MobileMenuKarl-May-Gesellschaft → Primärliteratur

Frau Pollmer,

eine psychologische Studie.

Im jetzigen Hohenstein-Ernstthal in Sachsen gab es in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts einen ehrsamen Ackerbürger namens Steger, der sich schlecht und recht von dem Ertrage einiger Felder nährte, einige Kühe besaß und innerlich so ernst und wissensdurstig angelegt war, daß er seine Mußezeit nicht wie andere Leute auf unnütze Dinge, sondern nur darauf verwendete, sich geistig fortzubilden. Er kaufte sich wissenschaftliche Bücher, die er mit großem Fleiße las, und trieb sogar Latein. Er war nicht nur ein Musterbürger, sondern auch rein äußerlich ein Mustermensch: Er und seine Frau galten als das schönste Ehepaar der ganzen Umgegend. Darum war er nicht nur stolz auf sein Latein, sondern noch viel mehr auch auf den Ruf, der schönste Mann zu sein und die schönste Frau zu haben.

Dieser Mann hatte zwei Töchter, auf die sich die körperlichen Vorzüge der Eltern vererbten. Sie waren ganz natürlich „die schönsten Mädchen in der Stadt“ und darum viel umworben. Die Eine heirathete einen Arzt, Dr. Günther geheißen, der sich ihretwegen im Städtchen niederließ. Die Andere aber betrübte ihre Eltern und Verehrer durch eine Liaison resp. ackerbürgerliche Mésalliance sondergleichen. Sie wählte sich einen Barbirgesellen, der

aus einen armen, kleinen Dorfe in der Nähe von Annaberg stammte und mit seiner hohen, wohlgewachsenen Grenadiergestalt und seinen pechschwarzen Augen sämtliche jungfräuliche und nicht jungfräuliche Mädchenherzen, Tanzböden und Kammerfenster eroberte. Dieser Barbier litt trotz aller Ursachen, die er nicht dazu hatte, bis an sein hohes Alter an einer grenzenlosen Selbstvergötterung und wußte es auf die allereinfachste und natürlichste Weise durchzusetzen, daß man ihm das Mädchen gab. Er brachte einen ganz bedeutenden Einschlag von unbezwinglicher Vulptuosität in die Stegersche Familie und legte den Grund zu deren schnellen Perversion. Er hieß Pollmer. Er bekam die Mittel, sich als Barbier zu etabliren, das heißt, Jedermann nach damaligem Preis für drei Pfennige, im Abonnement aber für zwei Pfennige zu rasiren. Da aber die Verschwägerung mit einem wirklichen Doctor der Medizin und die alten, ackerbürgerlichen, heiligen Traditionen mehr verlangten, so machte man den Versuch, den Barbier in etwas Besseres und Höheres zu verwandeln. Er bekam die Stegerschen Bücher alle zu lesen, sogar die lateinischen. Besonders die letzteren wirkten augenblicklich standeserhebend. Der Schwager Doctor trug durch Umgang und Unterweisung das Seinige dazu bei, den sozialen Werth dieses nicht ganz zulänglichen Verwandten zu verdoppeln. Später wurde eine homöopathische Apotheke nebst den hierzu gehörigen Gebrauchsanweisungen angeschafft; der Barbier begann, zu kurieren, und weil der höchste Preis seiner Arzeneien 15 – 20 Pfennige betrug, so gelang es ihm sehr bald, in Kundschaft zu kommen. An seinen Körnchen und Tröpfchen ist kein einziger Mensch gestorben, und

da er sich hütete, wirkliche oder gar bedenkliche Krankheiten zu behandeln, hat er nur Ruhm und Ehre geerntet und am Ende seiner langen, segensreichen Thätigkeit ein Vermögen von 230 Mark hinterlassen, welches meiner ersten Frau als seiner einzigen Erbin mit meiner ehemännlichen Genehmigung gegen besondere Quittung voll und ganz ausgezahlt worden ist. Zwar meldeten sich hierauf noch einige weitere uneheliche Kinder resp. Enkel, doch hat meine Frau, als sie mit ihren Forderungen kamen, die Universalerbschaft vertheidigt wie eine Löwin ihr Junges und keine Pfennig davon hergegeben, nicht einmal mir!

Die gloriose Kunst, Zahnschmerz mit nux vomica und Mitesser mit digitalis heilen zu können, bewirkte bei Herrn Christian Gotthilf Pollmer die Ueberzeugung, daß er bisher nur ein schöner Mann gewesen, nun aber auch ein bedeutender Mann geworden sei. Er barbierte zwar weiter, ließ sich aber „Zahnarzt“, „Homöopath“ oder auch „Chirurgus“ nennen und spuckte im Uebrigen den Leuten auf die Köpfe. Dies ging, so lange esnur einen einzigen Arzt und einen einzigen Barbier im Orte gab; aber es kam nach und nach die Zeit, in welcher drei Aerzte und drei Barbiere nach Kundschaft jagten; da wurden die homöopathischen Einnahmen immer homöopathischer, und man mußte sich heimlich auf das Äußerste einschränken, um nicht auf den äußeren Stolz verzichten zu müssen. Als ich den alten, sich selbst und seine Enkeltochter vergötternden Mann kennen lernte, brauchten diese Beiden wöchentlich drei sechspfündige Schwarzbrode, und es gab hierzu nur ein einziges Stückchen Butter im Gewicht von 250 Gramm.

Pollmer hatte einen Sohn und eine Tochter, in denen sich alle körperlichen Vorzüge der Steger und der Pollmer vereinigten. Er war unendlich stolz auf seine

schönen Kinder, die aber geistig völlig werthlos waren und seelisch in Egoismus und Vergnügungssucht ertranken. Zu alledem erbten sie seine außerordentliche Kupidität, an welcher sie beide zu Grunde gingen. Der Sohn wurde wieder Barbier, weil es geistig und pecuniär zu nichts weiter reichte. Man richtete ihm in Chemnitz einen Friseurladen ein. Die Kundschaft flog ihm zu, seines gewinnenden Äußeren wegen; er aber verjubelte Alles mit lüsternen Dirnen und ging, als jeder Rettungsversuch sich als nutzlos erwiesen hatte, als Vagabund zigeunern und ist dann nach langen Betteljahren in der Scheune eines Dorfwirthshauses elend verendet. Die Tochter, ein geradezu wonnig schönes Mädchen, brachte es trotzdem nur zur Verlobung mit einem Schneidergesellen, aber nicht zur Hochzeit. Der Schneider war ein arbeitsamer, ehrlicher Mensch; aber das war ihr nicht genug; er wurde von ihr betrogen. Während der Brave Tag und Nacht arbeitete, um ihr ein ehrliches Heim bereiten zu können, gab sie sich hinter seinem Rücken mit einem czechischen Barbiergesellen ab, einem vollständig verwahrlosten, perversen Menschen, der, als sich die Folgen dieser Sinnlichkeit zeigten, sich sofort aus dem Staube machte und nie wieder von sich hören lies. Der brave Schneider verzichtete natürlich auf den Besitz der Mutter eines fremden, unehelichen Kindes. Sie starb, indem sie gebar. Das Kind dieser verbuhlten Barbierstochter und des verlogenen, leichtfertigen, lüsternen Czechen aber wurde später – – – meine Frau!

Emma Lina Pollmer, so hieß meine Frau, wurde auf den Namen ihres Großvaters getauft. Dieser war unfähig, vom Schicksal auch nur die geringste Lehre

anzunehmen. Um dies zu thun, hätte er sich ändern müssen, doch hierzu war seine Anbetung seines eigenen Ich viel zu groß. Er erzog das kleine Wesen genau ebenso, ja noch viel unrichtiger, als er seine beiden unglücklichen Kinder erzogen hatte. Er ahnte nicht, daß er hierdurch zum Verbrecher an den vitalsten Gesetzen des menschlichen Lebens wurde. Kinder der Liebe, also uneheliche Kinder, pflegen sehr oft die äußeren Vorzüge und inneren Fehler ihrer Erzeuger zu erben. Naturell und Temperament, diese beiden gefährlichsten aller Triebkräfte, treten bei ihnen mehr hervor als bei den in der ruhigen, gleichmäßigen Liebe der Ehe erzeugten Kindern. Natürlich! Wer mitten in Flammen sein Dasein fand, kann auch nur in Flammen leben! So auch hier. Dem kleinen, außerehelichen Enkelkind des alten, homöopathischen Bartscheerers war Alles angeboren, was äußerlich besticht und äußerlich gewinnt. Im Innern dieser Hülle aber gab es nichts, was Freude machen konnte. Da war Alles leer, oder wo Etwas war, da faulte es bereits. Unerhörte Eigenliebe, Selbstbewunderung, schärfste Sinnlichkeit, Ungebundenheit, Unempfindlichkeit für fremdes Leid, die bekannte Grausamkeit der Verkommenen, geistige Faulheit, seelische Impotenz und vor allen Dingen das gierige Trachten nach den nöthigen Mitteln, sich im Bodensatz des Lebens baden zu können, so sah der Boden aus, auf dem das Kind sich nur noch als Giftpflanze entwickeln konnte.

Unglücklicher Weise starb Pollmers Frau. Als Stegersche Tochter hatte zwar auch sie eine große Portion von Eigendünkel und Eigenwillen besessen, pervers aber war sie nicht. Pollmer ersetzte sie sehr schnell durch eine sogenannte Haushälterin, mit der er aber im innigsten Concubinate lebte. Sie war ein ganz gewöhnliches, ordinäres Arbeitermädchen, aber äußerst

üppig gebaut und mit jenen groben Reizen und der entsprechenden Raffinirtheit versehen, durch welche dergleichen Weibsen selbst braven Männern sehr leicht gefährlich werden können; Pollmer aber hatte sie ja eben grad wegen ihrer Geilheit und Brünstigkeit gemiethet. Diese Vettel wurde die Mutter und Erzieherin des Kindes, welches für die Gasse schön herausgeputzt wurde, daheim aber den ausschweifendsten Liebesgenüssen zuzuschauen hatte und seine ganze Kindheit und Backfischzeit in einer Atmosphäre von Wollust und Obscönitäten verlebte, die im höchsten Grade geeignet war, das von den leichtfertigen, liebestollen Eltern vererbte Gift zu entwickeln. Und diese Entwickelung ließ auch gar nicht auf sich warten!

Emma Pollmer kam in die Schule, lernte aber nichts, als nur sich putzen. Sie kam aus der Schule und hatte nicht einmal richtig schreiben und lesen gelernt. Das lernte sie später erst bei mir. Seelisch war sie gleich von Anfang an vergiftet, geistig stets eine Null, doch körperlich entwickelte sie sich umso schneller zu einer so reizenden und so üppigen Schönheit, daß der perverse Großvater seine Wonne an ihr hatte und in Beziehung auf ihre Verheirathung nicht nur goldene sondern sogar diamantene Pläne spann. Sie durfte nichts lernen und nichts machen, sondern sich nur auf ihre Schönheit verlassen. „Meine Tochter braucht nicht zu arbeiten; ich habe sie so erzogen, daß sie das Leben genießen soll!“ pflegte er zu sagen. Aber tanzen mußte sie gehen und alle Abende in Klatschgevatterschaft oder auf den Jungburschen-Fang, um sich „benehmen zu lernen“. Als ich sie zum ersten Male sah, wurde sie genau von einem halben Dutzend, also sechs Anbetern umschwärmt.

Ich war damals Redacteur bei Münchmeyer gewesen, hatte aber diese Stelle niedergelegt, weil ich absolut die Schwester seiner Frau heirathen sollte, was ich aber ebenso absolut nicht wollte. Ich hatte während dieser Redactionszeit in eine Welt geschaut, die mich anekelte. Der Mann betrog die Frau, und die Frau bestahl den Mann. Er war Zimmergesell gewesen und dann Kolporteur geworden. Sie war Dienstmädchen und Waschfrau gewesen und wurde in ihrer Heimath nur das „Kuhfenster“ genannt. Diese beiden Menschen waren nun die Besitzer einer Kolportagefabrik, in der die Ausbeutung der rohgeschlechtlichen Sinnlichkeit auf das Unverschämteste betrieben wurde. Das hatte ich nicht gewußt, sonst wäre es mir nicht eingefallen, die Redacteurstelle anzunehmen. Damals gab Münchmeyer ein Buch heraus, der „Venustempel“ genannt, mit den scheußlichsten Texten und Abbildungen. Nie in meinem Leben habe ich etwas so schandbar Gemeines gesehen! Aber Münchmeyer las es, seine Frau las es und seine Kinder lasen es und freuten sich über die nacktgemalten Geschlechtstheile und Brüste. Frau Münchmeyer sagte: „Das ist unser bestes Buch; das bringt massenhaft Geld!“ Daß ihre vier jungen Töchter dabei moralisch verkommen mußten, das sah sie nicht ein. Die Folge war, daß der ältesten Tochter des Nachts die Hände gebunden werden mußten, damit sie sich die Onanie abgewöhne. Eine der Töchter ist unheilbar wahnsinnig, zwei haben schon längst keine Männer mehr, und die vierte ist geschieden. Wenn Münchmeyer sich mit seiner Frau und seinem Bruder zankte, so schrie er meist: „Ich will auch mal was Anderes haben. Wer mich in meiner Liebe stört, den schieße ich nieder!“ Sie rief: „Du kommst mir nicht mehr in mein Bette, Du Schwein, Du Sau!“ Und sein Bruder brüllte:

„Die mag doch erst ihren Hebammen die Kinder bezahlen, die sie sich hat abtreiben lassen!“ Und von der Schwester der Frau Münchmeyer erzählten sich die Arbeiter und Arbeiterinnen, daß sie sich des Abends vor dem Schlafengehen bei Licht die Filzläuse von den dicken Beinen gelesen habe; man hatte sie von den gegenüberliegenden Fenstern aus beobachtet. Und diese Schwester sollte ich heirathen! Ich wurde des Abends zum Essen geladen. Dann gingen die Alten fort, und die Thür zur Kammer mit den Filzläusen wurde geöffnet. Floh ich dann in irgend eine Restauration, so gatterte der Alte mich sicher auf und rief mir vor allen Leuten zu, ich solle doch zu seiner Minna kommen! Das war nicht auszuhalten. Ich gab die Stelle auf und war froh, als ich dieser Welt der abnormen Geschlechtlichkeiten glücklich und heil entronnen war. Münchmeyer war so verständig, mir dies nicht übel zu nehmen; seine Frau, ihre Schwester und ihre Eltern aber haben mich seitdem mit einem Hasse und einer Rache verfolgt, unter der ich noch heut, und zwar sehr schwer, zu leiden habe.

Ich hatte auf dem Jagdweg gewohnt und zog von da nach der Pillnitzer Straße zu einer alten, reichen Dame, der Wittfrau Groh. Von hier aus besuchte ich häufig meine Eltern und Geschwister in Hohenstein-Ernstthal. Ich wohnte da stets bei einer Schwester, die mir ein eigenes Zimmer geben konnte. Mein Schwager wurde von Pollmer barbiert. Bei diesen Gelegenheiten ließ auch ich mich von ihm rasiren. Ich zahlte hierfür 20 Pfennige. Pollmer war 3 oder höchstens 5 Pfennige gewohnt und posaunte meinen Reichthum und meine hohe Bildung allüberall aus, wohin er kam. Ich wurde infolge dieser 20

Pfennige sein ganz besonderer Liebling, und es kam häufig vor, daß er stundenlang bei mir sitzen blieb und mit mir über meine Lebens- und Arbeitspläne sprach. Er hatte meine „Geographischen Predigten“ gelesen, die damals in 300,000 Exemplaren durch ganz Deutschland gingen, und sagte mir viel Ruhm und Ehre, aber keine Gelderfolge voraus, und das sei jammerschade! Er selbst wisse sehr genau, was heutzutage das Geld zu bedeuten hat. Er habe eine einzige Tochter, ein sehr schönes, sehr gebildetes Mädchen, die nur die Finger auszustrecken brauche; sie sei auch immerfort und viel begehrt, aber es dürfe ihm Keiner heran, der nicht das richtige Gewicht für so ein Juwel besitze.

Das machte mich neugierig; aber es war die Neugierde des Schriftstellers, nicht des Menschen. Ich war schon fünfunddreißig Jahre alt und hatte nicht die Absicht, mich an eine Frau zu binden. Meine Pläne erforderten viele, weite Studienreisen, die in solchem Umfange nur dann möglich waren, wenn ich ledig blieb. Aber sehen wollte ich dieses Wunder doch einmal! Sonderbarer Weise brauchte ich zur Erfüllung dieses Wunsches gar nicht selbst einen Schritt zu thun. Sie hatte mich gesehen, denn so oft ich ging oder kam, mußte ich an ihrem Fenster vorüber. Ihr Vater hatte sie neugierig gemacht. Alle Welt sprach von mir und meinen „Geographischen Predigten“, die in dem kleinen Neste doch wenigstens in 40–50 Exemplaren vorhanden waren. Sie veranlaßte ein altes Ehepaar, bei dem sie mit ihren Freundinnen verkehrte, mich für einen bestimmten Abend einzuladen. Das geschah. Ich kam. Ich war der einzige eingeladene Mann unter lauter jungen Mädchen, aber man amusirte sich ungeheuer, und als man nach Hause ging, führte ich „Fräulein Pollmer“ heim, brauchte das

das aber nie wieder zu thun, denn schon von morgen an kam sie täglich abends zu mir, anstatt ich zu ihr, sobald Pollmer schlafen gegangen war, heimlich, leise, durch meine Hinterthür, die für sie offen stand.

Ich war damals dumm genug, stolz darauf zu sein, daß ich alter Kerl die jungen Anbeter alle ausgestochen hatte, und zwar so schnell und gründlich, mit einem einzigen Male! Und die Heimlichkeit, in welche wir uns dabei hüllten, war mir, dem Romanschriftsteller, außerordentlich sympathisch. Körperliche Vorzüge besitze ich nicht; aber ich war in hohem Grade überzeugt, diesen kostbaren Schatz von Schönheit, Herzensgüte, Edelsinn und Hingebung nur durch meine geistige Ueberlegenheit erobert zu haben, und ahnte nicht, daß ich keinesweges der Sieger, sondern nur der ebenso listig wie leicht Besiegte war. Eine schlau berechnende, außerordentlich raffinirte Courtisane hatte mich gefangen! Und noch dazu nicht etwa eine weltstädtische oder eine Courtisane im hohen oder im Dumas’schen Style, sondern eine armselige kleinstädtische, die aber nach außerordentlich starken und sicher treffenden Instincten zu handeln verstand. Aber die eigentliche, tiefere und wirkliche Kraft, der ich unterlag, waren nicht diese Instincte, war auch nicht die Sinnlichkeit, sondern das war etwas ganz Anderes, was ich damals noch nicht kannte, noch nicht sah, noch nicht begriff und nur erst später in schwerem Leid und tiefer Seelenqual erkennen und verstehen lernte. Der Spiritist nennt es die Medialität; Andere sprechen von natürlichem Magnetismus, von Fascination, von der Jettatura und von allerhand andern occulten Dingen. Ich aber bin ein Gegner des Spititismus und allerocculten Lehren; ich liebe das

Licht und die Aufklärung, und Alles, was ich schreibe, ist gegen den Spiritismus und den Occultismus gerichtet. Ich bin Christ; ich bleibe Christ, und ich halte mich sogar in meiner Psychologie an die Lehre Christi, wie sie in den vier Evangelien niedergelegt worden ist. Es giebt unsichtbare Kräfte, die nur das Böse wollen. Ihr biblischer Sammelname ist „Teufel“. Wer ihnen in sich Wohnung gewährt und sich von ihnen beherrschen läßt, ist ein „Besessener“. Die Befähigung zur Besessenheit ist angeboren, ganz so, wie auch viele andere Krankheitsfähigkeiten angeboren sind. Diese Fähigkeit ist eine Folge von den Sünden der Väter und Mütter, ganz so wie bei der Syphilis und ähnlichen schönen Dingen. Diese Besessenheit zeigt sich viel weniger bei Männern als vielmehr bei Frauen und hat stets eine hohe, krankhafte Erregung der Geschlechtstheile als Begleiterscheinung. Der Mißbrauch dieser Theile führt zur inneren Fäulniß, weshalb sich diese besessenen Weiber fast stets als „unterleibskrank“ bezeichnen. In den meisten Fällen sind diese Diabolinnen die Töchter von herabgekommenen, perversen, unkeuschen Eltern. Sie gleichen dem schönen, zarten, rothbäckigen Apfel, in dem der Wurm nagt; sie sind anmuthiger, schöner, früher reif und scheinbar auch begabter als ihre Gespielinnen und stellen sie daher in Schatten. Ihnen allen ist eine stete körperliche Gespanntheit und seelische Erregtheit eigen, die mit den Genitalien in Beziehung steht, aber hinter einer heiteren Sanftmuth, einer bescheidenen Schweigsamkeit und einer unendlich geduldigen Fügsamkeit derart versteckt und verborgen wird, daß selbst der Psycholog nichts davon merkt. Nur einem einzigen Sinnesorgan ist es unmöglich, sich an diesem großen

Betruge zu betheiligen, nämlich den Augen. Sie können die innere Erregtheit nicht verschweigen. Sie stehen in Glanz; sie strahlen, und sie glühen. Im geeigneten Augenblick erscheint zwar ein diabolisches Thränlein, um die verrätherische Gluth zu löschen, aber dieses liebe Salzwässerlein vermehrt die Gluth, anstatt sie zu löschen, und da man an die gut gespielte Sanftmuth, Reinheit und Unschuld glaubt, so verfehlt dieser seelenvolle, rührende Augenaufschlag fast niemals seine Wirkung, und es kommt sogar vor, daß erfahrene Männer sich von ihm verführen lassen, tief gerührt zu sein und selbst auch eine Thräne zu vergießen. Auch mir ist das passiert, bis ich älter und klüger wurde und besser aufpaßte. Dann aber, wenn man den Diabolus entdeckt und entlarvt, ist es plötzlich mit der Sanftmuth und der Fügsamkeit zu Ende, und es erscheint die verborgene Megäre, die so gemein und so rücksichtslos verfährt, daß sie selbst den stärksten Mann zu Boden tritt, wenn es ihm nicht möglich ist, sich ihrem Raffinement und ihrer Wuth zu entziehen.

Von alledem wußte ich noch nichts, als ich als alter, vertrauensseliger und unbefangener Junggesell Emma Pollmer zum ersten Male sah. Ihr Großvater hatte nicht zu viel gesagt; sie war schön, sogar sehr schön! Dabei so still und schweigsam! Ich hasse belfernde Frauen und ahnte nicht, daß die Mühle nur meinetwegen stand, sonst aber immerwährend klapperte. Sie war die bescheidenste von Allen, und sie überlegte jedes Wort, bevor sie es sprach. Das imponirte mir ganz besonders. Und wie klug, wie belesen sie war! Wie genau ihre Gefühle und Ansichten mit den meinigen harmonirten! -

harmonirten! Ich wußte damals freilich nicht, daß sie meine „Geographischen Predigten“ vorher eifrig durchgenommen hatte. Daher auch ihr stilles, nachdenkliches, behutsames Wesen. Sie fürchtete, daß ihr Gedächtniß falsche Sprünge machen und sie verrathen werde. Kurz und gut, ich war entzückt und kam sehr oft nach Hohenstein, um mich von Abends 10 Uhr an von ihr besuchen zu lassen. Die Briefe, welche sie mir nach Dresden schrieb, waren so genau das Echo der meinigen, daß jeder Andere angenommen hätte, sie selbst könne gar keine schreiben; ich aber hielt das, was einfach geistige Armuth war, für seelische Harmonie und jubelte innerlich weiter. Daß sie inzwischen nach wie vorher zu Tanze ging, sich nach Hause führen ließ, mit Anderen verkehrte und von ihnen Briefe empfing, das wußte ich nicht; das stellte sich erst später heraus. Ich entschloß mich, das herrliche, großartige Geschöpf zu meiner Frau zu machen, und als der alte Pollmer eines Vormittages zu meinem Schwager kam, um mich zum Mittagessen zu sich einzuladen, welche große Ehre er noch niemals einem Andern erwiesen hatte, sagte ich ihm ganz offen heraus, daß ich sehr gern kommen werde, wenn er mir erlaube, nicht nur seinetwegen, sondern auch seiner Enkeltochter wegen zu kommen. Der Mann war starr vor Staunen; er verlor zunächst die Sprache; dann aber krachte er um so lauter und drohender los: Er habe mich geliebt und hochgeachtet, weil es ihm als unmöglich erschienen sei, daß ein Mensch, der nur Schriftsteller sei, es wagen könne, das Auge zu seiner Tochter zu erheben. Nun aber, da ich so vermessen sei, dies zu thun, nehme er seine Einladung zurück und verbiete

mir, mich jemals wieder vor ihm sehen zu lassen. Seine Tochter habe ich mir aus dem Sinn zu schlagen; das sei eine Traube, die viel zu hoch für Leute hänge, welche sich von weiter nichts als nur von der Feder ernähren!

Dieser alte Mann war ein Thor. Hätte er nicht widersprochen, so wäre es mir nicht eingefallen, meinen Vorsatz, das Mädchen zu heirathen, auszuführen; denn ich hätte bei ihm Gelegenheit gefunden, sie nicht nur heimlich sondern auch wirklich kennen zu lernen und dabei wäre mir die Lust zu einer solchen Ehe auf alle Fälle vergangen; auch hätte er es als bejahrter und erfahrener Mann vorziehen sollen, einen langsamen, friedlichen Bruch an Stelle eines so plötzlichen und beleidigenden herbei zu führen. Ich aber war noch hundertmal dümmer als er. Ich ließ mich vom Zorne fortreißen, ihm zu sagen, daß ich mir von ihm nicht befehlen lassen könne, wen ich zu heirathen habe und wen nicht. Hier habe nicht er, sondern seine Tochter zu entscheiden; aber das Eine wolle ich ihm versprechen, daß ich noch heut wieder nach Dresden reisen und sie nicht eher heirathen werde, als bis er persönlich zu mir komme und mich darum bitte. Damals bildete ich mir auf dieses Ultimatum ein, als Mann und Character gehandelt zu haben; heut aber bereue ich es bitter. Ich habe es mit weit über zwanzig Höllenjahren zu bezahlen gehabt!

Ich hielt Wort. Schon am Abende desselben Tages war ich wieder heim, in Dresden. Einige Tage später kam sie mir ganz freiwillig nach. Ich miethete sei bei einer sehr ehrenwerthen, alten Pfarrerswittwe ein, damit sie eine anständige Wirthschaft führen lerne. Ich hatte sie auszustatten, ihr Kleider zu kaufen, sogar auch Leibwäsche, Hemden etc. etc. etc., denn sie besaß hiervon nur das äußerst Nothwendigste. Ich war zu jedem

Opfer bereit. Auch die Frau Pfarrerin gab sich alle Mühe, aber leider vergebens. Nun unser Verhältniß kein heimliches mehr war, gelang es ihr nicht mehr, sich mir innerlich zu verbergen. Ich durchschaute sie, zwar nicht sofort, denn sie war eine Meisterin im Verstellen, aber doch nach und nach. Sie griff keine Arbeit an; sie wollte nur zu ihrem Vergnügen leben. Sie gefiel sich in den Manieren einer Phryne. Gleich in den ersten Tagen schon entdeckte ich bei ihr männliche Correspondenz. Schon nach wenigen Monaten bat mich die Frau Pfarrerin, sie ihr um Gotteswillen wieder anzunehmen; sie sei faul, lüderlich, vergnügungssüchtig, vor allen Dingen aber auch eigenwillig und herzlos sondergleichen. Ich wurde tief betrauert, daß ich mir eingebildet hatte, aus so einem Mädchen eine gute, brave Hausfrau machen zu können.

Dieser Schlag traf mich schwer, aber ich widerstand ihm doch. Ich glaubte nicht Alles. Ich zog mit ihr nach Strießen in ein kleines, netter, allerliebst ausgestattetes Parterre. Hier wohnten wir nun endlich beisammen, und ich brauchte mich nicht mehr auf fremde Augen und Ohren zu verlassen. Ich spreche bildlich und psychologisch, wenn ich sage: Sie stand nun Tag für Tag in ihrer splitternackten Seelenlosigkeit vor mir. Sie sprach mit andern Frauenzimmern über die heimlichsten und persönlichsten Geschlechtsvorkommnisse in einer Weise, deren sich selbst eine gewöhnliche Dirne schämt. Sie gab sich nicht die geringste Mühe, geistig fortzuschreiten. Für meine Zwecke und Ziele zeigte sie nicht das geringste Verständniß; ihre Briefe waren also nur Blendwerk oder nicht von ihr selbst verfaßt gewesen. Um das, was ich schrieb, kümmerte sie sich keinen Augenblick. Für den Dichter soll die Seele seiner Frau eine Quelle sein, aus der er täglich

neue Gedanken, neue Kraft, neue Begeisterung, neues Glück und neuen Adel schöpft; hier aber war nur Jauche zu schöpfen, weiter nichts, weiter nichts! Dabei entpuppte sie sich als eitle, gedankenlose Schwätzerin. Durch dieses Geplapper und Geschnatter erfuhr ich, ohne es erfahren zu wollen, die ganze innerliche Fäulniß der Pollmerschen Verhältnisse und Erziehung. Sie war Zeugin der Liebesscenen zwischen ihrem Großvater und der großbusigen Haushälterin gewesen. Sie hatte das, was sie sah und was sie hörte, mit den Augen und Ohren förmlich verschlungen. Sie hatte darüber nachgedacht, es schon als Kind studiert. Sie hatte es sich des Nachts, wenn sie unbeobachtet war, mit Hülfe ihrer regen Phantasie wiederholt. Hierzu kam die unglückselige Veranlagung von Vater und Mutter her. Sie hatte gesehen, daß die Haushälterin ihrem Herrn zwar geschlechtlich jederzeit mit Wonne zu Diensten gestanden, ihn aber dafür beherrscht, regirt, geschimpft, gequält und herzlos ausgebeutet hatte. Und ebenso wenig war es ihr entgangen, daß dieses Frauenzimmer die Erfüllung aller Wünsche umso leichter erreichte, je sinn- und rücksichtsloser sie darauf bestand. Das Schlimmste dabei war, daß die Dirne sich mit teuflischer Berechnung dem Mädchen an- und einschmeichelte, um mit dieser Hülfe bei den Großvater Alles zu erreichen. So wurde Emma Pollmer schon als Schulkind die Verbündete einer Hure. Sie lernte schon in dieser frühen Zeit die Geheimnisse des Frauenkörpers und die Macht der weiblichen Reize kennen. Sie lernte die Männer verachten und verspotten, die für den Anblick zweier Milchdrüsen auf Gesundheit, Geld und Ehre verzichten. Und sie wartete mit Sehnsucht auf die ersten Zeichen der Pubertät, -

Pubertät, um dann auch selbst in den Stand gesetzt zu sein, das Beispiel der Concubine zu befolgen und den Männern zu zeigen, was eine Harke ist! Als diese Zeit kam, gab es für sie nur noch die fleischliche Liebe, keine andere; der weibliche Körper galt ihr nur als Mittel zum Zweck, und die Burschen und Männer waren ihr nur noch „Dummköpfe“, „Säue“ und „Schweine“, die man mit Sinnenlust füttert, um sie dann abzuschlachten. Diese Ausdrücke „Dummkopf, Sau, Schwein etc. etc. etc. etc.“ haben sich durch ihr ganzes Leben hindurchgezogen und sind bei ihr noch heutigen Tages gang und gäbe! Sie hat ihren Großvater nie geliebt, sondern nur verachtet und ausgebeutet. Sie hat, als sie dann ihre eigenen Reize besaß, die Zuhälterin aus dem Hause getrieben, um nun allein an ihm zu zehren. Sie ist das ganze Jahr hindurch fast keinen Abend daheim geblieben und hat den alternden Mann sich selbst überlassen. Sie ist ihm ohne Scheu und Scham und Gewissensbiß davongelaufen und nach Dresden gekommen, um bei mir genau dieselbe Rolle zu spielen wie die Konkubine bei ihrem Großvater. Nun saß der alte Mann allein daheim. Sie hatte nicht das geringste Mitgefühl für ihn, und wenn ich hiervon sprach, so sagte sie, daß weder er noch sie sich aus dem Spott und der Schande, die nun auf ihn fiel, Etwas mache. Das war ihr hervorragendster Characterzug, die berüchtigte Grausamkeit der Perversen, der ihr von dem czechischen Vater her angeboren und von der Haushälterin ausgebildet worden war. Sie hat immer Jemand nöthig gehabt, den sie peinigte. Sie mußte Qualen sehen, um sich glücklich zu fühlen. Der Erste, den sie marterte, war ihr Großvater. Er ist daran gestorben, elend am eigenen Geifer

erstickt, direct durch ihre Schuld! Ihre vielen Liebhaber rechne ich hier nicht. Der Zweite, den sie folterte, um sich an seinen Qualen zu weiden, war ich. Das hat sie während und vor unserer 22 jährigen Ehe gethan und thut es auch noch heut – – reichlich, sehr reichlich! Das veranlaßt mich, jetzt zum zweiten Male zu fragen: Wie kommt es, daß sie auf alle Menschen, sobald sie nur ernstlich will, so schnellen und so schlimmen Einfluß gewinnt? Wie kommt es, daß sie auch mich so schnell und so nachhaltig gewinnen konnte, daß Jahre dazu gehörten, sie vollständig zu durchschauen und zu entlarven? Die Antwort ist sehr einfach: Emma Pollmer ist, biblisch ausgedrückt, eine „Besessene“ und sie hat die Macht aller Besessenen, nämlich sie wirkt, wenn sie will, hypnotisch und sie wirkt, wenn sie will, suggestiv. Diese Macht, die sie besitzt, wird durch eine gradezu verblüffende kindliche Naivität, Sanftmuth und Ergebenheit verschleiert und unterstützt. Man glaubt dieser gewinnenden Maske und geht ohne alles Widerstreben, ja sogar mit Vergnügen in die Falle. Man weint sogar, wenn sie will! Es haben Herzöge, Herzoginnen und Prinzen bei mir gespeist; diese Frau ist von Fürsten am Arme zur Tafel geführt worden, natürlich mir zu Ehren; sie hat als meine Frau mit hohen weltlichen und geistlichen Würdenträgern verkehrt; stets hat sie dabei jedes Herz gewonnen; man hat sie oft mehr beachtet als mich selbst – – – aber immer nur für kurze Zeit. Dann fing sie an, sich für meinen guten Engel auszugeben, durch den allein ich geworden sei, was ich bin; dann zog sie wie eine Spinne ihre Fäden, um Fliegen zu fangen, und wurde

nun umso leichter durchschaut, als ihr Netz fest stets auf ein Gebiet hinüberlief, welches man auch schon ohnedies mit sehr berechtigtem Mißtrauen zu betrachten pflegt, nämlich auf den Spiritismus, das Buén Retiro aller besessenen, perversen und sonstwie schädlichen Weiber. Ich komme hierauf noch zurück.

