Der geschäftsführende Vorstand der KMG hat Dietrich Schober (München) mit sofortiger Wirkung zum Pressebeauftragten berufen. Diese Aufgabe ist über viele Jahre vom Schriftführer und dann vom Geschäftsführer wahrgenommen worden. Durch das stetige Anwachsen der Mitgliederzahl hat die Organisationsarbeit aber einen solchen Umfang angenommen, daß es notwendig wurde, die Öffentlichkeitsarbeit als eigenständiges Ressort in die Hände eines dafür geeigneten Mitglieds zu legen. Mit Dietrich Schober, der Mitarbeiter beim Bayerischen Fernsehen ist, haben wir jetzt eine Persönlichkeit gewinnen können, die den Kontakt zu den Medien künftig intensiv pflegen wird.
In herzlicher Verbundenheit grüßt Sie
Ihr
(Erwin Müller)
Geschäftsführer
Geschäftsführer: Erwin Müller Eitzenbachstraße 22, 54343 Föhren % 06502/20887 Schatzmeister: Uwe Richter Rosenstraße 6, 92272 Freudenberg % 09621/81836 Jahresbeitrag: DM 50,00 (fällig im ersten Quartal) Konten: Bayerische Vereinsbank Amberg Konto-Nr.: 199 54 80 (BLZ 752 200 70) Postbank Hamburg Konto-Nr.: 11 16 94-207 (BLZ 200 100 20) Zentrale Bestelladresse Ulrike Müller-Haarmann Gothastraße 40, 53125 Bonn % 0228/252492
Albrecht Götz von Olenhusen Holbeinstraße 12 79100 Freiburg
(Aus: Literaturkalender 1996 - Spektrum des Geistes)
Dem neuesten Verlagsprospekt ist nun zu entnehmen, daß nicht nur die fünf großen Kolportagewerke wieder lieferbar sind -die Auflistung reicht darüber hinaus von den ,Erzgebirgischen Dorfgeschichten', über ,Mein Leben und Streben' und ,Die Rose von Kairwan' bis zum Reprint von ,Schacht und Hütte'.
[Dazu Henning Herrmann-Trentepohl:
Leider scheint Ihnen in den letzten Mitteilungen ein Fehler unterlaufen zu sein. Sie schreiben, daß die Olms-Reprints nun wieder komplett lieferbar seien. Auf meine Anfrage beim Verlag antwortete man mir allerdings, daß man lediglich eine Neuauflage von "Mein Leben und Streben" für den nächsten Winter plane. "Der verlorene Sohn" (hinter dem ich schon länger herjage) und der "Weg zum Glück" bleiben nur unvollständig lieferbar, die anderen Romane sind auch weiterhin völlig vergriffen.
Entsprechend Rainer Clodius:
Uebrigens hatte ich - nachdem ich die Notiz bezueglich der Neuaulage der Reprints bei Olms im Internet gesehen hatte - bei Olms angerufen und gefragt, wie der diesbezuegliche Status sei. Die (durchaus freundliche und hilfsbereite) Dame am Telefon teilte mir jedoch mit, dass momentan noch keine Neuauflage zumindest der Lieferungsromane in Sicht sei. ]
Ich glaube, daß es nicht eine Trivialliteratur gibt. Trivialliteratur ist in ihrer Form genauso kompliziert wie die E-Literatur. Ob ich Karl May auf der einen Seite lese oder die Schauerromane der englischen Romantik - das ist als Forschungsgegenstand höchst interessant und zugleich höchst divergent.
Trivialität gilt halt gemeinhin als Disqualifikationskriterium. Wenn ich boshaft bin, könnte ich auch Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" als intellektuelle Trivialliteratur bezeichnen. Man kann zu solch schwachsinnigen Urteilen kommen. Aber es gibt natürlich auch Autoren, die ganz bewußt trivial schreiben. Der beste war natürlich H. C. Artmann, der Bram Stoker in seinem Dracula paraphrasierte. Aber man kann auch aus einem Karl-May-Buch irrsinnig viel lernen. Am meisten fasziniert war ich beim Wiederlesen von Winnetou. Ich hab' natürlich erkannt, daß die Geschichte schablonisiert, trivialisiert ist, eine Ideologie hat, die äußerst fragwürdig ist - aber ich hab' nicht aufhören können.
