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Literarische Gesellschaften
in und um Berlin

Bettina-von-Arnim-Gesellschaft
Charles Bukowski-Gesellschaft
Gerhart Hauptmann-Gesellschaft
Heimito-von-Doderer-Gesellschaft
Theodor Fontane Gesellschaft
Literarische Friedrich de la Motte-Fouqué-Gesellschaft
Literaturverein Georg Kaiser
Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft
Deutsche Leopardi-Gesellschaft
Literarisches Colloquium Berlin
literaturWERKstatt berlin
(Trägerverein Literaturbrücke Berlin)
Int. Wilhelm-Müller-Gesellschaft
Neue Gesellschaft für Literatur, Berlin
Pirckheimer-Gesellschaft
Sartre-Gesellschaft
Johann-Gottfried-Schnabel-
Gesellschaft
Anna-Seghers-Gesellschaft Berlin und Mainz
Deutsche Stendhal-Gesellschaft
Kurt Tucholsky-Gesellschaft
Int. Peter Weiss-Gesellschaft
Arnold-Zweig-Gesellschaft

In Berlin ansässige Freundeskreise der:
Raabe-Gesellschaft
E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft

Nicht alle aufgeführten Gesellschaften haben ihren Sitz laut Satzung in Berlin. Aber alle Gesellschaften arbeiten von Berlin oder der näheren Umgebung aus. Die Adressen der jeweiligen Geschäftsstellen oder Ansprechpartner sind über die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften erhältlich.





Ein Koffer voller Bücher in Berlin

Literarische Gesellschaften in Berlin

Ein schwerwiegender journalistischer Fehler sei es, die Leser gleich zu Beginn eines Textes mit trockenem Zahlenwerk zu behelligen. Das wird behauptet und ist sicher nicht falsch, hier allerdings unvermeidlich, da ein Einblick in den Teil des kulturellen Lebens gegeben werden soll, der in Berlin von literarischen Gesellschaften gestaltet wird.

    Zwölf der 123 Mitgliedsgesellschaften der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften haben ihren Sitz in Berlin. Nach dem absoluten Spitzenreiter Nordrhein-Westfalen mit über 21 literarischen Gesellschaften steht Berlin hinter Bayern (17 Gesellschaften) und Hessen (15 Gesellschaften) auf Platz vier gar nicht mal so schlecht da. Zählt man zu dieser Zahl außerdem noch die Gesellschaften hinzu, die in der näheren Umgebung von Berlin aktiv sind und noch die Vereinigungen, die nicht Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft sind, so liegt Berlin mit dem Spitzenreiter Nordrhein-Westfalen ganz vorn.

    Drei Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Bundesland unterhalten in Berlin ihre Geschäftsstelle, weitere drei Gesellschaften haben Arbeitskreise in der Bundeshauptstadt und zwei Gesellschaften mit Sitz in Brandenburg sind mit der S-Bahn leicht zu erreichen. Natürlich wird Berlin auch immer wieder von literarischen Gesellschaften zum Tagungsort gewählt - vorzugsweise von denjenigen, deren Namenspatron zu Lebzeiten mit der Stadt auf irgendeine Art und Weise verbunden war. Und ein nur einigermaßen an Literatur Interessierter wird wissen, daß so gut wie alle Schreibenden einmal die »Berliner Luft« geschnuppert haben.

    Bevor nun einige der in Berlin ansässigen Gesellschaften vorgestellt werden, seien auch die Gesellschaften erwähnt, die zwar ihren Sitz in einem anderen Bundesland haben, ihre Geschäftsstelle jedoch in Berlin unterhalten. Da ist zunächst einmal die noch junge Johann-Gottfried-Schnabel-Gesellschaft. Die »sitzt« zwar in Stolberg/Harz, aber die Geschicke der Gesellschaft werden von Berlin aus gelenkt.

    Die Geschäftsstelle der Leopardi-Gesellschaft (Sitz in Bonn), die 1992 auch ihre zweite Jahrestagung in Berlin durchführte, befindet sich am Romanischen Institut der Freien Universität Berlin.