Also in Strießen war es, wo endlich auch mir die Augen aufgingen, wenn auch noch nicht ganz, denn ich war mit meiner Psychologie damals noch nicht an die „Perversitäten“ und bis an die „Furie im Weibe“ gekommen. Aber auch schon das, was ich nun bereits wußte, genügte vollständig zu dem Entschlusse, mich von ihr zu trennen. Freilich stand es fest, daß sie mich freiwillig nicht aufgeben werde; einen Eclat aber wollte ich vermeiden. Ich sann und sann, einen stillen, ruhigen Weg hierfür zu finden, doch vergeblich. Da kam mir die ersehnte Hülfe von dem alten Pollmer selbst. Man hatte ihm seine Albernheit, mich abzuweisen, vielseitig vorgeworfen; auch ist zu denken, daß er sich nach seiner Enkeltochter sehnte. Kurz, er schrieb; er forderte sie auf, zu ihm nach Hohenstein zu kommen, ob für immer oder nur auf Besuch, das solle ihre Sache sein; er fühle sich nicht wohl. Natürlich ergriff ich diese willkommene Gelegenheit sogleich mit beiden Händen; aber allein wollte sie nicht hin; ich mußte mit, und so reisten wir ohne Verweilen ab, auf Besuch, sie zu ihrem Vater nach Hohenstein und ich zu meinen Eltern in Ernstthal. Als wir uns am dortigen Bahnhofe trennten, sagte ich ihr, sie solle ihren Großvater an mein Ultimatum erinnern; ich werde sie nicht eher bei ihm besuchen, als bis er persönlich -

persönlich zu mir und meinen Eltern gekommen sei, um mich zu bitten, seine Enkeltochter zu heirathen. Ihre dämonische Macht bewährte sich leider auch hier. Er ließ sich von ihr bereden. Er kam; er bat. Ich hielt das für einen Sieg, aber es war in Wirklichkeit eine Niederlage für mich, denn wenn er nicht gekommen wäre, hätte ich mich als frei betrachten dürfen. Doch antwortete ich ihm, daß ich ihn zwar besuchen werde, seine Tochter aber noch zu prüfen habe, ob sie sich eigne, meine Frau zu sein.

Ich verkehrte also bei ihm, doch nicht täglich. Ich arbeitete fleißig und unternahm dazwischen hinein Studienreisen. Damals war es, daß ich mich an Pollmer mit dem Vorschlag wandte, daß seine Tochter, die ja gar nichts zu thun habe, kleine Abschriften für mich fertigen möge. Sie könne dadurch zeigen, ob sie fähig sei oder nicht, eine Schriftstellersfrau zu werden. Bei einer leichten Arbeit von 4–5 Stunden könne sie täglich 3–5 Mark verdienen. Da wurde er grob; seine Tochter sei erzogen, das Leben zu genießen, nicht aber, Schreiberei zu treiben. Ich brachte es durch sehr viel gute Worte zu einem Versuch; dann hörte es wieder auf. Umso ernstlicher aber war man darauf bedacht, das Leben zu genießen. Was ich ihr da bot, genügte ihr nicht: stille, ruhige Spaziergänge des Tages und des Abends eine Unterhaltung bei ihrem Großvater oder bei meinen Eltern. Sie verlangte mehr. Sie fuhr nach Chemnitz zum Tanz, sogar auf die Dörfer bei Chemnitz, und hatte dort zwei Geliebte zu gleicher Zeit, einen Bahnbeamten und einen Viehhändler. Hierzu kam ein Dritter, ein Kaufmann -

Kaufmann in Hohenstein, mit dem sie des Abends spazieren und dann nach seiner Junggesellenwohnung ging. Er speiste im Gasthof. Eines Mittags zeigte er beim Essen für die andern Gäste ein Busentuch von Fräulein Pollmer herum, welches sie heute Nacht in seinem Zimmer liegen gelassen habe. Ich sah das Tuch; ich kannte es; es gehörte ihr. Sie leugnete. Es zu einer Confrontation zu treiben, dazu gab ich mich nicht her; aber ich verzichtete!

Hiermit bin ich bei dem Hauptpunkte dieser mehr als sonderbaren Angelegenheit angelangt. Ich hatte verzichtet, aber das Schicksal, oder vielmehr der Dämon Pollmer wollte es anders. Zurückgekehrt von einer längeren Studienreise stieg ich in Hohenstein-Ernstthal aus, um mich zu meinen Eltern zu begeben, da kam ein Bahnassistent, ein Cousin von mir, auf mich zugesprungen und sagte: „Du kommst grad recht von Deiner Reise zurück. Der alte Pollmer ist heut Nacht gestorben, und die Emma rennt nun verzweifelt nach Dir herum und weiß sich nicht zu helfen!“ Das packte mich bei der Pflicht und bei dem Herzen. Zu sterben, ist keine Kleinigkeit, und der Tod hebt Alles auf. Ich wollte mit Pollmer und seiner Tochter nichts mehr zu thun haben, aber sie „rannte verzweifelt nach mir herum“; dieser Exaltation mußte schleunigst entgegengetreten werden, und so ging ich sofort nach ihrer Wohnung und gar nicht erst zu den Eltern. Ich war überaus erstaunt, sie nicht bei der Leiche des Verstorbenen, sondern beim Geldzählen und beim Durchwühlen der kleinen, unbedeutenden Hinterlassenschaft zu finden. Sie hatte viel mehr erwartet und war in hohem Grade enttäuscht. Als sie mich erblickte, erfolgte eine Scene, die ich hier nicht beschreiben will; dann führte sie mich in die Stube, wo er

lag. Er war nicht todt; er lebte noch. Der Schlag hatte ihn gerührt. Die eine Seite war vollständig, die andere halb gelähmt. Dunkler Geifer floß ihm aus dem Munde. Er konnte nicht mehr sprechen; aber er hörte Alles und verfolgte das, was wir thaten und sprachen mit angsterfüllten Augen. Das Gerücht von seinem Tode war falsch gewesen. Er lebte noch! Und bei diesem Zustande des alten Mannes, von dem sie nur Liebe, nichts als Liebe erhalten hatte, klapperte sie bereits mit den paar Mark, die er vor ihren Argusaugen behütet hatte, und suchte in den alten Lumpen nach noch weiterem, verstecktem Gelde! Das war herzlos; das war gemein; das war empörend! Aber zu dieser Empörung hatte ich jetzt keine Zeit; sie erwachte erst später, als Alles vorüber war und ich das Nähere über den Schlaganfall erfuhr. Für jetzt sah ich weiter nichts als nur den rinnenden Angstschweiß und die fürchterlich qualvollen Augen des dem Tode Geweihten, der, ohne sich dagegen wehren zu können, nun zusehen mußte, daß sein Abgott sich nicht um ihn, sondern um die elenden paar Groschen kümmerte und mühte! Ich schickte nach dem Arzt. Er kam, untersuchte den Kranken und sagte, daß er verloren sei; jetzt sei es zu spät! Was dieses „jetzt ist es zu spät“ zu bedeuten hatte, erfuhr ich leider auch viel zu spät. Als der Arzt gegangen war, spielte sie erst die Verzweifelte, dann die Reumüthige, dann die Bittende. Sie beschwor mich bei Gott, beim Himmel, bei meiner eignen Seligkeit, bei ihrer tiefen Reue und bei den brechenden Augen ihres sterbenden Vaters, ihr Alles zu verzeihen und sie wieder bei mir an- und aufzunehmen. Es gab einen schweren, wühlenden Kampf

in mir. Solche Minuten wiegen gleich Ewigkeiten! Sie hatte viel, sehr viel gegen mich gesündigt; aber als gerecht denkender Mann warf ich mir vor, sie in Dresden bei mir aufgenommen und damit, wenn auch nicht die wirkliche Ehre, so aber doch ihre Ehre vor den Menschen geschädigt zu haben. Ich war verpflichtet, das wieder gut zu machen. Dazu kam der unbeschreibliche, jetzt starr auf mich gerichtete und wie ein Gesetz auf mich wirkende Blick ihres Vaters, an dessen Sterbebett die Scene vor sich ging. Es lag eine Macht darin, die ich erst später begreifen konnte, als ich dieselbe Macht auch an der Tochter spürte. Dieser hypnotische Blick überwand alle meine Bedenken. Ich versprach, sie zu heirathen, und zwar sofort, trotz der Trauerzeit, um mit allen bisherigen Qualen schnellen Abschluß zu machen. Da fiel sie mir stürmisch um den Hals und versprach mir, mich auf den Händen zu tragen und lieber das schwerste Leid und Unglück zu tragen, als mir dies jemals zu vergessen. Der Kranke machte befriedigt die Augen zu. Er starb einen oder einige Tage darauf, lebte aber in seiner Tochter weiter. Sie war schon vorher besessen, nun aber auch von ihm!

Kurze Zeit, nachdem er begraben worden war, heiratheten wir. Ich miethete das beste Logis, welches zu haben war, eine ganze erste Etage, am Markte liegend, und den Hintergarten dazu, um durch Blumenzucht auf meine Frau zu wirken. Aber schon sehr bald stellte sich heraus, daß die Pollmerschen Dämonen mit eingezogen waren. Ich wurde heimlich bestohlen, und zwar auf äußerst raffinirte Weise. Die Diebin verfolgte den Kniff, mir immer ein 20 Markstück zu nehmen und dafür ein 10 Markstück anzulegen. Nie aber gestand sie

Etwas ein. Diese Lügenhaftigkeit war ebenso frech wie empörend! Es gab für mich kein anderes Mittel, als das Geld mit zu Bette zu nehmen. Ich versteckte es unter meine beiden Kopfkissen. Aber auch da wurde das Werk der Diebin eifrig fortgesetzt, und zwar so schlau, daß ich sie nie ertappte. Wahrscheinlich geschah es in denjenigen Augenblicken, von denen man nicht spricht! Um sie aber doch einmal in flagranti zu erwischen, stellte ich mich berauscht und that, als ob ich sehr fest schlafe. Da griff die Geldgierige zu, ich aber auch. Ich packte die Hand, in der sie das Portemonnaie hielt. Da hielt sie es fest und stellte sich tief schlafend. Als ich sie aufrüttelte, sagte sie erstaunt, sie wisse von nichts; sie habe es höchstens nur im Traum gethan. Die Folge hiervon war, daß ich ihr niemals sagen konnte, wieviel ich eigentlich verdiente. Ich war gezwungen, ihr mein Einkommen auf höchstens zweitausend Mark anzugeben. Ich mußte den Geldbriefträger, welcher Schäffly hieß, in das Vertrauen ziehen. Der gab mir, wenn er Geld für mich hatte, ein Zeichen; dann ging ich fort und ließ es mir an anderer Stelle von ihm geben. Diese Prozedur mit dem Postboten hat sich durch meine ganze 22 jährige Ehe hingezogen, und der Geldbriefträger Damm in Radebeul hat bis zu meiner Scheidung von dieser fürchterlichen Frau sich ehrlich bemüht, mich nur unter vier Augen zu treffen. Ein solches Gift in der Ehe wirkt wie Schwefelsäure; es frißt alles Glück und alles Vertrauen todt und nagt sogar am Leben!

Aber noch schlimmer als das war eine andere Wirkung des Pollmerschen Dämones. Ich erfuhr nämlich, leider erst nach der Hochzeit, was es mit

dem „jetzt ist es zu spät“ des Arztes an Pollmers Sterbebett für eine Bewandtniß gehabt hatte. Dieses „jetzt ist es zu spät“ sagte nämlich nicht nur er, sondern es erklang durch die ganze Stadt. Alle Welt wußte, daß meine Frau, als ihr Vater der Schlag traf, gar nicht daheim gewesen war, sondern die ganze Nacht in einem andern Bette als dem ihrigen verbracht hatte, und zwar nicht etwa allein! Man hatte sie des Abends fortgehen und am Morgen wiederkommen sehen. Sie hatte die Wohnung aufgeschlossen und dann, als sie hineintrat, um Hülfe gerufen. Man eilte herbei. Der Schlaganfall war schon am Abend erfolgt. Er hatte den Alten gelähmt und in die Stube geworfen. Der Unglückliche war bemüht gewesen, sich auf das Kanapee hinauf zu arbeiten, aber infolge der Lähmung hatte diese seine Todesangst in der Diagonale gewirkt und ihn vollständig unter das Kanapee hinuntergetrieben. Dieses Kanapee war sehr niedrig und schwer, er aber ein stark gebauter, wohlbeleibter Mann. Ich war von viel schwächerer Figur, hätte aber nicht vermocht, unter das alte Möbel zu kriechen, so niedrig war es. Wie groß und wie fürchterlich mußte die Angst gewesen sein, die ihn da hinuntergetrieben hatte! Und wie entsetzlich die Qual, da unten während der ganzen Nacht bis zum Vormittage stecken und mit dem Tode des Erstickens ringen zu müssen! Am schandbarsten aber war hierbei, daß sie, um sich zu rechtfertigen, das Gerücht verbreitet hatte, sie habe bei mir geschlafen und ich sei schon an jenem Abend von meiner Reise zurückgekehrt gewesen!

Als ich das erfuhr, war sie erst seit einigen Wochen meine Frau. Sollte ich mich scheiden lassen?

Konnte ich?! Es waren entsetzliche Tage, in denen ich mit mir hierüber zu Rathe ging. Und es wurden Wochen, fürchterliche Wochen daraus. Da griffen die Pollmerschen Dämonen ein, um ihrem Liebling Hülfe zu bringen. Der Spiritismus mußte retten! Es wurde ein Medium herbeigeschafft. Man animirte mich in die betreffende Familie und setzte mich an den betreffenden Tisch, zwischen das weibliche Medium und ihren Vater. Natürlich waren Beide eingeweiht. Damals war mir der Spiritismus völlig unbekannt; meine Frau aber kannte ihn aus dem Verkehr mit der betreffenden, mit ihr eng befreundeten Familie, deren Glieder ohne Ausnahme alle enragirte Spiritisten waren und seit dem Tod des alten Pollmers auf seinen „Geist“ schon warteten. Er kam. Man sah ihn nicht, aber er sprach durch das Medium. Er sagte, er sei „im Himmelreich“. Auch sein Sohn kam, der zu Grunde gegangene Vagabund. Meine Frau nannte ihm Onkel Emil. Er sagte, er sei „im Himmelreich“. Dann kam die verstorbene Frau des alten Pollmer, die von meiner Frau nicht Großmutter, sondern Mutter genannt wurde. Sie sagte, sie sei „im Himmelreich“. Und endlich kam auch die während der Geburt gestorbene, eigentliche Mutter, die von meiner Frau aber Mama genannt wurde. Und neulich Sie sagte, sie sei „im Himmelreich“. So wohnte also die ganze, liebe Familie „im Himmelreich“, und heut waren diese vier Engel von da droben herabgestiegen, um den verblendeten Mann ihres noch auf der Erde weilenden Kindes in das Gebet zu nehmen und ihm den Kopf zurecht zu setzen. Die vier Geister von Großpapa, Onkel, -

Onkel, Mama und Mutter sprachen theils solo theils tutti in einer Weise auf mich ein, daß ich innerlich ganz breitgeschlagen und auch äußerlich in jener nervenerschütternden Weise ergriffen wurde, die auf die Kraft des Mediums zurückzuführen ist. Und hier gab es nicht nur ein Medium, sondern zwei, nämlich auch meine Frau. Und grad sie schien das Hauptmedium zu sein, äußerlich scheinbar passiv, in Wahrheit aber die hauptsächlich und dirigirend Wirkende! Sie wurde von den on dit-Geistern als Engel hingestellt, ja fast vergöttert. Ich aber, der ich dieses Juwel erst äußerlich errungen hatte, hatte es mir nun auch innerlich zu erringen und mich seiner würdig zu zeigen. Das Ganze war eine außerordentlich plump angelegte psychologisch-pathologische Burleske. Aber grad die Plumpheit machte mich irr; dies Pathologische reizte, wie überhaupt alles Krankhafte reizt, und das primitiv oder kindlich religiöse Gewand, in welches das Alles gekleidet wurde, gab der Albernheit eine Art von Weihe, der auch ein besserer Kenner, als ich damals war, nicht hätte widerstehen können. Vor allen Dingen aber war es die gewaltige, hypnotische Willenskraft der Anima meiner Frau, welche derart auf mich wirkte, daß ich, als sich der Kreis der aufgelegten und vereinten Hände lößte, wie betrunken nach Hause ging und fast eine ganze Woche lang in diesem schwindel- oder taumelartigen Zustand verharrte. Auch nachher ließ es mich nicht wieder los. Ich fühlte, daß etwas ganz Neues, ganz Eigenartiges aber nicht Gutes in mein Leben eingegriffen hatte. Meine Frau sorgte durch fortwährendes Hiervon-Sprechen, daß es sich nicht abschwächte. Ich mied zwar jede weitere Sitzung,

sie aber besuchte jene spiritistische Familie sehr oft und ganz nach Herzensbedürfniß und brachte mir von diesen Gängen stets einen Verweis, einen Wischer oder sonst etwas Derartiges mit. Es stieg in mir der sehr natürliche Wunsch empor, diese Sache näher kennen zu lernen, und wenn es auch nur aus dem Grunde wäre, persönlich bei der Wissenschaft vor den Pollmerschen Dämonen Schutz zu suchen. Ich kaufte mir also nach und nach die hervorragendsten spiritistischen Werke und studirte sie mit solchem Ernst und solchem Fleiß, daß ich von mir sehr wohl behaupten darf, ein Kenner, nicht aber auch Freund dieser höchst thörigten Seitenrichtung unseres Geisteslebens zu sein. Der Hauptgewinn, den ich aus diesem Studium und den begleitenden psychologischen Experimenten zog, war der Scharfblick, den ich für die zwar hochinteressante aber auch ebenso niederschlagende Erforschung meiner Frau gewann. Sie war ein freundlich leuchtender, Jedermann täuschender Sumpf mit schönen Blumen. Ich lernte jede dieser Blumen einzeln kennen und hielt es für meine Pflicht, die Riesen- und Geduldsarbeit zu übernehmen, ihn nach und nach auszutrocknen und in gutes Land zu verwandeln. Ich übersah die alte Erfahrung, daß Bilsenkraut, Stechapfel und Tollkirsche sich durch keine Gartenkunst jemals in Rosen, Veilchen oder Erdbeeren verwandeln lassen.

Also, ich überwand mich selbst und verzieh der Frau, in der Hoffnung, alles Böse zum Guten führen zu können; ich hatte ja auch meine Fehler, die ich sehr wohl erkannte; aber sie lagen in der Vergangenheit oder waren der Art, daß

sie keinem Menschen als nur mir selbst schadeten.

Die größeste und hauptsächlichste jener Sumpfblumen war die Grausamkeit. Diese Grausamkeit war wirklich pervers, denn sie brachte ihr Wonne, und zwar die Wonne der geschlechtlichen Erregung. Je weniger ihr Opfer so Etwas verdiente, umso größer war ihr Entzücken. Sie besaß keine Spur einer reinen, edlen, wirklichen Liebe. Auch ihre Freundschaft ging stets sinnliche Wege. Es war ihr der größte aller Genüsse, mit einer weiblichen Person im Bett zu liegen. Ehrfurcht war ihr vollständig unbekannt. Mein alter, prachtvoller Vater hat nie ein gutes Wort aus ihrem Munde gehört. Meine stille, arbeitsame, pflichttreue Mutter, von der sie mit Opfern förmlich überschüttet wurde, hat nichts als Undank geerntet. Meinen Geschwistern erging es ebenso, wenn nicht noch schlimmer. Es war mir jede Gabe an sie, sogar auch zu Weihnacht, streng verboten. Aber für ihre Sinnlichkeit konnte sie zur Verschwenderin werden. Es kamen da Dinge vor, die man gar nicht erzählen kann. So z. b. ging sie ohne mich zum Maskenball, die starken, außerordentlich üppigen Beine in dünnsten, eng anliegenden, fleischfarbenen Tricot gekleidet und die übervolle Büste in noch viel größerer Deutlichkeit. Die Schande hatte dann ich, als man erfuhr, wer es gewesen war. Sie hatte sich nämlich eingeschlichen; sie war gar nicht geladen; sie hatte nur bis kurz vor der Demaskirung mit gemacht, um, wie sie sich dann ausdrückte, „die Männer verrückt zu machen, die Schweine, die Säue!“ Solche Episoden machten es mir unmöglich, für immer in der kleinen Stadt wohnen zu bleiben. Jedermann kennt da Jedermann, und

Jedermann weiß da, was Jedermann thut. Zur Erziehung dieser Frau aber gehörte, wenn überhaupt noch Etwas erreicht werden konnte, eine strenge Hand, und die konnte man da, wo Einer dem Andern in die Fenster guckt, unmöglich walten lassen. Ich beschloß also, fortzuziehen in eine größere Stadt, ganz gleich in welche! Meine Frau wolle nach Dresden. Ich sah keinen Grund, ihr grad diesen Wunsch abzuschlagen. Wir reisten also hin, um uns dort zu entschließen. Diese Reise sollte mir wichtiger und verhängnißvoller werden, als ich es jemals für möglich gehalten hätte.

Wir wohnten in Dresden im Trompeterschlößchen, damals ein sehr gutes, besonders von meiner Heimath aus viel besuchtes Gasthaus. Ich ging nicht etwa aus Sparsamkeit in kein größeres Hôtel. Meine „Reiseerzählungen“ sicherten mir bereits ein reichliches Einkommen; meine „Erzgebirgischen Dorfgeschichten“ brachten mir schönes Geld, und die französische Uebersetzung meiner Erzählungen, die erst in Paris und dann auch anderwärts herauskam, wurde sehr gut bezahlt. Ich war bereits berühmt, blieb aber dem Entschlusse treu, meine Frau nicht in den eigentlichen Stand meiner Einnahmen schauen zu lassen. Ich fürchtete ihre Diebesfinger und ihre Perversität. Eines Abends brachte sie mich auf die Idee, Münchmeyers Stammkneipe aufzusuchen. Ich hatte ihr natürlich viel von ihm erzählt, und sie war begierig, ihn einmal zu sehen. Aber wohlgemerkt: Sie wollte ihn, den alten, erfahrenen Frauen- und Mädchenjäger kennen lernen, nicht aber ihn, den Verleger und Colportagebuchhändler. -

Colportagebuchhändler. Als solcher konnte er auch mir keinen Nutzen bringen. Ich hatte genug zu thun. Man drängte sich bereits an meine Werke; ich brauchte also keinen Verleger, am allerwenigsten aber einen Münchmeyer, der nach den Erfahrungen, die ich an ihm gemacht hatte, nie wieder ein Manuscript von meiner Hand bekommen hätte. Wir suchten die Kneipe auf. Es war Rengers Restauration, an der Berg- und Ammonstraße gelegen. Münchmeyer war da. Er saß ganz allein im Garten. Unser Wiedersehen vollzog sich genau so, wie ich es während des Prozesses wiederholt und ausführlich beschrieben habe.

Meine bisherigen Ausführungen über dieses Zusammentreffen sind vollständig wahrheitstreu, aber rein geschäftlich gehalten. Hier, an dieser Stelle, kann ich auch auf das eigentliche bewegende Moment eingehen, nämlich meine Frau. Ich habe hier festzustellen, daß es Münchmeyer keinesweges so leicht geworden ist, wie es den Anschein hat, mich dazu zu bewegen, ihn durch meine Mitarbeit aus seiner damaligen Lage zu heben. Ich wollte nicht von Neuem mit ihm beginnen und hatte es überhaupt, wie bereits gesagt, nicht nöthig, derartige neue Engagements zu treffen. Aber die Frau, die Frau! Beide hatten sofort den Narren an einander gefressen. Der alte Schwerenöther stand sofort in hellen Flammen und bearbeitete sie mit jenen grobsinnlichen Schmeicheleien, die sie so außerordentlich liebte. Er hatte als Kolporteur gar manche Bauerfrau und Stallmagd für seine Kolportageromane gewonnen. Seine kolossal üppig gebaute Frau hatte auf den Dörfern die Männer und Burschen -

Burschen in ganz derselben Weise beschwatzt, ihre Liebesromane zu kaufen. Nun versuchte er dasselbe Experiment auch an meiner Frau und war ganz entzückt, als er sah, daß es gelang. Sie brachte mich so weit, ihm, als wir auseinandergingen, zu versprechen, mir die Sache bis morgen zu überlegen. Im Hôtel angekommen, ließ sie alle Töne, die ihr zu Gebote standen, erklingen. Während der Nacht weckte sie mich auf, und am Morgen begann sie von Neuem. Ich Thor sah nicht ein, daß sie darauf brannte, sich der Frau Münchmeyer und ihrer Schwester, die ich hatte heirathen sollen, zu zeigen und ihnen im Triumph ad oculus zu demonstriren, daß mir ganz andere Chancen zur Verfügung gestanden hatten. Kurz und gut, sie beschwatzte und überredete mich. Besonders wirkte auf mich der Gedanke, daß ich damals durch die Zurückweisung der mir angebotenen Heirath dem Münchmeyerschen Geschäft und der Münchmeyerschen Familie einen Schlag versetzt habe, der mir die moralische Verpflichtung auferlege, ihn jetzt wieder gut zu machen. Auch Münchmeyer hatte während der Nacht keine Ruhe gehabt. Er kam bereits am frühen Vormittage in den Gasthof, um den schnellen, endgültigen Abschluß zu betreiben. Meine Frau war erst beim Ankleiden und also nicht zugegen, als ich ihn empfing. Er schwärmte von ihr. Er nannte mich den glücklichsten aller Menschen, ein solches Götterweib zu besitzen, und ging auf alle meine Bedingungen ein, nur um hierauf von ihr gelobt zu werden. Jetzt, da er in Noth war, nur 35 Mark Honorar pro

Heft – – – das Verlagsrecht für 20,000 Abonnenten – – – dann eine feine Gratifikation – – – und den Roman mit allen seinen Rechten dann an mich zurück, um in meinen „Gesammelten Werken“ zu erscheinen. Das waren die Hauptbedingungen, die vereinbart und später meiner Frau mitgetheilt wurden. In Beziehung auf die seinige aber bat er mich, über diese Abmachung einstweilen noch zu schweigen, bis er ihr bewiesen habe, daß es nicht anders gegangen sei. So war meine Frau also der eigentliche Grund, daß ich wieder mit Münchmeyer anknüpfte und später in gradezu unbeschreiblicher Weise hintergangen und betrogen werden konnte. Und so war sie aber auch im Gegentheile der eigentliche Grund, daß er auf meine Bedingungen schneller und fröhlicher einging, als er auf sie eingegangen wäre, wenn ihn nur die geschäftliche Nothlage, nicht auch die Sinnlichkeit hierzu getrieben hätte. Nun, da die Vereinbarung getroffen worden war, hatte er es mit dem beabsichtigten Roman so eilig, daß ich schnell nach Hohenstein zurückmußte, um mit der Arbeit zu beginnen. Die Uebersiedelung nach Dresden konnte ja doch nicht sofort geschehen, weil ich meine Wohnung erst zu kündigen hatte, war nun aber festbeschlossene Sache. Münchmeyer versicherte in seiner übertreibenden Kolportageweise, daß er stolz darauf sei, einen so berühmten Mitarbeiter gewonnen zu haben und später, nach unserm Umzuge, in dem Hause einer so schönen Frau verkehren zu dürfen. Ich lachte; sie aber nahm es ernst. Und doch hätte ich es noch ernster nehmen sollen als sie, denn ich hatte, psychologisch betrachtet, für 35 Mark pro Heft nicht nur meinen Roman, sondern auch die Seele

von Pollmers Tochter hingegeben. Sie zu retten, war nun für immer unmöglich geworden!

Der erste Roman, den ich für Münchmeyer schrieb, war „Das Waldröschen“. Ich hatte kaum mit ihm begonnen und nur erst wenige Hefte fertig, so bat er mich, für einige Tage wieder nach Dresden zu kommen; er habe des Weiteren mit mir zu sprechen. Meine Frau wollte mich begleiten, partout; ich gab aber meine Einwilligung nicht. Ich wünschte keine persönliche Intimität zwischen diesen Beiden. Als ich zu Münchmeyer kam, wurde ich mit einer Freundlichkeit empfangen, die nahe an Begeisterung grenzte, in diesem Hause eine Sache, die noch niemals dagewesen war. Ich durfte nicht in das Hôtel gehen, sondern mußte bei ihm wohnen. Als er mir das sagte, glaubte ich es ihm einfach nicht. Ich kannte seine Frau, seine Schwägerin, die ich nicht zur Frau hatte haben wollen, und seine Schwiegereltern. Diese vier Personen hatten mir Rache geschworen; das wußte ich genau. Er aber zerstreute alle meine Bedenken, mich von ihm zu seiner Frau führen zu lassen, und ich wurde auch wirklich, als wir aus dem Contor in die Privatwohnung kamen, in höchst geräuschvoller Herzlichkeit von ihr empfangen und aufgefordert, ja nicht wo anders, sondern nur bei ihnen zu wohnen. Das „Waldröschen“ mußte geradezu eingeschlagen und einen Bombenerfolg haben, daß dieses Weib ihre Rache ganz vergaß und meinetwegen eine bei ihr so ganz unerhörte Abweichung von ihrer Regel machte. Diese Frau schlief aus Geiz, um Wäsche zu sparen, auf einer alten Chaise longue. Ich Mann durfte die Schlafstube nicht betreten. Auch aus den guten Stuben „schmiß sie ihn hinaus![“] Wenn die Einen Fremden, noch dazu

einen, von dem sie sich so tödtlich beleidigt wähnte, eine Gaststube mit Bett bei sich gab, so geschah es sicher in ganz schlauer Berechnung und aus höchst egoistischen Gründen! Damals, als ich ihre Schwester heirathen sollte, war mein Vater von ihr eingeladen worden; er hatte volle zwei Wochen bei ihr gewohnt, und jeder Wunsch war ihm erfüllt worden, natürlich aber nur zu dem Zwecke, die Heirath durchzusetzen. Daß jetzt nun auch ich als lieber, hochwillkommener Gast behandelt wurde, hatte sicher einen ähnlichen sehr guten Grund! Ich betone diese ausgedehnte, wiederholte Gastlichkeit gegen mich und meinen Vater nur deshalb ganz besonders, weil dieses Weib sich im Verlaufe des Prozesses wiederholt bereit erklärt hat, zu beschwören, daß zwischen Mays und Münchmeyers niemals etwas Derartiges stattgefunden habe!

Die Ursache ihres gegenwärtigen außerordentlichen Wohlwollens zeigte sich schon am ersten Tage, an dem ich bei ihnen wohnte. Sie wünschten, mich noch länger fest zu haben, als ich mich bisher verpflichtet hatte. Ich sollte das „Waldröschen“ so schnell wie möglich schreiben und dann sofort einen weiteren Roman beginnen, zu ganz denselben Bedingungen, nur daß man mir 50 Mark anstatt 35 pro Nummer bot. Ich verhielt mich reservirt und versuchte schon nach zwei Tagen, mich der gastlichen Umschlingung zu entreißen. Schon stand ich da zum Abschiede bereit und war froh, noch nicht Ja gesagt zu haben, da klingelte es draußen, und wen brachte das Dienstmächen herein? Meine Frau! Sie sagte, sie sei mir nachgereist, weil sie sich so sehr nach mir gesehnt habe, in Wirklichkeit aber war es die Vergnügungssucht, der perverse Widerstand gegen meinen -

meinen Willen und die unwiderstehliche Anziehungskraft von Münchmeyers saftigen Schmeicheleien. Er begrüßte sie mit Entzücken. Seine Frau nahm ihm das nicht etwa übel, sondern sie stimmte sofort mit ein. Fünf Minuten später saßen die beiden Frauen mit einander Hand in Hand auf dem Sopha. Eine Viertelstunde später wurde ein höchst splendider Kaffee getrunken, und eine Stunde später erklärten Herr und Frau Münchmeyer, daß sie für heut für Niemand mehr als nur für uns zu sprechen seien; meine Frau sei ein ganz entzückendes, liebes, herziges Wesen; heut Abend müsse man sie in das Conzert oder Theater führen; jetzt, noch am Nachmittag, sei ein schöner Spaziergang zu machen, bei dem man sich aussprechen könne, und überhaupt habe ich für alle Fälle auf meine geplante Abreise zu verzichten; man müsse uns ganz unbedingt noch mehrere Tage genießen! Mein Widerstand war vergeblich. Alles, was ich zu erreichen vermochte, war, daß ich mit meiner Frau im Hôtel anstatt bei Münchmeyers wohnen durfte.

Während des nun folgenden, mehrtägigen Beisammenseins rang man mir das Versprechen ab, außer dem „Waldröschen“ auch noch einige andere Romane zu schreiben. Münchmeyer unterließ, weil seine Frau stets bei uns war, alle bei ihm gebräuchlichen erotischen Liebhabereien. Er spielte den Ritterlichen, den Kavalier, natürlich aber nur nach Kolportageart, erzielte aber doch, was er wollte: er überstrahle mich, der ich mich still und schweigsam verhielt, ganz bedeutend. Seine Frau nahm die meinige vollständig gefangen; sie liebkoste sie; sie wich nicht von ihrer Seite; sie

umfing und umhüllte sie ganz und gar, wie eine Spinne die Fliege umspinnt, um sie sich für später zum Fraße aufzuheben. Ich war nicht blind; ich sah, was geschah; aber ich war noch zu unbefangen; ich begriff noch nicht, daß dies keine Liebe und kein Wohlwollen, sondern nur Haß und Rache war. Und wenn ich dann Abends mit meiner Frau allein war und mir Mühe gab, ihrem Enthusiasmus für diese Leute entgegen zu treten, so saß sie still da und hörte nicht darauf.