So registriert man auch die Faszination vieler Deutscher an indianischer Geschichte und an alten indianischen Bräuchen. So lesen wir in der New York Times vom 2.4.96 nach der Schilderung der Arbeit deutscher Indianerclubs: "The first Indian most Germans learn to love is a fictional Apache brave named Winnetou" und erfahren dann die Bedeutung Karl Mays und die Verbreitung seiner Werke in vielen Staaten der Welt, wobei die USA bislang nur eine untergeordnete Rolle spielten.
Als Experten zitieren die NY Times dann unser Mitglied E. Koch (in freier Übersetzung): "Es gibt nur wenige Menschen, die so viel Sympathie für die Indianer entwickelten wie die Deutschen," schrieb der Kulturhistoriker Eckehard Koch kürzlich in einem Essay. "Nirgendwo gibt es mehr Indianerclubs und Gesellschaften als in diesem Land. Zahlreiche Impulse trugen zu diesem Phänomen bei. "Es gibt den Mythos des 'edlen Wilden'; ... und natürlich die Tatsache, daß, beginnend um 1700 und besonders nach 1830, Millionen Deutscher auswanderten, um ihr Glück im sogenannten Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu suchen."
Der Artikel wurde durch etliche Zeitungen in den USA übernommen. Vielleicht gibt es doch noch eine kleine May-Renaissance auch in Amerika!
Es wurde eine deutsche Lagerzeitung gezeigt, die in einem großen Artikel darstellte, welche Kenntnisse über Amerika Karl May seinen Lesern vermittelt hat.
Dabei sagt er zu seinem Kollegen: ,,Die Zeiten von Karl May sind vorbei. Da gabs noch das wilde Kurdistan."
In Anlehnung an den Titel einer bekannten Fernseh-Serie beginnen wir heute mit unserem Straßenfeger. In loser Folge wollen wir Ihnen Interessantes zum Thema "Karl-May-Straße" berichten, dabei nehmen wir den Titel nicht so genau und meinen damit auch "Karl-May-Weg" oder "Karl-May-Platz". Heute machen wir Sie auf die Städte aufmerksam, die bereits eine Karl-May-Straße besitzen.
Viele sind es (noch) nicht, was doch eigentlich verwunderlich ist, nur 18 Städte schmücken sich derart:
27753 Delmenhorst - 38442 Wolfsburg - 23795 Bad Segeberg - 06126 Halle - 09337 Hohenstein/Ernst-thal - 01445 Radebeul - 40822 Mettmann - 57368 Lennestadt - 35083 Mellnau - 51570 Windeck - 72555 Metzingen - 74223 Biberach bei Heilbronn - 77716 Fischerbach - 71549 Unterbrüden - 91056 Erlangen - 96049 Bug bei Bamberg - 81369 München - 85551 Kirchheim bei München.
Wetten, daß Sie manche Orte noch nicht kannten ?
Anm. der Red.:
Zwar stehen diese Straßen im amtlichen Telefonverzeichnis, aber nicht
alle sind nach "unserem" Karl May benannt. Zumindest die
Straße in 91056 Erlangen - Frauenaurach ist, wie die Recherchen unseres
Mitglieds Bernhard Maurer ergaben, nach einem Bildhauer benannt, der am
31.1.1884 im Ortsteil Frauenaurach geboren wurde.
Während meiner Studienzeit in Frankfurt am Main war ich relativ rege am Leben der Katholischen Studentengemeinde der Johann Wolfgang von Goethe Universität beteiligt. So führte ich unter anderem zwei Semester lang verantwortlich einen Freundeskreis ausländischer Studenten.
Im Wintersemester 1965/66 fragte die Schriftstellerin Marie Luise Kaschnitz - die im Frankfurter Westend, nahe der Universität wohnte - bei der Kath. Stud. Gem. an, ob ihr jemand beim Bücherräumen helfen könne, da sie ihre Wohnung renovieren müsse. Sie wollte allerdings möglichst Germanistikstudenten. Da sich aber nur zwei "Germanisten" fanden und ich mich für diese Arbeit interessierte, stieß ich als "Wirtschaftler" zu der Bücherräumtruppe hinzu.
