wir haben unsere Salons zwar noch nicht geöffnet, erst wenn die Unruh der Hochzeit vorüber ist, aber für alte Freunde bin ich jeden Mittwoch zu Hause. Hoffentlich haben Sie von Rom mir einige hübsche Blätter für mein italienisches Album mitgebracht, vielleicht die Ansichten der Breschen, die der tapfere Herr Kapitain stürmen halfen, oder die Conterfeis der schönen Römerinnen, in deren Herzen er andere Breschen geschossen.«

Der Kapitain verbeugte sich kalt. »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich bereits die Ehre gehabt, Mademoiselle de Miron einen Beitrag für ihr Album zu liefern.«

Sie sah ihn hochmüthig an. »Das[Daß] ich nicht wüßte, Herr Kapitain! Welchen wenn's beliebt?«

»In dem Boudoir der Frau von Baroche! Am Abend eines Tages, an welchem ich die Ehre hatte, mit Mademoiselle Samson Herrn Leon von Miron auf dem Quay d'Orsay zu begegnen.«

Der Fächer verbarg ein flüchtiges Erblassen der Dame, als sie sich wieder nach der Bühne kehrte und in ihrem Fauteuil zurücklehnte.

»Ich erinnere mich nicht!«

Sie warf hinter dem Fächer einen hastigen fragenden

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Blick nach dem Grafen, er zuckte unbemerklich die Achseln und sah sehr ernst aus.

Die schöne Cora begriff, daß hinter dem Allen Etwas verborgen liege und wurde besorgt. In diesem Augenblick sank unter dem Applaus des Publikums der Vorhang. Ein zweiter warnender Blick des Grafen hatte die Dame verständigt, sie erhob sich und langte nach ihrem Sortie.

»Die Hitze ist so drückend,« sagte sie. »Ich befinde mich nicht ganz wohl - wenn es Ihnen gefällig ist, liebe Amelie, fahren wir nach Hause.«

Herr Leon hatte wahrscheinlich die Anspielung des Kapitains nicht gehört oder nicht verstanden, er hatte nur die Unterhaltung desselben mit seiner Schwester bemerkt und die Erneuerung der Bekanntschaft war sehr gegen seinen Geschmack.

»Eine Deiner unangenehmen Launen Cora,« sagte er. »Wir wollen die Oper zu Ende sehen - tritt einige Augenblicke in den Salon, dann wird sich Dein Unwohlsein geben. Es freut mich, Sie zu sehen, liebster Graf und Sie Düplessis[Duplessis]. Wissen Sie, auch wenn Cavaignac Sie in Anspruch nimmt, ich lasse mir keine Absage gefallen. Was sein Schwiegervater kann, wird das Haus Miron auch leisten. Ich habe allein fünfzehn Köche engagirt - die Journale sprechen bereits davon - es wird famos!«

Die klügere Schwester hatte ihren Unmuth von vorhin unterdrückt, sie wandte sich nach dem Salon der Loge. »Wollen Sie mir Gesellschaft leisten, Herr Kapitain?«

»Verzeihung Mademoiselle, ich möchte zuvor Ihrem

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Herrn Bruder einige Worte sagen, der meine Person noch nicht bemerkt zu haben scheint.«

»Er ist so beschäftigt mit seiner Braut, daß er alles Andere vergißt. Erlauben Sie mir, seine Versäumniß nachzuholen und Sie ihr vorzustellen. Herr Kapitain Fromentin, ein alter Freund unsers Hauses - Mademoiselle Amelie de Rougécü, die Verlobte meines Bruders, von übermorgen meine theure Schwägerin. Ich hoffe Herr Kapitain, daß Sie unser Fest mit Ihrer Gegenwart beehren werden.«

Sie sagte das in fast bittendem Ton, indem sie den Offizier mit einem jener Blicke ansah, deren Macht sie sonst so gewiß war.

Der Banquier konnte jetzt nicht mehr den unwillkommenen Störer ohne auffallende Unhöflichkeit ignoriren und zu einer solchen hatte er keine Courage.

Er kniff das Lorgnon in's Auge und reichte, an die Wand der Loge tretend, dem Offizier die Hand. »Sieh da, Herr Fromentin - ich hatte Sie nicht gleich bemerkt. - Wie geht's? Sie sind auf Urlaub hier? Ich denke den Karneval mit meiner Frau in Rom zuzubringen, da können Sie unseren Cicerone machen - ich werde mitrennen lassen, einen famosen Andalusier, wild wie der Teufel. Meine Trauzeugen sind zwar vollzählig, aber ich hoffe, wir sehen Sie auf unserem Ball.«

Der Kapitain hatte keine Bewegung gemacht, die gebotene Hand anzunehmen, er legte die seine vielmehr auf den Rücken.

»Sie wollen heirathen?«

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»Nun ja - Sie hören es! Fräulein Rougécü ...«

»Sie werden diese Dame nicht heirathen!« »Nicht heirathen? Sind Sie toll? Wer wird mich hindern?«

»Ich!«

»Der Scherz ist schlecht gewählt mein Herr. Machen Sie ihm ein Ende!«

»Es ist mein Ernst! Sie werden statt am Donnerstag Fräulein de Rougécü zu heirathen, einem Mädchen Ihren Namen geben, das Sie unter Mißbrauch des meines entehrt haben.«

Der Banquier verfärbte sich. »Ich verstehe Sie nicht!« stammelte er.

»Dann werde ich Ihnen den Namen des Fräulein Samson in's Gedächtniß rufen, gewöhnlich Fleur de Mort genannt!«

Herr Leon de Miron waffnete sich mit aller Unverschämtheit. »Oh, wenn es darauf hinausläuft, mein Herr,« sagte er mit erzwungenem Lachen -, »ein galantes Abenteuer, eine Grisette aus der Populace, wie können Sie davon so viel Aufhebens machen und die Damen erschrecken - Sie sehen, daß sie geflüchtet sind« - in der That hatte seine Schwester das junge zitternde Mädchen halb mit Gewalt nach der Salonthür der Loge gezogen »ich werde Ihnen erklären ...«

»Ich erkläre Ihnen in Gegenwart dieser Herren, daß Sie ein niedriger Schurke sind.«

»Mein Herr - diese Frechheit ...«

»Und da es vielleicht an der Börse Gebrauch ist,

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Worte zu ignoriren und es anderer Mittel bedarf, um einen Buben zu der Handelsweise eines Mannes von Ehre zu zwingen, so nehmen Sie dies!«

Er schlug ihm mit Blitzesschnelle, ehe der Millionair und Bräutigam zurückweichen konnte, zwei Mal den Handschuh quer über das Gesicht.

Man hörte einen kreischenden Schrei aus dem Vorsalon der Loge - das junge Mädchen war ohnmächtig geworden.

»Teufel!« sagte der dicke Journalist - »das ist eine Ohrfeige in vollster Form, und so öffentlich. Ich fürchte, die Hochzeit Freund Mirons ist nicht so ganz sicher und wir werden besser thun, uns an die Einladung des Herrn Cavaignac zu halten!«

Der Graf hatte sich zwischen die beiden Gegner geworfen. »Um des Himmelswillen, meine Herren, vermeiden Sie weiteres Aufsehen - sehen Sie nicht, daß alle Augen bereits hierher gerichtet sind? Gehen Sie Miron, beruhigen Sie die Damen. Sie begreifen, daß die Sache auf einer andern Stelle en[t]schieden werden muß.«

Der Börsen-Lion, blutroth von dem erhalten Schlage, drohte mit der Faust und verließ, Verwünschungen und Drohungen sprudelnd, die Loge. Der Kapitain wehrte ruhig und kaltblütig das Drängen des Grafen ab, der ihn nach der Thür zog.

»Es war Unrecht von Ihnen, die Sache so öffentlich zu machen,« sagte der Graf - »Sie hätten wenigstens die Damen nicht compromittiren sollen. Miron muß Sie natürlich fordern, so unangenehm es ihm sein wird.«

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»Ich erwarte es. Aber ich werde Herrn von Miron nur Satisfaction auf meine eigenen Bedingungen in Zeit und Ort geben.«

»Und welche sind dies?«

»Ich werde die Ehre haben, sie den Sekundanten mitzutheilen.«

»Ich würde Ihnen anbieten, einer Ihrer Beistände zu sein, wenn nicht Miron offenbar diesen Dienst von mir verlangen wird. Herr Duplessis wird die Güte haben, uns zu assistiren.«

Der Kapitain wandte sich zu dem preußischen Offizier, der stumm der ganzen Scene zugesehen hatte.

»Mein Herr,« sagte er - »es liegt mir daran, daß Diejenigen, welche meinem Verfahren beigewohnt, Zeugen der Sache bis zu Ende bleiben. Der Mann, welcher das erste Recht hat, mein Sekundant zu sein, versteht unsere Gebräuche in dieser Beziehung nicht. Werden Sie es mir abschlagen, wenn ich Sie ersuche, die Angelegenheit für mich zu ordnen?«

Der preußische Offizier verbeugte sich. »Ich stehe Ihnen mit Vergnügen zu Diensten Herr Kamerad.«

»Ich durfte nicht Anderes von einem Soldaten Ihrer braven Nation erwarten.«

»Wo finden wir Sie Kapitain?« frug der Graf.

»In der Wohnung meines Vaters oder bei dem General Lamoricière. Hier mein Herr ist meine Karte, ich werde die Ehre haben, Sie morgen Vormittag zu sehen.«

Die Gesellschaft hatte jetzt die Loge verlassen - Herr Miron mit seinen beiden Damen war bereits fort.

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Obschon der Corridor und das Foyer gefüllt waren, bekümmerten sich doch nur Wenige um die Hauptacteurs des kleinen Drama, das man vor einigen Minuten außer dem auf der Bühne mit angesehen und das noch den Gegenstand der Unterhaltung bildete. Man wußte nur, daß einer der jungen Börsenmatadore Ohrfeigen in seiner eigenen Loge bekommen hatte und das genügte vollkommen, um dem Klatsch und der Erfindung freien Spielraum zu geben.

Der Graf wandte sich höflich zu dem Kapitain. »Herr de Röbel und ich gehen von hier nach dem Elysée. Werden Sie uns begleiten?«

»Ich bin Offizier außer Dienst, habe also keinen Grund, dort zu erscheinen,« sagte mit einer Verbeugung der Offizier. »Auch habe ich hier noch eine Person zu sprechen.«

»So leben Sie wohl - auf Wiedersehen morgen.«

Der Kapitain und der preußische Offizier wechselten ihre Karten. Der Aristokrat bot dem früheren Rivalen die Hand. Nach dem, was so eben vorgefallen, konnte von einer Rivalität ohnehin nicht mehr die Rede sein.

»Ich fürchte,« sagte er mit männlicher Offenheit, »die geringere Gewissenhaftigkeit meiner gewohnten und anerzogenen Anschauungen in dieser Angelegenheit hat ein schweres Unglück herbeigeführt. Sie haben mir verweigert, mit meinem eigenen Blut dafür einzutreten, erlauben Sie mir wenigstens, in jeder andern Beziehung meine Schuldigkeit zu thun und zählen Sie in jeder Hinsicht auf meine Ehre.« - Er nahm seinen Arm und führte ihn einige Schritte abseit. »Eine Warnung, die Sie nicht verschmähen

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wollen,« sagte er. »Sie waren der Adjutant des General Lamoricière und sind befreundet mit ihm?«

»Er erzeigt mir die Ehre, Vertrauen in mich zu setzen.«

»Dann rathe ich Ihnen - verkehren Sie in diesen Tagen so wenig als möglich mit ihm und seiner Partei, oder warnen Sie ihn meinetwegen gradezu. Man kennt im Elysée die Zusammenkünfte in der Straße Helder und die Beschlüsse, die man dort gefaßt, ich weiß es aus bestimmter Quelle, und man bereitet einen Gegenschlag.«

Der Kapitain war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten bei der ersten Mittheilung des Legitimisten. »Es wäre undankbar von mir,« sagte er dann fest, »wollte ich eine so freundlich gebotene Warnung zurückweisen. »Ich danke Ihnen und werde thun, was meine Pflicht ist.«

»Und Sie grollen mir nicht - wir sind Freunde?« Der Aristokrat bot ihm auf's Neue die Hand.

Der Kapitain legte die seine hinein. »Unsere Wege sind nicht dieselben,« sagte er ruhig, »aber wir können uns als Männer achten.«

Er grüßte die Herren und ging den Korridor entlang - Montboisier und der an ihn empfohlene Fremde verließen das Haus; der Journalist blieb zurück, um die Oper zu Ende zu sehen.

Einige Zeit, während das Kabriolet die Beiden rasch nach der Straße St. Honoré und dem Zugang des Elysée führte, blieb der Graf in stummes Nachdenken verloren. Dann schien er seinen Entschluß gefaßt zu haben, dem er unwillkürlich Worte gab. »Bah,« sagte er leichthin,

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»hätte Miron statt des Herrn Königswarter die zehn Millionen gemacht, so hätte er neunzig Prosit und die Aussicht, morgen oder übermorgen nicht erschossen zu werden. Die Dinge mögen ihren Gang gehen - Mademoiselle de Miron hat alle Aussicht, als alte Jungfer zu sterben, wenn sie auf Kapitain Fromentin oder den Grafen Montboisier gerechnet hat!« -

Der Wagen schloß sich der langen Reihe der Equipagen an, die schon vor der damals noch nicht restaurirten Façade des alten bourbonischen Palastes hielten. -

Der Kapitain war in dem Korridor nach den Logen der andern Seite gegangen und klopfte an die Thür eines der Vorsalons.

Sie wurde sofort von Innen geöffnet.

»Kapitain Fromentin?« sagte der Oeffnende. »Ich wußte es, daß Sie kommen würden, wenn man Sie riefe. Habe ich recht gesehen - waren Sie es, der eben den Scandal mit dem Gecken Miron gehabt hat?«

»Eine Züchtigung, die sich nicht aufschieben ließ!«

»Das ist Ihre Sache, ich weiß, daß Sie ein Mann von Ehre und kaltem Blut sind, aber sorgen Sie dafür, daß solche Dinge Sie nicht in Wichtigerem stören. Lamoricière schrieb mir, daß Sie diesen Mittag angekommen seien und zu den Unseren gehören.«

»Ich halte den Eid, den ich der Constitution geleistet.«

»Still - sprechen Sie leiser. Nebenan befindet sich Herr von Morny, der Bruder des Usurpators. Welche Nachricht bringen Sie von Lamoricière?«

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Der Kapitain sah zweifelnd auf den kleinen Herrn, der an der Thür der Loge stand.

»Es ist Herr Thiers, wenn Sie ihn noch nicht erkannt haben. Sie können ohne Bedenken vor ihm sprechen, er gehört zur Partei der Ordnung.«

»Der General läßt Euer Excellenz anzeigen, daß die Versammlung heute Abend stattfinden wird. Die Anzeichen mehren sich, daß der Prinz noch im Laufe dieser Woche die Auflösung der Nationalversammlung versuchen will - vor einer Stunde hat Oudinot uns die Zustimmung von fünf Generälen angezeigt. General Changarnier sendet Ihnen diese Zeilen. Neunundsiebenzig Mitglieder des Berges sind diesen Abend bei Lafont auf dem Quai Jemappe versammelt, um einen Antrag für die morgende Sitzung vorzubereiten.«

»Weiß man, was sie wollen?«

»Die Entfernung der Truppen aus Paris auf zwei Meilen außerhalb der Banlieu.«

»Das ist das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und würde uns in die Hand der Rothen geben oder zu einer Militair-Revolte führen. Die Truppen müssen zur Disposition der Nationalversammlung bleiben.« Er hatte das Billet geöffnet. »Changarnier meldet, daß neun Bataillone der Nationalgarde sich bereit erklärt, die Beschlüsse der Versammlung aufrecht zu erhalten, er hofft binnen drei Tagen die Zustimmung der dreizehn übrigen Bataillone zu gewinnen. Bringen Sie Nachrichten über die Unterhandlungen mit Vincennes?«

»Nein General, aber eine wichtige Warnung, die mir so eben für General Lamoricière gegeben worden ist.«

»Sie lautet?«

»Daß im Elysée die Versammlungen in der Straße Helder bekannt sind.«

»Teufel! - dann ist diesem Herrn Bonaparte nicht mehr zu trauen, und die Verhaftung muß beschleunigt und bei der ersten Gelegenheit ausgeführt werden. Können Sie mittheilen, von wem Sie die Nachricht haben?«

»Es ist mir keine Verschwiegenheit anempfohlen. Der Kommandant Graf Montboisier hat sie mir gegeben.«

»Also aus dem Lager der Legitimisten selbst - das erhöht ihre Bedeutung. Wollen Sie mir einen weiteren Dienst erweisen Herr Kapitain? - Sobald die Verfassung gesichert und die Gewalt in anderen Händen ist, hoffe ich, Sie mit einem andern Rang zu begrüßen und den Nachtheil, den Ihnen Ihre Gesinnung gebracht, auszugleichen.«

Der Offizier verbeugte sich. »General Cavaignac weiß, daß ich zu seiner Verfügung stehe, auch wenn meine Absichten für die Zukunft von seiner Güte keinen Gebrauch machen können.«

»Der Mißmuth über Ihre Zurücksetzung wird vergehen. Sie wissen ja, daß nur die exclusiven Bonapartisten seit zwei Jahren auf Avancement zu rechnen hatten. Ich bitte Sie, General Lamoricière sofort zu benachrichtigen, daß ich nach dem Schluß der Oper mich einfinden werde und Herr Thiers mich begleiten wird. Nach der Erklärung Berryers können die Orleanisten nicht mehr schwanken. Ich werde meine Braut nach Hause bringen und dann

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zur Stelle sein. Die Nachricht, die Sie mir gegeben, muß untersucht werden.«

Die Töne des Orchesters zeigten den Beginn des dritten Akts an - der Juny-Diktator der Republik reichte dem Kapitain die Hand. »Auf Wiedersehen!«

Es sollte ferner sein, als sie in diesem Augenblick dachten!

Der Kapitain verließ die Loge und gleich darauf das Haus.



Die schönen Säle des Elysée strahlten im Licht der Kerzen - eine zahlreiche Gesellschaft, besonders glänzend durch die vielen Uniformen, denn drei Viertheil der Männer gehörten der Armee an, bewegte sich theils an den Büffets des prachtvoll dekörirten Speisesaals mit den noch in Mürats Auftrag von Dunouy ausgeführten Landschaften, deren Staffagen Horace Vernet gemalt hat, oder im raschen Tanz im Ballsaal, während andere Gruppen in ernsten und muntern Gesprächen die Nebengemächer füllten.

Unter dem zahreichen Herren-Publikum bemerkte man, wie wir bereits erwähnt, vorzüglich Militairs höherer und niederer Grade, darunter viele Persönlichkeiten, die sich theils in den afrikanischen Feldzügen schon bedeutenden Ruf erworben hatten, theils anfingen, diesen auf politischem Felde durch ihren offenen Anschluß an den Präsidenten zu gewinnen, so außer dem Kriegsminister St. Arnaud und General Magnan, den neuen Kommandanten der pariser Nationalgarde Baraguay d'Hillier, die Divisionaire

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Bourgon, Dulac und Reibell, die beiden Canroberts, den vertrauten Adjutanten der Präsidenten General Roguet, den wilden Obersten des ersten Lanzier-Regiments Rochefort und Andere. Von den militairischen Führern der Verfassungs- oder sogenannten Partei der Ordnung - Cavaignac, Bedeau, Changarnier, Lamoricière, Charras &c. - war zwar keiner anwesend, dagegen Oudinot, der Herzog von Reggio, den seine schwankende Haltung vom Kommando Roms entfernt und dort durch Gemeau ersetzt hatte und mehrere untergeordnete Mitglieder der verschiedenen Fractionen, der Legitimisten, der Orleanisten und selbst des Berges, die offenbar weniger gekommen waren, um dem Prinz-Präsidenten ihre Hochachtung zu bezeigen, als um zu beobachten, was geschehe und gesprochen würde. Ebenso bemerkte man unter den Gruppen Baroche, Suin, Royer, Mangis, Rouher, Troplong, Lucien Mürat, den Fürsten Demidoff und die Minister. Von den Finanzmännern von Ruf waren nur die Brüder Königswarter und einige englische Banquiers anwesend, dagegen mehrere größere Fabrikanten und Personen aus dem wohlhabenderen Bürgerstand, mit denen sich der Präsident besonders freundlich unterhielt. Wenn man somit die Herrengesellschaft auch nicht als unbedingt exclusiv und den höchsten Kreisen angehörig rechnen konnte, so barg sie doch reiche Elemente, um das Interesse zu erregen. Weniger war dies mit den Damenkreisen der Fall. Sie bestand hauptsächlich aus Damen der Offiziere und Parteigänger des Prinzen, Frauen der Beamten, welche die Einladung nicht ablehnen durften, und selbst verschiedenen zweideutigen Elementen. Die

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exclusive Coterie des hohen Adels des Faubourg St. Germain war gar nicht vertreten, und der herrschende Ton ein sehr leichtfertiger und freier. Nur drei der Schönheiten des Balles nahmen größeres Interesse in Anspruch und hatten besondere Kreise um sich versammelt: die Marquise von Douglas, die junge Gräfin Montijo und die Creolin Carmen, die junge Marquise Fourichon de Massaignac.

Es war gegen eilf Uhr und die Soirée in vollem Gang, als der Graf Montboisier mit seinem Begleiter die Salons betrat. Bei der freien und ungenirten Stellung, die er zwischen den Parteien und gesellschaftlichen Kreisen sich zu bewahren verstanden hatte, war er bald von zahlreichen Bekannten umgeben, die mit ihm über hundert Neuigkeiten des Tages plauderten und spitze Bemerkungen über die Gsellscheaft[Gesellschaft] machten.

Der Graf besaß eine bekannte boshafte Zunge und feine Sarkasmen waren in den Salons gefürchtet.

»Valga me Dios! Es scheint, daß Monsieur Girardin sehr vertraut mit dem Elisée steht. Sehen Sie doch Delorme, wie er mit Cassaignac auf das Zärtlichste plaudert. Am Ende will er ihn gar secundiren, wenn sich Herr Créton noch zum Duell entschließen sollte!«

»Créton ist ein Ehrenmann und Herr Cassaignac ...«

»Ist der Redacteur des Constitutionell,« unterbrach der Graf den Sprecher. »Bedenken Sie hübsch, daß Sie nicht die Unverantwortlichkeit der Tribüne für Ihre Reden genießen, wie Herr Créton, der das Recht hat! die Erfinder der berühmter Verschwörung elende Scribler zu nennen!«

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»Herr Girardin hat wahrscheinlich keine Lust mehr in Mazas zu schlafen!« sagte ein älterer Mann mit dem Kreuz der Ehrenlegion.

»Glauben Sie wirklich mein theurer Kamerad von der Nationalgarde, daß Herr Girardin nicht sehr wohl wußte, was er that, als er den famosen Artikel des Akhbar abdruckte, der acht Tage vorher die Unterdrückung der Juni-Revolte den erstaunten Algierern verkündete, wofür Herr Cavaignac so gefällig war, ihn einsperren zu lassen?«

»Ich denke, er hat sich jetzt bitter genug dafür gerächt!«

»Bah - ein politischer Charakter, wie Herr v. Cavaignac, muß die kleinen Erinnerungen vertragen. Er ist nicht wie Herr Thiers, der schon seit vierzehn Tagen aus Angst vor diesem vielgefürchteten und niemals kommenden Staatsstreich keine Nacht mehr bei Madame am Place St. Georges schläft.«

»Aber hoffentlich doch bei keiner andern Frau!« sagte lachend ein junger Mann.

»O lieber Freund, dazu hat seine Schwiegermutter den kleinen Revolutionair viel zu sehr unter'm Pantoffel. Herr von Laroche Jacquelin hat Recht mit seinem Bonmôt.11 Als Orleanist müssen Sie wissen, daß Madame Dosne allein es war, die Louis Philipp gestürzt und die Orleans vertrieben hat.«

»Bah - Sie sagen uns eine Ihrer Schnurren!«

»Gott soll mich bewahren, wenn ich von Thronwechseln

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spreche, bin ich stets sehr ernsthaft. Herr Thiers hatte es wirklich so weit gebracht, daß die ehemalige Mlle. Dosne in den Tuilerien zugelassen wurde, aber der König zuckte die Achseln und sagte, er mische sich nicht in Familien-Angelegenheiten, als er sich darüber beschwerte, daß Madame Düpin, die Dame von Raffigny, ihr den Eintritt in ihre Salons verweigert und der Kammerpräsident auf seine Vorstellung, sie werde doch auch bei Hofe zugelassen, geantwortet habe: Le roi a le droit de faire grace!«

Der Kreis lachte. »Aber wie hängt dies mit der Februar-Revolution zusammen?«

»Sehr klar! Die kleine Dosne konnte dem König das Achselzucken nicht vergeben und Herr Thiers mußte die Banquets organisiren und mit seinem Freunde Bugeaud in der Nacht Barrikaden bauen lassen, damit Guizot verabschiedet würde und der König zu Gunsten der Frau Herzogin von Orleans und des Herzogs von Montpensier abdankte. Die 80000 Mann Truppen wären im Handumdrehen mit dem Gesindel fertig geworden, aber ich hörte es mit eigenen Ohren, wie Herr Thiers in den Tuilerien den Offizieren zuschrie: Surtout ne répondez pas au feu!«

»Die Königin hatte also nicht Unrecht, als sie zu Herrn von Remüsat sagte: >Es giebt Verräther hier!<[«]

»Ganz gewiß nicht, nur hatte Herr Thiers seine Rechnung ohne Wirth gemacht und das Volk lachte Odilon-Barrot in's Gesicht, als er ihm verkündete, daß Herr Thiers zum Präsidenten des Conseils und die Herzogin von Orleans zur Regentin ernannt sei. Der kleine Palmerston Frankreichs konnte froh sein, daß der Keller der

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Tuilerien ihn so gut versteckte und er mit weißer Perrücke und blauer Brille entwischen konnte, während sein Wohlthäter an jener Stelle in den Fiacre stieg, von der einst »die Seele des Sohnes des heiligen Ludwig, des Nachkommen von hundert Königen, aufstieg zum Himmel!««

Die ernste Erinnerung an das frivole Witzwort, das ein Citoyen dem flüchtenden alten Bürgerkönig in jener traurigen Stunde und an jener bedeutsamen Stelle zugerufen, verbreitete einen Augenblick Schweigen, trotz der muntern Stimmung der Gesellschaft.

»Madame Thiers,« fuhr der Legitimist fort, »war es, die zuerst den Gedanken der Fusion ausheckte, als sie sich bei der Republik degradirt sah, und ihren würdigen Gatten zu dem Narrenstreich brachte, die Kandidatur Joinville aufzustellen.

Bei dem Siege der Legitimisten hatte sie verdammt wenig Aussicht, wieder in die Tuilerien zu kommen und deshalb hat ihr gehorsamer Gatte die Familie Orleans verhindern müssen, das Testament des entthronten Greises zu veröffentlichen, das reuig seiner Familie empfiehlt, sich dem Grafen von Chambord zu unterwerfen. Jetzt schwebt das drohende Gewitter Bonaparte über seiner Nachtmütze und der große Historiker des Consulats und des Kaiserreichs weiß keinen Rath, als sich auf's Neue zu verstecken. Doch warum uns in diesem Augenblick mit einem Fanfaron beschäftigen! Haben Sie den Coup gehört, den der Prinz mit dem Kreuz des Herrn Charriere gemacht hat?«

»Charriere? ist das der Fabrikant, der vorgestern das

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Offizierkreuz der Ehrenlegion bei der Medaillen-Vertheilung erhielt?«

»Ja! Seine Arbeiter haben ihm ein Kreuz anfertigen lassen, aber der Präsident ließ sie bitten, es ihm nach dem Elysée zu bringen, er wolle es selbst tragen, und schickte Charriere ein anderes, in Diamanten gefaßt!«

»Das fängt an, lächerlich zu werden, ich werde für Charenton stimmen, hat Herr Thiers gesagt.«

Der Legitimist wandte sich rasch nach dem Redner, einem der Centrums-Deputirten, um. »Dafür hat gestern das Volk an der Concorde-Brücke gerufen: »Vive Louis Napoléon! Vive l'empereur[Empereur]!«

»Bah - es ist der alte Schuft, der Invalide, der dort mit dem Leierkasten seinen Posten hat und ein wüthender Bonapartist ist - der ganze Pöbel am Invaliden-Platz gehorcht ihm!«

»Es ist das Volk mein Herr, das der republikanischen Thorheiten müde ist,« sagte eine feste Stimme hinter der Gruppe.