    Die 1982 gegründete Deutsche Stendhal-Gesellschaft schließlich kann als hängengebliebene Durchreisende bezeichnet werden. Zwar hat sie ihren Sitz in Mainz, die Geschäfte aber werden von Michael Nerlich von der TU-Berlin aus geführt. Prof. Nerlich war es, der der Gesellschaft 1992 mit einer Tagung in Stendal, anläßlich des 150. Todestages Stendhals, wieder zu neuen Energien verhalf. Erstmals konnten da die Freunde Henri Beyles die Stadt besuchen, nach der er sich genannt hat; ein Besuch, der den Teilnehmern eines internationalen Kongresses zu Beginn der Siebziger Jahre in Berlin (West) von der DDR-Regierung noch verwehrt worden war. Stendal nun versprach der Gesellschaft Räume für eine Geschäftsstelle und, vor allem, für die Bibliothek, die der Gesellschaft von der französischen Regierung in Aussicht gestellt worden ist. Leider konnte dieses Projekt bis heute nicht verwirklicht werden: Die Koffer der Deutschen Stendhal-Gesellschaft stehen also sozusagen schon seit mehreren Jahren gepackt im Berliner Flur.

    Zwar nicht ihre Geschäftsstelle, aber doch eine rege Zweigstelle unterhält die E. T. A Hoffmann-Gesellschaft (Sitz in Bamberg) in Berlin. Unter der Leitung


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von Hans-Dieter Holzhausen trifft sich regelmäßig ein fester Kreis von Hoffmann-Freunden und veranstaltet Führungen zu Berliner Hoffmann-Stätten. Hin und wieder auch versammelt sich die E. T. A Hoffmann-Gesellschaft ganz offiziell in Berlin; so fand 1986 erstmals ihre Mitgliederversammlung hier statt, und im September 1992 traf ein internationales E. T. A. Hoffmann-Symposium im Literarischen Colloquium am Wannsee zusammen. Ähnliches gilt übrigens auch für die Raabe-Gesellschaft, die einen »Raabe-Gesprächskreis« in Berlin hat und 1987 ihr internationales Symposium zur Raabe-Forschung ebenfalls hier veranstaltete.

   Ihre 4. Jahrestagung führte die 1990 in Potsdam gegründete Theodor Fontane Gesellschaft, anläßlich des 175. Geburtstages Fontanes, 1994 in der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße in Berlin durch. Mit ihren verschiedenen Tagungen in der Peripherie (1992 in Gosen bei Berlin, 1993 in Potsdam) leistet die Fontane-Gesellschaft einen wichtigen Beitrag zum kulturellen Leben im Berliner Umland. Gern erteilt die Fontane-Gesellschaft Auskunft über die verschiedenen Freundeskreise, die sich außer in Berlin und Brandenburg auch in Hannover, Hamburg sowie einigen anderen Städten gebildet haben.     Das Wirken der Fontane-Gesellschaft beschränkt sich nicht mehr auf die jährliche Zentralveranstaltung, sondern findet in vielfältigen örtlichen Initiativen eine hochwillkommene Ergänzung und Bereicherung.«

    Wie die Fontane-Gesellschaft hat auch der Literaturverein Georg Kaiser seinen Sitz in Brandenburg, genauer gesagt in Grünheide, wo Georg Kaiser von 1921 bis zu seiner Emigration 1938 lebte - der Nachlaß des Dichters wird übrigens ebenfalls von der Akademie der Künste verwaltet -, da lag es nahe, 1991 den Literaturverein zu gründen. Bereits seit Ende der siebziger Jahre gab es in Grünheide einen Literaturklub, dem staatlichen Klub der Werktätigen zugeordnet, der regelmäßig Veranstaltungen zu Georg Kaiser durchführte, eng mit dem Gerhart-Hauptmann-Museum im benachbarten Erkner zusammenarbeitete und seit 1983 alljährlich im Juni einen Georg-Kaiser-Tag gemeinsam mit dem Gerhart-Hauptmann-Museum beging. Nach wie vor unterstützen sich die beiden Gesellschaften gegenseitig in ihrer Arbeit, und seit 1991 wird im Herbst ein Grünheider Kulturtag veranstaltet, der sich auch mit anderen Autoren der Region befaßt.

