Karl May:
Brief an Hans-Erich Tzschirner-Bey
vom 01.01.1912

Quelle: M-KMG Nr.4, Juni 1970, S.6f.
Standort: 1970 im Privatarchiv Alfred Schneider †, Hamburg.



Brieftext

"Sehr geehrter Herr!

Herr Justizrath Sello schickte mir Ihren Brief, in dem Sie sich so gütig über mich aussprechen. Sie stellen sich sogar zur Verfügung. Wie mich alten, dreiviertel todtgehetzten Mann das rührt! Ich danke Ihnen von ganzem, ganzem Herzen! Ich nehme dieses Ihr Erbieten an, denn ich weiß, der Dank blüht schon in Ihnen selbst [und] wird auch Früchte bringen.

So ganz ungereist bin ich freilich nicht. Von meinen älteren Ausflügen ist alles ausgegeben. Nur von der letzten Amerika- und der letzten, fast zweijährigen Reise in Asien und Afrika besitze ich noch einige Aufnahmen, die ich Ihnen als Gruß auch Ihnen bekannter Orte beilege.

Der Kampf gegen mich ist ein beispiellos gemeiner. Es hat noch nie auf Erden die Literatur irgend eines Volkes gegeben, in der sich eine so abstoßende Kavillerei* wie die sogenannte "Karl May-Hetz[e"] ereignet hätte. Sie würde selbst unter den wildesten der Wilden unmöglich sein und wird ein Schandfleck der deutschen Literatur bleiben, so lange es eine Literatur der Deutschen giebt. Ich hätte ihr diese Schande gern erspart, werde aber den Kampf bis dahin führen, wo die Blinden sehend werden müssen, sie mögen wollen oder nicht.

In aufrichtiger, dankbarer Hochachtung
bin ich
Ihr
ergebener
Karl May."


*Das von May gebrauchte Wort 'Kavillerei' ist von Kaviller - Abdecker abgeleitet, vielleicht meint May auch das Gaunerwort 'Kafiller', welches die gleiche Bedeutung hat.


Zum Brief Karl Mays

Die Veranlassung zu diesem Brief war eine Zuschrift, die der Forschungsreisende Hans-Erich Tzschirner am 18. Dezember 1911 an den Justizrat Dr. Sello, einen der Anwälte Mays, gerichtet hatte:

"Sehr geehrter Herr Justizrat!

In der Karl-May-Sache biete ich mich Ihnen als sachverständiger Zeuge dafür an, daß Herr May sich mit einem eisernen, genial zu nennenden Fleiß und einer beispiellosen Energie derartige Kenntnisse von den Ländern, die er beschrieb, angeeignet hat, daß Jeder, der sie in der Tat bereiste, vor einem Rätsel steht, wenn er hört, daß Herr May diese Länder nicht persönlich kenne.

Den schlagendsten Beweis hierfür und damit für die Wahrheit seiner inneren dichterischen Erlebnisse erhielt ich auf der Rückkehr von meiner letzten Weltreise, die mich durch das Gebiet um den Euphrat und Tigris bis Babylon hinaufführte. In dem Hause der deutschen Ausgrabungsexpedition fand ich durch Zufall das May'sche Buch 'Durch die Wüste' und brachte das Gespräch auf den Autor. Die Herren, die jahrelang inmitten der von May geschilderten Beduinenstämme, hundert Kilometer und mehr von der nächsten, festen Siedlung entfernt, leben, sind seine begeisterten Freunde, trotzdem sie aus den Zeitungen wußten, daß er nie aus Deutschland hinausgekomen sei.

Ich selbst, der ich Arabien, Syrien und die lybische Wüste auf verschiedenen Reisen durchquert habe, war frappiert, als ich das Buch auf der Reise durch den persischen Golf las. Da ich selbst Bücher psychologischer Art und Artikel über meine vielen Reisen schreibe, wie Sie aus der zurückerbetenen Anlage ersehen, bin ich wohl zu einem Urteile berechtigt. Es geht dahin, daß man einen derart produktiven, wohl ununterbrochen in seiner Arbeit lebenden, in ihr völlig aufgehenden Dichter, der hunderttausend deutscher Jünglinge und Männer den kühnen, begeisterten Wagemut in die Brust gepflanzt hat, der England so mächtig machte, unbedingt zubilligen muß, daß er Anspruch darauf hat, sein Privatleben vollständig in seinem Schaffen aufgehen zu lassen und einer anderen Beurteilung unterworfen zu werden als jeder beliebige Philister oder gar ein einem solchen begnadeten Könner gegenüber impotente und neidische Literat, wie der hier in Frage kommende. Wer selbst lebensvolle Bücher geschrieben hat, weiß, in welche Intensität des Miterlebens das Schaffensfieber hineintreibt. Bei May aber ist es Voraussetzung der vollen Entfaltung seiner dichterischen Kraft, daß er seine Persönlichkeit selbst in ihren Mittelpunkt stellt, wie es ganz offen jeder Lyriker und in letzter Linie  j e d e r  freischaffende Künstler tut.

Vor solcher hohen, in ihrer ideellen Wirkung kaum zu überschätzenden Kraft sollte jeder nachdenkliche und künstlerisch empfindende Mensch eine hohe Achtung haben und sich schämen, auf die zweifellos bestehende Lombroso'sche Verwandtschaft Genie, Verbrechen, Wahnsinn oder auf das bekannte Gottfried Keller'sche Gedicht hinzuweisen.

Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung, sehr geehrter Herr Justizrat.

In vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener H.E. Tzschirner."


Karl Mays Korrespondenz


Volker Griese: Karl Mays Korrespondenz (SoKMG 102)


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