Ich halte stets, was ich versprochen habe, also auch mein an Münchmeyer gegebenes Versprechen: Wir zogen von Hohenstein nach Dresden, und zwar nach Blasewitz, wo ich auf der Sommerstraße eine erste Etage einer Villa miethete. Kaum waren wir da eingezogen, so stellte sich Münchmeyer als Hausfreund ein. Er brachte seine Violine mit; er war nämlich früher auch Dorfmusikant gewesen und hatte zum Tanze aufgespielt; nun gich und geigte er bei mir, und ich hatte die Ehre, ihn auf dem Piano begleiten zu dürfen. Meiner Frau aber drangen all die süßen Walzer, Rutscher und Hüppelschottische in das Herz. Sie buk und kochte die besten Leckerbissen, um sich erkenntlich zu zeigen, und das gefiel Herrn Heinrich Münchmeyer so, daß er sich in Blasewitz in unserer Nähe eine Wohnung miethete, um gegen Abend aus der Stadt zu kommen und morgens wieder hineinzufahren. Seine Frau hatte nichts dagegen, denn erstens kannte sie den eigentlichen, tiefern, wohlberechneten Zweck dieser Annäherung, und zweitens durfte er ja so wie so nicht mehr zu ihr, und da war sie nur froh darüber, daß sie ihn nur noch im Geschäft zu sehen bekam. Die meisten Abende brachte er dann bei mir zu; da aß er mit. Des Sonntags kam er schon früh zeitig und

ging erst des Abends spät fort. Da brachte er seinen Bruder Fritz mit, einen frühern Schneidergesellen und nachmaligen Kolporteur, denselben, der von Frau Münchmeyer zu sagen pflegte, sie solle den Hebammen doch erst die Kinder bezahlen, die sie sich von ihnen habe abtreiben lassen. Diese Beiden, Heinrich und Fritz Münchmeyer, waren als die stärksten Esser gekannt und gefürchtet. Sie haben bei mir einmal an einem Sonntag von früh bis abends einen Schweinskopf, der elf Pfund wog, bis auf die Knochen aufgegessen! Für all dieses lange, stete und für mich sehr kostspielige Mitessen und Mittrinken hat Keiner von ihnen jemals auch nur einen einzigen Pfennig bezahlt; sie brachten im Gegentheil noch andere Gäste mit, die es sich ebenso wohlsein ließen. Zum Dank hierfür wurde ich dann noch im Skat und auf dem Billard betrogen, was ich ruhig über mich ergehen ließ, um Gemeinheiten vorzubeugen.

Dieser immerwährende, rücksichtslose Verkehr bei mir brachte mich nicht nur um meine kostbare Arbeitszeit, sondern auch um meine Seelenruhe, um das innere Gleichgewicht. Es ist wahrlich kein Spaß, Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat nur immer aufpassen müssen, daß der liebestolle Hausfreund Einem nicht über die Frau geräth! Das ging über meine Kräfte. Ein volles Jahr lang hielt ich es aus; dann aber konnte ich nicht mehr. Ich ergriff die Flucht. Ich zog in die Stadt herein, nach der Prinzenstraße, wo ich ein Parterre mit zwei Gärten miethete. Aber kaum war ich dort eingezogen, so kam Herr Heinrich Münchmeyer mit seiner Geige nach, und das Essen und Trinken, Geigen, Liebeln und Hofieren

begann von Neuem. Das hatte unbedingt aufzuhören! Aber um glatte Ehe behalten zu können, durfte ich meiner Frau nichts merken lassen. Ich steckte mich hinter meinen Wirth, dem Besitzer des Schlosses Kreischa. Der war ein sehr energischer Herr und hatte mich gern. Er konnte die Münchmeyers nicht ausstehen und that mir den Gefallen, persönlich mit ihnen zusammen zu krachen und den verliebten, zudringlichen Heinrich hinauszuärgern. Der kam nicht wieder; dafür aber schickte er seine Frau; denn das, was sie mit mir und meinen Werken vorhatten, duldete nicht, daß man uns aus dem Auge und aus den Händen ließ. Vor allen Dingen mußte die Freundschaft und der Verkehr mit meiner Frau energisch festgehalten werden, denn man brauchte für später ihre Hülfe!

Die Frau Münchmeyer hatte uns schon in Blasewitz wiederholt besucht, auch ihre älteste Tochter, die jetzige Wittfrau Jäger mitgebracht, die damals nach Männererfolgen auf der Bühne strebte, dann aber ganz plötzlich einen Münchmeyerschen Contoristen zu heirathen hatte, der infolge seines Eheglückes in eine Trinkerheilanstalt untergebracht werden mußte. Auch zu Weihnacht war Frau Münchmeyer bei uns in Blasewitz. Ich bescheerte bei dieser Gelegenheit ihrem Manne Saiten für seine Violine. Das weiß sie genau! Aber den Hauptverkehr mit uns und den Haupteinfluß auf meine Frau besorgte und übte damals ihr Mann. Doch nun, da er von meinem Wirthe herausgeekelt worden war und nicht wiederkommen durfte, trat sie an seine Stelle, indem sie uns allein und ohne seine Begleitung besuchte. Ich gab mir Mühe, diesen Verkehr zu verhindern, stieß da aber bei meiner

Frau auf einen so erschreckend harten und gehässigen Widerstand, daß ich davon absah, den Bogen in seiner ganzen Schärfe anzuspannen. Ich erreichte nur, daß Frau Münchmeyer des Wirthes wegen unsere Wohnung mied; die Sonntage aber mußten wir ihr widmen. Da gingen wir mir ihr in die Dresdener Haide spazieren, von früh bis abends, in die Haidemühle, nach der Hofwiese, nach Langebrück, Klotsche u. s. w. Zuweilen war auch ihr Mann dabei, zum Beispiel bei dem ganzen Tag lang in der Haide, den wir zusammen mit Münchmeyers und der Familie des alten Achtundvierzigers Häubner verlebten, mit dessen Sohn eine Tochter Münchmeyers verlobt war. Diese Spaziergänge wurden meist immer vorausbestimmt, wenn meine Frau Manuscript zu Münchmeyers trug. Sie wurde dann von Frau Münchmeyer aus dem Geschäft in ihre Wohnung geführt, wo man Kaffee trank und sich Mühe gab, die Männer, die natürlich alle nichts taugten, abzuschlachten. Während dieser Kaffeestunden in Frau Münchmeyers eigenem, privatem Wohnzimmer befanden sich die zwei Frauen nicht allein, denn bei ihnen saß, wenn auch unsichtbar, die hämische Rache, die unausgesetzt und trotz aller äußeren Freundlichkeit nur darauf sann, daß ich es abgelehnt hatte, Frau Münchmeyers Schwager zu werden. Im höchsten Grade bemerkenswerth ist es, daß diese Frau während der Spaziergänge durch die Haide die Rede zuweilen geflissentlich darauf brachte, ob ich die Geschäftsbriefe Münchmeyers an mich weggeworfen oder aufgehoben habe. Ich antwortete der Wahrheit gemäß, daß ich sie natürlich aufgehoben habe, weil sie sich doch auf meine

Abmachungen mit ihm bezögen. Diese Erkundigungen geschahen so scheinbar gleichgültig, daß meine Frau gar nicht auf sie achtete. Auch mir fielen sie nicht auf; ich hielt sie für zufällig; später aber, als mir der ganze Zusammenhang von Anfang bis zum Ende in erschreckender Deutlichkeit vor Augen stand, ging mir das Licht auch über diese Fragen auf.

Ich habe weiter oben gesagt, daß ich mir die Riesenaufgabe gestellt hatte, den Kampf mit den Pollmerschen Dämonen aufzunehmen, den Sumpf der Perversität auszutrocknen und in gutes, fruchtbares Land zu verwandeln. Seitdem wir mit Münchmeyers verkehrten, war dies unmöglich geworden; ja, es wurde sogar von Tag zu Tag schlimmer mit meiner Frau. Sie stand ganz und gar unter dem Einflusse dieser beiden durch und durch vergifteten Menschen, die wie Hund und Katze lebten, einander nicht anrührten, einander betrogen und bestahlen, sich gegenseitig haßten und verachteten, aber doch und stets einig waren, wenn es sich darum handelte, irgend Jemand auszunützen und auszusaugen, bis es nichts mehr gab. Einst, als man mir zumuthete, in die Münchmeyersche Perversität hineinzuheirathen, war ich entflohen. Aber wohin war ich geflohen? In die Pollmersche Perversität. Und jetzt nun hatten sich beide in schandbarster Weise vereint, mich auszunützen und zur Leiche zu machen, wie die Sage vom Vampyr erzählt, daß er den Menschen bis auf den letzten Tropfen Blutes aussauge, so daß er sterbe! Ein gradezu fürchterliches Schicksal! Ich sträubte mich dagegen. Ich that alles Mögliche, um meine Frau zu veranlassen, auf diesen Umgang zu verzichten. Sie weigerte sich. Sie warf mir vor, sie ja erst mit diesen Leuten bekannt gemacht zu

haben. Sie sagte, sie liebe Frau Münchmeyer und wenn ich ihr verbiete, mit ihr zu verkehren, so werde sie dies heimlich thun. Da beschloß ich, vor allen Dingen den Geschäftsverkehr mit Münchmeyers abzubrechen und nicht mehr für sie zu schreiben. Als meine Frau dies merkte, griff sie zu demselben Mittel, welches sie schon einmal mit gutem Erfolge angewendet hatte, um mich gefügig zu machen, nämlich zum – – – Spiritismus.

Eines Tages kam sie vom Spaziergange mit einer fremden Dame heim und sagte, dies sei ihre neue Freundin, die Frau des berühmten Heil-Magnetiseur und Spiritisten Professor Hofrichter, Dresden, Marienstraße. Ich hatte von diesem allerdings berühmten Manne gehört. Er war Oesterreicher, besaß eine außerordentliche magnetische Kraft, die sogar in die weiteste Ferne wirkte, und hatte mit seinen Kuren die außerordentlichsten Erfolge. Ein eigentlicher Spiritist war er nicht, und das gerieth mir zum Heile. Meine Frau hatte sich an die seinige gemacht, um durch ihn in ihrem Sinne auf mich einzuwirken. Es kam aber ganz anders, als sie berechnet hatte. Die beiden Frauen standen zwar im Complott, Hofrichter aber ging nicht darauf ein. Er war nicht nur ein bedeutender, sondern auch ein ehrlicher Mensch. Er sah scharf. Er war zufälliger Weise ein Leser meiner Werke. Er glaubte das nicht, was ihm meine Frau über mich vorschwatzte; aber er freute sich, nun einen Grund zu haben, sich mir vorzustellen. Er kam zu mir. Er zeigte mir durch eine ganze Reihe der verblüffendsten Experimente, wie erstaunlich groß die Kraft war, die er besaß. Er gewann mich lieb. Er lud mich zu sich ein, und ich folgte

von Herzen gern, denn von ihm konnte ich in Beziehung auf meine Psychologie nur lernen, nur gewinnen und profitiren. Wir wurden Freunde. Ich studirte ihn und er mich und meine Frau. Oft waren Dresdener wissenschaftliche Größen und Vertreter der Presse bei ihm versammelt. Ich fehlte nie. Er experimentirte mit und an uns Allen, und zwar stets mit erstaunlichem Erfolge. Ich war in seiner Hand wie Watte. Ich sprach und that und machte Alles, was und wie er wollte, ohne daß ich etwas davon ahnte. „Ein lieber, aufrichtiger, seelensguter, aufrichtiger Mensch,“ pflegte er zu sagen, „der überaus leicht zu behandeln ist!“ Meine Frau aber brachte er zu nichts. Sie war stärker als er. Sie beeinflußte ihn, anstatt er sie. Er schwitzte große Tropfen, wenn er sie auch nur zwingen wollte, die Augen zu oder auf zu machen. Das gab ihr Spaß. Sie war stolz auf diese ihre Macht. Er aber wurde um so ernster, und zwar um meinetwillen. Er bekam Angst um mich. Es ist mir niemals eingefallen, ihm irgend Etwas aus meiner unglücklichen Ehe mitzutheilen; so Etwas habe ich überhaupt nie gethan, während die Pollmer zu jedem Ersten, Besten hierüber spricht; aber er war ein scharfer Beobachter und zögerte, als er sie genau genug kennen gelernt hatte, nicht, mir das Resultat seiner Beobachtung und Forschung mitzutheilen. Dieses lautete folgendermaßen:

[„]Ihre Frau ist eine höchst gefährliche Person. Sie hat von ihren Vorfahren väterlicher und mütterlicher Seite eine ganze Menge der verschiedensten, theils guter, meist aber schlimmer, ja diabolischer Kräfte geerbt, die in solcher Menge und in solchem Maße fast niemals beisammen sind. Für eine solche

Anhäufung derartiger Kräfte ist ein einziger, einzelner menschlicher Körper zu wenig. Sie vernichten ihn, außer wenn sie genügend Gelegenheit finden, sich nach außen zu bethätigen. Ihre Frau gehört also zu denjenigen Besessenen, die unbedingt andere Leute schädigen, quälen und martern müssen, um sich selbst zu erleichtern und sich selbst zu retten. Sobald Ihrer Frau die Gelegenheit genommen wird, dies zu thun, muß sie an ihrem eigenen Innern, und zwar mit rapider Schnelligkeit, zu Grunde gehen. Sie ist es also sich selbst schuldig, lügnerisch, betrügerisch, hart und grausam bis zum Exzeß zu sein. Nur dadurch rettet sie sich selbst. Hüten Sie sich also! Solche Mächte sind zu Allem fähig, selbst zum Gattenmord und Vatermord, wenn sie denken, daß es nicht anders geht! Die größte Gefährlichkeit Ihrer Frau aber liegt darin, daß ihre Besessenheit nicht eine offene, sondern eine versteckte, eine außerordentlich gut maskirte ist! Wenn sechs oder zehn Personen mit ihr am Tische sitzen, wird Jeder, der es nicht genau versteht, eher jeden Andern für das dirigirende Medium halten als sie. Und doch geht Alles nur so, wie sie es will! Mein lieber Freund, ich fürchte, daß wir beide auseinander gehen müssen, nicht etwa meinet- oder Ihretwegen, sondern wegen Ihrer Frau. Dieses scheinbar stille, edle Weib bringt nur Fluch. Seit meine Frau mit ihr verkehrt, giebt es in meiner Ehe andere Luft. Sie zerstört unser gegenseitiges Vertrauen, und ich bitte, Ihnen sagen zu dürfen, daß ich mich schützen muß!“

Das war Professor Hofrichters fachmännische und zugleich auch persönliche Meinung, und nur wenige Tage, nachdem er mir dies gesagt hatte,

behauptete sie in allerfrechster Weise, daß seine Frau mit anderen Männern hure, und als er das erfuhr, warf er sie zur Thür hinaus und sah nur meinetwegen von einer Strafverfolgung ab. Ich aber war, wie immer Derjenige, der an dem tiefen Schaden schwer zu tragen hatte!

Seit der Zeit, daß Münchmeyer von meinem Wirthe aus dem Haus getrieben worden war, wurde dieser von meiner Frau gehaßt, und zwar in der ihr eigenen Weise, bei der jedes Wort und jede That zur schweren Beleidigung wird. Es gab Scenen, die mich veranlaßten, dem Vorwurf, undankbar zu sein, dadurch zu entgehen, daß ich auszog. Ich zog nach der Schnorrstraße im sogenannten amerikanischen Viertel, wo ich wieder eine erste Etage nahm. Dort mußte ich es sofort nach unserer Uebersiedelung auspatschen, daß ihr Experiment mit dem Professor Hofrichter nicht gelungen war. Sie ärgerte sich darüber, und wenn sie sich über Etwas ärgerte, so war stets ich Derjenige, der ihren Grimm zu tragen hatte. Sie brachte mir die Frau des Turnlehrers Dittrich ins Haus, mit allen ihren Kindern, zwei Mädchen und drei Buben. Turnlehrer Dittrich war ein braver, pflichttreuer Mann. Was aber seine Frau betraf, so wollte er nichts mehr von ihr wissen. Er aß und schlief für sich allein und ließ sich nur um seiner fünf Kinder willen nicht von ihr scheiden. Sie brüstete sich damit, die Männer zu hassen, weil sie alle nichts taugen, und hatte die Eigenheit, sich in die Ehen Anderer zu drängen, um den guten Engel zu spielen und so lange zu hetzen und zu doziren, bis es dort ebenso wild aussah wie in ihrer eigenen Ehe. Diese Vertreterin der Kraft- und Faust-Weiberei hatte sich

schon in Blasewitz an meine Frau gedrängt, um sie zu sich hinüber zu ziehen; ich aber hatte der Letzteren streng verboten, mit ihr zu verkehren. Sie wohnte in der Nähe meiner neuen Wohnung und wurde nun herbeigezogen, um für die Hofrichtersche Abfuhr Rache an mir zu nehmen. Diese Turnlehrerin Dittrich sah, daß sie mir widerwärtig war, doch paßte ihr das erst recht in ihre Theorie; sie hetzte nun erst recht. Konnte ich sie die Treppe hinunterwerfen, wenn sie kam, von meiner Frau eingeladen? Ich mußte es mir gefallen lassen, denn ich hatte grad damals keine Zeit für solche Skandale. Ich hatte mich mit dem bekannten Professor Josef Kürschner, dem Herausgeber des Literaturkalenders, auf die Gründung einiger neuer Unternehmungen festgelegt, und ich arbeitete mit allen Eifer auf die Trennung von Münchmeyer hin; ich hatte also für andere Dinge keinen Raum und mußte es ruhig dulden, daß sich diese Dittrich mit ihrem ganzen Anhange bei mir festsetzte wie eine Cimex lectualarius, die dann nicht mehr auszutreiben ist. Dieses Weib hat an mir gesaugt viele Jahre lang, und ich habe dafür nichts als Undank gehabt, von nicht eingelösten Ehrenscheinen gar nicht zu reden. Sie hat uns nach der Lößnitz und überall hin verfolgt; aber als sie sich dann auch bei dem ersten Manne meiner jetzigen Frau in gleicher Weise einnisten wollte, drückte ich darauf, sie abzuweisen. Dies geschah. Seitdem haßt sie mich noch glühender als zuvor und meine jetzige Frau dazu. Ich berichte das, weil ich gezwungen bin, sie auch noch fernerhin zu erwähnen.

Als meine Frau sah, daß ich fest entschlossen war, nicht mehr für Münchmeyer zu schreiben, griff sie zu den ihr geläufigen Maßregeln. Zunächst wurde sie krank. Das kostete mich in kurzer Zeit achthundert Mark. Ich blieb aber fest. Da rieth ihr der Arzt regelmäßige Morgenspaziergänge in dem großen Garten. Sie erhob sich morgens drei Uhr, machte Toilette, spazierte einen ganzen Sommer lang nach den Conditorei im großen Garten, kehrte um Sieben zurück und legte sich dann wieder nieder, um auszuschlafen. Natürlich forschte ich nach, ob sie diese reine, köstliche Naturfreude ganz allein genieße. O nein! Frau Münchmeyer saß bei ihr. Der ganze, schöne Plan stammte von dieser Frau. Täglich von 4 bis 7 Uhr früh im großen Garten! Ganz allein! Hatte meine Frau in der Kunst, die Männer zu bestehlen, zu belügen und zu betrügen, bisher nur Elementar- und Gymnasialunterricht genossen, so war dieser Sommer nun die hohe Schule. Der Erfolg zeigte sich sehr bald! Und zu ganz derselben Zeit sandte Münchmeyer sein Faktotum Walther wiederholt zu mir, um mich zu andern Abmachungen zu verführen und um auf mancherlei gewundenen Wegen zu erfahren, ob ich seine Briefe wirklich aufgehoben habe oder nicht! Diese letzteren Fragen fielen mir jetzt schon mehr auf, als vorher, doch leider nicht so sehr, daß ich darüber nachgedacht hätte, was sie bezweckten. Man sieht aber doch, daß Münchmeyer Hand in Hand mit seiner Frau ging, nämlich er in dem Bestreben durch geschäftliche Künste und Kniffe von seinen Verpflichtungen loszukommen, sie aber in der Bemühung, meine Frau von mir loszureißen und ganz

zu sich hinüberzuziehen. Ich meine dieses Losreißen nicht äußerlich, sondern innerlich. Eine äußerliche Trennung zwischen ihr und mir hätte Münchmeyers nichts genützt. Um ihnen als Werkzeug dienen zu können, hatte sie meine Frau zu bleiben; aber ihr perverses Herz, welches die sogenannte „Freiheit“ liebte und alle Pflichten haßte, mußte ihnen treu gehören. Die alte, abgefeimte Lügnerin und Seelengiftmischerin erreichte ihren Zweck vollständig. Zu zeigen, wie sie das anfing, würde eine ganze, lange Reihe der vorliegenden Seiten füllen; ich hebe mir das aber für später auf, wo ich mich vielleicht einmal gezwungen fühle, dieses Weib, welches mich in das Zuchthaus bringen will, um sich selbst vor dem Zuchthause zu retten, zu entlarven. Ich will für heut und hier nur sagen, daß, wenn meine Frau von ihren Morgenübungen mit Frau Münchmeyer zurückkehrte, eine Menge Brocken für mich abfielen, die ich heimlich aufhob und sammelte, und daß dann später, als ich diesem Verkehr der beiden Lesbierinnen ein Ende gemacht hatte, meine Frau in aufgeregten Augenblicken mit Reminiscenzen aus jenen köstlichen Zeiten um sich warf. Mir aber war diese Zeit eine wahre Hölle. Ich stand den Einflüssen dieses Kolportageweibes und dieser Turnlehrerin Dittrich vollständig wehrlos gegenüber, wenn ich nicht zur ultima ratio, das heißt, zum Prügel greifen wollte. Es blieb mir nichts Anderes mehr übrig, als nicht mehr blos nur umzuziehen und hierbei immer wieder aus dem Regen in die Traufe zu kommen, sondern Dresden ganz zu verlassen und einen entfernten Vorort aufzusuchen. Ich zog nach Kötschenbroda, wo ich gleich

eine ganze Villa miethete, um unsere unglückliche Ehe und ihre schlimmen Wirkungen zu isoliren.

Ich habe in jener Zeit des elendsten Innenlebens unendlich fleißig gearbeitet und meinen Lesern nur Glauben und Gottvertrauen, Liebe, Glück und Sonnenschein gegeben. Es giebt einzelne Jahre, in denen ich 6 – 8 neue Bände schrieb. Das hat vorher noch Niemand fertig gebracht, und auch nachher wird wohl Keiner kommen! Es gab Wochen, in denen ich drei und auch vier Nächte durcharbeitete. Solche Anstrengungen und solche Erfolge hatte ich theils meiner eisernen Gesundheit zu verdanken, theils und noch viel mehr aber auch der Willenskraft, meine glückliche, selige Arbeitswelt und die armselig häßliche, traurige Welt der Pollmerschen Dämonen vollständig auseinander zu halten. Die Zeit, die ich nun in der Lößnitz verlebte, hat mir unendlich schöne, heilige Tage und Nächte gebracht, in denen ich mit meinen Idealen am einsamen Schreibtische saß, um die herrliche Menschheitsseele kennen zu lernen, die Menschheitsfrage zu ergründen und die Millionen meiner Leser den Weg empor zur Edelmenschlichkeit zu führen. Aber diese Zeit hat mich durch tiefes, schweres, geduldig ertragenes Leid auch zu der schmerzlichen Erkenntniß geführt, daß das Weib, an welches ich an jenem Sterbelager mein Leben und mein ganzes Wollen und Streben gekettet hatte, eine für die geistige Menschheit Verlorene sei, die wie die Kanonenkugel des Bagnosträflings an meinen Füßen hing und mich bei jeden Versuch, emporzusteigen, immer wieder auf das Gemeine niederzog. Als ich alle meine Versuche, sie mit zu heben, scheitern sah, gab ich es auf, sie aus dem Schmutz

zu ziehen, und ließ sie ihre eigenen Wege gehen. Hiermit meine ich natürlich nur die innern, nicht auch die äußern Wege. In Beziehung auf die letzteren war sie nach wie vor verpflichtet, doch wenigstens alles Das zu vermeiden, was im Stande war, ihre äußere Ehre und ihren Ruf zu schädigen. Niemand sollte ahnen, daß Karl May, der Idealist des Erden- und des Lebensglückes, für sich persönlich auf dieses Glück verzichtet hatte.

Diese Resignation war noch nicht vorhanden, als ich nach Kötzschenbroda zog; sie kam erst später, nur nach und nach. Ich hoffte, daß die Trennung vom Münchmeyerschen und Dittrichschen Sumpfe reinigend und läuternd wirken werde. Aber kaum hatten wir das neue Heim in Kötzschenbroda betreten, wer stellte sich da ein? Die Turnlehrersfrau Dittrich, mit ihren fünf Kindern, zwei Mädchen und drei Buben! Die kletterten mir auf den Bäumen herum und verschlangen mein Obst; die hockten auf meinen Erdbeerbeeten; die pflückten mir die Himbeersträucher leer, und während sie das thaten und ich dabeistand, um aufzupassen, daß sie nicht auch noch Schlimmeres thaten, saß ihre männerhassende, kampfgeübte Mutter mit meiner Frau im trauten Plauderstübchen und gab ihr Unterricht im eheweiblichen Dschiu-Dschitsu, das heißt, in der Kunst, den Willen des Mannes derart niederzukränken und niederzuärgern, daß es ihm unmöglich ist, wieder aufzukommen. Ihre fünf Kinder sollten alle studiren, auch die Mädchen; das ist kostspielig, und so war es kein Wunder, daß sie meine Frau vor allen Dingen veranlaßte, sie mit der Verwaltung ihrer sogenannten „Ersparnisse“, die aber in mir abgestohlenem Geld bestanden, zu betrauen.

Sie verpflichtete sich dadurch selbst, mich zu belügen und zu betrügen, und hat dies immerfort gethan, bis es mir zu viel wurde und sie nicht mehr bei mir erscheinen durfte. Aber auch dann verzichtete meine Frau noch lange nicht auf sie, verkehrte gegen meinen Willen und heimlich mit ihr, kaufte ihr von meinem Gelde allerlei Geschenke z. B. ganze Gänse zum Braten u. s. w. und weihte sie in die größten Heimlichkeiten unserer Ehe, sogar unseres Ehebettes ein. Diese Frau Dittrich wußte ganz genau, daß ich vor ihr nach der Lößnitz geflohen war, um dort ein stilles, reines, unbeschmutztes Heim zu finden. Sie wußte ebenso gut, daß mich ihr Haß nicht besser treffen und nicht tiefer verwunden könne, als durch Entehrung und Besudelung dieses meines schönen, neu gegründeten Heimes. Darum wurde ganz plötzlich ein höchst blamabler Damenbesuch bei mir in das Werk gesetzt, nämlich eine Berliner Courtisane, die von einem Dresdener „Onkel“ ausgehalten wurde und nun in meinem Hause einem verliebten und vertrauensseligen Maler aufgeschwatzt werden sollte. Mit diesem Frauenzimmer war, während wir noch in der Stadt wohnten, Freundschaft geschlossen worden; jetzt ließ man sie nach Kötzschenbroda kommen, um sie bei mir für Wochen lang einzunisten, und machte mir dadurch meine neue, mir schnell liebgewonnene Wohnung zum Ekel, zum Tribaden- und Hurenhaus und blamirte mich vor Allen, die das sahen. Es entstand ein erbitterter Kampf zwischen mir und meiner Frau, der damit endete, daß ich dem Maler, als er sich bei meinem „Gaste“ einstellte, die Augen öffnete und die Kreatur samt ihren sogenannten „Onkel“

zur Thür hinauswarf. Er hat sie dann selbst heirathen müssen, ist aber schleunigst wieder geschieden worden.

Diese soeben erzählte Kraftprobe ist gradezu typisch für die Art und Weise und für die Wahl der Mittel, mit deren Hülfe sie ihre Zwecke zu erreichen trachtete. Ueberall, wo ich zur Miethe wohnte, und auch dann, als ich mir in Radebeul eine eigene Villa kaufte, war es mein Bestreben, einen stillen, ruhigen, geordneten Hausstand zu besitzen, in dem mir die für meine schweren Studien und Arbeiten erforderliche Stimmung gewährleistet war. Sie aber haßte nichts so sehr als grad diese Ruhe und diesen Frieden. Es ekelte ihr vor geistiger Arbeit. Ihr Ideal war ein immerwährend offenes Haus, eine Staarkasten für schwatzhafte Meisen und lockere Vögel allerlei Art, besonders aber jener Gattung, die weder arbeiten noch spinnen, und euer himmlischer Vater, nämlich ich, ernähret sie doch! Schauspieler, Sänger, lustige Künstler, allerlei fahrendes Volk sollte bei mir verkehren. Da wollte sie herrschen; da wollte sie als Königin gelten; da wollte sie geliebt sein und wieder lieben, gleichviel ob männlich oder weiblich, denn sie fand sich in beiden Satteln zurecht. Ich aber sollte die rasenden Summen aufbringen, die zu so einem leiblichen, geistigen und seelischen Hurenleben gehörten, und um dies zu können, sollte ich mir ein kleines Häuschen hinüber in den hintersten Gartenwinkel bauen, wo mich Niemand in meiner Arbeit stören könne; sie aber wollte allein in der Villa wohnen und die ganze, schwere Sorge eines so anstrengenden Hausstandes auf sich nehmen, wofür ich ihr aber heilig und theuer

versprechen müsse, daß sie dann hier hüben ebenso frei und ungestört sei wie ich da drüben!

Indem ich beide einander gegenüberstelle, mein einfaches, bescheidenes, sittlich reines und arbeitsames Ideal und ihr üppiges, wahnsinniges, perverses Luftschloß, habe ich gekennzeichnet, welch ein erbitterter, nie endender, sondern an jedem Morgen neu erwachender Kampf zwischen ihr und mir sich bis zum Scheidungstage durch meine ganze Ehe zog. Es war eine nervenmordende, entsetzliche, teuflische Zeit! Sie faulenzte; sie pflegte sich; sie konnte es aushalten. Ich aber arbeitete Tag und Nacht, und es ist ein wirkliches Wunder, daß ich nicht verrückt geworden bin, den fürchterlichen Schlag gar nicht gerechnet, den die Münchmeyerei dann später auf mich niederschmetterte! Daß ich meiner Frau ein Leben, wie sie es sich wünschte, versagte, dafür haßte sie mich. Gradezu empört aber war sie darüber, daß ich von ihr verlangte, sich geistig fortzubilden und meine Bücher zu studiren, damit sie mir auf meinen Wegen folgen könne. Das versetzte sie stets so in Wuth, daß sie die Fäuste ballte und mit den Füßen stampfte. In solchen Augenblicken, wo ich Schönes, Edles und Großes von ihr forderte, trat der Pollmersche Dämon in aller seiner Monstrosität und Scheußlichkeit hervor, und dann war sie auch körperlich von einer Häßlichkeit, die schlimmer als blos abstoßend auf mich wirkte. Ich vermied dergleichen Bitten und Aufregungen mehr und mehr und war schließlich auch hiervon ganz still geworden. Ich ließ sie im Schmutze da unten weiterlaufen und begehrte höchstens nur dann einmal dagegen auf, wenn der Staub so hoch aufwirbelte, daß er die Augen der Leute auf sich zog. Es ist gewiß fürchterlich, -

fürchterlich, aber es ist auch ebenso gewißlich wahr, daß von ihr aus oder um ihretwillen niemals ein anständiger Mensch in meinem Hause verkehrt hat. Zu mir, dem Autor, kam alle Welt, vom gewöhnlichen Manne an bis hinauf zur hohen Aristokratie der Geburt, des Geistes und Besitzes. Und wer da kam, der brachte Liebe, Dank und Anerkennung mit. Sie aber hat mir nur alte, geifernde Weiber, alte, giftige Jungfern und liebestolle Personen dritten Geschlechtes in das Haus gezogen. Alle diese minderwerthigen oder gar gefährlichen Menschen kamen nur, um meine Geduld und Langmuth ebenso wie meine Kasse auszunützen und mir dann, wenn ich es mir nicht mehr gefallen ließ, einen Fußtritt zu versetzen. Hierher gehört die schon erwähnte Dittrich. Hierher gehört besonders auch die jetzige Frau Häusler in Berlin, eine Phryne sondergleichen. Ich kannte ihren ersten Mann, einen Baumeister, der, schon hoch bei Jahren, die Dummheit beging, diese üppige und viel verlangende Weißwaarenmamsell zu heirathen. Er gab ihr wegen der Ausgeprägtheit ihres Begattungstriebes den Kosenamen Kaninchen. Er nannte sie schließlich gar nicht anders. Er gebrauchte diesen Kosenamen sogar öffentlich, und sie bildete sich viel darauf ein, anstatt darüber zu erröthen. Er starb vor Liebe, war aber noch lange nicht todt, so verkehrte sie hinter seinem Rücken schon mit Andern. Dann heirathete sie wieder. Auch der zweite Mann starb vor Liebe. Der dritte, den sie jetzt hat, kann nicht an dieser Ursache zu Grunde gehen, weil sie inzwischen arg verfettet ist und also dem bekannten Karnikel nicht mehr gleicht. Ich hatte viele, viele Monate lang die Verpflichtung, sie das Abends aus

der Kneipe nach Hause zu führen, denn sie kam allein. Auf diesen stillen Wegen öffnete ihr der Alkohol den Mund. Ich aber that, als hörte ich es nicht und als fühlte ich die leberthranigen Reize nicht, die sich mir in die Arme drängten. Ich habe sie nie berührt, obgleich sie später offen, sogar schriftlich gestand „Ich liebte meinen Karl glühend und habe gegen diese Liebe wie eine Löwin gekämpft!“ Ich schildere das sehr ehrlich in dieser nicht ganz trockenen Weise, um deutlich zu zeigen, was für Frauenzimmer sich als Freundinnen meiner einstigen Frau geberdeten und noch heut geberden, und wie im höchsten Grade gleichgültig dieser meiner Frau meine eheliche Treue war. Pervers allüberall, vom Scheitel bis zur Sohle! Und dieses liebestolle, verfettete Karnikel, welches mit den üppigen Beinen unter dem Tische mit andern Männern Poussarde trieb, sogar in der öffentlichen Kneipe, hat mich bei der Staatsanwaltschaft denunzirt! Daß ich mich von meinem dämonischen Weibe scheiden ließ, dagegen hat sie wohl nichts. Aber daß ich die Wittwe Plöhn geheirathet habe, sie aber damals, als ich mich ihretwegen hätte scheiden lassen können, nicht mit der Fingerspitze berührte, das ist unverschämt; das muß man rächen; dafür muß May nebst Frau ins Zuchthaus gehen! Ganz genau wie Münchmeyers, die mich in das Zuchthaus bringen wollen, es aber selbst mehr als reichlich verdienen!

