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Der Dukatenhof.

Eine Erzählung aus dem Erzgebirge.VonKarl May.

(Nachdruck verboten.)

1. Der Köpfle-Franz.

Die steile Bergstraße hinauf schob sich mit langsamen, schildkrötenartigen Bewegungen eine so eigenthümliche Figur, daß ein Unbekannter sie von Weitem wohl kaum für ein menschliches Wesen gehalten hätte. In der Nähe aber erkannte man die seltsame Gestalt als einen Mann, welcher sich mühsam mit den Händen fortschieben mußte, weil ihm beide Beine gänzlich fehlten.

Der mit einer alten, vielfach ausgebesserten Jacke bekleidete Körper war durch Riemen in einem aus starkem Holze gefertigten Rollkasten befestigt; den nach vorn tief niedergebeugten Kopf bedeckte ein ungewöhnlich breitkrämpiger Filz, dessen ursprüngliche Form und Farbe wohl schon seit Jahren in Sturm und Regen verloren ging; über dem Rücken hing ein umfangreicher, schmutziger Leinwandsack, jedenfalls bestimmt zur Aufnahme von allerhand Geschenken, denn das ganze äußere des Unglücklichen ließ vermuthen, daß er zu denjenigen Beklagenswerthen gehöre, welche mit der Befriedigung ihrer Bedürfnisse lediglich auf die Mildthätigkeit -

Mildthätigkeit ihrer Mitmenschen angewiesen sind. Und diese Mildthätigkeit schien sich in dem vorliegenden Falle als fruchtbar erwiesen zu haben: der Sack war trotz seiner Größe wohl gefüllt, und seine Schwere veranlaßte den Träger, öfter auszuruhen, als es trotz der Gebrechlichkeit des Letzteren sonst wohl der Fall gewesen wäre.

Nach langer Anstrengung endlich oben auf der Höhe angekommen, hielt er tief athmend still und ließ den Blick hinab in das jenseitige Thal gleiten, in welchem sich eines jener armen Gebirgsdörfer hinzog, deren Bewohner meist nur durch die schwachen Fäden einer wenig lohnenden Industrie mit der Außenwelt in Verbindung stehen. Die Abgeschlossenheit ihrer geographischen Lage äußert einen unleugbaren Einfluß auf alle ihre äußeren und inneren Verhältnisse und erhält den Charakteren eine Naturwüchsigkeit, welche unter der dichter gesäeten Bevölkerung des platten Landes sehr bald verloren geht.

Vor ihm, da wo die Straße sich wieder abwärts neigte, stand ein ziemlich neues, zweistöckiges Gebäude, über dessen Eingangsthür in goldenen Lettern die Inschrift: „Zur Bergschenke“ erglänzte. Vor dem Hause hielt eine leichte Kalesche, und aus dem Innern desselben tönte ein mehrstimmiges schallendes Gelächter durch die geöffneten Fenster. Der Ermüdete schien die Stimmen zu kennen; er erhob bei ihrem Klange lauschend den Kopf, und nun waren seine bisher unter der breiten Kopfbedeckung verborgen gewesenen Züge zu erkennen – Züge, wie man sie unter dem alten Hute gar nicht erwartet hätte, so kontrastirend mit seiner übrigen Erscheinung, so intelligent, wäre

man fast zu sagen versucht, wenn nicht ein undefinirbares Etwas in dem Gesichte, ein eigenthümlich gebrochenes Licht des großen dunklen Auges dieser Bezeichnung widersprochen hätte.

„Aha, der Baron und der Zettelkramer! Ganz gewiß woll’n die ’nunter zum – –“ Er drängte den Namen, welchen auszusprechen er schon im Begriffe gestanden hatte, wieder zurück. Der unterbrochene Gedankengang hatte schlummernde Geister in ihm erweckt; sein Auge loderte plötzlich in wildem Feuer, seine Hände erhoben wie drohend die Stemmhölzer, mit deren Hilfe er sich fortgeschoben hatte, und jenes unbestimmbare Etwas zuckte jetzt gehässig über das vorhin so ruhige und unbewegte Angesicht. „Nur zu, nur zu, nur immer zu! Ihr seid zwaa Spitzbub’n, das weiß ich; ihr mordet die Güter, saugt die Bauern aus und bringt ehrliche Leut’ mit euren Zetteln um Hab’ und Eigenthum; aber ihr arbeitet mir in die Hände, und d’rum hab’ ich alleweil’ Freud’, wenn ich euch zu sehen bekomm’!“

Er rollte sich die kurze Strecke bis zur Schenke weiter. Bei dem Fuhrwerke angekommen, hielt er überrascht an.

„Was?! Das ist ja dem – – na, dem sein Brauner, der ihm hundertzwanzig Dukat’n baar gekostet hat! Wie kommt der Gaul zum Baron? Da hat es wieder ’mal ’ne Wette gegeb’n oder so ’n kleines Spielchen bei verschloss’ner Thür. Nur zu, nur immer zu, denn so ist’s mir g’rad recht! Ihr würgt ihn langsam ab, und ich geb’ ihm den Gnad’nstoß. Ich hab’ noch Niemandem ’was zu Leid gethan, aber für Den gibt’s keine Gnad’ und kein

Erbarmen, für ihn hab’ ich kein Mitleid und kein Herz; er hat mir’s selber aus dem Leib geriss’n.“

„Köpfle-Franz,“ rief es da, und ein wohlgenährtes, schlaues Gesicht erschien am Fenster. „Köpfle-Franz, läßt Du Dich auch wieder ’mal zu Hause sehen? Wo bist denn in der langen Zeit herumgekroch’n?

„Drunt’n im Niederlande, Bergwirth. Die Sehnsucht nach mir wird hier ob’n net groß gewes’n sein!“

„Warum net? Ich weiß Eine, die hat gar viel nach Dir gefragt. Komm ’rein, wenn Du erfahr’n willst, wer’s gewes’n ist.“

„Laß nur den schlechten Witz, Bergwirth; mich hast Du net zum Narr’n! Aber ’rein kommen thu’ ich schon; ich möcht wohl gern ’was trink’n, wenn’s net viel kosten thät.“

In der Stube saßen zwei Männer, die, obgleich sie sich in ihren inneren Eigenheiten begegnen mochten, in Beziehung auf ihre äußere Gestalt in einem scharfen Gegensatze zu einander standen. Der Eine war klein und außerordentlich hager; seine spitze Physiognomie hatte etwas Raubvogelähnliches, was durch die große, schnabelartig gebildete Nase, auf welcher ein blauglasiger Klemmer ritt, keineswegs gemildert wurde. Der Andere war von hoher, starker und ungeschlachter Statur; sein dicker Kopf mit dem starken, kurzgeschorenen Haare, der niederen, nach hinten gehenden Stirn, den kleinen, tückischen Augen, der breitgedrückten Nase, den wulstig aufgeworfenen Lippen und schlappen Hängebacken war sehr geeignet, zu einem ähnlichen Vergleiche zu führen, denn er erinnerte ganz unwillkürlich an

jene Bissigkeit, durch welche sich eine bekannte Art unserer Hausthiere auszuzeichnen pflegt. Auch er trug seine gesunden Sehwerkzeuge hinter Glas und Rahmen, da aber der Zwicker bei ihm nicht gehaftet hätte, so war seine Wahl auf die altbewährte und zuverlässigere Form der Brille gefallen. Beide, der Riese sowohl als auch der Zwerg, waren fein und nach der neuesten Mode gekleidet, doch saßen wenigstens dem Ersteren die Sachen so, daß sich sehr leicht vermuten ließ, er habe sich erst vor noch nicht gar zu langer Zeit mit diesem Habitus befreundet.

„Laß doch den Krüppel draußen, Bergwirth,“ meinte er. „Es wird mir immer schlecht, wenn ich so eine Kreatur zu sehen bekomme, und übrigens habe ich das Betteln niemals leiden mögen!“

Der Gegenstand dieser lieblosen äußerung hörte die Worte gar wohl, denn er befand sich bereits in der Stube, aber ganz entgegengesetzt der gewöhnlichen Reizbarkeit gebrechlicher Leute erwiederte er in demüthigem Tone.

„Herr Baron, ich bin net selber Schuld, daß sie mir die Beine weggeschnitt’n hab’n; aber wenn ich Ihn’n zuwider bin, so will ich geh’n!“

„Bleib nur immer da!“ gebot der Zwerg. „Der Herr Baron kennt Dich noch nicht und wird wohl nichts dagegen haben, daß Du ihm einmal Deine Kunst zeigst.“

„Was denn für eine Kunst?“ frug verächtlich der Riese. „Es wird wohl nicht weit her damit sein!“

„Da dürften Sie sich irr’n!“ entgegnete der Wirth. „Der Franz ist ein ganz perfekter Maler; er zeichnet an keinem Kopfe länger als fünf Minut’n, und nachher ist

man getroff’n g’rad wie man leibt und lebt. D’rum heißt er ja eb’n der Köpfle-Franz.“

„Das machst Du mir nicht weiß! Wenn er das fertig brächte, so stände es besser mit ihm.“

„Sie glauben’s net? So werd’ ich’s Ihnen beweis’n. Franz, willst Du mich abzeichnen, so wie ich jetzt hier sitz’ mit der Tabakspfeif’ im Munde? Du sollst ’n gutes Bier bekommen und noch fünf Grosch’n extra d’rauf!“

„Warum denn net? Das Bier soll mir recht sein, denn ich hab’ grad den richtigen Durst, und das Geld ist alleweil’ am nothwendigsten zu brauch’n. Bleib sitz’n; ich werd’ gleich fertig sein!“

Er schob sich an den nächsten Stuhl, nahm den Sack vom Rücken, öffnete ihn und zog eine sorgfältig eingewickelte Papierrolle hervor. Sie enthielt sein Zeichenmaterial. Der Wirth richtete sich erwartungsvoll in Positur, brachte die neue Meerschaumpfeife in das gehörige Licht, und kaum waren einige Minuten vergangen, so hielt er die fertige Bleistiftskizze in der Hand.

„Franz,“ rief er befriedigt, „so gut wie heut’ hast Du mich noch niemals getroff’n! Hier sind die fünf Grosch’n, und von wegen dem Bier, da sollst Du zwei Seidel hab’n statt nur eins!“

„Zeig’ her, Bergwirth,“ meinte der Kleine. „Wenn er heut’ wirklich so eine gute Hand hat, so soll er mich auch abkonterfeien. Wahrhaftig! Besser bringt’s der größte Künstler nicht zuweg; guck her, Baron! Franz, willst Du meinen Kopf auch zeichnen?“

„Meinetweg’n, wenn’s dem Herrn Bankier Recht ist!

Hab’ g’rad noch zwei Papiere; für Sie eins und für den Herrn Baron eins.“

„Gut,“ entschied dieser. „Ich sehe, daß Du kein dummer Kerl bist. Sollst mich also auch malen, und wenn ich mit Dir zufrieden bin, so bekommst Du einen ganzen Thaler!“

Er hatte erwartet, daß dieses Gebot den armen Teufel in Staunen versetzen werde; dieser aber nahm mit der gleichgiltigsten Miene den Bleistift wieder zur Hand und führte denselben mit einer Sicherheit über die Blätter, als handle es sich um die allereinfachste Strichübung.

Als die Köpfe ihre vollständige Schattirung erhalten hatten, übergab er sie den beiden Männern.

„So! Besser bringt’s Keiner fertig. Wenn man solche Herr’n zu Papier bringt, muß man sich schon besser Mühe geb’n als bei gewöhnlichen Leut’n.“

Die Arbeit war sehr gut gelungen; der Baron schob ihm den versprochenen Thaler zu, und auch der „Bankier“ entschloß sich zu einem gleichen Honorar.

„Kannst’s immer nehmen, Franz,“ ermunterte er; „wir sind ja Leute, die es haben! Nich wahr, Bergwirth?“

Der Gefragte nickte zustimmend und klopfte dabei mit einem verschmitzten Lächeln an seine eigene Tasche.

„Das wollt’ ich meinen! Wir hab’n wohl alle Drei net nöthig, mit dem Pfennige zu fuchs’n, denn so lange es in der Welt noch Dumme gibt, braucht kein Gescheidter für’s Bischen Münz’ zu sorg’n!“

„Hast Recht,“ lachte der Riese. „Und die Dummen werden ja niemals alle; wenn es mit Einem zu Ende geht,

so kommt dafür ein ganzer Güterzug voll Andere wieder an. Heut’ wird hier bei Euch ein Gäns’rich gerupft.“

„Kann mir’s denk’n, wer es ist. Hab’ ja auch schon genug Federn von ihm! Aber die schönste Feder, die er gelass’n hat, war doch der Braune drauß’n.“

„Ja, ja, Alter; das war ein Meisterstück von uns Dreien. Halte nur Dein Hinterstübchen immer parat und gib unsere Karten nicht an and’re Leute. Weißt Du vielleicht, wer alles zum Dukatenhof geladen ist?“

„Die ganze Nachbarschaft. Die Kleinen bleiben unt’n in der Stub’, und die paar Groß’n kommen ’rauf in’s gute Zimmer. Geld gibt’s da ob’n mehr als genug. Heut’ Abend komme ich auch hin; beim Begräbniß freilich kann ich net mit sein, weil die Wirthin ’nunter ist.“

„Da kommst Du natürlich hinauf zu uns! Wir legen eine kleine Bank, und Du – na, Du wirst ja sehen wie es paßt; der Dukatengraf kann Dir Deinen Stall auch mit bauen helfen.“

Der Köpfle-Franz schien wenig oder gar nicht auf diese Reden zu achten. Er hatte sein Geld eingesteckt, sein Bier getrunken und griff eben zum Sacke, um sich zu verabschieden, als sich vom Thale herauf das Geläute von Glocken vernehmen ließ.

„Was?“ rief der „Baron“ Genannte. „Schon so weit? Da haben wir über der Malerei die Leiche ganz vergessen und können uns nur sputen, wenn wir den Zug noch sehen wollen. Vorwärts, College!“

Der Kleine setzte den blauen Zwicker fest und erhob sich.

„Als ob ein Leichenzug so ganz ’was grausam Sehenswerthes -

Sehenswerthes wär’!“ meinte Franz gleichgiltig. „Von meinetweg’n mag sterben wer da will, ich laufe Keinem nach. Wer wird denn ’nausgetrag’n?“

„Das ist’s ja eb’n, was ich Dir sagen wollte,“ antwortete der Wirth, welcher sich anschickte, die beiden Gäste an den Wagen zu begleiten. „Ich hab’ es nur über den Bildern ganz und gar vergess’n. Die Dukatenbäuerin ist todt; sie hat vor ihrem End’ gar viel nach Dir gefragt und fast gar net ersterb’n können, weil Du net da gewes’n bist.“

Er verließ das Zimmer und bemerkte in Folge dessen die außerordentliche Wirkung nicht, welche seine Wort auf den Frager hervorbrachten. Dieser starrte mit dem Ausdrucke des höchsten Schreckens im erbleichten Angesichte und weit aufgerissenen Auges nach der Stelle, auf welcher der Berichterstatter gestanden hatte; kein Glied seines Körpers regte sich, keine Miene bewegte sich; er schien bei der Kunde von dem Tode der Dukatenbäuerin selbst zur Leiche geworden zu sein. So stand er eine ganze Weile wie leblos auf einem und demselben Flecke, bis sich endlich die furchtbare Beklemmung mit einem tiefen, röchelnden Athemzuge aus der zusammengepreßten Brust rang.

„Die Anna ist todt – – der Anna läut’n sie – – die Anna woll’n sie begrab’n? Nein, nein, die Anna ist net todt, die Anna kann nimmer sterben, die Anna darf net begraben werd’n! Ich leid’ es net, daß ihr sie einscharrt, ich leid’ es net! Fort, fort – – ich will sie seh’n, ich muß sie festhalt’n, ihr dürft sie mir net nehmen!“

Der Schreck war verschwunden, dafür aber eine Angst

über ihn gekommen,die alle seine Nerven und Sehnen anspannte und ihm den hellen Schweiß aus den Poren trieb, noch ehe seine Glieder zu irgend einer Anstrengung gelangt waren. Er warf sich den Sack über die Schulter, griff zu den beiden Stemmhölzern und arbeitete sich mit einer Geschwindigkeit hinaus auf die Straße, um die ein vollständig Gesunder ihn hätte beneiden können; dann ging es, ohne auf die Zurufe des Wirthes zu hören, in fliegender Hast an diesem vorüber und die Straße hinab, auf welcher das Geschirr des Barons in kurzem Trabe bereits dahinrollte.

Man konnte von der Höhe den Zug sehr deutlich beobachten, welcher sich von dem unteren Ende des Dorfes nach dem in der Mitte desselben befindlichen Kirchhofe bewegte. Zur Beobachtung der Einzelheiten allerdings hätte man sich in größerer Nähe befinden müssen, und da gab es nicht blos zu sehen, sondern auch zu hören, denn gar manches bedeutsame Wort flog unter den Leuten hin und zurück, welche sich zu beiden Seiten des Weges, den das Trauergeleite einschlagen mußte, aufgestellt hatte.

Allem voran wurde nach schöner alter Sitte das mit schwarzem Flor umhangene Kreuz getragen, hinter welchem in einzelnen Paaren die männliche Schuljugend folgte, begleitet von den Lehrern und dem Ortsgeistlichen. Dann kam der reich mit Kränzen und Guirlanden geschmückte und von sechzehn Männern getragene Sarg, dem sich nach den nächsten Verwandten der Verstorbenen eine lange Reihe von Nachbarn, Freunden und sonstigen Bekannten anschloß. Natürlich richtete sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer

vor allen Dingen auf die Hinterlassenen der Todten. Es waren dies nur zwei Personen, welche neben einander gingen: der Dukatenbauer und seine Tochter.

Der Erstere mußte schon durch seine äußere Erscheinung auffallen. Er war ein hoch und kräftig gebauter Mann im Ausgange der fünfziger Jahre; seine ganze Haltung zeigte den selbstbewußten, unlenksamen Charakter, durch den er selbst über den häuslichen Kreis hinaus gefürchtet und – gemieden war; keine Thräne stand in seinem Auge, kein Zug der Trauer war in seinem harten, finsteren Angesichte zu bemerken; an der Schleife seines Hutes glänzten wie immer die sechs blanken Dukaten, wie immer hing ihm statt der Uhrkette die lange Dukatenschnur um den Hals, und wie immer reihten sich an der Weste und dem offen stehenden Rocke an Stelle der Knöpfe Dukaten an Dukaten. Er hieß Graf, wurde allgemein der Dukatengraf genannt und wollte auf diesen Beinamen, welcher sein größter Ruhm und Stolz war, nicht einen Augenblick verzichten, auch nicht für diese Stunde, in welcher jeder Andere den irdischen Flimmer von sich geworfen hätte, um auch an seinem Kleide zu zeigen, daß er die Macht eines höheren Geschickes anerkennen müsse.

Auch das schöne Mädchen an seiner Seite hatte keine Thränen. Aber, das sah man auf den ersten Blick, sie fehlten nur, weil sie bisher zu reichlich geflossen waren. Sie trug das mit den schweren Flechten umwundene Köpfchen tief gesenkt; die sonst so rosigen Wangen waren erbleicht und die gefalteten Hände drückten sich auf die Brust, als müßten sie das schmerzerfüllte Herz vor dem Zerspringen

bewahren. Aller Augen wandten sich mit Unwillen vom Vater weg auf sie, und dann gab es keinen Blick, in welchem nicht das innigste Mitleid und die wärmste Theilnahme zu lesen gewesen wäre.

Es war das erste Mal, daß eine Leiche ohne Gesang durch das Dorf getragen wurde, aber die Todte hatte es ausdrücklich so gewollt. Ihr Leben war ein stilles gewesen, sie hatte im Stillen gewirkt und gelitten, im Stillen wollte sie nun auch beerdigt sein. Nur draußen am offenen Grabe sollte man ihr einen Vers singen, einen einzigen Vers; den hatte sie sich selbst gewählt und noch in ihrer letzten Stunde beim Pfarrer bestellt. War sie dabei vielleicht von dem Wunsche geleitet worden, im Tode ein mahnendes Wort an das Gewissen ihres Gatten zu richten, da sie im Leben es niemals hätte wagen dürfen? Wenigstens richteten sich die Blicke unwillkürlich auf ihn, als sich der Kreis um den geöffneten Sarg geschlossen hatte und nach der bekannten Melodie die ernste Erinnerung erklang:

„O Ewigkeit, du Donnerwort,

O Schwert, das durch die Seele bohrt,

O Anfang sonder Ende.

O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,

Vielleicht schon morgen oder heut’

Fall’ ich in deine Hände.

Mein ganz erschrocke’nes Herz erbebt,

Daß mir die Zung’ am Gaumen klebt.“

Das Kind der Verstorbenen kniete an der Seite des Sarges und hatte in wortlosem Schmerze den Kopf in das Kleid der Mutter gehüllt. Der Dukatenbauer stand aufrecht -

aufrecht daneben; sein Auge ruhte nicht auf den Zügen, die er jetzt zum letzten Male sehen durfte, sondern es begegnete mit zornigem Ausdrucke den auf ihn gerichteten Blicken der Anwesenden. Die Adern seiner Stirne traten dunkler und deutlicher hervor, die Lippen preßten sich kräftiger auf einander, und die Hände hoben sich langsam, wie bereit zur Abwehr der Beleidigung, die er in den Gesang und in die Blicke legte.

Als der letzte Ton verklungen war, trat der Geistliche zu Häupten der Verstorbenen und begann seine Rede; aber er nahm nicht, wie sonst üblich, ein Bibelwort zum Thema derselben, sondern es diente ihm der soeben gesungene Vers dazu. Auch das hatte die Todte gewollt, und ihr Wille mußte befolgt werden. Der Pfarrer war im weiten Umkreise als einer der besten Redner bekannt; er hatte schon oftmals harte Seelen auf das Tiefste erschüttert, und man ahnte, daß er sich heute eine ähnliche Aufgabe gestellt habe. Trotz des milden, linden Tones, in welchem der greise Seelsorger sprach, fühlte auch der Dukatengraf diese Absicht; sein Stolz bäumte sich dagegen auf; die Falten, welche sich ihm von Schläfe zu Schläfe zogen, wurden immer tiefer und drohender, und als der Redner bei dem Schwerte anlangte, „das durch die Seele bohrt“, und die Absicht vermuthen ließ, jetzt sich an diejenige Seele zu wenden, welche der Todten im Leben am nächsten hätte stehen sollen, da war es mit seiner Geduld zu Ende. Den abgenommenen Hut sich auf den Kopf setzend, ergriff er die Hand der Tochter:

„Komm, Emma,; wenn’s so laut’n soll, so hab’n wir

hier nix mehr zu such’n! Ich dank’ für Ihre Red’, Herr Pastor; bezahlt hab’ ich sie, aber brauch’n thu’ ich sie net! Der Dukat’ngraf weiß ganz von selber, was er zu thun und zu lass’n hat, und bei’m Super’dent werd’ ich wohl erfahr’n, was für ein Unterschied zwischen Leichenred’ und Strafpredigt ist!“

Emma erschrak im höchsten Grade über das Thun ihres Vaters; sie zog ihre Hand aus der seinen und wandte sich zum Sarge zurück.

„So bleib’, wenn Dir’s gefällt; ich habe nix dageg’n!“

Die Nahestehenden wichen scheu vor ihm zurück; er schritt mit trotzig zurückgeworfenem Kopfe zwischen ihnen hindurch und verließ den Kirchhof. Draußen kam eben der Wagen des Barons dahergerollt.