Der Graf drehte sich rasch um. »Sie da Herr Vicomte?«

»Warum nicht? ich denke, auch Minister außer Diensten haben das Recht, das Parket des Elysée zu betreten, so gut wie die Herren Daviel, Thorigny, Sartiges und Turgot, die dort ihre weisen Häupter zusammen stecken.«

Der Graf lachte, als er dem früheren legitimistischen Minister des Präsidenten die Hand reichte. »Ich glaube, diese Herren stehen auf dem Punkt, Ihnen nachzufolgen, liebster Falloux.«

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»Ich denke es auch und deshalb möchte ich Sie auf einige Augenblicke sprechen.« Er nahm seinen Arm und trat mit ihm in eines der großen Bogenfenster. »Ich glaube, die Krisis ist nahe, Graf!«

»Woraus schließen Sie das?«

»Mustern Sie die heutige Gesellschaft, sie ist nicht ohne Bedeutung. Die sämmtlichen kommandirenden Generale der ersten Division sind hier, offenbar Instructionen erwartend. Ich weiß mit Bestimmtheit, daß heute Morgen Befehle an die Direktoren der Eisenbahnen und an die Präfekten abgegangen sind, Transportmittel für eine bedeutende Truppenzahl in Bereitschaft zu setzen, Graf Morny ...«

»Ich sah ihn so eben noch in der komischen Oper!«

»Eine Komödie in der Komödie. Heben Sie einen Augenblick den Vorhang hinter Ihnen!«

»[]Der Kommandant that es. »Die Aussicht geht auf den Hof!«

»Ja - blicken Sie nach dem Sousterrain des Flügels gegenüber. Die Fenster sind verhüllt, aber durch die Spalten sehen Sie Lichtschein!«

»Was ist damit - ich kenne die Lokalität nicht?«

»Aber ich von der Zeit her, als Herr Bonaparte versuchte, mit meinem Portefeuille sich den Legitimisten zu nähern. Dort befindet sich die geheime Druckerei des Elysée und ich sehe, daß sie in voller Thätigkeit ist. Ich versuchte den Hof zu betreten, aber er ist mit Wachen besetzt.«

»Das ist allerdings nicht ohne Bedeutung.«

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»Bemerken Sie, daß der Prinz sich von Zeit zu Zeit auf einige Augenblicke entfernt und dieser alte Satan von Bonapartisten, der Oberst Fourichon, sein Vertrauter, alle Augenblicke Einen oder den Andern bei Seite zieht. In diesem Augenblick spricht er mit Lucien Mürat und dem Fürsten von der Moskau. Wissen Sie, daß heute Nachmittag der grimmige Corse Vieyra plötzlich zum General-Stabschef der Nationalgarde ernannt worden ist?«

»Ich höre das erste Wort davon - das wird fast noch mehr Aufsehen machen, als die gestrige Ersetzung Perrots im Kommando der Nationalgarde durch General Löwenstine, oder die Ernennung der siebenzehn neuen Präfekten im Moniteur.«

»Oudinot hat mir die Nachricht vor einer Stunde in großer Bestürzung mitgetheilt - ich weiß bestimmt, daß die Burggrafen diesen Abend Berathung halten und ebenso daß die Clubs versammelt sind. Ich fürchte, man triumphirt vergebens über den Sieg in der Wahl dieses albernen Krämer Devinck.«

Der Graf dachte einige Augenblicke nach. »In Betreff der Versammlung der Constitutionellen haben Sie Recht - ich habe in der Oper Anzeichen bemerkt und einen ihrer Boten gesprochen.«

»Der gefährlichste der ganzen Gesellschaft, denn er ist der Klügste, Carlier, ist bei Seite geschafft. Sein gestriges Duell war offenbar provocirt, und der Stoß, den ihm der Emissair des Elisée versetzen mußte, hält ihn wenigstens drei Monat im Bett. Ich sage Ihnen, wir haben jeden Augenblick den Schlag zu erwarten.«

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Der Graf legte die Hand auf den Arm seines Gefährten.

»Und der König?«

Der Vicomte von Falloux lächelte bitter. »Fragen Sie Laroche-Jacquelin, oder den Heißsporn Laborde! Heinrich V.12 sitzt ruhig in seinem Palast am Canale grande und wartet, bis ihm die Lilienkrone Frankreichs von Herrn Berryer auf einem Präsentirteller überbracht wird, oder ein neuer Einmarsch Europa's in Paris sie ihm in den Schoos wirft.«

Der Graf sah ihm scharf in's Gesicht. »Und was gedenken Sie zu thun, Vicomte? denn das ist doch der Kern, weshalb Sie mich hierher gezogen.«

»Ich will offen mit Ihnen sein, wir können hier klarer sprechen, als im Rivoli-Verein13. Die Pyramiden14 sind mächtiger als wir und könnten vielleicht einen Gegenschlag wagen, Changarnier ist ein Mann, wenn auch Herr Thiers ein Affe ist; aber ich sage Ihnen rund heraus, ich bin gegen die Fusion, sie wird nie zu etwas Gutem führen. Wir dürfen eher hoffen, die Erben einer Dictatur Bonaparte, als des Grafen von Paris zu sein.«

»Also ...«

»Wir haben uns verständigt und ich antworte Ihnen mit den Worten eines deutschen Dichters: >Ich gehe zum Andreas!<[«]

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»Es freut mich, daß der Rivoli-Verein zu dem Beschluß gekommen und ich bin einverstanden. Die Herrschaft des ersten Napoleon zeigt, daß die Aristokratie der Geburt und des Schwertes ihre Anerkennung findet, statt des Geldsacks.«

Der Vicomte lächelte fein. »Dann brauchen Sie also Fräulein Miron nicht zu heirathen!«

»Valga me Dios! das ist noch nicht so gewiß, denn ich habe ein starke Ahnung, daß ehe drei Tage um sind, Mademoiselle Cora eine der reichsten Erbinnen von Paris und jedenfalls die einzige ihres Herrn Papa's sein wird. Aber lassen Sie uns zu den Damen gehen, ich sah eben, daß das Auge des Prinzen bereits drei Mal hier herüber streifte, und er hat schon genug wirkliche Komplotte auf dem Halse, um noch an eins der Legitimisten zu denken. Sehen Sie, da hat der einarmige Oberst eben meinen kleinen Protegé zu den Damen geführt - wenn die Familie Montiji[Montijo] nicht wäre, ich glaube wahrhaftig, er würfe ihm die hübsche Tochter mit ihren Millionen an den Hals.«

»Wer ist der Offizier?«

»Ein Preuße. Er soll, wie er sagt, der Gesandtschaft auf ein Jahr attachirt werden, oder will Paris kennen lernen. Er ist von guter Hand - Sie kennen ja die selbst in ihrem Alter noch liebenswürdige Talleyrand - an mich empfohlen und ich beeifre mich, ihn Paris kennen zu lehren, wozu er die besten Anlagen zeigt. Aber sehen Sie - da kommt Lord Heresford auf uns zu und der Prinz ist auf's Neue verschwunden.«

Der alte Haciendero und glühende Bonapartist hatte

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in der That kaum den preußischen Offizier bemerkt, als er, einen jungen Mann in der Uniform eines Offiziers der afrikanischen Spahis an der Hand, auf ihn zukam.

Der junge Mann, im Gegensatz zu seinem Vater, war klein und hager und von ungesunder galliger Farbe des Gesichts, das den kreolischen und romanischen Schnitt in unangenehmer Weise vereinigte; um die weit geöffneten Nüstern der starken Nase und in dem kalten Blick des schwarzen Auges lag Anmaßung und Hochmuth.

»Gusmann, mein Lieber,« sagte der alte Oberst, »ich stelle Dir hier den Sohn dessen vor, der Deinen Vater besiegt und ihm zugleich das Leben gerettet hat. Monsieur de Reubel, sehen Sie, welche Freude der Prinz einem alten Freunde seiner Familie gemacht hat. Ohne daß ich davon wußte, hat er General Jussuf beauftragt, meinen Sohn mit den ersten Depeschen nach Paris zu senden, er traf heute Nachmittag ein und so habe ich das Vergnügen, Sie Beide mit einander bekannt zu machen und hoffe, daß wenn die Väter auch durch Zeit und Raum getrennt blieben, die Söhne das Versäumte in warmer Freundschaft nachholen werden.«

Die Hoffnung schien dem alten Veteranen Vergnügen zumachen, aber wenig Aussicht auf Erfolg zu haben, denn der junge Creole reichte ziemlich frostig und hochmüthig dem Deutschen die Hand und sagte einige gleichgültige Komplimente.

»Sie sollen mir den Burschen kuriren helfen, Monsieur de Reubel,« sagte munter der Veteran, der bei bestem Humor schien. Pardioux! was meinen Sie wohl

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dazu, daß der Kopfhänger noch nicht ein einziges Mal mir das Vergnügen gemacht, seine Schulden bezahlen zu müssen, und daß er von dem Jahrgeld, das ich ihm ausgesetzt, spart und zusammenscharrt wie ein Jude, nicht wie ein Reiter-Offizier, der einen ziemlich wohlhabenden Haciendero des La Plata zum Vater hat! Cap de Bioux! als ich so jung war, - ich war damals Lieutenant bei Jena und Auerstädt! wußten die Herren Spießbürger von Paris ganz andere Dinge von mir zu erzählen. Die Carmen wäre ein besserer Spahi wie er - aber da fällt mir ein, daß sie mich zu Ihnen schickt, Sie zum Tanzen zu engagiren, denn so junge Beine dürfen nicht feiern und der Conde ist eben so steif und langweilig wie der Bursche hier, der wahrscheinlich seine Sohlen abzunutzen fürchtet, wenn er einen Galop auf dem Parquet riskiren soll.«

Der gutmüthige Spott des alten Soldaten schien eben nicht dazu beizutragen, die Freundlichkeit seines Sohnes gegen den fremden Offizier zu erhöhen, aber der Oberst nahm, ohne darauf zu achten, den Arm desselben und führte ihn durch den Saal.

»Er ist ein braver Soldat,« sagte er leiser, »sonst würd' ich wahrhaftig mich ärgern über den Burschen. Aber er hat sich wacker bei mehreren Razzias geschlagen und das versöhnt mich. Der Teufel weiß, wo er diese Liebe für's Geld und den Geiz her hat, der nicht zu einem französischen Offizier paßt. Er wird vorläufig in Paris bleiben und Sie werden mir einen Gefallen thun, Monsieur de Reubel, wenn Sie ihn etwas in die Schule nehmen, und in flotte Gesellschaft bringen. Er soll die

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siebenzigtausend Franken, die ich ihm jährlich ausgesetzt, verthun wie ein Edelmann und nicht in Renten und Eisenbahnactien damit spekuliren wie ein Kaufmann oder Jude!«

Der deutsche Offizier war zwar in Berlin mit dem Zuschuß, den ihm der alte Edelmann, sein Vater gab, niemals ausgekommen und befand sich bereits tief in den Händen jener Wucherer, die den preußischen Adel und den Grundbesitz desselben systematisch in seinen Söhnen ruiniren, aber ein solches Maaß der Generosität konnte er nur mit einem bedauernden Seufzer bewundern.

»Auf Ehre Herr Marquis,« sagte er dann nicht ohne einige Verlegenheit, »wenn es wirklich Ihr Ernst ist, wird es besser sein, Ihren Herrn Sohn an einen anderen Mentor zu adressiren. Unsere märkischen Güter sind keine Silberminen der neuen Welt und die Einkünfte eines preußischen Lieutenants nicht geeignet, mit den Diamantengruben Ihrer Urwälder und Pampas zu wetteifern.«

»Pardioux! Monsieur de Reubel, ich bitte den Sohn meines Lebensretters, meine Kasse als die seine anzusehen. Keine falsche Schaam, mein junger Freund! Sie wissen, daß das Legat meines Schwiegervaters Ihnen bestimmt ist, und ich bedauere nur, daß Ihr ehrenwerther Vater, mein Freund, so penible im Punkt der Ehre gewesen, sich an einen zufälligen Wortlaut zu stoßen. Riefen mich nicht dringende Interessen schon im nächsten Monat nach Montevideo zurück, parbleu, ich hätte schon jetzt die Reise nach Deutschland gemacht, um ihm die Hand zu drücken und den Kopf zurecht zu setzen. Aber so wahr ich Massaignac heiße, sobald ich zurückgekehrt bin, sehen Sie mich in

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Berlin! Gehen Sie morgen zu Rothschild - er wird Ihnen auf Ihre Quittungen wenigstens den Jahreszins des Legats zahlen.«

Sie waren zu der Gruppe getreten, die sich um die Gräfin von Teba und ihre Tochter gebildet hatte. Die schöne Carmen, die durch ihre Verlobung mit dem Grafen Montijo der Familie angehören sollte, befand sich unter dem Schutz ihrer künftigen Verwandten.

Die junge Creolin hatte jene reizende Laune, mit der sie sich den Aufenthalt in ihrer wilden Heimath verkürzt, beibehalten und wechselte noch immer ihre Tracht und Gewohnheiten mit den Wochen. So war heute ihre spanische Woche, und der zurückfallende Rebozo zeigte wie in einem kostbaren Rahmen das reizende kecke Gesicht mit den sprühenden Augen und den weißen kleinen Zähnen, die bei jedem heitern Lachen des hübschen Mundes sich wie zwei Reihen gleich gestalteter Perlen öffneten.

Selten hätte man einen größeren Unterschied zwischen Geschwistern finden können, als sich hier zwischen dem heitern übermüthigen Mädchen und dem finstern Spahi-Offizier mit den unangenehmen lauernden und verschlossenen Zügen seines Gesichts zeigte. Es gehörte in der That die Liebe des Vaters zu dem einzigen Sohne und Erben seines Namens dazu, um in diesem kalten mißtrauischen Auge, in dem aufgeworfenen Munde und der niedern Stirn nicht mehr schlimme Eigenschaften und Leidenschaften zu lesen, als bloße Vorliebe zum Gelde und Geiz. Der unbefangene Beobachter würde eben so wohl Härte und Hochmuth als Habsucht und Bosheit darin gefunden haben.

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In der That unterschied sich der junge Spahi-Offizier sehr unvortheilhaft gegen das, wenn auch von blasirtem und geziertem Wesen beeinträchtigte, doch männlich stattliche Aeußere des preußischen Offiziers. Die lockende Aussicht, die Zusicherung, die ihm geworden und welche die Absichten seiner klugen Tante so glänzend erfüllten, spiegelten sich überdies in dessen Gesicht wieder. Aber trotz seiner Häßlichkeit trug der Andere den Sieg davon, denn der Kreis der heirathsfähigen Damen wußte sehr wohl, daß er der Erbe von Millionen sei, und das genügt in Paris noch mehr wie anderwärts, um die äußeren Vorzüge reichlich zu ersetzen.

Nur die Schwester des Spahi-Lieutenants machte eine Ausnahme. »Sieh da Senjor de Reubel - glauben Sie denn, daß Sie nicht nöthig haben, mir den Hof zu machen, weil zufällig dieser rauhe Himmel von Paris nicht erlaubte, unsere Cavalkade in's Bois de Boulogne zu machen?«

»Senjor de Reubel,« sagte der Graf Montijo, ihr Verlobter, »kann unmöglich all' seine Zeit Ihren Launen widmen, meine Liebe!«

»Sprechen Sie für sich selbst Senjor, Sie haben erst das Recht, mich zu langweilen, wenn Sie mein Gemahl sind. Wo waren Sie, mein Herr, daß Sie erst so spät kommen? Ich halte ein strenges Regiment über meine Sclaven!«

»Verzeihung, Madonna,« entschuldigte sich galant der Offizier - »Herr von Montboisier entführte mich in die komische Oper. Ich glaubte, Sie dort zu sehen, weil alle Welt da war.«

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»Alle Welt bis auf uns. Was brauchen Sie die Cruvelli zu hören, nachdem ich mich noch gestern herabgelassen, Ihnen zu meiner Guitarre eine unserer schönsten Canzonetten vorzusingen? Zur Strafe werde ich den nächsten Contretanz mit Ihnen tanzen. Sie dürfen nicht glauben, weil mein Papa, der grimmige Oberst, Sie verzieht, daß seine Tochter gleich gutmüthig ist. Wie Sie sehen, habe ich einen neuen Schutz an diesem tapfern Lieutenant bekommen, der in Algier bloß von Datteln und Kameelmilch gelebt hat, um von seinen Ersparnissen seiner unglücklichen Schwester das Perlenhalsband der ersten Favoritsultanin des seeligen Deys von Algier mitzubringen.«

Der Bruder warf der Spötterin einen bösen Blick zu, aber er kannte ihr gewandtes und schlüpfriges Zünglein zu gut, um sich mit ihr in einen Streit einzulassen. Er setzte vielmehr seine Unterhaltung fort, die er mit der jungen Gräfin Montijo begonnen hatte, während deren Augen ungeduldig im Salon umherschweiften, als suchten sie einen anderen Gegenstand.

»Was muß ich hören von Ihrer Nation mein Herr,« fuhr das muthwillige Mädchen zum Aerger ihres kalten abgemessenen Bräutigams fort, der die Lehne ihres Sessels keinen Augenblick verließ. »Man hat die Deutschen stets gerühmt wegen ihrer Treue in der Liebe, und alle Welt spricht heute von einem Prozeß, der grade das Gegentheil bezeugt.«

»Ich weiß nicht von was Sie reden Senjora!«

Der Graf von Montijo mischte sich in die Unterhaltung.

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»Es würde nicht schicklich sein, meine Theure, wenn Sie selbst erzählen wollten ...«

»Heilige Jungfrau, was fällt Ihnen ein? Ich hoffe Ihnen das Leben so sauer zu machen Caballero, daß Sie schon an mir allein genug haben und gewiß nicht auf den Gedanken kommen sollen, eine Bigamie zu begehen, wie dieser arme Teufel von Deutschem, von dessen Verurtheilung man heute spricht. Man sagt, daß er ein politischer Flüchtling ist?«

»Der Verbrecher gegen das heilige Sacrament hat sich an den Rebellionen vor drei Jahren in seiner Heimath betheiligt. Er ist mit Recht zur Deportation verurtheilt.15«

»Das ist eine harte Strafe für eine so entschuldbare Sünde!«

»Senjoritta!«

»Mein Vetter hat Recht, theure Carmen,« sagte die blonde Gräfin Montijo, die eben nach dem Gespräch herüber hörte. »Solche Reden sind ein Frevel an unserer Religion und möchten Ihnen eine scharfe Rüge der heiligen Inquisition zuziehen, wenn wir, statt hier in Madrid wären.«

Sie lachte ihr in's Gesicht. »Erlauben Sie Donja Eugenia, ich komme zwar aus den wilden Pampas von Südamerika, aber ich habe in Paris doch schon gelernt, daß selbst Seine Hoheit der Prinz die Bigamie vielleicht mit Vergnügen einführen würde, wenn er damit der Politik und seinen Inclinationen zugleich Genüge thun könnte.«

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Die schöne Spanierin schlug eifrig den Fächer auf und nieder, um den Aerger über die kleine Bosheit ihrer künftigen Verwandten zu verdecken. Doch schien sie in diesem Augenblick gefunden zu haben, was ihr schwarzes Auge gesucht, denn sie brach die Unterhaltung mit dem Spahi-Offizier ab und antwortete auch der spitzigen Bemerkung seiner Schwester nicht, sondern wandte sich nach der andern Seite.

Die Gräfin von Teba hatte mit dem Obersten geplaudert - von einem Ereigniß des Tages, dem Tode Soult's, des ältesten Marschalls des Kaiserreichs, der am Tage vorher gestorben war.

»Ich diente unter dem Herzog bei Jena und in Spanien,« sagte der grade Veteran. »Diese Narbe erhielt ich vor Bajadoz - es war die Zeit seines Glanzes. Aber ich liebe die Soldaten nicht, die im Alter mit der Kerze in der Hand zu den Prozessionen laufen und mit jedem Winde wie eine Wetterfahne sich drehen. Das »l'Ogre de Corse,« mit dem er sich die Geneigtheit des Bourbonen erkaufen wollte, wird ein Schmachfleck auf seinem Namen bleiben, den weder Genua, noch Austerlitz und Corunna verwischen können.«

»Brav gesprochen Colonel,« sagte eine Stimme hinter ihm. »Hätte mein Oheim, der Kaiser, statt der Undankbaren, die er groß gemacht, nur Männer wie Sie gehabt, er wäre nicht auf St. Helena gestorben.«

Die Männer verneigten sich, die Damen grüßten - es war der Festgeber, der Prinz-Präsident, der so eben gesprochen.

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»So sind diese Treuen wenigstens dem Erben geblieben und werden dem dritten Napoleon helfen, wieder zu erringen, was der erste durch Verrath verloren hat.«

Der Prinz zuckte lachend die Achseln. »Schöne Gräfin,« sagte er zu der Sprecherin, »das sind sehr hochfliegende Träume, zu denen ein armer Präsident dieser lieben französischen Republik, dem Herr Blaze nicht einmal die Führung einer Compagnie gestattet, die Augen nicht erheben darf. Wir wollen sehr froh sein, wenn die hohe und mächtige Versammlung des Palais Bourbon uns einige Frist über den Maisonntag hinaus gewährt.«

»Dem Muthigen Hoheit, ist Alles erreichbar,« entgegnete die Spanierin fest.

Die schlaffen Augenlieder des Prinzen hoben sich einen Moment, ein bedeutsam scharfer Blick traf die Dame.

»Alles? ich zweifle daran!«

»Alles Hoheit, wenn man das richtige Mittel wählt.«

»Das mag sein - aber die Mittel wägen oft schwerer als das Ziel.« Er wandte sich zu der jungen Creolin. »Sieh da meine kleine Wilde aus den Pampa's! Wie gefällt es Ihnen in Paris? Denken Sie lange in Frankreich zu bleiben?«

»Ich hoffe Hoheit! Und Sie?«16

Die scharfe Antwort machte den Kreis verstummen, selbst der Oberst konnte sich einer Bewegung der Bestürzung nicht enthalten. Nur der Prinz blieb ruhig und gleich freundlich.

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»Vielleicht meine Kleine! - ich hoffe, Ihnen in einigen Tagen darüber Antwort zu geben!«

Er nahm den gesunden Arm des alten Bonapartisten. »Kommen Sie Marquis - diese Damen hier sind offenbar Rebellen gegen die Constitution und das darf ich nicht hören.«

Er führte ihn einige Schritte weiter - dann änderte sich plötzlich sein Ton. Die bisherige Lethargie war verschwunden, die Sprache fest und bestimmt.

»Sind Sie bereit Oberst, nach England abzureisen?«

»In jedem Augenblick, Sire!«

»Geben Sie mir den Titel nicht, wir haben noch weit bis dahin. Persigni ist von Ihrer Ankunft unterrichtet - Palmerston wird Sie mit Freuden empfangen. Das britische Ministerium steht auf dem Punkt, gestürzt zu werden, wenn die Ereignisse in Frankreich ihm nicht zu Hilfe kommen. Aber ich muß wissen, ob ich auf die Unterstützung oder wenigstens auf die unbedingte Neutralität Englands zu rechnen habe. Ich verlange, daß man Claremont17 desavouirt. Deuten Sie an, daß ich für diesen Fall bereit bin, wenn die Zeit gekommen ist, im Orient gemeinschaftlich gegen Rußland aufzutreten. Es wird Ihnen Vergnügen machen, diesen Auftrag auszuführen, denn ich weiß, Sie lieben Rußland nicht.«

»Es ist das Grab unsers Glücks. Der Kaiser hat Ihnen die große Aufgabe hinterlassen, seinen Untergang durch die Wiederunterwerfung Europa's zu rächen. Seit

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ich Sie kennen gelernt Prinz, weiß ich, daß Frankreich bald wieder seinen gebührenden Platz einnehmen wird.«

»Still Freund - nicht so hastig! Die Rache ist ein Gericht, das kalt gegessen werden muß. Vorerst muß Europa glauben, daß das Kaiserreich der allgemeine Friede ist!«18

»Das Kaiserreich ist das Schwert,19 Sire, die Auslegung ist besser! - Demnach sind Euer Hoheit entschlossen für morgen?«

»Noch nicht ganz - es hängt von den Nachrichten ab, die ich jeden Augenblick erwarte. Haben Sie mit den Generälen gesprochen?«

»Sie dürfen vollständig auf sie zählen - Sie sind wohl vorbereitet und erwarten mit Ungeduld einen Entschluß. Nur die Afrikaner sind schwierig!«

»Ich kenne sie, und weiß sie zu behandeln. Aber dort kommt Roguet, um mir Nachricht zu bringen. Einen Augenblick Marquis, ich bedarf Ihrer noch weiter.«

Der greise Adjutant des Prinzen kam durch den Salon und näherte sich, hier und da mit einem der Anwesenden, unter denen sich auch die Prinzen Jérome und Peter Bonaparte befanden, einige gleichgültige Worte sprechend, ohne aufzufallen dem Präsidenten, bis dieser ihn heranwinkte.

»Bleiben Sie hier, Oberst, damit die Nachricht, die mir Roguet bringt, keine Aufmerksamkeit erregt. Der Klub Rivoli und die Orleanisten haben mehr als einen Spion hier.«

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Der General war näher getreten.

»Ist er da Roguet?«

»Ja Hoheit!«

»Wo haben Sie ihn hingebracht?«

»Er erwartet Sie im Schlafzimmer des Kaisers!«

»Gut! ich werde mich so bald als möglich unbemerkt entfernen.«

»Wollen Eure Hoheit nicht vielleicht zuvor den Italiener sehen? Er hat mich vor fünf Minuten rufen lassen und behauptet, die wichtigsten Nachrichten zu haben, besteht aber darauf, sie Ihnen selbst mitzutheilen.«

»Wo ist er?«

»In meinem Dienstzimmer - ich habe eine Wache vor die Thür gestellt.«

»Ich will ihn sprechen!«

Der alte General blieb zaudernd stehen. »Die Nachrichten, die er gebracht, waren stets zuverlässig und wichtig. Indeß ...!«

»Was?«

»Erlauben mir Eure Hoheit, Sie zu bitten, wenigstens nicht allein zu gehen. Ich traue nie einem Spion und Eure Hoheit dürfen sich jetzt um so weniger unnütz exponiren, wo jeder Unfall von den schlimmsten Folgen sein kann. Der Mensch hat Etwas im Auge, das mir nicht gefällt.«

»Wie heißt er doch?«

»Pianori!«

»Richtig - er ist ein Verschwörer durch und durch und ein unzufriedener Kopf, aber jedenfalls ist er vortrefflich

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unterrichtet. Sein Sie unbesorgt, Roguet, ich bin gegen dergleichen Gefahren auf meiner Hut. Der Oberst soll mich begleiten, das wird genügen, bleiben Sie unterdeß hier und sorgen Sie, daß meine Abwesenheit nicht auffällt.«

Wie vorhin der General, ging der Präsident durch die Salons, von dem Haciendero begleitet, indem er an verschiedenen Orten stehen blieb und sich mit Damen und Herren unterhielt.

Er fand auf seinem Wege Herrn d'Argout, den Gouverneur der Bank von Frankreich.

»Sie haben mir heute den Monats-Abschluß Ihres Instituts überreicht, mein Herr,« sagte er laut. »Wie ich ersehe, ist er vortrefflich!«

»Er schließt mit 53 Millionen Bestand, eine Million mehr, als im vorigen Monat.«

»Damit werden Sie im Stande sein, die Rente gegen alle Eventualität zu schützen.«

Die Umgebung war einige Schritte zurückgetreten, der Prinz befand sich allein mit dem Bewahrer der Schätze und des Kredits eines ganzen Landes.

»Hat Perrier Sie unterrichtet, daß die 25 Millionen des Rests der bewilligten Anleihe bereit zu halten sind?«

»Sie stehen zur Verfügung sobald die Ordre mit der Gegenzeichnung des Staatssecretairs gegeben ist.«

Der Prinz trat ihm einen Schritt näher. »Entfernen Sie sich ohne Aufsehen. Lassen Sie die Kassirer wecken. In einer Stunde werden Sie die Ordre haben, Roguet wird für die militairische Bedeckung sorgen, die das Geld

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hierher bringt. Der Moniteur wird morgen die Ordre bringen. Bis dahin unbedingtes Schweigen.«

Der Gouverneur legte die Hand auf die Brust.

