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Goethe-Gesellschaft Kiel



An Goethes Geburtstag 1947 gründeten der Buchhändler Heinrich Hunke und der Landesdirektor Dr. Friedrich Teichert in Kiel eine Ortsvereinigung der Goethe-Gesellschaft in Weimar. In jener Zeit zwischen Kriegsende und Währungsreform besann man sich wieder auf Dichtung, Philosophie und Kunst als geistige Existenzgrundlagen. Nie waren Theater, Konzerte und Vorträge so gut besucht wie damals. So konnte die Kieler Goethe-Gesellschaft in den ersten Jahren monatlich eine Veranstaltung anbieten und zählte schon Ende 1947 über 200 Mitglieder.

    Im Laufe der Jahre haben hier alle Kapazitäten der deutschen Literaturwissenschaft gesprochen. Es genügt, die Namen Ernst Beutler, Erich Trunz, Victor Lange, Benno von Wiese, Emil Staiger, Arthur Henkel, Fritz Martini, Walter Killy und Albrecht Schöne zu nennen, um dies zu belegen. Aber auch die Liste der Schriftsteller, die mit Lesungen oder Vorträgen zu uns kamen, ist beachtlich: Manfred Hausmann, Wilhelm Lehmann, Walter Jens, Uwe Johnson, Peter de Mendelssohn, Günter Kunert, Wolfdietrich Schnurre.

    Mag es ein Nachteil sein, daß für die nördlichste deutsche Goethe-Gesellschaft Weimar nicht in kurzen Exkursionen erreichbar ist, so behütet uns diese Entfernung andererseits davor, uns Werk und Leben unseres Namenspatrons nur in unkritischer Verehrung anzueignen. Wer Goethe richtig versteht und sein Vorbild in Analogie auf die Gegenwart überträgt, darf nicht bei der Klassik stehenbleiben. Das haben wir in der Zielsetzung unserer Arbeit berücksichtigt:

    Die Goethe-Gesellschaft Kiel will Kenntnisse über Goethes Leben und Werk vermitteln oder auffrischen; über den neuesten Stand der Goethe-Forschung informieren; wichtige Bereiche der Literatur, Kunst und Geisteswissenschaft in Geschichte und Gegenwart durch Vorträge und Lesungen erschließen.«

    Unsere Beziehungen zur Kieler Universität waren immer sehr eng. Vier meiner Vorgänger im Vorsitz waren Professoren der Literaturwissenschaft, unter ihnen Erich Trunz, als Goethe-Forscher und -Herausgeber sowie als Vorstandsmitglied der »Muttergesellschaft« in Weimar bis Ende der sechziger Jahre die dominierende Persönlichkeit unserer Ortsvereinigung. Satzungsgemäß gehört immer ein Mitglied des Instituts für Literaturwissenschaft der Universität zum Vorstand. Andererseits pflegen wir die Beziehungen zu Wirtschaft, Handel, Industrie und öffentlichen Institutionen durch ein Kuratorium, zu dessen Präsident kürzlich der Kieler Direktor einer bekannten Brauerei gewählt wurde.


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    In eine Krise geriet unsere Gesellschaft, als im Zuge der 68er Bewegung eine allgemeine Vortragsmüdigkeit eintrat. Wir überwanden sie, indem wir unsere Veranstaltungen aus der peripher gelegenen Universität ins Stadtzentrum verlegten und unserem Programm durch Vortragsserien mit gemeinsamem Rahmenthema Struktur und Kontinuität gaben. Den Durchbruch schafften wir mit der Sonderreihe »Kennn Sie Goethe?« In fünf Jahren wurden Goethes Leben und Werk in je fünf Vorträgen grundlegend dargestellt, danach in drei weiteren Jahren »Goethe und seine Zeitgenossen«, »Goethe und die Weltliteratur« und »Städte, in denen Goethe gelebt hat« abermals in fünfteiligen Serien behandelt.

    Diese Bündelung von Vorträgen kennzeichnet bis heute unsere Programme. Im fünfzigsten Jahr unseres Bestehens befassen wir uns mit Namenspatronen von Kieler Gymnasien. Mit Käthe Kollwitz, Heinrich Heine, Ernst Barlach, Max Planck, Ricarda Huch, Friedrich Hebbel und Alexander von Humboldt kommt dabei eine stattliche Liste zusammen, und fast immer lassen sich auch Beziehungen zu Goethe miteinbeziehen. Ausdrücklich thematisiert werden sie mit einem Vortrag über »Carl Loewe und Goethe«. Der vor genau 200 Jahren geborene Komponist ist 1869 in Kiel gestorben.

    Während in den Jahren der deutschen Spaltung in Weimar aus politischen Gründen nicht mehr von der gesamtdeutschen Aufgabe der Goethe-Gesellschaft gesprochen wurde, haben wir sie immer im Auge behalten. Außer Prof. Hahn, unserem Präsidenten, wurden auch andere Redner aus der DDR nach Kiel eingeladen, sofern sie eine Reisegenehmigung erhielten. Andererseits wahrten wir unsere Unabhängigkeit, indem wir beispielsweise 1971 einen (außerordentlich gut besuchten) Vortrag über den jenseits des Eisernen Vorhangs verfemten Solschenizyn veranstalteten.

    Bei aller räumlichen Goethe-Ferne werden wir im Mai 1997 unsere geistige Goethe-Nähe bekunden, wenn wir unser 50jähriges Jubiläum begehen und aus diesem Anlaß die Vorsitzenden aller deutschen Goethe-Gesellschaften ihre Jahrestagung in Kiel abhalten. Auf dem Programm stehen Goethe-Lieder von Schubert und Loewe, die Ausstellung einer großen Privatsammlung von Hermann und Dorothea-Ausgaben, eine Rezitation aus »De holsteensche Faust« und der Festvortrag von Doris Runge über »Goethe und Marianne von Willemer« im Ratssaal. Damit hoffen wir, wie im Goethejahr 1982 auch eine breitere Öffentlichkeit anzusprechen und unsere Stellung im Kulturleben der Landeshauptstadt Kiel zu festigen.

Wolfgang Butzlaff


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