„Willkommen, Herr Baron! Sie woll’n wohl zu mir?“

„Natürlich! Wir müssen Ihnen doch unser Beileid über den Verlust – –“

„Schon gut! Halb so viel ist auch genug! Und wenn Sie sich wundern, mich hier zu seh’n statt d’rin bei den Andern, so soll’n Sie unterwegs den Grund erfahr’n. Darf ich aufsteig’n?“ –

Sein Verhalten hatte die ganze Versammlung in eine unbeschreibliche Verwirrung gebracht, und nur Einer war es, der seine Fassung bewahrte, der Geistliche. Er suchte zunächst das Mädchen zu beruhigen, welches jetzt laut schluchzend an der Erde lag, dann winkte er dem allgemeinen Ausdrucke der Entrüstung Schweigen und setzte, als die nöthige Stille wieder eingetreten war, die unterbrochene Rede weiter fort.

Ein Begräbniß wie das heutige hatte noch niemals stattgefunden, aber es war auch noch niemals eine Predigt gehalten worden wie die gegenwärtige, und als am Schlusse derselben der Segen gesprochen war, da wußte Jeder, daß er diesen Tag im ganzen Leben nie vergessen werde.

Der Sarg sollte nun geschlossen werden, und schon griff man zum Deckel, da zog ein lauter, angstvoller Ruf die allgemeine Aufmerksamkeit nach dem Eingange hin.

„Halt, halt,“ klang es; „Ihr dürft sie net einscharr’n; ich muß die Anna seh’n; sie lebt, sie ist net todt!“

Es war der Köpfle-Franz. Trotz aller Eile war es ihm erst jetzt gelungen, die Trauerstätte zu erreichen, und mit Aufbietung seiner letzten Kräfte arbeitete er sich den breiten Kirchhofsgang herauf bis in die nächste Nähe des Sarges. Er hatte den Hut verloren; die langen Haare hingen ihm in wirren Strähnen um den Kopf; auf Stirn und Wangen stand der Schweiß in großen Tropfen; seine Augen glühten wie im Fieber, sein Athem flog und seine Hände bebten, als er die schwarzen Bretter erfaßte, um sich an ihnen aufzurichten.

Kein Mensch trat ihm hindernd entgegen; auch der Pfarrer ließ ihn ruhig gewähren. Sie Alle kannten die Geschichte des unglücklichen Mannes; sie Alle wußten, daß Niemand die Verstorbene so sehr im treuen Herzen getragen hatte wie er, daß ihr Tod außer ihrem Kinde Keinem so nahe gehen müsse wie ihm, und so störten sie ihn nicht in seinem Verlangen, die leblose Hülle Derjenigen zu sehen, die er geliebt hatte mit der ganzen Gluth, deren das menschliche Herz nur fähig ist.

„Anna, wach auf!“ rief er mit zitternder Stimme. „Der Franz ist da, der Grunert-Franz, der mit Dir red’n will! Ich weiß, Du bist net todt, Du wirst mich hör’n!“

Sein Auge suchte das erblichene Angesicht der Leiche; es fiel auf den regungslosen Kopf mit dem vor der Zeit ergrauten Haare, den eingesunkenen Augenhöhlen, den eingefallenen Wangen, den hippokratischen Zügen, und wandte sich dann mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke auf die Umgebung.

„Hab’ ich’s net gesagt? Die Anna ist net todt, die Anna kann mir net sterben! Das hier ist dem – – na, Dem seine Frau, das ist die Bäuerin von dem – – na, dem Hof da drauß’n, die kann immer todt sein, die könnt ihr immer begrab’n, denn sie ist seine Frau gewes’n. Aber die Anna, die ist mein, die hab’ ich bei mir zu Haus’ viel hundert Mal, die laß ich mir net nehmen!“

Er schob sich von dem Sarge zurück und gewahrte nun erst Emma, welche unter herzbrechendem Weinen die erschütternde Scene beobachtet hatte.

„Wer bist denn Du? Dich hab’ ich noch gar net geseh’n! So wie Du sah die Anna aus, als sie zum erst’n Mal in’s Dorf gekommen ist, grad’ so wie Du. Aber Du bist sie net, Du bist – – geh’ weg,“ unterbrach er sich, indem es wie Haß in seinem Auge aufblitzte; „ich könnte Dir gut sein, grad’ wie der Anna, aber ich mag von Dir nix wiss’n. Die Anna hatte blaue Aug’n, Du aber, wenn Du auch weinst, ich seh’ es doch, Du hast Dukat’naug’n!“

Er nahm die unentbehrlichen Hölzer, welche er vorhin von sich geworfen hatte, wieder von der Erde auf, lenkte

um und schob sich, ohne die Versammlung weiter zu beachten, wieder von dannen.

Sein Weg führte ihn das Dorf hinauf; die Straße war ziemlich menschenleer und die wenigen Personen, welche ihm begegneten, bemerkte er kaum. Nur allein mit seinen Gedanken beschäftigt, lenkte er endlich in einen engen Seitenpfad ein, welcher zu einer Stelle führte, wo abseits von den übrigen Gebäuden ein kleines, einstöckiges und außerordentlich vernachlässigtes Häuschen stand. Es war sein Eigenthum und seine Wohnung. Er hielt still, sah sich scheu nach allen Seiten um, und da er Niemanden gewahrte, der seine Worte hören konnte, murmelte er halblaut:

„Das ist dem Köpfle-Franz sein Dukat’nhof. Aber der Franz ist gescheidter als der – der – der And’re. Wenn die Leut’ wüßt’n, daß der arme Krüppel blos dann ein Bettler ist, wenn er ’mal nach Hause kommt, so würd’ mein Kachelof’n – –“

Er hielt vorsichtig inne, denn er war im Begriff gewesen, sein kostbarstes Geheimniß in den Wind zu plaudern. Nachdem er, um sich zu überzeugen, daß Alles in Ordnung sei, die Runde um das Häuschen gemacht hatte, zog er einen riesigen Schlüssel aus der Tasche und näherte sich der Thüre. Das Schloß war so hoch, daß er es grad’ noch zu erreichen vermochte; er öffnete, schob sich in den engen, dunklen Flur und schloß dann hinter sich wieder sorgfältig zu.

Die Hütte hatte zur ebenen Erde drei Räume: den Flur, einen kleinen Stall und die Wohnstube. Er öffnete mit

einem zweiten Schlüssel die zu der letzteren führende Thüre und verriegelte auch diese mit einer Bedachtsamkeit, als habe er ungewöhnliche Schätze zu verbergen. Da die Läden zugemacht waren, so herrschte vollständige Dunkelheit um ihn her, bis er ein Feuerzeug hervorsuchte und mit Hilfe desselben ein kleines Lämpchen anzündete, dessen ungewisser Schein wenigstens eine Art von Dämmerung hervorbrachte. In dieser traten eine Unzahl von Köpfen gespenstisch hervor, welche rings an den weißgetünchten Wänden angebracht waren; sie stellten alle ohne Ausnahme in den verschiedensten Ausdrücken und Schattirungen ein und dasselbe Mädchen dar, und wer Emma vorhin auf dem Kirchhofe gesehen hatte, dem mußte die ähnlichkeit dieser Kohlezeichnungen mit ihr sofort in die Augen fallen.

Er hatte den Sack abgelegt, die Stemmhölzer bei Seite geworfen und kroch nun in einer Weise auf den Händen in der Stube herum, die ihm das Ansehen eines hilflosen, vierfüßigen Thieres gab, dem die Hinterbeine gelähmt worden sind. In einer Ecke des ärmlichen Gemaches befand sich ein äußerordentlich anspruchsloses Lager, bestehend aus einem Haufen dürren Laubes, über welchen eine alte Decke gebreitet war. Er wühlte einige Zeit in demselben herum und brachte zwei lange, starke Kerzen zum Vorschein, mit denen er sich einem niedrigen Tischchen näherte, dessen Platte aus zwei Theilen bestand, deren oberer zurückgeschlagen werden konnte. Zu beiden Seiten desselben war eine Drahtdille angebracht, in welche er die Kerzen befestigte und dann mit Hilfe der Lampe anbrannte. Dann zog er ein weißes Tuch aus dem Tischkasten, breitete es über die Platte und

schlug die Klappe zurück. Das Ganze hatte jetzt das Aussehen eines improvisirten Altares, dem auch das Bild nicht fehlte, denn an der inneren Seite der Klappe war ein in öl gemaltes Porträt angebracht, welches denselben Kopf darstellte, der in so vielen Variationen an die vier Wände gezeichnet war.

Er hockte sich vor dem Tische nieder, faltete wie andächtig die Hände und richtete sein Auge mit warmem, innigen Blicke auf das Gemälde. So saß er lange, lange Zeit, still und in seliges Anschauen versunken. Seine Züge waren jetzt frei von jenem störenden Ausdrucke und sprachen von nichts als von dem Dasein einer tiefen, heiligen Liebe zu dem Wesen, dem er eine Inbrunst widmete, welche man fast mit dem Worte Anbetung bezeichnen konnte.

„Da hast’ mich wieder, meine Anna!“ flüsterte er endlich glücklich. „Bin lange fort gewes’n, net wahr? Aber brauchst keine Sorge zu hab’n, es ist mir gut gegangen, besser noch als and’re Male. Hab’ wieder in der großen Stadt gemalt, wo die schöne Gallerie ist mit den vielen Bildern und wo sie mich immer anschau’n wie ein Wunderthier, wenn ich die vornehmen Leut’ zeichne, die da aus- und eingeh’n. Und denk’ Dir nur, der König war auch da mit seiner Frau und vielen anderen Herren und Damen, Fürst’n und Graf’n, Ministern und Generälen; die hab’n mit mir gesproch’n, und ich hab’ sie zeichnen müss’n in ihrer Wohnung alle mit ’nander. Das hat ’n Geld gegeb’n, wie ich Dir noch niemals so viel mitgebracht hab’. Laß Dir’s zeigen! Kassenbillets, Gold und Silber, aber ich hab’ mir’s umwechslen lass’n zu lauter Dukat’n.“

Er bog sich zu dem Rollkasten nieder, und nun zeigte es sich, daß derselbe einen Doppelboden hatte, zwischen dem sich ein Schubfach befand, welches er hervorzog. Neben mehreren Malerrequisiten und sonstigen Dingen, die man dem unscheinbaren Bettler nicht zugetraut hätte, lagen hier mehrere sorgfältig in Papier gewickelte Rollen, welche er öffnete, um die Goldstücke in dem Scheine der Kerzen glänzen zu lassen.

„Siehst Du, wie viel?!“ lachte er glücklich. „Sie sag’n hier, ich wär’ verrückt, weil Du net meine Frau geword’n bist; aber ich bin gescheidter als sie Alle,, und wer der Reichste ist im Dorfe, das wird sich schon auch noch zeig’n! Es hat noch Keiner von ihn’n in der Zeitung gestand’n, mich aber hab’n sie in Dresd’n hineingesetzt. Wart, ich will Dir’s ’mal vorles’n!“

Er nahm ein zusammengefaltetes Blatt aus dem Fache und schlug es aus einander.

„So, hier steht’s! Ich hab’ Dir’s mitgebracht, damit Du auch wiss’n sollst, was sie dort von mir sag’n.“

Zwar nicht fließend, denn dazu hatte er die Schule nicht gehabt, aber doch ohne besondere Fehler las er folgende Zeilen ab:

„Seit einigen Tagen ist wieder, wie schon einige Male früher, jener seltsame Besucher unserer Bildergallerie zu bemerken, welcher nicht nur die Augen durch sein körperliches Unglück auf sich zieht, sondern auch durch eine seltene Begabung für das Porträtzeichnen das lebhafteste Interesse aller Derer erweckt, die den mehr als bescheidenen Mann in der ihm stillschweigend eingeräumten Ecke haben hocken sehen.

Leider scheint der Unglückliche in Folge trüber Lebenserfahrungen, über welche er ein beharrliches Schweigen bewahrt, geistig gestört zu sein, was ebenso wie sein Alter eine Ausbildung, resp. Ausnutzung seines Talentes zur Unmöglichkeit macht, doch äußert sich diese Störung in einer Andere durchaus unbelästigenden Weise und hat jedenfalls ein Wesentliches zu der Theilnahme beigetragen, welche ihm sogar von hoher und allerhöchster Seite entgegengebracht worden ist. Wie wir vernehmen, hat er trotz seiner mehr als zu geringen Courfähigkeit das Glück gehabt, die Majestäten zeichnen zu dürfen; die meisten der Hofchargen haben sich diesem Akte der Mildthätigkeit angeschlossen, und wenn man aus sicherer Quelle erfährt, daß einer unserer reichsten englischen Sommergäste ihm eine kleine Familienskizze mit fünfzig Thalern honorirt hat, so liegt darin keineswegs eine Beruhigung für uns, sondern vielmehr eine Aufforderung, ihn auch weiteren Kreisen auf’s Wärmste zu empfehlen.“

„Siehst Du?! Was da steht ist Alles wahr, nur das von wegen dem Geiste net. Ich kann doch nix dafür, daß ich anders red’ als diese Leut’ und daß sie zu mir niederschaun müss’n, wenn sie mich anseh’n. Der König hat gar gemeint, er wolle für mich sorg’n und deshalb an meine Behörd’ schreiben lass’n, ich aber hab’ mir das verbet’n, denn wir haben’s noch lange net nöthig, uns ins Armenhaus stecken zu lass’n, ich net und Du erst recht net! Wer weiß, ob der König immer so viel Dukat’n hat wie wir!“

Die Erwähnung der verhängnißvollen Münzsorte gab seinen Gedanken eine andere Wendung.

„Und Der – – Der – – na, Du weißt schon, wen ich

meine, Der auch net! Mit dem geht’s immer mehr bergunter; er spielt und kauft Papiere von dem Zettelkramer, die ’mal nix werth sein werden, und nachher – – nachher wird der Dukat’nhof mein, denn der Baron bekommt ihn net, dafür will ich schon sorg’n! Ich hab’ Dich net haben soll’n, weil ich arm gewes’n bin, und Der – – Der war reich. Da hab’ ich einen Schwur d’rauf gesetzt, daß der Hof mein wird, und jetzt, jetzt bin ich ebenso schwer und noch schwerer, wie Der damals war. Und wenn Du das net glaubst, so will ich Dir’s beweis’n. Wir wollen wieder ’mal zähl’n!“

Er kroch zu dem alten, unförmlichen Kachelofen, unter welchem ganze Stöße von Zeichnungen lagen, die immer nur den einen Kopf behandelten. Er räumte sie zur Seite, und wer nach kurzer Zeit an dem Laden gehorcht hätte, dem wäre es bei scharfem Gehör vielleicht gelungen, einen Klang zu erlauschen, der mit der ärmlichkeit der halb zerfallenen Hütte nur schwer in Harmonie zu bringen war.

2. Aus vergangener Zeit.

„Auff dem Hoff ißt gesessen eyn Herr von Stiegelitz, so beynahe achtzig Jahre alt gewessen ißt vnd hat gehabt eyn so überauß rothe Nasen, weyl er den Safft geliebet hat, so auß dem Faß gelauffen kompt. Daherohalben ißt ihme der Beyttel klein geworden vnd besagter Stiegelitz hat sich umbsehn müssen nach eyn Käuffer für das Gut. Da kompt eyn Wachtmeister, so unter dem Wallenstein gedient, Graff geheissen, vnd indeme derselbe Schwedenfeyndt den Hoff kaufft, nimpt er eyn Geldkatzen vom Leib vnd wirft darauß eyn

überauß mächtigen Hauffen Dukkaten auf den Tisch, so mann zu Kremnitz im Lande Hungarn schlägt. Solch Gewechs ißt gewessen eyn allermassen köstlich Artzeneyen für dem alten Herrn seyn trucken Kehlen, vnd hat selwiger Wachtmeister von diesser Stundt geheissen der Dukkatengraff. Hab ihn auch noch gekannt, indeme er meyn zweitte Leich gewessen ißt, so ich eyn Parentation gegeben hab.“

So lautet eine Stelle aus den chronikalischen Aufzeichnungen, welche noch heute auf dem Pfarramte einzusehen sind. Der Wachtmeister ist gestorben, eine ganze Reihe seiner Nachkommen sind ihm gefolgt, aber Name und Vermögen haben sich erhalten und fortgeerbt von Kind auf Kindeskind. Die Dukatengrafen haben stets mit Stolz auf ihre Vorfahren zurück- und auf ihre Nebenmenschen herabgeblickt, sind nie umgänglich gewesen und haben auch niemals für irgend Jemandem Freundschaft und Vertrauen gezeigt.

Nur Heinrich Graf, der Letzte von ihnen, machte eine Ausnahme von dieser Regel.

Da draußen in dem kleinen, einstöckigen Häuschen wohnte eine arme Taglöhnerswittwe, die zu den Arbeiterinnen des Dukatenhofes zählte und in der freien Jahreszeit sich ihren Unterhalt mühsam mit Spitzenklöppeln verdiente. Sie hatte einen einzigen Sohn, der ein aufgeweckter, munterer Junge war, der ärmste im Dorfe, aber der Erste in der Schule. Gegensätze berühren sich. Heinrich, der Sohn des Reichsten im Orte, aber der Letzte auf der Schulbank war selten zu Hause zu treffen, sondern kroch mit dem Grunert-Franz unter dem niederen Strohdache des Häuschens herum, wo sie allerhand Romane spannen, oder strich mit

ihm durch Feld und Wald, eine Arbeit, zu welcher er die meiste Lust besaß. Der Arme half dem Reichen im Lesen und Schreiben, und dieser brach dafür dem Hungrigen sein Butterbrod.

Die Knaben wurden Jünglinge. Sie waren die beiden hübschesten Bursche auch über das Dorf hinaus, und gar manches Mädchen blickte mit sehnsüchtigem Herzen nach ihnen, wenn sie des Sonntags mit einander zum Tanze kamen. Die blanken Dukatenknöpfe standen dem Heinrich zum Entzücken, und wer nun gar die kostbare Uhrkette sah, die er so gern im Scheine der Lichter flimmern ließ, der verzieh es ihm, daß er noch immer wie in den Knabenjahren die meiste Zeit im Walde stak und sich wenig um den Hof bekümmerte. Er brauchte ja nicht nach dem Brode zu arbeiten wie Andere, und die Hirsche, Rehe und Hasen sind für Jedermann gewachsen. Der Franz konnte zwar keine dukatnen Ketten und Knöpfe aufzeigen, ja, er hatte nicht einmal eine Uhr, denn Alles, was er erübrigte, das gab er seiner Mutter, die nun alt geworden war und nichts mehr verdienen konnte, aber er war so nett und bildsauber, fast noch hübscher als der Heinrich, und Keiner verstand es so wie er, ein Mädchen im Kreise zu drehen, daß es schien, als gehe es mit Flügeln oder auf Federn. Und dazu war er so klug und gescheidt, daß selbst der Schulmeister gesagt hatte, er könne ihm nichts mehr lernen, besonders im Zeichnen. Daß er zuweilen des Nachts mit einem Päckchen über die Grenze schlich, das konnte ihm Niemand übel nehmen; der liebe Gott hat nicht befohlen, daß der Tabak auf der einen Ackerfurche mit acht Kreuzern bezahlt werden

soll, wenn er auf der andern nur einen Groschen kostet, und wer als armer Handarbeiter für eine alte Mutter zu sorgen hat, der muß dahin gehen, wo man ihn am besten bezahlt – so dachte man wenigstens allgemein.

Eine gab es, die ihm ganz besonders zugethan war, die Marie auf dem Dukatenhofe. Sie war eine vater- und mutterlose Waise, aber ein schmuckes und ordentliches Mädchen, an dem man schon seine Freude haben konnte. Wer weiß auch, was geworden wäre, denn der Franz war gar lieb und freundlich mit ihr, so daß es manche heimliche Neiderin gab, doch da trat ein Ereigniß ein, durch welches ihre Hoffnung, und nicht blos die ihrige zu nichte gemacht wurde.

Es hatte nämlich seit einiger Zeit sowohl der Wilddiebstahl als auch die Schmuggelei in der Gegend so überhand genommen, daß die Regierung sich genöthigt sah, dem gesetzwidrigen Treiben durch scharfe Maßregeln entgegen zu treten. Das Forst- und Grenzpersonal wurde durch Militär verstärkt, und der dasselbe kommandirende Offizier nahm sein Quartier im Dorfe, da dieses ziemlich in der Mitte der Operationslinie lag. Er war der älteste Lieutenant der Armee, hatte es während der Befreiungskriege vom Soldaten bis zur gegenwärtigen Charge gebracht, konnte auf weiteres Avancement nicht rechnen, und da er partout nicht aus dem Dienste scheiden und um eine Civilanstellung einkommen wollte, so pflegte man ihn zur Lösung von Aufgaben der vorliegenden Art zu verwenden. Und dazu war er allerdings auch grad’ der rechte Mann, das sollte sich bald zeigen.

Ein Lieutenant ist im Gebirge ein gar vornehmer Herr, und Niemand wagte es, ihn in Logis zu nehmen. Der Dukatengraf aber hatte nicht nur den Muth, sondern auch die Räumlichkeiten dazu, und so zog denn der alte Lieutenant mit Sack und Pack und mit Weib und Kind bei ihm ein. Er mochte sich von den beiden Letzteren nicht trennen. Und das konnte ihm auch gar Niemand übel nehmen, wie alle Jungburschen in Beziehung wenigstens auf die Tochter sofort einsahen. Sie hieß Anna und war in Allem das gerade Gegentheil von ihrem Vater. Er war Soldat durch und durch, kurz angebunden und hielt es nicht für nöthig, sich populär zu machen; man nannte ihn grob und stolz und ging ihm aus dem Wege. Dies geschah natürlich am sorgfältigsten von Denjenigen, die seine amtliche Thätigkeit zu fürchten hatten. Ganz anders aber verhielt man sich zu den beiden Frauen, die mehr als er mit den Leuten in Berührung kamen und sich sichtlich Mühe gaben, den Eindruck zu mildern, welchen die Rauhheit des Lieutenants hervorbrachte. Bald waren sie allgemein beliebt, und Anna, mit der sich kein hiesiges Mädchen messen konnte, hatte im Fluge die Herzen der männlichen Jugend erobert.

Bei dem gesunden Sinne der einfachen Menschen wurde sie durch diese Eroberungen nicht belästigt, und nur Einer hält sich für berechtigt genug, ihr seine Zuneigung offen zu zeigen – Heinrich. Sein Vater, der alte Dukatenbauer, hatte, obgleich der Lieutenant augenscheinlich nicht mit großer Habe gesegnet war, nicht das Mindeste gegen die Neigung seines Sohnes einzuwenden, vielmehr that er sein Möglichstes, dem Stammbaume der Dukatengrafen ein so

vornehmes Blatt beifügen zu dürfen. Er ließ seinen Reichthum im hellsten Lichte spielen, machte den Gästen ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich und benutzte dann einmal eine Gelegenheit zu einer leise anspielenden Frage.

