//31//

Der Seelensucher

Georg Groddeck zum 130. Geburtstag



Am 12. und 13. Oktober 1996 fanden im Alten Dampfbad der Stadt Baden-Baden anläßlich Georg Groddecks 130. Geburtstag zwei Ausstellungseröffnungen statt. Konzipiert und ausgerichtet waren sie vom Vorstand der Georg Groddeck-Gesellschaft Otto Jägersberg und Helmut Siefert, finanziell und organisatorisch getragen vom Kulturamt der Stadt, Frau Reimann. Der Oberbürgermeister ließ es sich nicht nehmen, sie selbst zu eröffnen.

Die Ausstellung »Georg Groddeck - Leben und Werk« zeigte Exponate aus dem Nachlaß Groddecks, die Ausstellung »Satanarium« Werke von darstellenden Künstlern, die sich von Groddecks Schriften hatten inspirieren lassen. »Satanarium« war 1918 Groddecks erste Privatzeitschrift gewesen, in der auch Patienten seines Sanatoriums »Marienhöhe« ungehemmt zu Worte kamen.

Die beiden Ausstellungen waren umrahmt von weiteren Veranstaltungen zum Thema Groddeck: ein Vortrag von Otto Jägersberg bei der Philosophisch-Literarischen Gesellschaft, das Theaterstück »Roswitha tanzt« von Groddeck in frühen Jahren geschrieben, hier von Schülern aus der Stadt aufgeführt, ein Groddeck-Symposion und eine szenische Lesung aus dem Briefwechsel zwischen Groddeck und Sigmund Freud im Foyer des Theaters.

Der folgende Beitrag von Dr. Stephan Nolte berichtet über die Ausstellungseröffnungen und die Mitgliederversammlung der Georg Groddeck-Gesellschaft.



Ein schönes Fest war es! Die Groddecksen, die sich im alten Dampfbad in Baden Baden zusammengefunden hatten, verzaubert von einem milden Herbstlicht mit mitgelieferter Sonnenfinsternis, können noch lange davon erzählen. Bei einer etwas improvisierten Mitgliederversammlung, zu der erstmals die nötige Anzahl von Stühlen herbeigeschafft werden mußte und von der andernorts berichtet wird, sammelte sich nur zögerlich eine kleine Gesellschaft, die unter anderem erstaunt venahm, was einem auf und mit dem Fahrrad alles passieren kann. Damit war nicht nur der Ausfall des Vortrags von Wolfgang Martynkewiscz gemeint. Die Zeit nach der Mitgliederversammlung und vor der Eröffnung der Ausstellung, also die Zeit zwischen 16 und 17 Uhr, markierte den Höhepunkt der Sonnenfinsternis, den die Flaneure auf dem Marktplatz, in den Auen vor den Caracalla-Thermen und dem Landesbad im kühlen, hellen, verzaubertem Licht mit dunklen Brillen, geschwärzten Scherben oder gar mit bloßem Auge zu ergründen suchten. Dann füllten sich das Erdgeschoß des Dampfbades. Der Oberbürgermeister als oberster Einlader ließ es sich nicht nehmen, neben den inzwischen etwas zahlreicher erschienenen Mitgliedern auch die Baden-Badener zu begrüßen. Bis tief in die Nacht hinein hatten Otto Jä-


//32//

gersberg und Prof. Siefert noch Zettelchen geschrieben, die Exponate arrangiert, zuletzt Groddecks Hut auf einem Kleiderständer so gut gegen Liebhaber gesichert, daß das Ansinnen, angesichts leerer Kassen mit diesem Spenden einzutreiben, entrüstet zurückgewiesen wurde. Nach dem üblichen Austausch von Höflichkeiten, Inszenierung der beteiligten Lebenden, Lob der Sponsoren und einer überraschenden musikalischen Einlage durch die junge Vivaldiana-Formation konnte man sich wegen der Fülle der Menschen kaum ruhig den Exponaten widmen, die zum Teil erstmals der Öffentlichkeit zugänglich sind, so die Groddeck-Freud-Korrespondenz. (Inhaltliche Kommentare zur Ausstellung mögen Berufenere dazu machen; mir hat sie schlichtweg sehr gut gefallen!) Die eingeweihten Mitglieder konnten kaum erwarten, daß die Besucher die Räumlichkeiten verließen, denn nun war die Jägersbergsche Überraschung dran: Ein Essen an Groddecks Tisch, in den Ausstellungsräumen des Dampfbades; an der Wand ein großes Photo des Meisters selbst, reichlich streng betrachtend, was in seinem Namen da wohl vorging. Der mitreißende Schwung, mit dem Otto Jägersberg über Überbier, Kakerlaken und andere Zeitgenossen redete, die zugesprochenen Toasts, wie Margaretha Honegger seligen Gedenkens, das Abend-Brot mit spritzigem Seelensucher-Wein (Stich den Buben!) und süffigem Dr. Grobian-Bier führten alsbald zu einer Groddeckseligkeit, die als End- und Höhepunkt zurück zu den Ursprüngen - zur nur wenigen zugänglichen heißen Ursprungsquelle in feuchtwarme Gewölbe des Dampfbades führte.