Einige Minuten darauf hatte der Präsident die Salons verlassen, der Oberst folgte ihm.

Der Prinz erwartete ihn im nächsten Zimmer. »Kommen Sie hier Marquis - ich weiß besser Bescheid. Auf meinem Wege in den nächsten Tagen mögen Sie mir voran gehen, das ist Ihr Feld.«

Er führte ihn durch eine leere Zimmerreihe, öffnete eine Tapetenthür und stieg die Treppe hinab, die in einen unteren Corridor führte.

Je weiter sie sich von den Räumen entfernten, welche der Gesellschaft vorbehalten waren, zeigten sich militairische Anordnungen, indem in den Gängen und vor verschiedenen Thüren Posten aufgestellt waren, die bei dem Anblick der Uniform des Präsidenten präsentirten.

Es war einer jener schlauen Schachzüge, deren sich der Prinz bedient hatte, daß er gleich nach seiner Wahl, obschon er von der Republik zum Bürger-Präsidenten gewählt worden, doch niemals öffentlich in Civil erschienen war. Er trug zu Anfang die Generalsuniform der Nationalgarde, später die einzelner Truppentheile der Garnison von Paris.

Am Ende des Corridors blieb der Prinz stehen. Er hatte seinen Begleiter den Rücken gekehrt und fuhr rasch mit der Hand unter die Brust der Uniform.

Er hatte sich überzeugt, daß Alles in Ordnung war. Seit dem Morgen des Tages trug er unter den Kleidern

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ein feines und überaus biegsames Panzerhemd von mailänder Arbeit, ein Kunstwerk, das im Geheimen gefertigt und mit einer großen Summe bezahlt worden war.

Der Präsident trat durch ein Vorgemach, in dem eine Ordonnanz wartete, in das Dienstzimmer, das der General in dem Palais bewohnte, und schloß die offene Thür. Der Oberst war ihm gefolgt.

Ein Mann erhob sich von einem Stuhl und verbeugte sich ehrerbietig.

Der Fremde war eine kleine schwächliche Gestalt, sein Gesicht zeigte den italienischen Schnitt und Teint, die Augen lagen tief unter den Brauen und waren versteckt und finster. Er schien etwa 23 bis 24 Jahre.

Der Prinz nahm auf einem Sessel Platz, der an der andern Seite des Tisches in der Mitte stand, der Marquis blieb einige Schritte von ihm stehen.

»Sie heißen Giovanni Pianori?«

»Ja Monseigneur.«

»Sie sind ein Italiener von der Emigration. Sie waren bei der Belagerung von Rom Garibaldist und gehören der Europäischen Liga an. Sie sehen, daß ich Sie kenne!«

»Ich hoffe, daß Eurer Hoheit bereits mehrfach mein Name genannt worden ist.«

»Ganz recht, Sie haben uns seit einem halben Jahre nicht unwesentliche Dienste geleistet, indem Sie uns zuverlässige Nachrichten aus den socialistischen Clubs überbracht. Diese Nachrichten sind bisher durch die Vermittelung

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des General Roguet an mich gekommen. Heute verlangen Sie mich selbst zu sprechen?«

»Was ich Euer Hoheit zu sagen habe, mußte persönlich geschehen.«

»Sie sehen, daß ich die Wichtigkeit Ihrer bisherigen Nachrichten schätze und deshalb selbst hier bin.«

Der Italiener verbeugte sich.

»Bevor ich Sie anhöre, möchte ich eine Frage an Sie richten.«

»Ich stehe zu Befehl!«

»Die Nachrichten meiner Polizei aus Rom haben Sie als einen eifrigen Anhänger der revolutionairen Comité's und der Uniirung Italiens bezeichnet. Als solcher gelten Sie auch in Paris. Wollen Sie mir sagen, wie Sie trotzdem dazu kommen, mir, den die revolutionaire Partei jetzt als einen Feind der Freiheit ausschreit, die Geheimnisse derselben zu verrathen?«

»Ich habe mich zu rächen. Erlassen mir Eure Hoheit das Nähere. Außerdem glaube ich, daß die Zukunft Italiens von Ihnen abhängt.«

Es war ein eigenthümlicher gedankenschneller Blick, den der Mann auf den Prinzen warf, als dieser nachdenkend den Kopf senkte.

Der Oberst allein hatte den Blick bemerkt - er trat einen Schritt näher.

»Reden Sie,« sagte der Prinz, »welche Mittheilungen haben Sie?«

»Man weiß im Boeuf rouge20, daß Euer Hoheit

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den Zeitpunkt gekommen glauben, einen Staatsstreich auszuführen, um sich zum Kaiser zu machen, und daß Vorbereitungen dazu getroffen sind.«

Der Prinz lächelte spöttisch. »Man hat meine Carriere sehr eilig. - Wann und durch welche Mittel glaubt man denn, daß ich die Sache auszuführen denke?«

»Morgen Nacht!«

Der Präsident konnte eine unwillkürliche Bewegung nicht zurückhalten - er blickte auf den Obersten.

»Hm! und was denken die Socialisten zu thun?«

»Nichts!«

»Nichts? man wird also keinen Kampf beginnen, keine Barrikaden bauen?«

»Nein! Man weiß sehr gut, daß Sie Truppen genug zur Hand haben. Man wird die Sache vorerst der Partei der Ordnung zu überlassen, die beschlossen hat, Sie morgen in Anklagestand zu setzen und in Vincennes einzusperren. Der Bourgeois würde für Sie sein, wenn es einen Kampf gegen uns gälte. Er wird gegen Sie sein, wenn Sie bloß gegen das Gesetz und die Constitution kämpfen. Man wird sich begnügen, Ihre Soldaten, so lange der Streit dauert, in Allarm zu halten und zu ermüden.«

»Und wenn die freundliche Absicht der Herren Burggrafen nicht gelingt, wenn ich Sieger bleibe?«

»Dann wird der Bourgeois geschwächt sein, der jetzt stark ist, das Militair wird ermüdet sein, und ...«

»Nun?«

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»Man wird Sie einfach ermorden! Ihr Tod wird das Signal zu einer allgemeinen Erhebung sein.«

»Glauben Sie das so leicht?«

»Sieben Männer haben es beschworen!«

»Ihre Namen?«

»Ich kenne nur den einen, er ist ein Franzose und heißt Camille Bellamare!«

»Und was verbürgt mir Ihre Aussage?«

»Hier ist die Instruktion an die Sectionen, sich ruhig zu halten bis das Signal gegeben wird.«

Er zog ein Papier aus der Brusttasche und legte es auf den Tisch. Der Prinz hatte sich erhoben und griff danach.

Der Italiener trat einen Schritt näher und hob die Hand an seine Brust.

In diesem Augenblick faßte wie eine Eisenklammer die Faust des Obersten den Arm des Mannes, den sein Auge keinen Moment verlassen hatte.

»Was hast Du da Bursche - dort in der Brusttasche Deines Rocks, ich habe es blinken sehen?«

Der Prinz war zurückgetreten, er sah gespannt auf die Beiden.

»Es ist nicht nöthig, mein Herr, daß Sie mir deshalb wehe thun. Was Sie blinken sahen, war wahrscheinlich der Griff meines Stilets!«

»Also doch! Keine Bewegung oder Du bist des Todes!«

»Sie werden mir doch erlauben, es Ihnen zu zeigen!«

Er zog ruhig, als die Hand des alten Bonapartisten auf einen Wink des Prinzen ihn freiließ, den Dolch aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch.

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»Weshalb kommen Sie bewaffnet hierher?«

»Cospetto, Hoheit, ein Verschwörer läuft doch nicht ohne wenigstens sein Messer umher, man kann ja in jedem Augenblick in die Lage kommen, sich wehren zu müssen.«

Der Ton der Antwort war so spöttisch, die Haltung des Mannes so ruhig, daß der Prinz jeden Verdacht unterdrückte.

»Bleiben Sie dort stehen! - Ich danke Ihnen Massaignac, aber es hat keine Gefahr!«

Er las das Papier aufmerksam durch. »Diese Instruktion bewahrheitet Ihre erste Aussage - aber es ist keine Andeutung von der ruchlosen That darin enthalten, von der Sie sprachen.«

Der Italiener zog ein zweites Papier aus der Tasche und gab es dem Prinzen, der es rasch entfaltete.

Es war eines der berüchtigten gedruckten Plakate »Beweggründe der Verurtheilung Louis Napoléon's zum Tode!« die am andern Tage zahlreich an den Mauern angeschlagen waren.

»Wer hat die Schmachschrift verfaßt?«

»Derselbe Bellamare, er rühmt sich dessen als einer patriotischen That.«21

Der Prinz dachte einige Augenblicke nach. Grade daß der Verschwörer sich nicht bemüht hatte, seinen

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Verrath mit einer loyalen Gesinnung zu bemänteln, hatte ihm Vertrauen eingeflößt.

»Haben Sie mir noch Etwas zu sagen?«

»Euer Hoheit sind gewarnt - das Uebrige wissen Sie, die Führer des boeuf rouge sind Ihnen längst bekannt. Ich habe Ihnen nur noch zu sagen, daß man Blanqui erwartet und mehrere der Verurtheilten vom Juni aus Algier nach Paris zurückgekehrt sind.«

»Ich danke Ihnen und bitte Sie, mich ferner von Allem in Kenntniß zu setzen, was geschieht. Wenden Sie sich wie bisher an Roguet. Hier mein Herr, ich weiß, daß die Verbannten aus Italien manchem Mangel ausgesetzt sind, dem es bisher noch außer meiner Macht lag, abzuhelfen.«

»[]Er legte zwei Banknoten jede von tausend Franken auf den Tisch. Der Italiener nahm sie mit der seinem Volke eigenen Habgier und steckte sie in die Tasche.

»Ich danke Euer Hoheit. Verlassen Sie sich ganz auf mich!«

»Lassen Sie den Herrn durch die Wachen bringen Oberst.«

Der Haciendero öffnete die Thür und winkte dem Spion, ihm zu folgen. Nach einigen Minuten kehrte er zurück.

Er fand den Prinzen in tiefem Sinnen noch auf der nämlichen Stelle.

»Wenn Sie mir eine Bemerkung erlauben, Prinz,« sagte der Veteran, - »ich traue dem Kerl trotz seiner

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scheinbaren Aufrichtigkeit nicht. Ich traue überhaupt keinem Italiener. Hüten Sie sich vor ihm.«

»Warum?«

»Pardioux! ich möchte mein Kreuz wetten, daß der Schurke die Namen der anderen Mörder eben so gut kennt, wenn die Geschichte nicht überhaupt erfunden ist, um Geld von Ihnen zu erpressen.«

»Sie irren Oberst, der Anschlag hat viel Wahrscheinlichkeit für sich, aber ich fürchte ihn weniger, als den andern Beschluß!«

»Welchen, Sire?«

»Daß sich die Rothen nicht schlagen wollen.« Er legte die Hand auf seine Schulter. »Glauben Sie mir, Massaignac, ich wäre weit näher dem Namen, den Sie mir geben, wenn Barrikaden vom Montmartre bis Bercy ständen.«

»Bah? man muß sie dann zwingen!«

»Das ist's, worüber ich nachdenke. Aber die Nachricht, die der Bursche uns eben gebracht hat, zusammen mit der aus der Straße Helder, muß unser Werk um 24 Stunden beschleunigen. Wir müssen ihnen zuvorkommen. Gehen Sie zurück zur Gesellschaft und sorgen Sie, daß Arnaud sie nicht verläßt. Maupas wird es ohnehin nicht thun. Ich habe noch eine entscheidende Unterredung und komme dann sogleich nach.«

»Seien Sie vorsichtig Prinz - setzen Sie sich nicht unnöthig einer Gefahr aus.«

Der Präsident lachte. »Lieber Freund, der Factor, den ich jetzt zu gewinnen habe, ist sehr friedlicher Natur

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trotz seiner Stärke, aber um so gefährlicher, weil er mit den Händen den Anderen schlägt.«

»Ich verstehe Sie nicht; wen meinen Sie Hoheit?«

»Die Kirche!«

»Caramba! - das ist wahr! Es ist dieser lieben Kirche hier in Paris etwas übel mitgespielt worden, aber Sie haben ihr doch Rom erhalten!«

»Ja,« sagte der Prinz lachend - »aber ich bin nicht wieder herausgegangen und denke es auch nicht zu thun!«

»Hm! der Dey und der Papst! ich hoffe, daß binnen hier und fünf Jahren der Sultan oder mindestens Egypten noch dazu kömmt, dann können die Herrn Engländer aus dem Mittelmeer abziehen. Im Ganzen genommen habe ich mit der schwarzröckigen Garde nicht gern zu schaffen. Ich ziehe es vor, wenn Sie sich morgen an die Spitze der französischen Armee stellen, sich als Erbe des Kaisers zum Kaiser erklären und mit dem Säbel allein reine Wirthschaft in Frankreich und in der Welt machen.«

Der Prinz lächelte über die derbe Politik des alten Soldaten. »Dies Mittel bleibt uns immer noch, Marquis. Vorläufig dürfen wir es mit Keinem verderben und die Kaiser von heute müssen nicht mehr durch die Prätorianer sondern durch das Volk gemacht werden. Also warten wir. Ein Jahr Vorbereitung ist nicht zu viel. Ueberlassen Sie das mir, mein alter Ritter von der Tafelrunde des neunzehnten Jahrhunderts, und kehren Sie zur Gesellschaft zurück.«

Er verließ das Zimmer und an der Treppe den alten Bonapartisten.

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Wir haben den greisen Adjutanten des Präsidenten sagen hören, daß die Person, die ihn erwartete, sich in dem Schlafzimmer des Kaisers befand, jenem Gemach, in dem der alte Napoleon nach der Schlacht von Belle-Alliance die letzte Ruhe in Paris fand oder wenigstens suchte.

Hierher lenkte der Prätendent des französischen Kaiserthrons seine Schritte.

Er ging in tiefem Nachdenken mit jenem schleppenden schweren Schritt, den das Tragen einer Last gewöhnlich mit sich führt.

Dennoch, trotz des tiefen Sinnens, versäumte er nicht, das Salutiren jedes Wachpostens, an dem er vorüber kam, freundlich zu erwiedern.

Ein Diener, der an der Thür stand, öffnete die Flügel - der Prinz trat ein.

Aus dem Fauteuil, der an der Seite jenes berühmten Bettes stand, erhob sich ein Mann, groß, hager, mit Adlernase, einfach bürgerlich in düstre Farben gekleidet.

Das Licht der beiden großen Armleuchter fiel auf sein Gesicht.

»Sieh da - Herr Abbé Corpasini - ein alter Bekannter, es ist mir lieb, grade Sie zu sehen!«

Er reichte ihm die Hand und nöthigte ihn, wieder Platz zu nehmen.

»Wir befinden uns am Vorabend einer Krisis,« sagte er leicht, »wie damals, als ich zum ersten Mal das Vergnügen hatte, Sie bei mir zu sehen. Erinnern Sie sich - es war am Abend, als die Herzogin von Berry aus Paris verschwand und Sie sich für das Schicksal der

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Mörder der beiden deutschen Abgeordneten interessirten. Sie haben doch erfahren, daß ich Ihnen Wort gehalten?«

Auf der gebräunten hageren Wange des Spaniers brannte ein rother Fleck. Er fühlte, daß sein Gegner in geschickter Weise den Angriff begonnen hatte.

»Ich weiß es und danke Euer Hoheit!«

»Ich ließ die Burschen entspringen - sie haben wahrscheinlich anderwärts ihren Galgen gefunden. Ich wiederhole Ihnen nur, es ist mir lieb, daß Kardinal Antonelli grade Sie gesandt hat, um uns über einige Punkte auf meinen Wunsch zu verständigen Herr Abbé - aber - es sind Jahre vergangen und ich gebe einem Prälaten von Ihrem Verdienst wohl mit Unrecht diesen allzu bescheidenen Titel?«

»Die heilige Congregation hat geruht, meine geringen Leistungen mit einem Rectorat zu belohnen. Ich befinde mich, wie ich wohl kaum zu bemerken nöthig habe, mit ausdrücklicher Erlaubniß des Ordensgenerals vor Eurer Hoheit.«

»O Pater Rothhaan, mein Herr Rector, hat dem Kardinal nur einen Dienst erwiesen, indem er ihm einen solchen Unterhändler lieh, der den Organismus der kirchlichen Bureaukratie und die Station der Herren Erzbischöfe und öffentlichen Nuntien nicht genirt.«

Der Jesuit verbeugte sich ruhig. Er mußte, um das verlorene Terrain wieder zu gewinnen, den Gegner zwingen, selbst zu kommen.

Der Prinz ging sofort auf die Sache los - für ihn

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war die Kirche nur ein Mittel, nicht der Zweck, und die Augenblicke dieser Nacht waren kostbar.

»Sie wissen, mein Herr, daß ich die Zusage, die ich dem heiligen Stuhl oder vielmehr dem Herrn Kardinal bei unserer ersten Unterredung gemacht, im ausgedehntesten Sinne erfüllt habe. Rom ist mit dem Blut französischer Krieger aus den Händen der Revolution befreit und der Botmäßigkeit der Kirche wieder unterworfen worden.«

»Die heilige Kirche erkennt den Präsidenten von Frankreich dafür als ihren getreuen Sohn.«

Der Prinz biß die langen Haare seines Schnurbarts, er verstand die Bedeutung.

»Ueber was beklagt man sich demnach in Rom, warum kehrt man sich hier gegen mich?« sagte er rauh.

»Der heilige Stuhl ist natürlich Eurer Hoheit sehr dankbar für die großen Dienste, aber so viel ich weiß, schweben augenblicklich noch immer Verhandlungen über die Stellung der französischen Besatzung in Rom.«

»Sie wissen sehr wohl Herr Rector, und Kardinal Antonelli und selbst Seine Heiligkeit begreifen das eben so gut, daß ein Zurückziehen der französischen Truppen jetzt schon, der Revolution auf's Neue die Thore öffnen hieße. Grade heraus, die weltliche Herrschaft des Papstthums steht auf schwanken Füßen.«

»Oesterreich und Neapel sind wieder stark und haben ihre inneren Kämpfe überwunden.«

»Ja, aber Sie haben einen andern Nachbar, der mir einen verteufelt hungrigen Magen zu haben scheint. Das römische Kabinet ist viel zu klug und erfahren, als daß

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es einen Augenblick darüber im Zweifel sein kann, daß Frankreich unmöglich einem Kriege in Italien ruhig zusehen wird, gleichviel, wer die Regierung unseres Landes führt.«

Der Rektor legte wie zufällig die Hand auf den Pfeiler jenes Bettes, an dem er saß.

»Hoheit,« sagte er bedeutungsvoll, »die Einmischungen Frankreichs in die Angelegenheiten Italiens haben noch immer ein schlimmes Ende genommen.«

Die Stirn des Präsidenten zog eine schwere Falte. »Ich verstehe Sie sehr wohl mein Herr. Frankreich hat eine sicilianische Vesper gehabt, Franz der Erste sein Pavia, Mürat ist in Pippo erschossen worden und mein Onkel hätte wahrscheinlich auf diesem Bett nicht jene kummervolle Nacht durchwacht, wenn er Pius VII. nicht nach Fontainebleau geführt hätte. Ich aber mein Herr beschütze Pius IX. gegen seine Italiener und finde, daß man mich eben so undankbar, als unklug behandelt.«

»Wollen Eure Hoheit mir sagen, worüber Sie sich beklagen?«

»Warum ist Herr Sibour auf die Seite meiner Gegner getreten? Glauben Sie, daß ich nicht weiß, wie die Geistlichkeit von Paris seit länger als einem halben Jahre mit den Socialisten kokettirt, daß man die Arbeiterclubs besucht und Mißtrauen gegen mich ausstreut? Ich will Ihnen etwas sagen, mein Herr. Wenn ich in diesem Augenblick General Esmeau den Befehl sende, Rom zu verlassen, so bricht am Tage nachher die Revolution nicht bloß auf dem Forum, sondern in allen Legationen, in

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Parma und Florenz aus und Papst Pius und seine Kardinäle werden schwerlich diesmal nach Gaeta gelangen.«

»Ich wiederhole Eure Hoheit, daß man im Vatican vollkommen anerkennt, was Sie für Rom thun. Die Kirche bedauert nur, daß dieser Schutz sich allein auf Rom beschränkt und sie vergeblich auf die Wiederherstellung ihrer ehrwürdigen Rechte in Frankreich selbst wartet.«

Der Prinz legte sich in seinen Sessel zurück. »Endlich sind wir so weit Herr Rector, wo wir anfangen uns zu verstehen. Vielleicht wird die Lectüre dieser Ordonnanz dazu beitragen.«

Er reichte dem Priester ein Papier, das er schon seit seinem Eintritt in der Hand hielt.

»Lesen Sie!«

Der Jesuit entfaltete das Blatt und überflog es rasch, sein hageres Gesicht röthete sich freudig.

»Sie geben das Pantheon, die Madelaine, der katholischen Kirche zurück? Das heißt ein Bruch mit der Revolution und die Wiedereinsetzung der Kirche in ihre Rechte?«

»Sie sehen, mein Herr, es fehlt nur das Datum. Ich besitze im Sousterrain des Elysée eine kleine Druckerei, welche nur auf dies Manuscript wartet, um es in tausend Exemplaren an alle Säulen von Paris anschlagen zu lassen.«

Der Jesuit nahm statt der Antwort ein ledernes Portefeuille aus der Tasche seines Rocks und aus diesem ein großes Couvert. Er zog aus dem Couvert ein zusammengeschlagenes Schreiben und überreichte dies dem Prinzen.

»Ein Breve - an Herrn Sibour, den Erzbischof von Paris?«

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Der Prälat verbeugte sich. »Die vierzehn gleichen Ausfertigungen an die Sprengel der Herren Erzbischöfe von Frankreich liegen zur Absendung bereit.«

Der Prinz durchflog das Breve. Dann ergriff er eine auf dem Tisch stehende Klingel und schellte.

Der Kammerdiener, der ihm die Thüren geöffnet, trat sofort ein.

»Eine Feder!«

Der Diener holte ein silbervergoldetes Schreibzeug von dem Kamin und setzte es vor ihn. Der Prinz fügte mit einem raschen Federzug das Datum in dem Papier ein, das er vorhin dem Prälaten gezeigt und setzte seinen Namen unter die Ordonnanz.

»In die Druckerei Pierre, sofort!«

Der alte Diener verschwand.

»Jetzt, Herr Rector,« sagte der Präsident, »melden Sie mit einem Courier, er wird zu diesem Zweck bereit stehen, an Se. Eminenz, daß General Gemeau in Rom bleiben und die katholische Kirche in Frankreich von morgen ab in alle Rechte wieder eingesetzt sein wird. Die zehn Jahre, die ich verlange, werden genügend sein, sie zu befestigen. Von den vier Proclamationen, die morgen die guten Pariser etwas überraschen werden, wird jene die eine sein. Herr Sibour wird nicht nöthig haben, sich wie sein Vorgänger auf den Barrikaden erschießen zu lassen, ich denke allein fertig zu werden.«

»Aber es wird keine Barrikaden geben Hoheit, wie ich gehört habe.«

»So - das wissen Sie also auch! Ihnen gestehe ich offen,

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daß mir das sehr leid thun sollte, denn ich glaube, daß zu dem Kitt eines Staatsgebäudes in der That einiges Blut nothwendig ist. Die Pariser brauchen eine heilsame Lection, wenn ich Ruhe haben soll, meine Absichten ausführen.«

Der Jesuit lächelte. »Euer Hoheit können sehr leicht der Stimmung, die im Allgemeinen dem berechtigten Staatsstreich günstig ist, eine kleine Beimischung von Unzufriedenheit und Opposition geben.«

»Wie das?«

»Wenn Euer Hoheit die zweite der drei Ordonnanzen, diejenige, welche die Wiederherstellung des allgemeinen Wahlrechts proclamirt, für einige Tage dahin ändern, daß die Stimmzettel mit dem Namen unterzeichnet sein müssen.«

Der Prinz starrte den Jesuiten mit unverhehltem Erstaunen an.

»Wie - Sie kennen die Ordonnanz?«

»Euer Hoheit konnten aus meinen Vorbereitungen entnehmen,« sagte der Spanier mit gut gespielter Bescheidenheit, »daß ich von den drei Proclamationen unterrichtet sein mußte, als ich hierher kam.«

»In der That - das ist stark! Ich sehe, daß Ihr Orden Nichts verloren hat! Künftighin werde ich mich hüten, meinem eigenen Ich zu vertrauen, wenn ich ein Geheimniß zu bewahren habe. Aber da wir einig sind, thut es Nichts zur Sache und ich danke Ihnen für Ihren Rath, den ich befolgen werde. Sie verzeihen, daß ich unsere Unterredung abbreche, denn um unser Geheimniß

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wenigstens vor profanen Augen so lange als möglich zu bewahren, ist es jetzt nöthig, daß ich Sie verlasse.«

Der Jesuit hatte sich erhoben. »Der Herr Erzbischof wird das Breve morgen früh bei seinem Erwachen erhalten. Ich wünsche Euer Hoheit alles Glück und guten Erfolg.«

»Sein Sie unbesorgt, in drei Tagen herrsche ich auf französischem Boden, oder liege in demselben.«

»Gott und die Heiligen mögen mit Ihnen sein!«

Der Prinz geleitete ihn bis zur Thür, wo er ihn der Führung des Kammerdieners übergab.

Fünf Minuten darauf trat der Präsident der französischen untheilbaren und höchst constitutionellen Republik wieder in den Empfangssaal. -


Der Prinz sprach einige Augenblicke mit dem Fürsten von der Moskaw und dem General Renaud, machte der Frau eines seiner Lieferanten ein Kompliment, scherzte mit Madame Liolle, deren Ruf etwas sehr zweifelhaft war, winkte den Vicomte von Falloux zu sich, um ihn wegen der Stimmung der Assemblée in dem Verantwortlichkeits-Antrag zu befragen, und trat dann wieder zu der Gruppe der Damen.

Die Creolin kehrte eben am Arm des preußischen Offiziers aus dem Salon zurück, in dem getanzt wurde.

»Es scheint, daß Sie Preußen auf Ihre Seite ziehen wollen, meine kleine hübsche Gegnerin,« sagte der Prinz lächelnd, aber ich muß die Allianz sprengen um unserer Nachbaren an den Pyrenäen willen.«

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»Die spanische Allianz Hoheit,« war die schlagfertige Antwort, »ist so viel ich weiß, eine Vorliebe der Bourbons gewesen, Euer Hoheit sind aber ein Bonaparte.«

»In der Politik und in der Liebe darf man kein nationales Vorurtheil haben.«

»Aber ich beschäftige mich weder mit der Politik noch mit der Liebe und überlasse Eure Hoheit gern, mit beiden fertig zu werden. Im Vertrauen kann ich Ihnen nur sagen mein Prinz, daß die Herren Preußen bessere Tänzer und Reiter sind, als die Caballero's von Madrid.«

Der Prinz, selbst ein sehr unerschrockener Reiter, wandte sich zuvorkommend nach dem Offizier.

»Ich habe von der Wette gehört, die Sie dieser Tage im Longchamps ausgeführt, mein Herr. Mürat erzählte mir davon. Den Sprung über den Hohlweg der Steinbrüche wird Ihnen so leicht Niemand nachmachen. Wie kommt es, daß Sie nicht in der preußischen Kavalerie dienen, die ein so ausgezeichnetes Corps ist?«

»Mein älterer Bruder Hoheit diente in ihr.«

»Er hat den Dienst quittirt?«

»Er fiel bei dem Straßenkampf am 18. März in Berlin!«

»Ich wußte nicht, daß ein Kavalerie-Angriff bei jener Emeute stattgefunden hat, obschon Ihre schönen und großen Straßen diesen mehr begünstigt hätten, als, mit Ausnahme der Boulevards, unsere Straßen in Paris thun.«

»Er wurde beim Parlamentiren meuchlings erschossen.«

»Das kommt davon - man hat in Berlin damals viel zu viel Umstände gemacht. Mit Gesindel muß man nicht Parlamentiren. Hätten die Truppen, die sie in Berlin hatten, Ernst gemacht, so würden sie die ganze Rebellion durch ein Nadelöhr gejagt haben, statt daß sie selbst die Stadt verlassen haben.«

Der Offizier zuckte die Achseln.

