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bin jetzt mehr in Canaillen Stimmung

Else-Lasker-Schüler-Lyrikpreis 1996 an Friederike Mayröcker



ich freue mich nicht, wenn mir jemand gepreßte Blumen
oder 200 Millionen Jahre alten Lavendel sendet
ich freue mich nicht über Blumen an meiner Tür
über Blumensträuße wenn jemand mich aufsucht -
solche Zeichen haben für mich jeglichen Sinn
verloren, sind mir leere anspruchsvolle Gesten geworden.
Weiß ja nicht wo und wie ich mich befinde, nur,
daß das alte PIANO PON mein Komet ist und mit mir weint.

Friederike Mayröcker

(aus: »Notizen auf einem Kamel«, Suhrkamp Verlag, ISBN 3-518-40799-6; DM 38,-)


    Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde von »Abigail«,

    trotz dieses Gedichts, das in seiner Schlußzeile Assoziationen zu Else Lasker-Schüler weckt, wurden der Dichterin aus Wien Blumen am Ende einer gefeierten Lesung überreicht, die sie am 3. November 1996 gemeinsam mit Ernst Jandl im Schauspielhaus Wuppertal gestaltete. Die Verleihung des Else-Lasker-Schüler-Lyrikpreises an »Fritzi« Mayröcker hatte am Vortag in der Stadthalle Wuppertal stattgefunden.

    Zum zweiten Mal hat die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft ihren Lyrikpreis verliehen: Den Hauptpreis, dotiert mit 30.000 Mark, erhielt Friederike Mayröcker (Wien), den Förderpreis, dotiert mit 10.000 Mark, Christoph Wilhelm Aigner (Salzburg). Dieser höchstdotierte Lyrikpreis im deutschsprachigen Raum wurde diesmal von der Stadtsparkasse Wuppertal, der Firma Wilhelm Seiler AG, Wuppertal, und dem Ministerpräsidenten von NRW, Johannes Rau, gestiftet.

    »Ein einzigartiges Werk« habe sie geschaffen, heißt es in der Verleihungsurkunde für die Dichterin Friederike Mayröcker, »das Zeugnis ablegt von einer in ihrer Radikalität an Else Lasker-Schüler erinnernden Existenz.« Und: »Ihre Gedichte leben aus der Verbindung von ungestümer Sprachspontaneität und Kalkül«.

    Von dieser dichterischen, lyrischen Kraft konnten sich die Besucher der Preisverleihung in der Wuppertaler Stadthalle am 2. November 1996 überzeugen: Friederike Mayröcker las als Dank für den Preis eigene Gedichte, vor allem aus ihrem neuen Buch Notizen auf dem Kamel. Vorher erwies sie Else Lasker-Schüler die Ehre: mit der Lesung von fünf Gedichten der Wuppertaler Lyrikerin.

    Auch Thomas Kling, Else-Lasker-Schüler-Preisträger von 1994, las aus dem Werk von Else Lasker- Schüler. Und, als kollegiale Geste, einige Gedichte von Christoph Wilhelm Aigner, der aus Krankheitsgründen nicht zur Verleihung nach Wuppertal kommen konnte. Die Laudatio auf Friederike Mayröcker hielt der Schweizer Altphilologe Samuel Moser, während Anne Linsel über den leider erkrankten C.W. Aigner sprach.

    Am nächsten Morgen ein seltenes literarisches Ereignis: im vollbesetzten kleinen Haus des Wuppertaler Schauspielhauses lasen Ernst Jandl, Lebensgefährte von Friederike Mayröcker, und die Preisträgerin. »Philemon und Baucis« hat sie Hajo Jahn bei seiner Begrüßung genannt. Fürwahr: ein eindrucksvolles Künstlerpaar.

    Beide Veranstaltungen, die eine eher leise und intim, die andere, vor allem durch die Lesung von Ernst Jandl, theatralisch, fanden unter Freunden der Else Lasker-Schüler regen Zuspruch. Zur Preisverleihung war auch Wuppertals neuer Oberbügermeister Hans Kremendahl gekommen, einen Tag nach seiner Amtsübernahme: ein kulturpolitisches Signal.

Anne Linsel


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