Es muß hervorgehoben werden, daß sich aus den Zusammenkünften all der Frauenzimmer, die mir in das Haus gebracht wurden, eine gradezu niederträchtige, ja verbrecherische Klatschsucht entwickelte. Putz, Dienstboten, Ehesünden und der Kampf gegen die Männer, das waren die ständigen Gegenstände der

Gespräche. Hauptthema aber waren und blieben die Männer. Da wußte eine Jede ihre Erfahrungen mitzutheilen und neue, ganz besondere Mittel und Wege für die Frauen, sich die Herrschaft zu sichern. Dabei war die Eine immer gefühl- und gewissenloser als die Andere. Als Münchmeyer von seiner letzten Krankheit befallen wurde, schickte seine Frau ihn fort, damit er nicht bei ihr, sondern in der Fremde sterbe. Als ihr Schwiegersohn vom nahenden Tode ergriffen wurde, pflegte man ihn nicht etwa daheim, sondern ließ ihn nach dem >Spitale schaffen wo er mit ganz gewöhnlichen Arbeitern zusammenlag. Als der arme, brave Turnlehrer Dittrich sein langes, einsames, grausames Martyrium beendet hatte und einsam gestorben war, sagte die, die ihm dieses Martyrium bereitet hatte, mit wonnestrahlenden Augen: „Der Todestag meines Mannes war mir ein Freudentag.“ Und meine eigene Frau wartete gar nicht erst, bis ich starb, sondern sie gab mir schon zu Lebzeiten wiederholt und mit sichtbarer Freude zu verstehen, daß es ihr gar nicht einfallen werde, auf den Kirchhof zu kommen, wenn ich gestorben sei. Als mein Freund Plöhn starb, der erste Mann meiner jetzigen Frau, tröstete sie die Wittwe mit den Worten: „Ich wollte, er lebte noch und Meiner wäre dafür gestorben!“ Und als Frau Plöhn diesen ihren verstorbenen Mann so heilig hielt, daß sie dann aus Liebe zu ihm einen ihm bei seinem Tode sehr nahe gelegenen Gegenstand ununterbrochen auf dem Herzen trug, rief meine Furie höhnisch lachend aus: „Die ist verrückt! Die hat einen Klaps! So einen alten, ekelhaften, dicken, fetten Kerl noch so im Tode anzubeten! Aber diesen Wahnsinn treibe ich ihr aus!“ Sie ruhte

auch wirklich nicht eher und machte Frau Plöhn so lange lächerlich, bis diese das Andenken beseitigte.

Es ist hier nicht der Ort, alle die alten Schachteln aufzuzählen, mit denen sie verkehrte, um sie im Kampfe gegen mich aufmarschiren zu lassen. Von männlichen Personen will ich nur drei Stück erwähnen. Der Erste ist ein junger, unverheiratheter Schulmann, den sie wöchentlich mehrere Male, wenn ich das Abends arbeitend zu Hause saß, besuchte, um sich dann um Mitternacht von ihm nach Hause begleiten zu lassen. „Dem kann Keine widerstehen! Was der verlangt, thut Jede!“ charakterisirte sie ihn. Sie war zu jener Zeit so liebesaufgeregt, daß ich sie eingeschlossen resp. mit Gewalt am Ausgehen verhindert habe. Der Zweite ist der Theologieprofessor Szekrényi, ein schöner, geistreicher Magyar, der meine Werke in das Ungarische übersetzte. Er besuchte mich wiederholt und lebte in überaus glücklicher Ehe mit einer sehr schönen und geistig hochstehenden Frau. In diesen war die meinige so sinnlos verschossen, daß er mich bat, wenn er wiederkomme, seine Frau mitbringen zu dürfen. Er brauchte, um bei mir wohnen zu können, Schutz gegen meine Phryne! Der Dritte ist ein jetziger Regierungsbaumeister, der als junger Leser zu mir kam und für mich schwärmte. Meine Frau nahm sich seiner sehr weiblich an. Es gehört ja zur Perversität alter, unterleibskranker Frauen, sich an jungen, männlichen Tolpatschereien an- und aufzuregen. Sie verkehrte viel mit ihm und erzog ihn so, daß er mir seine Schwärmerei entzog, um sie ihr hinüber zu tragen. Er himmelte sie an. Es war ihm eine Wonne, von ihr gequält und zu den niedrigsten Handreichungen verwendet -

verwendet zu werden. Ich duldete es, weil ich dadurch entlastet wurde und Ruhe bekam. Aber sie trieb es zu arg. Wenn ich mit ihr in die Stadt fuhr, stand dieser Mensch am Bahnhof, um ihr eine Blume zu überreichen. Ich hatte ihn dann einzuladen und freizuhalten. Wenn ich in der Stadt mit ihr essen wollte, saß er, während wir die Restauration betraten, schon da, uns zu erwarten. Natürlich aß er mit! Das wurde immer auffälliger. Offenbar benachrichtigte sie ihn hinter meinem Rücken, denn er wußte nur dann, daß wir kamen, wenn ich es ihr so zeitig gesagt hatte, daß die Zeit reichte, ihm einen Wink zu geben. Mit aber erklärte sie diese regelmäßige, auffällige Allwissenheit des jungen Menschen durch die Behauptung, daß er ein sehr empfindliches spiritistisches Medium sei und uns von seinen Geistern zugeführt werde; die wissen ja, daß wir in die Stadt kommen, und sagen es ihm! Sie trieb nämlich Spiritismus mit ihm und umspann ihn hierdurch so, daß er selbst heut noch nicht wieder losgekommen ist. Wenn dann Etwas geschah, was sie nicht berechnet hatte, so besaß sie die gradezu unverschämte Frechheit, sich selbst als das Opfer des Spiritismus hinzustellen, während sie doch die Schöpferin resp. Unternehmerin des ganzen Schwindels war. Der junge Mann gerieth ganz in ihre Fesseln. Wenn er von ihr nach Hause kam, sah er Geister auf der finstern Treppe, und wenn er an sie dachte, erklangen die lieblichsten Töne um ihn her. Während meiner Reisen ging er mit ihr in das Theater oder besuchte sie ganze Abende lang und ging auch des Nachts nicht nach Hause. Da ist es gar nicht zu verwundern, daß er auch

mit in die Damenläden ging und beim Korsetanprobiren assistirte. Es kam mit der Zeit zu einer sehr lebhaften, heimlichen Correspondenz, die nur dadurch möglich wurde, daß meine Frau sich falsche Schlüssel zu meinen Briefkasten verschaffte, die mir jahrelang verheimlicht worden sind.

In meinen Werken kommt der Name einer jungen, schönen Indianerin vor, Nscho-Nschi geheißen. Dieser Name ist zum Sinnbild der heimlichen, verbotenen, aber unwiderstehlichen, glühenden Liebe geworden. Der junge Mann stand schließlich so zu meiner Frau, daß er sie unter vier Augen bei diesem Namen nannte und daß sie es sogar wagte, sich in ihren Zuschriften an ihn als Nscho-Nschi, also als willfährige Geliebte, zu unterschreiben. Man denke, welch ein Wagniß für eine verheirathete Frau! Und man denke, zu welcher Geschlechtsinnigkeit es zwischen ihnen schon gekommen sein mußte, um sich liebesblind in eine solche Gefahr zu stürzen! Die Unvorsichtigkeit und vaginelle Kurzsichtigkeit wurde schließlich so groß, daß mir ein Brief in die Hände fiel, in dem er sich zu der Äußerung verstieg „Das Strohmännle darf aber nichts wissen!“ Also, ich war nur noch das Strohmännle, welches nur hier und da einmal während einer Pause zugelassen wird; der ächte, richtige, wirkliche Mann aber war er! Die große Dummheit, Skandal hierüber zu machen, lag mir fern. Der Mensch dauerte mich. Er war das Opfer der Pollmerschen Dämonen, grad so wie ich. Er hatte sich in das spiritistische Netz meiner Kreuzspinne verwickelt und besaß nicht mehr die Eigenkraft, sich dagegen zu wehren, von der occulten, hypnotischen und suggerirenden Schwindlerin geschlechtlich -

schlechtlich und moralisch entmannt und aufgefressen zu werden. Sein Vater war ein Ehrenmann gewesen; ich versuchte, ihn zu warnen, um Weiteres zu verhindern; er hat mich aber leider nicht eher verstanden, als bis ich gezwungen war, mit der Thür in das Haus zu fallen.

Die spiritistische Veralberung dieses jetzigen Regierungsbaumeisters führt mich nun geraden Weges zur interessantesten Seite der vorliegenden, psychologischen Studie, nämlich zu der Untersuchung der Rolle, welche der Spiritismus, wie meine frühere Frau behauptet, bei unserer Scheidung gespielt haben soll. Vorher aber muß ich unbedingt erst der Frau Pauline Münchmeyer gedenken, damit es nicht etwa den Anschein habe, als ob diese raffinirte Lehrerin des ehelichen Vampyrismus die gelehrigste aller ihrer Schülerinnen vergessen hätte. Ganz im Gegentheil! Das fiel ihr gar nicht ein! Bei den Plänen, die sich im Münchmeyerschen Schundgeschäft in Beziehung auf meine Romane herausgebildet hatten, war es unbedingt geboten, mit meiner Frau in möglichst freundschaftlicher Beziehung zu bleiben. Es handelte sich hierbei um die alten Briefe, Karten und Notizen Münchmeyers, die ich mir so heilig aufhob, um, falls ich ja beschwindelt werden sollte, durch diese vollgültigen Beweise einem langen, zweifelhaften Prozesse vorbeugen zu können. Die Sache wurde mir bedenklich; sie dauerte mir zu lange! Das „Waldröschen“ war doch gleich von allem Anfang an so gut gegangen, daß schon das erste Jahr die vereinbarten 20,000 Abonnenten gebracht haben mußte! Mit den anderen Romanen stand es ebenso. Und doch kam

weder die erwartete Benachrichtigung noch die hierauf zu folgende „feine Gratifikation“! Ich hatte da allerdings dem Umstande Rechnung zu tragen, daß unredliche Kolportagebuchhändler zu behaupten pflegen, daß es in der Kolportage unmöglich sei, den Erfolg eines Romanes vor Verlauf von 8 – 10 Jahren zu berechnen. Das ist aber Schwindel! Sobald in der Weise Buch geführt wird, wie das Gesetz verlangt, ist die Klarheit ebenso schnell da wie bei jedem andern ehrlichen Geschäft. Aber um betrügen zu können, führt man eben anders Buch, und zwar in einer solchen Weise, daß es jedem nicht Eingeweihten unmöglich ist, einen schnellen Ueberblick zu gewinnen. Münchmeyers Buchführung aber hat, wie erweislich ist, den gesetzlichen Vorschriften überhaupt niemals entsprochen. Dennoch zog ich auch alle diese angeblichen Schwierigkeiten in Betracht, kam aber trotzdem zu dem Resultate, daß die von mir gewünschte Klarheit schon längst vorhanden sein müsse und mir absichtlich verheimlicht werde. Alle meine Anfragen waren vergeblich. Das erweckte und befestigte in mir die Ueberzeugung, daß man den Entschluß gefaßt habe, mir meine Werke, meine Rechte und meine Gratifikation zu unterschlagen und mich um alle Früchte meiner Arbeit zu betrügen. Dadurch gewannen die Münchmeyerschen Zuschriften den Werth hochwichtigster Dokumente für mich, die ich sorgfältig sammelte und in einem besondern Kasten meines Schreibtisches verwahrte. Nicht zehn-, nein hundertmal sprach ich mit meiner Frau über dieses unwiderlegliche Beweismaterial und verbot ihr streng, es jemals anzutasten. Sie kam da stets in Zorn. „Von einer Klage kann keine Rede sein!“ fuhr sie mich dann immer an. „Ich kenne Münchmeyer besser als Du, und seine Frau ist meine Freundin.

Sie hat mir nichts als Liebe erwiesen, und dafür willst Du sie verklagen? Schäme Dich! Sie brauchen das Geld wahrscheinlich selbst, und Deine Rechte sind Dir ja unbenummen. Sie werden sicher zahlen, sobald sie sich herausgearbeitet haben. Ich verlange also, daß Du wartest! Wir haben das Geld ja nicht zum Brote nöthig!“

In dieser Weise antwortete sie, wenn sie in guter Stimmung war; in schlechter aber drückte sie sich ganz anders aus. Da gab es Loblieder für ihre Freundin Münchmeyer, für mich hingegen Beleidigungen und Drohungen, zu deren Ausführung sie sehr wohl fähig war. Ich ließ die Sache also, um meine Furie nicht zu erregen, einstweilen laufen, wie sie lief, und behielt mir das Weitere im Stillen für später vor. Da starb Münchmeyer. Ich wollte den Uebergang des Geschäftes an die Erben schleunigst zur Herbeiführung einer Rechnungslegung benutzen, stieß da aber bei meiner Frau erst recht auf Widerstand. Sie warf mir Herzlosigkeit und Gefühlsroheit vor, einen Todesfall geschäftlich auszunutzen. Ich verzichtete also auf das beabsichtigte Vorgehen, zumal ich zu meiner ganz besondern Beruhigung erfuhr, der verstorbene Münchmeyer habe in seinem Testament bestimmt, daß das Geschäft nicht verkauft werden dürfe. Daß sich dies wirklich so verhalte, wurde von Walther, dem Buchhalter Mai, später auch von Fischer selbst bestätigt und sogar durch gerichtliche Vorlegung des Testamentes erwiesen. Ich hatte also nicht zu befürchten, durch einen unvermutheten Besitzwechsel in meinen Forderungen gehemmt und beeinträchtigt zu werden; das veranlaßte mich, noch länger zu warten. Auf vorsichtige -

vorsichtige Nachfragen erfuhr ich, daß Münchmeyer seiner Frau bei zu seinem Tode in dem Glauben erhalten habe, er stehe sich gut; dies sei aber nicht wahr. Ich hielt mich trotzdem für sicher und gedeckt, weil ich nur an kleine Ueberschreitungen der 20,000 dachte und nicht die geringste Ahnung von der außerordentlichen Höhe hatte, zu welcher die Auflagen meiner Romane emporgetrieben worden waren.

Da kam eines schönen Tages Walther, der ganz besondere Vertrauensmann der Frau Münchmeyer, zu mir und theilte mir mit, daß seine Prinzipalin einen neuen Roman von mir wünsche. Ich antwortete ihm, wer Etwas von mir wolle, sei es mir schuldig, selbst zu kommen; mit ihm habe ich nichts zu thun. Er ging, über diese Hintansetzung seiner Persönlichkeit wüthend, fort. Aber schon nach kurzer Zeit meldete sich Frau Münchmeyer brieflich bei mir an. Ich antwortete ihr, daß sie kommen könne, und legte ihren Brief zu den Zuschriften ihres Mannes. Sie kam. Man sah sofort, vor mir hatte sie Angst und Sorge. Es war ein schwerer Schritt für sie. Daß sie ihn that, gab mir den sichersten Beweis, daß es bei Münchmeyers nicht so gut stand, wie man gegen Andere glauben machen wollte. Von meiner Frau wurde sie umso freundlicher empfangen. Die strahlte wie eine Geliebte und gab sich alle mögliche Mühe, ihr den schweren Schritt so leicht wie möglich zu machen. Ich blieb ernst. Ich sagte, es könne doch nicht sehr gut mit ihrer Verlagshandlung stehen, daß sie nach all den Dingen, die geschehen seien, jetzt zu mir komme, um wieder einen Roman von mir bringen zu können. Sie gab kleinlaut bei und klagte über die Spekulationen und Unzuverlässigkeiten ihres Mannes, die nun erst jetzt, nach seinem Tode, zu Tage

getreten seien und das ganze bisherige Bild verändert hätten. Man müsse unbedingt wieder einen Roman von Karl May haben. Sie sei bereit, gleich zehntausend Mark baar zu zahlen, noch ehe ich zur Feder greife. Und als ich hierzu nicht ganz unverächtlich den Kopf schüttelte, fügte Sie hinzu: „Sogar zwanzigtausend, und wenn ich es mir wo anders borgen sollte!“ Das öffnete mir mit einem Male die Augen über den außerordentlichen Erfolg meiner bisherigen Romane. Ich fragte: „So haben Sie wohl das, was Sie mit meinen fünf Romanen verdient haben, mit den Sudeleien Ihrer andern Schriftsteller zugeschustert?“ Sie gab das zu. „Wieviel sind denn eigentlich von diesen meinen fünf Werken gedruckt worden?“ forschte ich weiter. Das war die Hauptfrage für mich und sie. Das war ihr wohlbewußt; darum antwortete sie ausweichend. Da erklärte ich ihr kurz und bündig: Falls ich mich ja bestimmen ließe, ihr einen neuen Roman zu schreiben, so würde ich dies doch keinesfalls eher thun, als bis ich erfahren habe, daß bei den bisherigen fünf Romanen die Zwanzigtausend erreicht worden sei. Sie antwortete mir hierauf, daß sie nachrechnen lassen wolle. Das war das Ergebniß dieses ihres ersten Besuches. Ich meine da das geschäftliche Ergebniß, denn das persönliche stellte sich auf Seite meiner Frau als höchst günstig heraus. Diese war überglücklich, ihre alte, liebe Freundin wieder bei sich zu haben, und lud sie ein, so bald wie möglich wieder zu kommen; ich aber blieb kalt. Die Münchmeyer kam auch wirklich baldigst wieder, sogar mehrere Male. Einmal war sie magenkrank und konnte zu Mittag nur trockene Semmel genießen. Es wurde -

wurde spazieren gegangen, nach dem Lößnitzgrund und auch anderswo; aber etwas Klares über den Stand meiner Conti erfuhr ich dabei nicht. Ich wurde während dieser Besuche von der Münchmeyer und auch in den Zwischenzeiten von meiner Frau unablässig bearbeitet, doch den gewünschten Roman zu schreiben, und zwar so, daß ich die Geduld verlor und der Letzteren bestimmt erklärte, daß es bei meiner bisherigen Bestimmung zu bleiben habe: Erst Klarheit über meine früheren Romane und erst dann die Antwort, ob ich weiterschreiben werde oder nicht. Es scheine, als ob sich ein neuer Verkehr mit Münchmeyerschen Spaziergängen und Perversitäten entwickeln solle, das aber werde ich mir verbitten, und zwar unbedingt.

Das wirkte! Frau Münchmeyer bekam Angst, daß ich ihr den Roman abschlagen werde. Sie sendete eine schriftliche Einladung für mich und meine Frau zum Mittagessen bei ihr. Den Brief, der sie enthielt, legte ich zu den Münchmeyerbriefen, und dies ist der Punkt, an dem ich zu erwähnen habe, daß sie während eines der erwähnten neuen Spaziergänge mich dummschlau haranguirte, ich habe ihren Mann doch auch sehr lieb gehabt und mit seine Briefe darum ganz gewiß als heilige Andenken aufgehoben; sind die noch immer da? Das Mittagessen fand ganz genau so statt, wie es von mir und meiner geschiedenen Frau beschrieben worden ist. Die Münchmeyer gestand, die 20,000 sei erreicht, doch noch nicht complet geliefert und bezahlt; das dauere bekanntlich jahrelang; auch müsse sie erst noch einmal „genauer nachrechnen lassen“. Inzwischen aber liefere sie mir meine Manuscripte zurück, welche nun wieder mir gehören. Leider seien die geschriebenen Originale verbrannt worden;

sie könne mir die Originale also nur gedruckt zurückerstatten und werde sie extra gut in Leder für mich binden lassen. Ich antwortete ihr, sie möge das schnellstens thun und ihre „genauen Nachrechnungen“ ebenso beschleunigen. Sobald dies geschehen sei, lasse sich über den neuen Roman dann reden. Während des Mittagsessens waren wir zunächst allein mit ihr; dann stellte sich Eichler ein, der mir hierzu ganz besonders bestellt zu sein schien, um meine Worte und Ausdrücke zu fangen. Nach einiger Zeit, vielleicht zwei Wochen, erschienen die Manuscripte in gebundenen Büchern; die „genauen Nachrechnungen“ aber blieben aus. Die konnte und durfte sie mir ja gar nicht geben, weil da gleich der ganze Betrug mit seinen großen, erstaunlichen Unterschlagungen an den Tag gekommen wäre! Lieber verzichtete sie auf den so warm ersehnten Roman und auch auf den so schön wieder neubegonnenen Verkehr, der nun infolge der mir gemachten Geständnisse sehr leicht für sie gefährlich werden konnte. Münchmeyer hatte zwar testamentarisch bestimmt, daß das Geschäft nicht verkauft werden solle, aber nun sie mir die 20,000 zugegeben hatte und ich die Manuscripte wieder besaß, gab es nur einen einzigen Weg, sich vor dem Zuchthause zu retten, nämlich Alles wieder zu leugnen, auch das Essen selbst, das Geschäft an einen Mann, der auf die Umstände einzugehen verstand, zu verkaufen und die alten Münchmeyerschen Briefe, deren Inhalt Alles zu meinen Gunsten bewies, wo möglich von meiner Frau zu – – – – – – !

Ich unterbreche dieses Satz, um der Zeit nicht vorzugreifen. Auch gehe ich an dieser Stelle nicht auf

den Brief ein, den mir die Münchmeyer durch Walther am 27. November 1894 schreiben ließ. Er hat vor dem Schwurgericht seine Pflicht zu thun, eher keinesfalls. Ich constatire nur, daß ich mit meiner Frau einen langen, sehr langen und sehr schweren Kampf zu kämpfen hatte. Ich wollte die Münchmeyer wegen Betrug und Unterschlagung staatsanwaltlich belangen lassen; meine Frau stellte sich aber in einer derartigen Weise dagegen, daß ich wieder und immer wieder verzichtete, bis die Thatsachen stärker wurden als ich und sie; die Münchmeyer verkaufte! Doch, hier zunächst eine Pause, und zu dem bereits angemeldeten Spiritismus zurück!

Wir bewohnten auf der hiesigen Nizzastraße eine Villa, als mich ein sehr lieber, ferner Freund, ein Arzt aus Amerika, besuchte und mit seiner Frau einige Wochen als mein Gast bei mir wohnte. Er brauchte da drüben jahraus, jahrein zwei Kutschwagen, um seine äußerst umfangreiche Praxis zu bewältigen, und behauptete, daß er dies und alle seine ärztlichen Erfolge nur dem Spiritismus zu verdanken habe. Das war Wasser auf die Mühle meiner Frau. Es wurden sofort spiritistische Sitzungen veranstaltet, und zwar nahmen sechs Personen daran Theil, nämlich der Amerikaner und seine Frau, Herr Plöhn und seine Frau und ich und meine Frau. Herr Plöhn, ein wissenschaftlich hochgebildeter, scharfblickender und kühl erwägender Kopf, war Gründer und alleiniger Besitzer der weltbekannten, Radebeuler Verbandstofffabrik und stellte sich dem Spiritismus gleich von vorn herein als Zweifler gegenüber und ist das auch geblieben, bis er starb. Er verbot seiner Frau zwar nicht, an den Sitzungen theilzunehmen, lachte sie aber aus und bewirkte dadurch, daß sie sich dieser sogenannten „Wissenschaft“ nicht

blind ergab, sondern reiflich prüfte. Sie stammte aus Dessau, hatte eine höhere Bildung genossen, dirigirte außer dem Haushalte auch noch die ganze, bedeutende Fabrik, während ihr Mann die kaufmännische und wissenschaftliche Führung hatte, war arbeitsam im allerhöchsten Grade und eine außerordentlich pflichttreue, menschenfreundliche und wohlthätige Frau. Im Uebrigen hielt ich sie für ein Gänschen, nicht ganz so groß wie meine eigene Gans, doch geistig unbedeutend. Jetzt freilich, nun sie mir als Frau zur Seite steht und mir in der schwersten Zeit meines Lebens ein wahrer Engel gewesen ist, habe ich diese Meinung korrigirt. Der Amerikaner und seine Frau waren als Spiritisten gläubig im höchsten Grade; da drüben sind die Ansichten über diesen Punkt ja ganz andere als bei uns. Was mich betrifft, so kennt man meine Hohensteiner schlimmen Erfahrungen, auch die Hofrichterschen Warnungen, und so brauche ich wohl nicht besonders zu betheuern, daß ich an diesen Sitzungen nur probeweise und als „Mann der Feder“, als Psycholog theil nahm. Unsereiner hat über solche Dinge zu schreiben und muß sie also kennen lernen; das war für mich der Grund. Bei meiner Frau lag Alles grad entgegengesetzt. Als sie hörte, daß die Amerikaner enragirte Spiritisten seien, war ihr Jubel groß. Sie warf sich ihnen schleunigst in die Arme, und ich darf wohl sagen, daß der Spiritismus ihre größte Abgötterei und zugleich die einzige Spur von Religiosität in ihr geblieben ist.

Auch hier zeigte sich ihre übermächtige, dämonische Veranlagung auf der Stelle. Sie war es, deren „Geister“ sogleich erschienen und mit Hülfe der Tischbeine zu sprechen begannen, ihr Großpapa, ihr

Onkel Emil, ihre Mama und ihre Mutter! Und die waren auch jetzt noch alle im Himmelreich und kamen jetzt zu uns, um uns zum Himmelreich zu führen. Als ich sehr gute Worte gab, kam auch für mich ein Geist. Der war mein Vater, wohnte in der Hölle und sagte, er könne nur durch uns gebessert werden. Für Herrn Plöhn kam Niemand, weil der lachte, und für Frau Plöhn kam ein gewisser Gottlieb oder Gottfried, der mit dem Tische die tollsten Sprünge machte und ein wahrer Harlekin von Pollmers Gnaden war. Das gab einen Jux, der Allen wohlgefiel, sogar dem ernsten Herrn Plöhn, der nicht mit am Tische saß und nur von Weitem zuschaute. Darum wurden die gespaßigen Sitzungen wiederholt, so lange die Amerikaner bei uns waren. Ich mußte ihnen versprechen, die Sache durch und durch zu prüfen, und ich hielt Wort. Sie schickten mir, um mir Gelegenheit hierzu zu geben, zwei weibliche Medien von drüben herüber, die aber meine Prüfung so schlecht bestanden, daß ich ihnen die Wiederkehr verbot. Auch das bekannte Medium Anna Rothe habe ich einige Male bei mir gehabt und sie wiederholt entlarvt. Ihr Entreprimeur hat sich dann ganz besonders dafür an mir gerächt. An diesen Entlarvungen haben sich Herr und Frau Plöhn in hervorragender Weise betheiligt, während aber meine erste Frau im Hokuspokus stecken geblieben ist bis, wie ich bereits sagte, auf den heutigen Tag.

Das Wort Hokuspokus ist hier nur äußerlich gemeint. Eigentlich und innerlich ist die Sache viel, viel ernster, als man denkt. Sie kann für tiefer empfängliche Leute sogar verhängnißvoll werden, in dem man sie für medial hält, während

das wirkliche Medium, sich in das Fäustchen lachend, im Verborgenen bleibt. Auch bei Frau Rothe war nicht sie, sondern der betrügerische, bucklige Unternehmer, der sie dirigirte, das eigentlich Medium; sie aber war sein Opfer! Ihn hat man laufen lassen; sie aber wurde bestraft und ist daran gestorben! Das ist die jetzt so viel und öffentlich besprochene „Weltfremdheitder Criminalisten, welche glauben, über Dinge aburtheilen zu können, die ihrer juridischen Atmosphäre noch fremder sind als der Sirius dem Monde! So lange der Amerikaner und seine Frau, die sich beide für sehr kräftige Medien hielten, mit meiner damaligen Frau spiritiserirt haben, ist es ihnen nicht ein einziges Mal gelungen, einen amerikanischen Geist auf das Tapet zu bringen; sie waren von allen ihren bekannten Geistern verlassen; dafür aber erschienen alle bekannten und unbekannten Pollmerschen Dämonen und Vexanten, und die beiden, lieben Menschen wurden von ihnen derart eingenommen und besessen, daß sie sie bis jetzt noch nicht wieder losgeworden sind.

Frau Plöhn hatte und hat eine Mutter, eine jetzt 70 Jahre alte, sich gern an ihre Jugendzeit und ihre Verwandtschaft erinnernde Dame, die jetzt meine Schwiegermutter ist und mich, obgleich ich auch schon fast 66 Jahre zähle, gern „Mein Junge“ nennt. Als diese hörte, daß man mit Hülfe des Spiritismus mit den verstorbenen Eltern und Geschwistern reden könne, bat sie, ihr das doch zu zeigen. Meine damalige Frau war sofort bereit dazu. Frau Plöhn mußte die Dritte machen, und so setzten sich die drei Frauen des Abends zuweilen

hin, um Todte erscheinen zu lassen. Die wurden zwar nicht sichtbar, aber sie wackelten mit dem Tische, und das erschien nicht nur genügend, sondern sogar überzeugend. Das Wackeln wurde in Buchstaben, Laute und Worte verwandelt, und so entstand „die Sprache mit den Geistern“. Meist waren Pollmersche da, oft auch der schon bekannte Gottlieb oder Gottfried; aber weil Frau Plöhn und ihre Mutter aus Dessau stammten und ich sehr viel über den „alten Dessauer“ geschrieben hatte, was meine Frau sehr wohl wußte, weil ihr die Gelder dafür zugegangen waren, so trat unter diesem ihren Einflusse plötzlich der angebliche „alte Dessauer“ auf und warf den Tisch in der Stube herum, daß es nur so krachte. Er befahl auch, daß man schreiben solle, und weil meine Frau sich als Medium wohl stark, im Schreiben aber schwächlich fühlte, so erhielt Frau Plöhn den Befehl, den Bleistift zu ergreifen. Was da herauskam, waren erst nur Striche, dann Sylben – – Worte – – und endlich Sätze, aber lauter unsinniges Zeug. Später, nach langem Bemühen, kam Sinn hinein, und da stellte sich denn ganz eigenthümlicher Weise heraus, daß die Herren Geister am Liebsten über mich und meine vielen Fehler sprachen und daß ich mich zu ändern und zu bessern hätte. Es kam nach und nach zu einem förmlichen Sport mit dieser meiner Besserung. Die Sitzungen wurden regelmäßig abgehalten; ich aber war nie dabei. Vor der Sitzung sprach man von meinen Fehlern und ob ich seit der letzten Sitzung wieder neue gemacht oder mich gebessert habe. Das wurde dann den Herren Geistern vorgetragen; die gaben ihre Antworten darauf, die stets in Ermahnungen Verweisen und Verhaltungsmaßregeln für mich ausliefen, und schließlich kam meine Frau hierauf in mein Arbeitszimmer, und zwar erst meist nach Mitternacht, weil

sie wußte, daß sie mich da am meisten störe und mir die ganze Nachtarbeit verderbe, und berichtete mir in behaglicher Selbstzufriedenheit, das allgemeine Freude herrsche, aber nur mit mir seien die „Lieben“, nämlich die „Geister“, schon wieder höchst unzufrieden gewesen, weil ich das und das und das und das begangen habe; es sei nun aber wirklich Zeit, daß ich beginne, ihnen Freude zu machen! Wenn ich hierauf die Ermahnungen, die ich bekommen hatte, genau betrachtete, so enthielten sie stets nur schlau verborgene Wünsche, die ich meiner Frau entweder schon abgeschlagen hatte oder von denen sie bestimmt wußte, daß ich sie ihr abschlagen werde; die sollten nun mit Hülfe der Herren Geister durchgesetzt werden! Das geschah in der Weise, daß Frau Plöhn und ihre Mutter vor diesen Sitzungen von meiner Frau stundenlang bearbeitet und vorbereitet wurden. Sie erzählte ihnen, was sie wollte; sie machte es ihnen plausibel und überredete sie, bis man das, was sie sagte, für wahr und richtig hielt. Dann begann die Sitzung, in der das vorher Besprochene vorgebracht wurde, und es verstand sich also ganz von selbst, daß die Anweisungen und Entscheidungen der „Geister“ ganz genau so ausfielen, wie meine Frau berechnet hatte. Sie war die Haupt- und Animirgans; die beiden andern Gänse schnatterten nur mit!