    Der Sitz der 1952 in Baden-Baden gegründeten Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft befindet sich seit den 70er Jahren in Berlin. Mit dieser Verlagerung sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, daß sich das Zentrum der Hauptmann-Forschung mit dem Museum in Erkner, der Handschriftensammlung der Staatsbibliothek sowie dem von der Freien Volksbühne vergebenen Hauptmann-Preis in Berlin befindet. Im Westteil beheimatet, hielt die Gesellschaft immer Kontakt zur im Osten gelegenen Gedenkstätte in rkner, einer Villa, die Hauptmann vier Jahre lang bewohnte und die heute als Museum der Öffentlichkeit zugänglich ist (siehe darüber auch Hinweis in diesem Heft - Anm. d. Red.). In Zusammenarbeit mit der NGL Berlin hat die Hauptmann-Gesellschaft 1996 die Lesereihe »Das Debüt« ins Leben gerufen, in deren Rahmen einmal monatlich junge Autoren im Museum Erkner ihre neuen Werke vorstellen.

    Die 1973 von Ingeborg Drewitz und anderen Autoren in einer Initiative des Berliner Landesverbandes des Schriftstellerverbandes (VS) gegründete Neue Gesellschaft für Literatur Berlin (NGL) ist eine von drei Nicht-Namens-Gesellschaften, die zu den Berliner Mitgliedern der ALG zählen.

    Da die NGL nicht über eigene Veranstaltungsräume verfügt, finden ihre vielfältigen Veranstaltungen über ganz Berlin verteilt und des öfteren im Literaturhaus Berlin statt. Zu den regelmäßig von der NGL mitorganisierten Projekten gehören Schullesungen, die Berliner Autorentage, die Berliner Märchentage sowie die Biennale kleinerer Sprachen. In monatlichen Arbeitsgruppen über Themen wie Essay und Kritik, Hörspiel, Internationale Autoren, Kinder- und Jugendliteratur und andere mehr setzen sich Autoren und Literaturinteressierte mit aktuellen Werken der betreffenden Genres auseinander. Die NGL Berlin ist Sitz des Bundes der Fördervereine für zeitgenössische Literatur Deutschlands. Die Gesellschaft wird institutionell vom Land Berlin gefördert, ihr gehören etwa 500 Mitglieder an. Da sich darunter viele Autoren befinden, bietet sich die NGL für eine Zusammenarbeit mit Gesellschaften für Neue Literatur in anderen Bundesländern an. So wird das Marburger Literaturforum im Sommer 1997 eine Schreibwerkstatt für Jugendliche unter der Leitung zweier jüngerer Autoren der NGL Berlin durchführen.

    Vorwiegend der zeitgenössischen Literatur widmet sich die Literaturbrücke/literaturWERKstatt berlin, die seit 1991 in einer Villa am Majakowskiring 46/48 beheimatet ist; einem Haus mit bewegter Geschichte. Die von einem Nazi auf jüdischem Grundbesitz gebaute Villa wurde 1945 von der Roten Armee enteignet. In den 50er Jahren war sie der Wohnsitz des ersten Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, diente dann als Gästehaus des Ministerrats und wurde 1980 der Berliner Sektion des DDR-Schriftstellerverbandes, sozusagen als Belohnung für ein positives Abstimmungsergebnis, das den Ausschluß von neun Autoren aus dem Schriftstellerverband zur Folge hatte, zur Nutzung übergeben. Als Stein gewordener Judaslohn wurde das Haus jedoch von vielen Schriftstellern und Schriftstellerinnen nicht angenommen. Erst mit der Bewegung, die den Untergang der DDR zur Folge haben sollte, kam auch wieder Bewegung in die


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Villa am Majakowskiring, sie wurde von einigen Autorinnen und Autoren besetzt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die vom Land Berlin institutionell geförderte literaturWERKstatt versteht sich als ein Ort, an dem Autorinnen und Autoren, literarische Gesellschaften und Vereine tagen können.

1993 zum Beispiel traf sich die Anna-Seghers-Gesellschaft in ihren Räumen, und die Int. Wilhelm-Müller-Gesellschaft hat sich das Haus zum Sitz erkoren. Die literaturWERKstatt führt thematisch geprägte Reihen, Veranstaltungen zu einzelnen literarischen Genres und Festivals nicht-deutscher Literaturen durch. Darüberhinaus widmet sie sich mit Veranstaltungen beispielsweise zu Spoken Poetry und dem 1993 erstmals international ausgeschriebenen Open-Mike-Wettbewerb der Darstellung aktueller Entwicklungen in der Gegenwartsliteratur. Einmal im Jahr findet im Garten der Villa die beim Berliner Publikum außerordentlich beliebte »Sommernacht der Lyrik« statt.