Die Arbeit beim Abstauben und Umräumen der Bibliothek der Schriftstellerin machte viel Spaß; man mußte aufpassen, sich nicht zu sehr in den Büchern zu verlieren.
Zur Mittagszeit hatte Frau Kaschnitz (als langjährige "Römerin" damit vertraut) uns Spagetti zubereitet, die uns auch gut mundeten. Wir kamen in dieser Pause ins Gespräch über Literatur. Als "Fastkulturbanause" konnte ich nicht viel zu dem Gespräch beitragen.
Frau Kaschnitz erzählte dann, ein 17-jähriger Schüler habe ihr geschrieben und um Antwort gebeten (zitiert aus dem Gedächtnis): ".....ich lese gern Karl May und werde deswegen von meinen Klassenkameraden verlacht...".
Nun wollte Frau Kaschnitz uns (alle so 22 Jahre alt) um unsere Meinung bitten; sie selbst sei der Ansicht, für einen 17-jährigen sei Karl May keine Literatur mehr.
Nun hatte ich damals schon alle Bände Karl May's (Bamberger Ausgabe) mehrfach gelesen und glaubte mir zu diesem Thema ein Urteil erlauben zu können.
Frechweg fragte ich Frau Kaschnitz, ob sie schon einmal einen Band der Karl-May-Reihe gelesen hätte. Zu meinem Erstaunen mußte sie zögernd gestehen, daß sie nur ungenaue Kenntnisse des Werkes von Karl May hatte - so ein bißchen Indianerromantik war ihr wohl bekannt -. Offensichtlich war auch sie schlichtweg über Karl May desorientiert, was ja bis in die 70er Jahre aufgrund der jahrelangen völligen Ignorierung des Autors gang und gebe war.
Für mich war es erstaunlich, daß sie als anerkannte Lyrikerin und bedeutende deutsche Autorin ohne detaillierte Kenntnis, die Frage des 17-jährigen Schülers so abschmetterte.
Bei dieser Gelegenheit machte ich sie z.B. auf die Bände "Ardistan" und "Der Mir von Dschinnistan" (von mir allerdings nur in der durch umfangreiche Texteingriffe veränderten Bamberger Ausgabe gelesen) aufmerksam und erläuterte Frau Kaschnitz, daß ich diese Werke als 12 bis 13-jähriger auf die Seite gelegt hätte, da dort die herkömmlichen Abenteuer nicht vorkamen. Erst als Erwachsener habe ich diese Bände wieder vorgenommen und mit anderem und großem Interesse gelesen.
Frau Kaschnitz war natürlich nicht gerade begeistert, sich von einem - in ihrem Sinne - "literarischen Laien" so etwas sagen lassen zu müssen.
Die Bücherräumaktion konnte aber trotzdem mit Anstand weitergeführt und abgeschlossen werden. Frau Kaschnitz signierte mir ihren Gedichtsband "Überallnie" mit einem freundlichen Dankeschön.
[Hamburger Abendblatt v. 26.02.96]
Pierre Brice wird nach 28 Jahren wieder als Winnetou vor der Kamera stehen. Wie die "Bild am Sonntag" berichtete, gelang es ZDF-Unterhaltungschef Claus Beling, den aus Verfilmungen in den sechziger Jahren legendären Darsteller des indianerhäuptlings für zwei neue Filme zu gewinnen. Für den 67jährigen französischen Schauspieler gehe damit ein Traum in Erfüllung.