»Und wie ist die Stimmung jetzt in Berlin?«

»Die beste - man bemüht sich, Alles zu vergessen!«

»Das ist wiederum ein großer Fehler. Auf einem Throne darf man Nichts vergessen, sondern man muß sich erinnern und eine Lehre daraus ziehen. Das Vergessen und Vergeben hat noch nie eine Monarchie stark gemacht. - Ich bedauere, Ihren Gesandten heute in unserm Kreise zu vermissen.«

»Der Graf befindet sich unwohl!«

»Das thut mir leid. Ich wünsche, Ihr Aufenthalt in Paris möge Sie einige angenehme Erinnerungen mit nach der Heimath nehmen lassen. Ich hoffe, in einiger Zeit selbst Berlin wieder zu sehen.«

»Eurer Hoheit Besuch wird der preußischen Königsstadt ein erfreuliches Ereigniß sein.« Der junge Soldat betonte das Wort bedeutsam.

»Ganz recht! Die Civilisation des Friedens, die Eisenbahnen erleichtern jetzt dergleichen Besuche. Nun meine kleine Feindin mit der scharfen Zunge, nehmen Sie Ihren Cavalier zurück und erholen Sie sich von den Anstrengungen des Tanzes.«

Die Creolin behauptete jedoch tapfer ihr Feld. »Warum belieben mich Ihre Hoheit Ihro Feindin zu nennen, da

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Sie doch wissen, daß ich die Tochter eines ächten Bonapartisten bin?«

»O was das anbetrifft,« sagte lachend der Prinz, »da geht es wie in der Politik und der Liebe mit der Nationalität. Ich habe keinen enragirteren Anhänger, als Papa Touron an der Concordienbrücke, und sein Sohn ist ein Anhänger der Herren Cavaignac und Lamoricière, was ich um so mehr bedauere, als Kapitain Fromentin ein braver Soldat und tüchtiger Artillerist ist. Dafür wird er in Rom bleiben und Fräulein Miron eine klügere Partie machen.«

Obschon es gegen die Etikette verstieß, erlaubte sich der preußische Offizier bei dem freien Ton der Gesellschaft doch eine Bemerkung.

»Kapitain Fromentin ist in Paris!«

Der Prinz, der sich bereits abgewandt, um einige andere Personen zu begrüßen, kehrte sich rasch um. »Wie sagten Sie mein Herr, Kapitain Fromentin ist in Paris?«

»Seit Mittag. Wie ich bei seiner Bekanntschaft, die ich diesen Abend machte, vernahm, hat er seinen Abschied genommen.«

»Das ist mir leid für Papa Touron. - Dergleichen Bekanntschaften mein Herr, sind in einer Zeit, wie die gegenwärtige, oft nicht zu empfehlen.«

Er grüßte kalt und verließ das Paar. »Was hatten Sie mit dem Prinzen?« frug die Creolin, denn die letzten Worte waren in deutscher Sprache gesprochen, die sie nicht verstand. »Er schien plötzlich so ernst oder geärgert!«

»O Nichts - Sie irren Senjora!« Aber die Warnung

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machte ihn nachdenkend, als er sie zu ihrem Platz zurückführte.

Der Prinz hatte mit dem Auge General Roguet herbeigewinkt.

»Sobald Morny kommt, lassen Sie mich es wissen. Rufen Sie Hirevoy in mein Kabinet. Es ist Zeit!«

Er kehrte sich zu zwei Nahenden. »Mylord, es hat mich sehr glücklich gemacht, daß Sie mir Gelegenheit geben, Sie bei mir zu empfangen und so wenigstens einen kleinen Theil der großen Schuld für Ihre freundliche Aufnahme in England abzutragen. Ich erinnere mich stets mit Vergnügen jenes glänzenden Turniers, das Sie uns in Eglinton gaben.«

»By Jove, Prinz, ich komme expreß vom Atlas, um dem Ihren beizuwohnen!«

»Dem meinen? O Mylord, um ein solches Fest zu arrangiren, dazu müßte die Civilliste dieser guten Republik die Finanzen des Viscount von Heresford erreichen.«

»Keine Bescheidenheit Prinz! Sie haben hunderttausend Mittel in Paris und der Einsatz des Ritters von der Biene ist eine ganz hübsche Krone.«

»Sie deuten zu weit Mylord! doch ich erinnere mich, daß ich nicht mehr so arg in Ihrer Schuld bin. Man hat mir gesagt, daß Sie meinem ersten Turnier beigewohnt!«

»Ah - in Rom? Yes! es hat mir viel Spaß gemacht!«

»Ich fürchte, Paris wird Ihnen nur ein Lustspiel bieten.«

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»Oh no! ich habe gesorgt. Ich habe von Oran selbst vier der entschlossensten Burschen nach Frankreich geschmuggelt!«

»Das ist allerdings stark Mylord für einen alten Freund!«

»Bah - was wollen Sie! Jeder sucht sich zu amüsiren auf dieser lächerlichen Welt, so gut er kann. Da Ihre Proklamationen fertig sind ...«

»Meine Proclamationen?«

»Damn! Nun ja - die Ordonnanzen, die Sie da unten drucken lassen! für was hätte ich denn Geld?«

Der Prinz biß sich auf die Lippen - der Jesuit und der britische Excentric waren besser bedient wie er.

»Da also das Stück bald beginnen wird, bitte ich um eine Prosceniumsloge und einen Platz für diesen Herrn. Erlauben Sie mir Hoheit, Ihnen den Kapitain Peard, einen ausgezeichneten Jäger, den ich am Kap auf der Kaffern- und Antilopenjagd getroffen, vorzustellen. Welches wird der beste Platz bei Ihrer Jagd sein, Prinz?«

»Die französische Uniform!«

»Very well! Hören Sie Peard, lassen Sie sich geschwind bei Düsautay Maaß nehmen. Und meine Loge Hoheit?«

»Ich empfehle Ihnen das Café Tortoni Mylord,« sagte der Präsident boshaft, »ich werde sorgen, daß Sie im ersten Rang sitzen! Aber entschuldigen Sie mich, Mylord, ich muß mich bei diesen Damen da beurlauben, denn es ist spät und ich will mich zurückziehen!«

Der Viscount machte eine steife Verbeugung, das

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heißt er nickte mit dem Kopf, dann, während der Prinz nach dem bezeichneten Kreise sich bewegte, schlenderte er weiter mit seinem Gefährten.

»Buffon!« hatte der Prinz gemurmelt, indem er fortging.

»Sie brauchen Düsautay mit der Uniform nicht zu incommodiren, Master Peard,« sagte der Lord. »Sie werden genug haben, wenn Sie einen Sitz in meiner Loge annehmen. Der Platz wird etwas warm sein, Herr Bonaparte, aber der Viscount von Heresford hat noch keine Herausforderung abgelehnt!«

Der Prinz sprach einige Augenblicke mit der Herzogin von Douglas, die eben aufbrach, und unterhielt sich dann mit der Gräfin von Teba und ihrer Tochter.

Nach zehn Minuten zog er sich zurück.

Die Gesellschaft begann sich zu zerstreuen; - wer ein aufmerksamer Beobachter war, hätte leicht bemerken können, daß Viele absichtlich zögerten, einer den andern mit Mißtrauen observirend, gleich als erwarte man noch ein Nachspiel zu dem Fest. -


In dem Kabinet des Prinzen, das mit schwerem grünem Seidenstoff ausgeschlagen war, saß vor dem Kamin in einem Lehnsessel, der Thür den Rücken zugekehrt, der Herr und Bewohner des Gemachs und hielt die Hände gegen das Feuer.

Ihm gegenüber an der Ecke des Kamins, den Ellbogen auf dessen Brüstung gestützt, lehnte die elegante

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Gestalt des Grafen Morny, des illegitimen Halbbruders des Präsidenten.

»Es ist gut, daß Du Dich endlich entschlossen hast,« sagte im Gespräch fortfahrend der Graf - »ich sage Dir, es war die höchste Zeit. Mein Gehör ist vortrefflich, und ich vernahm deutlich in der Nebenloge, wie Cavaignac zu der heutigen Versammlung eingeladen wurde.«

»Du meinst zu der gestrigen Jules,« entgegnete ruhig der Präsident mit einem Blick auf die Kaminuhr, die eine Stunde nach Mitternacht zeigte.

»Wie Du willst - vielleicht auch der heutigen, denn sie sind wahrscheinlich noch beisammen.«

»Darüber wirst Du die beste Auskunft von Maupas erfahren, es schlägt in sein Feld und er ist im Nebenzimmer.«

»Bei dem Andenken unserer Mutter, ich möchte Geld darum geben, wenn ich die Miene sehen könnte, die Herr Thiers schneiden wird, wenn man ihm seine Verhaftung ankündigt. Er wird sich für eine verteufelt wichtige Person halten.«

Der Präsident rieb sich langsam am Feuer die Hände. »Wir haben keine Zeit zu psychologischen Betrachtungen,« sagte er. »Du bist also gewillt, mit mir zu gehen Jules?«

»Durch Dick und Dünn! ich wüßte auch wahrhaftig nicht, wie ich anders meinen zerrütteten Finanzen auf die Beine helfen könnte! Man borgt mir noch weniger wie Dir!«

Der Prinz erwiederte das naive Geständniß mit

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einem Achselzucken. »Sei so gefällig, jenes Papier von dem Tisch zu nehmen und zu lesen.«

»Teufel! - Jetzt zweifle ich nicht mehr an dem Erfolg. Wie zum Henker hast Du die Unterschrift erlangt?«

»Es ist sehr einfach. Die Bank von Frankreich zahlt nur auf die Anweisung des Ministers und des Unterstaatssecretairs. Ich habe Herrn d'Argout, den Sohn, vor einer halben Stunde dazu ernannt.«

»Pesth! Das ist ein kluger Streich. Und was weiter?«

»In diesem Augenblick befindet sich Legard mein Kassirer mit Bedeckung auf dem Wege zur Bank, in einer Stunde werden die 25 Millionen in Gold, in Fünffrankenstücken und in Banknoten in dem Zimmer nebenan sein. Roguet und Du, Ihr werdet sie annehmen und verwahren, bis ich darüber disponire!«

»Und mein Antheil?«

»Ist das Portefeuille des Ministers. Das Geld gehört einzig den Staatszwecken!«

Der Graf schnitt ein Gesicht, wagte aber keine weitere Einwendung.

»Aber meine Rolle?«

»Dort ist Schreibzeug und Papier. Schreibe die Ordre an Maupas, wie ich sie diktire.«

Der Graf hatte sich an den Tisch gesetzt und die Feder zur Hand genommen.

Der Prinz blieb, während er diktirte, am Kamin sitzen und wärmte seine Hände.

»Im Namen der französischen Republik!«

»Die gute Republik scheint mir Etwas auf unsichern Füßen zu stehen.«

»Schreib. - Der Präfekt der Seine wird angewiesen, bei Tagesanbruch die Deputirten Cavaignac, Lamoricière, Changarnier, Bedeau, Charras, Thiers und Blaze durch die Polizei verhaften und die Gefangenen sofort nach Vincennes bringen zu lassen. Jedem Widerstand ist mit Anwendung der Gewalt zu begegnen.«

»Zu begegnen ...«

»Jetzt unterzeichne!«

Der Minister machte eine zweifelhafte Bewegung. »Ich meinte, der Befehl datire von Dir selbst!«

»Es ist die Sache des Ministers des Innern, die Feinde des Staats verhaften zu lassen! Hegst Du Besorgnisse, so wird sich leicht ein Anderer für das Portefeuille finden.«

Der Graf unterzeichnete mit einem raschen Federzug. »Es ist unnöthig, Fremde zu incommodiren!«

»Wie ich Dir bereits gesagt, Maupas ist im Salon nebenan und erwartet den Befehl. Hier ist der Entwurf zu dem Schreiben an die gegenwärtigen Minister. Sie haben sich bis morgen Vormittag 9 Uhr zu erklären. Es ist natürlich, daß sie zurücktreten. Du wirst Fould, Rouher, Magne und Turgot um diese Zeit hierher bescheiden. Die Befehle an die Präfecten müssen durch Couriere mit dem ersten Bahnzug abgehen, denn es ist möglich, daß die Telegraphen morgen zerschnitten und nicht zu unserer Disposition sind.«

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»Ich werde Maupas befehlen, das Telegraphen-Bureau zu sichern.«

»Eine Section Jäger von Vincennes hat es in diesem Augenblick bereits besetzt, Roguet expedirt die Befehle an die kommandirenden Generale der vierundzwanzig Divisionen.«

»Hat St. Arnaud unterzeichnet?«

»Er wird es, bevor eine halbe Stunde vorüber ist. Beeile jetzt die Ausfertigungen. Sobald das Geld angekommen, laß es mich wissen. Um 8 Uhr müssen die Proklamationen angeschlagen sein. Alles Andere ist Deine Sache. Verliere keine Zeit und handle in Allem rasch und entschlossen.«

»Du darfst Dich auf mich verlassen!« Der Graf hatte die Papiere zusammen genommen. »Ich habe keinen Augenblick zu verlieren - also bis nachher!«

Er entfernte sich rasch. Der Prinz blieb noch einige Minuten sitzen, dann erhob er sich und öffnete eine Tapetenthür, die auswendig mit dicken Teppichen ausgeschlagen war, so daß durch sie hindurch auch von dem aufmerksamsten Lauscher Nichts von dem verstanden werden konnte, was in dem Kabinet gesprochen wurde.

»Vieyra - sind Sie da?«

»Ja, Hoheit!«

»Kommen Sie herein und schließen Sie die Thür.«

Der Corse, der in einem ziemlich berüchtigten Renommee stand, trat ein. Der Prinz saß bereits wieder vor dem Kamin.

»Wie viel heute?«

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»Fünfundvierzig Hoheit, sämmtlich Corsen und entschlossen, für Sie durch die Hölle zu gehen.«

»Es scheint, lieber Vieyra, Sie haben den Roman des Herrn Dumas gelesen, dessen Fortsetzung er uns noch schuldig ist. Aber der Gedanke ist nicht übel, meine Sicherheitswache nach der des letzten Valois zu bilden. Hoffentlich wird sie mich besser gegen einen Jacques Element schützen.«

»Ich wiederhole Euer Hoheit, ihr Leben gehört Ihnen. Von der Stunde an, wo Sie befehlen, wird man Sie nie mehr aus den Augen verlieren. Wohin Sie meine Bulldoggen schicken werden, dahin werden Siegehen; wen sie packen sollen, den werden sie packen.«

»Kommen Sie hierher Vieyra - näher! Wo haben Sie Ihre Leute untergebracht? Ich kann ihnen natürlich keinen Platz im Elysée noch im Louvre einräumen, wie Heinrich III.«

»Sie werden dort sein und überall, auf der Straße wie im Theater, bei der Parade, auf den Eisenbahnzügen, selbst bei Ihren Festen, als Diener, als Bürger und Handwerker, als Soldaten, als Coco-Verkäufer oder vornehme Herren, die im Café Anglais speisen. Sie vertreten alle Stände, eine unsichtbare, aber schlagfertige Garde. Fünfzehn halten täglich die Wache um das Elysée, fünfzehn sind zu extraordinairen Dienst bereit, fünfzehn beurlaubt.«

»Aber an welchem Zeichen soll man sie erkennen, wenn man ihrer zufällig bedarf?«

Der Corse trat einen Schritt näher.

»Wenn Euer Hoheit das Taschentuch ziehen und in

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die linke Hand nehmen, wird man sich Ihnen nähern. Sie können dem Mann, der Ihnen auf irgend eine Frage mit den Worten antwortet: >Corsica gehört zu Frankreich< unbedingt vertrauen, welches Standes er auch sei.«

»Gut - ich werde mir es merken. Die Besoldungen ziehen Sie aus meiner Privatchatoulle. Sind in diesem Augenblick Leute der Brigade zur Hand?«

»Fünfzehn Hoheit in und um das Elysée!«

»So hören Sie. Ich habe zwei Aufträge!«

Der Corse beugte sich vor.

»Um 5 Uhr diesen Morgen wird Maupas den General Cavaignac und mehrere andere Deputirte durch Polizei-Commissare verhaften lassen. Den Beamten, welche den Oberst Charras verhaften, werden sich zwei Ihrer Leute anschließen. Der Oberst wird sich schwerlich in Gutem fügen. Was auch der Ausgang des Kampfes sein möge, müssen Ihre Agenten dabei Gelegenheit haben, das blaue Portefeuille, welches sich in dem Schreibtisch des Obersten, in dem verschlossenen zweiten Fach zur Rechten befindet, in ihre Hände zu bringen. Ich bemerke Ihnen noch, daß das Fach mit einem Schlüssel nicht zu öffnen ist, sondern nur mit Gewalt. Den einzigen passenden Schlüssel trägt der Oberst bei Tag und Nacht an einer Schnur auf der Brust.«

Der Chef der geheimen Leibwache verbeugte sich. »Euer Hoheit werden um 6 Uhr das Portefeuille in Händen haben.«

»Gut. Es wird die erste Probe sein. Sie kennen den Kriegsminister, General St. Arnaud?«

»Ja, Hoheit!«

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»Der General wird vielleicht in einer Stunde, vielleicht erst am Morgen das Palais verlassen. Sie werden zwei gewandte und zuverlässige Leute an seine Fersen hängen - ich muß um 8 Uhr den genauesten Rapport haben, wo er in dieser Nacht gewesen, was in seinem Hause vorgegangen ist. Verstehen Sie mich wohl, Sie haften mir dafür. Deshalb wende ich mich an Sie, nicht an Maupas.«

»Verlassen sich Euer Hoheit auf Ihre Corsen. Ich habe zwei so entschlossene und gewandte Schelme bei der Brigade, daß sie im Stande wären, Euer Hoheit innerste Gedanken aus dem Herzen zu stehlen.«

Der Prinz warf einen ziemlich schiefen Blick auf den Chef seiner neuen Sicherheitsgarde und sagte trocken: »Das möchte Ihnen in diesem Augenblick schwer werden. Jedenfalls dürfte es ziemlich gefährlich sein. Merken Sie sich das!«

Der Corse hatte verstanden, er trat zurück.

»Sie kennen jetzt meine Befehle - ich erwarte die Ausführung. Haben Sie die Gefälligkeit, Ihre Hand hier links auf den Kaminsims zu legen und das Couvert herunter zu nehmen, das sich dort befinden muß.«

Vieyra that wie ihm geheißen.

»Es sind 20,000 Franken darin, vertheilen Sie diese an Ihre Leute. - Noch Eins! - Ich werde morgen Mittag über die Boulevards reiten. Ich hoffe, daß man mich mit Zustimmung empfangen wird!«

»Euer Majestät,« sagte der Corse bezeichnend, »werden zufrieden sein.«

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Der Prinz machte ein Zeichen mit der Hand - der Chef der geheimen Sicherheitsgarde zog sich zurück.

Einige Zeit blieb der Präsident bewegungslos in derselben Stellung vor dem Kamin und stierte in die Gluth und auf die prasselnden Funken des brennenden Holzes. Sein Gesicht war finster und nachdenkend.

Plötzlich fuhr er empor und drückte auf den Knopf der Salonglocke, die auf dem Gueridon neben ihm stand.

Ohne umzuschauen wußte er, daß sein alter Kammerdiener eingetreten war.

»Den Herrn Kriegsminister!«

Die Thür schloß sich geräuschlos. Fünf Minuten später wurde sie mit dem gebührenden Lärmen geöffnet - der General Jacques Leroy de St. Arnaud trat mit festem klirrendem Tritt ein, sein Säbel rasselte sehr unhofmäßig auf dem Parquet.

Der General war zu der Zeit 51 Jahr, eine starke fleischige Gestalt. Trotz der etwas aufgeschwemmten Figur des Lebemanns und Gourmands konnte man unter dieser Hülle doch die straffen Muskeln des ehemaligen Fechtmeisters, des Soldaten von der Pike auf erkennen, dessen beste Mannesjahre in den Strapazen der afrikanischen Feldzüge vergangen waren. Obschon die Züge und schlaffen Wangen des Gesichts vom Wohlleben aufgeschwemmt und von galliger grauer Farbe waren, zeigten sie doch noch immer die martialische Entschlossenheit des keine Furcht, aber auch keine Rücksicht kennenden Condottieri.

»Guten Morgen Monsieur le Marchall!«

»Parbleu Hoheit, Sie machen sich lustig über mich.

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Sie sind noch nicht Kaiser und ich noch nicht Marschall von Frankreich.«

»Das Zweite kommt wahrscheinlich daher, weil das Erste noch nicht der Fall ist,« sagte der Prinz lächelnd. »Ich meine aber, daß man, um Sie zum Marschall zu machen, mein lieber Leroy, nicht grade schon Kaiser zu sein, sondern nur nicht auf Kündigung der verehrlichen Compagnie Cavaignac-Bedeau zeitweiser Präsident von Frankreich zu sein braucht!«

»Zum Henker Prinz - ich denke, die Geschichte ist abgemacht, daß Sie sich nicht wieder fortschicken lassen. Die Armee ist für Sie und im Ganzen das Volk auch. Wann soll die Sache losbrechen?«

»Bevor die Sonne aufgeht!«

»Ah - das ist ein Entschluß!«

»Die Herren Cavaignac, Lamoricière, Bedeau, Thiers &c. werden um 5 Uhr verhaftet sein, die Nationalversammlung wird sofort aufgelöst!«

»Glück auf den Weg, ich werde mit Vergnügen das Decret unterzeichnen. Nur fürchte ich, daß mein Kollege Thorigny nicht sehr bereit sein wird.«

»Morny ist bereits an seine Stelle getreten. Fould, Rouher, Magne, Turgot und Casabianca werden in das Ministerium treten.«

»Haben Sie auch bedacht, daß diese Verhaftung zu einem Aufstand führen kann?«

»Ich hoffe es!«

»Aber ganz Paris kann sich gegen Sie erheben?«

»Ich beabsichtige, ganz Paris und damit ganz Frankreich

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eine Lection zu geben, die ihnen verleiden soll, noch ein Mal Barrikaden zu bauen.«

»Die Idee ist nicht schlecht,« sagte der General. »Man muß ihnen Schrecken einjagen, die Soldaten müssen selbst den Gedanken haben, daß es gilt, dieser Bourgeoisie und dieser Canaille zu zeigen, die Armee lasse nicht mit sich spaßen.«

»Ganz Recht, Leroy, Ihr Rath ist vortrefflich!«

»Eine tüchtige Säuberung der Boulevards, beim ersten Widerstand Kartätschen. Es kann nicht schaden, wenn ein Hundert dieser Schelme erschossen werden.«

Der Prinz drehte sich nach ihm um. »Ich rechne auf Tausend,« sagte er kaltblütig.

»Ah - parbleu! Sie sagen das ziemlich ruhig. Das wäre ein nettes Gemetzel?«

»Je schärfer die Lection, desto nachhaltiger. Es geschieht leider Nichts in der Geschichte ohne den Kitt des Blutes.«

»Ja, aber haben Sie auch bedacht, Prinz, daß es uns an den Kragen gehen kann? wenn[Wenn] Paris sich auf die Seite der Assemblée stellt, dann ist es keine Rebellion mehr, dann ist es eine Revolution, und wenn wir geschlagen werden, wird man verdammt wenig Umstände mit uns machen.«

»Das ist Ihre Sache!«

»Was - die meine? Was wollen Sie damit sagen Prinz?«

»Daß Sie, der General Leroy de St. Arnaud es über sich nehmen werden, den Parisern die Lection zu

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geben, die ihnen verleidet, so lange ich, Louis Napoléon die Hand am Ruder des Staates habe, Revolution zu spielen!«

»Den Henker auch! das werde ich bleiben lassen. Ich bin ein pariser Kind und Ihr Minister, aber nicht Ihr Henker. Ich habe Sie zwar helfen zum Präsidenten machen, aber ich habe verdammt wenig davon gehabt. Drei neue Jahre unter der Sonne von Algerien, die einem die Leber aus dem Leibe dörrt!«

»So viel ich mich erinnere, sind Sie Kriegsminister!«

»Ja eben deshalb! ich hätte es schon vor drei Jahren sein müssen, wenn Dankbarkeit in der Welt existirte!« sagte der General brüsk. »Ueberdies ist so ein Portefeuille heute ein sehr unsicheres Ding, bei dessen Einkünften man verhungern kann!«

Der Präsident lachte. »Sein Sie offenherzig Leroy! Wie viel haben Sie wieder Schulden?«

»Schulden? Sie werden sie doch nicht bezahlen Prinz, denn Sie haben selber kein Geld!«

»Wer weiß! - Lassen Sie uns ein Wenig plaudern! Nehmen Sie den Sessel da!«

Der General machte ein mürrisches Gesicht, wie ein Bulldogg, den sein Herr zum Apportiren zwingen will, und blieb an dem bezeichneten Tabouret stehen.

Der Prinz sah auf die Uhr am Kamin. »Sie haben Unrecht, lieber Arnaud22 mir meine Armuth vorzuwerfen. In diesem Augenblick müssen sich bereits in den Zimmern

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nebenan fünfundzwanzig Millionen aus der Bank von Frankreich zu meiner Disposition befinden.«

Der General setzte sich.

»Außerdem,« fuhr der Prinz fort, »war ich auch bisher nicht ganz so mittellos, wie Sie zu denken scheinen. Sehen Sie dies Portefeuille?«

Der Minister warf einen schiefen Blick auf die nur mit einigen zusammen gefalteten Papieren gefüllte unansehnliche Brieftasche. Mit einem kundigen Auge hatte er gesehen, daß es keine Banknoten waren.

»Was soll's damit?« fragte er barsch.

»Ich wollte Ihnen bloß beweisen, daß ich manchmal nicht üble Geschäfte zu machen verstehe. In diesem Portefeuille befinden sich fünfzehn, zum Theil schon ziemlich lange prolongirte Wechsel im Betrage von einmalhundert und fünfundvierzigtausend Franken. Wünschen Sie vielleicht zu wissen, auf wen diese Wechsel lauten?«

»Oh,« sagte der General, der zu denken begann, der Prinz habe dennoch mit dem Ankauf ein sehr übles Geschäft gemacht, »ich versichere Eure Hoheit, ich bin gar nicht neugierig.«

»Auch nicht, wenn der Name des Herr Jacques Leroy de St. Arnaud quer geschrieben auf diesen Papieren steht?«

»Noch weit weniger,« sagte der alte Condottieri freundlich grinsend. »Ich kann mir keinen besseren Gläubiger wünschen, als Eure Hoheit. Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie meine kleinen Schulden zusammen gekauft haben.«

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»Sie werden also den Auftrag übernehmen, die militairischen Maßregeln zu leiten?«

»Sie haben mich mißverstanden, Hoheit. Das ist Sache des General Magnan, der die Division von Paris kommandirt, nicht die des Kriegsministers.«

»Magnan,« sagte der Prinz gelassen, »hat nicht das Zeug dazu, das wissen Sie recht gut. Er ist ein guter Soldat aber viel zu weich.«

»Den Henker auch,« sagte grob der General, als er keine Aussicht sah, einen weiteren Antheil an den 25 Millionen zu erhalten, als die Bezahlung seiner Schulden - »da soll ich also herhalten und allen Haß und Groll auf mich laden! Ich bedauere, Hoheit, ich werde als Minister Sie in jeder Weise unterstützen, aber das Arrangement der Füsilade schlägt nicht in mein Departement.«

»Sie lehnen also den Auftrag ab?«

Der General hatte sich erhoben. »Mit Ihrer Erlaubniß Hoheit, ja! ohne daß Sie deshalb an meiner Ergebenheit zweifeln dürfen! Ich kann in der That eine solche Blutschuld nicht auf mich laden - sie würde mein Gewissen drücken.«

»Was Ihr Gewissen betrifft, lieber Leroy,« sagte der Prinz trocken, »so scheint mir dies ziemlich weit. Die Niedermetzelung der beiden Duars am W. Djeddi spricht wenigstens dafür!«

»Hoheit - das waren nur Araber!«

»Wie man sagt dreihundert Frauen und Kinder darunter. Aber Sie haben Recht, die Sache könnte Sie unpopulär machen, und das ist für einen Minister

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wohl zu bedenken. Gute Nacht General und vergessen Sie nicht, um 9 Uhr das Conseil zur weitern Berathung unserer Schritte.«

Der General grüßte und schickte sich an, das Gemach zu verlassen.