    Aus dem literarischen Leben Berlins ist die junge und außerordentlich aktive literaturWERKstatt genausowenig wegzudenken wie das zwar schon etwas ältere, nichtsdestotrotz aber nicht weniger lebendige Literarische Colloquium Berlin (LCB). Hartnäckig hält sich das Gerücht, Carl Zuckmayer habe in der schönen Villa am Wannsee, die auch die Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft Literarische Gesellschaften unter ihrem Dach beherbergt, seinen Fröhlichen Weinberg geschrieben. Nicht verwunderlich also, daß das LCB immer wieder gerne von literarischen Gesellschaften zum Ort ihrer Tagungen gewählt wird. Beispielsweise führte das LCB im November 1989 gemeinsam mit der Int. Robert Musil-Gesellschaft ein Symposium zum Verhältnis zeitgenössischer Autoren zu Robert Musil durch. Im Juli 1995 war das LCB neben der Rudolf-Borchardt-Gesellschaft Mitveranstalter des aus Anlaß des 50. Todestages des Dichters veranstalteten Symposiums »Rudolf Borchardt und seine Zeitgenossen«. 1996 gehörten unter anderem die Theodor-Däubler-Gesellschaft und die Heimito-von-Doderer-Gesellschaft zu den Gästen.

    Das 1963 von Walter Höllerer gegründete LCB, das 1964 von der Carmerstraße an den Wannsee umzog, sollte nach dem Willen seines Gründers der Einriegelung West-Berlins eine künstlerische und intellektuelle Offenheit und Vielfalt gegenüberstellen, die es gar nicht erst zu einer »Mauer in den Köpfen« sollte kommen lassen, und verstand sich immer als Brücke zwischen Ost- und Westeuropa. Schwerpunkte der Programmarbeit der letzten Jahre sind die Literaturen Osteuropas, die Übersetzerförderung und internationale Schriftstellerbegegnungen. Unter dem Titel »Tunnel über der Spree« finden jährlich Treffen deutscher Autoren statt, und die vier bis sechs Stipendiaten des Berliner Aufenthaltsstipendiums für junge Autoren, das jährlich vom Land Berlin vergeben wird, leben und arbeiten einige Monate in der Villa und erhalten außerdem die Gelegenheit zu einer Lesung. Damit nicht genug ist das LCB Ausrichter von zwei Literaturpreisen: Des von Günter Grass gestifteten und alle zwei Jahre vergebenen »Döblin-Preises« und des von der Stiftung Preußische Seehandlung finanzierten »Berliner Preises für deutschsprachige Literatur«. Da das LCB nicht nur über den Lebensweg seines Gründers mit der Gruppe 47 verbunden ist - die Gruppe tagte auch im November 1965 im Haus am Wannsee -, nahm man den 50. Geburtstag, den die Gruppe 47 in diesem Jahr hätte feiern können, zum Anlaß, im März 1997 eine Veranstaltungsreihe zu Geschichte und Wirkung der Schriftstellergruppe durchzuführen. Da gaben sich denn hochkarätige Vertreter des literarischen Lebens wie Günter Grass, Peter Bichsel, Jürgen Becker, Hans Christoph Buch, Friedrich Christian Delius, Klaus Wagenbach, und Peter Härtling ein Stelldichein und diskutierten über Vergangenheit und Gegenwart der Gruppe 47.

    Bedenkt man all dies, dürfte klar werden, welch große Rolle das Literarische Colloquium Berlin nicht nur für das literarische Leben Berlins spielt. Daß ein Haus, dessen Reputation nicht nur in Deutschland, sondern auch über die Grenzen hinaus in die Welt hineinstrahlt, immer wieder zur Disposition steht, und zwar aus dem irgendwie erschütternden Grund, daß die Immobilie, auf der es steht, Begehrlichkeiten beim bettelarmen Berliner Bären weckt, ist daher umso weniger einzusehen.

Die von Vertretern des »Kultur-muß-arm-sein-sonst-taugt-sie-nichts«-Konzeptes immer wieder gestellte Frage: »Braucht denn so ein Leseverein überhaupt so ein schönes Haus?« ist grundsätzlich falsch. Hinter so einer Frage steckt letztlich die Verachtung der künstlerischen Äußerungsformen und die


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mangelnde Wertschätzung ihrer Bedeutung. Einmal ganz davon abgesehen, daß auch der Ort, an dem etwas stattfindet, Teil der Entscheidung, die Veranstaltung zu besuchen, sein kann.