[DIE WELT v. 26.2.96]
Das waren die Jahre, in denen das Indianerbild der Deutschen sich dahingehend setzte und konsolidierte, daß die jungen Squaws einerseits scheue Rehlein waren, andererseits rechte Wildkatzen, und daß sie sich genauso kleideten wie das Gros der Mädchen beim ADAC-Ball. Angesichts der drei Ideal-Indianerinnen Marie Versini, Uschi Glas und Karin Dor verstand man noch weniger als sonst, wie man so ein nettes Volk fast hatte ausrotten können. Zum Indianer schlechthin wurde Pierre Brice - als Winnetou ein Ölgötze von seltener Ausdruckslosigkeit. Nur einmal zeigte er so etwas wie Leben, wenn auch nicht mehr im Film, sondern bei den Bad Segeberger Karl-May-Spielen, wo er vom Pferd fiel und mit französischem Accent "Scheiße!" sagte. Ansonsten aber paßte er überaus gut zu dem schwarzen Schimmel aus der Filmcrew, indem nämlich schon Karl Mays Winnetou eine tranige Fälschung gewesen war und er, Brice, über die Fälschung dieser Fälschung nie wesentlich hinauskam. Wetterfest freilich war er.
Unbeschadet der Tatsache, daß Winnetou in "Winnetou III" von Mörderhand gefällt wurde (was seinen Blutsbruder Old Shatterhand alias Lex Barker seinerzeit an die Grenzen des Schmerzes und insbesondere der Schauspielkunst trieb), will nun das ZDF zwei weitere "Winnetou"-Filme auflegen. Pierre Brice hatte dazu eine Idee, die auch zu seinen mittlerweile 67 Jahren paßt: Winnetou war gar nicht tot, sondern nur der Welt entrückt, und kehrt nun als gereifter Kämpfer zu den Seinen zurück. Welche Squaw wird ihm entgegentreten, auf daß er ihr entsage? Als Uschi Glas anno 1966 das "Halbblut Apanatschi" vorstellte, schrieb das Film-Echo: "Sie hat noch viel an sich zu arbeiten..." Das hat sie weiß Gott getan, ja sie hat, wie man hört, sagar den Lkw-Führerschein gemacht, obwohl der im Wilden Westen letztlich noch überflüssiger ist als in irgendwelchen Kiesgruben-Serien. Wird man die Pferde wieder einfärben? Egal - wenn nur Pierre Brice nicht wieder herunterfällt und etwas sagt was hernach geschnitten werden müßte.
Das Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft von 1993 führt die bewährte Konzeption der Jahrbücher weiter - so knüpft der eingangs veröffentlichte Briefwechsel Karl Mays bzw. seiner Frau Klara an das Jahrbuch von 1992 an -, und Literaturberichte bieten einen informativen Überblick über Neuerscheinungen. Während sich das 92er Jahrbuch mit Beiträgen von Martin Lowsky, Dieter Sudhoff, Hartmut Vollmer, Rudi Schweikert, Mounir Fendri und Jürgen Hahn dem Alterswerk des Autors in Einzeluntersuchungen widmet, bietet das des Folgejahres ein Novum im Hinblick auf den Rahmen des Disputs: Aus Anlaß des 150. Geburtstags des Autors hatte die Karl-May-Gesellschaft gemeinsam mit dem Germanistischen Seminar der Universität Bonn an der dortigen Alma mater vom 30.-31.10.1992 ein Symposium veranstaltet, "eine Ehrung Mays, wie es sie nie vorher gegeben hat" (1993, S. 7), und man darf hinzufügen, nicht zuletzt ein Erfolg, wie ihn die Karl-May-Gesellschaft bis dato nicht erreicht hatte; denn zu Recht hat HELMUT SCHMIEDT in seinem Rückblick auf zwei Jahrzehnte May-Forschung im Jahrbuch 92 darauf verwiesen, daß unter 'seriösen' Literaturwissenschaftlern "die ernsthafte Beschäftigung mit Karl May als etwas Absonderliches gilt und von Spott bedroht ist" (S. 166).