Er legte bereits die Hand auf den Griff der Thür.

»Noch Eins General,« sagte der Prinz ohne sich umzudrehen. »Sie thun mir wohl den Gefallen und sagen Lefranc, meinem Kammerdiener, daß er Canrobert einführt!«

Der Minister ließ die erhobene Hand sinken und blieb an der Thür stehen. Es war bekannt, daß er die beiden Canroberts nicht ausstehen konnte. Die Inclination war übrigens gegenseitig.

»Wie Hoheit, den blinden Sicherheitscommissarius wollen Sie wählen?«

Der Prinz antwortete auf die Frage gar nicht. »Nehmen Sie übrigens die Versicherung mit sich, General, daß ich Ihre humanen Bedenken achte und Nichts deshalb in unserm persönlichen Verhältniß sich ändert. Ich bedauere aufrichtig, daß durch jene unangenehme Untersuchung die Armee einen Mann wie Sie verlieren wird! Was mich anbetrifft, so sollen mich die hundertfünfundvierzigtausend Franken, die ich für einen Freund ausgelegt, um ihn vor Clichy zu retten, niemals reuen!«

Der General war, wie von einem Scorpion gestochen, zusammen gefahren und hastig einen Schritt zurück getreten. Sein Säbel fiel rasselnd auf den Boden.

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»Was wollen Sie damit sagen, Prinz? welche Untersuchung?«

»O es ist Nichts - Sie werden sich hoffentlich rechtfertigen können. Ich darf nur als Oberhaupt des Staates die Sache nicht länger unterdrücken. Statt nach Clichy muß ich Sie, der öffentlichen Stimme wegen, nach Vincennes schicken, bis die Untersuchungs-Kommission die Sache an Ort und Stelle erledigt hat. Ich verspreche Ihnen, es soll so rasch wie möglich geschehen.«

Der General war mehrere Schritte näher getreten, sein an und für sich fahles Gesicht mit den hängenden Zügen hatte eine bleiartige Farbe angenommen, er fuhr mit dem Taschentuch zwei Mal über die Stirn. »Was meinen Sie eigentlich Hoheit?« frug er ziemlich kleinlaut.

»Bah - wie ich Ihnen sage - es ist Nichts! die Untersuchung ist nur der Ehre der Armee wegen nothwendig, Niemand wird zweifeln, daß es eine Intrigue und Verleumdung gegen Sie ist, obschon die Beweise - sie liegen hier in diesem Aktenconvolut,« er wies nach dem Tisch - »in der That merkwürdig vollständig gesammelt sind. - Beiläufig - es betrifft die beiden neuen Bataillone, für die Sie während Ihrer Verwaltung von Constantine ein Jahr lang Sold und Ausrüstung in die Tasche gesteckt haben sollen, ohne daß ein Mann anders existirte, als auf dem Papier.«

Es herrschte einige Minuten ein tiefes Schweigen in dem Gemach - der Prinz störte mit der Zange achtlos in den Kohlen des Kamins.

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Dann trat der General mit festem klirrendem Tritt bis dicht an seinen Lehnstuhl.

»Hoheit, ich habe mir die Sache überlegt. Was Canrobert kann, kann ich auch, und besser. Ich nehme das Kommando an und bürge Ihnen mit meinem Kopf für den Ausgang der Sache - aber so wahr ich Jacques Leroy St. Arnaud heiße, nur unter zwei Bedingungen.«

»Und diese sind?«

Der Minister wies stumm mit dem Finger auf das Actenconvolut.

Der Prinz nahm gleichfalls schweigend das Heft und warf es auf die Kohlen des Kamins, die sogleich hell empor loderten.

»So - nun die andere!«

»Daß Sie mir sofort, in dieser Stunde, von Ihrer eigenen Hand Vollmacht geben, vollständig nach meinem Belieben und Ermessen zu verfahren, sobald ein Aufstand ausbricht, - Vollmacht, selbst Paris plündern zu lassen, wie eine eroberte Stadt und es in Grund und Boden zu schießen, wenn ich es für nöthig halte!«

»Teufel - Sie verlangen nicht wenig!«

»Nur so kann ich unbedingt für den Ausgang bürgen und die Verantwortlichkeit auf mich laden. Entschließen Sie sich kurz, Sire! Auch wenn ein Duplikat jener Papiere, die da so lustig brennen, vorhanden sein sollte, so wissen Sie, daß eine Kugel leicht jedes Gericht um seine Mühe betrügen würde.«

Der Prinz war aufgestanden. »Geben Sie Papier

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und Feder her. Sie sollen die Vollmacht haben - ich vertraue Ihnen ganz.«

Er setzte sich an den Tisch und schrieb das berüchtigte Dokument, das die Hauptstadt von Frankreich in die Hände eines herzlosen Schlächters lieferte und für jede Blutthat desselben die Verantwortung übernahm.

Der Prinz las das Dokument langsam durch und übergab es dann seinem Vertrauten. So ungern er es thun mochte, so wußte er doch, da er nach der Constitution nicht selbst kommandiren durfte, daß der Mann vor ihm der Einzige war, der rücksichtslos die Schmach auf sich laden würde, eine neue Auflage der Bartholomäusnacht geleitet zu haben.

Der Kriegsminister las gleichfalls die entsetzliche Vollmacht und steckte sie sorgfältig zu sich. Er kannte seinen Herrn und wußte, daß nur deren Besitz ihn künftig schützen werde.

»Nun Hoheit,« sagte er - »wenn es Ihnen gefällig ist, lassen Sie uns plaudern.«

Der Prinz wies auf den Sessel, den er vorhin eingenommen, - der General setzte sich.

»Sie haben zu Ihrer Disposition die Division Carrelet, das sind fünf Brigaden. Morgen Vormittag werden noch Guiden und Artillerie aus Metz eintreffen. Ich glaube, daß dies genügen wird. Ueberdies sind sämmtliche Eisenbahnen und die Präfecten der nächsten Departements angewiesen, Transportmittel bereit zu halten.«

Der General rechnete an den Fingern. »Fünf Brigaden, - etwa hunderttausend Mann. Der Mann zwei

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bis drei Frankenthaler - macht netto anderhalb Millionen! Für die Offiziere und Unteroffiziere Gold - durchschnittlich 500 Francs - würde 2 Millionen machen; - einigen der Generale geht es leider wie mir - sie haben Schulden!«

»Rechnen Sie fünfmalhunderttausend Franken,« sagte der Prinz.

»Das wären drei eine halbe Million. Dazu drei oder vier Tage für die Garnison Wein und freie Zehrung - 1,200,000 Franken - die sonstigen Kosten 100,000 Franken - es bleiben Ihnen also von den fünf Millionen, die Sie der Spaß hier in Paris kosten wird, noch zweimalhunderttausend Francs.«

Der Prinz ging zu dem Tisch und schrieb einige Zeilen, die er dem General übergab. Dieser las sie und steckte sie sorgfältig zu dem andern Papier. »Gut,« sagte er - »ich danke! Wenn Sie rechnen, daß Sie das andere Frankreich eben so viel kostet, machen Euer Hoheit immer noch ein verteufelt gutes Geschäft.«

Der Präsident antwortete nicht - er hatte einen Plan von Paris in die Hand genommen und betrachtete denselben.

»Jetzt,« sagte der General, »bürge ich Ihnen für Alles, nur zeigen Sie keine Schwäche. Es fehlt jetzt zum Gelingen nur noch Eins - aber die Hauptsache!«

»Was?«

»Der Aufstand!«

»Sie sollen ihn haben! - Ich rathe Ihnen jedoch, Ihre Truppen nicht unnütz zu ermüden, denn es ist möglich, daß Sie einen oder zwei Tage warten müssen.«

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»Bah - ich bin ein alter Fuchs und werde die Herren Montagnards nicht hindern, in aller Ruhe ihre Barrikaden zu bauen. Paris muß erst die rothe Fahne sehen. Und nun Hoheit, entschuldigen Sie mich, denn ich habe noch verzweifelt viel zu thun!«

Er war aufgestanden und machte sich zum Gehen bereit. »Wo find' ich das Geld?«

Der Prinz wies nach der Nebenthür - er begleitete den General dahin.

»Apropos General,« sagte er, ehe er die Portiere hob - »ich empfehle Ihnen an dem betreffenden Tage das Café Tortoni!« -


Um 8 Uhr erschien der Polizei-Präfekt Maupas im Elysée, um über den Ausgang der ersten Maßregeln zu berichten.

Zwischen 5 und 6 Uhr Morgens hatten die Truppen militairischen Besitz von Paris genommen. Die Ordres waren um 3 Uhr in den Kasernen eingetroffen, die Thore derselben sofort gesperrt worden, Niemand durfte sie verlassen, während die Truppen sich schlagfertig machten. - Die Nachricht, daß die Nationalversammlung, von der Bürgerschaft unterstützt, den Präsidenten Louis Napoléon absetzen und nach Vincennes bringen und die Republik unter Wiederberufung der Bourbons auflösen wolle, daß die Armee unter den Befehl der Civil-Quästoren gestellt werden sollte, und daß die Rothen einen Mordanschlag auf den Prinzen ausgeführt hätten, der nur durch einen glücklichen Zufall vereitelt worden, war unter ihnen verbreitet.

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Zwischen 7 und 8 Uhr rückten die Abtheilungen, auf welche man das größte Vertrauen setzte, nach dem Platz und der Brücke de la Concorde, und die afrikanischen Jäger besetzten das ehemalige Palais Bourbon, den Sitz der Nationalversammlung.

Zwischen 3 und 5 Uhr waren die Generale und Repräsentanten Cavaignac, Lamoricière, Changarnier, Bedeau und Oberst Gharras, so wie die Herren Thiers, Blaze, Miol, Nadeau, Lefló und Valentin durch Polizeicommissare verhaftet und nach Vincennes gebracht worden. Düvin, der Präsident der Nationalversammlung, wurde in seinem Hôtel in der Straße du Bac bewacht. Das Hôtel de Ville und alle öffentlichen Gebäude waren mit Truppen besetzt, stündlich rückten neue Regimenter ein.

Der Bericht des Polizei-Präfekten lautete, daß Cavaignac ohne Widerstand verhaftet worden war, Lamoricière desgleichen; aber ein Mann, der sich bei ihm befand, hatte sich mit einem kühnen Sprung durch das Fenster gerettet. General Changarnier hatte vergeblich versucht, das Militair anzureden, General Bedeau leistete energischen Widerstand, verwundete mehrere Soldaten und mußte gebunden und geknebelt werden, Oberst Charras tödtete den Soldaten, der zuerst Hand an ihn legte, auf der Stelle und wurde erst nach schwerer Verwundung übermannt.

Die geheime Sicherheitsgarde hatte ihren ersten Auftrag erfüllt, - eine Stunde nach der Verhaftung des tapfern Obersten befand sich das bezeichnete Portefeuille in den Händen des Präsidenten.

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Es enthielt die Correspondenz und die geheimen Papiere der Verbindungen unter der Armee von Algerien.

St. Arnaud hatte in der Nacht einen Boten in's Geheim nach England gesandt!

Um 8 Uhr ließ die Polizei an alle Ecken von Paris die Decrete des Präsidenten anschlagen.

Das erste verfügte in 5 Artikeln die Auflösung der Nationalversammlung, die Wiederherstellung des allgemeinen Stimmrechts ohne listenweises Scrutinium und Abschaffung des Gesetzes vom 31. Mai, Berufung zur Wahl vom 14. bis 21., den Belagerungszustand im Umfang des 1. Militärbezirks und Auflösung des Staatsraths.

Ein zweites Decret gab das Pantheon dem katholischen Cultus zurück.

Eine Berufung an das Volk kündigte die Grundzüge der neuen Verfassung an: Präsidentur auf 10 Jahre, Minister allein von der Executivgewalt abhängend, ein Staatsrath, eine gesetzgebende Versammlung durch das allgemeine Stimmrecht, und eine erste Kammer der Notabilitäten.

Eine Proclamation an die Armee forderte diese zum Kampf gegen die Rothen auf und mahnte an die Erinnerungen des Namens Bonaparte.

Das Volk war in großer Bewegung, ungeheure Menschenmassen füllten die Plätze und Boulevards, im Allgemeinen aber zeigte sich die Stimmung dem Staatsstreich günstig und man hörte häufig: C'est bien fait! ja in den Reihen des Militairs wurde häufig der Ruf laut: Mais pourquoi diable ne se fait il pas enco[i]re Emperor!

Bei der ersten Nachricht von den militairischen

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Maßregeln zur Verhinderung des gesetzlichen Zusammentritts der Nationalversammlung versammelte sich eine Anzahl Repräsentanten; der sogenannten Ordnungspartei angehörig, bei Odilon Barrot, Remusat, Passy, Dufaure, der Herzog von Broglie, die Secretaire des Bureaus unterzeichneten einen ersten Protest gegen den Staatsstreich und die Decrete. Dann trennten sich die Mitglieder, um ihre Freunde bei dem Vizepräsidenten Daru zu versammeln.

Die Versammlung bei Daru war eine sehr zahlreiche, über 150 Mitglieder waren anwesend. Sie beschlossen, sich sämmtlich nach dem Palast der Nationalversammlung zu begeben, um den Widerstand, den ihr Zusammentritt erfahren würde, zu konstatiren.

Dieser Zug von Männern, von denen die meisten der Bevölkerung sehr wohl bekannt waren, erreichte, angeführt von den Mitgliedern des Bureaus, nachdem man die wenigen Straßen passirt, welche Daru's Haus von dem Palast der Nationalversammlung trennen, den gewöhnlichen Eingang, ohne daß sich eine Bewegung unter dem versammelten Volk zu ihren Gunsten bemerklich gemacht hätte. Das parlamentarische Regiment war damit verurtheilt. Im Gegentheil wurde vielfach der Ruf gehört: Vive le Président! Vive Louis Napoléon! Die afrikanischen Jäger begrüßten sie bei ihrer Ankunft mit wildem Gebrüll und brutalen Beschimpfungen.

Die Abgeordneten bestanden darauf, in den Sitzungssaal eingelassen zu werden, der unter Aufsicht eines Polizei-Commissars von Arbeitern längst demolirt worden war, und als einige sogar versuchten, sich mit Gewalt den

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Eingang zu erzwingen, entstand ein Handgemenge, in welchem die Jäger von den Bayonneten und Kolben ihrer Gewehre Gebrauch machten und einige Repräsentanten, darunter Etienne und Chigarey, verwundeten.

So durch Waffengewalt zurückgetrieben, wandten sie sich nach der Manie des 10. Arrondissements in der Grenelle-Straße, um ein amtliches Protokoll aufzunehmen. Dieses wurde von dem Büreau der Versammlung unterzeichnet so wie von allen anderen Mitgliedern, darunter Graf Molé, der Herzog von Broglie, Dufaure, Passy, Odilon Barrot u. A.

Es wurde hierauf eine förmliche Sitzung gehalten und beschlossen, eine Proclamation an das Volk und die Armee zu richten, und durch ein Decret den Präsidenten seiner Function zu entsetzen. Dies Decret, gezeichnet von Benoist d'Azy, Präsident, Vitet, Vice-Präsident, Chapot und Mailén, Secretairen, wurde rasch in einer Druckerei der Orleanisten vervielfältigt und noch am Abend in allen Häusern vertheilt und an den Ecken angeschlagen.

Als der Beschluß gefaßt worden, erschienen Vatesmenil und Berryer am Fenster und erklärten das Wahlgesetz vom 30. Mai abgeschafft, die Absetzung des Präsidenten, die Ernennung des General Oudinot zum Kommandanten der Truppen der Nationalversammlung und des Montagnard Tamisier zum Stabschef.

Die Menge antwortete mit dem Ruf: Vive la République! Vive le Président! Von der Nationalversammlung wollte Niemand Etwas wissen!

Alsdann erschien ein Bataillon und besetzte das Haus. Der Kommandant betrat den Sitzungssaal und

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erklärte die Verhaftung der Anwesenden. Die »Vertreter des Volks«, darunter Männer von europäischem Ruf wie Oudinot, Montebello, Odilon Barrot, der Herzog von Broglie, Dufaure u.s.w. wurden ohne Weiteres beim Kragen genommen und zwischen zwei Reihen Soldaten zuerst nach der Kaserne d'Orsay transportirt, von wo sie in kleineren Abtheilungen nach dem Fort Mont Valérien und dem Mazasgefängniß gebracht wurden.

Auch der parlamentarische Verein der Universitätsstraße, die Fusionisten, wurde durch Militair auseinander gesprengt.

Während die Volksrepräsentanten in der Mairie des 10. Arrondissements jene Sitzung hielten, traten die neun Mitglieder des Cassationshofes, welche nach den Bestimmungen der Constitution den obersten Gerichtshof bilden, zusammen, um den Präsidenten abzusetzen. Das Dokument wurde zwar vollzogen, aber der Gerichtshof durch ein Decret des Justizministers vertagt und durch Militair aufgelöst.

Gegen halb eilf Uhr verließ Louis Napoléon in Begleitung seines Oheims, des Exkönigs von Westphalen und eines zahlreichen Stabes zu Pferde das Elysée. Im Faubourg St. Honoré wurde er vom Volk und den Truppen jubelnd begrüßt; von da begab er sich nach dem Concordienplatz, wo die à l'ordre de bataille aufgestellten Regimenter ihn mit einem schallenden Vive Napoléon! empfingen. Im Tuilleriengarten war der Generalstab der pariser Armee aufgestellt; der Prinz begab sich über den Pont Royal auf das linke Seineufer. Nachmittags durchritt er die Quais und musterte um 4 Uhr die Kavalerie-Division,

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die in den elysäischen Feldern stand. Ueberall wurde er mit Enthusiasmus aufgenommen.

Im Laufe des Tages hatten sich bereits an 200 Mitglieder der aufgelösten Nationalversammlung zu seiner Verfügung gestellt, darunter die Herren von Beaumont, von Rancé, Ferdin. Barrot, Lucien Mürat, die Generale Grammont, Hautpoult, Vast-Vineux und Baraguay d'Hilliers, Oberst Laborde, die Prinzen Anton und Peter Bonaparte, Ney de la Moscova, August Girard und Andere. Von den Journalen durften nur zwei - die »Patrie« und der »Constitutionell« - ohne Censur erscheinen, acht wurden suspendirt.

Auf Befehl des Polizei-Präfekten mußten sämmtliche Theater am Abend geöffnet sein - das Theater Italien war sogar von einem eleganten Publikum gefüllt, um das Debüt des Tenoristen Guasco in »Ernani« zu hören; - aber die Foyers waren diesmal nicht in den Theatern, sondern auf den Boulevards.

Die Straßen waren mit hin und her wogenden Menschenmassen gefüllt, auf den großen Plätzen bivouacquirten die Truppen und zündeten ihre Feuer an. Lebensmittel waren seit dem Morgen im Ueberfluß vorhanden und die Stimmung der Soldaten eine sehr muntere.

Obschon ein dumpfes Gerücht am Abend durch die Menge ging von bevorstehenden Unruhen war die Haltung dieser Massen doch gleichgültig und sie wogten ruhig über die Boulevards, nur zuweilen durch hin- und herziehende Truppen unterbrochen.

Um Mitternacht wurden die Soldaten nach ihren

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Kasernen zurückgezogen, um sie nicht durch einen unnöthigen Nachtdienst zu ermüden. Nur die öffentlichen Gebäude blieben besetzt und einzelne Patrouillen durchzogen die Straßen.

Paris war ruhig.

Aber diese Ruhe, diese schweigende Zustimmung zu den Ereignissen des Tages paßte zwei Factoren nicht: Dem, der den Staatsstreich für sich gemacht, und seinen wahren Gegnern, den Rothen.

Die Montagnards hatten sich von dem lächerlichen Versuche der Burggrafenpartei, den Zug des Herrn von Unruh in Berlin nach dem verschlossenen Schauspielhause nachzuahmen, fern gehalten.

Sie versammelten sich am Abend bei dem Repräsentanten Lafont, Quai Jemmappes No. 2. Hier wurde in der Nacht ein permanenter Widerstandsausschuß ernannt, der die Erhebung centralisiren und den Kampf leiten sollte.

Er bestand aus den Abgeordneten Carnot, de Flotte, Jules Favre, Madier de Montjau, Michel (de Bourges), Schölcher und Victor Hugo.

Man verwandte die Nacht, um den demagogischen Sectionen den Befehl zu ertheilen, sich am Morgen um 7 Uhr in dem Faubourg St. Antoine zu versammeln; aber die »frères et amis« folgten nur spärlich dem Befehl.

Der Mittwoch hatte trübe und düster begonnen, ein feiner Regen, der gefährlichste Feind aller Volkserhebungen, hielt die Straßen leer. Während der ersten Stunden des Vormittags waren die Vorstädte ruhig und die Läden und Banken wie gewöhnlich geöffnet. Die Weinstuben füllten

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sich jedoch allmälig, an den Thüren der Kaffeehäuser in den vornehmern Quartieren sammelten sich Gruppen, während im Innern ruhig die Dominosteine klapperten.

Während der Nacht hatte der Widerstandsausschuß an verschiedenen Stellen einen roth oder schwarz geschriebenen Aufruf zu den Waffen angeschlagen, ein flüchtig in Form einer Zeitungskolumne gefertigter Abdruck des Decrets, das die verhafteten Abgeordneten in der Mairie beschlossen hatten, wurden vertheilt und gleichfalls angeheftet, aber die Stadtsergeanten rissen sofort die Plakate wieder ab.

Jetzt machten die Mitglieder der Bergpartei persönliche Anstrengungen, das Volk aufzuregen. Männer mit Schießgewehren und Dolchen bewaffnet mischten sich unter die Menge der Boulevards; die Aufforderungen, zu den Waffen zu greifen, unterzeichnet von Michel de Bourges, Madier, Emanuel Arago, Schölcher, Baudin, de Flotte und andern Mitgliedern der Bergpartei wurden auf's Neue angeschlagen, und verschiedene Personen versuchten längs der Boulevards St. Martin, St. Denis, Bonne-Nouvelle und Montmartre durch ihre Reden und lautes Vorlesen des Absetzungsdecrets die Aufregung zu steigern.

Um Mittag verließen endlich drei oder vier bewaffnete Banden den Faubourg St. Antoine und die Rue du Temple, an ihrer Spitze mehrere Exrepräsentanten, und versuchten an verschiedenen Stellen Barrikaden zu errichten.

Der Haufen, welchen der Exrepräsentant Baudin führte, begann eine Barrikade an der Ecke der Rue St. Marguerite zu bilden und begrüßte ein anrückendes

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Linienbataillon mit einem Schuß. Die Truppen erwiderten das Feuer energisch und der Kommandant der Barrikade Baudin stürzte, von einer Kugel durch den Kopf getroffen, todt nieder.

Auf einer anderen Barrikade auf dem Boulevard Beaumarchais, ward Madier de Montjau erschossen, auch Schölcher im Handgemenge mit den Truppen verwundet. Die Absicht der Aufrührer, das Gefängniß Mazas anzugreifen und eine Demonstration auf dem Platz der Medizinschule zu versuchen ward vereitelt. Gegen 4 Uhr war der ganze Theil der Boulevards vom Château d'Eau bis zur Bastille geräumt und von Kürassier-, Jäger- und Linienregimentern besetzt. Die Brigade des Generals Marullaz stand mit 12 Stück Geschützen auf dem Bastille-Platz; die Eckhäuser der Straßen, von welchen aus in den Junitagen 1848 die Insurgenten sieben Generale und den Erzbischof von Paris erschossen hatten, wurden vom Keller bis zum Dach militairisch besetzt; - drei Bombenmörser waren schußfertig gegen den Faubourg St. Antoine gerichtet. Angesichts dieser energischen militairischen Maßregeln zogen sich die Aufrührer in das Innere der Faubourgs zurück, wurden aber auch hier durch die Brigade des Generals Burtiges vertrieben. Um 5 Uhr ließ General Magnan durch das 9. Jägerbataillon und ein Bataillon mobiler Gensdarmerie ohne Mühe die in der Rue Rambuteau und Vieilles Audriettes errichteten Barrikaden zerstören. General Leydet, Exrepräsentant der Bergpartei, ward verhaftet. Eine Proclamation des Kriegsministers an die Einwohner von Paris verkündete, daß Jeder, der

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mit den Waffen in der Hand sich verhaften ließe, erschossen werden würde.

Paris war ruhig!

Aber diese Ruhe war bereits eine andere. Die Truppen, durch die Plänkeleien des Tages gereizt, zeigten eine erbitterte Stimmung, die durch die reichlich vertheilten Getränke noch erhöht wurde; - in düsterm Schweigen ließen die Massen die Reiterregimenter und die Bataillone, welche, die Tirailleurs kriegsmäßig voran, die Boulevards passirten, an sich vorüber ziehen.

Während des Tages hatte man, auch unter den Kämpfenden, nur wenige Arbeiter bemerkt; die Nationalgarde war nicht einmal allarmirt worden, es war demnach bloß ein Scharmützel zwischen den Truppen und Anhängern des Berges gewesen; - das Volk hatte gefehlt - aber grade das Volk bedürfte einer furchtbareren Lehre, als dieses leichten Sieges, - es mußte eine gewaltigere Schranke zwischen den Waffen des künftigen Kaiserthrons und den Revolutionsgelüsten des pariser Bourgeois aufgerichtet werden, als ein Paar fliegende Barrikaden!

Wir haben bereits erwähnt, daß der Tag - Mittwoch der 3. - trüb und regnerisch gewesen war.

Um 7 Uhr Abends fand sich ein alter Invalide am Eingang des Elysée ein und verlangte, zum General Roguet geführt zu werden, zu dem er befohlen worden sei.

Man meldete es dem General und dieser ließ sogleich den Invaliden zu sich rufen.

Es war Vater Touron, er hatte seinen besten Invalidenrock angezogen und trug auf der Brust das Kreuz.

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»Einen Augenblick mein Alter,« sagte der General, als der Leiermann, mit dem gesunden Arm salutirend, kerzengrade an der Thür stehen blieb. »Seine Kaiserliche Hoheit selbst will Dich sprechen, aber er ist in diesem Augenblick noch beschäftigt. Setze Dich!«

»Pierre Fromentin, General, hat die alte Gewohnheit noch nicht vergessen, Posten zu stehen!«

»Mach's wie Du willst, Kamerad. Du wirst nicht lange zu warten brauchen! - Da höre ich bereits den Obersten!«

Der Haciendero trat mit seinem festen, auf diesem Parket wiederhallenden Schritt durch eine Seitenthür in das Gemach. »Der Prinz läßt Sie fragen General, ob die Person, die er zu sprechen gewünscht, sich gemeldet hat?«

Der alte Adjutant wies auf den Invaliden, der Marquis warf einen flüchtigen Blick auf ihn. »Ah - ein alter Soldat - in welcher Truppe hast Du gedient mein Alter?«

»In der Garde-Artillerie, mein Kapitain!«

»Das ist ein kleiner Irrthum, mein Lieber; der Kaiser hat noch Zeit gehabt, mich zum Obersten zu machen!«

»Dann hat er nur gethan, was Kapitain Fourichon de Massaignac wohl verdient hat!«

»Pardioux! Kamerad - Du kennst mich?«

»Ich war in Rußland!«

Der Marquis war dem Invaliden näher getreten, er betrachtete ihn aufmerksam, eine dunkle Erinnerung schien in ihm wach zu werden. Der Leiermann erwiederte fest seinen Blick.

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»Caramba! - ich glaube gar - warst Du an der Moskwa?«

»Zu Befehl Oberst!«

»Der Sergeant von der Artillerie, der sich vor den Kaiser warf, als in der Batterie die Granate dicht vor ihm platzte?«

Der alte Soldat legte mit stolzem Lächeln die gesunde Hand auf das Kreuz an seiner Brust. »Hier drunter Colonel, ist die Narbe; das Blech des Bandeliers rettete mich! Aber wir kennen uns von einer andern Gelegenheit!«

»Von welcher? ich glaubte, daß Du mich damals gesehen, weil ich einige Minuten vorher mit einer Meldung von Ney gekommen war!«

»Nein Colonel - suchen Sie später!«

»Es ist möglich daß wir uns wieder gesehen - aber der Krieg war lang und der Gelegenheiten waren so viele. Hilf mir ein Wenig mein Braver auf die Spur!«

»Sie wollen es Colonel?«

»Ich bitte Dich darum!«

Der Invalide legte bescheiden seine Kappe auf den nächsten Sessel, öffnete seinen Rock und zog mit seiner einen Hand eine alte schmutzige Brieftasche aus der inneren Tasche.