Ich will noch einmal betonen, was sich eigentlich ganz von selbst versteht: Meine Frau ist mir, obgleich wir kirchlich und bürgerlich getraut waren, niemals wirklich Frau, sondern nur Haushälterin gewesen, ganz genau wie jene Konkubine ihres Großvaters, die ihn mit ihren körperlichen Reizen gefangen nahm, nur um ihn auszubeuten. Geist hat sie nie gehabt; ihre Seele habe ich nie besessen,

und schließlich verzichtete ich auch auf ihren Körper, um mich von ihrem verhängnißvollen Einfluß frei zu machen und weil ich ja wußte, daß ich ihn überhaupt nicht mehr allein besaß. Sie war für mich nur noch ein häßlicher, widerlicher Schemen, ein höchst gefährlicher Dämon, den ich unausgesetzt unter Aufsicht halten mußte, damit er mich und Andere nicht durch seine suggestive Kraft noch mehr herunterziehe, als es bereits geschehen war. Um ein Beispiel von der Art und Weise dieses Herabziehens zu bringen, sei gesagt, daß sie sich in ihrer lüsternen Phantasie die raffinirtesten Beischlafstellungen schuf und ihre Weiber dadurch in die beabsichtigte erotische Aufregung versetzte, daß sie ihnen haarklein und ausführlich schilderte, in welcher Weise diese Stellungen von mir an ihr ausgeführt würden. Bald erzählte sie, daß ich die Vertiefung zwischen ihren Brüsten als Mutterscheide behandelt habe, und bald, daß sie der Mann und ich die Frau gewesen sei. Ich habe nie im Leben an so etwas scheußlich Unnatürliches gedacht und noch viel weniger es ausgeführt und konnte mir also erst dann, als ich von diesen geilen Lügen erfuhr, die sonderbaren Augen erklären, mit denen mich diese Weiber betrachteten, wenn ich einmal gezwungen war, mich unter ihnen zu zeigen. Auf einem andern Gebiete, aber in ganz derselben lügenhaften Weise behauptet sie noch heut, ich sei bestraft gewesen und ihr Großvater habe mir aus diesem Grunde sein Jawort verweigerte. Das ist niederträchtige Erfindung. Er hat es niemals gewagt, diesen Gegenstand auch nur mit einem einzigen Worte zu erwähnen, und hatte hierfür seine guten, sehr triftigen Gründe. Erstens habe ich bei dem Tode seines vagabundirenden Sohnes eine gerichtliche Blamage, die

nur auf ihn zu fallen hatte, ganz allein auf mich genommen, und er war mir großen Dank für dieses schwere Opfer schuldig, welches ich nur unter dem Einflusse der Pollmerschen Dämonen auf meine Schultern lud. Und zweitens habe ich ihn selbst und noch vielmehr auch seine Enkeltochter vor dem Zuchthause bewahrt, als ich in der berüchtigten Schneiderschen Unterschlagungssache sie beide zwang, alle die gestohlenen Sachen, die Schneiders bei ihnen versteckt hatten, sofort herauszugeben. Der eine Hehler bekam, glaube ich, vier Jahre Zuchthaus; die beiden Pollmers hätte ganz unbedingt das gleiche Schicksal getroffen. Hierauf noch ein ganz besonderer Zug ihrer Dämonalität. Pollmers wohnten in der ersten Etage, seine Wirthsleute, brave, gute Menschen, die ihren Miethern nur Liebe erwiesen, im Parterr, vor dem ein kleines Vorgärtchen lag, in welchem Rosen und Blumen standen, an denen die Familie des Wirthes ihre Freude hatten. Eines Tages hatte die Wirthin irgend Etwas gesagt, was dem alten Pollmer nicht gefiel. Anstatt dies ehrlich zu sagen, nahm er eine heimliche und ganz unglaublich niederträchtige Rache. Er, der wegen seines schlimmen Asthma alle zwanzig Schritte stehenbleiben mußte, um Athem zu holen, stieg den höchsten dortigen Berg hinan, um in einer Schachtel Raupen zu holen. Die ließ er daheim ganz heimlich aus seinem Fenster auf die Rosen und Blumen herunterfallen und war mit seiner Enkeltochter, die dabei zusah, ganz entzückt über diese bequeme Art der Rache. Als ich kam, wurde es mir erzählt, und weder er noch sie konnte die Entrüstung begreifen, mit der ich diese Mittheilung entgegennahm. Das ist nur ein kleiner, unbedeutender Zug, aber er characterisirt sie auch im Großen. Ganz heimlich, heimlich verheerende -

verheerende Raupen in das Leben Anderer zu werfen, daß ist es, was diesen Dämonen am meisten behagt. Wie groß die Macht dieser Dämonen und wir stark ihr Wille ist, davon ein eclatantes Beispiel hier: Meine erste Frau sah in der Bahn eine Dame, die sehr lebhaft mit einer andern sprach und ihr derart gefiel, daß sie, nach Hause gekommen, sie ausführlich beschrieb und mir sagte: „Die muß meine Freundin werden! Ganz unbedingt!“ Zwei Tage später gingen wir in ein Conzert. Ich hatte für fünf Personen einen ganzen Tisch belegt. Es gab nur sechs Stühle; auf dem sechsten lag Garderobe. Kein Mensch hatte also weiter Platz; der nächste Tisch aber war nur erst halb besetzt. Das Conzert hatte schon begonnen, da sagte meine Frau, nach der Thür deutend: „Dort kommt die Dame, die ich haben will! Die muß hierher; paß auf!“ Die Dame war verheirathet. Sie schaute sich mit ihrem Manne nach zwei leeren Plätzen um. Ihre Blicke fielen auf den Nebentisch, wo solche Plätze waren. Sie gingen auf ihn zu und grüßten die daransitzenden Personen und fragten, ob es erlaubt sei, sich niederzulassen. Der Mann griff dabei nach zwei Stühlen und wollte sich schon niedersetzen, da aber drehte sich die Dame langsam und wie gezwungen nach uns um, kam ebenso langsam und gezwungen auf uns zu und sah meine Frau mit großen Augen an, ohne ein Wort zu sagen. Diese stand auf und machte den sechsten Stuhl von der Garderobe frei; ein siebenter wurde geholt, und die Beiden ließen sich bei uns nieder, obwohl ihre Plätze höchst unbequem waren, mit dem Rücken nach dem Saale und vor den Augen nur die ganz nahe Wand, und die Plätze am Nachbartische weit bequemer und besser gewesen wären. „Das ist toll!“ flüsterte mir mein Nachbar, -

Nachbar, der Hofrath P., zu. „Da drüben giebt es die schönsten Sitze, und hier, wo es keine giebt, drängen sie sich herein! So fremde Menschen! Das begreife ich nicht!“ Wenn er gewußt hätte, was für eine Macht der Wille meiner Frau besaß, so hätte er es begriffen. Diese Dame war – – – Frau Plöhn! In dieser Weise lernte sie ihre Dämonin kennen; sie war die Hypnotisirte, und das ist sie stets und immer gewesen, so lange sie mit ihr verkehrte!

In dieser Dämonin waren die stärksten spiritistischen, hypnotischen und suggestiven Kräfte zu einer Persönlichkeit vereinigt, von der ich mich innerlich und äußerlich zurückzuziehen hatte, wenn ich das grausame Schicksal vermeiden wollte, in die dunkle Tiefe vergangener Zeiten zurückzufallen. Ich durfte sie nur noch rein objectiv betrachten, als schriftstellerisches Sujet, als hochinteressantes, aber unendlich abstoßendes psychologisches Problem, dessen stilles, unbeobachtetes Studium mich befähigen sollte, dem Klopfgeisterspiritismus und ähnlichem Schwindel auf den Leib zu rücken. Das habe ich redlich gethan, es aber theuer, sehr theuer bezahlen müssen. Es ist dabei viel, sehr viel von meinem intellectuellen, aber auch rein pekuniären Vermögen draufgegangen, und, was noch viel schwerer wiegt, ich gewann durch dieses Stillsein und niemals aufgeregte Lauschen nicht nur bei meiner Frau und ihren Hetären, sondern auch bei andern Leuten den Anschein eines schwachen Characters, mit dem sie machen könne, was ihr beliebe, und wurde von ihr und dem jüngsten ihrer Bewunderer in Wirklichkeit für jenes „Strohmännle“ gehalten, als welches er mich in seinem Briefe bezeichnete.

Obgleich ich den spiritistischen Sitzungen, denen sie die suggestive Leitung gab, niemals beiwohnte, erfuhr ich doch jedes Wort, was da gesprochen wurde. Sie selbst erzählte mir Alles, wenigstens Alles, was mich betraf. Ich hatte infolge dessen eine niemals abreißende Reihe von psychologischen Merkwürdigkeiten und Seltenheiten zu vergleichen, zu bestimmen, festzuhalten, auszuscheiden, zu probiren und zu definiren, daß mir während dieser Beschäftigung mit den Schatten und Phantomen der Blick für das Concrete und Reale fast entging. Das war eine Unterlassungssünde, auf welche ich erst durch die Warnungen meiner Freunde aufmerksam wurde. Wir waren damals in Wien fünf Wochen lang die Gäste hocharistokratischer Häuser. Sie pflegte sich da zunächst sehr vorsichtig zu betragen, dann aber schnell in die Gepflogenheiten der Turnlehrerin Dittrich und des Karnikels Häusler zu verfallen. So erzählte sie im Salon einer alten, lieben Gräfin in Gegenwart anderer, noch höherer Damen, daß sie jetzt, im Hôtel, ganze Nächte lang am Fenster stehe, um das Leben und Treiben eines gegenüberliegenden Bordelles resp. Hurenhauses zu beobachten. Was das für einen Eindruck machte, kann man sich denken. Auch daheim kamen sehr oft derartige Dinge vor. So meldete sich die Herzogin von X. eines schönen Tages mit einigen Herren vom Hofe bei mir zum Kaffee an. Ich war starr vor Schreck, als meine Frau dabei in einer Toilette erschien, durch welche die Herzogin veranlaßt wurde, sich nur mit mir allein zu beschäftigen. Auch von den Herren wurde sie wohlverdienter Maßen vollständig übersehen. Trotzdem aber erzählt sie noch heute

einem Jeden, der Vergnügen daran findet, daß deren Augen nur immer entzückt und lüstern an ihrem schönen, vollen Busen gehangen hätten. „Die Männer sind eben alle nur Dummköpfe, Säue, Schweine und Esel!“ sagte sie. Es war also die höchste Zeit für mich, diesem laisser-aller ein Ende zu machen und ganz besonders gegen den spiritistischen Humbug vorzugehen, zu welcher sie alle ihre sogenannten Freundinnen verleitete, die gar nicht merkten, daß sie das nur that, um ihre dämonische Kraft zur Geltung zu bringen. Es giebt wohl keine einzige Bekannte von ihr, die nicht verführt worden ist, mit ihr spiritistisch zu sitzen. Auch jetzt, wo sie von mir geschieden ist und in Weimar wohnt, hat sie sich dort schleunigst an eine möglichst dicke, fette Künstlerin gekrallt, für die sie unter dem ihr verbotenen Namen „Frau Doctor May“ theure Lorbeerkränze kauft und, honny soit, qui mal y pense, die Anstands- und auch Ehrendame macht. Solche Anstandssitzungen pflegen bei ihr auf dem offenen Nachtstuhle zu beginnen, vor dem offenen Spiegel, um sich entzückt betrachten zu können, und mit der warmen Milchtasse in der Hand. Dann folgt das Mit-einander-in-der-Wanne-baden, woran sich nachher das Mit-einander-nackt-zu-Bette-gehen- schließt. Ob sie es bei dieser Künstlerin auch schon so weit gebracht hat, weiß ich nicht; aber meine dortigen Bekannten wissen ganz genau, daß sie ihren heißgeliebten Spiritismus treibt und sich von ihren Herren Geistern weißmachen läßt, daß ich sie noch immer glühend liebe und nur

darauf warte, daß sie komme und mich von meiner jetzigen Frau erlöse! Das erzählt sie so, daß ich es unbedingt erfahren muß und also in der süßen Hoffnung leben kann, von ihr gerettet zu werden! Das alte, niederträchtige Teufelsspiel! Meine jetzige Frau wird als das Medium hingestellt, welches mich bethört, ich aber als der grauenhafte Waschlappen, der von zwei Weibern ganz nach Belieben hin- und hergerungen wird, bis er auch den letzten Tropfen nicht mehr halten kann; sie aber, die Teufelin, ist das schneeglöckchenreine, unschuldige Opfer, dessen sich der Himmel doch erbarmen möge!

Es galt also, wie gesagt, gegen die Klopfgeister und ihren Anhang vorzugehen. Aber solchen Künsten und solchen Lüsten ist niemals auf geradem Wege beizukommen, denn sobald man diesen Fehler begeht, zieht sich das Laster und die Niedertracht nur noch tiefer in die Heimlichkeit zurück und treibt es da ärger als zuvor. Ich hütete mich daher, die spiritistischen Sitzungen direct zu untersagen, aber ich hing ihnen einen Mantel um, unter dem ich sie nach und nach verschwinden lassen konnte. Nach diesem Mantel brauchte ich gar nicht besonders und gar nicht lange zu suchen. Er bot sich mit ganz unauffällig und auch ganz von selbst, und zwar während meiner letzten, zweijährigen Reise in Afrika und Asien. Diese Reise war schon lange geplant, doch wurde ich mit ihren Vorbereitungen erst Ende 1898 fertig. Um diese Zeit, noch vor meiner Abreise, erfuhr ich, daß Frau Münchmeyer ihr Geschäft verkaufen wolle. Ich konnte das kaum glauben, denn ihr Mann hatte in seinem letzten Willen ja das Gegentheil angeordnet. Dennoch that ich meine Pflicht, indem ich ihr einen sehr

ausführlichen Brief schrieb, sie zu warnen. Auch packte ich die Briefe ihres Mannes und auch die paar ihrigen noch ganz besonders ein, verwahrte sie in dem schon erwähnten Schreibtischkasten und übergab sie und ihn der ganz besondern Obhut meiner Frau, indem ich ihr die Wichtigkeit dieser Skripturen so ernst und dringend wie möglich an das Herz legte. Ich war überzeugt, hiermit Alles gethan zu haben, um einer etwaigen Münchmeyerschen Büberei mit Nachdruck entgegentreten zu können. Ich muß hierbei noch ganz besonders erwähnen, daß sich unter den Münchmeyerschen Briefen der sogenannte „Schutzengel“ befand, ein Brief, für den meine Frau sich ganz besonders interessirte, weil Münchmeyer sie in demselben als seinen guten, schützenden Engel bezeichnet hatte.

Ich reiste nach Egypten ab und wurde von meiner Frau sowie auch von Herrn Plöhn und seiner Frau bis nach Genua begleitet. Von da reisten diese Drei über Südfrankreich nach Paris und von da nach Deidesheim, wo meine Frau bei einem Freunde von mir, dem Kommerzienrath Seyler, mehrere Wochen lang Gastin war; Plöhns aber fuhren heim. Meine Frau hat später, um Plöhns Ehre zu schädigen, behauptet, daß sie die ganze Reise aus ihrer Tasche bezahlt habe. Das ist eine infame Lüge, durch welche sich ihre Dämonalität auf das Treffendste charakterisirt! Herr Plöhn war stolz und ein Gentleman durch und durch. Niemals hätte er sich von einer Frau auch nur einen Pfennig schenken lassen, am allerwenigsten von dieser, die er nicht ausstehen konnte, die er nur meinetwegen bei sich duldete und von der er stets behauptete, daß es gefährlich

und erniedrigend sei, mit ihr zu verkehren. Wir beiden Familien lebten zusammen, als ob es nur eine einzige sei. Wir sagten du und du. Wir nannten uns Bruder und Schwester. Andere Leute wußten es gar nicht anders, als daß die beiden Frauen wirkliche Schwestern seien. Wir theilten Freud und Leid und waren stets darauf bedacht, einander die gegenseitigen Pflichten zu erleichtern. Aber in dieser Harmonie gab es einen Ton, einen einzigen, der nicht mit stimmte, und das war der, daß Herr Plöhn niemals und durch keine Bitte dazu zu bringen war, sich mit meiner Frau zu duzen. Er verachtete sie, oder vielmehr, es graute ihm vor ihr. Er verkehrte mit ihr, weil seine Frau es wünschte, aber nahe kommen durfte sie ihm nicht, weder innerlich noch äußerlich! Hierbei mag es sich bewenden!

Ich habe von meiner damaligen Orientreise und von den damaligen Beziehungen zu Münchmeyers hier in dieser psychologischen Studie nur das zu erzählen, was sich auf den Gegenstand dieser Studie, also auf meine Frau, bezieht. Ich hatte sie in Genua gebeten, direct heimzukehren und mir ihre Ankunft sofort nach Kaïro mitzutheilen. Anstatt dies zu thun, kam sie erst nach sieben Wochen dazu, mir das zu schreiben, was ich wissen mußte, um von Kaïro fortzukönnen. Dort kostete mich jeder Tag 40–60 Mark. So erging es mir während der ganzen Reise. Fast niemals war die erbetene Post vorhanden, wenn ich den betreffenden Ort erreichte. So hatte ich einmal in Jerusalem über drei Wochen, in Colombo ebenso lang und auf Sumatra noch länger auf Nachricht zu warten. Das erforderte von Padang aus mehrere Depeschen, für deren erste ich 364 Mark zu bezahlen hatte. Diese

Gewissenlosigkeit und Faulheit meiner Frau hat mich, die Zeitverschwendung gar nicht gerechnet, Tausende gekostet, und es hätte ganz unmöglich zu der fürchterlichen, zehn Jahre langen, öffentlichen Karl May-Hetze kommen können, wenn meine Frau auch nur ein einziges Mal ihre Pflicht gethan und die Postzeit innegehalten hätte. Daß ich überhaupt zuweilen ein Lebenszeichen aus der Heimath bekam, hatte ich nur Frau Plöhn zu verdanken, die ihr, wenn es allzu lange gedauert hatte, in das Gewissen sprach und aber auch dann noch den Brief meist selbst schreiben mußte. Und was die Versäumniß meiner kostbaren Zeit betrifft, so war ihr das im höchsten Grade gleichgültig. Sie wünschte, daß ich überhaupt nicht wiederkommen möge, und hat sich dann später die größte Mühe gegeben, mich mitten in der Pest- und Fieberzeit in die Wüste und nach Bagdad zu treiben, ein ebenso wahnsinniger wie mörderischer Gedanke, dessen Ausführung ganz unbedingt mein Leben gekostete hätte. Doch hiervon später! Wenn sie ja einmal mit eigener Hand an mich schrieb, so geschah es in der perversen, Pollmerschen Weise. So erhielt ich auf mehrere sehr ernste Briefe und Depeschen eines Tages den sogenannten „Krabbelbrief“, in dem sie mir mittheilte, daß der Geist Münchmeyers alltäglich des Nachts zu ihr in das Bett komme, um sie an den Geschlechtstheilen zu „krabbeln“ und dann Begattung mit ihr zu treiben. Mündlich fügte sie dann später hinzu, daß sie von den vielen Ergüssen ganz schwach und matt geworden sei. Das war der Dämon, der ächt Pollmersche! In dieser Weise pflegte sie mir grad in den schönsten und reinsten Augenblicken -

Augenblicken meiner Arbeiten zu kommen! Mich ärgern, mich eifersüchtig machen und sich dann über die Wirkung heimlich freuen! So ließ sie sich in Hohenstein als meine Frau von einem Comtoiristen Liebesbriefe fälschen, die angeblich aus Chemnitz kamen und beweisen sollten, daß sie mit dortigen Männern Verhältnisse habe. Ueber die Händel, die daraus entstehen sollten, wollte sie sich mit ihren Freundinnen ergötzen. Ich aber ging nicht auf den Leim. Ich entdeckte den Fälscher und bestrafte die Schwindlerin mit der ersten Ohrfeige, die sie je von mir erhalten hat – – – es ist aber auch die letzte gewesen. Auch Frau Plöhn und ihre Mutter wurden von ihr wiederholt aufgefordert, derartige Liebesbriefe zu fälschen, um mich in Wuth und Gluth zu bringen; sie lehnten aber ab!

Nach der endlichen Heimkehr meiner Frau von Genua hat sie sich zu Hause betragen, als ob ich überhaupt bereits gestorben sei. Vor allen Dingen wurde der Verkehr mit dem jetzigen Regierungsbaumeister inniger gestaltet. Er war der Verführte, der ihrer Kraft gehorchen mußte. Sie trieben Spiritismus mit einander. Ich habe ihm verziehen und wünsche nicht, daß ihm ein Leid geschehe. Ich glaube, er betet seine „Nscho Nschi“ noch heute heimlich an! Dann wurde Frau Häusler, das Kaninchen, eingeladen und blieb wochenlang bei ihr, um Spiritismus, Liebesbrunst und andere Dinge zu treiben. Auch die mannhafte, schlagfertige Frau Dittrich wurde herbeigezogen. Sie zeigte sich der durch meine Abwesenheit geschaffenen Situation augenblicklich gewachsen, indem sie

sofort für ihren ältesten Sohn, der sich, wie immer, in Geldnoth befand, 300 oder gar 500 Mark verlangte. Meine Frau wollte es sogleich geben, da aber trat Frau Plöhn dagegen auf. Sie sagte, daß sie nicht zugeben dürfe, daß dieser Frau, die mich durch ihre Kinder schon genug ausgebeutet habe, auch noch ohne mein Wissen Geld gegeben werde. Sie ahnte nicht, wieviel dieses Weib resp. ihre Jungens schon ohne mein Wissen erhalten hatten! Von jetzt an wurde das nun auch ohne Wisser der Frau Plöhn gemacht. Die Dittrich aber, von der sie bis dahin gedrückt, umarmt, geküßt und lobgehudelt wurde, spricht seit dieser Zeit nur negativ von ihr.

Es würde zu weit führen, wenn ich es unternähme, das Treiben, welches während meiner Abwesenheit in meinem Hause herrschte, zu schildern. Ich gehe für jetzt darüber hinweg und hebe nur zwei Ereignisse hervor, aus denen die Perversität und Hallunkenhaftigkeit meiner Frau in einer Weise hervorgehen, für die das richtige Wort wohl kaum zu finden ist. Nämlich eines Tages kommt sie ganz freudestrahlend zu Plöhns und sagt: „Heut habe ich mir aber eine Güte gethan! Ich habe unsern Trauschein in den Ofen gesteckt!“ Frau Plöhn und ihre Mutter sind ganz sprachlos gewesen; sie aber hat sich lachend die Hände gerieben. Ich muß erwähnen, daß ich nicht daheim war und dieser Furie also nicht die geringste Ursache zu dieser Vernichtung gegeben habe. Mehr brauche ich nicht zu sagen; die That spricht für sich selbst, oder vielmehr gegen sich selbst. Aber kein Mensch, der auch nur den geringsten Begriff -

Begriff von Mannesehre, Seelenharmonie und Pflicht und Gewissen hat, wird mir zumuthen, mit dieser Messaline auch nur eine einzige Stunde länger verheirathet zu bleiben, als durchaus nöthig ist!“

Aber es kommt noch schlimmer! Eines Tages erscheint sie wieder bei Plöhns und zeigt sich entzückt darüber, daß sie nun endlich einmal droben in meinem Schreibtische Ordnung geschafft habe. Sie habe die Kästen leer gemacht und Alles verbrannt, auch die Münchmeyerbriefe, und nun könne man doch wieder etwas Neueres und Besseres hineinlegen. Es sei den alten Briefen recht geschehen, über die sie sich doch immer so geärgert habe. Man kann sich denken, was für ein Entsetzen diese ihre mit lächelndem Munde vorgebrachte Enthüllung hervorrief. Man wußte ja, daß diese Briefe für mich einen schnell und glatt und unbedingt gewonnenen Prozeß bedeuteten! Auch ich war vor Schreck starr, als ich nach meiner Rückkehr von der Reise die Briefe brauchte und aus dem Munde der Missethäterin hörte, daß sie sie verbrannt habe, dazu einen zweiten Kasten voll Aufzeichnungen, die sich zwar nicht direct auf meine Münchmeyer-Romane bezogen, aber für einen eventuellen Prozeß gegen diese Firma von unschätzbarem Werthe waren. Es zuckte mir in den Händen, dieses niederträchtige Weib zu erwürgen oder zu erschlagen, aber ich raffte mich zusammen, sagte kein Wort, griff zum Hute und ging fort, hinaus in den Wald, um mich zur Ruhe zu sammeln. Damals glaubte auch ich an die Verbrennung, denn eine solche That war ihrer dämonischen Natur vollständig conform. Später aber versprach sie sich wiederholt, und es

gab während des Prozesses gewisse theils immer wiederkehrende, theils sich ergänzende Redewendungen, die in mir den Verdacht erweckten und bestätigten, daß die Briefe nicht verbrannt, sondern an Frau Münchmeyer ausgeliefert worden seien. Hierzu stimmten auch verschiedene Äußerungen Adalbert Fischers, welche dahin lauteten, man könne alte Briefe nicht gut genug aufheben, oder, man solle wichtige Briefe nicht Weibern anvertrauen. Den besten Beweis aber lieferte das Auftreten und Gebaren des Münchmeyerschen Anwaltes Gerlach, welches unmöglich wäre, wenn er nicht ganz genau wüßte, daß ich in Beziehung auf schriftliche Beweise vollständig ausgebeutelt bin und daß die einzige Zeugin meiner mündlichen Abmachungen mit Münchmeyer, nämlich meine erste Frau, sechsundzwanzig Jahre lang mehr an meiner Prozeßgegnerin als an mir selbst gehangen hat und nun jetzt durch die wohlverdiente Scheidung zu einer Rache erbittert ist, der ich Alles zutraue, was den Erfolg haben kann, diese Rache zu kühlen. Ich habe grad diesen Gedanken weiter unten noch zu berühren und einstweilen nur folgende Stelle zu unterstreichen: Meine Frau beraubte mich dieser beweiskräftigen Briefe genau zu derselben Zeit, in welcher die öffentlichen Angriffe der Presse gegen mich begannen und es also sicher war, daß ich die Firma Münchmeyer ganz unbedingt verklagen werde! Und Fischer, der Inhaber dieser Firma, brach mit seiner entsetzlichen, mich litterarisch und moralisch vernichtenden Schundreklame erst dann hervor,

als es diese meine Briefe nicht mehr gab! Und andere Briefe, die sie angeblich mit verbrannt haben wollte, waren nicht verbrannt, sondern ich fand sie in Gegenwart von Frau Plöhn zwei volle Jahre später sehr wohlverwahrt in einem alten Vertikow, bei alten Strümpfen, Wischlappen u. s. w. liegen! Sie hat nur einen einzigen von allen diesen Briefen zurückbehalten und heilig aufbewahrt. Das ist der bereits erwähnte, sogenannte „Schutzengel“, den sie brauchte, um einem Jeden, der es lesen wollte, zu beweisen, daß sie ein guter Engel sei. Er befindet sich jetzt mit bei den Akten.

Hier ist es Zeit, daran zu erinnern, daß ich meine Frau für meinen Todesfall als Universalerbin eingesetzt hatte. Sie wußte das. Sie hat das Testament nicht nur gelesen, sondern auch mit hinterlegt. Mein ganzer Erwerb, der, wenn ich nicht von Münchmeyers so fürchterlich betrogen worden wäre, jetzt mehrere Millionen Kapital betragen würde und aber auch ohnedies von Jahr zu Jahr zur Höhe wächst, ist einer wohlthätigen Stiftung gewidmet. Meine Frau sollte hiervon nach meinem Tode bis zu dem ihrigen den vollen Betrag der Zinsen genießen. Es wäre also mehr als ausreichend für sie gesorgt gewesen, und es gab nicht den geringsten Grund für sie, bei Lebzeiten überhaupt zu sparen oder gar mich fortgesetzt und heimlich zu bestehlen, um Geld auf die Seite zu schaffen. Sie that dies aber doch, und zwar in so kolossalem Maße, daß sie in verschiedenen Fällen 3 und 6 und 12 Tausend Mark auf einmal unterschlug. Um den Argwohn, der in mir aufstieg, von sich abzulenken, ließ sie den Verdacht des Betruges auf meinen Verlagsbuchhändler gleiten und griff

dabei zu der gewiß mehr als abgefeimten Gaunerei, den zwischen ihm und mir maßgebenden Verlagscontract mir aus dem betreffenden Kasten zu stehlen und verschwinden zu lassen. So beugte sie der augenblicklichen, wenn auch nicht späteren und schließlichen Entdeckung vor; das war ihr aber nicht genug. Ihre Gründe, mich überhaupt und nun gar in dieser Weise zu betrügen, obgleich ihre Zukunft beinahe fürstlich gesichert war, sind sowohl im Ganzen als auch im Besonderen nur in dem „Weib als Bestie“ zu suchen. Sehr wahrscheinlich kam hierbei auch der Wunsch in Betracht, auch schon vor meinem Tode über Beträge verfügen zu können, deren Besitz ihr gestattete, sich hinter meinem Rücken den mir verhaßten Lüsten hinzugeben.

Es war in Hinterindien, wo ich von daheim die Nachricht bekam, daß Freund Plöhn erkrankt sei. Sein Leiden gehörte zu der Art der Erkrankungen, bei denen ein längerer Aufenthalt im Süden geboten erscheint. Ich machte ihm also den brieflichen Vorschlag, mit unsern beiden Frauen nach Egypten zu kommen; ich wollte von den Sunda-Inseln aus direct nach Port Saïd dampfen und ihn im dortigen Hafen vom Norddeutschen Lloyd-Steamer abholen. Dieser Vorschlag wurde angenommen und der Dampfer, der sie bringen sollte, festgesetzt. Ich fuhr mit der Rotterdamer „Koen“ von da hinten ab und kam zur rechten Zeit in Port Saïd an. Aber als das Lloydschiff dann eintraf, waren die drei Erwarteten nicht zu sehen. Sie befanden sich überhaupt nicht unter den Passagieren. Ich telegraphirte nach Hause; ich schrieb, bekam aber keine Antwort. Dieses entsetzliche Warten und Schweben in peinigender Ungewißheit verschlang abermals -

abermals bedeutendes Geld. Ich that alles Mögliche, um zu erfahren, wo die drei Personen steckten. Endlich wurde mir der Name eines italienischen Ortes an der Riviera genannt, der aber so unbedeutend war, daß Niemand ihn kannte. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als hinüberzufahren und ihn mir zu suchen. Ich nahm mit Sejjid Omar, meinem arabischen Diener, Passage auf einem englischen Schiffe, welches nach Marseille ging. Wir hatten wüthenden Sturm, kamen aber glücklich an. Ich war schwer krank, fast ein Skelett, infolge der Anstrengungen und Entbehrungen der Reise. Von Marseille aus ließ ich den Telegraphen spielen. Es gelang mir, zu erfahren, wo meine Frau sich mit Herrn und Frau Plöhn befand. Ich telegraphirte ihr, daß ich in Marseille sei, und zwar schwer leidend; dennoch aber werde ich die Fahrt unternehmen; sie solle mir nach Nizza entgegenkommen und mich dort im Hôtel Métropol treffen. Ich kam dort an; sie war nicht da. Ich wartete; sie kam nicht und schrieb auch nicht! Da fuhr ich weiter und telegraphirte ihr den Zug, mit dem ich eintreffen werde. Des Abends kam ich an. Sie stand auf dem Bahnhofe. Wir stiegen aus. Ich aus der ersten und meine Araber aus der zweiten Klasse. Wie waren die einzigen Passagiere, die den Perron betraten, und fielen also auf. Sejjid Omar war ein hoch und stark gewachsener, junger Fellahi und nahm sich in seiner arabischen Tracht höchst stattlich aus. Meine Frau sah mit dem ersten Blick, daß er zu mir gehörte, denn er besorgte mein Gepäck. Das genügte, ihr ganzes Interesse sofort nur auf ihn zu lenken. Der Empfang, den ich fand, war keines Wiedersehens werth, und das einzige Interesse, welches sie für die beiden Neuangekommenen besaß, richtete sich anstatt auf mich, auf das hoch interessante arabische -

arabische Spielzeug, als welches sie den Diener betrachtete, der aber in seiner unendlichen Treue für mich und seinem schönen, orientalischen Stolze diesem Weibe nicht die geringste Spur der gewünschten Beachtung schenkte. Er konnte sie nicht ausstehen, denn er war ein unverdorbenes, unangekränkeltes Naturkind und stand als solches außerhalb des Einflusses einer sinnlichen, europäischen Frau.

Ich habe nicht nur überhaupt, sondern vor allen Dingen auch hier in dieser Studie wahr zu sein und muß daher zu meiner Beschämung gestehen, daß der Wunsch, Herr Plöhn möge mit den Frauen nach Egypten kommen, mir nicht nur von meiner Freundschaft für ihn eingegeben war, sondern auch noch einen anderen Grund hatte, der sich auf meine Frau bezog. Es ist wahr, daß Plöhns einander treu und innig liebten, daß sie außerordentlich glücklich mit einander lebten und daß besonders die Frau in einer so ganz und gar aufgehenden Weise an ihrem Manne hing, daß, falls ihr Mann zu sterben hatte, gewiß auch ihr baldiger Tod zu befürchten stand. Darum wünschte ich, er möge nach dem Oriente kommen und unter der Pflege seiner aufopferungsvollen Frau recht bald gesunden. Aber ich bezweckte zu gleicher Zeit damit auch eine seelische resp. moralische Gesundung und Erhebung meiner Frau. Dieser zweite Grund war mir natürlich noch wichtiger als der erste. Ich erhoffte von der Luft und dem Lichte des Orientes, von seinen Bauwerken und all seinen tausend andern Wundern einen so tiefen und so nachhaltigen Einfluß auf sie, daß es Gott möglich wurde, dann auch an ihr ein Wunder zu thun. Ich freute mich darauf, dieses Wunder still und heimlich zu

beobachten und nach besten Kräften zu unterstützen. Blieb sie aber auch dann noch der Dämon, der sie bisher gewesen war; wies sie auch dann noch alles Hohe, Edle, Reine und Schöne in der Weise von sich ab, wie sie es bis dahin abgewiesen hatte, so mußte ich sie für immer verloren geben, und es war schade um jeden Augenblick und jeden Pfennig, den ich auf ihre Umkehr noch verwendete! So hatte ich gedacht; so hatte ich gehofft, und nun ich mich jetzt bei ihr befand, fing es mir vor ihr zu grauen an, noch ehe sie den Fuß auf egyptische Erde setzte. Warum war sie nicht mit dem Lloyd nach Port Said gekommen? Warum hatte sie mich ohne alle Nachricht gelassen? Mir nicht den kleinsten Wink gegeben? Sich gradezu versteckt und mir so große Kosten gemacht? Eine einfache Postkarte nach Port Saïd hätte nur 10 Pfennige gekostet, mir aber viel verlorene Zeit und auch viel Geld erspart. Dieser letztere Verlust betrug gewiß mehr als 3000 Mark! Warum das Alles? Um dies herauszubekommen, beobachtete ich sie doppelt scharf und gab ihr, ohne daß es ihr auffiel, so oft wie möglich Gelegenheit, sich hierüber auszusprechen. Auf diese Weise erfuhr ich, daß sie nur mit größtem Widerstreben in diese Reise gewilligt hatte. Sie war allein daheim. Sie lebte wie eine freie Frau, die sich nichts zu versagen hatte. Alle Lüste und Vergnügungen standen ihr offen. „Frei will ich sein, vollständig frei von diesem Manne!“ hatte sie zu ihren Freundinnen gesagt. Nun war sie frei! Nun genoß sie Alles in vollen Zügen! Und da kam ich mit meinem albernen, verrückten Vorschlag an Herrn Plöhn und riß sie mitten aus dieser Freiheit und aus all diesem Glück heraus, um sie nach Egypten schleppen zu lassen und mit mei-

nen [meinen] gräßlichen Veredelungsbestrebungen von Neuem zu peinigen! Das brachte sie in Aufruhr. Aber sie mußte sich bezwingen. Sie durfte ihrem Grimme nicht Luft machen. Es handelte sich um Herrn Plöhns Gesundheit; da galt es, Mitgefühl zu zeigen. Aber je mehr sie das, was sie eigentlich dachte, zu verschweigen hatte, umso tiefer trieb ihr Haß gegen mich seine Wurzel und umso mehr war sie zu jeder That oder Unterlassung bereit, welche im Stande war, mir zu schaden, mich zu ärgern und sie also heimlich zu belustigen. Man reiste also von daheim ab, um in Genua zu Schiff zu gehen. Dort angekommen, wurde Herr Plöhn von einem Unwohlsein ergriffen, welches ihr außerordentlich gelegen kam. Sie wußte, was für einen großen Einfluß sie auf Plöhns Frau besaß, und setzte ihn sofort derartig in Bewegung, daß der Letzteren himmelangst um das Wohl und um das Leben ihres Mannes wurde. Man beschloß, erst Besserung abzuwarten und sich bis dahin an einem hübschen Punkte der Riviera festzusetzen. Daß man mich hiervon zu benachrichtigen hatte, verstand sich ganz von selbst. Ebenso selbstverständlich war es, daß nicht Herr oder Frau Plöhn, sondern meine Frau dies that. Sie that es aber nicht; sie unterließ es mit heimlicher Wonne, und so kam es, daß sie mich vollständig unterrichtet wähnten, während ich wochenlang in vollster Ungewißheit im schmutzigen aber theuren Port Saïd saß und dann im Seesturme über das mittelländische Meer hinüberfuhr, ohne zu wissen, wo das Weib steckte, dem ich alle diese großen, fast beispiellosen Opfer brachte. Und als es mir mit Aufbietung von sehr viel Zeit und Geld endlich

gelungen war, ihren Aufenthalt zu entdecken und ich ihr telegraphirte, kam sie mir nicht einmal die anderthalbe Stunde Fahrt bis Nizza entgegen, obwohl sie wußte, daß ich schwer krank war, ihr aber gar nichts fehlte! Das war der Anfang ihrer Rache dafür, daß ich es gewagt hatte, sie von der Seite des Karnickels, der Dittrich und aller andern masculin und feminin Geliebten zu reißen!