„Hätte nichts dagegen, Graf, wenn Euer Sohn ’was taugte! Ihr seid ein gemachter Mann und ich auch; wir könnten uns zusammenschicken. Aber ich habe den Heinrich auf dem Korne, Ihr werdet schon wissen, weshalb, und die Anna scheint ihm auch nicht nachzulaufen. Schlagt Euch also den Gedanken aus dem Kopfe!“

So lautete die unverblümte Antwort. Der Bauer nahm seinen Sohn vor, erreichte aber bei dem eigenwilligen Charakter desselben nichts weiter, als daß Heinrich einen Haß auf den Vater des Mädchens warf, den er sich aber nicht anmerken ließ. Er besaß ein leidenschaftliches Naturell und gehörte zu denjenigen Menschen, die durch eine Weigerung nur hartnäckiger werden und dann um jeden Preis zum Ziele zu gelangen suchen. Daß Anna ihn nicht lieb haben könne, hielt er gar nicht für möglich. Er war gewohnt, bewundert zu werden, und sah in ihrer Zurückhaltung nur die natürliche Wirkung des Respektes, welchen sein Reichthum ihr einflößen mußte. Bei nächster Gelegenheit wollte er sich ihre Zusage holen, und dann war der Lieutenant ja gezwungen, nachzugeben.

Es war an einem Novemberabende. Noch lag kein Schnee, aber der Winter hatte seine Nähe schon längst durch starke Nachtfröste verkündigt, und wen nach eingebrochener Dunkelheit nicht die Nothwendigkeit hinaus in’s Freie trieb, der zog es vor, in der wohlerwärmten Stube zu

bleiben. Um diese Zeit galt es für die Beamten und das Militär, ganz besonders wachsam zu sein, da durch den hartgefrorenen Boden das Wildern und Paschen erleichtert wurde und Niemand Gefahr lief, sich durch zurückgelassene Fußspuren zu verrathen.

Franz war wie gewöhnlich bei Heinrich auf dem Dukatenhof. Die Bewohner desselben hatten sich alle außer dem Lieutenant in der Wohnstube des Bauers zusammengefunden und kürzten sich die Zeit durch allerlei Unterhaltung. Als es zehn Uhr schlug, erhob er sich, um nach Hause zu gehen. Marie, welche genau wußte, wann er sich zu verabschieden pflegte, war vor einigen Minuten in die Küche gegangen und trat ihm draußen im Flur entgegen.

„Franz!“

„Ach so! Dich hab’ ich ganz vergess’n. Gute Nacht!“

„Franz!“

„Was noch?“

„Darf ich Dir ’was sag’n?“

„Warum denn net? Ich werd’ wohl hören, was!“

„Du bist jetzt ganz anders ’worden als sonst.“

„Anders? Das denkst Du blos! Ich wüßte doch net, inwiefern ich anders sein sollt’. Wie war ich denn früher und wie bin ich jetzt?“

„Geh’ Franz! Du weißt, daß ich das net sag’n kann. Aber ich wollt’, wir wären wieder allein auf dem Dukat’nhof!“

„Ist Dir vielleicht der alte Komm’dant net recht?“

„Der schon! Aber – –“

„Aber – –?“

„Ich darf’s net sag’n, Franz!“

„So sag’ es mir ein andermal, wenn Du darfst. Gute Nacht, Marie!“

„Gute Nacht!“

Sie hielt seine Hand länger fest, als für den einfachen Gruß nöthig war. Früher hatte er sie ihr gelassen und oft noch ein Weilchen mit ihr geplaudert; heut’ aber entzog er sie ihr und ging. Es war ihr recht weh zu Muthe; sie mochte nicht wieder in die Stube gehen und stieg hinauf in ihre Kammer.

Die Worte des Mädchens hatten ihren Eindruck auf den jungen Mann doch nicht verfehlt. Langsam und gesenkten Hauptes schritt er über den Hof und blieb, am Thore angelangt, stehen, um noch einen Blick über das Gebäude zu werfen. Da oben hinter dem kleinen Dachfenster flammte ein matter Lichtschein auf. Er wußte, von wem er herrührte. Sie wollte allein sein, weil ihr das Herz wehe that. Sie litt nicht allein. Auch er fühlte seit einiger Zeit eine Bitterkeit in seinem Innern, die ihm allen Frohsinn, alle seine sonstige Heiterkeit raubte. Hatte ihn doch die Mutter schon öfters gefragt, was ihm fehle, und er hatte zu dieser Frage geschwiegen, denn die einzige Antwort hätte doch nur die sein dürfen, welche ihm vorhin auch von Marien geworden war:

„Das kann ich Dir net sag’n!“

Er ging weiter und war dabei so in Gedanken versunken, daß er die leisen Schritte nicht vernahm, welche ihn zu erreichen strebten. Erst als eine leichte Hand sich auf seine Schulter legte, bemerkte er, daß er nicht allein sei.

„Herr Grunert – –!“

Er wandte sich um und trat überrascht einen Schritt zurück, als er bei dem Sternenschimmer des unbewölkten Firmamentes Anna erkannte.

„Sie sind es?“ frug er verwundert.

„Ja!“ klang es mit ungewisser Stimme. „Ich muß Ihnen etwas sagen; aber kommen Sie von der Straße weg dorthin in den Schatten. Es darf mich Niemand bei Ihnen sehen, und ich glaube, Sie werden beobachtet.“

Sie schlüpfte über den Weg hinüber unter einige Bäume, welche an der anderen Seite der Straße standen. Er folgte ihr erwartungsvoll; es war ihm so eigenthümlich wie noch nie, so ängstlich, so beklommen, und doch hätte er vor Freude laut rufen mögen.

„Ich werd’ beobachtet? Wer soll mich denn beobacht’n, und wehalb?“

„Das darf ich Ihnen nicht sagen – –“

Es war sonderbar; auch aus ihrem Munde klang diese Antwort.

„Sie dürfen net? Aber vorhin wollt’n Sie mir doch ’was sag’n!“

„Eine Bitte ist es, die ich aussprechen möchte. Wollen Sie mir dieselbe erfüllen?“

„Gern, o wie gern! Ihnen könnt’ ich nix abschlag’n!“

„So gehen Sie jetzt schlafen, wenn Sie nach Hause kommen. Gehen Sie nicht weiter!“

Er stutzte.

„Warum?“

„Weil Sie sich sonst in eine große Gefahr begeben.“

Das helle Dachfenster war ihm auch von hier sichtbar; aber seine Gedanken waren jetzt ganz andere, als vorhin. Er hätte die gegenwärtige Minute um keinen Preis der Welt verkauft. Die Tochter des Offiziers war ihm heimlich nachgekommen, um ihn zu warnen. Er war ein einfaches, ungebildetes Dorfkind, aber er sagte sich, daß sie sich zu dieser Warnung nur nach einem Kampfe mit ihrem Gewissen habe entschließen können, und dieser Kampf, er hatte wegen ihm stattgefunden, wegen ihm, der es niemals gewagt hätte, aus freien Stücken mit dem schönen Mädchen nur zu sprechen.

„Und ich soll wohl net in Gefahr sein?“ frug er leise und mit stockendem Athem.

„Nein!“ klang es zögernd und ebenso leise.

„Warum net?“

Sie schwieg; dann bot sie ihm die Hand.

„Gute Nacht!“

Er ergriff das kleine Händchen und hielt es fest. Er wußte nicht, woher ihm so plötzlich der Muth kam, aber er frug dringender:

„Warum net, Anna?“

„Weil ich es nicht will. Also Sie bleiben zu Hause?“

„Soll ich nur die Wahrheit sag’n?“

„Ja!“

„Ich darf net zu Hause bleib’n, nun erst recht net, das bin ich den Andern schuldig. Aber Gefahr gibt’s jetzt keine mehr für mich, Anna.“

„Ist das auch wahr?“

„Ja!“ versicherte er einfach, aber sie hörte es dem

Klange dieser kleinen Silbe an, daß die Warnung ihren Zweck erreicht habe. „Und nun möcht’ ich gern auch ’mal bitt’n!“

„Sprechen Sie!“

„Sein Sie mir net bös weg’n – weg’n – –“

Er stockte. In diesem Augenblicke erschien ihm das, was er vorher wirklich für kein Unrecht gehalten hatte, erst im wahren Lichte.

„Ich bin Ihnen nicht bös. Aber thun Sie es nie wieder, bitte, bitte! Wollen Sie mir das versprechen?“

Er streckte ihr beide Hände entgegen.

„Ich versprech’s, Anna, ich versprech’s zehnmal, hundertmal, tausendmal, aber Sie müss’n auch ’mal Franz zu mir sag’n!“

Wieder schwieg sie. Er hielt ihre Hände gefaßt und lauschte auf die Erfüllung seines Wunsches.

„Gute Nacht, Franz!“ flüsterte sie endlich mit fast ängstlicher Stimme.

„Gute – –“

Er vollendete den Gruß nicht, denn vor ihnen tauchte in diesem Augenblicke eine dunkle Gestalt auf, die sich längs des Zaunes und unbemerkt in ihre Nähe geschlichen hatte. es war Heinrich.

Er sprach kein Wort; der Grimm raubte ihm das Vermögen dazu. Aber er erhob den Arm, und von der geballten Faust mit aller Wucht gerade an die Schläfe getroffen, stürzte Franz zusammen. Anna sah es nicht; sie war, sobald sie den Dukatenprinz erblickte, heftig erschrocken davon geeilt. Dieser folgte ihr. Er wußte nicht, was er

gethan hatte; die überlegung war ihm vollständig verloren gegangen, so daß er gar nicht an die Möglichkeit dachte, daß der Geschlagene todt sein könne. Ohne die Fliehende erreicht zu haben, gelangte er in sein Zimmer, wo er in sinnloser Wuth auf und nieder rannte.

War sein Blut einmal in Aufregung gebracht, so pflegte es sich nicht so schnell wieder zu legen; jedes neue Wort, jeder neue Gedanke brachte die Wogen in neue Wallung. Er öffnete einen Schrank, nahm eine Büchse nebst Schießbedarf aus demselben und schlich sich hinunter auf die Straße. Franz war fort.

„Hab’ mir’s doch gedacht, daß er net zum Tode getroff’n war. Aber das thut nix, sterben muß er dennoch! Er hat mir ja gesagt, daß es heut’ ein Unternehmen gibt, und ich weiß den Ort, wo er vorüberkommen muß!“

Das Gewehr über die Schulter werfend, eilte er nach dem Walde.

Franz war nur betäubt gewesen und bald wieder zu sich gekommen. Er raffte sich empor und ging nach Hause, wo er des Vorkommnisses mit keinem Worte gedachte. Nach kurzer Zeit verließ er das Häuschen vorsichtig wieder und schritt eilenden Laufes wie Heinrich dem Walde zu.

Jedenfalls war Anna Zeugin einer dienstlichen Unterredung bei ihrem Vater gewesen, und aus ihrer Warnung ging hervor, daß heut’ ein Schlag gegen die Schmuggler geführt werden solle. Obgleich das Militär noch nicht seit Langem in der Gegend war, hatte der Scharfsinn des Lieutenants doch schon die meisten Personen errathen, welche bei dem verbotenen Grenzhandel eine hervorragende Rolle

spielten, und seine Anordnungen mit solcher Umsicht zu treffen gewußt, daß mehrere von ihnen bei der That getroffen und in das Gefängniß geliefert worden waren. Ging dies noch eine Weile so fort, so mußte das einträgliche Geschäft in ein langes und nachtheiliges Stocken gerathen, und die Schleichhändler sahen sich also zu ernsten Maßregeln genöthigt. Man beschloß, die gefährlichen Einzelfahrten aufzugeben und den Transport der hochbesteuerten Güter nur in größeren und wohlbewaffneten Truppen vorzunehmen. Auf diese Weise war die Sicherheit eine größere, denn man konnte es mit dem Grenzpersonale aufnehmen und es im Nothfalle sogar auf einen wirklichen Kampf ankommen lassen. So war es schon einige Male zu ernsten Zusammenstößen gekommen, bei denen es auf beiden Seiten Verwundete gegeben hatte. Heute sollte ein Hauptcoup vorgenommen werden, und da der Offizier über denselben unterrichtet zu sein schien, so war anzunehmen, daß es in den Reihen der Schmuggler einen Verräther geben müsse. Sie mußten noch rechtzeitig gewarnt werden und daher strebte Franz in heftigem, dabei aber behutsamem Laufe dem Orte zu, welcher als Versammlungspunkt dienen sollte.

Dort angelangt, fand er noch Niemand vor. Sich stets nur hart am Boden fortbewegend, rekognoszirte er die Umgebung und überzeugte sich auf diese Weise , daß auch die Gegner noch nicht eingetroffen seien. Unter einem dichten Tannengebüsch Schutz suchend wartete er nun mit ängstlicher Spannung auf das Nahen der Seinigen.

Er hatte noch nicht lange so gelegen, als er eilige Schritte vernahm. Die Person, von welcher sie herrührten,

konnte wohl kaum zu einer der betheiligten Parteien gehören, sonst wäre von ihr mehr Bedacht darauf genommen worden, ungehört zu bleiben. Sie mußte gerade an dem Verstecke Franzens vorüber und dieser erkannte zu seinem lebhaften Erstaunen Heinrich, der in seiner leidenschaftlichen Erregung nicht daran dachte, jedes Geräusch so viel wie möglich zu vermeiden. Das Gewehr auf seinem Rücken ließ vermuthen, daß er es auf einen Pirschgang abgesehen habe. Franz hatte damit nichts zu thun und hielt es nach dem Geschehenen und in Rücksicht auf den Zweck seines Hierseins auch gar nicht für gerathen, seine Anwesenheit zu erkennen zu geben. Nach einem kurzen Lauschen schritt Heinrich auf eine dunkle Föhrengruppe zu, hinter welcher er verschwand.

Nach einigen Minuten gewahrte Franz einen neuen Ankömmling, welcher sich aber so unhörbar herbeigeschlichen hatte, daß der verborgene Lauscher ihn erst bemerkte, als er bereits in der nächsten Nähe seines Versteckes stand. Er trug die gewöhnliche Werktagskleidung der hiesigen Landbewohner: hohe Schaftstiefel, Lederhosen und eine kurze Jacke, doch erkannte Franz trotz dieser Verkleidung den Lieutenant. Dieser stand ihm so nahe, daß er ihn mit der Hand hätte ergreifen können. Natürlich aber unterließ er dieses gefährliche Experiment und wartete leise athmend und jede Bewegung vermeidend ab, was der alte schlaue Soldat thun werde.

Seine Geduld sollte nicht zu lange auf Probe gestellt werden. Der Offizier legte die Hand an den Mund und ließ einen Laut hören, welcher dem Rufe des Uhu’s gleichen

sollte, von dem Kenner aber augenblicklich als Nachahmung erkannt werden mußte. Es wurde ihm augenblicklich eine Antwort zu Theil, aber nicht eine solche, wie er sie erwartet hatte, sondern eine so fürchterliche, daß das Entsetzen darüber Franz sofort aus seiner liegenden Stellung in die Höhe riß: Ein Schuß krachte drüben aus den Föhren hervor; der Lieutenant griff konvulsivisch mit den Armen in die Luft, wurde von der Gewalt, welche das tödtliche Blei ausübte, um sich selbst gedreht und brach dann zusammen. Die Kugel war ihm gerade in das Herz gedrungen.

Wer hatte das gethan? Franz fragte nicht; er wußte es, denn ihm war auf einmal Alles klar. Er warf keinen einzigen Blick hinüber nach der Stelle, wo er den mörderischen Strahl hatte aufblitzen sehen, er kniete neben dem Gefallenen nieder, um zu untersuchen, ob er todt oder nur verwundet sei.

Da rauschte es heftig durch das niedere Geäst und eine Anzahl von Männern stürzte herbei, welche, sobald sie die Gruppe erblickten, sich auf Franz warfen und ihn emporrissen. Es waren Soldaten.

„Der Lieutenant ist es; der Mensch hat ihn erschossen!“ rief Derjenige von ihnen, welcher den Todten zuerst erkannte.

„Bindet ihn; schnürt ihn zusammen, daß er sich nicht rühren kann!“ rief es im Kreise.

Er demonstrirte gegen diese Maßregel und versuchte, ihnen den wahren Sachverhalt darzustellen; sie aber hörten nicht auf seine Vertheidigung und wollten nichts Anderes von ihm wissen, als wo er die Büchse hingeworfen habe.

„Ich hab’ net geschoss’n, ich hab’ kein Gewehr gehabt! Wer’s gewes’n ist, das hab’ ich net geseh’n, sondern nur den Blitz da drüb’n in den Kiefern!“

„Ausrede!“ rief der Unteroffizier, welcher das Wort genommen hatte. „Wir werden das Gewehr schon noch finden, und dann wird es sich wohl zeigen, daß es Dir gehört!“

Er untersuchte seinen regungslosen Vorgesetzten und entschied dann:

„Er ist todt, auf der Stelle todt gewesen. Wir müssen ihn hier liegen lassen bis zur gerichtlichen Feststellung des Thatbestandes. Ich transportire mit drei Mann den Gefangenen in die Stadt und mache Anzeige, der Sergeant aber mit den übrigen bleibt hier, um dafür zu sorgen, daß Alles genau so bleibt, wie wir es gefunden haben. Der Ort wird von Posten umstellt. Die Pascher werden ebenso wie wir den Schuß gehört haben und davon bleiben, aber wir müssen auch alles sonstige Andere zu vermeiden suchen, wodurch irgend eine Spur verwischt werden könnte.“

Es wurde dieser Anordnung sofort Folge geleistet. Man schloß einen weiten Postenkreis um den Schauplatz des Mordes, und nachdem der Unteroffizier befohlen hatte, auf Jeden zu schießen, welcher auf dreimaliges Anrufen nicht antworte und sich zurückweisen lasse, ließ er von seinen drei Leuten den Gefesselten in die Mitte nehmen und marschirte, das Gewehr schußfertig in der Hand, mit ihnen ab.

Die Kunde, der Grunert-Franz habe den Lieutenant erschossen, weil er von ihm beim Schwärzen ertappt worden sei, verbreitete sich schon am frühen Morgen wie ein Lauffeuer durch die ganze Gegend, und wer es nur möglich

machen konnte, der eilte zur Stelle, um Zeuge von dem Aufheben der Leiche zu sein. Der Staatsanwalt war schon vor Tagesgrauen unter Gendarmeriebegleitung angekommen, trotzdem er sich die Zeit genommen hatte, den Gefangenen erst aufzusuchen. Dieser hatte ihm den Vorgang wahrheitsgetreu berichtet und nur verschwiegen, was in Beziehung auf den Dukatenprinzen zu sagen gewesen wäre. Der gewissenhafte Beamte richtete seine Rekognition nach diesem Berichte ein und mußte allerdings bemerken, daß unter dem tief herabhängenden Tannigt zur Zeit der That Jemand gelegen haben müsse, wie das Geknicktsein mehrerer Zweige und deren noch frische Bruchstellen bewiesen. Auch der Ort, an welchem der Schütze gestanden hatte, wurde gefunden, doch waren die in dem verdorrten Heidelbeergesträuch befindlichen Spuren nicht der Art, daß ein weiterer Anhalt gewonnen werden konnte, ebenso wie der auf dem Moose entdeckte Pfropfen, da er aus Werg bestand, nur dazu diente, die Aussage über die Richtung des Schusses zu bestätigen.

Trotz dieser Umstände und des für ihn sprechenden Eindruckes, welchen Franz während der Verhöre auf den Untersuchungsrichter machte, mußte die Anklage aufrecht erhalten werden, da die Verdachtsmomente zu dringend erschienen und er ganz besonders über den Zweck seines nächtlichen Waldbesuches sich nicht aussprechen wollte. Eine lange Reihe von Monaten umschlossen ihn die Mauern des Gefängnisses, ehe es zur richterlichen Entscheidung kam. Der gewandte Vertheidiger stützte sich zumeist auf einen Umstand, welchem bisher nicht die gehörige Beachtung geschenkt worden war: Man hatte die Kleider des Angeklagten mit Blut bespritzt

gefunden; dies konnte nur dadurch möglich sein, daß er im Augenblick des Schusses sich wirklich in der nächsten Nähe des Ermordeten befunden hatte, und da es erwiesen war, daß der Schuß aus ziemlicher Entfernung abgefeuert worden war, so konnte er unmöglich der Mörder sein. Er wurde wegen mangelnder Brweisgründe freigesprochen und durfte seine Haft verlassen.

Es war an einem dunklen Abende, als er das heimathliche Dorf wieder betrat und seine Schritte nach dem Häuschen richtete, in welchem, wie er wußte, ein liebendes Herz seiner Rückkehr harrte. Wenn Alle ihn verurtheilten, Zwei thaten es nicht: die Mutter, weil sie an ihr Kind glaubte, und der Heinrich, welcher seine Unschuld kannte. Wem der Schuß eigentlich gegolten hatte, das wußte Franz, aber er brachte den jähzornigen Charakter Heinrichs und die an jenem Abende stattgefundene überraschung in Rechnung, und da er trotz seiner persönlichen überzeugung den Mörder mit juridischer Sicherheit nicht bezeichnen konnte, so hatte er über Heinrichs Anwesenheit im Walde geschwiegen und gab sich noch jetzt der Hoffnung hin, daß trotz des Vorgefallenen, ja gerade wegen desselben, sobald der Dukatenprinz sich dankbar erweisen wollte, die alte Freundschaft sich von Neuem befestigen werde.

Er fand die Thüre verschlossen. Sie war für Den, welcher mit der Vorrichtung vertraut war, auch von Außen zu öffnen. Er entfernte mit der untergeschobenen Hand den Riegel und trat ein.

„Mutter?“ rief er, in der Stube angekommen, wo es vollständig finster war.

Er erhielt keine Antwort und griff daher zu Lampe und Feuerzeug. Als der Schein der ersteren den Raum erhellte, gewahrte er eine lang ausgestreckte Gestalt, welche, von einem weißen Tuche überdeckt, auf dem Lager ruhte. Die Leuchte entfiel seiner Hand und mit einem lauten Aufschrei warf er sich über die Todte hin.

Da trat Jemand vorsichtig tappend durch den Eingang.

„Die Thür steht off’n! Ist Jemand hier?“ frug eine männliche Stimme.

„Ja!“ antwortete Franz mit unterdrücktem Schluchzen.

„So bist Du’s selber?“ Es war der Ortsvorsteher. „Ich hab’ heut’ vom Amte die Nachricht erhalt’n, daß Du kommst, und wollt’ nur seh’n, ob Du auch schon da bist. Wirst wohl gefunden hab’n, wie’s zu Hause steht. Und wenn Du etwa net weißt, wer schuld d’ran ist, so will ich Dir’s sag’n: Du hast sie auf Deinem Gewiss’n!“

Franz war nicht schwach. Er hatte die lange Kerkerhaft muthig ertragen; jetzt aber war es nicht nur finster in der Stube, jetzt wurde es auch finster in ihm.

Es war kein stechender, kein brennender, es war ein tauber, stumpfer Schmerz, welcher sich seiner bemächtigt hatte. Ohne zu wissen wozu und wohin, wankte er aus dem Hause und das Dorf hinab. Bei den Bäumen angekommen, in deren Schatten das Verhängniß ihn erfaßt hatte, lehnte er sich müde an einen der Stämme und gedachte des Glückes, welches damals den Pulsschlag seines Herzens verdoppelte. War sie noch hier? Oder hatte sie den Ort verlassen, welcher so traurige Erinnerungen für sie haben mußte? Er schritt dem Dukatenhofe zu, um sich diese Fragen

beantworten zu können. Er hatte nichts Böses gethan und Niemand konnte es ihm verwehren, wenn er Zutritt nahm wie früher. Unter dem Thore traf er auf Marie, welche eben im Begriffe stand, den Hof abzuschließen. Es war schon spät.