Die Etikettierung der Amerika- und Orientromane Mays als 'Unterhaltungs'- oder 'Trivialliteratur' sitzt fest, wenn sie sich auch als "untergründiges Gemurmel" (1992, S. 168) und nicht in fachlich-sachlicher Streitbarkeit artikuliert. Aber vielleicht sind ja die Beiträge des Symposiums geeignet, als Impuls zu wirken, so daß es künftig als opportun gilt, Karl Mays Romane ebenso ernst zu nehmen wie z.B. die Fontanes. Unter den insgesamt sieben Arbeiten der Veranstaltung fällt auf, daß die Mehrheit versucht, ihren Gegenstand dadurch quasi zu entgrenzen, daß sie May in ein Vergleichsfeld zu anderen Autoren setzt. Hierbei zeigt sich nun allerdings eine Problematik: So geht es FRANZ HOFMANN um die Beobachtung, daß es eine "geistige Nähe und Verwandtschaft" (1993, S. 84) zwischen Karl Mays Schaffen nach 1900 und Comenius gibt, die sich z.B. in einem "Parallelismus" der "Topoi von Labyrinth, Wanderung und Paradies" (S. 82) zeige, wobei der Verf. betont, daß es "keinerlei quellenmäßige Belege für Kenntnisse Mays über Comenius gibt und geben kann" (S. 81). Das heißt also, es handelt sich im vorliegenden Falle nach Auffassung Hofmanns um eine zufällige Affinität, "um jene(s) kaum faßbare Vorkommnis der Wiederholung von Begriffen und Symbolen, von Zielen und Gesichten" (ebenda). In ähnlicher Weise verfährt PETER PÜTZ, wenn er Wüste und Prärie als Zwei Spannungsfelder (S. 63) vergleicht und urteilt: "Wüste und Prärie repräsentieren in geographischem, mentalitätsgeschichtlichem und mythopoetischem Sinne zwei Spannungsfelder, deren Polarität und geheime Affinität kaum jemand tiefer erahnte als der große Erforscher antagonistischer Zusammengehörigkeit: Der 'West-östliche Divan' beginnt mit den Versen (...)" (S. 75f.). Nun soll hier nicht entschieden, wohl aber angezweifelt werden, ob der funktional verstandene Vergleich zwischen Goethes Hafi-Rezeption und seinem an anderer Stelle artikulierten Amerika-Bild [1] mit den ästhetischen Strukturen bei May überhaupt trägt; grundsätzlich wäre in bezug auf die so ermittelten Affinitäten zwischen May und Comenius bzw. May und Goethe wohl dem Bedenken Goethes zu folgen, der da in den Noten und Abhandlungen zum West-Östlichen Divan unter der Überschrift Warnung meinte: "Jedermann erleichtert sich durch Vergleichen das Urteil, aber man erschwert sich's auch: denn wenn ein Gleichnis, zu weit durchgeführt, hinkt, so wird ein vergleichendes Urteil immer unpassender, je genauer man es betrachtet". [2]
Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, daß ein In-Beziehung-Setzen von Autoren aus unterschiedlichen Zeitaltern oder Kulturkreisen durchaus auch tiefer gehende Einsichten vermitteln kann, wenn es in funktionsgeschichtlicher Perspektive zur Erhellung von Weltsichten, ästhetischen Strukturen etc. beiträgt, also als Impuls für eine verschärfte Optik historisch festgemachter ästhetischer Spezifik eingesetzt wird, wie dies bei GERHARD NEUMANNs außerordentlich subtiler Arbeit über Die Kunst des Anfangs in Karl Mays Romanen geschieht, der eingangs feststellt: "Die gleichen erzählerischen Strategien im homerischen Epos und in Karl Mays Romanen - aber eine Welt der Differenz in dem, was sie hier und dort besagen (...)" (1993, S. 137). Im weiteren wird sinnfällig gemacht, daß der "Mayschen Romankonzeption" eine "Erkenntnisstruktur" als Textstrategie unterlegt ist, die auf "Aneignung des Fremden und (...) Fremdmachung des Eigenen zugleich" (S. 147) abzielt, so daß seine "Romananfänge (...) von einer entschieden kulturoptimistischen Gebärde bestimmt" sind, einem "gründerzeitliche(n)" "Glaube(n)" an die "Erklärbarkeit der Welt" (S. 158). In einen solchen entstehungszeitlichen Kontext stellt auch REINHOLD WOLFF seine Untersuchung zu Karl Mays Umgang mit den Dichterstereotypen des 19. Jahrhunderts (S. 116ff.), wobei er von der These ausgeht, daß die "Vorstellungen, die sich das 19. Jahrhundert vom Dichter macht (und damit auch die Vorstellungen Karl Mays)" "Realisierungen eines sozialen Stereotyps" (S. 122) darstellen, der natürlich im Verlaufe des Zeitraums spezifischen Veränderungen unterliegt. Der Verf. geht mit einem ausgeprägten Problembewußtsein seiner eigenen soziologisch intentionierten Methode gegenüber vor, was den Wert der Untersuchung in Richtung auf eine theoretische Fundierung des Vorgehens beträchtlich erhöht. Es wird sinnfällig gemacht, daß die "maytypische Variation des Dichterstereotyps" nicht nur "individuell-psychologisch" begründet ist, sondern deren "Wehrhaftigkeit" auch mit dem Zeitgeist des Wilhelminischen Reiches korrespondiert (S. 127) - so eines der Ergebnisse. Einen ausgesprochen interessanten Beitrag bietet auch VOLKER KLOTZ, der unter dem Titel Erzählte und bebilderte Abenteuer "Bündnisse zwischen Illustration und Text" untersucht und verschiedenen May-Ausgaben auf das funktionale Zusammenfinden des "Erzählen(s) in Worten und in Bildern" (S. 99) hin befragt. Eine Grenzüberschreitung ganz anderer, aber höchst willkommener Art also, die durch ihren engen Zeitbezug ungewohnte Einblicke nicht zuletzt auch in Verlagskonzeptionen und Verkaufsstrategien gewährt. GERT UEDINGs Nachdenken über Phantastisches Erzählen bei Karl May schließlich sieht den Autor als "Kind seines wissenschafts- und faktengläubigen Zeitalters" (S. 174), in dessen Werk die ambivalente Funktionalisierung der "Topoi des Phantastischen" sich "nicht zu einem konsistent phantastischen Universum" (S. 185) zusammenschließen läßt. Zu einem Fazit des Symposiums: Es bleibt zu hoffen, daß es dazu beitragen wird, jenseits allen Dichotomie-Denkens Karl May in den zeitgenössischen Kontext der literarischen Kommunikation zu stellen, zumal eine tiefer lotende Begründung seiner Massenwirksamkeit auch weiterführende Fragestellungen wie literaturtheoretische, methodologische und nicht zuletzt solche der Literaturgeschichtsschreibung berühren würde. In diesem Zusammenhang fällt ein - nicht im Symposium gehaltener - Beitrag des 93er Jahrbuches von ANDREAS GRAF zu Abenteuer und Sinnlichkeit auf, den er selbst als "Versuch" bezeichnet: Von dem Befund ausgehend, daß das Genre des Abenteuerromans zu Zeiten Mays zwar offenkundig eine große "Durchsetzungskraft" bei der Lesermehrheit besaß, es andererseits aber nicht gelang, seine "Theorie" auszubilden, ja daß überhaupt "kein Gespräch, keine kritische Öffentlichkeit (...) über Möglichkeiten, Grenzen oder Funktion von Abenteuerliteratur" (S. 339) zustande kam. Wenn die Begründung, die der Verf. findet [3], auch sicher diskussionswürdig ist, so ist doch die Fragerichtung interessant: Sie zielt auf die Spezifik der kommunikativen Situation ab, in der die literarische Verständigung stattgefunden hat. Rekonstruieren ließe diese sich freilich nur, wenn man nicht von einer substantialistischen Auffassung vom Werk ausgeht, sondern dieses als Medium von Verständigungshandlungen sieht, so im vorliegenden Fall über "Abenteuer und Bürgerlichkeit" (S. 353). Das impliziert gleichermaßen, daß mit einem normativen - an der sog. Hochliteratur orientierten - Literaturbegriff eine solche Rekonstruktion nicht zu bewerkstelligen wäre.