    Aber nun zu einer Gelegenheit, Literatur auf eine ganz andere und doch sehr angenehme Art augenscheinlich werden zu lassen. Nicht jede Namensgesellschaft ist in der glücklichen Lage, ihren Dichter oder ihre Dichterin über die Vermittlung seiner oder ihrer konkreten Lebensumstände wieder ein bißchen, und sei es auch nur in der Vorstellung, lebendig werden zu lassen. Die 1991 gegründete Anna-Seghers-Gesellschaft Berlin und Mainz soll hier als Beispiel für solch eine glückliche Gesellschaft dienen. Die Gesellschaft hat, wie der Name schon verrät, zwei »Sitze« und trägt damit dem Lbensweg der Anna Seghers Rechnung, die in Mainz geboren wurde, zwischen 1925 und 1933 und von 1947 bis zu ihrem Tod 1983 in Berlin lebte, im Sommer 1947 auch im Haus am Sandwerder 5. Anna Seghers ist Ehrenbürgerin der Städte Berlin und Mainz, die die Gesellschaft, die jährlich wechselnd einmal in Mainz und einmal in Berlin tagt, auch unterstützen. Die Anna-Seghers-Gesellschaft arbeitet eng mit der seit 1985 bestehenden Anna-Seghers-Gedenkstätte in Berlin-Adlershof zusammen. Sie hat ihren Berliner Sitz in der Gedenkstätte, in der sich auch der Vorstand zu seinen Sitzungen zusammenfindet. Der literarische Nachlaß von Anna-Seghers, den die Dichterin testamentarisch der Akademie der Künste, die nun die Gedenkstätte unterhält, vermacht hat, befindet sich im Archivgebäude am Robert-Koch-Platz. Im November 1995 wurde die Anna-Seghers-Stiftung errichtet (wir berichteten), die gleichfalls ihren Sitz bei der Akademie hat. Die Aufgabe der Stiftung ist die Künstlerförderung durch die jährliche Vergabe des Anna-Seghers-Preises (früher Anna-Seghers-Stipendium). Während die Haupttätigkeit der Anna-Seghers-Gesellschaft die Organisation der Jahrestagung und die Herausgabe des Jahrbuches Argonautenschiff ist, bietet die Anna-Seghers-Gedenkstätte in Berlin-Adlershof mit den Wohnräumen der Schriftstellerin, der Bibliothek und Literatursammlung, einer Ausstellung und der Möglichkeit, Kassetten und Tonbandaufnahmen zu hören sowie Videos mit Verfilmungen nach Anna Seghers Büchern zu sehen, einen ganz konkreten Zugang zur Dichterin. Häufige Besucher der Anna-Seghers-Gedenkstätte sind Schulklassen, die sich dann faszinieren lassen von der amerikanischen Comicfassung des berühmtesten Seghers-Romans Das siebte Kreuz. In der Gestaltung ihres Aufenthaltes in der Gedenkstätte sind die Schulklassen nahezu frei.

Einmal gab es auch einen Schülerwettbewerb, der Comicfassungen einer Erzählung von Anna Seghers als Ergebnis hatte. Die besten Einsendungen sind im Jahrbuch der Anna-Seghers-Gesellschaft publiziert worden. Außerdem treffen sich in der Gedenkstätte - allerdings nicht-öffentlich - Zeitzeugen, um im gemeinsamen Gespräch, bei laufendem Tonband, ihre Erinnerungen zu dokumentieren. Eine Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Exilforschung ergibt sich aus der Tatsache, daß gegenseitige Mitgliedschaften und Kontakte der Mitglieder untereinander bestehen quasi von selbst. Stolz sind die Freunde der Anna Seghers insbesondere darauf, daß die 2. Gesamtschule mit gymnasialem Oberteil in Berlin-Adlershof seit Dezember 1995 »Anna-Seghers-Gesamtschule« heißt.

    Womit zwanglos auf eine weitere Berliner Gesellschaft übergeleitet wäre, die sich durch ihre Zusammenarbeit mit einer Schule auszeichnet: die Bettina von Arnim-Gesellschaft, die dieses Engagement auch gleich in ihrem Untertitel verkündet, »Verein der Freunde und Förderer der Bettina von Arnim-Oberschule« und die jährlich Preise an diejenigen Schüler vergibt, die sich durch ihr Engagement besonders hervorgehoben haben. Diese »Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe« (am Senftenberger Ring 49) ist die zweite ihrer Art, sie wurde von Dr. Karl Wagner mit initiiert, der nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches die Berliner Pädagogik entscheidend neu gestaltet hat.