    Man muß ihn gekostet haben, den fettig-teeartig schwefligen Trunk aus den Tiefen der Erde!

    Wer wollte und durfte (Groddecks aus Stendal zum Beispiel nicht) konnte die Nacht in der Marienhöhe verbringen, dem heutigen Hotel Tanneck in der Werderstraße, direkt hinter und über der Spielbank auf der anderen Seite des Oostales. Heute eine etwas verstaubte Pension, die offensichtlich nicht gern an die ruhmreiche Vergangenheit erinnern möchte, dafür aber der Phantasie freien Lauf läßt: War das der Balkon, wo das Photo mit Ferenczi entstanden ist? Waren hier die Mitarbeiterbesprechungen?

Der Blick durch alte Bäume über Kurpark und Stadt auf Stiftskirche und Neues Schloß durch die herbstliche Verfärbung und das gebrochene Licht am Morgen des Sonntages, also des eigentlichen Geburtstages, konnte mich verstehen lassen, warum es gerade hier und gerade Baden-Baden sein mußte. Bis zur zweiten Ausstellungseröffnung um elf fand sich Gelegenheit, durch Trinkhalle, Kurpark, die Gönneranlage, an der Oos entlang bis nach Lichtenthal zu laufen, wenig Menschen unterwegs, ein wunderbares Herbstlicht, unwirklich. Und dann: das Satanarium! Auch diese Ausstellung der Gesellschaft der Freunde Junger Kunst zum Thema »Hommage à Groddeck« führte viele andere Interessierte ins alte Dampfbad, diesmal in den ebenso hellen und freundlichen ersten Stock, eingeleitet und kommentiert wiederum durch Otto Jägersberg, in Anwesenheit der Künstler. Mit einem Glas Seelensucher oder Dr. Grobian-Überdoktor in der Hand ließ es sich gut durch die Räume flanieren und Objekte und Gemälde, große und kleine, interpretieren, beschauen, bestaunen. Mein Namensgedächtnis und meine fehlend Kompetenz als Kunstkritiker erlaube mir keine weiteren Kommentare, die ich auch hier Berufeneren überlasse.

    Danach konnte ein jeder schauen, wie er inmitten der zahlreichen Schwarzwaldausflügler seinen Weg zur Bühlerhöhe fand, eine endlose Kavalkade auf der Schwarzwaldhochstraße ins allerhöchstführnehme Hotel, Aperitif auf der Sonnenterasse mit Blick über Schwarzwaldhöhen und -tiefen, dann endlich, in einem separierten halbrunden Saal das spannend erwartete und begehrte psychoanalytische »diätetische Mittagessen«, an dem wirklich nur die gemeldeten Mitesser teilnehmen durften, wie die unermüdliche Frau Reimann vom Kulturamt Baden-Baden immer, wenn sie zur Wort kam, vermeldet hatte. 15 Gänge waren durchzuhalten, von einer Unmenge Dienstbarer auf einer Unmenge von Tellern serviert und mit ungemein geist- und beziehungsreichen Namen versehen, die Handschrift Otto Jägersbergs? So erkannte man das Katzenmauseportrait Groddecks mit Schnittlauchschnurrbarthaaren in dem Gang »der Doktor kommt«, es gab Stampfkartoffeln »wildes Heer«, zwischen den Gängen Beiträge von Otto Jägersberg; aber trotz vielfältiger Anmahnungen stapfte keiner der Anwesenden nach vorn, um spontan zu bekennen, daß er ein wilder Analytiker der Speisefolge oder -pausen sei.

    Die Abfahrt in die Tiefen des Rheintales und Alltages bereiteten dem entrückten Zauber dieses Wochenendes ein allzu frühes Ende; schnell fiel die Nacht, denn spät war es zuende gegangen, das Geburtstagessen! Hier wurden, wohl vornehmlich durch Otto Jägersberg, Maßstäbe gesetzt, die schwerlich zu überbieten sind. Mehr Spontaneität des sich doch nicht so recht einstimmenden Publikums, mehr Groddeckscher Mut zum Fabulieren, mehr Unabhängigkeit wären zu wünschen gewesen, - es ist halt nicht jedem in die Wiege gelegt.

Stephan Heinrich Nolte


Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Mitteilungen der ALG

Titelseite ALG

Impressum Datenschutz