„Marie, Du? Gut’n Abend!“

„Franz! Wahrhaftig, es ist der Franz!“ rief sie und schon rollten ihr auch die Thränen aus den Augen. „Willkommen wieder daheim! Hab’n sie Dich endlich losgeben müss’n?“

„Endlich!“ seufzte er tief auf.

„Warst Du auch schon zu Haus’?“

„Ja!“

„Du armer, guter Kerle, wie magst Du da erschrock’n sein!“

„Ist hier Alles daheim?“

„Alles.“

„So laß mich ein!“

„Franz, wirst Du mir bös sein?“

„Warum?“

„Weil ich Dich bitt’, lieber wieder fortzugeh’n. Oder wart’ ein wenig hier auß’n, bis ich gleich wiederkomm’. Ich werd’ Dir Alles erzähl’n!“

„Wart’n? Warum? Sag’s gleich!“

„Die zwei Dukat’nmänner sind net gut auf Dich –“

„So?!“ dehnte er. „Weshalb denn?“

„Weil – weil – Du weißt es ja!“

„Sag’s lieber; ich will’s hör’n!“

„Weil – weil der alte Soldat erschossen word’n ist!“

„So!“ dehnte er wieder, diesmal aber heiser und tief grollend. „Weiter nix?“

„Und weil – er hat nix davon gesagt, sondern ich denk’ mir’s nur – von weg’n der jungen Bäuerin.“

„Der Heinrich hat geheirathet?“

„Hast Du noch nix davon gehört?“

„Nein! Wer ist die Frau?“

„Du kennst sie auch. Die Anna.“

„Die Anna?“ Das Blut stockte ihm in den Adern und hastig frug er: „Welche Anna?“

„Dem Lieut’nant seine.“

Er sagte nichts, aber er legte seine beiden Arme um den Thorpfeiler und preßte den Kopf an die kalten Steine desselben. Sie faßte ihn an, denn sie sah, daß er im Begriffe stand, zusammenzubrechen.

„Franz, was ist mit Dir! Komm, laß die Säule los, ich werd’ Dich schon halt’n!“

Er antwortete nicht. Es war ihm, als habe ein Keulenschlag seinen Kopf getroffen; er wollte sprechen, aber er brachte es nur zu einem unartikulirten Laute, der sich mit einem fast thierischen Klange aus der zusammengeschnürten Brust emporrang.

„Franz, ich bitt’ Dich, red’, sag’ nur ein Wort! Nachher wird es Dir wieder leicht.“

Die eine seiner Hände löste sich vom Pfeiler und legte sich auf ihren Kopf. Sie fühlte die Eiseskälte derselben selbst durch das Haar hindurch.

„Marie – – – –!“

Sie konnte sich nicht länger halten und schlang inbrünstig die Arme um ihn.

„Laß’s doch geh’n, Franz! Ich hab’ Dich ja lieb, mehr als mein Leb’n!“

„Ich weiß’s! Du bist die Einzige, die net an mir gezweifelt hat, und das werd’ ich Dir niemals vergess’n. Sogar die Mutter hat’s geglaubt, was die Leut’ geredet hab’n, sonst hätt’ ich sie heut net todt gefund’n. – Marie, Du weißt’s net, wie mir ist, hier und hier“ – er deutete nach der Stirn und dem Herzen – „meine Seele ist weg und meine Gedank’n sind alle; es ist grad’, als ob ein Mühlrad mir durch’s Leb’n gegangen wär’.“

„Das wird wieder anders, Franz, wenn nur ’mal die erst’n Tag’ vorüber sind! Aber wo willst Du denn bleib’n? Zu Haus’ bei der Leich’ kannst Du doch net sein!“

„Wo anders? Wer soll den Mörder in die Stube nehm’n?“

„O, wenn ich doch nur net Dienstbot’ wär’, ich ließ’ Dich nimmer fort. Geh’ doch ’mal zum Herrn Pfarrer! Der weiß in Allem Rath und wird auch für Dich sorg’n.“

„Ich brauch’ kein’ Pfarrer, brauch’ keinen Mensch’n, brauch’ von Niemand nix. Ich geh’ nach Haus’. Bei der Leich’, da ist mein Platz; zur Leich’, da gehör’ ich hin, denn ich bin auch todt!“

Er ging. Das sich ängstigende Mädchen wollte ihn noch zurückhalten, aber er wehrte ihr ab.

„Brauchst keine Sorg’ zu hab’n, Marie! Es ist mir

wüst im Kopf, aber ich weiß schon noch, was ich thu’. Schlaf wohl!“

„Gute Nacht, Franz, und laß Dir das Herz doch wieder leichter werd’n!“

Sie blickte ihm nach, so weit sie bei der Dunkelheit es konnte, und schloß das Thor nicht eher zu, als bis der Klang seiner Schritte vollständig verschollen war. In das Haus zurückgekehrt, traf sie auf den jungen Bauer, welcher im Begriffe stand, die Wohnung durch den hinteren Ausgang zu verlassen. Er hatte die hohen Stiefel an und trug einen langen, unter einem Tuche verborgenen Gegenstand in der Hand. Sie wußte, daß es zum nächsten Mittag Wildpret geben würde.

Franz hatte die Straße nicht weit verfolgt; es trieb ihn unwiderstehlich, da, was er gehört hatte, mit eigenen Augen zu schauen. Er bog um das Gut herum und schlich sich durch den Garten nach dem Hofraume, in welchen die hinteren Fenster der Wohnstube führten. Nur mit seinen trüben Gedanken beschäftigt, gewahrte er nicht, daß eine Gestalt ihm folge, die ihn bei dem übersteigen des Zaunes bemerkt hatte. Die Stube war erleuchtet und am Tische saßen zwei mit Näharbeit beschäftigte Frauen. Er trat näher; er mußte sie deutlicher sehen, sie, an die er gedacht hatte zu jeder Stunde seines einsamen Gefängnißlebens. Man rückte drinnen die Lampe und ein heller Lichtstrahl glitt über ihn dahin. Jetzt erst erkannte sein Verfolger, wen er vor sich habe.

„Der Franz!“ murmelte er. „Er ist wieder da – sie hab’n ihn frei gegeb’n! Er will die Anna seh’n. Nun weiß

er, daß sie meine Frau geword’n ist und wird mich verrath’n! Soll ich ihn jetzt wegputz’n?“

Er nahm das Tuch vom Gewehr und legte an; aber nach einigen Augenblicken ließ er die Waffe wieder sinken.

„Nein, der Dukat’n-Heinrich ist net so dumm, daß er sich einsteck’n läßt und nachher seinen Kopf hergibt! Ich weiß was Besser’s, wie man den Franz zum Schweig’n bringt.“

Es war ein teuflischer Gedanke, der ihn erfaßt hatte. Das Terrain war ein von dem Hofe nach dem Garten zu ansteigendes, und in der Nähe des Fensters lagen die abgesägten Stämme zweier Obstbäume, die man ihres Alters wegen vor kurzer Zeit gefällt hatte. Jetzt hatte die eigene Schwere sie noch nicht zu tief in den Boden gedrückt, und es bedurfte also nicht mehr als Manneskraft, einen von ihnen in’s Rollen zu bringen. Einmal in Bewegung gesetzt, mußte er bis an die Mauer rollen und den dort stehenden Beobachter treffen.

Ahnungslos, welch’ eine furchtbare Gefahr ihm drohe, hing dieser mit dem Auge an dem lieblichen, jetzt aber tiefblassen Gesichte der so heiß Geliebten. Was hatte sie bewogen, dem Mörder ihres Vaters ihre Hand zu geben? War es vielleicht die Liebe gewesen? Er konnte keinen anderen Grund finden, er konnte überhaupt gar nicht sinnen und denken, er fühlte nur, daß es finster in ihm werde, finsterer noch, als es vorhin gewesen war. Da vernahm er ein lautes Getöse, unter welchem der Boden erzitterte, hinter sich – rasch drehte er sich um – ein schmetternder Schlag gegen die Mauer ließ das Haus erbeben – ein

furchtbarer, markerschütternder Schrei erschallte durch die Nacht – die That war geschehen.

Der alte Dukatenbauer fuhr, von dem Lärmen aus dem Schlummer geweckt, von seinem Großvaterstuhle empor; auch die beiden Frauen waren, auf das Heftigste erschrocken, in die Höhe gesprungen; das Gesinde, welches sich vor Kurzem erst zur Ruhe begeben hatte, eilte herbei, und auch Heinrich erschien unter der Thüre.

„Was ist denn hier unten los bei euch?“ frug er. „Das war doch grad’, als ob’s ein Erdbeben gegeb’n hätt’!“

„Es war net bei uns, es war drauß’n im Hofe,“ lautete die Antwort.

„So müss’n wir nachseh’n. Brennt rasch die Latern’ an!“

Man folgte dem Gebote und eilte dann hinaus, wo sich den Leuten ein entsetzlicher Anblick bot: Zwischen dem zurückgeprallten Klotze und der Wand lag in einer tiefen, rauchenden Blutlache ein menschlicher Körper, dem die Beine bis herauf an den Leib vollständig zermalmt worden waren.

„Was ist hier gescheh’n? Wer ist der Mann?“ frug der Bauer.

Heinrich nahm dem Knechte die Laterne aus der Hand und leuchtete dem Verunglückten in das Gesicht.

„Der Franz ist’s, der Grunert-Franz!“ rief er verwundert. „Was hat der hier gewollt? Ist er denn wieder los vom Amte?“

„Den hat das Holz erschlag’n. er ist ihm zu nah’ gewes’n und da hat es ihn mit fortgeriss’n. Spannt rasch

ein Pferd vor den Wag’n und fahrt nach dem Doktor. Vielleicht ist er noch net todt!“

„Der Franz? Mein Herrgott, ist das wahr?“ rief Marie, indem sie die Anderen zurückdrängte. „Ja, er ists’s! Franz, Franz, was ist mit Dir gescheh’n! O, wärst Du doch nach Haus gegang’n!“

Sie warf sich trotz des fließenden Blutes über ihn hin und wehrte die Arme zurück, welche sie von ihm wegziehen wollten.

Auch Anna war mit nach dem Hofe geeilt. Als sie den Namen des Zerschmetterten nennen hörte, riß es ihr die Hände nach dem Herzen. Nur ein leiser Wehelaut entrang sich ihren Lippen, aber es wurde ihr dunkel vor den Augen; die Gestalten der Umstehenden verschwanden in wirbelnden Nebeln; sie wankte und glitt langsam an dem Hause nieder.

Heinrich sah sie liegen. er faßte sie und zog sie empor.

„Was ist denn mit Dir? Hat Dich wieder ’mal der Herzwurm angebiss’n! Dem Franz ist nix als nur sein Recht gescheh’n. Sie hab’n ihn losgelass’n, weil er sich auf’s Leugnen gelegt hat, aber wer Mensch’nblut vergißt, dess’ Blut wird auch vergoss’n; so steht es in der Bibel, und was die sagt, das ist wahr. Geh’ Du hinein, Du bist uns hier nix nütze!“

Er führte sie in die Stube, wo sie kraftlos in den Sessel sank. Das Gesicht in die Hände vergraben, legte sie den Kopf auf den Tisch und ließ den Thränen freien

Lauf, die sich zwischen den Fingern Bahn brachen und schwer und langsam auf die Diele niedertropften. Ihr blühendes Leben war seit Monaten schon welk geworden, und heut’, heut’ hatte es den schwersten Stoß erhalten.

3. Ein Gottesgericht.

Ganz am oberen Ende des Dorfes lag ein kleines Häuschen, einstöckig wie das des Köpfle-Franz, und nur mit Stroh gedeckt; aber es war sauber gehalten, und die Fenster, durch welche das Licht hinaus auf die Straße blitzte, weil die Läden noch nicht geschlossen waren, zeigten kein einziges Fleckchen, welches die Glasscheiben getrübt und verunziert hätte. So blank und reinlich wie diese waren, sah es im ganzen Stübchen aus. Die heute erst frisch geschgeuerte Diele war mit grünen Tannenzweigen belegt, Tisch, Bänke und Stühle bis auf’s Weiß gerieben, die Kacheln des alterthümlichen Ofens, in welchem ein lustiges Feuer knisterte, glänzten wie Email und das blecherne Kochgeschirr flimmerte wie feines Silber aus der Ecke hervor.

Dieser Nettigkeit entsprach auch das äußere der Frau, welche am Klöppelkissen saß und mit emsigen, geschickten Fingern die zierlichen Hülsen erklingen ließ. Sie war nicht mehr jung; zahlreiche graue Fäden durchzogen das früher dunkle Haar, aber es lag doch noch wie Jugend auf ihren weichen, regelmäßigen Zügen, und die Wangen zeigten noch immer eine leichte Röthe als den Widerschein der Jahre, die nichts von Falten und Furchen wissen.

An der Wand über dem Tische hing das Bild des Heilandes in einfach vergoldetem Rahmen und ihm zu Seiten

zwei Köpfe, welche mit Bleistift auf gewöhnliches weißes Schreibpapier gezeichnet waren. Sie stammten von dem Köpfle-Franz und trugen in gothischen Buchstaben die Unterschrift „Karl“ und „Maria“. Die Frau war die einstige Magd auf dem Dukatenhofe und hatte zu ihrer Hochzeit ihr Bild und dasjenige ihres Bräutigams von dem Gegenstande ihrer ersten Liebe als Angebinde erhalten.

Sie ließ plötzlich die Arbeit ruhen und horchte nach der Thüre. Ein Mann trat ein, der, das Alter abgerechnet, dem Bilde an der Wand auf’s Haar ähnlich sah.

„Gut’n Abend, Mutterle! Da bin ich schon! Heut’ ist Sonnabend und da ist die Arbeit früher alle.“

„Gut’n Abend, Vater! Ich hab’ net gedacht, daß Du schon jetzt zu Haus’ sein wirst. Die Erdäpfeln sind noch net ganz fertig; aber sie werd’n gleich koch’n!“

„Schad’t nix! Ich schmauch derweil a wenig meine Pfeif’. Schon gut; ich bring’ die Stiefeln schon ganz selber ’runter!“

Sie leistete ihm beim Ausziehen Hilfe, legte einiges Holz im Ofen nach und kehrte dann zu ihrer Klöppelei zurück. Er hatte auf der Bank Platz genommen, stopfte sich mit behaglicher Bedächtigkeit die Pfeife und blies dann den Rauch des anspruchslosen Krautes mit einer Miene von sich, welche auf einen ganz außerordentlichen Genuß schließen ließ.

„Hast’s schon gehört, Marie?“ frug er.

„Was denn?“

„Hm! Ich sehe es schon, Du weißt noch nix, sonst hättest Du’s in den fünf Minut’n, die ich hier bin, schon längst vom Herz’n ’runter.“

„Ich bin heut’ gar net in’s Dorf gekommen, sondern blos bis hin zum Wassertrog. Was gibt es denn so grausam Neues?“

„’S ist net blos eine, ’s sind zwei Post’n, die ich bring’, die eine vom Dukat’ngraf und die andere vom Pascherkönig. Denk’ Dir nur, Mutter, der Dukatenbauer hat gestern Abend die Emma verspielt!“

„Verspielt?! Wie denn? So ’was ist doch gar net möglich!“

„Freilich ist’s möglich! Er hat wieder ’mal mit dem Baron und dem Zettelkramer drob’n bei dem Bergwirthe gesess’n, und als das Geld alle gewes’n ist, dahaben sie erst um die neue Kutsch’ und nachher um die letzte Ernte und endlich um die Emma gespielt.“

„Das ist doch fast gar net zu glaub’n! Es kann doch Niemand sein eigen Kind verspiel’n!“

„Das kommt nur d’rauf an, wie’s ausgemacht ist. Der Zettelkramer hat die Kutsch’, der Bergwirth die Ernte und der Baron die Emma, die nun seine Frau werd’n muß.“

„Mein Gott, das arme Kind kann mich grad’ dauern. Von so einem gotteslästerlichen Handel hat man doch noch niemals nix gehört! Ich bin nur begierig, wie lange der Heinrich es noch treib’n wird! Nun hat er doch geprahlt mit seiner Staatskaross’! Und die Ernte, die ganze, mühsame Ernte! Was er gehabt hat, das muß doch nun bald alle sein, und man möchte sich nur wundern, wo er’s noch immer hernimmt!“

„Ja, man glaubt’s aber auch net, was in so ’nem

Gute Alles steckt! Man soll Niemanden ’was Böses gönnen, aber wenn’s mit Dem ein Ende nimmt, so hat er’s selbst verschuldet und vielleicht auch verdient.“

Sie nickte zustimmend und mit ernster werdendem Gesicht. Noch niemals war ein Wörtchen über ihre Lippen gekommen, aber sie wußte, daß an jenem für den Köpfle-Franz verhängnißvollen Abende der junge Bauer nicht mehr im Hause gewesen war, sie hatte ihn mit dem Gewehre fortgehen sehen, und doch war er gleich da gewesen, als das Unglück geschehen war. Damals hatte es eine schwere Zeit für sie gegeben; aber sie wollte jetzt nicht daran denken und frug darum:

„Und die andere Neuigkeit?“

„Auf dem Pascherkönig seinen Kopf sind dreihundert Thaler Prämie gesetzt word’n. Denk Dir’s nur, wenn man sich die verdienen könnt’!“

„Den fang’n sie net, sonst hätt’n sie ihn schon längst. Kein Mensch weiß, wer er eigentlich ist, net ’mal seine eig’nen Leut’. Er ist bald da, bald dort, hat niemals net dieselbige Figur, und – –“

Sie wurde unterbrochen. Es klopfte laut an das Fenster und eine jugendlich frische Stimme rief:

„Gut’n Abend, Vater, gut’n Abend, Mutterle!“

„Der Wilhelm, der Wilhelm ist’s!“ riefen Beide auf das Freudigste überrascht, indem sie von ihren Sitzen aufsprangen und nach der Thüre eilten.

Dort trat ihnen der Unerwartete mit herzlichem Gruße entgegen. Er trug eine Soldatenuniform mit Unteroffiziersabzeichnung. Den Quersack, welchen er auf der Schulter

gehabt hatte, bei Seite stellend, umarmte und küßte er die Eltern herzlich und meinte dann:

„Net wahr, das kommt unverhofft? Ich hatt’ euch doch geschrieb’n, daß ich erst zu Weihnacht’n kommen darf!“

„Freilich! Hast wohl Urlaub?“

„Hm, so halb und halb; aber das darf ich euch nur heimlich sag’n!“

Er schob sie auf ihre Sitze zurück, zog sich selbst einen Stuhl herbei, sah sich vorsichtig in der Stube um und berichtete dann mit gedämpfter Stimme:

„Ich soll den Schmugglerkönig fang’n!“

„Den Schmugglerkönig? Du?“

„Ja, ich!“

„Das klingt absonderlich! Wie kommst denn Du dazu?“

„Das ist nämlich so gewes’n: Es ist seit Menschengedenk’n hier an der Grenz’ noch gar net so zugegang’n wie jetzt; die Schwärzer treib’n ihr Geschäft ja ganz in’s Große und so öffentlich, als hätte ihnen kein Mensch ’was dageg’n zu sag’n. D’rum hat der König wieder Militär hergelegt, grad’ wie damals vor vielen Jahr’n, wo der Path’ den Lieutenant erschossen hab’n soll. Aber das hat nix geholf’n, weil die Packläufer einen Hauptmann hab’n, der gescheidter ist als die Beamt’n und Soldat’n alle mit ’nander. Der bringt ein Abenteuer nach dem andern fertig; in allen Blättern und Schrift’n wird über ihn geles’n, und ich glaub’, er liest’s auch selber mit! Jetzt haben sie gar einen Preis auf seinen Kopf gesetzt; aber ich hab’ gemeint, das hilft auch nix, denn das Militär kennt die Gegend net und mit den Aufsehern ist’s fast ebenso. Da muß

Einer her, der alle Schlich’ und Wege genau weiß und ihnen aufpaßt, ohne daß sie’s ahnen. Das hab’ ich ’mal gesagt, und der Herr Hauptmann hat’s erfahr’n. Dem sein Bruder ist im Ministerium; und so ist’s von Einem zum Anderen gegang’n, bis ich plötzlich zum Oberst muß. Der hat mir Urlaub auf unbestimmte Zeit gegeb’n und ein Schreib’n, welches ich hier beim Amte und beim Grenzkommandanten vorzuzeig’n hab’. Nun zieh’ ich die Montur aus und geh’ spazier’n; kein Mensch wird denk’n, weßhalb ich eigentlich zu Haus’ bin, und wenn das Glück gut geht, will ich den König schon erwisch’n. Seht her!“

Er öffnete den Quersack und zog zwei Revolver aus demselben hervor.

„Die hab’ ich mit bekommen, weil ich kein Seit’ngewehr und keine Flint’ trag’n darf. Es ist mir auch verbot’n, mich mit einem Grenzer oder Soldat’n seh’n zu lass’n, weil die Schwärzer sonst Verdacht bekommen könnt’n.“

Sie Mutter sah zwar mit besorgtem, aber auch stolzem Auge auf ihren Sohn. Sie wußte, daß seine Vorgesetzten sehr viel auf ihn hielten, und wenn sie auch erkannte, daß ein Vorhaben wie das seinige ihn in große Gefahren bringen könne, so fühlte sie sich doch gehoben durch die Ehre, welche in dem ihm gewordenen Auftrage für ihn lag. Der Vater aber schüttelte bedenklich den Kopf.

„Du bist mir zu Haus’ willkommen, Wilhelm, aber stell’ Dir die Sach’ nur net leichter vor, als sie ist. Wenn es herauskommt, was Du willst, so kann Dir’s sehr leicht an den Krag’n gehn. Ich glaub’ auf zehn Leut’ ist jetzt hier bei uns Einer zu rechnen, der den stillen Handel treibt,

und Du machst Dir auf Lebenszeit die ganze Gegend zum Feind!“

„Laß nur geh’n, Vater. Ich werd’ die Sach’ schon so andreh’n, daß Niemand nix vermuthet. Und an die dreihundert Thaler mußt Du doch auch ’mal denk’n!“

„Das schon!“er. „Es wär’ ganz hübsch, wenn die hier auf den Tisch zu lieg’n kämen, aber das wird wohl seine gute Weile hab’n. Die Dich herschick’n, sind ganz gewiß sehr kluge Herrn, aber wie’s hier zugeht, das wiss’n sie doch so richtig net. Denk’ Dir nur, wie’s vorige Woch’ gewes’n ist! Da droben an der Mauth gibt’s mitt’n in der Nacht auf aanmal ein Getrappel; die Wach’ kommt ’raus und sieht acht Reiter vor dem Hause halt’n, mit Gewehren in der Hand und die Pferd’ mit hohen Pack’n belad’n.“

„’was Verzollbares?“ fragt der Offizier.

„Ja,“ antwortet der Vorderste.