    Gerne würde auch die 1988 gegründete Kurt Tucholsky-Gesellschaft (KTG), ebenfalls mit Sitz in Berlin, ihre Geschäftsstelle in der Stadt einrichten, dem entgegen stehen jedoch fehlende finanzielle Mittel. Das Land Berlin kann es sich offensichtlich nicht leisten, auch noch eine Vertretung dieses berühmten Sohnes der Stadt zu unterstützen. Den hier länger ansässigen Berlinern wird sicher noch in Erinnerung sein, welch heftige Auseinandersetzungen es um das Geburtshaus Tucholskys in der Lübecker Straße 13 in Moabit gab. Der in den 70er Jahren begonnene und lange währende Streit um die Einrichtung einer Tucholsky-Gedenkstätte in diesem Haus endete mit dem Anbringen einer Gedenktafel an der Hauswand. Es verwundert dann auch nicht weiter, daß das Tucholsky-Zimmer (mit Orginalmöbeln und Utensilien Tucholskys aus seinem schwdischen Exil) im Literaturhaus Berlin in der Fasanenstraße eher wie eine Abstellkammer wirkt und jedem, der das Wort Ausstellungskonzept wenigstens schon einmal gehört hat, die Haare zu Berge stehen läßt. So werden die Geschäfte der KTG einstweilen von Hude, dem Wohnort ihres Vorsitzenden Michael Hepp, aus geleitet. Die


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räumliche Distanz und die eher sporadische Unterstützung durch die Stadt bedeutet für die KTG aber keinesfalls eine Abkehr von Berlin. Ganz im Gegenteil ist sie hier außerordentlich aktiv, der Lebensweg Tucholskys ist ihr Verpflichtung. 1990, anläßlich des 100. Geburtstages ihres Namenspatrons, veranstaltete die KTG, in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste, dem Land Berlin und dem Literaturhaus Berlin, eine Tagung unter dem Motto »Tucholsky und Berlin«. Die Tagung 1991 widmete sich dem Thema »Deutschland, Deutschland über alles« und im Oktober 1995 fand eine vielbeachtete Tagung mit dem Titel »Tucholsky und das Judentum« unter anderem im Literarischen Colloquium Berlin statt. Die Teilnehmer der ALG-Jubiläumstagung im September 1996 (siehe auch Artikel in diesem Heft) werden sich bestimmt an die gelungene, von der ALG aus Mitteln der Kulturstiftung der Länder geförderte Matinee im Deutschen Theater erinnern, in deren Rahmen der Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik an den Journalisten Heribert Prantl verliehen wurde. Dieser Preis wird seit 1995 jährlich an eine Person des öffentlichen Lebens vergeben, die sich um die Kritik zeitgeschichtlich-politischer Vorgänge verdient gemacht hat. Für den Oktober 1997 plant die KTG eine Tagung (und eine Ausstellung) zum Thema »Tucholsky und die Justiz« in Berlin.

    Zum Schluß noch ein paar Bemerkungen zu den übrigen in Berlin ansässigen Gesellschaften: Da wäre zunächst die renommierte, 1960 in Berlin neu gegründete Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft, deren Bedeutung für das literarische Leben sich durch die alljährliche Vergabe des Kleist-Preises und die Durchführung interdisziplinärer Kolloquien quasi von selbst ergibt.

Auch wenn die Stelle am Südufer des Kleinen Wannsees (Bismarckstraße 3) in Zehlendorf, an der Heinrich von Kleist gemeinsam mit Henriette Vogel Selbstmord beging, ein beliebtes Ziel für literarisch interessierte Pilger darstellt, so teilt die Gesellschaft doch das Schicksal vieler literarischer Vereinigungen, deren Vorstände und Mitglieder über das gesamte Bundesgebiet verteilt sind: Die Veranstaltungen finden an verschiedenen Orten in ganz Deutschland statt, und das auch oftmals unter der Prämisse, daß ein Bundesland, eine Kommune oder Gemeinde einen erklecklichen Zuschuß zu geben bereit ist. Insofern kann man von einer ständigen Präsenz dieser Gesellschaft in Berlin eigentlich nicht sprechen. Seit 1996 ist zudem der Sitz der Geschäftsstelle der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft im Kleist-Museum in Frankfurt Oder. Der Sitz der Gesellschaft wurde bisher laut Satzung zwar noch nicht dorthin verlegt, aber vielleicht wird dies auch einmal bedacht, sollte sich die Zusammenarbeit zwischen Gesellschaft und Museum als produktiv und tragend erweisen.

