W I N N E T O U I N F E S S E L N

Winnetou in Fesseln

Ich schob mich zuerst bis hinter Winnetou hinan und blieb da einige Minuten still liegen, um den Wächter zu beobachten. Er schien müde zu sein. (...) Das war mir lieb.
Zunächst galt es zu erfahren, in welcher Weise Winnetou gefesselt war. Ich langte also vorsichtig um den Stamm hinum und betastete seinen Fuß und Unterschenkel. Das mußte er natürlich fühlen, und ich hatte befürchtet, daß er eine Bewegung machen werde, durch welche ich verraten werden könnte; dies geschah aber nicht; er war zu klug und zu geistesgegenwärtig dazu. Ich fand, daß ihm die Füße an den Knöcheln zusammengebunden waren, und außerdem hatte man um sie und um den Baum einen Riemen gezogen; es waren hier also zwei Messerschnitte notwendig.
Dann blickte ich nach oben. Beim flackernden Feuerscheine sah ich, daß man seine Hände rückwärts von rechts und links um den Baum gezogen und dort hinter demselben mit einem Riemen
zusammengebunden hatte. (...)
Ich durchschnitt zunächst die beiden unteren Riemen. Den oberen konnte ich in meiner liegenden Stellung nicht erreichen. Und selbst wenn ich ihn hätte erlangen können, so war doch Behutsamkeit geboten, um Winnetou nicht in die Hände zu schneiden. (...) Schnell war ich auf und durchschnitt die Riemen. Dabei fiel mir das herrliche Haar Winnetous in die Augen, welches auf dem Kopfe einen helmartigen Schopf bildete und dann noch schwer und lang auf den Rücken niederfiel. Mit der linken Hand eine dünne Strähne desselben fassend, schnitt ich sie mit der Rechten ab und ließ mich dann wieder zum Boden sinken. (...)

Karl May, "Winnetou I"
Die Zeichnung stammt von Otto Krauskopf (1891 - 1971), dem Großvater des KMG-Mitgliedes Peter Krauskopf.

© by Peter Krauskopf


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