„Was denn?“

„Für fünftausend Thaler feine Waar’; aber krieg’n thut Ihr nix dafür als blos die Ehr’, mit dem Pascherkönig geredet zu hab’n!“ Und wie er das sagt, da lacht er laut und galopirt mit den Andern davon, daß die Funken flieg’n. Der Offizier hat den Mund aufgeriss’n und sich halb todt geärgert. Und am andern Morgen früh, da fehl’n hier im Dorf acht Pferde, bei dem Dukatengraf’n zwei, beim Richter zwei und die andern bei vier kleinen Bauern. Die hab’n sie heimlich aus den Ställen gezog’n und drüb’n im Kaiserlichen noch gleich am andern Tage verkauft, wie sich herausgestellt hat. Dein Path’, der

Köpfle-Franz, hat die Schul’ für Dich bezahlt, so daß Du schon ’was gelernt hast, Wilhelm; Du bist kein dummer Kerle, aber den König, den fängst Du mir schon net!“

„Wart’s ab, Vater! Es ist mir doch auch gar keine Schand’, wenn es mir net gelingt. Weißt Du ’was? Ich werd’ den Path’ um Rath frag’n. Den halt’n die Leut’ für dumm und net klug im Kopfe; aber er ist gescheidter als sie Alle mit ’nander.“

„Thu’s! Man sagt ja, daß er früher auch mit über die Grenz’ gegangen sei; vielleicht kann er Dir auf den richtigen Sprung helf’n.“

„Ist er denn jetzt daheim?“

„Ja,“ antwortete die Mutter. „Geseh’n hab’ ich ihn zwar noch net, aber ich weiß, daß er da ist. Zum heutigen Tag’ bleibt er niemals auß’n, denn da jährt sich’s grad’, daß sie ihn da drauß’n im Walde bei dem Lieutenant gefangen hab’n. Was er da zu Haus’ vernimmt, das hat noch Niemand geseh’n; ich selber bin einige Mal’ an seinem Laden gewes’n, aber er hat kein Licht in der Stub’ gehabt. Vielleicht findst Du ihn um Zehn da unt’n beim Dukat’nhof.“

„Ich werde nachschau’n. Aber sag’, Mutter, warum kauert er denn eigentlich die wenigen Tag’, die er im Dorfe ist, grad’ stets Punkt zehn Uhr Abends dort unter den alt’n Bäumen?“

„Das kann ich auch net sag’n. Der Dukat’ngraf hat’s net leiden woll’n und gar ’mal Anzeig’ bei dem Richter gemacht; aber er hat nix ausrichten können, weil dem Franz nix Unrechtes nachzuweis’n war.“

„Wie geht’s denn mit dem Bauer?“

„Immer weiter bergunter. Denk’ Dir nur, gestern hat er sogar die Emma verspielt!“

„Die Emma? Wie meint Ihr das; wie ist das zugegang’n?“

„Sie muß den Baron heirath’n; der hat sie gewonnen.“

„Der Baron?“ Er sprang vom Stuhle auf und blickte die Sprecherin erschrocken an.

„Ja, der Baron. Der hat ihm schon manch’ schönen Thaler aus der Tasch’ gezog’n und nimmt ihm nun auch noch die Tochter weg, damit er ’mal gleich den ganz’n Hof bekommt.“

„Nein, der nimmt sie net weg, das weiß ich besser! Er thut nur so, als wollt’ er sie hab’n, damit er dem Bauer desto tiefer in den Kasten greif’n kann. Kein Mensch kennt ihn; Niemand weiß, wo er eigentlich herstammt; er verführt die Bauern und schlachtet nachher die Güter aus, und der Zettelkramer, der Agent, der den Leut’n seine schlecht’n Aktien aufbindet und dann in’s Fäustchen lacht, der hilft ihm dabei. Und der Bergwirth, der ist der Dritt’ im Bunde. Er hat erst nix gehabt, gar nix, und jetzt spielt er den groß’n Mann, natürlich nur mit fremdem Gelde, welches ihm beim Spiel immer nur grad’ in die Hände läuft. Ich glaub’, er weiß auch mehr als mancher Andere von der Schwärzerei!“

„Das sag’n sie Alle im Dorf! Und noch Eins: Kein Anderer ist der Schmugglerkönig als der Baron. Das ist ein schlimmer Gesell und man kann es ihm schon zutrau’n.“

„Da soll er sich nur in Acht nehm’n vor mir. Und

die Emma, die bekommt er net, dafür werd’ ich schon sorg’n. Ich will gleich ’mal mit ihr red’n!“

Er befand sich in einer Aufregung, für welche den Eltern die Erklärung mangelte, und noch ehe sie ihn weiter fragen oder am Gehen hindern konnten, hatte er die abgelegte Mütze wieder ergriffen und war verschwunden.

Raschen Schrittes durcheilte er das Dorf und beachtete die ihm Begegnenden so wenig, daß er auch das Mädchen nicht bemerkte, welche, mit einem gefüllten Kruge in der Hand, aus dem Gasthofe trat und überrascht stehen blieb, als er an ihr vorüber ging.

„Wilhelm, bist Du’s?“ rief sie ihm nach.

Bei dem Klange dieser Stimme hemmte er sofort seinen Lauf.

„Emma! Schau, wie gut sich das trifft! Ich wollt’ zu Dir.“

„Ich dacht’ schon, Du kennst mich net und willst gar nix mehr von mir wiss’n, weil Du mich net hast ansehen woll’n. Grüß Gott, Wilhelm!“

Sie rechte ihm die freie Hand. Er erfaßte diese, zog das Mädchen ansich und drückte einen innigen Kuß auf ihre Lippen.

„Dank schön, Emma! Wie kannst Du nur denk’n, daß ich Dich net mehr kennen mag; Du bist mir doch das Best’ und Liebste, was ich hab’, und ich freu’ mich wie ein Kaiser, daß ich wieder ’mal kann bei Dir sein!“

„Hast wohl Urlaub?“

„Ja. Ich bin erst seit einer Viertelstund zu Haus’.“

„Wie lange?“

„Das weiß ich net. Bei uns heißt’s, bis auf Ordre. Hast Bier geholt?“

„Ja, zum Abendbrod. Sie wart’n schon und ich muß mich sput’n. Geh derweil in den Gart’n; ich werd’ net lange aus sein!“

„Gut; aber sag mir erst, was das ist mit dem Baron! Die Mutter hat mir’s gleich erzählt, und da hab’ ich es net aushalt’n können und bin sofort nach dem Dukat’nhof gelauf’n.“

„Hör’, Wilhelm, diese Sach’ ist net gut vom Vater. Ich hab heut’ gar viel geweint und ihm schöne Wort’ gegeb’n, aber es will nix helf’n. Auf morg’n über acht Tag’ soll die Verlobung sein.“

„So!“ antwortete er hart. „Und Du wirst dann Ja sag’n?“

„Sprich net in dieser Weis’, Wilhelm! Du weißt, wie lieb ich Dich hab’, und es ist gut, daß Du da bist, sonst hätt’ ich gar net gewußt, was ich vor Angst und Bange thun soll. Nun aber können wir uns bered’n, und was Du mir sagst, das werd’ ich mach’n, denn den Baron, den kann ich net leid’n, und seine Frau mag ich erst recht net werd’n.“

Sie hatten den Hof erreicht. Er zog sie wieder an sich und strich ihr liebkosend über das volle, weiche Haar.

„Du bist doch mein Herzensschatz, grad’ so wie früher noch, und sollst’s auch nimmer bereu’n, daß Du mich lieb hast! Der Leut’betrüger soll mit Dir gar nix zu schaffen hab’n, und ich werd’ schon noch ’was find’n, wie ich ihm an den Krag’n komm’. Aber jetzt geh’ nur hinein! Ich werd’ im Garten wart’n.“

Sie trennten sich. Er ging den Zaun entlang, sprang über denselben dann weg und legte sich trotz der schon ziemlich strengen Jahreszeit unter den weitgreifenden ästen eines dickstämmigen Nußbaums nieder.

Er mochte ungefähr eine Viertelstunde gelegen haben, da hörte er Jemand mit leisen Schritten quer über das Feld kommen und am Zaune stehen bleiben. Was wollte der Mann hier? War es vielleicht der Liebhaber von einer der Mägde? Dann lief er Gefahr, bemerkt zu werden. Schon entschloß er sich, den Ort behutsam zu verlassen, um ein besseres Versteck aufzusuchen, als er auch vom Hofe her Schritte vernahm, die ihn veranlaßten, seine jetzige Stellung nur dahin zu ändern, daß er sich so eng wie möglich an den Stamm schmiegte.

Der Nahende war kein Anderer als der Dukatenbauer selbst. Er erkannte ihn sofort an der langen, breiten Gestalt und dem eigenthümlichen Klingen der Uhrkette, welches durch das Aneinanderschlagen der Dukaten verursacht wurde. Graf ging grad’ auf die Stelle zu, an welcher Jener sich niedergeduckt hatte. Sie mußte also vorher genau bestimmt worden sein und vielleicht schon öfters zu ähnlichen geheimen Zusammenkünften gedient haben.

„Ist wer da?“ frug er mit gedämpfter Stimme, aber bei der ringsum herrschenden Stille konnte Wilhelm die Worte recht gut vernehmen.

„Ja; ich bin’s!“

„Nun?“

„Es ist Alles in Ordnung. Aber der Händler verlangt das ganze Geld in baarer Münz’ und auch die alte Schuld

dazu. Es wär’ zu viel, diesmal, als daß er es ohne Zahlung riskiren könnt’, sagt’ er.“

„Ich weiß es schon; er soll auch Alles hab’n! Heut’ steht mein ganzer Reichthum auf dem Spiel; d’rum seid fein hübsch vorsichtig, bis ich komm’! Hier ist der Zettel. Steck’ ihn in das Loch!“

Er reichte etwas über den Zaun hinüber und kehrte dann, während der Andere sich entfernte, nach dem Wohnhause zurück. Dort stieg er die Treppe empor und trat dann in das Zimmer, welches ausschließlich nur für seinen Gebrauch bestimmt war und zu dem kein Mensch außer ihm jemals Zutritt bekam. Einen Schreibsekretät von einer Arbeit und Form, welche auf hohes Alter schließen ließen, öffnend, setzte er sich vor denselben nieder, zog ein Buch hervor, schlug es auf und begann die auf den Blättern befindlichen Zahlenreihen zu überrechnen. Sein schon sonst so strenges Gesicht verfinsterte sich mehr und mehr, und als er auch die letzte beschriebene Seite geprüft hatte, erhob er sich, ließ die geballte Hand dröhnend auf die Notizensammlung fallen und murmelte ingrimmig zwischen die Zähne:

„Alle, alle ist’s mit mir! Kein Stein, kein Ziegel von dem Dukat’nhof ist mein. Ich bin kaput, ich bin bankerott; ich muß geh’n und vor dem Amt erklär’n, daß ich nix mehr hab’! Daran ist Niemand schuld als der Baron, der Bergwirth und der Agent, dieser Heimtücker, der, welcher Einen durch seine blaue Nasenquetsch’ anstarrt wie die Klapperschlang’ den Vogel, so daß man net anders kann, als man muß zu ihm hin!“

Der Grimm trieb ihn mit großen Schritten in der Stube hin und her. Plötzlich aber blieb er stehen.

„Nein, noch ist net Alles verlor’n, noch gehört der Dukat’nhof mir und meine Knöpf’ und Kett’n darf ich behalt’n. Der Baron hat ja die Emma gewonnen! Damit hat er meinen Schad’n gewollt, aber es wird mir nur zu Nutz’n sein, denn er darf doch seinen eig’nen Schwäher nicht vom Hofe jag’n. Und darauf brauch’ ich mich nicht ’mal ganz allein zu verlass’n. Ich hab’ heut’ Alles auf die letzte Kart’ gesetzt, und wenn’s gelingt, so ist der Gewinn grad so groß, wie aller Verlust bisher. So köstlich und theuer ist noch niemals ein stilles Gut über die Grenz’ geschafft word’n wie heut, und es muß geling’n, denn ich hab’ es schlau genug angestellt, daß wir net erwischt werd’n. Die Grenzer sind falsch berichtet und werd’n zwei Stunden weit von hier auf uns wart’n, während wir grad’ vom Dorf aus über die Berge geh’n. Das Geld dazu hab’ ich mit großer Müh’ zusammengebracht, aber ich kann es schon d’ranwag’n, denn es kommt doppelt wieder zurück!“

Er öffnete ein verborgenes Fach des Sekretärs und zog einige Packete und Beutel hervor.

„So, jetzt kann’s fortgeh’n. Die Kapuz’ hab’ ich im Wald, aber die Gewehr’ müss’n wir heut’ fortlass’n, weil wir so schon fast über uns’re Kraft zu tragen hab’n.“

Er schloß das Möbel wieder zu, verlöschte das Licht und stieg hinab. Mit den Jahren überlegter geworden, verließ er das Haus nicht durch die Hofthüre, wie es früher stets geschehen war, sondern er ging durch den Stall

in die Scheune und trat durch den hinteren Ausgang derselben in den Garten.

Hier blieb er zunächst eine Weile stehen, um sich zu überzeugen, daß Niemand zugegen sei, der ihn bemerken könne. Früher war er nur aus reiner Neigung zuweilen durch den Forst gestrichen, um irgend ein Wild abzulauern; die Verluste im Spiele aber hatten ihn auf den Gedanken gebracht, sie durch einen lohnenden Nebenerwerb auszugleichen, aus dem Wilderer war ein Schmuggler geworden, und zwar ein Schmuggler, der es, ganz seinem Charakter angemessen, nicht auf gewöhnlichem Wege versuchte, sondern kühn und gewaltthätig sich den Gesetzen entgegenstellte und es in kurzer Zeit so weit gebracht hatte, daß der Name, welchen er sich beilegte, ebenso bekannt war, wie seine Person in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt blieb.

Durch die nächtlichen Abenteuer war sein Auge für die Finsterniß geschärft worden, und so bemerkte er, daß er nicht allein sei. Jener Klotz, welcher den Köpfle-Franz zum Krüppel gemacht hatte, war damals wieder in seine frühere Lage zurückgebracht worden; der Bauer hatte ihn nie verarbeiten lassen, obgleich der Bedarf dazu stets dagewesen war; es hatte sich etwas in seinem Innern, dessen Namen er nicht kannte, gesträubt, die Säge an das Holz zu legen, und so nahmen die beiden Stämme nach so langen Jahren immer noch dieselbe Stelle ein, welche sie früher innegehabt hatten. Auf ihnen saßen zwei Gestalten, welche sich umschlungen hielten.

Er mußte wissen, wer sie seien und schlich sich näher.

Es gelang ihm, unbemerkt von ihnen so weit an sie heranzukommen, daß er sie nicht nur erkannte, sondern auch jedes ihrer Worte verstehen konnte.

„Nein, Emma, mit Gewalt ist hier nix auszuricht’n, denn Dein Vater ist ein harter Mann, den der Widerstand nur noch strenger machen würde. Im ersten Augenblick hätt’ ich gleich Alles niederschlagen mögen, aber als ich hernach hier saß und auf Dich wartete, da hab’ ich mir’s recht überlegt und bin dabei ruhiger geworden.“

„Und was soll ich denn thun?“

„Du mußt Ja sagen! Die Zeit ist zu kurz, als daß wir bis dahin einen anderen Ausweg find’n könnten, und die Verlobung ist noch lange net die Hochzeit. Bis die herankommt, wird der liebe Gott schon helf’n!“

„Aber, Wilhelm, ich bring’s doch am End’ net fertig! Denk’ Dir nur, wenn der Baron mich erfaßt und – und – und gar – – –“

„Und gar küss’n will, net wahr? Das ist Deine Sach’, Emma; mich an Deiner Stelle thät er net küss’n, das weiß ich! –“

„Da hab’ ich wohl auch noch ein Wort mit zu sag’n!“ donnerte es da hinter ihnen. Sie sprangen erschrocken empor und sahen sich um.

„Der Vater!“ rief Emma entsetzt.

„Ja, der Vater ist’s, Du ungerath’ne Dirn’! Gleich gehst hinein in die Stub’, sonst werd’ ich Dir den Weg dazu weis’n!“

Hier gab es keine Weigerung. Sie entfernte sich.

„Und Du, was thu’ ich denn eigentlich mit Dir?!

Also ein harter Mann bin ich? Ja, die Emma ist wohl ein wenig weicher als ich, das will ich schon glaub’n, und beim Kopf darfst mich auch net nehmen, sonst könnt’ Dir wohl das Küss’n vergeh’n. Mach’ daß Du fortkommst von hier, Du unnützer Bub’, und such’ Dir Deine Liebst’ im Armenhaus’, aber net auf dem Dukat’nhof. Und das will ich Dir noch sag’n, wenn Du Dich hier nur wieder blick’n läßt, so ist um Deine zwei Knoch’n gescheh’n. Merk’ Dir’s. Und nun marsch fort!“

„Herr Graf,“ entgegnete ruhig der junge Mann, „Sie sind jetzt net in der Stimmung, daß ich Ihnen auf Alles richtig antwort’n könnt’, aber erstens kann ich vielleicht beweisen, daß ich kein unnützer Bub’ bin, und sodann ist’s mir um meine Knoch’n noch niemals bang’ gewes’n. Und wenn nun gar der Rock darüber hängt, den ich heut’ anhab’, so will ich es Keinem rath’n, sich an mir zu vergreif’n! Ich geh’; aber – – –“

Er sprach nicht weiter; ein schallender Schlag mit der flachen Hand hatte ihn in das Gesicht getroffen.

„So, da hast’s, was ich von Deinem bunten Flick’n halt’! Und nun mach schnell, sonst kommt noch mehr!“

Wilhelms Hände ballten sich zusammen; er machte Miene, sich auf den Bauer zu stürzen. Aber mit Aufbietung seiner ganzen Selbstbeherrschung trat er um mehrere Schritte zurück.

„Nein, Dukat’nbauer, ich werd’ mich an Ihnen net vergreif’n, denn Sie sind Emma’s Vater! Und ein königlicher Unteroffizier, der Ehr’ im Leibe hat, weiß schon noch, wie er auf and’re Weis’ zusammenkommt mit – mit – –“

„Nun – mit – mit wem denn, wenn ich frag’n darf, Herr königlicher Feldmarschall?“

„Schon gut! Die Ohrfeig’ kommt mit auf die Rechnung, die ich Ihnen vielleicht bald zu mach’n hab’. Gute Nacht, Dukat’ngraf!“

Er drehte sich um und ging, aber nicht durch den Garten, sondern er nahm seinen Weg durch das offene Haus, das war er sich und seiner Kleidung schuldig.

Es kostete ihn nicht wenig Mühe, die in ihm herrschende Aufregung zu bezwingen und seine Gedanken von dem letzten Ereignisse weg auf die vorher belauschte Unterredung zu wenden. Er hatte zu handeln, und alles Persönliche mußte deshalb zunächst in den Hintergrund gewiesen werden.

Sein Weg führte ihn nach dem Häuschen des Köpfle-Franz. Dort angekommen, sah er durch eine dünne Spalte des Bodens, daß noch Licht in der Stube sei. Er klopfte an.

„Wer ist da drauß’n?“ frug es von innen.

„Ich bin’s, der Wilhelm! Darf ich ein, Path’ Franz?“

„In meine Stub’ darf niemals kein Mensch net – auch Du net; Du weißt’s ja!“

„Laß mich nur heut’ ’mal ein, Path’! Ich hab’ Dich ’was zu frag’n.“

„Frag’ morg’n, wenn Du mich auf der Straß’ siehst!“

„Es muß heut’ noch sein!“

„Ist’s so nothwendig?“

„Ja! Die Mutter hat auch gesagt, ich soll’ zu Dir geh’n.“

Das schlug durch. Was Niemand bei ihm erreichte, das war der Marie möglich. Er konnte ihr niemals vergessen, -

vergessen, was sie nach jenem Abende an ihm gethan hatte. Sie war von dem Dukatenhofe fortgegangen und Monate lang unter Sorge, Angst und Bangigkeit seine Pflegerin gewesen. Und als es seiner starken Konstitution gelungen war, die körperlichen Folgen der furchtbaren Verwundung zu überwinden, da hatte sie nicht mehr von ihm gehen wollen. Aber trotz der Störung, welche sein Geist erlitten hatte, erkannte er doch, daß er ein solches Opfer niemals vergelten könne; er nahm es nicht an und vermochte sie später sogar, ihrem jetzigen Manne, mit dem sie glücklich lebte, ihre Hand zu reichen.

„So wart’, ich komm’ hinaus. Ich wollte so gleich fort; da kannst Du’s drauß’n sag’n!“

Das Licht verlosch, und bald befand sich Franz vor dem Hause, dessen Eingang er wieder verschloß.

„Nun, was gibt’s? Ich denk’, Du bist in Garnison!“

„Ich bin heut’ nach Haus’, und will Dir sag’n, weshalb.“

Er überzeugte sich erst, daß kein Lauscher in der Nähe sei, und stattete dann seinen Bericht ab, dem er auch das auf dem Dukentenhof Erfahrene beifügte.

„Aber, Path’, Du darft Niemandem wiedersag’n, was ich Dir vertraut hab’!“ schloß er seine Rede.

Franz antwortete nicht. Er schien entweder in tiefes Nachdenken versunken zu sein oder mit einem Entschlusse zu ringen.

„Also, dem – dem – na, Dem seine Tochter willst Du zur Frau hab’n?“ frug er endlich.

„Ja. Wir hab’n uns schon lange lieb, und sie ist so

gut, gar net wie ihr Vater, sondern grad’ wie ihre Mutter, die Anna.“

„Wie ihre Mutter? Wilhelm, die war net gut, die ist net gut geblieb’n, die ist falsch und treulos gewes’n, von der mag ich nix hör’n. Aber die Anna, die hab’ ich lieb, die ist brav, und wenn die Emma so ist wie sie, da – da – –“

Er hielt inne; es war doch ein Kampf, der sich in seinem Innern vollzog. Wilhelm störte ihn nicht; er kannte seine Weise.

„Da – da, ja, da sollst Du sie hab’n!“ rang es sich endlich wie ein schwer gewordener Entschluß von den Lippen des Krüppels. „Die Anna wird Freud’ drüber hab’n, und die Marie, die soll ihren Sohn glücklich seh’n. Ja, Wilhelm, Du sollst die Emma hab’n! Als Du zur Welt kamst, da hielt’n sie Alle schon den Grunert-Franz für verrückt und lacht’n über ihn, aber Dein Vater und Deine Mutter, die sagten: „Nun soll er alleweil grad’ Path’ werd’n bei dem Jungen!“ Der Pfarr’ hat net gewollt, aber sie haben’s doch durchgesetzt. Ich mußt’ das Glaubensbekenntniß sag’n, und dann bin ich Path’ gewes’n. Schau, Wilhelm, das vergeß’ ich ihnen net und Dir auch net, und d’rum wird die Emma Deine Frau!“

„Das wird aber net so schnell geh’n, Path’, und jetzt denk’ ich auch nur an die Geschicht’ mit dem Schmuggel.“

„Es wird schon geh’n, Wilhelm, denn der Köpfle-Franz weiß schon, was er sagt. Aber ja, der Schmuggel! Weißt Du ’was?“

„Nun?“

„Der – Der – na, Der ist der Pascherkönig!“

„Franz!“

„Schrei net so laut! Du hast’s schon selber auch gedacht; es ist Dir nur schwer geword’n, dran zu glaub’n. Und den willst Du fang’n?!“

„Hör’, Path’, das ist ’ne schlimme Sach’! Du bist klug, viel klüger als ich und als die Leut’ hier denk’n; komm’, gib mir gut’n Rath!“

Wieder dauerte es lange, ehe eine Antwort erfolgte. Die Liebe zu Wilhelm trat mit Forderungen an Franz heran, welche an seinen bisherigen Plänen mächtig rüttelten.