    Zur Zeit ebenfalls noch eher bescheiden im Hintergrund hält sich die 1956 ins Leben gerufene Pirckheimer-Gesellschaft, die sich als eine jener deutschen bibliophilen Vereinigungen versteht, die die Tradition der 1899 in Weimar gegründeten »Gesellschaft der Bibliophilen« nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen haben. Die noch zu DDR-Zeiten sehr bekannte und auch recht große Gesellschaft mit weit über 1.000 Mitgliedern wurde nach 1990 ein Opfer der sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Mitgliederzahl nahm rapide ab; nach Auskunft der Gesellschaft konnte sich ein Großteil der bisherigen Mitglieder schlicht die Beitragszahlungen nicht mehr leisten. Und auch die von der Gesellschaft herausgegebene und international renommierte Zeitschrift Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie geriet in echte Existenznöte. Inzwischen hat man für die Publikation beim Harrassowitz-Verlag in Wiesbaden eine neue Heimat gefunden. Es zeigte sich insgesamt,daß zum Überleben der Gesellschaft unter veränderten Bedingungen ein Strukturwandel durchgeführt werden mußte. 1992 wurde die in der Friedrichstraße ansässige Gesellschaft anläßlich ihres Jahrestreffens in ein westliches Vereinsregister eingetragen und die Tätigkeiten beschränken sich nicht nur auf Veranstaltungen zur Buchkunst, sondern die Gesellschaft versucht auch eine Öffnung für andere Aktivitäten literarischer Art.

    Bislang eher selten ins Licht der grossen Öffentlichkeit trat auch die Sartre-Gesellschaft, die ihre Veranstaltungen regelmäßig im Maison de France durchführt.

Seit 1990 existierte bereits ein loser Zusammenschluß gleichen Namens von Sartre-Interessierten, die unter der Federführung von Rainer E. Zimmermann einige Jahre ein sehr ansprechend gestaltetes Sartre-Jahrbuch herausbrachten und auch regelmäßig Veranstaltungen organisierten. Dieser gedeihlichen, aber auch recht lockeren gemeinsamen Arbeit wollte man dann doch eine etwas festere, verbindlichere Form und etwas mehr Kontinuität geben, indem 1993 eine Gesellschaft mit Vereinsstatus und Eintrag im Vereinsregister gegründet wurde. So konnte die sehr kleine Gesellschaft (etwa 20 Mit-


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glieder) 1995 eine erfolgreiche Tagung unter dem Titel »50 Jahre Le Temps Modernes - Interferenzen zwischen Ästhetik, Ethik und Politik« im Maison de France in Berlin durchführen. Für das Frühjahr 1998 ist wieder in Berlin eine Tagung unter dem Titel »Existentialismus heute« geplant (siehe dazu auch S. 25 der Mitteilungen).

    Mit Berlin und Potsdam verbunden ist die Internationale Peter-Weiss-Gesellschaft (IPWG). Die Gesellschaft hat ihren Sitz in Berlin, der Nachlaß des Schriftstellers wird unter anderem von der Akademie der Künste verwaltet, in der auch 1991 eine Peter-Weiss-Austellung zu sehen war, während sich das Geburtshaus ihres Namenspatrons in Potsdam-Babelsberg befindet. Die IPWG ist ein gutes Beispiel für die Tatsache, daß das Überleben und die wachsende Anerkennung einer literarischen Vereinigung oft ausschließlich durch das ungeheure Engagement einiger weniger ehrenamtlicher Vorstandsmitglieder oder auch der Vorsitzenden allein getragen wird. In diesem Fall kann man wohl zu Recht behaupten, daß die 1989 gegründete Int. Peter-Weiss-Gesellschaft heute nicht so dastehen würde, hätte sie nicht in Ulrich Schreiber einen wahrlich umtriebigen Vorsitzenden gefunden. Seit 1992 erscheint ein Peter-Weiss-Jahrbuch, das in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft herausgegeben wird. Jährlich werden an verschiedenen Orten ausgesprochen erfolgreiche Tagungen durchgeführt, so beispielsweise 1991 zum 75. Geburtstag von Peter Weiss in Potsdam das Festival »Avantgarde im Film und Peter Weiss«, 1993 in Hamburg »Die Bilderwelt des Peter Weiss«, 1994 in Salzburg »Kultur ist zu wagen. Ästhetische Erfahrung und Politik im Kunstwerk«. Die von der Gesellschaft initiierte Peter Weiss-Stiftung für Kunst und Politik erarbeitete gemeinsam mit dem Hamburger Institut für Sozialforschung eine Ausstellung mit dem Titel »200 Tage & 1 Jahrhundert: Gewalt und Destruktivität im Spiegel des Jahres 1945«. Sie war 1995 in der Parochialkirche in Berlin-Mitte zu sehen. Vom 15. bis 19. Januar 1997 fand in Paris im Haus des Schriftstellers die Tagung »Peter Weiss und Paris« statt, die von einer gleichnamigen Ausstellung begleitet wird, die noch bis zum 11. April 1997 im Goethe-Institut in Paris zu sehen ist.