Fast schäme ich mich, zu gestehen, daß ich dennoch den Muth nicht verlor. Den „Dämon im Weibe“ und die „Furie im Weibe“, die hatte ich wohl kennen gelernt, aber noch nicht die „Bestie im Weibe“. Diese entsetzliche Bekanntschaft hatte ich erst noch zu machen; sie wurde mir nicht erlassen. Zunächst war ich krank. Ich konnte nicht weiter. Ich hatte mich erst zu erholen. Die strengste Schonung war geboten. Ich fand sie bei Plöhns, bei meinem rührend treuen Araber, bei diesem Weibe aber nicht! Es ist nicht meine Absicht, ganze Reihen von Ehescenen zu schildern, um nachzuweisen, wie man es anzufangen hat, einen kranken, fast widerstandslosen Mann zu Tode zu quälen, ohne daß andere Leute Etwas davon merken. Ich rettete mich täglich einmal auf einen hochgelegenen Punkt der dortigen Alpen. Ich nannte ihn, weil er einsam lag und einem Tempel gleich, „Mein Himmelreich“. Da schrieb und dichtete ich. Da entstanden die Grundlagen meiner „Himmelsgedanken“, deren erster Band bereits im Druck erschienen ist. Da oben in der reinen Höhenluft, in welche kein häßlicher Laut des niedrigen Lebens aufsteigen konnte, dachte ich auch von Neuem über den Spiritismus nach, mit dem meine Frau hier derart zu manipuliren begann, daß ich auf ganz besondere Abwehr denken

mußte. Sie zwang Frau Plöhn mit ihr zu sitzen. Man schrieb dabei. Was mir dann vorgelesen wurde, enthielt die tollsten, aber ächt weiblichen Phantastereien und Widersprüche und lief mit tödtlicher Sicherheit stets darauf hinaus, Herrn und Frau Plöhn ganz unbemerkt zu entzweien und ihnen den Geschmack an der Orientreise zu benehmen. Daß ich wieder hinübermußte, stand fest. Falls Plöhns nicht mitgingen, konnte auch sie verzichten und wurde wieder frei für Alles, was sie wünschte. Ich durchschaute das, kannte aber nicht die Gründe. Um diese kennen zu lernen, mußte ich schweigen. In diesem Schweigen dachte ich über eine ebenso stille wie wirksame Gegenwehr nach und fand sie einzig und allein in dem taktischen Bestreben, dieses gefährliche Weib spiritistisch zu isoliren und dadurch ihre Gifte zu neutralisiren, ohne daß sie fühlte und bemerkte, daß ihre suggestive und hypnotische Macht dadurch gebrochen werde. Ich rechnete dabei auf ihre außerordentliche Schreibfaulheit und auf ihren unüberwindlichen Widerwillen gegen Alles, was mit einer rein geistigen Anstrengung verbunden ist. Um keinen Preis durften die Sitzungen aufhören; sie mußten fortgesetzt werden, aber in anderer Weise, nämlich ein Jeder vom Andern getrennt, um ganz unabhängig auf sich selbst und auf sein eigenes Innere gestellt zu sein. Dann war zugleich auch der lächerlichen Klopfgeisterei Einhalt gethan; der sich bewegende Tisch kam ganz außer Spiel. Herr Plöhn, den ich in das Vertrauen zog, freute sich hierüber. Er war der Meinung, daß sich dabei aus dem spiritistischen Schwindel reine Denkübungen und Selbstbetrachtungen entwickeln würden, aus denen die beiden Frauen nur Nutzen schöpfen könnten.

Diese Letzteren gingen auf die Neuerung viel bereitwilliger ein, als ich gedacht hatte. Frau Plöhn war es überhaupt gewöhnt, keinen eigenen Willen zu haben; sie sagte sofort ja. Und was meine Frau betrifft, so war auch sie auffällig schnell einverstanden, als sie hörte, daß auch ich mich mit betheiligen werde. Ich hatte mich stets von den Sitzungen ferngehalten; nun aber war sie überzeugt, wieder Einfluß, nämlich spiritistischen, auf mich zu gewinnen und mich derart zu beherrschen, wie sie Frau Plöhn beherrschte. Der Verkehr mit den angeblichen „Geistern“ gestaltete sich nun also folgendermaßen: Die Fragen, welche sie beantworten sollten, wurden gemeinschaftlich aufgestellt. Das ergab eine sehr nützliche Gedankenconzentration; man wußte, was man wollte. Dann ging ein Jedes mit Papier und Blei an einen einsamen Ort, um über die Fragen nachzudenken und die Antworten aufzuschreiben. Wer da glaubte, daß ihm die Antworten von Geistern gegeben seien, der wurde in dieser Annahme nicht gestört. Wir beiden Männer aber wußten sehr wohl, daß es nur die Gedanken des eigenen Innern waren, doch fiel es uns gar nicht ein, dies zu sagen, weil dies die vortrefflichste Gelegenheit war, in dieses Innere zu schauen, ohne daß die Frauen es bemerkten. Was geschrieben worden war, wurde dann entweder im Plenum vorgelesen oder es ging von Hand zu Hand, wobei ich im Stillen dafür sorgte, daß eine Art von Wettstreit entstand, der sich auf die Frage richtete, wer von uns die hochsinnigsten und edelsten Geister habe. Infolge dessen gaben die Frauen sich alle Mühe, so musterhaft wie möglich zu schreiben. Das ging wie ganz von selbst auch auf das, was man sprach und that mit über, und so entwickelte

sich das, was ich beabsichtigte, nämlich eine Art von Veredelungsverkehr unter uns, der nicht ohne Segen blieb. Meine Frau begann, auf den guten Ruf und die hohe Sittlichkeit ihrer Pollmerschen Geister eifersüchtig zu werden und wachte über sie; das heißt natürlich, über ihr eigenes Denken und Thun. Die Reise nach dem Orient wurde jetzt mit andern Augen betrachtet; man hielt sie für sehr nöthig. Es sind damals von den beiden Frauen, besonders aber von Frau Plöhn, eine Menge sehr guter Gedanken zu Tage gefördert worden, und es geschah sogar das große, fast himmelblaue Wunder, daß meine Frau sich ein Buch anlegte, um sie niederzuschreiben und sich aufzubewahren. Es ist sogar wohl möglich, daß sie es noch besitzt. Frau Plöhn ist dieser Veredelung der eigenen Gedanken treu geblieben bis auf den heutigen Tag, selbst als sie zu der Erkenntniß kam, daß es sich hierbei keinesweges um spiritistische Geister, sondern nur um die Äußerungen ihrer eigenen Seele handelt. Wir stellen uns noch heutigen Tages allsonnabends die Fragen der vergangenen Woche auf, die ich noch abends beantworte, während sie dies dann am nächsten Morgen thut. Da werden die Antworten mit einander verglichen, die Irrthümer ausgeschieden, das, was gut ist, aber festgehalten, und also für die vergangene Woche ein klarer Abschluß, für die neue aber ein ebenso klares, ehrliches, freudiges Wollen erzielt. Der Pollmersche Geisterspuk ist verschwunden; nur unsere Seelen sind geblieben, unsere eigenen. Wir verkehren mit ihnen, indem wir sie uns in Gedanken personifiziren, obwohl wir recht gut wissen, daß wir selbst es sind, an den oder die wir schreiben.

Es handelt sich hierbei also um weiter nichts, als um die bekannte Fiktion griechischer und arabischer Philosophen, welche auf ganz dieselbe Art und Weise mit ihrer eigenen Psyche zu sprechen versuchten, um sich selbst kennen zu lernen.

Viel weniger nachhaltig hat es bei meiner Frau gewirkt. Sobald sie erfuhr, daß es sich hier um einen Verkehr mit der eigenen Gedankenwelt, nicht aber mit spiritistischen Geistern handle, warf sie Alles wieder von sich und kehrte zu ihren Dämonen und klopfenden Tischen zurück. Ich hatte inzwischen aber doch erreicht, daß die Reise endlich begonnen und so ausgeführt wurde, wie es die Umstände gestatteten. Ihre Wirkung auf Herrn Plöhns Gesundheit war vortrefflich; seine Frau fühlte sich unendlich glücklich darüber und beschäftigte sie mit sorgenfreierem Gemüth mit den Schätzen, die der Orient vor ihrem staunenden Auge entfaltete. Sie war in künstlerischen Anschauungen erzogen und hatte einen sehr guten, offenen Blick für Alles, was sich Köstliches ihr bot. Ich begann, zu erkennen, daß sie doch vielleicht nicht das „Gänschen“ sei, für das ich sie bisher gehalten hatte. Meine Frau aber sah von all diesen Herrlichkeiten nichts. Sie hatte keinen Sinn hierfür. Sie sah nur Steine, nur Sand, nur Dattelpalmen, nur Pferde und Esel und Menschen und weiter nichts. Und sie sah die Hôtelrechnungen! Da waren sofort die vielen Tausende vergessen, die ich ihretwegen unnütz hatte vergeuden müssen, und sie begann, mir jeden Pfennig und jeden Para, den ich ausgab, nachzuzählen. Damals ahnte ich es nicht, heut aber weiß ich es. Sie dachte an nichts weiter als nur daran, wie leicht sie mir dieses viele Geld daheim unterschlagen und wegstiebitzen

könne. Sie gerieth in einen täglich immer höher wachsenden Grimm darüber, daß ihr dies nicht mehr möglich sei. Sie war gradezu blind für den Gedanken, daß ich diese Ausgaben als Reiseschriftsteller zu machen hatte und daß sie sich mir später mit hundert und tausend Prozent verzinsten. Die alte Pollmersche Geldgier trat wie ein Gespenst zu Tage. Sie begann, nachzurechnen, zu zählen, zu feilschen, zu handeln, zu schimpfen, zu raisonniren. Sie blamirte uns täglich, oft sogar fast stündlich. Sie drohte mir dies Alles daheim wieder abzusparen. Die verschwundenen Dämonen stellten sich alle wieder ein, einer nach dem andern. Sie verletzte Herrn Plöhn, der außerordentlich feinfühlig war, so oft und so tief, daß in Folge des immerwährenden Aergers seine Krankheit sich wieder verschlimmerte. Den wiederholt gefaßten Gedanken, sich mit seiner Frau von uns zu trennen und direct nach Hause zu reisen, führte er nur aus Rücksicht für mich nicht aus. Darum eilte ich nun mit der Reise, um so bald wie möglich heimzukommen. Diese Eile war mir auch aus andern Gründen geboten. Frau Münchmeyer hatte an Adalbert Fischer verkauft, und dieser betrieb mit meinen Romanen einen derartigen Schund- und Posaunenlärm, daß die ganze Presse gegen mich in Aufruhr gerieth. Hierüber Aufschluß zu erhalten, war auch mit einer der Gründe gewesen, die mich bestimmt hatten, meine Frau mit Plöhns nach Egypten kommen zu lassen. Anstatt sich zu beeilen, weil es sich um meinen Ruf handelte, hatte sie sich Monate lang an der Riviera festgesetzt und mir dann den Stand der Dinge nur so weit mitgetheilt, wie sich

mit ihrer Sicherheit vertrug.

Meine erste Frage, als ich mit ihr zusammentraf, war, ob sie die Münchmeyerbriefe heilig aufgehoben habe. Sie antwortete bejahend, und als ich die Frage ihrer Wichtigkeit wegen wiederholte, wurde sie grob. Und doch hatte sie sie verbrannt, ganz absichtlich verbrannt, oder, was noch wahrscheinlicher ist, der Frau Münchmeyer ausgeliefert! Sie wußte, wenn ich das erfuhr, würde ich sofort nach Hause reisen. Sie stellte also die Lage so ungefährlich wie möglich dar und verbarg ihre Angst, die sie selbst empfang, wenn sie an die Folgen ihrer That dachte. Sie hatte das, was sie that, nur der Frau Münchmeyer zu Liebe gethan und gerieth in die größte Sorge, als sie die Fischerschen Ungeheuerlichkeiten sah, die so groß und öffentlich aus dieser ihrer That erwuchsen. Es galt ihr vor allen Dingen, zunächst nur Zeit zu gewinnen und mich um Gotteswillen jetzt nur nicht heim zu lassen. Darum hatte sie sich, um die Sache möglichst zu verlängern, so lange an der Riviera festgesetzt, um die Reise möglichst auszudehnen. Um dieser Verlängerung willen weigerte sie sich zuerst, die Riviera zu verlassen. Und aus ganz demselben Grunde brach sie dann ohne fernern Widerstand mit auf, sobald sie eingesehen hatte, daß ich nicht zu bewegen sei, sie nach Hause zu schicken und die Reise ohne sie fortzusetzen. Später dann, als Hiobspost auf Hiobspost aus der Heimath kam und ich mich infolge dessen mit der Reise beeilte, wurde sie von ihrer Angst getrieben, diese Eile so viel wie möglich zu hemmen. Nur so spät wie möglich heim, denn dann kommt die Katastrophe! Das war der Gedanke, der sie nun leitete. Und darum gerieth

sie, ihren Geiz ganz abgerechnet, bei jeder größern Ausgabe, die ich machen mußte, aus Furcht in Wuth, denn je eher das Reisegeld zu Ende ging, desto eher mußten wir heim!

Ich merkte sehr wohl, welche Mühe sie sich gab, verzögernd zu wirken. Ich konnte mir diesen Umstand, der mit ihrer Geldliebe nicht in Einklang zu bringen war, nicht erklären und schrieb ihn nur ihrer stets perversen Handlungsweise zu. Da aber geschah während unsers Aufenthalts in Damaskus Etwas, was mir doch nach den Augen griff, um sie mir wenigstens halb und halb zu öffnen. Dort sprach man nämlich von der Gefährlichkeit des Karawanenweges, der von Damaskus durch die Wüste Scham nach Bagdad führt. Die in dieser Wüste streifenden Araber standen im Kampfe mit einander. Jeder Europäer, der sich jetzt hin gewagt hätte, wäre verloren gewesen! Dazu die jetzige heiße Jahreszeit, die jeden Halm zerstört und neben der Leichenpest den Hungertod und die mörderischeste asiatische Dysenterie erscheinen läßt! Der unbedingt sichere Tod für Jeden, der so wahnsinnig ist, diese Tour um die jetzige Zeit zu unternehmen! Man sprach hiervon während des Mittagsessens bei Basrani, der diesen Namen führt, weil er aus Bassora stammt. Er kannte die geschilderten Gefahren also sehr genau. Ich war mit meinem Tischnachbar, einem türkischen Oberst, so tief in ein Gespräch über osmanische Zustände verwickelt, daß meine Frau glaubte, ich habe nicht auf diese Reden geachtet. Ich hatte sie aber doch gehört und bin über die Verhältnisse der Wüste Scham derart unterrichtet, daß ich auch ohnedies gewußt hätte, was dort zu erwarten war. Wie erstaune ich, als meine Frau mich nach dem Essen frug, wann ich denn eigentlich meine Reise -

Reise nach Bagdad antreten werde. Ich müsse doch unbedingt hin, weil auf der dortigen Post sehr viel Briefe für mich liegen; sie wisse das genau. Ich traute meinen Ohren nicht. Ich sagte ihr, daß Europäer jetzt nur auf dem Tigrisschiff von Süden her nach Bagdad gehen dürften, auf dem Wege von Damaskus her aber der Tod in allen Gestalten auf sie lauere. Sie brachte alle möglichen Einwürfe, sogar die allerdümmsten. Ich hörte und sah, daß sie mich absolut in diese Gefahr senden wolle, und erklärte ihr schließlich mit aller Bestimmtheit, daß ich erstens für eine solche vierzigtägige Reise durch die brennende Wüste schon viel zu abgeschwächt und angegriffen sei und daß ich überhaupt nicht mehr nach Bagdad könne sondern nach Hause müsse, weil mein Reisegeld nur noch in 5000 Mark bestehe, die zu einem solchen Unternehmen viel zu wenig seien. Da brach bei ihr die Angst vor meiner Heimkehr und die Wuth durch. Sie brüllte mich an, daß daran meine bisherigen Ausgaben schuld seien. Wenn ich besser gewirthschaftet hätte, so würde ich jetzt Geld genug haben und nicht wie ein dummer Junge dastehen, der sich vor einem Bischen Sand und Wärme fürchtet und wegen der albernen, ganz unschädlichen Ruhr in ein Angstgeheul ausbricht. Mein arabischer Diener stand dabei und machte ganz große, entsetzte Augen. Er fühlte, daß mich dieses Weib gradezu in den Tod schicken wollte. Wenn ich an jene Tage in Damaskus und an die darauf folgenden in Beirut denke, fällt mir der Ausspruch eines mir sehr befreundeten Arztes ein, der sie seit Jahren kennt und von ihr und ihresgleichen sagte: „Solche Bestien sollte man einsperren, um sie unschädlich -

unschädlich zu machen, anstatt sie auf die Menschheit loszulassen!“

Mir begann, ein Licht aufzugehen. Ich fragte sie, ob die Münchmeyerbriefe wirklich noch da seien, denn sofort nach meiner Heimkehr werde der Prozeß beginnen. „Die alten Wische?“ antwortete sie. „Es fällt mir gar nicht ein, die anzugreifen! Ueberhaupt solche Fragen verbitte ich mir!“ Das beruhigte mich nur halb. Ich beschleunigte die Abreise von Damaskus. In Beirut mußte ich noch einmal länger verweilen, weil ich mich da von meinem Diener trennte, den ich per Schiff in seine Heimath sandte. Während dieser Tage gab es einen bittern, eigentlich herzbrechenden Kampf zwischen mir und ihr. Sie wußte, daß es in Beirut die letzte Möglichkeit gab, mich los zu werden. Ging es von hier fort, so war Alles zu spät. Darum wurde auch Alles versucht. Sie fürchtete sogar die größte Unvorsichtigkeit nicht und auch nicht die Gefahr, nun völlig durchschaut zu werden. Mir wurde um mein Leben himmelangst. Es gab eine Angst und eine Wuth in ihr, die zu Allem fähig war. Ich getraute mich nicht, mit ihr zusammen zu wohnen. Sie bekam im Hôtel ein besonderes Zimmer, zwar das schönste, was es gab, doch von dem meinen vollständig abgelegen. Und während der ganzen Heimreise durch Kleinasien, Griechenland und Italien habe ich von ihrer Hand keinen Bissen mehr gegessen, außer wenn sie selbst auch davon aß oder wenn ich ganz genau wußte, daß sie nichts dazu hatte thun oder daran machen können. Als wir dann nach Hause kamen, stellte sich zu meinem Entsetzen heraus, daß die Münchmeyerbriefe und auch die andern Prozeßunterlagen -

Prozeßunterlagen verschwunden waren. Sie leugnete erst, war aber den Thatsachen gegenüber denn doch gezwungen, die Sache einzugestehen. Ein Anderer hätte sie todtgeschlagen; ich habe sie nicht angerührt. Ich konnte mir diese That gar nicht erklären, auch nicht durch ihre Perversität. Erst später, als sich herausstellte, wie sehr und wie hoch ich von ihr bestohlen worden war, trat der nexus rerum auch in dieser Beziehung für mich an das Tageslicht. Aber diese Erkenntniß konnte den ungeheuern Schlag nicht mildern, der mich getroffen hatte. Ich habe ihn heut noch nicht überwunden und werde ihn niemals überwinden können. Hätte ich die Briefe gehabt, so wäre der Münchmeyerprozeß in einem einzigen kurzen Schlage entschieden gewesen, so aber hat er mich meine Ehre, meine Gesundheit, eine Reihe von Lebensjahren und, das muß auch gesagt werden, Geldsummen gekostet, die mir Niemand zu ersetzen vermag!

Das Leben, welches nun daheim für mich begann, ist nicht zu beschreiben. Es war eine Hölle! Ich hatte mich öffentlich gegen die Angriffe der ganzen Zeitungswelt, in dem Prozesse gegen die Verlogenheit und Niederträchtigkeit der Münchmeyerei und im eigenen Hause gegen die Perversitäten eines Weibes zu wehren, von dem ich immer mehr und mehr die Ueberzeugung gewann, daß es auf meinen Tod hinarbeite und nur aus Furcht vor der Entdeckung davon absehe, eine directe, gegen mein Leben gerichtete That zu begehen. Ich hörte, wie sie es während meiner Abwesenheit daheim getrieben hatte. Ueberall stieß ich auf Erinnerungen daran. Das sogenannte „nackte Zimmer“ strotzte hiervon. Sie selbst hatte der Stube diesen Namen gegeben, weil sie da morgends -

morgends [sic!] und abends vollständig entkleidet auf dem Nachtstuhle vor dem Spiegel saß, um in perversester Weise ihre Nothdurft zu verrichten und dabei ihren nackten Körper nach allen Richtungen hin zu bewundern und anzubeten. Dort fand ich die Spuren des Verkehres, den sie während meiner Abwesenheit gepflegt hatte, und dort war auch der Nachschlüssel zu meiner Bibliothek und meinen übrigen Räumen versteckt, den sie sich heimlich hatte anfertigen lassen, um mich während meiner Reisen, Spaziergänge u. s. w. auszurauben. Es war nachgerade nicht nur schlimm, sondern lebensgefährlich und ekelhaft geworden. Ich schlief nicht mehr in demselben Zimmer mit ihr, sondern droben in einer kleinen, niedrigen Bodenkammer, die nicht einmal mehr reingehalten wurde, wenn ich nicht selbst dafür sorgte, daß es geschah. Dabei hatte die Bestie gar keine Sorge, von mir hinausgeworfen zu werden. Wenn ich einmal eine hierauf bezügliche Andeutung machte, da lachte sie und sagte: „Euch Männern braucht man ja nur die Finger hinzuhalten, da klebt Ihr wieder dran!“ Oder sie drohte mir: „Wage es doch! Da wende ich mich öffentlich in den Zeitungen an Deine Leser; da wirst Du wohl sehen, was dann geschieht! Ich sage Alles! Ganz genau so wie Münchmeyers!“ Man wird mich wohl begreifen, wenn ich das entsetzliche Joch lieber weiter trug, als daß ich zu allen Vorwürfen, mit denen man mich überhäufte, auch noch den gesellte, daß ich „meine gute, brave, edle Frau“ dem Elend und dem Hunger preisgegeben habe! Und ebenso wird man begreifen, daß ich nicht die geringste Lust hatte, dieses höchst gefährliche

Frauenzimmer mit in den Prozeß zu ziehen, etwa als Zeugin gar, der gegen ihre geliebte Lehrerin und Freundin gerichtet war. Die allerkleinste ihrer vielen perversen Launen war da im Stande, mich zu verderben. Ich habe stets gewünscht, daß die Münchmeyer den Eid bekomme, denn ich wußte, daß mir im andern Falle die Anzeige wegen Meineid drohe. Und ich habe mich sehr lange Zeit dagegen gewehrt, meine erste Frau als Zeugin anzugeben, weil ich sehr wohl wußte, daß ihr die Münchmeyer höher und näher stand als ich selbst. Zwischen perversen Weibern herrscht ganz unbedingt eine gewisse Art seelischer Freimaurerei. Sie erkennen einander an den stets erregten Nasenflügeln und an dem geilen Lächeln, welches niemals schwindet. Und sie halten fest zusammen, selbst wenn sie keinen sichtbaren Nutzen davon haben. Gegen ihre Gemeinheiten kommt selbst der edelste, reinste Mann nicht auf, weil sie ihn erst herunterziehen und beschmutzen, bevor sie sich auf ihn stürzen!

Also, der Münchmeyerprozeß hatte begonnen, doch aber ganz anders, als von mir geplant worden war. Ich hatte Schlag auf Schlag und Hieb auf Hieb auf die Gegner führen wollen, aber mein eigenes Weib hatte mich der hierzu gehörigen, jahrelang sorgfältig bewahrten Waffen beraubt! Und nicht genug hiermit; sie wirkte auch noch in anderer Weise theils offen und theils heimlich gegen mich, um der Münchmeyer beizustehen. Sobald es mir gelungen war, einen Einblick in die Münchmeyerschen Unterschlagungen und in den Münchmeyerschen Feldzugsplan zu gewinnen, und sobald ich einzusehen begann, daß der Geschäftskauf zwischen Frau Münchmeyer und Adalbert Fischer weiter nichts als eine Faxe sei, allerdings eine für mich sehr ernste, stand es bei mir fest, daß diese Angelegenheit -

Angelegenheit nicht vor das Civil- sondern vor den Staatsanwalt und vor das Strafgericht gehöre. Ich war entschlossen, diesen andern, richtigen Weg zu beschreiten, stieß aber da bei meiner Frau auf einen derartigen Widerstand, daß ich mich darüber entsetzte. Sie geiferte förmlich Gift. Sie drohte mir für den Fall, daß ich diesen Plan ausführe, mit allem Möglichen. Sie hatte Angst, wegen der Münchmeyerbriefe mit in das Criminalverfahren gezogen und dafür bestraft zu werden. Sie fürchtete die sich hieraus ergebende Ehescheidung und sagte, daß sie hiergegen wie eine Löwin kämpfen und einen so großen Zeitungsskandal hervorrufen werde, daß ich ganz unbedingt verloren sei. Sobald es sich um eine Scheidung handle, sei ihr Alles gleich, ob gut oder schlecht, ob lebendig oder todt! Ich sah und hörte, daß nicht etwa nur die augenblickliche Aufregung aus ihr sprach, sondern daß es der entsetzlichste, perverseste Ernst war, der mir drohte, und daß sie gegebenen Falles keinen Augenblick zögern werde, diese Drohung wahr zu machen, sogar auch diejenige, die in den Worten lag „lebendig oder todt!“ Die Sorge für meine Ehre und für mein Leben rieth mir also, den Rückzug anzutreten, und ich that dies unter dem Vorhalte, daß es auf meinen Rechtsanwalt ankommen werde, ob ich auf dem Civilwege bleiben oder den criminellen einschlagen werde. Von diesem Augenblicke an hing sie sich an diesen meinen Anwalt und an dessen Frau, die beide von der suggestiven Macht dieses Weibes nichts ahnten, von einer solchen Macht überhaupt noch keine Vorstellung hatten und darum sehr bald derartig unter ihrem suggestiven Einflusse standen, daß der Anwalt mir nur

erst immer nach langen Erklärungen und Debatten zeigen konnte, daß er jetzt rein bei der Sache sei und mich nun verstanden habe. Er kam, um die Schriftsätze vorzubereiten, sehr oft zu mir nach Radebeul heraus, wobei sie jede Gelegenheit benutzte, ihn zu verwirren. Sie gab sich alle Mühe, seine Freundschaft und sein Vertrauen zu gewinnen. Sie hat Beides nie besessen. Aber als sie glaubte, dies erreicht zu haben, wußte sie ihn, wenn ich nicht anwesend war oder mich einmal entfernt hatte, mit schlau berechneten Einwürfen und irreführenden Fingerzeigen derart zu beeinflussen, daß er schließlich zu dem Resultate kam, mir den Criminalweg als nicht angänglich zu bezeichnen. Als sie das erreicht hatte, versuchte sie, den Anwalt auch im Civilverfahren derart zu bearbeiten, daß mir davor angst und bante wurde, sie als Zeugin gegen ihre Freundin Münchmeyer anzugeben. Ich bat den Anwalt, dies zu unterlassen; ich wolle den Schwur ja Frau Münchmeyer lassen und würde den Prozeß gewiß auch gewinnen, ohne meine perverse Frau mit hineinzuziehen. Ich glaube, er hat infolge dessen hierauf davon abgesehen, dem Gericht ihre Adresse mit anzugeben, falls er sie schon kannte, und bei ihrer Vernehmung in Weimar am eigenen Leibe erfahren, wie recht ich hatte, als ich ihn vor dieser Canaille warnte. Sie hat sich da, um sich für die Scheidung an ihm zu rächen, ganz gegen seinen Willen wie eine Klette an ihn gehängt, um durch ihr lautes, auffälliges Gebahren den Anschein zu erwecken, als ob er sich vertraulich zu ihr stelle. Das war so ihre diabolische Art! Daß sie später doch noch als Zeugin vernommen wurde, war mir gar nicht lieb, und es ist ein wirkliches Wunder, daß sie trotz ihrer perversen Affecte für die Münchmeyer und trotz ihres glühenden Verlangens, an mir und meiner jetzigen Frau Vergeltung zu üben, der Wahrheit schließlich doch die Ehre gegeben hat!

Der gegnerische Rechtsanwalt Gerlach hat nach meiner Scheidung von diesem Weibe in seiner allbekannten Art und Weise die Behauptung aufgestellt, ich habe mich nur deshalb von ihr scheiden lassen, um eine vollgültige Zeugin für mich zu gewinnen. Dies ist zwar weiter nichts als eine wohl ausgedachte, advokatorische Finte, welche den Zweck hat, die Münchmeyer und meine geschiedene Frau von gewissen Verdachtsmomenten zu entlasten, mich aber umso tiefer hineinzulegen, denn ich Wahrheit spielen diese beiden Frauen einander sehr auffällig in die Hände; er weiß aber ebenso genau wie ich, wahrscheinlich sogar noch genauer, daß sie mir grad durch diese Scheidung zu einer ebenso grimmigen wie rücksichtslosen, verschlagenen und unerbittlichen Feindin geworden ist, die weder Gewalt noch List und Verstellung scheut, ihre Rache an mir, vor allen Dingen aber an meiner jetzigen Frau zu nehmen.

Diese Frau, nämlich meine jetzige, ist mir – ich sage es offen und der Wahrheit gemäß – geradezu zur Lebensretterin geworden. Ohne sie wäre ich längst todt, und die Münchmeyer hätte das Ziel erreicht, nach dem sie mit allen ihren Kräften und allen möglichen Mitteln strebt, nämlich michkaput zu machen!“ Daß dies von je ihr Ziel gewesen ist, hat Adalbert Fischer in eigener Person vor Gericht als Zeuge verrathen. Meine geschiedene Frau hat auf dasselbe Ziel hingearbeitet, und zwar nicht etwa nur aus eigenem Antriebe und auf eigene Faust. Sie hat das Beispiel und die Lehren der Frau Münchmeyer befolgt. Sie hat, ohne sich dessen bewußt zu sein, die Rache in die Hand genommen, die Frau Münchmeyer mir schwor, als ich es wagte die Hand ihrer Schwester auszuschlagen. Die Rache dieser Frau hat es also so weit gebracht, daß das Mädchen, welches ich dieser Schwester vorzog, jetzt schon halb vernichtet -

vernichtet und längst von mir geschieden ist. Sie wird es höchst wahrscheinlich auch noch so weit bringen, daß sich die Bestie den eigenen Ast, auf dem sie sitzt, absägt und dann vollends und ganz zu Grunde geht, zur völlig congruenten Strafe dafür, daß sie sich jahrelang die größte Mühe gegeben hat, mich straflos auszulöschen, wie man eine Lampe auslöscht, deren Docht man heimlich immer tiefer schraubt. Das hat sie wirklich gethan! Und zwar mit voller Absicht! Mit beispiellosem Raffinement! Und mit einer Ausdauer, die keine Pause des Erbarmens kannte! Ich bin jahrelang ein Langsam-Sterbender gewesen. Ich war dem Schicksal ausgesetzt, körperlich und seelisch zu verhungern und verkummern zu müssen. Daß dies nur bis zu einem gewissen Grade, nicht aber ganz geschah, das habe ich meiner überaus kräftigen, widerstandsfähigen Constitution und meiner jetzigen Frau zu verdanken, die sich im letzten Augenblicke meiner erbarmte und mit unendlicher Geduld und Aufopferung meine schon fast abgestorbenen Verdauungswerkzeuge zwang, wieder lebendig thätig zu werden. Sie hat sich meiner schweren Erkrankung wie eine Pflegerin von Beruf, wie eine barmherzige Schwester angenommen, und der erste und eigentliche Grund, daß wir die Ehe schlossen, war nur der, daß, wenn mir das Leben erhalten bleiben sollte, die Pflege eine so unausgesetzte und so aufopfernde sein mußte, wie sie eben nur in der Ehe möglich ist, außerhalb der Ehe aber den Klatsch und Tratsch der lieben Nächsten hervorzurufen pflegt. Also ist es wieder nur meine erste Frau allein gewesen, die mich direct zur Scheidung und hierauf indirect zur zweiten Ehe getrieben hat.