„Recht hast Du schon: der Köpfle-Franz ist gescheidter als sie Alle. Er sieht, was kein Anderer sieht, und weiß auch von dem Grenzhandel mehr als sie denk’n. Wenn ich Dir nun sag’n könnt’, wo der Zettel zu find’n ist?“

„Das weißt Du?“ frug der junge Mann erstaunt und begierig zugleich.

„Ich hab’s erlauscht, ’mal in der Nacht; es war derselbe Jahrestag wie heut’, und Du brauchst net zu wiss’n, wo ich da gewes’n bin. Aber unterwegs da hab’ ich ausgeruht, und wie ich so still und ruhig dasitz’, da kommt Einer und nachher wieder Einer und kurze Zeit drauf der Dritt’; sie Alle greif’n an den Baum, mach’n Zündholzfeuer, seh’n ’was Weißes an, was sie wieder zurücksteck’n, und geh’n nachher fort. Ich hab’ gewartet, bis Keiner mehr gekommen ist und nachher die Sach’ genau untersucht.“

„Und was ist’s denn gewes’n?“

„Es ist mir alleweil niemals eingefall’n, Jemandem

’was davon zu verrath’n, aber Du, Du sollst es wiss’n. Grad’ am Born hinauf muß man nach dem Walde geh’n; da steh’n erst Dornbeer’ und Erlen, nachher gibt’s lauter Tannen, bis drei große Lärchen kommen, rechts vom Wasser, und die mittelste von ihnen, das ist die richtige. Sie hat zwei Ell’n über der Erd’ einen kurz’n, dünnen Aststumpf, der aber net natürlich, sondern nachgemacht ist. Man kann ihn herausdrehn, und dann ist das Papier im Loch zu find’n.“

„Warum wird es hineingesteckt?“

„Weil der – der, na, der König Niemandem vorher wiss’n läßt, wo in der Nacht das Stelldichein ist; auf diese Weis’ kann er net verrathen werd’n. Erst auf dem Zettel ist der Ort und auch die Zeit zu les’n, wo die Packete zu finden sind.“

„Ich dank’ schön, Path’; gute Nacht!“

Er war fort, ehe Franz nur noch ein Wort sagen konnte. Es hätte allerdings noch gar viel zu besprechen gegeben, aber nun er wußte,, wo das Papier zu finden sei, war keine Minute Zeit zu verlieren, eiligen Laufes kehrte er zunächst zu den Eltern zurück. Diese wußten von seinem Verhältnisse zu Emma nichts und hatten sich seine schnelle Entfernung gar nicht erklären können. Jetzt erwarteten sie den Grund zu erfahren, sahen sich aber getäuscht.

„Was ist denn los? Was willst denn mit den Dingern?“ frug die Mutter, als er sofort nach seinem Eintreten nach dem Quersacke griff und die Revolver herausnahm.

„Seht, wie rasch das geht,“ antwortete er, nach den

Patronen greifend. „Ich bin noch kaum einige Stund’n hier und weiß schon, wer der Pascherkönig ist!“

„Wer denn, und woher hast Du’s erfahr’n?“

„Das kann ich noch net sag’n. Ich muß gleich wieder fort. Heut’ gibt’s ein Kapitalgeschäft, und ich werd’ ihn dabei erwisch’n!“

„Thu’s net, Wilhelm! Bleib’ zu Haus; es ist zu große Gefahr dabei, und Du mußt Dich doch auch erst anmeld’n!“ rieth der Vater, welcher mit ängstlicher Scheu dem Laden der ihm fürchterlichen Waffen zusah.

„Ich weiß ja noch gar net, wie’s gehen wird! Erst muß ich erfahr’n, wo die Pascher zu find’n sind, und wenn ich dann noch Zeit hab’, so lauf’ ich um Hilfe. Ich will nur gleich das Schreiben einsteck’n, das ich vorzuzeig’n hab’. Legt mir den Schlüssel auf die Thür, wenn ich spät wiederkommen sollt’. Gute Nacht!“

Vor dem Hause angekommen, lenkte er von der Straße ab gleich nach dem Walde ein. Es war ihm jeder Schrittbreit so wohl bekannt, daß er trotz der Dunkelheit und des Umstandes, daß er keinen der zahlreichen Feldwege einschlug, sondern quer über Felder und Wiesen lief, den Forst doch grad’ bei der Stelle erreichte, wo das Wasser aus den Büschen in’s Freie trat.

Bisher hatte er wenig darauf geachtet, den Schall seiner Schritte zu dämpfen, nun aber war Vorsicht nöthig, obgleich er sie nur in so weit anwandte, als sie die Schnelligkeit des Vorwärtskommens nicht beeinträchtigte. Es war ihm nämlich ein Gedanke aufgestiegen, der ihn trieb, den

Baum so bald wie möglich zu erreichen. Immer dem Bache entlang wand er sich durch die Erlen, schlüpfte dann, nur auf den Tastsinn angewiesen, durch das Tannendunkel und stand endlich tief athmend vor den Lärchen.

Mit beiden Händen den Stamm der mittleren untersuchend, fand er die Worte des Pathen vollkommen bestätigt. Der Aststummel ließ sich wie eine Schraube herausdrehen, und in der hinter ihm befindlichen Vertiefung stak ein Papier. Er faltete es aus einander, setzte ein Streichholz in Brand und las bei dem Scheine desselben die Worte: „11 Uhr – Mordloch.“ Nachdem er einige Sekunden angestrengt gelauscht hatte, ob sich auch Niemand nahe, machte er abermals Licht und untersuchte den Zettel und den umliegenden Boden.

Trotz der Weichheit des Mooses war in dem letzteren nicht die leiseste Spur eines anderen Fußeindruckes als des seinen zu bemerken, und das Papier zeigte eine Reinheit, Schärfe und Neuheit der Falten, welche es nicht gehabt hätte, wenn es schon durch mehrere Hände gegangen wäre. Seine Hoffnung hatte sich erfüllt: es war jetzt erst neun Uhr; die Pascher pflegten wohl erst später nach der Ordre ihres Anführers zu sehen, und er war also der Erste, welchem sie in die Hände gerathen war. Jetzt zog er sein Notizbuch hervor, nahm den Stift zur Hand und schrieb ungeachtet der Dunkelheit einige Worte auf ein leeres Blatt, welches er abriß, zusammen legte und in das Astloch steckte. Dann drehte er den Stummel wieder ein und begab sich, einen Umweg einschlagend, von der Stelle fort.

Noch aber hatte er keine große Strecke zurückgelegt, als

er den Schritt wieder anhielt. Er hatte sich noch eines Besseren besonnen.

Das Mordloch war diejenige Stelle, an welcher einst der Lieutenant erschossen worden war; sie hatte von diesem Verbrechen ihren Namen erhalten. Aus dem, was Wilhelm bisher erlauscht und von Franz erfahren hatte, ließ sich vermuthen, daß dort die Waaren direkt an den Pascherkönig abgeliefert würden, und es sprachen Gründe dafür, daß dies nicht in Gegenwart Derer geschehen würde, welche bestimmt waren, die Packete weiter zu transportieren. Die berüchtigte Schlauheit des Anführers legte vielmehr den Gedanken nahe, daß er die Träger der einen Strecke nicht mit denen der anderen in Berührung kommen lasse; er hielt sich selbst stets inkognito und hatte seine Maßregeln jedenfalls wohl so getroffen, daß seine Untergebenen nicht nur sich unter einander so wenig wie möglich kennen lernten, sondern auch bei der übernahme und Bezahlung der Kontrebande nicht zugegen sein konnten. Und darauf stützte Wilhelm seinen Plan. Wäre er jetzt zurückgekehrt, um Anzeige zu machen, so war es fraglich, ob die Betreffenden auch anzutreffen seien; mit den zwei Revolvern fühlte er sich dem Pascherkönige gewachsen, und wenn dieser wirklich identisch mit dem Dukatengrafen war, so stellte sich das Bild Emma’s schützend vor den Vater, welchen das Herz gern schonend behandelt hätte, obgleich das Gewissen ihn schonungslos verurtheilen mußte.

Er kehrte zu den Lärchen zurück und versteckte sich in der Nähe derselben so, daß er die Stelle vollständig zu übersehen vermochte. Je länger es dauerte, ehe er den Ersten

nahen hörte, desto sicherer wurde er, daß noch Niemand das Papier gelesen habe. Endlich huschte Jemand herbei; der Schein eines Zündholzes flackerte auf und Wilhelm blickte in ein wohlbekanntes Gesicht. Es war ein Nachbar seines Vaters. In wenig Augenblicken hatte er sich wieder entfernt und zwar in der Richtung, welche auf dem falschen Zettel angegeben war. Die für den Lärchenbesuch bestimmte Zeit schien da zu sein, denn es kam jetzt Einer nach dem Andern und Jeder beobachtete dasselbe Verfahren. Wilhelm kannte sie alle. Der heutige Transport mußte allerdings ein bedeutender sein, denn erst der sechzehnte Mann schien den Schluß zu bilden. Es waren lauter Bewohner der Umgegend, und der heimliche Beobachter mußte im Stillen seinem Vater, welcher ihn vor der Feindschaft dieser Leute gewarnt hatte, Recht geben.

Als Niemand mehr kommen wollte, erhob er sich und schlug die Richtung nach dem Mordloche ein. Es war kein weiter Weg, welchen er zurückzulegen hatte; aber das Fortkommen wurde durch den dichten Baumwuchs sehr erschwert und es verging daher eine geraume Zeit, ehe er in die Nähe des Zieles gelangte. Indem er sich jetzt vorsichtigen Fußes zwischen den Stämmen weiter schlich, hörte er zur Seite ein Rascheln der Zweige. Er blieb stehen, ließ den Mann an sich vorüberschlüpfen und folgte ihm dann nach. Fast kam es ihm so vor, als sei es derselbe, welcher am Zaune des Dukatenhofes gestanden hatte.

Es konnte nur noch eine ganz geringe Strecke bis zum Stelldichein sein, als eigenthümliche Laute ihn veranlaßten, den Schritt wieder zu hemmen. Ein Schrei erscholl, so

heiser und kurz, als komme er aus einer fest zugeschnürten und nur für einen Augenblick frei gelassenen Kehle. Dann ließ sich eine hohnlachende menschliche Stimme vernehmen:

„Ja, schrei nur; es soll Dir doch nix helf’n! Heut’ ist der Jahrestag, daß Du den Lieutenant erschoss’n hast, und ich bin dafür eingesteckt word’n. Dann bin ich alle Jahr’ des Nachts zur selbigen Stund’ hergekroch’n und hab’ den Geist des Ermordeten gebeten, mir zu helf’n in meiner Rach’, und nun hat er Dich hergebracht und in meine Hand gegeb’n grad’ an der Stell’, wo Du mich weg’n der Anna hast zu Tode bringen woll’n.“

Ein tiefes, schweres röchelndes Stöhnen unterbrach ihn.

„Gib Dir keine Mühe, loszukommen. Die Beine sind auf dem Dukat’nhof, aber die Hände hab’ ich noch, und wen der Köpfle-Franz festnimmt, der wird alleweil nimmer wieder frei. Deine Frau ist todt und Du mußt ihr nach und wenn Du zehnmal der Schmugglerkönig bist; Du bist doch auch noch ein Anderer, Du bist der – der – na, Du weißt schon, wen ich meine, der mir das Herz aus dem Leib’ geriss’n hat und mir das Leb’n vergiftet bis auf den heutigen Tag. Paß’ auf, jetzt geht’s mit Dir zu End’!“

Er stand im Begriffe, den unter ihm Liegenden mit einem letzten Drucke zu erwürgen, aber es kam nicht dazu. Eine kräftige Faust packte ihn von hinten und riß ihn von seinem Opfer zurück, und zu gleicher Zeit flammte mit bleichem Lichte ein blanker Messerstahl durch das Dunkel. Der Mann, welcher an Wilhelm vorbeipassiert, war seinem Hauptmanne zu Hilfe geeilt, doch kam die gezückte Waffe nicht

zum tödtlichen Stoße, denn auch er wurde ergriffen und von seinem Opfer fortgeschleudert.

„Weg mit dem Messer, sonst helf’ ich nach!“ rief Wilhelm, der die Situation sofort erfaßt hatte.

Der Mann gehorchte nicht, warf sich im Gegentheile mit dem Messer jetzt auf ihn. Wilhelm trat rasch zur Seite; der Schuß blitzte auf, und die Hand sank, die Waffe fallen lassend, zerschmettert nieder. Bei dem Pulverstrahle waren die blanken Knöpfe seiner Uniform zu erkennen; der Mann stieß einen unterdrückten Schmerzensruf aus und eilte fliehend von dannen. Als Wilhelm sich umwandte, sah er nur noch den Köpfle-Franz.

„Wo ist der Pascherkönig, Path’?“

„Fort!“ lachte der Gefragte. „Das kannst Du Dir doch denk’n!“

„Ich muß ihm nach – – –“

„Halt, wart erst!“ rieth Franz, ihn beim Arme haltend. „Sieh’ ’mal daher!“

Unter den Föhren, von wo aus einst der verhängnißvolle Schuß gefeuert wurde, lag eine ganze Reihe mächtiger und wohlgeschnürter Packete.

„Ich hab’ mir’s gedacht! Aber wie kommst Du hieher und in den Kampf mit dem Pascherkönig?“

„Heut’ bin ich wie alle Jahr hier, wenn’s auch Niemand zu wissen braucht. Da hab’ ich Alles geseh’n, die Leut’, welche die Bündel bracht’n und dann wieder gingen, den Mann, der das viele Geld bekam, und den – den – na, den Pascherkönig, der nachher auf mich gestoß’n ist und hat mich umbringen woll’n. Aber da ist er an den Unrecht’n

gekommen, denn wenn der Andere net gewes’n wär’, so hätt’ es keine Minute länger mit ihm gedauert. Nun aber ist er ausgeriss’n. Er hat Deine Montur geseh’n und gedacht, das ganze Militär ist da.“

„Wart’, bei dem Gedank’n woll’n wir ihn gern lass’n!“ lachte Wilhelm und brannte in unregelmäßiger Pausenfolge noch einige Schüsse ab. Sodann lud er wieder und reichte einen der Revolver dem Pathen.

„Hier, Franz, nimm, daß Du Dich wehr’n kannst, denn Du mußt dableib’n als Wache für die Päcke. Ich aber muß wiss’n, wer der Pascherkönig ist; ich spring’ ihm nach.“

„Dableib’n, das will ich schon, aber sag’ mir nur, wie ich dies kleine Ding alleweil anzupack’n hab’!“

Wilhelm erklärte ihm flüchtig die Konstruktion der Schießwaffe und entfernte sich dann. Er wußte, daß er dies wohl wagen dürfe, denn von den Schmugglern war keiner zu erwarten und allen anderen Fährlichkeiten gegenüber hatte der furchtlose Franz gewiß nicht die mindeste Bangigkeit. Wohin er seine Schritte zu lenken habe, das wußte er ganz genau. Der Pascherkönig nahm jedenfalls an, daß er erkannt worden sei, und daß man sofort nach seiner Wohnung eilen werde, um dort auszusuchen und ihn nach Umständen fest zu nehmen, und deshalb war er ganz gewiß bestrebt, sie noch vor seinen Verfolgern zu erreichen. Darum durchschnitt Wilhelm den Wald in gerader Richtung auf den Dukatenhof zu, ging, dort angekommen, nach der hinteren Seite des Gutes und nahm sich vor, den Bauer unter allen Umständen gleich als Schmugglerhauptmann

anzureden; nach dem Verhalten desselben wollte er dann in Beziehung auf Emma auch das seinige einrichten.

Diese Voraussetzungen zeigten sich als ganz richtig. Durch den würgenden Druck von Franzens Händen fast zur Besinnungslosigkeit gebracht, hatte der Dukatengraf nicht diejenige Geistesgegenwart gehabt, welche nothwendig war, die Lage der Sache sofort zu begreifen. Er hielt sich wirklich von Militär und Grenzjägern überfallen und sah es als eine ganz besonders glückliche Fügung an, daß er ihnen entkommen war. Erst als er aus dem Walde in das freie Feld gelangte, gönnte er sich einen Augenblick Ruhe, um Athem zu schöpfen.

„Verlor’n, Alles verlor’n!“ murmelte er, ingrimmig die Fäuste ballend. „Das viele Geld ist hin, die köstlichen Packete sind fort, ich bin zum Bettler geword’n, grad’ wie der Grunert-Franz. Und wenn mir nun noch der Klotz über die Beine geht, so schnall’ ich mich in den Rollkast’n und fahr’ mit ihm im Land herum zum Köpflemal’n. So weit hat’s der Dukat’nbauer gebracht, und es ist nur noch tausend Wunder, daß mich keiner von den vielen Schüss’n, die sie mir nachgeschickt hab’n, getroff’n hat. Und das hab’ ich Alles dem Bub’n zu verdanken, dem Wilhelm, der mir vom Garten weg nachgeschlich’n ist, um Rache an mir zu nehmen. Er hat den Handel belauscht und nachher die Buntröcke herbeigeholt. Ich hab’ ihn gleich an der Stimm’ erkannt, und er mag sich nun hüten, daß er mir net ’mal im Wege steht, sonst ist es aus mit ihm! – – Auch der Franz, der Krüppel, der elende, hat sich vor

lauter Rachsucht hinausgeschleppt. Hätt’ ich ihn nur gleich erschlag’n!“

Er warf die Hände drohend nach rückwärts und schritt dann dem Dorfe zu.

„Ich muß mich sput’n, daß ich nach Haus’ komm’, sonst sind sie eher da und nehmen mich vom Felde weg! Ich geh’ zu Bett’, und nachher kann mir Niemand nix anhab’n. Aber durch’s Dorf darf ich net, damit ich net gesehen werd’!“

Dieser Umweg war die Veranlassung, daß er später als Wilhelm auf dem Hofe ankam. Er sah die Möglichkeit ein, daß die gefürchteten Verfolger schon eingetroffen sein könnten, und gebrauchte daher bei seiner Annäherung die äußerste Vorsicht. Nur in kriechender Stellung legte er den Weg durch den Garten zurück, und bei den beiden Stämmen angekommen, strengte er die ganze Schärfe seines Gesichtes und Gehöres an, um zu erfahren, ob Gefahr für ihn vorhanden sei.

„Hab’ mir’s doch gleich gedacht,“ bemerkte er in sich hinein; „dort lehnt Einer am Fensterlad’n, grad’ da, wo damals der Franz gestand’n ist. Der hat’s klug angefang’n, so daß ich net zur Thür hinein kann, und die Scheune, die hat der Knecht beim Schlafengeh’n verschlossen.“

Nach kurzer überlegung beschloß er, zunächst nachzuforschen, mit wie viel Gegnern er es zu thun habe; das Weitere konnte sich erst nachher ergeben. Sich mit der ganzen Körperlänge immer hart am Boden haltend, kroch er langsam vorwärts, und es dauerte bei dieser mühsamen Fortbewegung sehr lange, bis er die Umgebung abgesucht hatte und nun

einen Entschluß fassen konnte. Er kehrte zu den Stämmen zurück.

„Es ist der Bub’, der Wilhelm, und er ist ganz allein. Die Anderen steck’n sicher draußen und haben den Hof umzingelt. Ich muß hinein, und ich weiß, wie ich’s zu Stande bring’. Wart’, Spion, Du stehst mir recht, grad’ so recht, wie damals der Franz, Dein Path’, und diesmal soll’s net blos die Beine kosten! Der Franz ist net gescheidt im Kopf, und was der sagt, das gilt nix vor Gericht, und Du, Du sollst den Weg zum Amt schon gar net finden!“

Damit ein zweites Unglück verhütet werde, hatte man den Stämmen hölzerne Keile als Unterlagen eingeschoben. Er bewegte sich lautlos bis an die Vorderseite des ersten Klotzes und strengte alle seine Kräfte an, sie zu entfernen. An dem einen Ende gelang ihm dies nur nach langer vergeblicher Mühe, an dem anderen aber war es nun leichter, denn der Stamm hatte jetzt den festen Halt verloren und konnte schon durch einen einigermaßen kräftigen Stoß aus dem Gleichgewichte gebracht werden. Anstatt diesen Stoß von der Gartenseite vorzunehmen, bückte sich Graf zu dem zweiten Keile nieder – ein fürchterlicher Schrei erscholl durch die Nacht – ein dumpfes Rollen ließ den Boden erzittern – ein schmetternder Schlag machte das Haus erbeben, grad’ wie in jener entsetzlichen Nacht, nur daß der Schrei heut’ vor dem Anpralle erfolgte – dann herrschte auf kurze Zeit eine lautlose Stille über dem verhängnißvollen Orte. – – –

4. Gesühnte Schuld

Der Winter war schon längst vergangen; der Frühling hatte seine Blüthenflocken bereits verschneit und es war Sommer geworden. Im Niederlande hatte man die Getreideernte bereits eingeheimst, im Gebirge aber wogte das goldene ährenmeer noch über die Felder, und nur hier oder da lag auf der Sonnenseite der Sommerroggen auf der Stoppel, um auf einige Tage gehörig nachzutrocknen.

Es war wieder Sonnabend, aber nicht ein so kühler und düsterer, wie der im vorigen November, dessen Andenken noch nach so langer Zeit unter den Bewohnern des Dorfes die Frische seiner Farben nicht verloren hatte. Die Sonne war längst hinter den westlichen Bergen verschwunden, aber es lag noch immer warm und wohlig auf Wald und Feld, auf Flur und Dorf, und die Leute saßen nach vollendetem Abendbrode vor ihren Thüren, um sich den heimlichen Regungen hinzugeben, welche das Scheiden eines freundlichen Tages in jedem empfänglichen Menschenherzen hervorruft.

Aus dem Forste trat ein junger Mann, der die hellen, munteren Augen liebevoll über das vor ihm liegende Thal gleiten ließ.

„Grüß Gott, du altes gutes Nest da unt’n,“ rief erfröhlich. „Da bin ich endlich und werd’ nun auch net gleich wieder fortgeh’n!“

Es war Wilhelm. Der bekannte Quersack auf seiner Schulter ließ schließen, daß er wie damals aus der Garnison zurückkehre. Gar nicht weit von ihm war trotz der vorgerückten Stunde eine weibliche Gestalt noch im Klee beschäftigt.

„Wer ist denn das? Ich glaub’ gar, das ist die Emma! Sie holt Futter für morg’n früh. Das ist doch Arbeit für das Gesind’ und net für die Tochter! Und warum hat man denn den Wagen net genommen?“

Er schritt den Rain entlang und schlich sich vorsichtig bis hart an sie heran. Sie bemerkte sein Kommen nicht. Die Hände über ihre Augen legend, frug er mit verstellter Stimme:

„Sag’, wer ist’s?“

„Wilhelm!“

„Errathen!“ Er schlang den Arm um sie und zog sie an sich. „Willkommen, Emma! Wie geht’s?“

Ihre Augen waren geröthet und an den Wimpern glänzte es feucht; sie hatte geweint.