    Die 1991 gegründete Internationale Arnold-Zweig-Gesellschaft, die 1993 umfangreiche Aktivitäten gegen die Schließung der Arnold-Zweig-Gedenkstätte in Niederschönhausen durchführte, ist eine vergleichsweise kleine Gesellschaft (50 Mitglieder).

Das Schwergewicht ihrer Arbeit liegt augenblicklich noch in der Durchführung wissenschaftlicher Symposien, die sie - dem »International« im Namen gemäß - in der ganzen Welt durchführt: 1987 in Cambridge (England) »Arnold Zweig - Poetik, Judentum, Politik«, 1991 in Gent (Belgien) »Arnold Zweig - Psyche, Politik und Literatur, 1993 in Berlin »Arnold Zweig - Berlin Haifa Berlin und 1996 schließlich in North Carolina an der Duke University Durham »Das Werk Arnold Zweig im Kontext der deutschen Exilliteratur«. Aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft und vielleicht auch der Berliner ist der Gesellschaft zu wünschen, daß es nicht allein bei dieser wissenschaftlichen Ausrichtung bleibt, sondern darüber hinaus gelingt, Veranstaltungen für ein nicht wissenschaftliches Publikum (vielleicht vorrangig in Berlin) zu organisieren.

    Neu in Berlin gegründet haben sich im letzten Jahr die Charles Bukowski-Gesellschaft, die Heimito von Doderer-Gesellschaft und die Literarische Friedrich de la Motte Fouqué-Gesellschaft. Während die erste bisher öffentlich eigentlich noch gar nicht in Erscheinung getreten ist, gelang der Doderer-Gesellschaft mit einem außerordentlich gut besuchten und in den Medien viel beachteten Kolloquium 1996 im LCB anläßlich des 100. Geburtstages ihres Namenspatrons ein fulminanter Einstieg in das Vereinsleben. Sie hat im LCB gleich ihren Sitz genommen. Und auch die Fouqué-Gesellschaft führte im Februar diesen Jahres nach dem Motto »Nicht kleckern, sondern klotzen« in Berlin, Brandenburg und Nennhausen die »Fouqué-Festtage« anläßlich seines 220. Geburtstages durch.

    Die Anziehungskraft, die Berlin auf literaturinteressierte und im Literaturbetrieb tätige Menschen ausübt, dürfte auch sicher nicht zum kleinsten Teil aus der bewegten Geschichte der Stadt herrühren. Da denkt man dann natürlich an die Zwanziger Jahre, in denen Else Lasker-Schüler, Peter Hille, Gottfried Benn und wie sie nun alle hießen den Grundstein für eine literarische Tradition gelegt haben. Ob die ehemalige Enklave Berlin, die vermeintlich von der Welt abgeschottete Grenzstadt, zukünftig auch wieder eine Hauptstadt der Literatur werden wird, muß dahingestellt bleiben. Festhalten läßt sich, daß Berlin, nach wie vor und trotz aller fehlenden Gelder (wobei Berlin im Vergleich mit seinen Ausgaben für Autoren, Leseförderung und Literaturvermittlung bundesweit immerhin an zweiter Stelle und damit weit über dem Durchschnitt liegt) weiterhin eine angenehme Adresse nicht nur für literarische Gesellschaften ist. Auch Berlin leuchtet.

Alexandra Seitz/Christiane Kussin


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