Es war ein großes Glück, daß dieses Weib nach und nach immer kühner, frecher und unvorsichtiger wurde, so daß

ich blind und taub hätte sein müssen, um nicht durch Wort und That gewarnt zu werden. Ich nenne absichtlich Wort und That. Was das Erstere, das Wort betrifft, also die Reden, die sie führte, so gehe ich an ihrem niederträchtig gemeinen Wortschatz vorüber, den sie sich von den Weibern, mit denen sie verkehrte, zusammengetragen hatte. Es würde mich schamroth machen, auch nur ein halbes Dutzend solcher Ausdrücke hier vorzuführen. Sondern ich beschränke mich auf gewisse Redensarten, die derart klangen, daß sie mir zur Warnung dienten. Sie brauchten mir von keinem Menschen zugetragen zu werden, sondern ich bekam sie selbst zu hören, und zwar so häufig, daß sie mir im Gedächtnisse hängen bleiben mußten. Entweder wenn ich still im offenen Nebenzimmer saß und sie das nicht wußten. Meist aber dann, wenn sie mit diesen Frauenzimmern stundenlang in der Veranda Klatsch und Verleumdung trieb und ich grad oben darüber auf den Balkon war und jedes Wort sehr deutlich hörte. Die Erfahrungen, die ich da machte, trieben mich schließlich zur List. Ich that, als ob ich ausgehe, ging aber nicht, sondern blieb daheim. Später that ich dann, als ob ich wiederkäme. Was ich da hörte, war mehr als genug. Sie bedauerte nicht etwa, mich geheirathet zu haben, o nein; sie war ganz im Gegentheile sehr stolz darauf; aber es ergrimmte sie, daß dies nicht hatte geschehen können, ohne daß sie ihre Mädchen-„Freiheit“ dabei eingebüßt hatte. Sie verstand hierunter den ungestörten und unbeschränkten Genuß alles dessen, was ihr gefiel, besonders den geschlechtlichen, den sexuellen Verkehr mit allen seinen besonderen Finessen und Delikatessen. Es empörte sie, daß ich

genau so, wie bei Tische, auch in dieser Beziehung nur für die einfache, gesunde Hausmannskost zu haben war und alle Farcen, Saucen, Ragouts und ähnliche Dinge haßte. Leider aber wurde Jeder, der solche Natürlichkeit und Anspruchslosigkeit übte, von diesen Weibern, besonders aber von der lieben Meinigen, sehr einfach als „Scheißkerl“ bezeichnet. Ausrufe wie: „Wenn ich den nur loswerden könnte!“ waren mehr als oft zu hören. „Ich will den Saukerl nicht mehr sehen!“ „Er ist mir zum Ekel, er muß fort!“ „Ich schmeiß ihn noch hinaus, aber bald!“ „Und der verlangt, daß ich ihm das Fressen kochen soll!“ „Es ist mir gradezu eine Wonne, ihn todtzuärgern!“ „Der treibt mich mit seiner albernen „Menschenveredelung“ noch zum Äußersten! Das dulde ich nicht! Um keinen Preis!“ „Ob der frißt oder nicht, ist mir ganz gleich; ich brauche ihn nicht!“ „Andere sterben, der aber nicht, der ist zähe!“ „Den mach ich noch so klein, daß man ihn gar nicht mehr sieht!“ „Die Frau Münchmeyer war gescheidter als ich! Die mauste ihrem Manne das Geld gleich tau[ ] Mark-weise und noch mehr! Die ließ ihn nicht in die Küche, nicht in die Kammer und nichts ins Bett! Die hatte das Heft in den Händen! Sie hatte die ganze Villa; ihn aber steckte sie hinüber ins Seitengebäude, in eine leere Stube. Da spielte er Violine und fraß Kuchen dazu. Nun ist sie ihn los, und das ganze Vermögen gehört ihr! Unsereinem wird es nicht so wohl; man ist zu dumm und zu gut dazu!“ „Erst lief der Kerl, wenn ich ihn ärgerte, in die Kneipe! Jetzt aber bleibt er daheim, sagt nichts und schließt sich ein! Er spielt den Heiligen; das paßt mir schlecht!“ „Er raisonnirt übers Futter. Für den ists gut genug!“ „Ich freß nicht mit ihm; ich mach mir stets was Anderes!“ „Das ewige Kochen für den Kerl! Er mag sichs wärmen -

wärmen lassen!“ „Er frißt fast gar nichts mehr. Das macht mir Spaß!“ „Er schläft nur noch in der Bodenkammer. Damit will er mich kriegen; ich lach ihn aber aus!“

Das ist so eine Blüthenlese der Reden, die sie führte. Ich könnte sie verlängern, sehe aber davon ab; es sind der Worte genug. Und was die Thaten betrifft, so ist festzustellen, daß sie fast jeden Abend abwesend war und erst spät nach Hause kam. Da hatte sie regelmäßig Kampfeslaune und kam zu mir, um sie an mir auszulassen. Dann ging sie in ihre „nackte Stube“, zog sich aus, setzte sich vor dem Spiegel auf den Nachtstuhl und betastete und bewunderte sich stundenlang, bis der Schlaf sie endlich zwang, sich niederzulegen. Es war nach einer so späten Heimkehr, als sie zu mir in das Arbeitszimmer trat, sich an den warmen Ofen lehnte, mich abkanzelte wie gewöhnlich und dann plötzlich anfing, von Säuren, Giften und ähnlichen Dingen zu sprechen, und zwar mit einem Interesse, welches mich erschrecken ließ. Sie war bei Plöhns gewesen. Herr Plöhn hatte als Besitzer der „Sächsischen Verbandstofffabrik“ stets auch mit Giften zu thun. Er besaß einen bedeutenden Vorrath davon und hatte den Frauen heut Abend ein sehr ausführliches Privatissimum über diese gefährlichen Stoffe und ihre Wirkungen gehalten. Er ahnte nicht, was so Etwas bei meiner perversen Frau zu bedeuten hatte. Sie war ganz Feuer und Flamme. Der Gegenstand interessirte sie so außerordentlich, daß sie ihn auffällig oft berührte, bis sie merkte, wie erstaunt ich darüber war. Sie sprach davon, wie leicht es bei Plöhns sei, als Freundin, die überall hin könne, über diese Gifte zu gerathen. Sie holte die ärztlichen Bücher und die alten Hausapotheken ihres Großvaters

hervor und studirte an den Medikamenten herum, die diese Gifte glücklicher Weise nur in homöopathischer Verdünnung enthielten. In ihrer „nackten Stube“ mehrten sich die Flaschen und Fläschchen so, daß sie ganz unmöglich alle nur Bauch- und Brusteinreibungen und andere kosmetische Mittel enthalten konnten. Mir wurde angst um mein Leben. Ich warnte Herrn Plöhn und bin überzeugt, daß meine damalige Frau es nur dieser Warnung zu verdanken hat, daß die Gedanken, in die sie sich damals verrannte, nicht zur Ausführung gekommen sind. Das ist nicht etwa nur ein Verdacht, den ich hege, sondern ich bin dessen gewiß, weil die Gesamtheit ihrer damaligen Fragen und Erkundigungen, deren sie sich höchst wahrscheinlich jetzt selbst nicht mehr erinnert, ganz entschieden darauf hinwies, was sie wollte. Ich war ihr im Wege; sie wollte frei sein, und sie ist eine perverse, gewissenlose Frau; das genügt für beide, für den Psychologen und für den Psychiater! Ganz eigenartig berührt hierzu eine Warnung, die mein Rechtsanwalt aussprach, als er zu ihrer Vernehmung in Weimar gewesen war und wieder nach Hause kam. Er hatte längere Zeit alle ihre gewaltthätigen Vorwürfe und Drohungen über sich ergehen lassen und sagte kurz nach seiner Rückkehr zu meiner jetzigen Frau: „Nimm Dich in acht vor ihr! Die ist auf Dich so wütend, daß sie Dir vielleicht eine Flasche Schwefelsäure in das Gesicht gießt!“ Und diese Warnung meinte er ernst, im höchsten Grade ernst!

Ich sah mich von nun an gezwungen, beim Essen die größte Vorsicht anzuwenden. Ich konnte überhaupt schon fast gar nichts mehr essen und lebte nur noch von ein Bischen Milch und Obst. Die Folgen blieben nicht

aus; der Verfall trat ein und nahm so rapid überhand, daß es nur noch einen einzigen Gedanken für mich gab: Entweder los von dieser Bestie, oder ich sterbe entweder an Gift oder verhungere bei lebendigem Leibe! Aber selbst jetzt noch mußte ich an das Sterbelager des alten Pollmer denken und an das Versprechen, welches ich da gegeben hatte. Mein Erbarmen trat vor mich hin und bat mich, noch eine Zeit zu warten. Da starb Herr Plöhn. Ich hoffte, daß dieser Todesfall ihr zu Herzen gehen werde. Ich irrte mich. Sie hatte keine Spur von Mitleid; ja, sie lachte. Als wir vom Grabe nach Hause kamen, sagte sie: „Wie man nur heulen kann, wenn so ein alter, dicker Ekel stirbt! Nun ist sie ihn doch los!“ Frau Plöhn aber nahm sich den Tod ihres Mannes tief zu Herzen. Sie aß nicht; sie trank nicht; sie wollte auch sterben, so sehr hatte sie ihn geliebt. Ich sann auf ein Mittel, sie von dem schweren Verluste abzulenken. Ich bat sie, die Schriftgewandte, meine Korrespondenz zu übernehmen, die mir über den Kopf gewachsen war und ganz unmöglich mehr von mir besorgt werden konnte. Ich brauchte einen Sekretair und trug ihr diese Stelle an. Das war Wasser auf die Mühle meiner Frau. Sie stimmte sofort ein. Sie nahm sie mit in ihre „nackte Stube“, die an meine Bibliothek stieß. Dort saß ich still beim Lesen; sie aber glaubten mich im Arbeitszimmer. Darum sprachen sie laut, und ich hörte Alles. „Mausel, nimm die Stelle an!“ rieth meine Frau. „Zwei gegen ihn, sind besser, als nur ich allein! Ich mag keinen Schreiber ins Haus; Dich aber kann ich brauchen. Ich setze es durch, daß Du 2000 Mark Gehalt bekommst, vielleicht auch 3000; wie ich und Du uns stehen, ist das jedoch Alles gleich!“ Ich ging leise fort. Es war genug für mich!

Frau Plöhn wurde angestellt, mit 3000 Mark Gehalt. Ich zahlte 1500 Mark pränumerando. Ich that dies, weil ich sie zwar immer noch unterschätzte, sie aber doch für unendlich ehrlicher hielt als meine eigene Frau und sie als, so zu sagen, Puffer zwischen dieser und mir verwenden konnte. Ich aß von jetzt an nur das, was ich von ihrer Hand bekam, nicht aber von meiner Frau. Diese Letztere drang darauf, daß die Korrespondenz, die ich nicht direct besorgte, in ihrem Namen geschah. Sie wollte an meinem Ruhme theilnehmen, und so wurden alle Briefe, die ich nicht selbst verfaßte, mit „Frau Emma May“ unterzeichnet; die Verfasserin aber war Frau Plöhn. Ich gab das bereitwilligst zu, weil ich nur Gutes davon erhoffen konnte und dabei doch nicht das geringste meiner Rechte aus den Händen gab, denn Alles, was geschrieben wurde und die Unterschrift „Frau Emma May“ bekam, blieb doch meine eigene Angelegenheit, und alle die Antworten, welche man hierauf von außen her in Folge dessen an meine Frau richtete, waren an mich gemeint, nicht aber an sie; ich allein hatte das Recht, diese Korrespondenz zu öffnen und zu lesen. Ich beobachtete Frau Plöhn ganz selbstverständlich sehr scharf und bemerkte, daß sie ungemein ehrlich war. Das freute mich. Meine Frau aber brachte dies in Zorn. Sie hatte es anders erwartet, nämlich grad das Gegentheil. Es sollte unterschlagen werden, Briefe, Gelder und wer weiß sonst nach Alles. Das gab Frau Plöhn partout nicht zu. Meine Frau hatte also in ihr nicht eine Mithelferin, sondern eine Gegnerin aller Untreue und aller Unterschleife angestellt. Darüber gerieth sie in ihre bekannte, perverse Wuth. Es kam zu sehr scharfen, von ihrer Seite höchst giftigen Conflicten, die ich im Stillen beobachtete. Frau Plöhn ertrug das mit

ungewöhnlicher Selbstbeherrschung. Nicht etwa wegen des Gehaltes, den sie bekam, sondern um mich nicht noch mehr leiden zu lassen, als ich so schon litt. Meine Bestie aber richtete all ihren Aerger schließlich doch immer nur auf mich und versäumte keine Gelegenheit, die sich ihr bot, mich zu kränken und zu verletzen. Das wurde mir denn doch zu arg! Ich kam so herab, daß ich kaum noch gehen konnte. Es war die höchste Zeit, mich zu retten! Du lieber Gott! Was hatte ich noch Alles zu ertragen, ehe ich mich als gerettet betrachten konnte! Und was ertrage ich sogar noch heut!

Wir waren auf unserer Heimkehr aus dem Oriente über den Mendelpaß bei Bozen gekommen. Da steht auf stolzer, waldiger Höhe das große, herrliche, palastähnliche Hôtel Penegal. Wir hatten nur einen Tag lang dort rasten dürfen, uns aber vorgenommen, die nächste Erholungszeit ganz unbedingt hier oben zu verbringen. Diese Zeit war jetzt gekommen. Vor mir stand der Tod. Ich mußte fort von daheim, um mir neues Leben zu holen. Schon konnte ich auch nicht mehr arbeiten. Ich mußte eilen, sonst war es zu spät. Meine Bestie hatte große Lust, daheim zu bleiben und das schöne, freie Leben aufzufrischen. Ich duldete das nicht. Sie mußte mit. Das „Strohmännle“-Spielen hatte aufgehört. Sie sollte nun endlich Farbe bekennen. Sie sollte mit hinauf nach dem Penegal und in der dortigen, heiligen Einsamkeit zeigen, ob sie noch länger mein Weib bleiben könne oder nicht. Diese Reise sollte entscheiden. Doch sagte ich hiervon kein Wort, auch nicht zu Frau Plöhn; ich behielt es für mich allein. Meine Frau gerieth darüber, saß sie nicht wieder daheimbleiben und ihren Perversitäten fröhnen durfte, in eine so boshafte Aufgebrachtheit, -

Aufgebrachtheit, daß es hierfür keine andere Bezeichnung giebt, als nur das Wort Berserkerwuth. Dadurch, daß sie diese Wuth in sich verschließen mußte, wirkte sie eruptiv. Die einzelnen Ausbrüche waren um so verwüstender, je mehr sie sich in der Zwischenzeit hatte beherrschen müssen. Ich überwand meinen Abscheu dennoch. Ich zeigte ihr alle Liebe und Geduld, die unter solchen Umständen möglich war. Am Tage vor der Abreise gab ich ihr aus diesem Grunde einen Tausendmarkschein und sagte: „Hier hast Du tausend Mark; die sind Dein, damit Du mich nicht bei jeder Kleinigkeit um Geld zu bitten brauchst; ich weiß, das liebst Du nicht!“ Und wie aber dankte sie mir für diese Güte? Sie stahl mir schnell noch sechstausend Mark und trug sie zur Mutter von Frau Plöhn, meiner jetzigen Schwiegermutter, die sie ihr verstecken sollte. Und zwei oder drei Tage später stahl sie mir in meiner und Frau Plöhns Gegenwart einen Hundertmarkschein, den sie Frau Plöhn mit den Worten entgegenhielt: „Siehst Du, Mausel, so muß man es machen! Nur immer so viel Geld nehmen wie möglich! Es ist besser, wir habens!“ Dieser Hundertmarkschein gehörte zu einer größeren Summe Papiergeldes, welches ich in einem ledernen Portefeuille aufbewahrte. Um dieses Portefeuille war ein starkes, breites Gummiband geschlungen. Es steckte außerdem in einem starken Werthbrief-Couvert. Und dieses Couvert steckte wieder in der geheimen Innentasche meiner Weste, die mit einem Extraknopf verschlossen war. Diese Weste hatte meine Frau abzubürsten, eine Arbeit von ca. zwei Minuten. Daß sie es in dieser kurzen Zeit und in unserer Gegenwart fertig brachte, diesen Hundertmarkschein aus den vielen Umhüllungen herauszubringen,

zeugt von einer Fingerfertigkeit und Raffinirtheit, die sehr lange Jahre geübt sein muß, ehe sie einen solchen hohen Grad erreicht! Sie machte in Berlin die unsinnigsten Ausgaben. Kaufte seidene Blousen, die man nur 3–4 mal tragen konnte, zu außerordentlichen Preisen. Verwendete Hunderte auf höchst auffallende Promenadenmäntel, die nur von Straßendirnen getragen werden, um die Blicke der Lüsternen auf sich zu ziehen. Das Schlimmste war, daß sie die gute, bescheidene und sehr schamhafte Frau Plöhn zwang, einen dito Mantel zu tragen, und mir, als ich in meinem einfachen Anzuge hinter ihnen herging, vor allen Passanten zurief: „Du siehst aus wie unser Louis!“ Mit diesem einen Worte, dem auf der ganzen Erde kein Anderes gleicht, war für mich die Scheidung ausgesprochen, und ich könnte nun wortlos über alles Andere und Folgende hinweggehen, wenn nicht Einiges dabei wäre, was unbedingt erwähnt werden muß, weil es zur Characteristik gehört.

Direct nach der Mendel zu reisen, war nicht möglich gewesen. Ich hatte in Berlin und Hamburg zu thun, und erst von da aus konnte es über Leipzig nach dem Süden gehen. Berlin bekam mir gut. Daheim hatte ich nichts zu essen bekommen. Der Magen war verschmachtet; er versagte den Dienst. In meinem Berliner Hôtel gab es Kleinigkeiten, die ich genießen konnte, und einen guten, reinen, stärkenden Wein dazu. Ich lebte langsam wieder auf. Frau Plöhn freute sich darüber. Aber als meine Frau diese glückliche Wandlung bemerkte, verbot sie es uns, im Hôtel zu essen. Sie wollte uns nur Aschingers Bierhalle erlauben, wo es nur Speisen gab, die mich vollends hingerichtet hätten. -

hätten. Natürlich wehrte ich mich gegen diese Teufelei, und Frau Plöhn gab mir Recht. Hierauf gab es die gewöhnliche, entsetzliche Scene, bei der es sie gar nicht genirte, daß wir viele Zuhörer um uns hatten. Ich, dem sie soeben erst 6000 Mark und dann noch einen Hundertmarkschein gestohlen hatte, wagte es einmal, für 30 Pfennige Himbeeren zu kaufen, und hatte da einen Skandal und Widerstand zu überwinden, der nicht mehr menschlich, sondern thierisch war! Diese Furie weigerte sich fortan, mit uns zu essen; sie ging allein kneipen; sie konnte es nicht ansehen, daß mir etwas schmeckte, daß mir eine Speise bekam. Es wurde immer klarer und offenbarer, daß sie wünschte, es möge mit mir alle werden. Sie that alles Mögliche, was sie hierzu beizutragen vermochte, und es wäre ihr wohl auch gelungen, wenn nicht Frau Plöhn über mich gewacht hätte wie eine Tochter über ihren Vater, der ermordet werden soll. Sie hatte eingesehen, um was es sich handelte, und begann, ihre Freundin als das, was sie war, zu erkennen – – – als Bestie! Von nun an erschien es mir nicht mehr gerathen, mein Hôtelzimmer neben das meiner Frau zu legen. Es war mir zu gefährlich. Je mehr und je sorgfältiger und objectiver ich mir ihre Reden, Drohungen und ihr Verhalten vergegenwärtigte und addirte, desto kategorischer kam die Summe heraus, daß sie, und zwar nicht nur in der Aufregung, sondern ebenso auch bei kaltem Blute, zu Allem fähig war, was sie von meiner Gegenwart befreien konnte. Wir fuhren, um reine Luft zu athmen, per Wagen im Grunewald spazieren. Auch hiervon schloß sie sich aus, weil sie es nicht ertragen konnte, daß ich mich da wohlbefand, und ihr mein frohes, genesungsfreudiges Gesicht zuwider war.

In Hamburg wiederholte sich genau dasselbe Spiel. Sie kaufte sich sofort noch mehrere schandbar teure Blousen. Sie saß nicht mit im Hôtel, um nicht sehen zu müssen, daß ich einen Willen hatte und das bekam, was ich wollte. Sie ging allein in den theuren Rathskeller speisen und spie dann in den Zwischenzeiten die angesammelte Galle über uns aus. Frau Plöhn begann wohl zu ahnen, daß dies zum Schlusse führen müsse. Sie gab gute Worte; sie bat für die Bestie. Ich war still dazu. Bei diesem Schweigen wurde ihr bange. Sie bat mich, ihre Mutter nach Leipzig kommen lassen zu dürfen; vielleicht gelinge es der alten, guten Frau, das drohende Unheil abzuwenden. Ich erfüllte diesen Wunsch. Die Mutter kam. Sie wohnte bei uns im Hôtel. Sie sprach in herzlicher, aufrichtiger, ehrlicher Liebe auf das unglückselige Frauenzimmer ein. Sie versuchte, unsere Hände in einander zu legen – – – vergeblich! Und als auch Frau Plöhn das Wort ergriff, um sie zur Abbitte zu bewegen, rief sie zornig aus: „Ich mag ihn nicht! Nimm doch Du ihn, wenn er Dir so gefällt! Ich werfe ihn Dir hin. Gieb ihm einen Kuß, und hebe ihn auf!“ Dann ging sie hin und kaufte sich noch einige luxuriöse Blousen! Die Mutter von Frau Plöhn reiste unverrichteter Sache heim. Sie wollte ihre Tochter mitnehmen; diese aber sah, daß es mit meiner Gesundheit nicht besser, sondern schlimmer wurde. Das Wohlerbefinden in Berlin war nur ein Aufflackern gewesen, welches der Pollmersche Dämon sofort wieder niedergetreten hatte. Uebrigens war sie ja meine Sekretairin. Die Correspondenzen, Manuscripte, Correcturen u. s. w. wurden mir wöchentlich zwei-, dreimal nachgeschickt, und bei

meiner jetzigen Schwäche war es ganz ausgeschlossen daß ich das selbst erledigen konnte. Sie fuhr also mit uns weiter, und zwar zunächst nach München. Von Leipzig an stand es so schlimm mit mir, daß ich nur leise und langsam reden konnte. Das Herz begann zu krampfen, und die Lunge versagte den Dienst. Frau Plöhn sah ein, daß sie mich unmöglich verlassen dürfe. Sie begann bereits, mich wie einen Sterbenden zu behandeln. Ich sah sie heimlich weinen. Ich konnte ihr die Briefe, die sie für mich zu schreiben hatte, nur mit Unterbrechungen dictiren. Ich war wie ein Licht, welches im letzten Flackern ist. Dieses Weib, dieses Scheusal aber that nicht dergleichen. Sie spazirte fröhlich in der Stadt herum und wenn sie dann in das Hôtel kam, führte Sie Scenen auf, die mehr als widerlich waren. Sie verlangte, als ich mich einmal mit einer Frage in ihr Zimmer verirrte, von mir geküßt zu werden. Ich verwies ihr solche Scherze. Da ging sie zu Frau Plöhn und erzählte ihr, daß es soeben ein Liebesabenteuer zwischen ihr und mir gegeben habe, mit Küssen und so weiter. Daß sie Lügen gestraft wurde, beschämte sie nicht im Geringsten. Aber sie nahm Rache dafür, indem sie die freche Behauptung aufstellte, daß wir mit einander Ehebruch trieben. Wir Beide! Ich, der ich so nahe am Tode stand, daß ich schon nicht mehr laut reden konnte, sondern nur noch halb hörbar hauchte! Und die arme Frau Plöhn, die von all den Verrücktheiten, Vorwürfen, Kämpfen und Sorgen, die sie in dieser Zeit ertragen hatte, so angegriffen und niedergedrückt war, fast am Verzweifeln stand! Und Ehebruch! Das war so fürchterlich schlecht, so kolossal undankbar und so unbeschreiblich gemein, daß die ebenso empörte wie schwer beleidigte Frau nun endlich die Fesseln zerriß, mit

denen sie in jahrelanger Hypnose an diesem dämonischen Ungeheuer gehangen hatte, und mich mit thränendem Auge bat, ihre Beichte anzuhören; dann wolle sie gehen, nach Hause, zu ihrer Mutter, denn dann sei es ja doch mit ihr als meiner Sekretairin aus. Sie erzählte mir von den 36 Tausend Mark. Sie ahnte nicht, wie licht es dadurch plötzlich in mir wurde und welche Ungeheuerlichkeiten sich mir in diesem Lichte nun offenbarten. Welch ein verlorenes Leben! Welche Hoffnungen! Welche Liebe, Geduld und Güte! Welche arbeitsschweren Tage und fleißig durchwachten Nächte! Und das Alles umsonst, umsonst! Für einen Dämon, eine Furie, eine Bestie, in deren Körper, Seele und Geist nicht eine einzige Spur von Besserungsmöglichkeit sitzt! Und hier die arme, gute, brave, von dieser Bestie hypnotisch beherrschte und tyrannisirte Frau, die ohne diese unglückselige Suggestion gewiß lieber zehnmal gestorben wäre, als daß sie in die Unterschlagung meines Geldes gewilligt hätte! In diesem Augenblicke sah ich nicht die Höhe der mir genannten Summe, sondern nur die Größe der Niedertracht und Verworfenheit meines Weibes, die mir, seitdem ich sie kannte, nichts weiter als ein saugender Vampyr oder vielmehr ein ekelhafter, ewig spulender und fressender Wurm im Darm gewesen war, für den es keine Rücksicht und keine weitere Frist mehr geben konnte. Erbarmen mußte hier zur Sünde und Mitleid nur zur eigenen Schande werden! Auch schon um Frau Plöhns, ihres spiritistischen Opfers, willen galt es, hier Schuß zu machen, aber ja in vorsichtiger Weise, denn dieses Weib war aller Ränke voll und aller Thaten fähig!

Ich nahm sie vor. Die Wirkung war ächt Pollmerisch. -

Pollmerisch. Anstatt Schreck und Reue zu zeigen, nahm sie die Sache mit lächelnder Frechheit hin. Sie sagte, ich wisse ja, daß sie mich Frau Plöhn vor die Füße geworfen habe; die möge mich aufheben und heirathen; sie habe nichts dageben, denn da sei sie mich endlich los. Aber kosten werde es mich viel! Ich könne mit Frau Plöhn in Radebeul wohnen bleiben; sie aber werde nach Dresden ziehen, um nach ihrem eigenen Gefallen zu leben. Sie werde mir nichts in den Weg legen. Sie wolle hinauf nach der Mendel, nach dem herrlichen Hôtel Penegal. Dort werde sie sich so still und ruhig verhalten, daß die Scheidung glatt, leicht und schnell vor sich gehe; aber Geld müsse ich geben, so viel sie wolle, und alle Möbels und alle Wäsche dazu, die es bei uns giebt, denn das Alles brauche ich nicht mehr, weil mir Frau Plöhn bei der Heirath doch ihre Möbels und ihre Wäsche mitbringen werde! – – – Als ich das Alles hörte, fragte ich mich, ob ich wache oder träume! Frau Plöhn und ich! Uns heirathen! So oft ich an eine Scheidung gedacht hatte, war es stets mein erster und mein Hauptgedanke gewesen, nie wieder eine Frau, niemals! Am allerwenigsten die Wittwe eines Andern! Und nun grad diese Frau und Wittwe, die ein volles Jahrzehnt lang die willenlose Schwester und Gehülfin meiner Bestie gewesen war! Der Gedanke kam mir so ungeheuerlich vor, daß ich nur staunte und staunte und ihn kaum zu fassen vermochte! Und den gab sie mir selbst, sie selbst! Ich hielt es nicht für nöthig, über ihn auch nur ein einziges Wort zu verlieren. Und was das Uebrige betraf, so ging ich darauf ein, sie nach der Mendel zu schaffen, verhehlte aber nicht, daß es mir unendlich leid thue, den Ort, an dem ich Genesung suchte, dann schnell wieder verlassen zu müssen, denn wir Beide an einem und demselben

Orte wohnen, das sei von jetzt an unmöglich. Ich halte sie bei dem gegebenen Worte, sich während des Scheidungsprozesses still und ruhig zu verhalten, glaube aber nicht daran, da ich sie sehr wohl kenne. So lange sie auf der Mendel sei, solle sie Alles reichlich haben, was sie brauche; aber über das Spätere lasse ich mir jetzt keine Vorschriften machen, denn das werde ganz ihrem Verhalten angemessen sein. Vor allen Dingen habe sie die Mendel nicht zu verlassen, ohne mich hiervon zu benachrichtigen. Denn erstens müsse ich schon der gerichtlichen Zustellungen wegen immer genau wissen, wo sie sei, und zweitens sei es auch um der Correspondenz willen, die sich unter ihrem Namen dort zusammenfinden werde, ihr aber nicht gehöre; sie habe sich an diesen Briefen und Postsachen ja nicht etwa zu vergreifen, sondern sie mir ungeöffnet und ungelesen nach Hause zu senden! Sie antwortete, es falle ihr gar nicht ein, diese „Wische“ zu berühren!

Es ging also von München direct nach Bozen. Dort angekommen, beschloß ich, die Stadt gar nicht zu berühren, sondern direct per Geschirr hinauf nach der Mendel zu fahren. Ich war zum Sterben schwach, nahm aber dennoch diese Anstrengung auf mich, weil ich fühlte, daß es mit mir nur schlimmer anstatt besser werden könne, so lange dieser auch jetzt noch unaufhörlich saugende Vampyr in meiner Nähe sei. Ich nahm zwei Wagen, da ein einzelner die Personen und Koffer unmöglich fassen konnte. Dennoch machte sie mir da wegen angeblicher Geldverschwendung vor allen Leuten eine so unbeschreibliche, über den ganzen Bahnhof hinweg zu beobachtende Scene, daß ich vor lauter Scham von dannen lief. Die Wagen waren nur zweisitzig; -

zweisitzig; wir mußten uns also theilen. Trotz Allem, wie es stand und was geschehen war und trotz des soeben gemachten wüthenden Skandales verlangte sie, mit mir im meinem Wagen zu sitzen. Ich weigerte mich. Sie hätte die ganze, lange Fahrt nur allein dazu benutzt, mir das letzte Bischen Athem abzustehlen. Frau Plöhn wollte sich aufopfern und sich zu ihr setzen; ich gab dies aber nicht zu, weil ich die Krallen meiner Bestie kannte. Trotz dieser meiner Vorsicht gab es auf halbem Wege, wo wir die Pferde ausruhen zu lassen hatten, schon wieder einen wüthenden Skandal, der wo möglich noch größer und schlimmer als der vorige war und mich derart aufrieb, daß ich den letzten Rest von Lebenskraft zusammenraffen mußte, als wir das Hôtel Penegal erreichten.

Dieses Weib wußte, daß sie noch immer meine Universalerbin war und, falls ich jetzt hier oben verlöschte, nur heimzukehren brauchte, um das Erbe anzutreten. Sie nahm während der kurzen Zeit, die ich mich dort befand, ihr ganzes Gift für mich und ihre ganze hypnotische Macht für Frau Plöhn zusammen. Die Hölle goß sich noch einmal über uns aus, bis auf den allerletzten Qual- und Feuertropfen. Ich konnte trotz meiner tödtlichen Schwäche nicht schlafen. Ich hatte es unentkleidet versucht, stand aber wieder auf und saß während der ganzen Nacht draußen auf dem Balkon. Das Fenster von Frau Plöhns Zimmer stand auf. Ich hörte die ganze Nacht hindurch ihr von Zeit zu Zeit hervorbrechendes, bitterliches Weinen. Am Morgen sah ich dann, daß auch sie im vollen Anzug gewesen war, auf einem Stuhle sitzend. Die Bestie aber schien vorzüglich geschlafen zu haben. Doch ohne eine perverse, lüsterne Teufelei und Schweinerei konnte sie uns ganz unmöglich -

unmöglich scheiden lassen. Sie behauptete, sie wisse, daß wir mit einander geschlafen hätten, denn sie habe gehört, daß ich mit einem lauten „Hurrah!“ zu Frau Plöhn in das Bett gesprungen sei. Um Gotteswillen! Das war ja gar nicht auszuhalten, wie das nach seelischem Mist und moralischer Jauche stank! Ich ließ mir nur noch einige Zeilen unterschreiben, daß es mit unserer Liebe aus sei und daß sie in die Scheidung willige. Diese Zeilen waren für meinen innern Richter, auf den ich mehr als andere Leute gebe. Dann reisten wir ab, und zwar direct nach Radebeul, nach Hause. Ganz selbstverständlich traf ich vorher da oben die Anordnungen, die mir als nöthig erschienen. Es waren mir alle an mich resp. an „Frau Emma May etc. etc. etc. etc.“ adressirten Postsachen nach Hause zu schicken. Frau Schrott, die Besitzerin des Hôtel Penegal, eine hochgebildete, feine Dame aus altem, berühmten Patriziergeschlecht, ist eine Leserin meiner Werke. Meine Denk- und Handlungsweise ist ihr also nicht unbekannt. Ich vertraute mich ihr an, sagte ihr aber nur, so viel sie wissen mußte, um den guten Ruf ihres berühmten Etablissements nicht etwa durch die Perversitäten meines Weibes geschädigt zu sehen. Das war ich der Dame unbedingt schuldig! Ich bat sie, sich dieser Frau im Stillen anzunehmen und garstiges Benehmen ebenso wie alles unüberlegte, schädliche Gebahren möglichst zu verhüten. Besonders bat ich sie, mich sofort zu benachrichtigen, falls meine Frau Hôtel Penegal verlassen sollte, ohne mir Nachricht davon zu geben. Leider konnte ich dieser Dame meine eigentlichen Gründe für diese Bitten nicht mittheilen.

Es war doch ganz unmöglich, ihr zu sagen, daß ich das Weib grad während des Scheidungsprozesses doppelt scharf im Auge behalten und weit von Dresden entfernt wünschen mußte, weil ich Gift und Schwefelsäure und andere ähnliche Dinge fürchtete! Denn, wenn sie vor der Scheidung nach Dresden kam, da geschah so Etwas; dessen war ich gewiß! Und da rechnete ich das Klatschen und Verdrehen, das Lügen und Trügen, das perverse Verleumden und Vernichten gar nicht mit! Ich konnte nicht wünschen, daß sie sich bei der Turnlehrer Dittrich, dem Karnickel Häusler und ähnlichen Frauenzimmern die gewöhnlichen, schamlosen Instruktionen holte, und vor allen Dingen hatte ich, sogar zu ihrem eigenen Besten, zu verhüten, daß sie sich von dem jungen Menschen, der mich als „das Strohmännle“ bezeichnete, zu noch schlimmeren Thorheiten, als die bisherigen waren, verleiten ließ.