„Willkommen, Wilhelm! Du fragst, wie’s geht?Hast Du denn noch nix davon gehört?“

„Was ist’s, von dem ich gehört haben soll? Ich glaub’ gar, Du weinst! Ist bei euch wieder ’was Ungutes passirt?“

„Es ist nix Neues, und Du weißt’s noch net, nur weil Du so weit von hier gewesen bist. Der Dukatenhof ist weg!“

„Das ist doch nimmer möglich! Hat Dein Vater verkauft?“

„Nein, noch schlimmer! Das Gericht hat ihn genommen; übermorgen ist die Versteigerung.“

„Schau, das ist bös! Was sagt Dein Vater dazu?“

„Der sagt nix, gar nix. Er sitzt von früh bis Abends droben in seiner Stub’, starrt vor sich hin und spricht kein

Wort. Und wenn ich auf ihn red’, so antwortet er net, sondern nimmt mich nur immer bei der Hand und blickt mich an mit Augen, mit solchen Augen – ach, es ist zum Herzbrechen!“

Sie legte ihren Kopf an seine Brust und schluchzte laut. Auch er war bewegt, und seine Stimme zitterte, als er nach einer stummen Pause frug:

„Kannst Du Dir denken, wer schuld ist an dem Unglück, Emma?“

„Wer?“

„Ich!“

„Du?“ Sie blickte unter Thränen erstaunt zu ihm empor.

„Ja, ich! Wenn ich den Pascherkönig net hätte fangen wollen, so wär’ gar nix von alledem passirt. Aber die Prämie hat mir in die Augen gestochen, und nachher – nachher hab’ ich sie doch net haben mögen!“

„Das hat doch nix mit dem Vater zu schaffen!“

Er schwieg. Sie ahnte nichts von dem wahren Sachverhalte und fuhr zögernd fort:

„Und die Geschichte von dem Lieutenant und dem Köpfle-Franz hast wohl auch noch net gehört?“

„Daß der ihn erschossen haben soll? Warum soll ich das noch net gehört haben? Das weiß doch jedes Kind!“

„Nein, es ist anders gewesen! Jetzt ist der Richtige heraus, der’s gethan hat.“

„Ist’s wahr?“ klang es rasch und erfreut. „So ist der Pathe endlich gerechtfertigt! Wer ist’s gewesen?“

„Ach, Wilhelm,“ schluchzte sie mit erneuter Heftigkeit, „nein, das kann ich Dir gar net sagen!“

„Warum?“

„Es ist – so fürchterlich, und ich, ich konnt’ es gar net glauben. Ich hab’ geweint Tag und Nacht und mich vor den Leuten versteckt, als ob ich’s selbst gewesen wär’.“

Er ließ erschrocken seinen Arm von ihr gleiten, denn ihm ahnte, was ihr das Sprechen so schwer machte.

„Sag’s net, Emma, sag’s net; ich werd’s auch so erfahren!“

„Siehst Du,“ jammerte sie, als sie sich von ihm losgelassen fühlte, „daß Du nun gleich auch nix mehr von mir wissen magst! Und ich kann doch net dafür!“ Sie verbarg ihr Gesicht in die Schürze und wendete sich von ihm ab.

„Emma, bleib da. So hab’ ich’s net gemeint! Es ist ja nur der Schreck gewesen, nix Anderes! Komm’ her und sei ruhig; Du weißt doch, daß ich Dich lieb hab’ und niemals von Dir lassen werd’!“

Er nahm sie wieder an sich und zog ihr die Hände vom Gesicht. Erst jetzt bemerkte er, wie blaß und leidend dasselbe geworden war, und mit inniger Theilnahme küßte er ihr die Thränen aus den Augen.

„Auch net, wenn – wenn der Vater in – in das Zuchthaus muß?“ forschte sie stockend.

„Auch dann net; das darfst Du sicher glauben! Aber vielleicht kommt’s net so weit. Wissen’s denn die Leut’ und auch schon die auf dem Gericht’!“

„Ja, der Vater hat sich doch selbst angezeigt! O, Wilhelm, diese Zeit werd’ ich nimmer vergessen! Das kam Alles Schlag auf Schlag: erst das Unglück mit dem Klotz,

nachher die Anzeige wegen dem Mordloch, dann nahm uns der Agent die Ernt’, und das Vieh mußte deshalb aus dem Stall; nun ist der ganze Hof verloren, und wer weiß, was Alles noch weiter folgen kann!“

„Daß es so schlimm steht, hab’ ich mir net gedacht! Ich bin damals gleich wieder fort, und von den Eltern hab’ ich keinen Brief erhalten. Aber sei doch ruhig; der liebe Gott wird schon helfen, daß es besser geht, als wir jetzt denken. Komm’, nimm den Korb, wir wollen nach Hause gehen!“

Er half ihr die Last aufnehmen, und dann schritten sie langsam dem Dorfe zu.

„Ich bin später eingetroffen, als ich eigentlich wollt’,“ begann er, um ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben; „aber ich war erst drüben im Bad, weil ich den König gern sehen wollt’.“

„Ist er da?“

„Ja. Die Königin gebraucht die Kur, das hast Du wohl auch schon gehört, und heut’ hat er sie besucht, um einige Tage bei ihr zu bleiben. Der Ort war voller Menschen, die von allen Seiten herbeigekommen sind, grad’ wie zum Jahrmarkt, und die Herrschaften sind Arm in Arm durch das Volk gegangen und haben im ganzen Gesicht gelacht vor Freud’, als die Hüt’ und Mütz’n ringsum in die Höhe geflogen sind und Alles ’Vivat hoch!’ gerufen hat.“

Er erzählt weiter und es gelang ihm, sie in eine weniger traurige Stimmung zu versetzen. Bei dem Dukatenhofe angekommen, hemmten sie ihre Schritte.

„Wie lange bleibst Du jetzt da?“ erkundigte sich Emma.

„Für stets.“

„Ist’s wahr?“ rief sie erfreut. „Gehst net wieder fort?“

„Wenn Du mich net fortschickst, nein! Meine Zeit ist um und ich mag net weiter dienen. Zwar hat es mir ganz gut gefallen und ich bin auch vorgerückt; darum haben sie mir viel zugesprochen, daß ich bleiben soll, aber die Emma ist mir lieber als die Muskete, und die Eltern brauchen mich auch nothwendiger als der König. Ich könnt’ wohl ’mal ’ne gute Versorgung haben, doch das liegt noch weit im Feld’, und hier wird sich wohl auch ’was für mich finden. Wenn Du in Noth und Sorgen bist, so mag ich net fort sein, sondern will bei Dir bleiben!“

„Dir kann’s ja nimmer fehlen! Du bist ein tüchtiger Bauer, das ist besser als Soldat, und dann hast Du ja auch den Antheil von den Packeten, die Du damals den Paschern abgenommen hast. Das ist ein schönes Stückchen Geld, denn der Köpfle-Franz hat seinen Part net annehmen wollen und Dir überlassen, net wahr?“

„So ist’s. Aber es geht mir auch wie ihm: ich mag’s net haben. Zwar ist’s kein Sündengeld, aber es brennt mir in die Hand und wird nie Segen bringen. Der, dem’s gehört, soll’s wieder haben!“

„Kennst Du ihn denn?“

„Ich werd’ ihn schon erfahren. Und nachher ist – –“

„Geh’ fort!“ unterbrach sie ihn. „Der Vater! Mach schnell,“ fügte sie ängstlich hinzu, „sonst sieht er Dich!“

Er drehte sich ruhig und ohne ein Zeichen des Schreckens nach dem Eingange um. Dort erschien ein Mann, dem,

ganz wie dem Köpfle-Franz, die Beine fehlten, und welcher auch wie dieser den Oberkörper in einen Rollkasten geschnallt hatte. Der schwarze, dichte Bart war lange Zeit nicht verschnitten worden, hing ihm fast bis auf die Brust herab und bildete einen höchst auffallenden Kontrast zu dem schneeweißen Kopfhaare, welches sich lang und glatt über den bleichen, hohläugigen Schädel legte. Es war der Dukatengraf; eine einzige Nacht hatte sein Haar erbleicht, eine einzige Nacht hatte ihn aus der Höhe, in der er sich wähnte, in die Tiefe gerissen. Sein Auge hatte die Gruppe erfaßt.

„Bleib’ steh’n, Wilhelm, brauchst Dich net zu fürcht’n, denn ich kann Dir nix mehr anhab’n!“

Er schob sich mit den beiden Hölzern, welche er, gerade wie der Köpfle-Franz, in den Händen hielt, herbei und wandte sich an Emma:

„Ich werd jetzt meine erste Ausfuhr machen, net mit der Staatskaross’ und net mit dem Braunen, den mir der Baron abgenommen hat, sondern hier auf dem Bußwagen, den ich mir wohl erworben hab’. Laß die Thür offen; ich werd’ erst spät wieder zu Haus sein!“

Dann legte er das Holz auf die Erde und hielt dem jungen Manne die Rechte entgegen:

„Wilhelm, Du hast ’mal zu mir gesagt, daß die Ohrfeig’, die ich Dir gegeben hab’, mit auf die Rechnung kommen soll. Sie hat net d’rauf gestanden, sie konnt’ net d’rauf steh’n, und darum hast hier meine Backe oder meine Hand. Schlag zu, oder, wenn Du mir verzeihen willst, so reich’ mir Deine Hand.“

Der Angeredete war so erschüttert von dem Anblicke des einst so stolzen und der Demuth des einst so selbstgerechten Mannes, daß er kaum zu reden vermochte. Er gab ihm beide Hände.

„Herr Graf, ich hab’ Ihnen ja längst verzieh’n; Gott gebe, daß ich es Ihnen beweis’n kann!“

„Das kannst Du, Wilhelm. Sei gut gegen die Emma und verlaß sie net, wenn ich fort sein werd’! Sie ist besser als ihr Vater, tausendmal besser, und Ihr werdet glücklich mit ’nander sein. Jetzt aber muß ich fort. Geht nur immer hinein in die Stub’, und Du, Wilhelm, grüß’ mir auch Deine Mutter, die Marie; ich bin net werth, daß solch’ Gesind’ in meinem Haus gewesen ist!“

Vier Augen blickten ihm nach, als er sich jetzt mühsam und unbeholfen entfernte, aber die Thränen, welche sie füllten, ließen seine Gestalt in’s Undeutliche fließen. Emma schluchzte laut und krampfhaft, und Wilhelm hatte sich an den Zaun gelegt, als müsse er gegen die auf ihn einstürmenden Gefühle eine feste Stütze suchen.

Graf schob sich das Dorf hinauf. Auf beiden Seiten der Straße eilte der Ruf von Haus zu Haus: „Der Dukatenbauer kommt; paßt auf! Wo wird er hinfahren?“ Er nickte, still grüßend, nach rechts und links und verfolgte unbekümmert um die ihm in einiger Entfernung nachkommenden Neugierigen seinen Weg bis an das Haus des Köpfle-Franz.

Thüre und Läden waren geschlossen. Er klopfte an.

„Wer ist drauß’n?“ frug der Besitzer des Häuschens von innen.

„Mach’ auf, Franz; ich bin’s, der Heinrich!“

„Welcher Heinrich?“

„Nun, der – der – der vom Dukat’nhof.“

„Bleib’ draußen! Bei mir darf Niemand ein, und Du erst gleich gar net!“

„Mach’ nur immer auf. Ich hab’ Dir ’was zu sagen!“

„Sag’s Anderen! Von Dir mag ich gar nix hören!“

„Du wirst’s schon hören woll’n; es ist ’was von der Anna.“

„Von der Anna? Was denn?“

„Laß mich nur erst ein, dann werd’ ich Dir es sagen.“

„Geh’ fort! Von Dir mag ich nix wissen, auch über die Anna net.“

„Es sind zwei Brief’ von ihr, die ich Dir bring’!“

„Zwei Brief’? Wer hat sie geschrieben?“

„Sie selber. Bitt’ schön, laß mich ein!“

„So komm’!“

Die Thüre wurde geöffnet. Im Flur war es dunkel, aber in der Stube brannten die beiden Kerzen zu Seiten des Tisches und ihr Schein fiel verklärend über das aufgeschlagene Bild der Verstorbenen.

Es war ein wichtiger, ein großer, ein entscheidender Augenblick für die beiden Männer, welche sich jetzt in dem ärmlichen Raume gegenüber standen oder vielmehr gegenüber kauerten. Die Augen des Köpfle-Franz funkelten glühend und voll unsagbaren Hasses auf den Zerstörer seines Lebensglückes, und es zuckte über seine Gestalt, als müsse er sich beherrschen, um nicht über ihn herzufallen. Aber je

länger er ihn betrachtete, desto mehr verschwand der drohende Ausdruck seines Gesichtes, die Hände entballten sich und in ruhigerem Tone erklang es:

„Komm’ näher; hast nix zu fürcht’n!“

Graf’s Auge fiel auf das Bild.

„Darf ich hin?“

„Ja; aber net angreifen!“

Er schob sich an den Tisch; aber nicht lange hatte sein Blick auf den bekannten schönen Zügen geruht, so wandte er das Angesicht zur Seite und ließ den Kopf zur Erde sinken. Franz näherte sich ihm.

„Hast Du sie denn auch lieb gehabt?“

„Lieb gehabt?“ frug Graf erstaunt. „Nein, net lieb gehabt hab’ ich sie, sondern wahnsinnig in sie bin ich gewesen, sonst wäre ich doch net das, was aus mir geworden ist! Aber sie hat mich net leiden mögen all’ ihr Lebelang, und da bin ich immer mehr auf die schlechte Seit’ gefallen, das Herz ist mir versteint und ich hab’ nur Gefallen gefunden an dem, was and’re Leut’ verdrossen und geärgert hat.“

„Sie hat Dich net leiden mög’n?“ ertönte es hastig und mit zitternder Stimme.

„Nein, niemals, blos weil sie Dich lieb gehabt hat.“

„Mich lieb gehabt? Aber sie ist doch Deine Frau geword’n!“

„Weil sie gemußt hat. Als ihr Vater todt war, hat ihr die Mutter in den Ohren gelegen, weil der es um die Versorgung zu thun gewes’n ist. Und ich, ich hab’ Alles hervorgesucht, um ihren Willen zu brechen. Ich hab’ gesagt -

gesagt, daß ich im Mordloch gewesen bin und gesehen hab’, daß Du ihren Vater wirklich erschossen hast, und daß ich gegen Dich zeugen und schwören wolle, wenn sie net meine Frau werd’. Das hat geholfen. Um Dich zu retten hat sie endlich ’Ja’ gesagt.“

„Um mich zu retten!“ jauchzte Franz. Seine Liebe hatte im Laufe der Jahre eine vollständig ideale Richtung genommen; er dachte nicht an die bodenlose Schlechtigkeit, welche in dem Verhalten Heinrichs gelegen, dachte nicht daran, daß gerade dieser Beweis von Liebe ihn um ihren Besitz gebracht hatte, sondern er fühlte nur die furchtbare Last von sich genommen, welche der Gedanke, daß ihr Herz dem Dukatengrafen gehöre, auf ihn geworfen hatte. Unter ihrem Drucke hatte er mehr gelitten als unter der äußeren Verstümmelung, sie hatte auch die Kräfte seines Geistes gebrochen und ihn zu dem „Verrückten“ gemacht, der von den Unverständigen verspottet und von den Einsichtsvollen bemitleidet wurde.

„Ja, nur um Deinetwillen. Sie hat mir das auch nie verschweigen mögen. Wenn Du unter den Bäumen gelegen bist, so hat sie im Garten gestanden und geweint und nach Dir hingeblickt, und wenn Du auf Reisen gewesen bist, so ist sie an Dein Haus gegangen und hat stundenlang vor Deiner Thür’ gesessen. Ich hab’s net leiden wollen, aber sie ist mir immer wieder entschlüpft, und da ihr euch dabei doch nie getroffen und gesprochen habt, so bin ich endlich auch darüber still geworden.“

Franz athmete förmlich jedes dieser Worte von den Lippen des Sprechers; seine Züge wurden hell und immer

heller und in tiefen Stößen drang der Athem aus seiner sich erleichternden Brust.

„Da ist sie doch immer mein geblieben und gar niemals Deine Frau gewesen!“ rief er mit freudestrahlendem Angesichte.

„Ja. Ich hab’ sie um ihr Glück betrogen und dabei ist mir Alles zum Unheil ausgefallen. Auf Dich wollt’ ich schießen und ihren Vater hab’ ich getroffen; nachher sollte Dich der Klotz todt machen, aber Du bist – – –“

„Der Klotz? Der ist net von selber auf mich gerollt?“

„Nein; das muß ich Dir Alles sagen, denn deshalb bin ich ja heut’ zu Dir gekommen. Ich hab’ ihn fortgerollt, damit er Dich hat treffen soll’n.“

„So ist’s doch wahr, was ich mir net hab’ denken können, weil’s gar zu grausig schlecht gewesen ist! O Du dppelter und dreifacher Mörder, Du bist doch ein wahrer Teufel in Menschengestalt und solltest grad’ von unten auf gerädert werden!“

„Franz, das bin ich ja auch schon! Siehst’s net? Und in meinem Alter hat das mehr zu bedeuten als damals, wo Du noch jung gewesen bist. Seit ich die Schul’ verlassen hab’, ist mir der Glaube an Gott abhanden gekommen, jetzt aber weiß ich, daß es wirklich die Gerechtigkeit gibt, die in der Bibel steht: ’Auge um Auge, Zahn um Zahn’. Dir hab’ ich die Füß’ genommen, nun sind mir die meinen auch zermalmt; und dasselbe Holz hat’s gethan, was ich auf Dich gestoßen hab’! Der liebe Gott hätt’ vielleicht noch Nachsicht gehabt mit mir, aber weil ich auch den Wilhelm hab’ zerschmettern wollen, so – – –“

„Auch den Wilhelm? Geh fort, Graf, geh, ich kann’s net länger hören! Ich hab’ vorhin gesagt, daß Du in meiner Stub’ alleweil nix zu fürchten hast, d’rum geh, mach schnell zur Thüre hinaus, daß ich mein Wort net brechen thu’!“

„Nein, Franz, laß mich nur da, denn Du mußt Alles wissen! Meinetwegen magst Du auf mich schlagen wie Du willst, ich nehm’ es ruhig hin, wenn ich Dir nur beichten darf, was ich an Dir verbrochen hab’! Hast’s net gehört, daß ich mich schon beim Gericht selbst angezeigt hab’, von wegen dem Lieutenant? Ich braucht’s net zu thun, aber Du sollst gerechtfertigt sein. Sie haben mich blos deshalb noch net abgeholt, weil ich bisher krank gewesen bin und net ausreißen kann. Wenn meine Buß’ hier zu Ende ist, werd’ ich mich gefangen geben. Heut’ bin ich bei Dir, morgen geh’ ich in die Kirch’, übermorgen laß ich mich aus dem Dukat’nhof weisen und Dienstag fahr’ ich mit meinem Karren nach dem Zuchthause. Ich will Alles thun und Alles tragen, denn ich hab’s verdient, und die Emma wird – –, ach Gott, mein Kind, mein gutes, liebes, unschuldiges Kind – –!“

Es wurde still in dem Raume. Der Eine hatte ausgekämpft und beugte sich unter den Konsequenzen seiner Thaten. In dem Innern des Anderen tobte der Kampf noch fort, ja, er war jetzt erst von Neuem ausgebrochen und versetzte die Fluthen seiner Seele in einen Aufruhr, der unmöglich in wenigen Minuten zu bezwingen war.

„Und noch Eins muß ich Dir gestehen,“ fuhr der Dukatenbauer endlich fort. „Damals, als Du aus meinem Hofe geschafft warst und krank zu Haus’ lagst, wo die

Marie Dich pflegte, da ist die Anna alle Tag gekommen und hat sie gefragt, wie’s mit Dir steht. Nachher hat sie ein Schreiben gemacht an Dich, was die Marie Dir geben sollt’, ich aber bin darüber gerathen und hab’ ihr’s konfiszirt. Hier ist’s. Ich bin in tausend Nächten darüber gesessen und hab’s mit Grimm und ärger immer wieder lesen müssen.“

Franz griff begierig nach dem Papiere, es war zerknittert und beschmutzt und mußte allerdings viel in Gebrauch gewesen sein. Die Nähe des Lichtes suchend, saugte der ungeübte Leser die Worte langsam von dem Zettel, wiederholte jeden Satz, bis er ihn seiner Seele einverleibt fühlte, und als er zu Ende war, wandte er sich mit zuckenden Lippen zu dem Nebenbuhler:

„Schau, Graf, die Stöß’ dort unter’m Ofen, das Alles ist nur ihr Bild, nur immer wieder ihr Kopf. Ich hab’ gebettelt und gehungert, um Papier zu haben, hab’ Tag und Nacht und Jahre lang gesessen, ehe ich ihn ähnlich brachte, aber ich geb’ all die Bilder hin für diesen einen Brief, und den bekommst net wieder, der geht alleweil mit mir in’s Grab.“

„Du sollst ihn auch behalten, dafür hab’ ich ihn hergebracht. Hier ist noch einer; den hat sie geschrieb’n gleich vor dem Tod. In ihrer letzt’n Stund’ mußt’ ich ihr versprechen, daß ich ihn Dir selber bringen wollt’. Es ist geblieben bis heut’; warum, das kannst Du Dir denk’n.“

„Zeig’ her!“

Er war nur kurz, aber sein Inhalt brachte einen tiefen Eindruck, eine außerordentliche Wirkung auf Franz hervor.

Mit geschlossenen Lidern lehnte er an der Wand; die widerstreitenden Empfindungen seines Innern gingen in bald zornigen, bald milderen Zügen über sein matt erleuchtetes Gesicht, Minute um Minute verrann, die Lichter brannten herab, zischend und flackernd verlöschte eines nach dem anderen, es wurde dunkel in der Stube und noch immer regte er sich nicht. Endlich, endlich klang ein langer, schwerer Seufzer durch die Stille.

„Heinrich!“

„Franz!“

„Ich hab’ Dir vergeben!“

„Franz, ist’s möglich, ist’s wahr?“

„Ja! Die Anna hat’s gewollt; in dem Brief’, da steht’s geschrieb’n, und da will ich’s auch thun. Wir sind Freund gewesen von Jugend auf bis an den Tag, wo meine Liebe zu ihr uns getrennt hat, meine Liebe zu ihr soll uns nun in unseren alten Tagen auch wieder zusammenführen. Sie hat Dir vergeben in ihrer Todesstund’, ich will auch Alles vergessen und nimmer wieder davon reden so lang ich noch leb’!“

„Gib mir Deine Hand d’rauf, Franz!“

„Die sollst Du haben, aber net hier, wo meine Flüch’ über Dich zum Himmel gestiegen sind, hier ist’s net heilig genug dazu; komm mit!“

Sie verließen das Haus.

Längst schon war es Nacht geworden und tiefe Ruhe lag über dem Dorfe. Schweigend folgte Heinrich seinem Führer, welcher denselben Weg nahm, den Graf vorhin herauf gekommen war. Die Schänke wurde zugeschlossen,

und der letzte Gast, welcher sie verließ, kam ihnen mit langsamen Schritten entgegen. Als er die beiden außergewöhnlichen Gestalten bemerkte, blieb er stehen.

„Das ist ja der Köpfle-Franz mit dem Dukatengrafen! Ich bin schon oft bei Dir gewesen, Franz, hab’ aber net hinein gekonnt.“ Es war der alte Ortsvorsteher.