Anmerkungen
Das dreiundzwanzigste Jahrbuch der Gesellschaft enthält vor allem die Vorträge eines Karl-May-Symposiums, das in Zusammenarbeit mit dem Germanistischen Seminar der Universität Bonn durchgeführt wurde; man beschäftigt sich mit den Vorgehensweisen Mays, seine Schauplätze lebendig zu gestalten und ideenreich zu variieren, mit dem Versuch der Illustratoren, dies in Bilder umzusetzen und schließlich auch den Einflüssen, denen May als Autor seiner Zeit ausgesetzt war. Dies sind nur einige Themen, die entweder wissenschaftlich sachlich oder emotionell angespannt angepackt werden, doch immer im entsprechenden Rahmen.
Das vierundzwanzigste Jahrbuch zeigt den Forschungsstand der Karl-May-Gesellschaft im Bereich seines Werkes, aber auch des Lebens des Autors. Man widmet sich dem Einfluß, den er auf seinen Wohnort hatte, wie May mit jungen Verehrern, die ihn anhimmelten, umging, zieht Vergleiche zwischen May und dem zeitgleich lebenden Heimatschriftsteller Ludwig Ganghofer, spürt Lieblingsmotiven Mays nach, vergleicht die wirklichen Albaner mit den fiktiven Gestalten des Autors und vieles mehr. Die Intention der Gesellschaft ist es, jedem May-Interessierten ein möglichst vielfältiges Bild des Autors und seines Werkes zu geben.
Dem kann ich mich nur anschließen. Allerdings sind die Artikel und Essays sehr wissenschaftlich gehalten und fordern fast immer einen höheren Wissensstand, aber für alle Karl-May-Begeisterten, die mehr in die Tiefe gehen wollen, findet sich sicherlich der ein oder andere interessante Artikel.
Claus Roxin/Helmut Schmiedt/Hans Wollschläger (Hrsg.), Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1994, Hansa-Verlag, 48 Mark
Wieder findet der Leser vielfältige biographische, literarische und außerliterarische Aspekte des Forschungsgegenstandes Karl May beleuchtet. Und wieder ist er fasziniert von dem schier unerschöpflichen Fundus, den nicht nur das Werk, sondern auch das Leben des sächsischen Erzählers zur allfälligen Untersuchung und Interpretation bereithält.
In insgesamt 18 Beiträgen werden im Jahrbuch 1994 immerhin wieder Themen einer Diskussion zugeführt, über deren Existenz sich mancher May-Leser womöglich nicht einmal klar war. Da untersucht etwa Regina Hartmann in ihrem Artikel "Blockhaus und Sennhütte" tatsächlich "Behaustheitsphantasien bei Karl May und Ludwig Ganghofer im Kontext zeitgenössischer Befindlichkeit". Rudi Schweikert trägt ein "Fantasiestück in philologischer Manier" zum Thema "Von Befour nach Sitara - in Begleitung der Wilden Jagd" bei. Darin geht es um "ein mythisches Muster, die Wissensprobe als artistisches Prinzip bei Karl May sowie etwas über sein Lesen, Denken und Schreiben". Übergreifender Werkinterpretation gilt auch Wolfgang Hammers Untersuchung der Rache und ihrer Überwindung als Zentralmotiv bei Karl May.
Michael Schmidt-Neke widmet sich dem Thema "Von Arnauten und Skipetaren. Albanien und die Albaner bei Karl May", Brigitte Fleischmann ("Pueblo, Tomahawk und Pemmikan") beschäftigt sich mit Mays Archäologie der Welt der Apache, Meredith McClain forscht nach der heutigen Wirklichkeit in Mays unvergeßlichem "Llano estacado". Hans-Dieter Steinmetz berichtet über zeitgenössische finnische, tschechische und slowenische May-Übersetzungen in Einwanderer-Verlagen der USA. Auch Mays Leben als Gemeindebürger in Radebeul im Spiegel der Lokalpresse, Mays Rolle als Seelenführer in seinen Beziehungen zur Prinzessin Wiltrud von Bayern und dem Studenten Wilhelm Einsle werden durchleuchtet. Um nur einige Beispiele zu nennen.