Wie richtig ich in dieser letzten Beziehung fühlte, ergab sich alsobald! Man denke: Als sie mir die schon erwähnten Zeilen unterschrieben hatte, und ich nun gehen wollte, fiel sie vor mir auf die Kniee nieder und bat mich, ihr zum Abschiede doch die Hand und einen Kuß zu geben. Sie werde den Gang der Scheidung nicht im Geringsten stören und überhaupt zu keinem einzigen Menschen von dieser Sache sprechen! Und zwei Stunden, nachdem ich abgereist war, telegraphirte sie bereits an ihren lieben Strohmännlemenschen und sandte ihm eine Karte und sogar auch noch einen Brief! hinterdrein, in der sie ihm Alles berichtete, auch das von den unterschriebenen Zeilen, und um Auskunft anging erhaltungsmaßregeln anging, ob sie sich das gefallen lassen müsse! Das war die umgehende, postwendende Rache für den verweigerten Kuß! Weiter nichts! Und das nannte sie „zu keinem einzigen Menschen von dieser Sache sprechen“! Ich war überzeugt, daß sie mich

von nun an mit dem mir wohlbekannten, scheußlichen Gemisch von brünstiger Liebe und mittemang Haß und Rache überschütten werde, und das hat sie denn auch mehr als reichlich gethan.

Ich kam beinahe als Leiche heim. Anstatt mich erholen zu können, war ich bis auf das Äußerste abgekerkert worden und hatte nun in diesem erbarmungswürdigen Zustand die Scheidung zu betreiben. Wie ich da trotz meines vollständig entkräfteten und siechen Körpers durchgekommen bin, ohne zusammenzubrechen, das wird mir stets ein Räthsel bleiben. Ich durchsuchte zunächst das ganze Haus, jeden Kasten und jeden Winkel, und sah da ganz erstaunliche Dinge erscheinen. Dreckereien, Schweinereien, Schurkereien und Gewissenlosigkeiten, die ich nie für möglich gehalten hätte, traten da zu Tage. Als Illustration hierzu entnehme ich meinem Scheidungsantrag folgende Alinea:

„So fand ich gestern in einem Schranke für Dienstmädchensachen tief versteckt den allerwichtigsten Verlagsvertrag, den ich jemals abgeschlossen habe. Auf diesen schriftlichen Contract mit meinem Verlagsbuchhändler Fehsenfeld in Freibung, Baden, basirt sich mein regelmäßiges Jahreseinkommen aus meinen „Gesammelten Werken“ bis dreißig Jahre nach meinem Tode. Ich habe mit diesem Herrn fortwährende Gelddifferenzen gehabt, ihm aber nie Etwas beweisen können. Das Dokument fehlte mir dazu. Ich schrieb ihm im November 1895 eine sieben Seiten lange Klarlegung meiner Forderungen. Diesen Brief las ich meiner Frau vor. Sie hat dem Dienstmädchen verboten, ihn, wie ich befohlen hatte, auf die Post zu tragen, und ihn unterschlagen. Ich habe ihn, mit dem Contracte zusammenliegend, gestern vorgefunden, an einem Orte, von dem sie wußte

daß es mir niemals einfallen werde, dort nachzusuchen. Warum hat sie mir Beides gestohlen?“

Auch unterschlagene Briefe fand ich eine ganze Menge. Sie gehörten zu denen, die sie verbrannt haben wollte. Da sie aber noch existirten, so bin ich überzeugt, daß auch die Münchmeyerbriefe nicht verbrannt wurden, sondern noch existiren; wenn sie nicht inzwischen aus Vorsicht vernichtet worden sind.

Dieses Weib hat später behauptet, daß sie von mir mit Gewalt da oben in Tirol festgehalten worden sei. Ich aber kann nachweisen, daß sie kaum eine einzige Woche nach meiner Trennung von ihr sich schon in dem Hôtel „Rheinischer Hof“ in München anmeldete und den Strohmännlemenschen in Dresden aufforderte, seine Zuschriften dorthin zu richten, falls er nicht persönlich erscheinen könne. Und kaum einen Monat darauf ist sie aus Hôtel Penegal verschwunden, ohne dort zu sagen, wohin, und auch ohne mir eine Nachricht zu geben. Es hat mich eine Extrareise nach Südtirol, also sehr viel Geld und lange Nachforschung gekostet, ihren Aufenthalt zu entdecken. Und den mußte ich unbedingt wissen, um mich meines Lebens sicherfühlen zu können! Ich entdeckte sie schließlich in einem Bozener Hôtel, wo sie unter einem falschen Namen, aber doch als „Frau Doctor“, wohnte, in innigem Verkehr mit einem Berliner Buchhändler, durch den sie sich mit einem Berliner Justizrath in Verbindung setzte, der ihr den Rath ertheilte, aus der Scheidung so viel wie möglich Geld zu ziehen. Ich ging selbst zu ihr. Sie spielte die alte Komödie, ganz wie auf der Mendel. Sie sank vor mir nieder, hob die gefalteten Hände zu mir empor und flehte um einen Kuß. Gradezu armselig widerlich! Sie schwor wieder, daß sie der Scheidung nicht das Geringste in den Weg legen werde. Nur verstoßen solle ich sie nicht.

Ich könne mich in Gottes Namen mit Frau Plöhn trauen lassen, denn es sei ihr sehr gleich, wer vor der Welt als meine Frau gelte, diese oder ich. Aber sie wolle auch mit dabei sein. Sie wolle als Köchin bei uns wohnen; sie wolle wieder für mich kochen, um mir zu zeigen, wie groß ihre neu erwachte Liebe für mich sei! Aber als ich ihr, anstatt ihr den verlangten Kuß zu geben, zornig auseinandersetzte, was für ein ehrloses Weibsen sie doch sei, mir jetzt eine Heirath zuzumuthen und sich von der neuen Frau als Köchin des geschiedenen Mannes engagiren zu lassen, da sprang sie wieder auf und warf mir Drohungen in das Gesicht, von denen ich nur ein einzige, die letzte, hier festhalten will. Sie lautete: „Gut, wenn ich einmal so ein ehrloses Weibsen bin, so soll die Plöhn, die Alles verrathen hat, auch nichts Anderes sein! Ich bin niemals Deine wahre, wirkliche Frau, sondern immer nur Deine Haushälterin, Deine Hure gewesen; so mache ich nun auch die Plöhn zur Hure! Lach nicht; ich kanns! Ich brauche nur zu schwören!“ Ich entgegnete entsetzt: „Das kannst Du nicht, denn es ist kein Wort, keine Sylbe davon wahr!“ Da hob sie die Schwurfinger in die Höhe und sprach: „Aber ich beschwörs!“ Da ging ich fort.

In Hôtel Penegal äußerte sie sich über Frau Plöhn und mich: „Menschen, die keinen Wurm zertreten und keine Fliege tödten und hohe, edle Menschen sind. Ich bin nichts gegen diese Beiden!“ Als ich sie dann infolge der Drohung, Frau Plöhn zur Hure machen zu wollen, und weil wir sie überhaupt jedes Attentates für fähig hielten, davon abhalten wollten, zu uns nach Dresden zu kommen, schrieb sie mir am 19./10. 2. aus Bozen: „Deine Drohungen schrecken mich nicht. Es ist gar nicht daran zu denken,

daß ich eine passive Rolle spiele.“ Und als sie dann in Dresden war und im Hospiz wohnte, schrieb sie: „Denn Karls wüthende Briefe haben mich nicht auf der Mendel zurückgehalten. Dazu habe ich gelacht. Seine ganzen Drohungen waren dummes Geschwätz!“ Die Behauptung, daß ich sie da oben festgehalten habe, wird also von ihr selbst widerlegt. Zudem: Bei einer so perversen, eigenwilligen und hypnotischen Person sind ganz andere Maßstäbe nöthig als bei andern, normalen Menschen. Was bei den Letzteren beleidigend oder bedrohend wirkt, darüber wird von der Anomalie und Abnormität nur gespottet und gelacht, und wenn in unsern Briefen an diese Frau Pollmer einige starke Buchstaben vorgekommen sind, so haben sie bei dieser Dämonin höchstens grad entgegengesetzt, nicht aber einschüchternd gewirkt. Sie hatte in Bozen keine Noth. Sie wurde dort so üppig, von mir das Geld zu Wagen- und Spazierfahrten zu verlangen, die ihrer Gesundheit nöthig seien. Ich gewährte es ihr. Sie verkehrte mit Herren und ging mir Damen zu Bett, ganz in ihrer gewohnten Art und Weise. Wenn sie sich dennoch von dort fortsehnte, so doch ganz gewiß nicht, um die Scheidung hintertreiben zu können, sondern eben aus Perversität und weil sie sich nach dem gewohnten Klatsch und Tratsch und nach ihren alten, lieben treuen Weibern sehnte. So lange still- und fernzusitzen, ohne irgend eine Teufelei oder Morithat zu begehen, das ging ihr gegen den Strich, und nun sie jetzt so gar nicht nur für einige Zeit, sondern für immer zu verzichten hat, ihren Gift und Geifer über uns auszuspritzen, so sammelt sie den ganzen Vorrath, den sie von beiden besitzt, thut noch alle übriggebliebene Galle dazu und schüttet das Alles nun mit einem Male über die beiden Personen aus, die für sie „die edelsten -

edelsten Menschen sind; ich bin nichts gegen diese Beiden!“ Und dabei schrieb sie mir von Bozen aus: „Eben finde ich eine Aphorisme, die für Dich paßt: Lob allein schafft keine Größe; die Verleumdung muß dazu kommen!“ Ebenso lügt sie auch, wenn sie sagt, daß sie während des Scheidungsprozesses ohne Rath und That gewesen sei. Sie hat bei jeder Gelegenheit von dieser Scheidung gesprochen und alle Welt um guten Rath und Hülfe gebeten. Sie hat Rechtsanwälte in Oesterreich, Norddeutschland und Süddeutschland consultirt oder consultiren lassen. Sie hat stets genug Geld in den Händen gehabt, die Rathschläge dieser Herren zu befolgen. Und wenn ihr diese Mittel gefeht hätten, so kannte sie mich gut genug, um zu wissen, daß ich sie ihr grad aus dem Grunde, daß sie nicht für mich, sondern gegen mich verwendet werden sollten, niemals verweigert hätte! Diese Eigenheit meines Characters kennt sie seit lange her genauer als jede andere! Die Wirthin von Hôtel Penegal, Frau Schrott, schrieb mir einmal, es scheine, meine Frau könne nicht leben, ohne daß sie Jemand habe, den sie peinigen und martern dürfe. Diese Dame hatte damit den Mittelpunkt der ganzen Pollmerschen Dämonalität und Perversität getroffen. Die Freude am Schmerz, die Wonne über die Qualen Anderer; das ist es! Gequält und gepeinigt muß sein, ganz unbedingt und auf jeden Fall! Und wenn es keinen andern Menschen giebt, der hierzu still hält, so quält man sich eben selbst; es bleibt ja nichts Anderes übrig. Das ist die einfache, aber ebenso strenge wie unüberwindliche Logik der ethischen Unterwerthigkeit. Mist verzehrt sich eben selbst, wenn er zu scharf und zu giftig ist, um in Dünger verwandelt werden zu können. Grad ebenso verzehrt sich dieses perverse Weib nach

innen ganz von selbst, wenn sie nicht stinken und nicht treiben und martern kann. Sie muß, um dieser Selbstvernichtung zu entgehen, den Ueberschuß ihrer dämonischen Kräfte gegen Andere richten, und da sie nun doch wohl zu alt ist, um nach neuen Anderen zu suchen und Einfluß über sie zu gewinnen, so kehrt sie immer wieder zu den lieben, beiden Alten, nämlich zu mir und zu Frau Plöhn, zurück, an denen sich ihre hypnotische und spiritistische Geschicklichkeit so lange Jahre bewährte und wohl auch noch weiter bewähren wird. So wenigstens denkt sie es sich!

Die Scheidung wurde vollzogen. Die Geschiedene lebt in Weimar. Sie trägt meinen Namen, obwohl ihr das verboten worden ist. Sie ißt und trinkt und wohnt von der Gnade meiner jetzigen Frau und schämt sich aber nicht, alles Mögliche zu thun, um diese ihre Wohlthäterin zu vernichten. Sie hypnotisirt alte Weiber und alte Mädchen, mit denen sie spiritistische Sitzungen veranstaltet und sich über die blamabelste Art und Weise beräth, die Gnadenrente, die sie genießt, in eine bedeutend höhere und gerichtlich erzwungene zu verwandeln. Dabei untergräbt sie in Weimar meinen Ruf, kommt nach Dresden, um da genau dasselbe zu thun, und reist sogar nach meinem Heimathsort, um mich und meine Frau bei meinen Verwandten anzuschwärzen. Sie lügt den Leuten dort vor, daß meine jetzige Ehe eine unglückliche sei und daß meine alte, dort lebende Schwester die Unterstützung, die ich ihr zahle, nur ihrem Einflusse, nicht aber meiner zweiten Frau zu verdanken habe. Sie besucht hier in Dresden alte Kartenschlägerinnen, läßt sich von ihnen weissagen, daß ich sie noch immer glühend liebe, und stellt sie an, als angebliche Vermietherinnen nach Radebeul zu gehen, um uns

zu bespioniren. Und allen Leuten macht sie weiß, daß das viele Geld, um welches sie mich betrogen hat, nicht etwa gestohlen, sondern ehrlich erspart worden sei. Sie liebte es, ihre Weiber damit zu ärgern, daß sie große Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke vingirte, die sie aber, wenn es vorüber war, wieder herzugeben hatte. Ich weiß von dreimal tausend Mark, zweimal in Papier und einmal in Gold an einem kleinen Bäumchen. Selbst wenn sie das hätte behalten dürfen, was aber nicht der Fall ist, ergäbe das doch auch nicht im Entferntesten die Riesensummen, um die ich von ihr bestohlen worden bin. Dafür hat sie mir die Bittschriften meiner blutarmen Verwandten und Jugendbekannten fast regelmäßig unterschlagen, und ein Schwager von mir, ein äußerst braver Gatte und Vater, der Mann grad meiner Lieblingsschwester, hat in seinen drei letzten Lebenswochen mit seiner ganzen Familie mit sechs Mark auskommen d. h. hungern müssen, ohne daß ich ein Wort davon erfuhr, weil diese Bestie die Nachrichten mit Hülfe ihres Doppelschlüssels unterschlug. Dann war er todt! Und jetzt macht sie seiner Wittwe weiß, daß sie meine Unterstützung nur ihr allein zu verdanken habe! In ganz ähnlicher Weise verfuhr sie gegen einen armen Schriftsteller Namens Lilie, den ich einige Jahre lang unterstützte, ohne daß ich andere Leute Etwas davon merken ließ. Da kam die Zeit, wo er fest darauf gerechnet hatte und es höchst nothwendig brauchte. Es handelte sich um seine Ehre. Aber grad da war sie gegen alle weiteren Gaben und griff derart in die Kasse ein, daß es mir unmöglich war, Lilie’s Erwartungen zu entsprechen. Es kam zwischen ihm und ihr zu einer

höchst aufgeregten Scene, deren Folgen dann nur ich zu tragen hatte. Lilie rächte sich in genau derselben Weise, wie er beleidigt worden war, das heißt, gemein, und war dann Derjenige, der Herrn Adalbert Fischer verführte, meine Werke von Pauline Münchmeyer zu kaufen und mich in der Weise, wie es geschah, dann auszubeuten. So wurde dieser Pollmersche Dämon zum Alpha und zum Omega des unglückseligen Münchmeyer-May-Prozesses! Wie Münchmeyers und Fischer glaubten, mich wegen vergangenen Dingen vollständig in der Hand zu haben, so daß es nur einer Zeitungsnotiz bedurfte, um mich „kaput zu machen“, so glaubt meine geschiedene Frau ganz dasselbe auch. Das ist die einzige, traurige Force, welche sie besitzt, aber auf ihre Wirkung rechnet sie bestimmt.

Notizen.

Die Zeilen, welche sie mir vor meiner Abreise von der Mendel bereitwillig, nicht etwa gezwungen, unterschrieb, sind folgende:

„Ich Endesunterzeichnete erkläre hiermit, daß ich wegen gegenseitiger, unüberwindlicher Abneigung ein weiteres Zusammenleben mit meinem bisherigen Ehemann, dem Schriftsteller Herrn Karl May in Radebeul, für vollständig unmöglich halte und ihm darum meine unwiderrufliche Zustimmung zur Scheidung unserer Ehe gegeben habe. In Beziehung auf alle etwa hiermit zusammenhängenden pecuniären Angelegenheiten werde ich mich einzig und allein auf sein Gerechtigkeitsgefühl verlassen und erkläre also, mich aller Ansprüche hierauf zu enthalten.

Hôtel Penegal,

Mendelpaß, Tirol,

den 29ten August 1902.

Emma May

geb. Pollmer.

Ihre Wirthin, Frau Kößler in Bozen, schrieb über sie:

„Ich sage es Ihnen ganz offen, Komödie, nichts als Komödie. Sie will nicht vernünftig sein. Sie hat hier einmal eine solche aufgeführt. Von da an durchschaute ich sie.“

„Bei der Frau Doctor muß es wohl schon in der Erziehung gefehlt haben.“

Die Absicht, bei Ihnen als Köchin zu sein, hatte sie ja schon in Bozen. Ruhe wird sie nicht geben und das Schwätzen auch nicht lassen.“

Frau Schrott, Hôtel Penegal, schreibt:

„Meine Ansicht ist heute folgende: Ihre Frau bedauert, ihr Wohlleben und die soziale Stellung zu verlieren, mehr, als Ihre Persönlichkeit, ihren Gatten verloren zu haben. Das wird Ihnen, hochgeschätzter Herr, den Schritt erleichtern.“

„Ich habe den Character Ihrer Frau ganz kennen gelernt, und ich glaube Ihnen von Herzen gern, daß Sie sich von diesen so schwer drückenden, unerträglichen Fesseln befreien wollen.“

„Daß unter solchen Umständen ein Mann wie Sie es nicht mehr aushalten konnte, gemeinsam mit einem solchen Wesen weiter zu leben, glaube ich gern, und ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen baldige Erlösung.“

Am 11ten März 1903 kam Frau Pollmer von Bozen nach Dresden. Sie schrieb mir, daß sie ohne Geld sei und in Bozen noch 300 Kronen für Kost und Logis schulde. Ich hatte sie überreichlich mit Geld versehen. Dennoch ist sie da oben sogar den Arzt

schuldig geblieben. Ihre Wirthin aber schreibt mir am 14ten, daß Frau Pollmer vor der Abreise zwei Hundertmarkscheine und auch noch vier größere Scheine besaß. Und am 19ten schrieb sie an die Mutter von Frau Plöhn und verlangte 5000 Mark des mir gestohlenen Geldes. Also Habsucht, Geldschneiderei! Weiter nichts!

In einem Expreßbrief aus Bozen stellte sie ihre Forderungen, als Preis dafür, daß sie sich die Scheidung gefallenlassen wolle. Da war Alles aufgezählt, was sie verlangte. Es trat da in gemeinster Häßlichkeit zu Tage, daß es ihr nicht um mich und um die Ehe, sondern nur um den Mammon und um das lüsterne Leben war. Sobald sie hierauf aufmerksam gemacht wurde und was ihr dieser Brief gerichtlich schaden könne, sandte mir folgendes Telegramm: „Schicke sofort den Expreßbrief zurück, sonst bin ich am 29ten im Termin! Bin beeinflußt worden, zu schreiben, will lieber Deinen Willen thun. Antworte bis zum 24ten früh.“ Also sie droht mir, nämlich mit dem Termin, nicht aber ich ihr. Diese Depesche enthält Geständnisse, die gar nicht deutlicher sein können.

Zu meinem Geburtstage 1904 sandte mir Frau Pollmer eine Depesche mit einer gereimten Liebeserklärung, die nicht aus ihrer eigenen Feder stammt. Am nächsten Tage schrieb ich ihrem Anwalt in Weimar folgenden Brief:

Geehrter Herr Rechtsanwalt!

Die geschiedene Frau Pollmer, Weimar, Lassenstraße 3, scheint nun auch den letzten Rest von Einsicht, Scham und Schicklichkeitsgefühl von sich geworfen zu haben. Sie belästigt mich in neuerer Zeit mit einer Anbetung, für welches das Wort „widerwärtig“ der

gelindeste aller Ausdrücke ist.

Am Neujahr schickte sie mir eine Karte mit Priesterinnen, welche auf dem Altar der Liebe opfern; sie flog natürlich sofort in das Feuer. Dann kam am Januar ein 9 Seiten langer Liebesbrief, von dem ich nur sagen kann: es lösten sich in ihm alle Bande frommer Scheu. Ich erfuhr da, daß sie mein Bild täglich mit frischen Blumen schmücke und einen wahren Götzendienst mit ihm treibe. Und ich hatte doch so streng darauf gesehen, daß sie kein Bild von mir behalte! Ich verbrannte auch diesen Brief sofort! Und gestern an meinem Geburtstage erhielt ich gar eine Depesche von ihr, in der sie mich abermals ihrer ewigen Liebe versichert. Die verbrenne ich nicht, sondern ich schicke sie Ihnen!

Herr Rechtsanwalt, Sie haben einmal gefragt, ob es wohl eine Ehre sei, meinen Namen zu tragen. Diese Frage sagte mir deutlicher als alles Andere, was für ein toller Unsinn Ihnen vorgeschwatzt und vorgewimmert worden war und wie diese Frau Pollmer sich alle mögliche Mühe gegeben hat, das gegenseitige Soll und Haben zu verdrehen. Sie setzt diesen Namen noch heut hoch über den ihrigen und hält ihn krampfhaft fest, obgleich es ihr verboten ist, ihn zu tragen. Sie weiß, in welche große Gefahr sie sich begiebt, wenn sie uns nicht in Ruhe läßt, und wagt doch immer und immer wieder Alles, nur um mir zu zeigen, wie hoch sie in Wahrheit den verehrt, den sie in Lüge vor ihnen so tief erniedrigt hat.

Bitte, Herr Rechtsanwalt, geben Sie diesem Weibe ihre Depesche zurück, und sagen Sie ihr, daß mir ihr Verhalten so unendlich verächtlich ist, wie ich durch Worte gar nicht auszudrücken vermag. Und

bitte, warnen Sie sie! Sie hat sich gegen einen Freund von mir über mich und meine jetzige Frau in einer Weise ausgesprochen, welche die Letztere nach dem getroffenen Abkommen berechtigt, ihr ihre Unterstützung sofort und für immer zu entziehen. Die Gute will aber noch einmal Nachsicht walten lassen; beim nächsten Falle aber werde ich selbst dafür sorgen, daß diese mißbrauchte Güte nicht länger mehr mit Füßen getreten werde!

Hochachtungsvoll

Karl May.

Deutlicher konnte ich doch wohl unmöglich sein! Aber wo keine Scham und keine Ehre vorhanden ist, da haftet sogar so große Aufrichtigkeit nicht. Zu meinem nächsten Geburtstage schickte sie mir eine Menge Blumen und – – – eine Kiste Birnen, die ich sogleich, um sie nur loszuwerden, dem hiesigen Kinderhort aushändigen ließ. Zurücksenden konnte ich sie ihr nämlich nicht, weil sie sie in Leipzig aufgegeben hatte und so raffinirt gewesen war, den Coupon nicht zu unterschreiben!

Die vorliegende Monographie ist nur für mich allein geschrieben, für keinen andern Menschen. Sie soll, wie alle ähnlichen psychologischen Characterstudien von meiner Hand, später für meine Selbstbiographie verwendet werden, wo sie, mit Weglassung alles Beschreibenden, zu einer gedrängten, sprechend ähnlichen Figur zusammenzuschmelzen ist. Sollte ich plötzlich sterben, ohne die Hand an dieses Werk gelegt zu haben, so wird es allerdings nicht von mir, sondern von meinem Biographen zu vollenden -

vollenden sein, und ich bitte in diesem Falle um diejenige Objectivität der Auffassung und Characterisirung, welche den Zwecken der Litteraturgeschichte gerecht zu werden weiß, ohne die Häßlichkeit der subjectiven Züge in den Vordergrund treten zu lassen. Gerecht und wahr, doch rein literarisch sein; das wünsche ich von meinem Biographen!

Die vorliegenden Aufzeichnungen sind nicht etwa beendet; ich führe sie fort, denn so lange meine „Bestie“ lebt, wird sie mich wohl nie in Ruhe lassen. Ich sehe mich sogar gezwungen, diese Unterlagen zu illustriren, um gewisse Züge, die von Bedeutung sind, deutlicher hervortreten zu lassen. Ich gebe darum ein Couvert bei, welches alles Das enthalten soll, was als Illustration zu betrachten ist und die erwähnte Deutlichkeit befördert. Der Inhalt ist zur Zeit schon folgender:

A., Die Frau Pollmer in männlicher Kleidung, in der sich ihre Perversität, wie man sieht, außerordentlich behaglich fühlt. Die Meisten, welche gefragt wurden, was sie von diesem Menschen hielten, riethen auf das Verbrecheralbum; ein Hochstabler ersten Ranges. Frau Pollmer war auf dieses Ergebniß ganz besonders stolz und zeigte dann die Rückseite des Couvertes, auf welche sie mit Bleistift eigenhändig ihr „Ich“ geschrieben hatte.

B., Eine Photographie von 5 Personen: Frau Pollmer, damals noch meine Frau, Herr Gymnasialoberlehrer Dr Weber, Pfarrer Kempf, ein Freund und Leser von mir, Regierungsbauführer Welte und ich. Ich habe mich so gesetzt, daß Welte sich unbeobachtet wähnt und darum so unvorsichtig

ist, die ganze Gluth seiner Liebe zu seiner „Nscho-Nschi“ hinüber zu blitzen. Ferner:

a., Postkarte meiner Frau an Welte aus München, 1897, die sie ihm ohne mein Wissen sendet. „Tausend Grüße und frohes Wiedersehen![“] Eine 41 jährige, verheirathete Frau an einen 19 jährigen jungen Menschen!

b., Postkarte von Welte an meine Frau aus demselben Jahre. Nennt sie „liebe“ und beim Kosenamen und sagt, daß er sie spät Abends besuchen werde, und zwar durch Vermittlung des bekannten, spiritistischen Schwindels, der mir immer vorgemacht wurde, wenn sie unter einer Decke spielten. Diese Karte bekam ich natürlich nicht zu sehen!

c., Ein Geburtstagsgedicht von Welte für meine Frau. Spricht natürlich von Geistern und von der Freude, die sich zu dem Schmerze, nicht mit ihr verheirathet zu sein, paart.

d., Auch von diesem „herzlichen“ Ostergruß aus Kairo habe ich nichts gewußt.

e., Sogar von „heiliger“ Stätte grüßt sie „herzlich“, ohne daß ich Etwas davon erfahre!

f., Nur sie grüßt, also heimlich!

g., Sie grüßt ihn ohne mein Wissen von Rigi-Kulm aus, wo wir 3 Wochen wohnten, und sendet ihm tausend Grüße und Dank für Etwas, wovon ich nicht die geringste Ahnung habe.

h., Dieser „herzliche“ Gruß kommt von der Mendel und stammt aus der Zeit, wo er ihr Rathgeber gegen mich war. Ferner:

1. beweist, daß diese Frau mir meine Manuscripte stahl, um sie ihrem Anbeter zu geben. Es ist mir ein ganzer Haufen solcher Gedichte verschwunden und hieraus, da sie nicht gedruckt werden konnten, ein Schaden entstanden, der sich auf Tausende beläuft.

Daß sich Beide hierbei ihrer Schuld bewußt waren, zeigt der Passus, daß „kein Mensch Etwas davon erfahren darf.“ Auch das ist wieder „Herzens“bedürfniß!

2 beleuchtet das Herzensbündniß und Liebesverhältniß hinter meinem Rücken, welches bereits zu dem Kosenamen „Nscho Nschi“ gediehen ist.

3. Warum darf ich „nichts merken“, daß sie geschrieben hat? Das ist Schuldbeweis!

4. Dieses „Hurrah“ und dieser „Hoffnungsstrahl“ sprechen ganze Bände“! Ich erinnere daran, daß ich als todtkranker Mann auf der Mendel mit einem lauten „Hurrah“ in das Bett der Frau Plöhn gesprungen sein soll. Das soll im Jahre 2 geschehen sein. Die Pollmer aber schreit schon 98 „Hurrah!“ Der Schluß ist leicht zu ziehen.

5 Das Verhältniß hat während meiner Orientreise eine solche Innigkeit angenommen, daß sie sich nicht schämen, sich vor allen Leuten mit einander im Theater zu zeigen.

6 ist hochinteressant. Sie schrieb diese Karte eng vor ihrer und Plöhns Abreise nach Egypten. Sie wollte Abschied nehmen. Welte verkehrte bei Pllöhns genau so wie bei mir. War das Verhältniß rein, so wurde dieser Abschied gemeinsam genommen. Sie wollte ihn aber allein haben. Plöhns erfuhren kein Wort davon. Wann ist der „liebe“ Herr Welte wohl von der „herzlichen“ Frau nach Hause gegangen?!

7. zeigt, wie heimlich das alles ging.

8. Diese Liebesscene ist natürlich „Aufforderung zum Tanze“! Die Karte kommt aus Bozen. Wie mag es da um ihre Trauer um mich stehen, mit der sie Andere zu Thränen zu rühren weiß!

9. Sogar auf kostspieligen Ausflügen, die sie mit meinem Gelde macht, gedenkt sie liebend seiner, damit er ihre neue Adresse sofort erfahre, denn sie

ist gestern umgezogen.

10.

Von ganzem Herzen“ ist sie ihm treu bis in das neue Jahr hinein!

Vor allen Dingen ist es mir hierauf erklärlich, daß diese Frau den Ausdruck „Louis“ haben konnte!

Sodann erkläre ich ganz besonders, daß ich von keiner einzigen dieser Zuschriften etwas gewußt habe. Wenn nur auf einigen von ihnen mein Name stünde!

Und drittens sind dies nur die wenigen Sachen, die Welte mir ausgeliefert hat, also die unschädlichen. Wie mögen da wohl die geklungen haben, die er mir nicht geben konnte und durfte?!!!

Hierzu kommt, daß diese Frau, als sie von Bozen nach Dresden kam, sofort nach ihrer Ankunft Welte aufgesucht hat, und zwar im Ministerium des Innern, ohne daß sie es ihm vorher meldete. Die alte, graue Amsel, beim jungen, grünen Zeißig! Er selbst erzählt, daß es seinen Collegen aufgefallen und er von ihnen daraufhin gefoppt und ironisiert worden sei!

Ich wiederhole:

Der gegnerische Rechtsanwalt Gerlach hat die Behauptung verbreitet, daß ich mich von dieser Frau nur deshalb habe scheiden lassen, um an ihr eine vollgültige Zeugin für mich zu gewinnen. Wie niedrigdenkend muß ein Mensch sein, der so Etwas überhaupt für möglich hält! Wie oberflächlich, leichtsinnig und frivol müssen die Spionirereien betrieben worden sein, die ihn zu einem so lügnerischen Resultate führten! Oder, falls er gar nicht erst geforscht, sondern nur so darauf los behauptet hat, wie muß es da

im Innern und auch um die äußere Atmosphäre eines Mannes aussehen, der zwar der Spezialfreund des Staatsanwaltes Seyfert ist, zugleich aber auch der juridische Schutzengel des Münchmeyerschen Schundverlages und wegen heimlicher, verbotener Beschleichung und Durchstöberung landgerichtlicher Zimmer und ähnlicher Heldenthaten in aller ehrlicher Leute Mund ist!

Er hat mich und meine Zeugen bei der Staatsanwaltschaft, sage und schreibe, natürlich bei diesem seinem Freunde, wegen Meineides und Verleitung hierzu denunzirt. Staatsanwalt Seyfert hat die Verfolgung dieser Denunziation übernommen. Es ist ihm dies vielseitig verdacht worden, eben wegen seiner innigen Beziehung zum Denunzianten. Ich aber meine, ob er fair oder unfair gehandelt hat und auch noch weiter handeln wird, das hat sich erst zu zeigen. Was mich betrifft, so habe ich nicht die geringste Sorge wegen mir und meinen Zeugen; wir wissen uns gerecht. Was aber ihn, den Staatsanwalt betrifft, so muß und wird er sicherlich zu der schließlichen Erkenntniß kommen, daß man ihn nur verführen will, den blinden Henkersknecht im Dienste des Kolportageschundes und der um mein Geld besorgten Münchmeyerei zu machen! Ich schließe hier nun für einstweilen ab. Sobald sich Neues ereignet, folgt Weiteres.

Soeben kommt mir ein Brief in die Hand, in dem auch Frau Rößler schreibt, daß der Pollmer während ihres Aufenthaltes in Bozen weiter nichts gefehlt hat, als einen Menschen, den sie mit perverser Wollust quälen kann.

Gestern geschah mit Klärchen Etwas, was die ungeheure Macht der Pollmerschen Hypnose illustrirt. Wir waren im Symphoniekonzert, Altstädter Hoftheater, auf unsern Fauteuilplätzen G u. H, Reihe Eins. Während der Brucknerschen Sinfonie fing Klärchen plötzlich an, zu zittern und zu weinen, je länger, umso bitterlicher. Sie sagte, sie wisse nicht, weshalb, aber es sei ihr himmelangst, als ob wir beide sterben müßten. Ich sah sofort, daß das Hypnose war, und zwar die bekannte Pollmersche. Aber die Pollmer befand sich doch in Weimar! Sie durfte nicht näher als 100 Kilometer an Dresden heran. Das hatten wir aus Angst vor einem Attentat zur Bedingung gemacht! War sie etwa trotzdem hier? Wir hatten vor uns nur noch den tiefer liegenden Orchesterplatz. Ich suchte ihn mit den Augen ab. Richtig! Sie war da! Sie saß ganz links da drüben und hielt die Augen starr und haßerfüllt auf Klara gerichtet. Mich konnte ihr Blick nicht treffen, weil mehrere Köpfe anderer Leute dazwischen waren. Klärchen hatte keine Ahnung von ihr. Sie hatte sie gar nicht gesehen, weil sie kurzsichtig ist und die Brille nicht trug. Welch eine Macht dieser Bestie! Unter diesem Einflusse wollte Klärchen nach dem Konzerte unbedingt zu ihr hin, um mit ihr zu sprechen. Man sah, daß die Pollmer uns dann draußen auf der Straße folgte und absichtlich überholte. Was will sie

hier? Die alte Angst vor Schwefelsäure, Salzsäure, Gift u. s. w. taucht natürlich sofort von Neuem auf! Wahrscheinlich wohnt sie wieder bei Meyers, meinen erbitterten Feinden von Hohenstein-Ernstthal her? Also der alte Klatsch beginnt von Neuem! Da sind wir denn doch gezwungen, nachzuschauen!