»Erlauben Sie General?« er sah nach dem nächsten Tisch; General Roguet winkte freundlich, der Leiermann legte die alte Brieftasche auf die kostbare Mosaikplatte und kramte eine Weile darin umher. Sie enthielt mehrere alte Papiere, wahrscheinlich seine Atteste und Dienstzeugnisse.

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Endlich hatte er in einer Seitentasche gefunden, was er suchte, es war ein altes halb zerrissenes und verwischtes Briefcouvert - ganz vergilbt - kaum noch erkennbar.

Er reichte es dem Obersten, ein Schimmer von Stolz und Vergnügen zuckte bei der alten Erinnerung über seine verwitterten durchfurchten Züge.

Der Oberst betrachtete das Couvert einige Augenblicke, es war an seinen Namen adressirt, die Hand seiner Mutter - er suchte seine Erinnerungen zu sammeln.

»An der Beresma?« rief er plötzlich.

Der Invalide nickte!

Der Millionair sprang auf ihn zu und drückte den Einarmigen mit seinem eigenen einen Arm kräftig an seine Brust - eine Thräne perlte in seinen grauen Wimpern.

Der alte General stand daneben, - es war ein rührender Anblick, die drei Greise, die drei Ruinen aus einer gewaltigen Zeit hier im Palast des todten Kaisers, in der Stunde des Aufgangs eines neuen schicksalsschweren Gestirns vereinigt zu sehen.

Der Haciendero wandte sich gegen den General, noch immer seine Hand auf der Schulter des alten Invaliden. »Gott ist gnädig,« sagte er mit tiefer Bewegung, »daß er mir gestattet, in meinen alten Tagen auch für diese zweite Schuld mich dankbar zu zeigen. Dieser Mann zog mich, als die Brücke unter unseren Füßen zusammenbrach und wir in die Eisschollen stürzten, mit Gefahr seines Lebens aus der tödtenden Fluth und schleppte mich an's Ufer. Ich wußte damals nicht ein Mal, daß es derselbe Brave war, der wenige Wochen vorher den Kaiser gerettet, denn

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eis- und schmutzbedeckt, von Blut und Pulver geschwärzt, wer kannte damals selbst den besten Freund?! Mein einziger Dank in dem Gewühl der sterbenden Tausende, in jener furchtbaren Stunde war, daß ich ihm dies Couvert gab mit der Bitte, mich aufzusuchen, wenn der Himmel uns Beide erhalten sollte; - aber ich wartete vergeblich während der Feldzüge in Deutschland und Frankreich darauf - Niemand meldete sich und ich mußte meinen wackern Retter gleich so vielen Tausenden erstarrt unter den Schneefeldern Rußlands glauben!«

»Was wollen Sie, Colonel,« sagte bescheiden der Invalide, »es war nicht mehr, als jeder brave Soldat dem andern schuldig ist. Sie hätten dasselbe für mich gethan!«

»Pardioux! das hätte ich, aber da es nicht geschehen, so müssen wir etwas Anderes suchen. Ich denke, daß wir Beide uns nicht mehr verlassen sollen. Was treibst Du mein Braver, hast Du Familie?«

»Zwei Söhne Colonel,« sagte der Alte finster. »Der eine war mein Stolz, wenigstens gestern noch - der andere ist ein wenig wild, aber sonst ein braver Bursche! Was mich anbetrifft, so kann ich nichts Anderes thun mehr für den kaiserlichen Adler, als daß ich den Bürgern von Paris seine Märsche und Lieder vorleiere!«

»Ist es möglich, man hat für einen braven Soldaten wie Du Nichts weiter gethan?«

»Ich hab' es selbst gewählt, Oberst, statt des Invaliden-Hôtels. Der Marschall, den sie morgen begraben, mag wohl undankbar gegen den Kaiser gewesen sein, aber

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er hatte doch ein Herz für die alten Soldaten behalten. Darum lasse ich ihn nicht schmähen in meiner Gegenwart.«

Der Oberst hatte fragend auf General Roguet gesehen; dieser nickte. »Er steht an der Concordienbrücke und ist dem Prinzen wohl bekannt, er will ihn in diesem Augenblick sprechen und wir dürfen ihn nicht warten lassen.«

»Wo wohnst Du, Kamerad?«

»In der Rue des Catacombes, am Boulevard St. Jacques. Ich bin nicht so arm Colonel, denn ich habe mein eigen Häuschen, klein und schlecht genug, aber es ist doch mein Eigenthum und ich danke es meiner Frau seelig!«

»Wir werden uns wiedersehen, hier meine Hand darauf, ich werde Dich aufsuchen, da oder dort! Und nun Kamerad einstweilen Adieu, denn ich sehe, daß General Roguet ungeduldig wird!«

Der Invalide salutirte. »Leben Sie wohl mein Oberst!«

Dann folgte er dem Adjutanten.

Dieser führte ihn in's Kabinet des Präsidenten, der eifrig über einem Plan von Paris beschäftigt war.

»Hier ist der Mann, Hoheit!«

»Ah Papa Touron! Lassen Sie uns allein Roguet - und was Sie auch hören oder sehen mögen, keinen Widerspruch!«

Der General trat ab.

»Was machst Du, mein Alter?« sagte der Prinz freundlich, »wir haben uns lange nicht gesehen!«

»Euer Majestät nehmen, seit Sie im Elysée wohnen, nicht den früheren Weg,« meinte der alte Soldat, »aber es

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thut Nichts, ich weiß schon die Gelegenheit zu finden, Sie zu sehen, und habe heute wahrlich auf dem Quai nicht gefehlt, und das Herz hat dem alten Pierre im Leibe gelacht, daß Sie endlich mit den Schwätzern Kehraus gemacht und gezeigt haben, wie ein Bonaparte nicht mit sich spaßen läßt. Bomben und Kartätschen Sire, ich habe wacker mitgeschrieen mit Ihren Regimentern: Vive Napoléon!

»Ich danke Dir Alter - es thut mir nur leid, daß nicht alle Glieder Deiner Familie so denken!«

Der alte Invalide blickte finster zu Boden. »Sie meinen den Hector Sire! - es ist mir Kummer und Schmerz genug! Er war mein Stolz bisher Sire - aber daß er seinen Dienst verlassen, das ist mein Ende! Gott weiß es - ich habe ihn, wie den Jacques, seinen Bruder, von Jugend auf in den Erinnerungen der Gloire und in Liebe für den Namen Bonaparte erzogen, und ich weiß, im Innern seines Herzens ist er ein so guter Bonapartist wie nur Einer. Aber sie haben ihn drüben in Afrika verdorben und er redet wie ein Advokat von der Konstitution und daß er dieser geschworen habe und seinen Eid halten müsse. Pesth! als ob der Kaiser nicht über alle Konstitutionen zu befehlen hätte!«

»Ich bedauere, daß Kapitain Fromentin anders denkt. Er war ein braver Offizier und ich hatte es gut vor mit ihm, wenn er sich mir angeschlossen hätte!«

Der Alte zuckte die Achseln. »Er hat den eisernen Kopf seiner Mutter und ist nicht davon abzubringen, wenn er Etwas für Recht hält! Aber wissen Sie Sire, nehmen

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Sie meinen zweiten, für den Tollkopf stehe ich, er frägt den Henker nach Madame Konstitution und überdies sind Sie, wenn er jetzt in die Armee tritt, der Kaiser!«

»Noch nicht Alter, noch nicht! vielleicht sollst Du helfen dazu. Du hast vor drei Jahren Deine Sache mit Deinen Kollegen, den Orgeldrehern, so vortrefflich arrangirt, daß ich mich wieder an Dich wende. Höre mich genau und aufmerksam an.«

»Ich höre Sire!«

»Wenn Du es denn nicht anders thust, meinetwegen, aber nimm Dich in Acht, es vor unnützen Ohren zu sagen! Du wohnst in der Gegend der Steinbrüche?«

»An der Barrière d'Enfer Sire am Ausgang der Katakomben, seit fünfunddreißig Jahren. Aber die Steinbrüche dort werden nicht mehr bebaut, Sire, man hat sich nach Ivry und Grenelle gewandt!«

»Dann wirst Du doch die Gesellschaft, die in ihnen haust, kennen?«

»Gott sei's geklagt, Hoheit, es ist der Abschaum von Paris, Mörder und Räuber, die für fünf Franken ein Menschenleben abschlachten würden, wie ein Huhn. Leider ist auch mancher ehrliche Bursche darunter, den das Gesetz aus der bürgerlichen Gesellschaft vertrieben, und der ein besseres Schicksal verdient hätte!«

»Ich weiß davon, selbst die Polizei wagt sich nicht in diese Höhlen. - Hast Du von einem gewissen Tête-Renard gehört?«

»Sapristi Sire, wer sollte den Tête-Renard nicht kennen, wenn man an den südlichen Barrieren wohnt! Es

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ist der schlimmste Schurke in allen zwölf Arrondissements und der Banlieu - ein Kerl, den der Hauch eines Mannes umblasen könnte und doch der unbeschränkte Herr der wildesten Todtschläger aus den ganzen Brüchen.«

»So kennst Du ihn und weißt, wo er zu treffen ist?«

»Ich nicht, Sire - ich hab ihn ein einzig Mal gesehn! aber« ...

Er unterbrach sich selbst.

»Was wolltest Du sagen, sprich, ich befehle es Dir! Die Sache ist wichtiger, als Du denkst!«

»Ich wollte sagen, daß mein Nachbar Samson, der Fossoyeur, ihn leider kennen und mit ihm verkehren soll. Der unheimliche Narr geht mit schlimmen Gesellen um; wäre das arme Ding, seine Tochter nicht, ich redete längst kein Wort mehr mit ihm, obschon ich sein Gevatter bin!«

»Samson? war das nicht der Mensch, den ich damals bei Dir an dem Ponte de la Concorde sah und der Veron so erschreckte?«

»Ganz recht, Hoheit - er ist ein Wächter aus den Katakomben, aber halbverrückt da drunten geworden. Wer so immer mit den Todten umgeht, der kriegt seine Schrullen, es ist nicht zu verwundern!«

»Also Samson, der Katakombenaufseher, weiß den Tête-Renard zu finden?«

»Ich fürchte es - er soll oft nach den Steinbrüchen gehn!«

»Wohlan - Du sollst mich zu Deinem Nachbar führen - er muß mir eine Unterredung mit Tête-Renard verschaffen, noch diesen Abend!«

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Der alte Invalide blickte ihn mit unverstohlenem Entsetzen an.

»Sapristi Sire - Sie denken doch wohl nicht im Ernst daran, nach den Steinbrüchen zu gehn?«

»Wenn es sein muß, allerdings!«

»Es kann Ihr Ernst nicht sein, Hoheit! Was hat der künftige Kaiser von Frankreich mit einem Burschen wie der Fossoyeur oder gar mit dem Anführer der Räuber und Mörder zu schaffen!«

Der Präsident legte die Hand auf die Schulter des Invaliden. »Die Stunden sind kostbar, mein Freund,« sagte er, »und ich kann mit Dir nicht über Nothwendigkeiten der Politik streiten, die Du nicht verstehst. Genug - es ist nöthig. Als alter Soldat wirst Du wissen, daß der Feldherr in manchen Fällen gegen den Feind Mittel anwenden muß, die er sonst im offnen Sonnenlicht verschmähen würde!«

»Ich verstehe, Hoheit, die Spione und die Hinterhalte!«

»Also willst Du mir helfen und mich begleiten?«

»Soll ich nicht lieber den Fossoyeur hierher bringen? vielleicht bewegt er den Tête-Renard, sich in die Ringmauern der Stadt zu wagen, obschon es schwer genug halten wird. Sie dürfen Ihr kostbares Leben keiner solchen Gefahr aussetzen, Sire, sich in einen der Schlupfwinkel des Gesindels zu wagen!«

»Wenn Du darauf bestehst, mich Hoheit oder gar Sire zu nennen, möchte die Sache allerdings ziemlich gefährlich sein, indeß - warte einen Augenblick, und ich werde Dir beweisen, daß dem nicht so ist!«

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Der Prinz öffnete eine Thür, die links vom Kamin in ein Ankleidezimmer führte, und verschwand.

Es mochten etwa 10 oder 12 Minuten verflossen sein als durch dieselbe Thür ein Mann in der Kleidung eines jener armen Savoyarden trat, deren jährlich Hunderte nach Paris kommen, um mit Wassertragen, Bestellungen und den niedersten und schwersten Diensten ihren Unterhalt zu gewinnen. Der Mann, dessen eine Schulter einen starken Höcker hatte, trug eine schmutzige blaue Blouse und abgescheuerte olivengrüne Manchester Beinkleider. Er hatte eine sehr braune Gesichtsfarbe, einen starken schwarzen Bart um Wangen und Kinn, einen alten breitkrämpigen Hut und im Munde eine zerbrochene thönerne Pfeife.

Erst, als er diese aus den Zähnen nahm und lachend im Patois der Auvergne zu dem Invaliden sagte: »Was meinst Du Kamerad, wird es so noch Gefahr haben?« erkannte dieser in der geschickten Verkleidung den Prinzen wieder.

»Ich will mit einer Bombe in die Luft fliegen, Hoheit,« sagte er, »wenn ich nicht gedacht habe, irgend ein Spitzbube von Savoyarden habe sich eingeschlichen. Wenn Euer Hoheit in diesem Costüm darauf bestehen, dann ließe sich das Ding vielleicht machen.«

»Nochmals, bei meiner Ungnade, laß das Hoheit weg und nenne mich einfach Louis, oder wie Du sonst willst; bist Du bereit?«

»Ich stehe Euer - ich stehe Ihnen zu Befehl!«

»Dann nimm das!« Er reichte dem Invaliden einen kurzen sechsläufigen Revolver und steckte ein gleiches Paar

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unter seine Blouse in den Gürtel. »Rufe General Roguet, der Dich hier eingeführt hat. Er ist im Vorzimmer.«

Der Invalide that, wie ihm geheißen; auch der General erkannte den Prinzen nicht und sah verwundert und argwöhnisch auf die fremde Erscheinung, bis dieser lachend das Schweigen brach.

»Ich sehe, daß die Maske gut ist! - Aber kein Erstaunen Roguet, und vor Allem keinen Einwurf - ich habe es Ihnen in Voraus gesagt. Ich habe einen Auftrag für Sie!«

»Befehlen Euer Hoheit, aber lassen Sie mich wenigstens« ...

»Still - ich habe die Begleitung, die ich brauche. Tretet etwas zurück, Sergeantmajor!«

Der Invalide trat bescheiden außer Hörweite. »Jetzt hören Sie mich an, General,« sprach der Prinz leise, »und thun Sie genau was ich sage, es hängt vielleicht mein Leben davon ab. Es ist jetzt halb Neun Uhr. Seien Sie in einer Stunde in Begleitung eines handfesten entschlossenen Mannes, beide gut bewaffnet, aber in Civil, vor dem Gitter des Observatoir[e]s an der Seite nach dem Place St. Jacques. Bringen Sie unter Ihren Mänteln verborgen drei Säcke Gold und Fünffrankenthaler, jeden mit viertausend Franks mit. Dort warten Sie, bis ein Mann oder ein Weib, gleichviel, wer, Sie anredet und frägt, wieviel Uhr es auf Notre-Dame und ob das Geld bereit ist? Dem Frager antworten Sie: Das Geld ist hier, bringt meinen Boten! - Erst, wenn Sie mich wohlbehalten vor sich sehen, übergeben Sie den Personen, die es verlangen werden, das Geld. Bei dem geringsten Versuch, ohne mein

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Erscheinen es Ihnen abzunehmen, verwunden Sie den Einen oder den Andern und verhaften ihn. Er wird Ihnen Auskunft geben, wo Sie mich zu suchen haben, todt oder lebend!«

Der General versuchte noch ein Mal Einsprache zu thun, aber der Prinz befahl ihm mit einer energischen Geberde Schweigen. »Jetzt Roguet, gehen Sie durch jenen Gang voran und geleiten Sie uns unbehindert durch die Wachen bis zu dem Ausgang nach den Elysäischen Feldern.«

Der Prinz öffnete selbst die Thür, durch die er in der Nacht vorher den Chef seiner geheimen corsischen Garde hatte eintreten lassen und winkte dem Invaliden, ihm zu folgen. Roguet ging voran. -


In einer Seitenstraße der Rue des Catacombes unweit der Eisenbahn nach Sceaux am Mont Souris stand das kleine Haus, das der Invalide Fromentin mit seinem jüngern Sohn und einer alten Frau bewohnte, die seine Wirthschaft führte. Das Zimmer, das Kapitain Fromentin während seiner Anwesenheit in Paris im Sommer Achtundvierzig inne gehabt hatte wie das kleine Laboratorium daneben, das damals die Naseweisheit seines jüngern Bruders und dessen Kumpans beinahe in Brand gesteckt hätte, war noch immer in demselben Zustand und wurde von dem alten Invaliden mit um so größerer Sorgfalt in Ordnung gehalten, seit der heimliche, dem eigentlichen Inhaber des Zimmers unbekannt gebliebene Besuch des

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Präsidenten Napoleon es dem Alten zu einer Art von Heiligthum gemacht hatte.

Daß damals mehrere Papiere und Zeichnungen des jungen Artilleristen über seine Erfindung verschwunden waren, wurde eben der Explosion und dem entstandenen Brande zugeschrieben.

In der Küche des kleinen Hauses, die zugleich zur Wohnstube diente, saß an dem Heerd der hoffnungsvolle jüngere Sprößling des alten Invaliden, der Taugenichts Jacques, wiederum nicht allein, sondern mit seinem Busenfreund Armand, dem Sohn des wohlhabenden Druckereibesitzers, in dessen Offizin er bei unserer ersten Bekanntschaft als Lehrling fungirte. Beide waren jetzt stattlich aufgeschossene Burschen von sechszehn bis siebenzehn Jahren, und obschon Meister Jacques der Setzkasten des Typographen noch weit weniger gefallen, als früher die Maschinenwerkstätte, in der er hinter der Drehbank stehen sollte, und er deshalb sobald sein strenger Bruder nach Italien abgegangen war, auch das edle Gewerbe des Bücherdruckes im Stich gelassen hatte, war die vertrauliche Freundschaft mit dem Sohn des reichen Bürgers und Besitzers doch unverändert dieselbe geblieben, und die beiden Burschen steckten zusammen, wo sie irgend konnten. Zeit genug dazu hatte wenigstens der Gamin, der noch immer die Beine unter seines Vaters Tisch streckte und grade nur so viel bald hier bald da arbeitete, wie ihm grade gefiel, bis er im Laufe des nächsten Jahres als Soldat eintreten konnte, während sein Gefährte allerdings fleißigeren Studien

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im Lyceum obliegen mußte, die ihn nach dem Willen seines Vaters zur Universität vorbereiten sollten.

Die beiden Bursche saßen plaudernd am Feuer, jeder eine der dem Vater Armands gemausten Cigarren im Munde, indeß die alte Frau in einer Ecke schlief.

»Pardi - ich sage Dir Armand - es ist was in der Luft! Der Hektor hat keinen Fuß aus der Thür gesetzt, seit er gestern Morgen noch in der Dunkelheit ohne Hut und Mantel nach Hause gekommen ist, als säßen ihm ein Dutzend Stadtsergeanten auf dem Nacken, wie sie wohl hinter uns drein sind, wenn wir einmal vor der Oper die Frauenzimmer aneinander genäht haben oder in den Hallen einen unschuldigen Kanonenschlag loslassen. Zwei Mal habe ich gestern Briefe zu dem preußischen Offizier tragen müssen, heute Morgen ist er selber gekommen und ich weiß sicher, daß mein Bruder heute seine Pistolen geputzt hat und frische Kugeln gegossen! Als ich hinein kam, sah ich's ganz deutlich, obschon er's zu vertuschen suchte!«

»Na -« meinte der junge Sprößling des Buchhändlers, - »sie werden sich vielleicht auf den Barrikaden schlagen. Dein Bruder gehört zu den Burggrafen wie Du sagst, und ich wette mein nächstes Taschengeld gegen eine taube Nuß, daß ich den Mann, der vorhin hinauf ging, heute Mittag in der Straße Rambüteau auf der Barrikade gesehn habe!«

»Pscht! - Keine Sylbe davon Armand, Papa Touron risse mir die Ohren ab, wenn durch mich herauskäme, daß der Bruder der Fleur de Mort in Paris ist. Nicht einmal der alte Kerl sein Vater darf's wissen - ich glaube der

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alte Geizhals zeigte ihn selber an, wenn er wüßte, damit eine hübsche Belohnung zu gewinnen! - Hector und der Alte haben von jeher viel auf den jungen Samson gehalten, obschon er ein Rother ist!«

»Der Präsident ist viel zu höflich mit der Montagne. Bah - wenn ich heute die Truppen kommandirt hätte, Du hättest sehen sollen, wie ich mit ihnen umgesprungen wäre!«

Der Gamin warf ihm einen verächtlichen Seitenblick zu und blies eine dicke Rauchwolke von sich. »Die Soldaten kommandiren? Laß Dich nicht auslachen, Armand und stelle Deine Bücher in Reih und Glied. Wenn Männer wie ich noch davon redeten - Du aber wirst ja ein Dintenklexer und Federfuchser! Dein Vater wird einen Stellvertreter kaufen, während ich mich in Afrika schlage oder den Kaiser von Rußland aus Berlin verjage! Ostern über's Jahr tret ich ein, bei den Zuaven, das versteht sich, parbleu! Pesth!«

»Ich werde so gut wie Du Soldat werden - ich gehe gleichfalls zu den Zuaven!«

»Bah - Dein Vater erlaubt es nicht, er ist nicht wie Papa Touron, der mich lieber heute wie morgen in der rothen Hose sehen möchte! Man wird Dich einsperren, wenn Du darauf bestehst!«

»Ich laufe davon! ich springe aus dem Fenster!«

»Sacré! Sieh mich an! Es ist Malheur, einen Fabrikanten zum Vater zu haben! Wenn er Dich gesehen hätte, als wir heute die Barrikade bauen halfen ...«

»Schlingel! also deshalb bist Du den ganzen Tag

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nicht zu Hause gekommen? Schäme Dich Jacques - der Sohn eines Sergeantmajors von der Artillerie und baut Barrikaden gegen die Truppen des Kaisers!«

Der alte Invalide, der unbemerkt in die Küche und hinter seinen Sohn getreten war, hielt das Ohr desselben in seinen Fingern, wie in einem Schraubstock.

»Auh Papa Touron, mein Ohr! ich bitte Dich laß los und ich will Dir's erklären!«

»Was ist da zu erklären Du ungerathene Range? Du wirst Deinen Vater noch in's Grab bringen. Ein Soldat willst Du werden und hilfst Barrikaden bauen!«

Der Gamin rieb sich die Ohren. »Zum Henker,« sagte er halb lachend halb ärgerlich über die Züchtigung - »wenn wir es nicht gethan hätten, wer sollte es dann thun? wir haben aus Liebe zu Souloucque geholfen!«

»Schurke, wirst Du schweigen?«

Der Schlingel steckte die Hände in die Tasche - er wußte, daß er Oberwasser hatte, sobald er nur zu Worte gekommen, »Sapristi! wie sollte der kleine Souloucque denn Kaiser werden, wenn es keine Barrikaden giebt? Diese faulen Pékins hätten sicher nicht den Herrn Ratapoils den Gefallen gethan, schon aus purer Chikane! ich sage Dir Papa Touron, Herr Armand und ich verdienen eine Belohnung, statt daß Du mir die Ohren abreißest! Die Herren Jäger von Vincennes und die Lanzenreiter hätten sich zuletzt selber aus Langerweile aufgespeist und Souloucque hätte seine Frankenthaler umsonst fortgeworfen, wenn wir ihnen nicht eine kleine Beschäftigung bereitet hätten!«

Der alte Gardist hatte sich vergeblich bemüht, durch Zeichen seinem ungerathenen Sohne Schweigen zu gebieten, denn er fürchtete, daß sein Begleiter die Spitznamen des Volks übel vermerken würde; aber Meister Jacques ließ sich nicht einschüchtern.

»Na Alter, Du siehst, wie Unrecht Du mir gethan hast,« fuhr er fort. »Aber ich bin kein Trotzkopf, wie der Hektor, und lasse mit mir reden. Wenn Du eine Flasche in der goldnen Kanone zum Besten geben willst, so wollen wir auf den Sieg der Ratapoils tanzen und daß Dein Kleiner bald Kaiser wird! Ich engagire Mutter Tirebouchon zum Cancan an dem Tag, wo Loulou in Notredame sich die Kaiserkrone auf die Perrücke setzt!«

»Wirst Du Dein ungewaschnes Maul halten Du Satansbrut!« schrie der Alte, seinen Stock erhebend, »siehst Du nicht, daß andere Personen zugegen sind?«

Erst jetzt bemerkten die beiden Burschen die Anwesenheit des Savoyarden, der ruhig im Schatten des Hintergrunds zurückgeblieben war.

»Pah Vater Touron - der Mann da ist einer von unsern Leuten nach seiner Kleidung, ein Bursch der wie wir von der Hand in den Mund lebt. Unter uns braucht man sich nicht zu geniren und der Teufel sollte Den holen, der dem Jacques Fromentin nachzusagen wagte, er wäre kein guter Bonapartist!«

»Ich habe einen Auftrag für Dich!«

»Schön, Papa Touron! Potz tausend, Du hast ja heute Deine Staatsuniform an und schaust so stattlich aus, als wolltest Du einen Antrag machen, um mir noch eine

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Stiefmutter zu geben! Was soll's? - Soll ich in der goldnen Kanone das Hochzeitessen bestellen, oder in's Elysée Deine Gratulation überbringen? Pristi - ich hoffe, Du hast die Kavallerie über die Boulevards ziehen sehen, es war ein famoser Anblick!«

»Du sollst zu Samson gehn und sehn, ob er zu Hause ist!«

»Zum Fossoyeur? den Henker, ich mag ihn noch weniger ausstehn, den alten boshaften Schuft, seit er die Frauenleiche damals uns in den Weg gestellt hatte! Hat der gute Freund da hinten vielleicht Lust, einen Handel in Knochen mit ihm zu machen?«

»Was er soll, geht Dich Nichts an, vorlauter Bube! Genug, Du springst hinüber und siehst, wo Du ihn findest. Ist er zu treffen, so bittest Du ihn hierher zu kommen!«

»Hierher zu uns Papa Touron? Er hat ja seit drei Jahren keinen Fuß über unsre Schwelle setzen dürfen auf Deinen eigenen Befehl!«

»Jetzt will ich ihn haben, verstehst Du mich! Schaff' ihn hierher mit Güte oder Gewalt, ich muß ihn sprechen, aber schnell!«

»Na na, uns beißt ja Nichts Papa Touron! ich gehe schon. Der alte Bursche wird hoffentlich zu Hause sein und nicht beim Knochenstehlen. Heute haben die Ratapoils für die Anatomie gesorgt! Komm Armand!«

»Herr Armand wird hier bleiben; er sollte sich überhaupt schämen, daß er mit einem Burschen wie Du solche Dinge treibt. Ich werde zu seinem Vater gehn!«

Der Gamin zündete sich unter seinen Vorbereitungen

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zum Abmarsch eine neue Cigarre an, während sein würdiger Kumpan bequem die Füße über das Feuer streckte, ohne sich um die Ermahnungen des alten Leierkästners zu kümmern.

»Thu's nicht Papa Touron!« meinte unterdeß das Söhnchen, »Musje Armand würde nur desto eher davon laufen, denn er hat's geschworen trotz der kleinen Lilly, seiner Geliebten, wenn ihn der Alte nicht unter die Zuaven gehn läßt. Nun vorwärts, Armand, komm!«

Aber der junge Patrizier machte keine Miene aufzustehn. »Parbleu Jacques - ich habe mir das Ding überlegt, ich werde hier bleiben - der Fossoyeur ist mir zuwider, wie eine Kröte!«

»Meinetwegen! Adieu Papa Touron, gleich bin ich wieder da!«

Er schlenderte nach der Thür - der Alte folgte ihm. »Wo ist Hektor?« frug er leise.