[Christoph Pepper]
Das neue Jahrbuch zeigt, wie vielfältig und perspektivenreich sich die May-Forschung entwickelt: Mehrere Arbeiten befassen sich mit den Reise- und Abenteuererzählungen, die Karl May berühmt gemacht haben. Andere Beiträge beleuchten die Einflüsse von Ferdinand Freiligrath und des französischen Erzählers Gustave Aimard auf Mays Phantasie. Und ausführlich wird die Geschichte von Karl Mays Grabmal dokumentiert. Dieses Jahrbuch ist herausgegeben von dem Juristen Claus Roxin, dem Germanisten Helmut Schmiedt und dem Schriftsteller Hans Wollschläger.
Mit Old Shatterhand, Winnetou, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar ist der Geschichtenerzähler Karl May offenbar unsterblich. Allein die deutschen Freilichtbühnen in Bad Segeberg, Elspe und Rathen ziehen jeden Sommer hunderttausende von Besuchern an, ebenso wie die Karl-May-Spiele auf österreichischen Sommertheatern. In seiner Zeit war der jüngere May erfolgreich mit Kolportageromanen mit nicht enden wollenden Melodramen, die dem Publikum des beginnenden weltweiten Industriezeitalters die Träume von Exotik und Liebe, von Stärke und Zukunftshoffnung erfüllten. Das ,,Waldröschen oder die Verfolgung rund um die Erde" ist sein wohl bekanntestes Werk dieses Genres. Aber der erfolgverwöhnte (und gnadenlos niedergemachte) Karl May hat der Nachwelt kein Bühnenwerk hinterlassen (von dem unglückseligen allegorischen ,,Babel und Bibel" abgesehen). Doch jetzt bringen die Landesbühnen Sachsen in Radebeul bei Dresden - dem langjährigen Wohnsitz Mays mit seiner ,,Villa Shatterhand", dem jetzigen Karl-May- und Indianer-Museum - eben das "Waldröschen" in einer hinreißenden Revue auf die Bühne.
Götz Loepelmann und Astrid Windorf beweisen mit viel Kenntnis bühnenwirksamer Effekte, wie man mit ironischem Zungenschlag die Texte des großen Romanautors May auch heute noch vermitteln kann (Regie Carsten Ramm).
Durch einen Erzähler (Theo Richtsteiger) zusammengehalten, wird in vielen Einzelszenen die äußerst verwickelte Geschichte der Rodrigandas erzählt, unterbrochen durch Gesangseinlagen mit Schlagern aus den Fünfzigern ("Wir wollen niemals auseinandergehen") und Filmmusiken ("Spiel mir das Lied vom Tod"). Köstlich der Dr. Karl Sternau in der Attitüde des omnipotenten jungen May, der aus seinem Lebensmittelpunkt, dem Forsthaus Rheinswalden im Hunsrück, über Ausflüge nach Schottland, Frankreich, Spanien und eine unbekannte Südsee-Insel das Schicksal Mexikos entscheidet (Mathias Henkel). Das ergibt einen attraktiv verfremdeten Einblick in Kommunikationsbedürfnisse vergangener Zeiten, stellt aber auch den Zusammenhang zwischen "fünfziger Jahre West" zur "Realität Ost heute" her.
Loepelmanns Radebeuler Fassung übertrifft seine älteren Krefelder und Hannoveraner Versionen durch größere Rasanz und vor allem durch die permanente Erinnerung an den "Mayster". Loepelmann/Windorf arbeiten mit zahlreichen biographischen Anspielungen auf Gewohnheiten und Schrullen des sächsischen Fabulierers, ohne jedoch mit der liebevoll-ironischen May-Show des Hamburger Schauspielers Dietmar Mues zu konkurrieren. Der Genius loci und das spielfreudig-kompetente Ensemble des Radebeuler Theaters mit dem sachkundig reagierenden Publikum machen einen Besuch zum köstlichen Vergnügen.
Parallele Artikel erschienen u.a. in Allgemeine Zeitung Mainz v. 26.4.96 und Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 24.4.96
Unser Mitglied Prof. Dr. F. R. Stuke ist Mitglied der Fakultät für Philosophie, Pädagogik und Publizistik, Sektion für Publizistik und Kommunikation an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist zudem als Theaterkritiker tätig.
(Siehe auch die die Rezension von Christine Hünseler)