»In seiner Stube - ich meine, s'ist was los!«

»Und Renaud?«

»Er ist zurückgekommen und bei ihm. Er hat einen Säbelhieb in der Wange!«

»Ich dachte mir's! Jetzt fort und spute Dich!«

Der Bursche sprang in die Nacht hinaus - der Invalide kehrte in die Küche zurück. Er weckte die alte Frau und machte ihr mehr durch Zeichen, als durch Worte, denn sie war sehr taub, begreiflich, daß sie das Feuer anfrischen und Kaffee ansetzen solle; dann bat er seinen Begleiter, dem er einen Stuhl in den Schatten gesetzt, ihn einige Augenblicke zu entschuldigen und verschwand durch

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eine Thür im Hintergrund, die zu einigen Stufen emporführte.

Das Häuschen des alten Invaliden war sehr einfach; die Küche, als der Schauplatz der Thätigkeit und des Erwerbs der verstorbenen Frau Fromentin nahm den größten Theil desselben ein. Rechts befand sich eine kleine Kammer, die zum Nachtlager der alten Wirthschafterin diente, links ein Stübchen mit ähnlicher Kammer für den Invaliden und seinen Jüngsten, in einem Anbau aber nach dem Gärtchen hinaus, zu dem jene Thür mit den Stufen führte, lag das größere Zimmer des Artillerie-Offiziers mit dem anstoßenden Laboratorium.

In dem ersteren saßen an einem Tisch zwei Männer zusammen, der entlassene Offizier und ein rüstiger noch junger Mann mit starkem rothem Bart in der Blouse, Renaud, der Sohn des Fossoyeurs und algier'sche Kolonist. Er trug ein schwarzes Pflaster über der linken Wange, denn er hatte allerdings am Nachmittag im Handgemenge mit den Soldaten einen leichten Hieb empfangen, indeß entstellten die Spuren desselben weder sein kräftiges männlich offenes Gesicht, noch schienen sie im Geringsten seine Energie gelähmt zu haben.

Vor den Beiden lagen ein Paar sorgfältig geputzte Pistolen mit den nöthigen Ladewerkzeugen auf dem Tisch, und die Uhr.

Der Kapitain sah auf dieselbe. »Es ist 9 Uhr und noch keine Antwort da!«

»Sacre Dieu - warum hast Du mich auch abgehalten, direkt in sein Haus zu gehn, den Schurken aufzusuchen,

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und ihm den Hals umzudrehn! Glaubst Du denn wirklich Hektor, der schäbige Börsenjobber werde nicht lieber die Ohrfeigen einstecken, statt sich Dir mit der Pistole in der Hand gegenüber zu stellen?«

»Er dürfte sich nie mehr in der pariser Gesellschaft sehen lassen, wenn er es nicht thäte. Das wenigstens ist das einzig Gute noch in dieser verdorbenen, käuflichen und jeder Nichtswürdigkeit zugänglichen Gesellschaft, daß der Feigling von ihr ausgestoßen ist und mindestens der äußerliche Schein der Ehre von ihr aufrecht erhalten wird.«

»Ich muß Dir gestehn,« sagte der Arbeiter - »ich habe fast andere Ansichten über diese gewonnen, in dem Leben der ehrlichen Arbeit und Mühen drüben im Kampf mit der Natur und den wilden Feinden, wie Du als Soldat hegen magst, aber wir wollen nicht streiten in solchem Augenblick über das Recht des Duells. Auch über die Politik denke ich anders - die Einsamkeit der Wüste, der Kampf um das bloße Leben ist ein guter Lehrmeister. Ich sage Dir Hektor, es ist ein Unsinn um die Lehren der Socialen! Der Löwe frägt den Henker nach Communismus, wenn er das Gebrüll seiner Herrschaft durch die Felsen erschallen läßt, und das geringere Thier geht ihm aus dem Wege und erkennt seine Gewalt, bis wiederum der Stärkere, der Mensch über ihn kommt. Dem Starken gehört die Herrschaft und die Macht, nicht den Schwachen, die er beschützen soll! Die Erndte[Ernte], die ich unter dem Schweiß meiner Glieder, unter hundert Mühen und Gefahren dem Boden abgewonnen, sie ist mein wohl erworbenes Eigenthum, und ich würde mich hüten, dem

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wegediebenden Schwätzer, der auf der Büffelhaut liegt, während ich arbeite, dasselbe Anrecht daran zuzugestehen.«

Der Kapitain lächelte. »Ich habe Dich immer vor den hohlen Theorieen Deiner Herrn Cabet, Blanqui und Ledru Rollin in den Klubs gewarnt und vorausgesagt, daß Algerien Dich zum vernünftigen Mann machen würde. Aber warum bist Du denn eigentlich in diesen heillosen Wirrwarr des Parteikampfes zurückgekehrt?«

»Auf Arbeiterehre - ich hatte Sehnsucht, Frankreich einmal wiederzusehn und meine unglückliche Schwester, das ehrliche Gesicht Deines Vaters und - der Teufel soll mich holen, auch den alten Satan den meinen, trotz der Schmach, die er mir am Tage der Abfahrt am Seineufer angethan. Darum nahm ich das Anerbieten des tollen Lords an, der in meinem Blockhaus von der Wunde sich heilte, die ihm der Löwe gerissen, den ich auf ihm niederschoß. Ich wollte die Schwester mit mir nehmen und will es noch. In den Felsenthälern des Djebel-Aures unter dem glühenden Himmel der afrikanischen Sonne lebt sich's freier und einsamer, als in Paris, und Niemand wird sie dort wegen ihrer Wunderlichkeiten verspotten und mein braves Weib wird ihr eine Schwester sein. Deine Mittheilung hat freilich Vieles anders gemacht, als ich's gedacht und gehofft!«

Er sah finster und drohend vor sich nieder.

»Wenn Du nur in solchen Absichten nach Paris gekommen bist, warum schlugst Du Dich diesen Nachmittag?«

»Pardieu - es ist nicht meine Sache, alte Freunde im Stich zu lassen. Bah - ich würde es jeden Tag thun, bloß um nicht aus der Uebung zu kommen, bis ich Paris

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im Rücken habe. Nimmst Du nicht etwa gleichen Theil an den Herren Cavaignac und Lamoricière und hast Dir die Kugel eines der verdammten Polizisten durch die Haare streifen lassen, als Du bei Deinem alten General aus dem Fenster sprangst, um der Verhaftung zu entgehen?«

»Du weißt, daß ich eine andere Pflicht zu erfüllen hatte, Renaud, sonst hätte ich keinen Augenblick angestanden, das Schicksal solcher Männer zu theilen!«

»Das wäre thöricht genug gewesen,« sagte der Kolonist ernst. »Du kennst das Sprichwort, von den Großen und den Kleinen. Aber ich danke Dir Freund, daß Du selbst in diesem Augenblick an die Unglückliche gedacht. Der Schurke soll es büßen, und sollte ich ihn mitten unter seinen Geldsäcken mit meinen Händen erwürgen! Glaubst Du es wirklich?«

Der Andere nickte finster.

»Das arme Kind - was es gelitten haben muß - keinen Freund, keine helfende Seele in ihrer grausigen Einsamkeit! Aber was glaubst Du, daß damit geschehen?«

»Gott allein weiß es! - Ich wagte sie nicht zu fragen. - Du weißt, daß sie noch immer in der irren Idee lebt, in jener scheußlichen Höhle des Lasters an meiner Seite gewesen zu sein.«

Der Arbeiter ballte knirschend die Hände - eine Thräne verbissenen Grimmes perlte in seinen Wimpern. »Das Ungeheuer - er soll es büßen, bei dem Leben meines eigenen Kindes! ... Aber dann fort von Paris - ich mehme sie mit mir - und Du Hektor, komm mit uns! In der Einsamkeit wird auch Dein braves Herz gesunden!«

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Er bot ihm die Hand über den Tisch hin, der Offizier schlug nachdenkend ein. »Wer weiß was geschieht!«

Ein Klopfen an der Thür unterbrach ihn. »Da sind sie!« Aber es war nur der alte Invalide, sein Vater, der den Kopf herein steckte; - der Offizier warf rasch sein Taschentuch über die Pistolen, aber die Läufe sahen darunter hervor und das Luchsauge des Alten bemerkten sie recht gut, als er näher trat.

»Es sind Fremde in der Küche, ich wollte Euch nur warnen, vorsichtig zu sein,« sagte er ernst. »Aber was soll das?« er wies auf die Pistolen. »Der da mag thun, was er will, - und er hat das Uebelste schon gethan, wie ich sehe. Aber ich will nicht hoffen, daß der Sohn eines Mannes, dem der große Kaiser selbst das Kreuz gegeben, gegen französische Soldaten ficht?«

»Sei ruhig, Vater, sorge nicht! Dein Sohn kann Unrecht dulden, aber nicht thun!«

»Was sollen denn die Puffer da?«

»Du warst Soldat, Vater, und weißt, daß es Pflichten der Ehre giebt!«

Der alte Mann sah ihn traurig an, auf seinen verwitterten Zügen kämpfte der starre Soldatengeist mit der Sorge und der Liebe des Vaters.

»Du warst mein Stolz, Hektor - mein bester, bis vor wenig Tagen. Ich weiß, daß Du nichts Unwürdiges thun wirst, obschon ich Dich lieber in anderer Gesellschaft sähe! - Wann soll es sein?«

»Noch diesen Abend!« -

»Und es muß sein?«

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»Es muß!«

»Dann lebe wohl und Gott sei mit Dir! Umarme Deinen alten Vater, Hektor, mein Sohn!«

»Wie Vater - Du willst fort - jetzt?«

»Auch ich habe meine Pflicht und sage: es muß sein! Lebe wohl mein Sohn und Gott schütze Dich!«

Den tapferen stattlichen Offizier, der so oft dem Tode in ganz anderen Gefahren in's Auge geschaut, überkam es auf einmal plötzlich mit ahnungsvollem Schmerz.

Er hatte das Haupt an die Brust des alten Mannes gelegt, der mit seinem einen Arm ihn umschlungen hielt. Eine Thräne fiel aus den grauen Wimpern nieder auf das dunkle Haar des Sohnes.

Der Offizier fuhr plötzlich empor - seine Wange, denn seine Hand hatte unter dem Rock des Invaliden den Revolver gefühlt.

»Waffen, Vater? was willst Du damit?«

»Auch ich habe meine Ehrenpflicht, so gut wie Du! - Keine Thorheit, Hektor - es ist ein anderer Gang, den ich thue, als der Deine, aber ein alter Soldat liebt es, auf alle Fälle eine Waffe zur Hand zu haben. Und nun leb wohl - ich habe einen Gast unten, den ich nicht warten lassen darf.«

Gleich als schäme er sich der Schwäche von vorhin, drängte der Invalide seinen Sohn zurück und verließ, mit einem Nicken des greisen Hauptes den Kolonisten grüßend, das Zimmer. Unter der Thür warf er einen letzten kurzen festen Blick zurück auf den Sohn.

Als der Veteran wieder in die Küche trat, fand er zu

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seinem Schrecken, daß sein Begleiter es vorgezogen, den Stuhl an der entfernteren Wand zu verlassen und sich zu dem jungen Burschen an's Feuer zu setzen, mit dem er gemüthlich plauderte.

Die frische übermüthige Laune des jungen Mannes schien dem Prinzen zu gefallen; er hatte ihn ins Schwatzen gebracht und ließ sich, hin und wieder ein zu seiner Rolle geeignetes Wort der Theilnahme und Ermunterung einschiebend, von seiner Lust zum Soldatenstand und seinen Fluchtplänen aus der väterlichen Gewalt erzählen.

Der Invalide wollte eben um jede Unvorsichtigkeit zu verhindern dazwischen treten, als sich draußen die schreiende Stimme des Fossoyeurs hören ließ.

»Leiermann, halloh! Dein Gevatter, der Knochenmann ist da! S'ist wahrlich Zeit, daß Du endlich geschickt hast, altes Gerippe - sollst einen Platz haben, so trocken und behaglich, als wärst Du die große Pompadour!«

»Da ist der Schurke, wie er leibt und lebt!« sagte der Invalide zu dem Prinzen. »Jetzt junger Herr machen Sie sich ein wenig auf die Beine und trollen sich zu Ihrem Kameraden, - wir haben hier zu reden, was Sie nicht zu hören brauchen!«

Die Thür der Küche öffnete sich, mit dem Regen und Wind, der herein fuhr, schoß die seltsame Gestalt des Fossoyeurs in das behagliche Gemach.

»Guten Abend, guten Abend, Moder und Würmerfraß!« schrie der Katakombenwächter, indem er zum Gruß die schmutzige Pelzmütze schwenkte, daß die Feuchtigkeit weit umher spritzte. »S'ist ein Glück, daß mich das linke Bein

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gejuckt, sonst hätte das kleine Pulverfutter mich sicher nicht getroffen. S'ist alle Mal der Fall, wenn es Schädel giebt! Wie ist's mit Deinem, Gevatter? Bist Du müde, ihn auf den Schultern zu tragen? Der Samson ist der Mann dazu wie sein Vater!«

»Schweig, Tollhäusler!«

Der Fossoyeur war zu dem Kamin getreten, streckte die weit aus den Aermeln des schlotternden Rocks hervorragenden behaarten Hände über das Feuer, sie zu wärmen, und drehte und wandte den kleinen Kopf mit dem runzlichen Gesicht auf dem Schlangenhals in wahrhaft unheimlicher Weise, mit den scharfen Augen schier alle Winkel der Küche durchforschend.

»S'ist behaglich hier, s'ist behaglich hier! schön warm, ganz anders als bei den lieben Knochengerippen da unten. Der Fossoyeur ist lange nicht hier gewesen! Glaub' Dir's gern, Gevatter, daß es Dir schwer wird, das warme Häuschen mit dem kalten zu vertauschen. Aber hilft Nichts, hilft Nichts! müssen Alle dran und es riecht verteufelt nach frischen Leichen hier!«

Der Invalide hatte die beiden Burschen ohne Weiteres aus dem Hause getrieben; denn er fürchtete, wenn er zu der Unterredung die schlecht verwahrte Kammer benutzen wolle, daß sie horchen würden. Um die taube Alte kümmerte er sich nicht.

»Kannst Du nicht einen Augenblick ruhig und verständig sein, Samson? - Dieser - dieser Mann wünscht Deinen Beistand in einer Angelegenheit in Anspruch zu nehmen!« -

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Der Fossoyeur streckte und dehnte den Hals wie eine Schlange gegen den verkleideten Savoyarden, der in den Schatten zurückgetreten war und ihn seit seinem Eintritt mit einem gewissen Interesse beobachtet hatte.

»Hi, hi! ho, ho! wer ist denn Der da? riecht nach Leichen, riecht nach Leichen - der Knochenmann irrt sich nicht? Ho - was soll's sein? Hat vielleicht von der Kegelbahn da unten gehört, wo die Kugeln hübsche runde Menschenschädel alle Acht um den König werfen, lauter hübsche Weiberknochen und das Hüftbein in der Mitte. Die Mortelle soll's Euch zeigen das Spiel, wenn Ihr ein Trinkgeld gebt!«

Der Savoyarde zog zwei Louisd'ors aus der Tasche. »Ich bin nur ein armer Commissionair, der einen Auftrag auszurichten, hat. Aber das sollst Du verdienen, wenn Du mir dazu hilfst, Freund!«

»Freund? Der Knochenmann ist der beste Freund, den Ihr haben könnt! Gebt das Gold her, das hübsche liebe blanke Gold! S'ist das Einzige, was nicht modert auf der Welt. Was soll's sein? Hoho? wollt Ihr Knochen kaufen? eine Wagenladung voll!«

»Du sollst mich zum Tête-Renard führen?[!]«

Der Katakombenwächter fuhr bei dem unerwarteten Vorschlag zurück und betrachtete den Fremden noch genauer als vorher.

»Schädel und Gebeine, Kamerad, was kannst Du bei dem Tête-Renard zu thun haben? ich kenne ihn nicht!«

Der Savoyard steckte ruhig sein Geld wieder in die Tasche. »Dann thut mir's leid, daß wir Euch bemüht

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haben; wir müssen dann wo anders sehn, wer uns hilft, denn sprechen muß ich ihn!«

»Ho ho! nicht so eilig Kamerad! kommst noch schnell genug dazu, daß Dir der Schädel eingeschlagen wird! Und wenn Samson den Tête-Renard kennt, was hat ein Kerl wie Du mit ihm zu schaffen?«

»Ich denke, das geht Dich Nichts an. Ich habe einen Auftrag an ihn.«

Der Fossoyeur schien zu überlegen, er murmelte allerlei Worte und Verwünschungen vor sich hin und schnitt dabei Grimassen und verrenkte die Glieder, daß den beiden Zuschauern ganz unheimlich zu Muthe ward; dann schob er wie eine Schlange im Sprung auf den Savoyarden zu und zischelte ihm in's Ohr: He he! willst Leichen holen Kamerad? willst das Geschäft verderben? Knochen und Moder, was brauchst Du den Fuchs, der Samson thut's ebenso gut!«

Der Savoyarde stieß ihn mit einer Bewegung des Widerwillens zurück. »Ich habe mit Euren Todten Nichts zu schaffen, sondern will jenen Mann in einer andern Angelegenheit sprechen. Kurz und gut - wollt Ihr das Geld verdienen oder nicht?«

»Her damit! her damit! 's Gold ist rar unter den armen Leuten! Ho ho! s'ist Dein eigner Schade, wenn die Füchse Dich beißen! hab Dich gewarnt, hab Dich gewarnt - meine Sorge ist's nicht!«

Er rieb sich die Hände und schlenkerte die langen Arme wie ein Mühlrad um den Körper.

»Hier sind die zwei Napoleond'or. Den einen erhäl[t]st

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Du gleich, den andern, wenn Du uns wieder zurückgebracht hast, ich werde ihn hier niederlegen!«

»Ho ho - zurückgebracht - wen denn?«

»Mich und den Sergeantmajor. Er wird uns begleiten. Ueberdies, sieh her!«

Der Savoyarde kehrte seine sämmtlichen Taschen um - außer etwa fünf Franken in kleiner Münze hatte er kein Geld bei sich.

»Das kannst Du gleich Deinen Kameraden erzählen, damit sie nicht denken, an uns eine Beute zu machen; es würde nicht der Mühe und des Bluts lohnen, das vorher fließen würde, denn ich will Dir gleich sagen, Fossoyeur, daß Du mit keinem Neuling zu thun hast, und daß wir bewaffnet sind. Wo ist der Tête-Renard zu finden?«

Der Fossoyeur fuhr bei der Frage aus dem tiefen Nachsinnen auf, in das er seit einigen Momenten versunken war. Er schielte den Savoyarden von der Seite an und knaxte mit den Gelenken seiner ungebührlich langen Finger.

»S'ist weit! s'ist weit! Der Tête-Renard führt den Namen mit Recht und ist ein alter Fuchs, der sich nicht fangen läßt. Ho ho! Niemand darf seiner Höhle zu nahe kommen!«

»Zum Henker, es will ihm Niemand etwas zu Leide thun. Halte uns nicht unnütz auf - wo können wir ihn treffen?«

»Sachte, sachte Mann. Hast Du jemals die Nase in die Steinbrüche von d'Yssi gesteckt?«

»Dann ist es zu weit, um dahin zu gehen. Laß einen

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Fiaker holen von dem nächsten Stand, Vater Touron - er soll uns so weit als möglich bringen!«

Der Fossoyeur besah das Goldstück, das er erhalten, auf allen Seiten, prüfte es mit den Zähnen und schnellte es unter allerlei Kapriolen mit den Fingern in die Höhe, während der Invalide nach der Thür ging, um seinen jüngsten Sohn nach einem Fiaker zu schicken. Aber es war nicht nöthig; denn als er die Thür öffnete, hörte man das Rollen eines Wagens rasch näher kommen, und einer der gewöhnlichen Stadtwagen hielt vor der Thür.

Die beiden jungen Burschen, die sich sehr neugierig auf das, was unterdeß im Hause mit dem Katakombenwächter verhandelt sein mochte, in der Nähe der Thür umhergetrieben, waren eilig herbei gesprungen und hatten den Schlag geöffnet.

Ein Herr in Civil aber von militärischer Haltung stieg aus - er trug einen kleinen Kasten unter dem Mantel. »Ah richtig - es ist hier! Dies ist doch die Wohnung von Capitain Fromentin? - So mein Bursche, jetzt weiß ich, daß ich recht bin. Ist Dein Bruder zu Hause?«

»Bon jour Monsieur Prussien! Der Hector wartet glaube ich auf Sie! Treten Sie näher Monsieur!«

Der junge preußische Offizier trat über die Schwelle. »Ich muß den Kutscher bezahlen!« Er griff in die Tasche - »wahrhaftig, ich habe mein Portemonnaie bei Very liegen lassen, das ist unangenehm! Du mußt so gut sein, mir eine Banknote zu wechseln, mein Junge!«

Er zog eine feine Brieftafel aus der Tasche und

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öffnete sie; durch eine hastige Bewegung aber glitt sie ihm aus der Hand und fiel zu Boden.

Eine Menge Bankscheine flatterten heraus und zerstreuten sich auf der Erde.

Die Augen des Fossoyeurs funkelten vor Begierde, als er die kostbaren Papiere sah, und er wollte sich wie der Wolf auf eine gute Beute werfen, aber der alte Invalide faßte ihn rauh am Arm.

»Still gestanden Nachbar, bei Pierre Fromentin soll einem Fremden Nichts verloren gehn. Nimm die Scheine auf Jacques und gieb sie dem Herrn zurück. Sie werden hoffentlich wissen Monsieur, wie viel Geld es war?«

»Zehntausend Franken - ich habe es diesen Vormittag bei Rothschild einkassirt und noch keinen der Scheine ausgegeben. Richtig - da sind sie vollzählig. Willst Du mir jetzt den Gefallen thun, mein Freund, und diese fünfhundert Franknote beim nächsten Kaufmann wechseln?«

»Das wird schwer angehn Herr,« sagte der Invalide - »hier herum wohnen nicht so reiche Leute. Aber wenn Sie ein Freund meines Sohnes sind, und einmal von seinem Aufenthalt wissen, werde ich den Kutscher bezahlen; Sie können es dem Kapitain wieder erstatten. Ueberdies möchte ich fragen, ob Sie den Wagen noch weiter brauchen?«

»Ich bin am Ziel. Das Warten dürfte ihm zu lange dauern.«

»Dann wollen wir ihn benutzen. Führe den Herrn zu Deinem Bruder. Herr - ich hoffe, daß Sie kein Verräther sind, sondern sein Freund!«

»Ich habe die Ehre, preußischer Offizier zu sein, und werde von Ihrem Herrn Sohn erwartet.«

Der Invalide salutirte. »Dann bitte ich um Entschuldigung mein Offizier, die Herren Preußen sind eine brave Nation!«

Er verließ die Küche, um mit dem Kutscher die Sache in Ordnung zu bringen; der Gamin führte den Offizier die Stufen hinauf nach dem Gemach seines Bruders, an dessen Thür er klopfte.

»Ich bringe Dir Besuch, Hektor, den Herrn von heute Morgen!«

Dann, da er seinem Bruder mehr fürchtete als den Vater, lief er eilig und neugierig zu diesem zurück.

Der Offizier war bei Kapitain Fromentin eingetreten - dieser kam ihm entgegen.

»Willkommen Herr Kamerad - wir erwarteten Sie mit Ungeduld; wie steht unsere Angelegenheit?

»Sie werden in einer Stunde auf dem Platz sein, wie Sie es verlangt. Herr Miron weigerte sich lange, aber der Graf bestand darauf und Herr Duplessis pflichtete ihm bei, daß ausnahmsweise Umstände anerkannt werden müßten, Ihrer politischen Stellung und Ihrer Flucht bei General Lamoricière wegen. Ich glaube, Herr Miron ist ein Feigling und einer Niederträchtigkeit dazu fähig. Mich will bedünken, als hätte nur die Aussicht, auf irgend eine Weise das Duell zu hindern oder noch ein Mal Unterhandlungen anzuknüpfen, ihn bestimmt, in das nächtliche Rendezvous einzuwilligen.«

»Die Ursache ist gleichgültig, wenn er nur kommt.

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Erlauben Sie mir, mein Herr, Ihnen meinen zweiten Beistand in diesem meinem Freunde vorzustellen. Er ist zwar nur aus dem Volke, wie ich, ein Arbeiter, aber er hat das Herz des Löwen, den seine Hand jetzt bekämpft, und das erste Anrecht an die Sühne von heute Abend.«

Der Offizier verbeugte sich vor dem Kolonisten. »Ich rechne es mir zur Ehre, mit Ihnen dem Herrn Kapitain zu dienen. Darf ich um den Namen des Herrn bitten!«

»Renaud Samson!«

»Hoho hihi,« klang das heisere Gelächter des Fossoyeurs und sein grinsendes unheimliches Gesicht zeigte sich in der Spalte der unbemerkt von ihm geöffneten Thür. »Bist auch wieder da. Lumpenkerl, Barrikadenmann! - Bist einfältig genug gewesen, zurückzukommen? hoho, dachte mir's fast, daß der Schleicher da wäre nach dem Schwatzen der tollen Dirne! Willst Dein Erbtheil holen, hast's gekriegt! Knochen, Knochen! Der alte Fossoyeur ist noch lange nicht todt und behält sein Geld! Keinen Sous für den afrikanischen Bettler!«

»Vater!« bat der Sohn, indem er auf ihn zutretend ihm die Hand entgegen streckte.

Der Katakombenwächter schüttelte drohend die Faust nach ihm. »Hast's gewollt, hast des Vater's Ge[r]werbe verschmäht! ho ho, ehrliche Arbeit am Tageslicht! am Tageslicht! Die Polizei soll's wissen, daß Du hier bist! hi hi! der Samson braucht keinen ungerathenen Sohn, der sein Geld stiehlt! Fluch über Dich! Fluch über Dich!«

Der Unhold schlug vor dem braven Sohne die Thür

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zu und rannte, Verwünschungen sprudelnd, durch den kurzen Gang die Stufen hinab nach der Küche.

Er kam zu seinem Glück zur rechten Zeit; denn eben öffnete der Invalide die Hausthür und rief ihn und den Savoyarden zum Fiakre, indem er seinem jüngsten Sohn befahl, bis zu seiner Rückkehr das Haus zu verwahren und es nicht zu verlassen.

Der verkleidete Savoyarde hatte die unerwarteten Scenen, die Ankunft des preußischen Offiziers und die Spionage des Katakombenwächters stumm aber scharf beobachtend mit angesehen. Jetzt legte er mit einem Wink gegen den Fossoyeur den zweiten Louisd'or auf den Kaminsims und verließ, die Knaben grüßend, mit Samson die Küche.

Gleich darauf rollte der Wagen in der Richtung der Barrière d'Enfer davon.

Die beiden Burschen, auf's Höchste neugierig gemacht durch all' die Vorgänge, wären ihm von Herzen gern [ge]gefolgt, denn mit dem Instinkt des Gamin witterten sie ein Abenteuer; aber sie sahen ein, daß selbst die Flüchtigkeit ihrer jungen Beine nicht lange dem bekanntlich sehr raschen Fahren der pariser Fiakre Stand halten würde, und beschlossen daher klüglich lieber das Bequemere, das Thun des Artillerie-Kapitains und seiner Gesellschafter zu beobachten; denn die Ordre des Alten, zu Haus zu bleiben, zu erfüllen, fiel Meister Jacques am Wenigsten ein.

Der Fossoyeur hatte sich auf den Bock zu dem Kutscher gesetzt, um diesem den Weg zu zeigen; aber er that dies, als sie außerhalb der Barriere waren und in die

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öden Wege von Montrouge sich vertieften, offenbar absichtlich so falsch und ließ den Wagen allerlei Kreuz- und Rückwege nehmen, daß der Kutscher bald zu fluchen begann und endlich erklärte, er fahre keinen Schritt weiter.

Das war, was der Fossoyeur beabsichtigt zu haben schien; denn er stieg sofort ab und forderte seine beiden Gefährten auf, auszusteigen, indem sie nun ihren Weg zu Fuß fortsetzen müßten.

Man schickte den Kutscher zurück mit dem Auftrag, an der Gabel der Straße nach Vauvres und Châtillon sie erwarten und ging dann weiter. So viel der trübe Nachthimmel und der Nebel, der rings umher lagerte, zu bemerken erlaubte, befanden sie sich in einer öden nur ziemlich spärlich bebauten, von Hohlwegen und Hecken durchschnittenen Gegend; nur selten streckte ein Dampfschornstein seinen schwarzen Arm in die Luft und sandte seine glühende Lohe in die schweren Regenwolken.

Der Fossoyeur hatte sein tolles wüstes Gebahren bedeutend abgelegt und nur hin und wieder klang sein gespenstiges Lachen, wenn er sich über die Unannehmlichkeiten des Weges freute, den sie verfolgten und seine Begleiter verhöhnte.

Dieser Weg wurde immer düsterer und einsamer und manchmal schien die Hauptperson der Gesellschaft doch ein Bedauern anzuwandeln, daß sie sich so weit vorgewagt; aber der Gedanke, daß die Verkleidung vortrefflich und die Nothwendigkeit vorhanden war, das Geheimniß dieser Nacht jedem andern Auge, selbst dem vertrautesten, verbergen zu müssen, trieb sie vorwärts.

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Sie standen jetzt am Eingang einer Kluft, oder eines Hohlwegs, der auf eine Seitenwand hinzulaufen oder durch sie geschlossen zu werden schien, offenbar einer der alten Steinbrüche, die von den Arbeitern schon vor Jahren verlassen worden, nachdem sie zu einer ziemlichen Tiefe ausgehöhlt waren. Aus dem Grunde der Schlucht schimmerte es durch den Qualm und Nebel wie ein rothes Licht, ein ferner wüster Lärmen, der Ton einer Ziehharmonika und einer Schellentrommel drang zuweilen von einem gellenden Jauchzen unterbrochen, aus der Tiefe.

»Da unten ist die »Schöne Guillotine«,[«] sagte der Katakombenwächter flüsternd - »der Tête-Renard hat hier sein Hauptquartier, ich hoffe, daß wir ihn finden da, aber ich kann's nicht sagen, denn er hat noch zwei andere Wirthshäuser in den Brüchen. Pscht! hört Ihr sie singen? ein lustiges Leichenlied! Wenn die da unten wüßten, Nachbar Leiermann, daß der Bursche in Deinem Haus zehntausend Franken in der Brieftasche führt! - Ho ho - festgehalten, nehmt Euch in Acht, wenn Ihr nicht den Hals vor der Zeit brechen wollt!«

»Steht. Wer da?«

»Hi hi - da ist die Wache! dachte mir's, daß der Fuchs hier sein muß! Knochen und Moder Bursche, Knochen und Moder! kennst Du nicht den Fossoyeur aus den Katakomben, Nebukadnezar?«

Ein großer ungeschlachter Kerl, ein halber Riese war aus einem Winkel der Wand vorgetreten und sperrte die schmalen Stufen. Er hielt in seiner Faust einen kolossalen Knüttel und in dem Strick, den er um den Leib trug,

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blinkte ein langes scheideloses Messer. Ein großer Bulldogg stand knurrend neben ihm.

Der Mensch stieß einen gräulichen Fluch aus. »Der Satan soll mich mit den Haaren fressen, wenn das nicht der Todtenwurm ist! Wo kommst Du her, tolle Unke, wer sind die da?«

»Gute Freunde, gute Freunde von mir, Neb! Ho, ho! - Werd' ich was Anderes bringen für Euch? Wollen den Fuchs sehen, müssen ihn sprechen! Verteufelt wichtig, ich sage es Dir!«

Der Kerl bedachte sich einige Augenblicke zweifelhaft. »Ich darf's eigentlich nicht thun, Fremde einzulassen ohne Meldung - aber weil Du's bist, Gräberwurm, mag's sein! Steigt hinunter, und hier, Packan, geh' mit und sorg', daß sie nicht vom Weg abweichen!«

Der Bullenbeißer fletschte bezeichnend die Zähne und schritt gravitätisch die Stufen hinab, gleich als hätte er jedes Wort seines Herrn verstanden. »Vorwärts, vorwärts und brecht den Hals nicht!« schrie der Fossoyeur - »der Knochenmann deckt den Rücken!«

Der alte Invalide stieg vorsichtig voran in die unbekannte Tiefe, hinter dem Hunde d'rein; der Savoyarde folgte ihm, aber der Katakombenwächter blieb noch einige Augenblicke zurück bei dem Riesen.

»Laß Dich ablösen, Nebukadnezar«, flüsterte er rasch. »Ho ho - es giebt fette Bissen, fette Bissen, sag' ich Dir!« Der Andere wies mit dem Daumen über die Schulter nach den Hinabsteigenden.

»Nichts da - nichts da! ist für den Fuchs und zu

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hoch für uns! Aber in der Stadt war ein Fang - baare Zehntausend, wenn der einarmige Spitzbube nicht gewesen wäre! Aufgepaßt, wenn's zurückgeht!«

Er schob sich eilig den Vorangeschrittenen nach und verschwand mit diesen im Dunkel.

Die Drei mochten etwa vierzig oder fünfzig, theils in den Stein und Sand gehöhlte, theils von morschen Holzstücken gebildete Stufen hinab gestiegen sein, ehe sie auf dem feuchten, durch den Regen mit tiefen Wasserlachen übersäeten Grunde der Schlucht ankamen. Je tiefer sie übrigens hinab gestiegen waren, desto deutlicher scholl der Lärmen in ihre Ohren und gestaltete sich zu einem wahren Höllensabbath.

Bei dem rothen Lichtschein, der durch die Spalten einer schlecht verschlossenen, zuweilen geöffneten Thür und zweier daneben befindlichen, mit zerbrochenen Holzladen geschlossenen Fenster fiel, konnten sie jetzt erst bemerken, daß sie vor einem niedern, flachen Hause standen, dessen schräges Dach fast bis auf die Thür hinabreichte. Das Haus war breit, aber flach und lehnte sich mit der Rückseite unmittelbar an die Steinwand, die hier die Schlucht oder den Bruch zu schließen schien.

Aber es blieb ihnen nur wenig Zeit zur Besichtigung, denn der Hund, der darauf abgerichtet war, blieb vor der Thür des unheimlichen Hauses oder der Hütte stehen, noch bevor ihr Führer heran gekommen war, und begann ein so klägliches Geheul, daß es selbst den Höllenlärmen im Innern des Gebäudes übertäubte.

Einen Augenblick trat eine plötzliche Stille ein, dann

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wurde die Thür von Innen aufgerissen und zwei Männer, der eine mit einer Keule, der andere mit einer alten Muskete bewaffnet, traten heraus.

»Wer ist da? - Wer steht dort? - Still, Packan - oder ich trete dir die Kaldaunen aus dem Leibe!«

Ein Fußtritt schleuderte den Hund zur Seite, dann trat der mit der Flinte einige Schritte vor, während sein Gefährte zur Bewachung der Thür an dieser stehen blieb.

Der Fossoyeur drängte sich vor. »Hi hi - Moder und Knochen? Was soll das heißen! Willst Du einen Freund erschießen, Galgenrabe, und kennst Du den Fossoyeur nicht mehr, Spitzohr? - Hi hi - soll man vielleicht gar noch eine Visitenkarte voraus schicken, wenn man in die »schöne Guillotine« kommt? Steckt die Waffen ein, steckt die Waffen ein, der Knochenmann kommt zum Besuch und bringt ein Paar Freunde mit.«

Die Beiden senkten Muskete und Keule. »Wenn Du's bist, toller Schurke, warum giebst Du nicht das Signal und läßt den Hund heulen? - Herein mit Euch, und trinkt Eins auf den Weg - 's geht heute verteufelt lustig zu, 's ist große Gesellschaft und Bal-Champêtre, denn der Gurgeljean heirathet die blaue Margot und giebt einen Satz zum Besten!«

Der Fossoyeur hatte dem Mann einige Worte zugeflüstert, dieser nickte bejahend. »Er ist an der Schänke und hat schon nach Dir gefragt. Herein mit Euch!« Er öffnete die Thür und brüllte in den Raum: »Gut Freund! Laßt Euch nicht stören, Jungens!«

Die Drei traten ein; - ehe er über die Schwelle schritt,

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hatte der Savoyarde unter der Blouse seinen Revolver gespannt.

Der Anblick, der sich ihnen bot, war für die Beiden, welche die Räume noch nie betreten, überraschend.

Das Haus war allerdings nur flach und seine Breite wurde bis auf einen Abschlag an beiden Seiten von einem einzigen, der schmalen Tiefe entsprechenden Gemach eingenommen, das als Küche und Schänke diente. Vor dem Abschlag links stand denn auch ein Schanktisch mit dem gewöhnlichen Geräth, und Krüge, Flaschen und Fäßchen thürmten sich dahinter und auf zwei langen Seitenbrettern auf, von zwei an der Wand befestigten Lampen mit beweglichen Schirmen erleuchtet, die durch eine besondere mechanische Vorrichtung mit einem Drahtzug in Verbindung standen. Auf der andern Seite befand sich ein höchst desolater Heerd, auf dem in Pfannen und Tiegeln die beliebten Gerichte der niedersten Volksklassen, Kaldaunen, Beafsteaks von Roßfleisch und der klassische Harlekin schmorten. Ein altes Weib, den Kopf mit einem rothen Tuch umwunden, stand mit Gabel und Löffel davor und briet und schmorte, indeß sie sich mit einer Gruppe von Männern und Weibern unterhielt, die auf zerbrochenen Schem[m]eln und Steinklötzen umher saßen, hölzerne Teller in der Hand und Gabeln, die mit langen, dünnen Ketten an die Sitze befestigt waren. Ein schauderhafter, den Odem benehmender Qualm von Kohlendampf, Oeldunst, Fett, schlechtem Tabak und Spirituosen und den Ausdünstungen einer nicht unbedeutenden Menschenmasse füllte das ganze Gemach und ließ kaum die Blicke durchdringen.

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Erst, wenn das Auge sich daran gewöhnt und die Richtung dahin genommen, woher der Höllenlärmen jetzt wieder in voller Macht tobte, erkannte es, daß die Hinterwand der Stube von einer breiten Thür oder vielmehr einem Bogen durchbrochen war, der mit mehreren Stufen hinab in einen breiten und langen Saal mit niederer Decke führte. Dieser mußte offenbar in die Steinwand hinein gehauen sein, denn er war mindestens dreißig Schritte lang und verhältnißmäßig breit und bildete den Hauptschauplatz der Orgie. An den Seitenwänden reihten sich, an die Wand geschmiedet, in den Saal hinein zahlreiche Tische, mit Bänken rechts und links, besetzt von wilden, bunten Gestalten, Männern, Weibern und Kindern, in der ärmlichsten zerlumpten Kleidung, jene Gestalten, die in einer großen Stadt erst dann an's Tageslicht zu kommen pflegen, wenn die Empörung ihre Fackel schwingt oder irgend ein schaudervolles, schreckliches Ereigniß die Gemüther in Furcht und Angst setzt. Große, robuste Arbeitergestalten mit wildem Bart und blitzendem Auge saßen hier neben widrigen Krüppeln und Kerlen, denen das Verbrechen jeder Art auf dem Gesicht geschrieben stand, und waren beschäftigt, zu spielen, das giftigste Höllengebräu zu trinken, sich zu zanken, zu schlagen oder dem wilden, zuchtlosen Tanz zuzusehen, den in der Mitte des Raumes Paar an Paar zum Klänge der Harmonika und der Schellentrommel auf- und niedertobte.

Die Eingetretenen, um die sich, nach dem ersten Kopfumdrehen der nächsten Gruppen, die Gesellschaft wenig kümmerte, sahen einige Augenblicke dem wilden Treiben zu,

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dann aber, um möglichst bald aus diesem Höllenpfuhl wieder fort zu kommen, winkte der Savoyarde dem Fossoyeur.

»Wo ist der Tête-Renard? Führe mich zu ihm!«

Der Katakombenwächter wies auf den Schanktisch. »Ho ho - seht Ihr ihn nicht? Er hat Euch schon lange im Auge, Freund, und Ihr werdet Euch wacker halten müssen, wenn Ihr ihn betrügen wollt!«

Der falsche Savoyarde sah nach dem Schanktisch; hinter demselben, in eine röthlichbraune, schmutzige Jacke gekleidet, mit fuchsrothem Haar, stand ein kleiner schmächtiger Mann mit einer höchst merkwürdigen Gesichtsbildung.

Die Stirn war niedrig und in schiefer Linie vorstehend; diese Linie verlängerte eine lange, spitze Nase, so daß sie zwischen den schmalen und hohen Backenknochen und den kleinen boshaften und schlauen Augen wirklich mehr einer Fuchsschnauze, als jenem Theil eines menschlichen Angesichts glich. Diese Aehnlichkeit wurde noch dadurch erhöht, daß der Mund dicht unter der Nase saß und das Kinn fast in gleichem Winkel zurücktrat, wie jene vorsprang. Das Alter des Mannes war unmöglich zu entscheiden, denn sein rothes Gesicht hatte eine merkwürdige Fähigkeit, sich in Falten zu legen, und er schien wirklich ein besonderes Gewicht darauf zu legen, die Aehnlichkeit mit dem Thier, der er den Namen verdankte, noch durch Kleidung und Manieren zu erhöhen.

Obschon er klein und schmächtig aussah, zeigten seine langen krallenartigen Hände doch Adern und Muskeln, die wie Stränge auflagen.

»Guten Abend! guten Abend Knochenmann! Wen

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bringst Du uns da? Ist den Herren ein Gläschen gefällig, oder wollen sie ein Tänzchen machen?«

Der Savoyard hieß den Fossoyeur Getränk bestellen und trat an die Schänke.

»Ich weiß Ihren wirklichen Namen nicht, Meister, aber der den ich suche, heißt unter seinen Bekannten Tête-Renard!«

»Ei Kamerad, das bin ich selber! Was wollt Ihr von mir?«

»Ich habe einen Auftrag an Sie auszurichten und muß Sie allein sprechen!«

Der Fuchskopf musterte ihn mit einem forschenden Blick. »Ist es so dringend?«

»Es ist kein Augenblick zu verlieren - was ich Ihnen zu sagen habe, kann Ihnen viel Geld bringen.«

Wieder sah ihn der Kneipenwirth aufmerksam an. »Hört Freund,« sagte er dann, »ich kenne Euch nicht, aber Ihr müßt wissen, ich bin nicht von gestern! Wenn Ihr im Dienste der Polizei steht, so kommt Ihr hier an den Unrechten. - Laß die Flasche stehen, Eisenschädel - ich habe Dir gesagt, daß Du nichts mehr bekommst, bis Du die Schuld bezahlt hast!«

Die Worte galten einem großen Kerl, der mit stieren gläsernen Augen an den Schanktisch getaumelt war und nach einer Branntweinflasche griff.

»Ich muß Schnaps haben, Schnaps! es brennt mich wie Feuer in der Kehle!«

»Erst Geld - Du bekommst Nichts!«

Der Trunkene schlug mit der Faust auf den Tisch.

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»Hast Du nicht mein Alles mit Deinem verfluchten Rachen aufgefressen? hab ich nicht fünf Jahre im Bagno gesessen, für den Raub in Passy und meine Kinder sind vor Hunger und Elend gestorben, während Du die ganze Beute verschluckt? Schnaps her, sag ich - ich muß Schnaps haben, um zu vergessen!«

Der Mann streckte nochmals die Hand nach der Flasche - »Eisenschädel, ich warne Dich! Du kennst mich!«

»Dann kenn ich den leibhaftigen Satan. Aber trinken will ich und wenn ich in der Hölle schmoren sollte.«

Er faßte die Flasche und wollte sie nach dem Munde führen.

Zur Seite des Tête-Renard stand ein leerer aber schwerer großer Steinkrug mit Zinnbeschlag, wie er zum Ausfüllen des Fusels oder des ordinairsten Weins zu dienen pflegt, und der mindestens fünfzehn Maaß halten mochte.

Der Tête-Renard ergriff ihn mit einer Hand, schwang ihn durch die Luft und schmetterte ihn auf den Kopf des Trunkenen, daß er in hundert Scherben zerbrach. Eine dunkle Blutwelle stürzte über das Gesicht des Taumelnden, dann fiel er lang zu Boden.

Mehrere Männer waren hinzugesprungen, aber der Vorgang schien etwas Gewöhnliches hier; Keiner machte Miene, dem Unglücklichen beizustehen.

Der Kneipwirth warf den zinnernen Henkel weg, den er allein noch in der Hand hielt. »Werft das Vieh hinaus, der Regen wird ihm gut thun« sagte er gleichgültig. Dann wandte er sich zu dem Savoyarden. »Jetzt, Fremder, steh ich Euch zu Diensten. Kommt!«

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Er winkte einen der Aufwärter herbei und ging dem Savoyarden voran in den anstoßenden Verschlag. Als letzterer eintrat, fand er sich in einem wenn auch nicht gut, doch ziemlich behäbig eingerichteten kleinen Gemach. Ein Rohrsopha, einige Stühle, ein Bett mit Zitzvorhängen und Kommode und Schrank möblirten den wohl erwärmten und erleuchteten Raum - der Tête-Renard schien auf eine gewisse Behaglichkeit zu halten. - An den Wänden hingen einige Waffen, eine Flinte, ein Steinhammer und zwei lange Reiterpistolen.

Der Wirth der »Schönen Guillotine« schob seinem Besuch einen Stuhl an den Tisch und setzte sich ihm gegenüber.

»Zur Sache Freund, was wollt Ihr von mir?«

»Sie sehen,« sagte der Savoyarde, »daß ich nur ein armer Kommissionair bin, also im Auftrag von Andern komme. Der Fossoyeur, den ich bezahlt habe, mich zu Ihnen zu führen, kann sagen, daß ich keine fünf Franken mehr bei mir führe; dennoch frage ich Sie - wollen Sie für die nächsten zwölf Stunden zwanzigtausend verdienen?«

Die Augen des Wirths funkelten. »Zwanzigtausend Franken? Soll ich etwa den Rothschild todtschlagen?«

»Das wäre zu viel! - Sie brauchen sich nicht einmal selbst in Gefahr zu begeben.«

»Sprecht deutlicher Kamerad!«

»Sie wissen, daß man sich heute Nachmittag in Paris geschlagen hat! Es sind an vier Stellen Barrikaden versucht worden!«

»Was geht das mich an? - meinetwegen an zwanzig!«

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»Das ist's eben! Wenn morgen an zwanzig Stellen Barrikaden stehen und man aus ihnen sich schlägt, erhalten Sie zwanzigtausend Franken!«

Der Tête-Renard sah den Savoyarden bei diesem unerwarteten Vorschlag erstaunt an - er hatte etwas ganz Anderes erwartet - etwa einen kleinen Meuchelmord - oder den Vorschlag zu einem gut ausbaldowerten Raube.

»Ich will offen mit Ihnen reden. Meine beiden Begleiter wissen nicht das Geringste von dem Zweck, der mich zu Ihnen führt, und brauchen von unser[']m Handel Nichts zu erfahren. Diejenigen, die mich senden, wissen, daß die Bewohner und Arbeiter der Steinbrüche Ihnen unbedingt gehorchen und Ihrem Rath folgen. Die Bourgeoisie hat heute gezeigt, daß sie zu feig ist, um die Republik gegen einen Tyrannen zu vertheidigen - der Arbeiterstand von Paris ist entnervt und furchtsam, er bedarf eines Beispiels, einer Ermuthigung, ehe er die glorreichen Februartage wiederholt. Die Bewohner der Steinbrüche sind Männer von Muth und haben Nichts zu verlieren, aber Alles zu gewinnen. Reizen Sie sie an, sich dem Widerstandscomité der Montagne zur Verfügung zu stellen, lassen Sie Ihre Mannschaft noch diese Nacht an den Orten, die dieser Zettel bezeichnet, Barrikaden bauen und Sie erhalten zwanzigtauseud Franken dazu, die Sie verwenden mögen wie Sie wollen.«

Der Wirth schaute einige Augenblicke nachsinnend vor sich hin. »Die Sache ließe sich machen,« sagte er dann. »Die Bursche haben ohnehin die größte Lust, sich an der Revolution zu betheiligen, aber ich habe sie zurückgehalten;

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denn wir armen Leute haben keinen Dank dafür und hetzen uns nur zwecklos die Polizei auf den Leib, die immer bleibt, mag die Oberhand behalten wer da will. Aber das Gebot ändert die Sache. Schickt Euch die Bergpartei oder Einer von den Herrn Gefangenen?«

»Es ist gleichgültig. Ein Schlaukopf wie Sie, wird aus der Sache selbst sehen, woran er ist!«

»Ich frage nur des Geldes wegen - ich lasse mich nicht auf leere Versprechungen ein!«

»Das wird auch nicht verlangt. Wenn Sie Jemand, dem Sie trauen können, schicken oder selbst nach dem Platz der Sternwarte23 gehen wollen, aber nur in meiner Begleitung, so werden Sie am Gitter nach der Barrière d'Enfer zu zwei Personen finden, die Ihnen auf gewisse Worte zehntausend, also die Hälfte aushändigen werden.«

»Und der Rest?«

»Den Rest können Sie morgen, wenn Ihre Leute mindestens zwei Stunden lang die Barrieren vertheidigen geholfen, an derselben Stelle zur selben Zeit in Empfang nehmen.«

Der Tête-Renard lachte spöttisch. »Das wär ein verteufelt schlechter Handel. Da könnten wir lange warten, wenn das Ganze nicht überhaupt eine Falle ist!«

»Sie können sich ja leicht überzeugen, wenn Sie eine ganz gleichgültige Person mit mir nach dem Gelde senden. Meine Auftraggeber zahlen zehntausend Franks im Voraus,

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ohne die geringste Bürgschaft Ihrerseits; ich denke, das ist für ihr späteres Worthalten Sicherung genug.«

»Ich weiß eine bessere!«

»Welche!«

»Den Unterhändler!« Der Tête-Renard warf sich mit einem Sprunge von seinem Sitz auf den Savoyarden und streckte die Hand aus, ihm den falschen Bart vom Gesicht zu reißen.

Aber der Mann ihm gegenüber hatte ihn nicht eine Secunde aus den Augen gelassen und war wohl vorbereitet. So rasch, wie der Lumpenwirth auf ihn einsprang, warf er sich zurück und streckte ihm den gespannten Revolver entgegen.

»Sachte, sachte mein Lieber,« sagte er. »Ich halte es für unnöthig, daß Sie mit Jemand Anderem verhandeln, als mit einem Savoyarden-Commissionair. Rühren Sie sich nicht von der Stelle, oder ich schieße Sie nieder wie einen Hund! Ich weiß sehr gut, daß die Zahl auf Ihrer Seite ist; aber erstens würden Sie es nicht erleben und zweitens würden mindestens zehn Andere noch daran glauben müssen, ehe man uns todtschlägt. Zu rauben aber ist bei uns Nichts!«

Der Tête-Renard hatte sich, sobald er den gewaltthätigen Streich mißglückt sah, ruhig wieder auf seinen Stuhl gesetzt und murmelte Etwas wie »Jeder wünsche doch seine Leute kennen zu lernen!«

»Und jetzt entscheiden Sie sich kurz und bündig,« fuhr der Savoyarde fort, noch immer den Revolver schußfertig

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in der Hand, »ob Sie die zwanzigtausend Franken verdienen wollen oder nicht?«

»Sacre Dieu! natürlich will ich! - Es war eine Thorheit von mir, denn es kann uns gleich sein, wer das Geld zahlt. - Die Sache ist, abgemacht! Morgen Vormittag werden Sie zwanzig Barrikaden haben und fünfhundert Bursche darauf, die den Teufel selber nicht fürchten!«

»So sind Sie verständig! Kein Wort zu irgend einer Seele von unserem Geschäft. Es wäre Ihr eigener Schade, denn Sie müßten theilen. Und nun treffen Sie Ihre Anstalten zur Abholung des Geldes, wenn Sie selbst mich nicht begleiten wollen.«

»Das geht nicht an, denn ich habe hier zu thun, die Bursche dazu zu stimmen. Aber sorgt nicht dafür, Kamerad, meine Frau wird am Observatoir[e] sein, zugleich mit Euch, um das Geld in Empfang zu nehmen, vergeßt nur den Rest nicht!«

»Meine Auftraggeber halten Wort. Und nun muß ich machen zur Stadt zu kommen!

Der Kneipenwirth hatte sich erhoben. »Ihr habt nicht nöthig, Herr, wieder durch das Vorderzimmer zu gehen, es würde nur Aufsehn machen. Hier heraus, Herr - ich werde Euch Eure beiden Gefährten den Fossoyeur und den Einarm sogleich nachschicken. In einer halben Stunde ist mein Bote am Platz.«

Er war zu dem von außen mit Läden verschlossenen Fenster getreten und schob an einer Rolle.

Sofort zeigte es sich, daß das Fenster eigentlich eine mit Holzbekleidung verdeckte Thür war, die einen zweiten

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Ausgang bildete und sich jetzt geräuschlos in ihren Angeln drehte.

Der verkleidete Savoyarde trat hinaus wieder in die Nachtluft, die etwas wahrhaft Erfrischendes für ihn hatte trotz des häßlichen feuchten Nebels gegenüber dem Qualm und dem Odem des Verbrechens, welche die eben verlassene Höhle erfüllten.

Zwei Minuten später kamen durch den gewöhnlichen Ausgang seine Gefährten zu ihm. -

Der Aufstand, den General St. Arnaud verlangt, war gesichert!

Inhalt.

Schnell-Galgen.

                               1. Die Belagerung von Temesvár 7

                               2. Eine Brautnacht 81

Meinen Helm! mein Schwert! 201

                               Nachtrag 302

Der 2. Dezember 310


Footnotes:

1Thomas. Lujos[Lajos]: Ludwig.

2Der Divisionair Feldmarschall-Lieutenant v. Gläser fiel während der Belagerung.

3Nach österreichischer Heeresabtheilung.

4Feldmarschall-Lieut. v. Gläser, Ingenieurmajor v. Simonovich, Oberlieut. Nastaschin und Lieut. L. Le Gay von Sirkovich., Houchardt von Erzherzog C. Ferdinand Infanterie und Thoma von dem Romanen-Banater Gränz-Regiment.

5Der Verfasser dieses Buchs war zufällig damals grade an Ort und Stelle und kann von dem Enthusiasmus erzählen, den das Wiederauffinden des alten Palladiums des Reiches machte. Ein eigenes Dampfschiff kam von Pesth, die Kleinodien abzuholen.

6Kinkel wurde nach einem Gefecht in der Pfalz in einem Kornfeld, aus dem er auf die Soldaten geschossen hatte, von einem Unteroffizier verfolgt, ergriffen und vor den kommandirenden General geführt. Dieser sah wahrscheinlich die künftige Verlegenheit voraus, denn er fuhr den Unteroffizier ärgerlich an: »Warum haben Sie den Halunken nicht lieber über den Haufen geschossen!« - Kinkel, der sein Leben dadurch gerettet, daß er sich dem Verfolgenden zu erkennen gegeben, wandte sich jetzt zu diesem und sagte pathetisch: »Freuen Sie sich, daß Sie ein Mensch gewesen und menschlich gehandelt haben!« - Wir haben die Anekdote von einem Augenzeugen!

7Ein damaliger Spottname des Präsidenten.

8Ein berüchtigter kleiner Wein aus der Nähe von Paris, zur Ration des Militairs gehörig. Man wird sich einen Begriff davon machen, welches Gebräu von dem Volk unter diesem Namen getrunken wird, wenn man hört, daß der Ortroy (die Thorsteuer) für die Flasche mehr beträgt als der Preis, zu dem er in den pariser Kneipen verkauft wird.

9Süßholzwasser; ein sehr übliches Getränk der untern Volksklassen.

10Villafranka, II. S. 435.

11Ces gens là veulent empecher le Président de coucher aux Tuileries et ils ne savent pas dans quel draps se mettre.

12Graf Chambord.

13Der Klub der Legitimisten.

14Der Pyramiden-Verein hieß der Klub der Orleanisten.

15Der Prozeß machte damals Aufsehen in Paris.

16Die pikante Frage ist historisch.

17Der Sitz der Familie Louis Philipps.

18L'empire c'est la paix!

19L'empire c'est l'epée!

20Der Club der Rothen im Montmartre.

21Bellamare, derselbe, welcher im September 1855 ein Attentat versuchte, aber fälschlich auf den Wagen der Hofdamen schoß, wurde nach dem Staatsstreich wegen dieses Plakats zu zweijährigem Gefängniß verurtheilt.

22St. Arnaud ist der angenommene Name des Ministers.

23Das Observatoire.




Werke von Sir John Retcliffe

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