„Ist auch net nöthig. Zu mir braucht Niemand zu kommen; Du auch net.“

„Ich wollt’ Dir nur sagen von wegen damals, als ich Dich bei Deiner todt’n Mutter traf, daß ich Dir Unrecht gethan hab’.“

„Das brauchst Du mir net zu sagen, das hab’ ich schon ganz von selber gewußt. Der Franz hat damals ohne Dich fertig werden müssen, er braucht Dich heut’ auch net. Mach’, daß Du nach Hause kommst!“

Die Begegnung mit dem Manne, der dem Trostbedürftigen einst so hart entgegen getreten war, hatte seine jetzige Stimmung wie eine Entweihung berührt. Er entfernte sich, so schnell es seine Gebrechlichkeit gestattete. An der Kirche angekommen, lenkte er nach dem Gottesacker ein, dessen Thüre niemals verschlossen war. Heinrich folgte ihm. Er wußte nun, wohin der Weg gehen sollte; es war derselbe, welchen er auch unternommen hätte, wenn er allein von seinem bisherigen Feinde zurückgekehrt wäre.

Das Grab war trotz der Dunkelheit leicht gefunden; der feine Duft der Reseda zeugte davon, daß der Hügel in einer liebevollen Pflege stehe.

„Komm her, Heinrich. Ich hab’ mich von der Todten gewandt’, weil sie die Dukatenbäuerin war; das hat sie net

verdient, und d’rum werd’ ich’s wieder gut machen. Bleib’ drüben, sie soll mitten zwischen uns sein. So; und nun reich mir Deine Hand herüber und sie mag hören, was ich Dir alleweil’ sag’: Was Du an uns gethan hast, das ist so gut als hättest Du’s niemals gethan. Es wird kein Mensch jemals davon ein Wort aus meinem Munde hören. Wir wollen nun wieder Freunde sein, uns Lieb’s und Gut’s erzeigen und immerfort so hand’ln, daß sie mit uns zufrieden ist! – Und nun, Heinrich, nun wollen wir beten!“

„Franz, wart’ noch!“ Man hörte es der Stimme an, in welcher Bewegung sich der Sprecher befand. „Wir dürfen net heimlich beten, sondern laut. Ich hab’s heut hier thun wollen auch ohne Dich, und daß Du mit dabei bist, das soll’s net anders machen. Als ich krank und zerschlagen im Bett’ gelegen bin, da hab’ ich das Buch vor mir liegen gehabt und das Lied auswendig gelernt, das sie sich zum Begräbniß bestellt hat. Es soll auch ’mal bei dem meinigen gesungen werden. Und jetzt, jetzt will ich davon bet’n!“

Er faltete die Hände. Es war heut ein Tag der Sühne, und eine Sühne sollte es auch sein, die er jetzt an dem Orte brachte, wo sich sein Hochmuth gegen die Stimme des göttlichen Wortes empört hatte. Wolken verhüllten das Firmament; nur hie und da blickte aus dem unendlichen Raume ein Stern vorübergehend zwischen ihre zerrissenen Schleier hindurch; schwarz und gespenstisch ragte die Kirche in die Nacht empor; die Lüfte schwiegen, kein Laut ließ sich hören, kein Lebenszeichen drang über die alten, halb

zerfallenen Kirchhofsmauern herein zu den beiden Männern. Da rasselte es plötzlich wie rollendes Eisen im Innern des Thurmes, die Kirchenuhr hatte ausgehoben, ihre vom Roste zerfressene Maschinerie erzitterte, krachte und stöhnte unter der Schwere der Gewichte, und mit tiefen, mahnenden Schlägen ertönte die zwölfte Stunde durch das Thal. Als der letzte Ton verklungen war, begann der Dukatengraf:

„O Ewigkeit, du Donnerwort,

O Schwert, das durch die Seele bohrt,

O Anfang sonder Ende.

O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,

Vielleicht schon morgen oder heut

Fall ich in deine Hände.

Mein ganz erschrock’nes Herz erbebt,

Daß mir die Zung’ am Gaumen klebt!“

So wenig sich Franz um die Leute zu bekümmern pflegte, er hatte doch von dem Verhalten Heinrichs an dem Grabe Anna’s gehört, und darum wußte er, was das Lied in der jetzigen Stunde bedeuten solle. Der heutige Tag hatte die Versöhnung zu schnell von ihm gefordert, als daß sich nicht ein Rest des alten langgenährten Hasses in irgend einem Winkel seines Herzens hätte verbergen können; aber was davon ja noch übrig geblieben war, das wurde durch die Erschütterunmg des gegenwärtigen Augenblickes gelöst und wich der tiefen Reue des einst so harten, jetzt aber schwer getroffenen Sünders. Dieser fuhr nach einer kurzen Pause fort:

„Wach auf, o Mensch, vom Sündenschlaf.

Ermunt’re Dich, verlor’nes Schaf,

Zu einem neuen Leben.

Wach auf, denn es ist hohe Zeit

Und Dich ereilt die Ewigkeit,

Dir Deinen Lohn zu geben.

Zeig’ reuig Deine Sünden an,

Daß Dir die Gnade helfen kann!“   

„Amen!“ erscholl es von vier Lippen, und Franz reichte seine Hand zum zweiten Male über das Grab hinüber.

„Das Lied hat nur Dir gegolten, Heinrich, aber es hat auch mich getroffen. Du hast Deine Sünden angesagt und darum soll Dir auch die Gnade helfen. Was das sagen soll, das wirst Du bald von mir hören. Jetzt aber bitt’ ich, geh’, Heinrich! Laß mich allein hier bei der Anna. Was zermalmt gewesen ist in mir, das ist heut’ plötzlich heil geworden; aber mein armer Kopf ist’s net gewöhnt und muß hier ruh’n, bis er’s ertragen kann. Schlaf wohl!“

„Gute Nacht! Segne Dir’s Gott tausend Mal, was Du heut’ an mir gethan hast, Ich vergeß Dir’s nimmer!“

Er verließ den Kirchhof. Als er den Hof erreichte, fand er das Thor noch offen. Emma hatte auf ihn gewartet, und Wilhelm befand sich bei ihr. Sie hatten Sorge um ihn gehabt und waren ihm nun behilflich, die Treppe hinauf in seine Stube zu kommen. Dort blieb der junge Mann bei ihm zurück.

„Ich möcht’ Sie gern ’was fragen, Her Graf,“ begann er, als Emma sich entfernt hatte; „und darum bin ich so lang auf dem Hof geblieben. Darf ich?“

„Frag’ nur immer, Wilhelm! Wenn ich kann, so werd’ ich Dir gern Bescheid sagen.“

„Sie haben am End’ wohl auch davon gehört, daß ich

für die Packet’, die ich damals im Walde fand, Geld bekommen hab’. Das mag ich net behalten! Ich hab’s zwar net gestohlen, aber ich hab’s doch mit Gewalt Dem abgenommen, der’s für die Waar’ gegeben hat. Nun möcht’ ich’s wohin legen, wo der es finden kann, dem’s gehört. Darf ich Ihnen den Ort sagen, damit Sie mir der Zeuge sind, wenn es vielleicht ’mal nöthig sein sollt’?“

„Wilhelm, Du bist ein braver Mensch, das seh ich jetzt schon wieder. Mit dem Schweigen über die beiden Leute, die Du damals getroffen hast, da sollst Du Deinen Willen haben, aber das Geld, das behalt’ in Gottes Namen. Den Du meinst, der nimmt es doch net wieder, und weil Du es hast, grad’ erst recht net. Und wenn Du die Emma wirklich lieb hast, so kannst’s doch wohl gebrauchen!“

„Ist’s denn auch wahr, daß ich sie nehmen darf? Sie ist das Kostbarste, was ich nächst den Eltern hab’, und wenn sie meine Frau ist, so soll es sicher keinen Anderen geben, der Ihnen ein guter Sohn ist, so wie ich!“

„Ja, Du sollst sie haben; hier meine Hand darauf! Ich denk’, daß Du ihr nix entgelten läßt von dem, was an dem Vater net recht gewesen ist.“ –

Seit langen, langen Jahren war es heut’ das erste Mal, daß Heinrich sich mit der Genugthuung zur Ruhe legte, welche die Erfüllung einer Pflicht als Segen mit sich bringt. Sein Schlaf war fest und ungestört und als er erwachte, fühlte er sich nicht nur körperlich gestärkt, sondern auch innerlich befestigt, und die Zukunft erschien trotz ihrer schweren Schatten ihm nicht so dunkel wie vorher. Als er das Fenster öffnete, um die frische, würzige Morgenluft

hereinstreichen zu lassen, gewahrte er den Köpfle-Franz, welcher das Dorf herabkam und Miene machte, zu passiren ohne herein zu kommen. Er winkte ihm.

„Nachher!“ rief der auf’s Neue gewonnene Freund über den Zaun herüber. „Ich muß zum Bad!“

Es war Sonntag, und als die Glocken zur Kirche läuteten, folgte auch Einer, der seit fast einem Menschenalter nicht in seinem Stuhle gesehen war, ihrem Rufe. Die Augen der Anwesenden waren mehr auf ihn gerichtet, als auf den Pfarrer, er aber schien dies nicht zu bemerken, sondern lauschte den Worten des Letzteren, der den seltenen Zuhörer gar wohl bemerkt hatte und, von der änderung seines Sinnes überzeugt, gar manchen tröstenden und erhebenden Wink einfließen ließ, von welchem in dem Konzepte seiner Rede nichts zu lesen war.

Als er nach Hause kam, fand er zwei Gäste vor, die eben aus dem leeren Stalle traten. Es war der Baron mit dem Agenten. Sie hatten wegen der morgenden Versteigerung einen Rundgang durch den Dukatenhof unternommen und begrüßten ihn in einer ganz anderen Weise, als es früher geschehen war. Wilhelm hatte ihren Begleiter gemacht.

„Guten Morgen, Dukatengraf!“ meinte der Baron. „Wo hast Du heut’ Deine Kette gelassen? Und an dem Rocke hier sind doch schwarze Knöpfe!“

„Die Dukaten habt ihr, und die schwarzen Knöpfe hab’ ich. Wollen seh’n, wer das Seine am längsten behält!“

„Oho, bist Du heut’ patzig! Aber wahr ist’s, die Dukaten haben wir und auch noch mehr dazu. Schau her!“

Er zog ein Portefeuille aus der Tasche und entnahm demselben mehrere kleine, sorgfältig eingeschlagene Päckchen. „Das ist der Preis für den Dukatenhof, der morgen unser wird. Du warst kein dummer Kerl, aber gekauft haben wir Dich doch, und wenn das Gut zerschlagen ist, so sind wir hier fertig und versuchen es wo anders mit einem noch Gescheidteren.“

„Das könnt ihr thun, wenn ihr den Hof auch wirklich bekommt. Jetzt aber bin ich noch hier und die Straße da draußen ist euer. Macht, daß ihr mit einander hinauskommt!“

„Gut, Du sollst Deinen Willen haben, Dukatenmann; aber morgen hörst Du auch den uns’rigen und dann ist’s umgekehrt!“

Mit stolzen, selbstbewußten Schritten ging er davon. Auch der Agent hatte nach einer Brieftasche gegriffen und sie geöffnet. Ohne ein Wort des Abschiedes konnte er unmöglich den Platz verlassen. Er trat hart an Graf heran, hielt ihm das geöffnete Notizbuch vor die Augen, blinzelte ihn höhnisch durch den blauen Klemmer an und frug:

„Sehen Sie diese Ziffern, Herr Graf? Das ist bei Heller und Pfennig, was Sie im Spiel zum Fenster hinaus geworfen haben und von uns natürlich aufgefangen worden ist. O, wir führen sehr genau Buch, und wenn Ihnen an diesen Notizen gelegen ist, so will ich sie Ihnen zur Verfügung stellen. Sie können sich die Zeit damit vertreiben, wenn dieselbe ihnen jetzt nun wegen dem Lieutenant etwas lang gemacht wird! Und was – – –“

Er konnte seine Abschiedsrede nicht vollenden, denn

Wilhelm hatte ihn bei der letzten Wendung derselben beim Kragen genommen und brachte ihn mit solcher Geschwindigkeit vor das Thor hinaus, daß sogar der Klemmer von dem gewaltsamen Fortschritte ergriffen wurde und trotz des weiten Weges bis vor auf die Nasenspitze rutschte. Ihn wieder an den gehörigen Ort zurückschiebend, schickte sich der kleine Mann zu einer ernsten Verwahrung gegen ein so summarisches Verfahren an, der Baron aber ergriff ihn am Arme und zog ihn lachend mit sich fort.

„So ist Dir’s recht geschehen, Kleiner! Du brauchtest mit Deinem Näschen nicht so ewig lang da drin herum zu schnobern! Aber nimm Dir’s nicht zu sehr zu Herzen. Heut’ mir und morgen Dir!“

Auf dem Rückwege vom Thore bemerkte Wilhelm ein mehrfach zusammengeschlagenes Papier, welches an der Erde lag. Es mußte bei dem ungewöhnlich raschen Transporte dem Agenten aus der Brieftasche gefallen sein. Er nahm es auf und schlug es aus einander. Es war ein Blatt aus einer fremden Zeitung, zeigte ein längst vergangenes Datum und enthielt neben gerichtlichen Ankündigungen und einem Börsenkurse nur werthlose Annoncen. Schon wollte er es wegwerfen, als sein Gesicht auf einmal einen ganz anderen, gespannten Ausdruck annahm.

„Steht ’was Wichtiges d’rin?“ frug Graf.

„Was sehr Wichtig’s. Das müss’n wir uns ’mal genau anseh’n und überleg’n. Kommen Sie herein!“ –

Auch den Nachmittagsgottesdienst besuchte Graf. Als er sich der Kirche näherte, bemerkte er vor dem Pfarrhofe eine zweispännige Kutsche; der livrirte Kutscher saß in

stolzer Unbeweglichkeit auf dem Bocke, den Peitschenschaft auf dem rechten Knie, und ein ebenso gekleideter Diener stand am Schlage. Obgleich aus der Anwesenheit des Geschirrs zu ersehen war, daß der Pfarrer vornehmen Besuch habe, lenkte der Bauer doch an der Kirche vorüber und auf die Wohnung des Geistlichen zu. Dort angekommen, fand er außer dem ihm wohlbekannten Direktor des nahen Bezirksgerichtes eine Dame und einen Herrn vor, deren äußeres ein so respekteinflößendes war, daß er sich augenblicklich unter einer Entschuldigung zum Verlassen des Zimmers anschickte; der Pfarrer aber hielt ihn davon zurück.

„Bleiben Sie, Graf; Ihr Kommen stört uns nicht!“ versicherte er, indem sein Auge theilnahmsvoll die verkrüppelte Gestalt des Ankömmlings überflog. Auch die drei Anderen ließen ihre Blicke mit mitleidigem Interesse auf ihm ruhen. „Was bringen Sie mir?“

„Es sind zwei Bitt’n, mit denen ich komm’, Her Pastor; aber weil Sie net allein sind, so weiß ich net, ob ich sie sagen darf.“

„Sprechen Sie immer, wenn es nicht etwas nur unter vier Augen zu Verhandelndes ist!“

„Eigentlich wär’s wohl so ’was; aber ich hab’ Sie net unter vier Augen beleidigt, und so kann ich auch jetzt öffentlich darüber sprechen. Sie wissen wohl noch Alles, wie es dazumal beim Begräbniß meiner Frau gewesen ist! Ich war ein harter, gotteslästerlicher Mensch, der sich aus dem lieben Gott nix machte und keinem Mensch’n ’was zu lieb und gut gehalt’n hat. Ihre Red’ wollt’ mich im

Herzen packen, darum hab’ ich sie abgeschüttelt und bin davon gelaufen. Aber Dem da droben bin ich doch net ausgerissen, sondern er hat mich festgehalten und mir den verdienten Lohn gegeben. Da, sehen Sie, Herr Pastor, was aus dem stolzen Dukatenbauer geworden ist, ein armseliger, elender Vogelscheucher, der sich kaum noch über die Straß’ schleppen kann und der nun gar noch im Zuchthaus’ sterben und verderben wird. Aber eh’ ich dahin komm’, will ich erst überall Buß’ thun, wo ich gesündigt hab’, und da komm’ ich auch zu Ihnen, um Sie um Vergebung zu bitten für das, was damals geschehen ist!“

Es waren einfache Worte, welche er sprach; der Ton seiner Stimme klang ruhig und unerregt, aber gerade dieser stille, leidende Ernst seiner Rede machte einen tieferen Eindruck, als wenn sie unter Weinen und Klagen vorgebracht worden wäre.

„Was Sie damals gethan, Graf, das haben Sie nicht gegen mich, sondern gegen Den unternommen, dessen Dasein Sie zu jener Zeit leugneten. Er ist gerecht und straft die Sünde, aber er zürnt nicht ewig. Ich als der Diener an seinem Worte reiche Ihnen hier die Hand zur Versöhnung; seine Gnade ist größer als unsere Missethat; sie gehet niemals zu Ende und wird sich auch Ihrer erbarmen. Ich weiß, was gestern Abend auf dem Kirchhofe geschehen ist. Wer so bereut, der darf Verzeihung finden!“

„Ich danke, Herr Pfarrer! Ich will ja gern Alles auf mich nehmen, was ich verschuldet hab’, wenn ich nur weiß, daß mir’s vergeben wird. Und die andere Bitt’, die ist von wegen dem Köpfle-Franz.“

Er griff in die Tasche und zog ein Papierpacket hervor, welches er öffnete. Es enthielt die Dukatenkette nebst den Goldstückknöpfen von Rock, Hut und Weste.

„Das sind die Zeichen von dem Hochmuthe, dem ich all mein Elend zu verdanken hab’! Nix, gar nix hab’ ich bei dem Untergange retten können, als diese flimmrigen Schandflecke, und nun soll grad’ Der sie bekommen, gegen den ich am schlechtesten gewesen bin, der Köpfle-Franz. Aber wissen darf er’s net, daß die Gabe von mir kommt, sonst nimmt er sie net an, weil ich’s jetzt selber brauch’. Ich bitt’ Sie d’rum recht schön, Herr Pfarrer, wenn ich übermorgen fort sein werd’ von hier, so verkaufen Sie das Zeug, und was Sie dafür kriegen, das geben Sie ihm. Wenn er denkt, daß es von jemand Anderem kommt, so wird er sich net weigern, es zu nehmen.“

„Das wollte ich Ihnen gern besorgen, wenn ich nicht dieselbe Ansicht hätte wie er. Ihre Tochter steht nun so allein und verlassen da, daß sie die Goldstücke wohl ebenso nöthig hat wie der Franz.“

„O nein, Herr Pfarrer! Der Wilhelm ist ein gar braver Bursch’; der wird für sie sorgen und sie niemals net im Stiche lassen. Wenn’s sonst nix wär’, so braucht’ ich mir um sie wohl keine Sorg’ zu machen!“

„Dann geben Sie die Kette her! Ich will sehen, was ich dafür löse und werde Ihnen später über Ihren Auftrag Nachricht zugehen lassen.“

„Dann dank’ ich Ihnen zum zweiten Mal’, Herr Pastor. Mög’ der liebe Gott net schlimmer mit mir in’s Gericht gehen, als wie Sie es thun. Und wenn ich erst

’mal vom Dorfe weg bin, so seh’n Sie doch zuweil’n mit nach meinem Kinde; ein freundlich Wort wird immerdar zu brauchen sein, und ich weiß, Sie sind bereit dazu!“

Er fühlte es weich und warm aus seinem Herzen emporsteigen und nahm daher schnell Abschied, um die über ihn kommende Rührung zu verbergen. Die Glocken läuteten zur Kirche; er folgte ihrem Rufe – zum zweiten Male seit langer Zeit und zum letzten Male wohl für das ganze Leben. Und nach beendigtem Gottesdienste besuchte er den Kirchhof, um Abschied zu nehmen von dem Hügel, der ihm bisher so gleichgiltig war und an dessen Seite ihm nun auch die Ruhestätte verweigert werden sollte. Seine letzte Stunde sollte ihm nun hinter eisernen Gittern schlagen, und sein Grab, es lag wohl einmal außer der Reihe derjenigen, zu denen die Liebe ihre treuen Schritte lenken darf.

Zum Dukatenhof zurückgekehrt, fand er denselben von einer zahlreichen Menschenmenge belagert. Ohne daß man wußte woher, hatte sich das Gerücht, der König und die Königin seien vom Bade herüber gekommen, erst beim Pfarrer gewesen und dann nach dem Dukatenhof gefahren, wie ein Lauffeuer durch das Dorf verbreitet, und Alles war herbeigeilt, um die hohen Herrschaften zu sehen. Die Posaune des letzten Gerichtes hätte ihn nicht schrecklicher treffen können, als diese unerwartete Kunde, und er mußte alle seine Kraft und Selbstbeherrschung zusammen nehmen, um sich ihren Eindruck vor den vielen Leuten nicht merken zu lassen.

Längst schon war er hinter dem Thore verschwunden,

Viertelstunde auf Viertelstunde war vergangen, da endlich wurde die Thüre aufgestoßen und der Köpfle-Franz erschien unter derselben. Die Arme so hoch wie möglich in die luft werfend, gab er das Zeichen zur Ruhe und rief dann:

„Hört ’mal, ihr Leut’, wenn ich schrei’, so schrei’t ihr auch!“

Er konnte die Zustimmung des Publikums gar nicht abwarten, denn schon im nächsten Augenblicke traten die Erwarteten aus dem Hause. Der Diener öffnete den Schlag; sie stiegen ein und der Bezirksgerichtsdirektor folgte ihnen. Da richtete Franz sich so hoch wie möglich empor und rief so laut er nur konnte:

„Paßt auf, ihr Leut’! Alleweil soll der Herr König leben, vivat hoch!“

„Hoch!“ brauste es über die anwesende Menge dahin.

„Und die Frau Königin grad’ erst recht daneb’n, vivat hoch!“

Der Ruf wiederholte sich und endete nicht eher, als bis der Wagen den Augen der Nachblickenden vollständig entschwunden war. Köpfle-Franz aber kehrte gar nicht wieder in den Hof zurück, sondern schlich sich so schnell wie möglich am Zaune hin und schlug dann den Weg nach seiner Wohnung ein. Noch niemals hatte er sich mit so freudigem Gesicht das Dorf hinaufgeschoben, und als er bei geschlossenen Läden und angesteckten Lichtern vor dem Bilde der einstigen Geliebten hockte, lag auf seinem Gesichte eine Verklärung, welcher jenes unbeschreibliche Etwas in seinen Zügen vollständig gewichen war.

„Nun ist’s zu End’ mit allem Haß und Streit, mit

aller Angst und Sorg’, Anna! Aber gekämpft hab’n wir auch, daß es soweit gekommen ist. Der König hat net gleich gewollt, sondern gesagt, da gäb’ es vorher erst gar viel auf dem Gericht zu thun, ehe an die Gnad’ zu denk’n sei, aber die Emma ist fast todt gewesen vor Herzeleid, der Heinrich hat vollends gar kein Wort zu Weg’ gebracht, auch der Wilhelm hat geweint und gebeten, und da sind der Königin die Thränen über die Wang’ gestürzt und sie hat ihren Mann bei der Hand gefaßt und ihn so lieb und gut angeschaut, daß ihm das Herz endlich doch übergelauf’n ist. Er hat mit dem Gerichtsdirektor noch einige Wort’ in einer fremden Sprach’ gesprochen und dann gesagt: ’Nun gut, er soll net gefangen sein. Wo so viel Reu’ und Fürsprach’ ist, da kann kein König widersteh’n!’ Aber nun die Freud’, die sollt’st Du seh’n! Der Heinrich hat geschluchzt wie ein Kind, die Emma hat dem König und der Königin immer nur die Händ’ geküßt und mit Thränen gesalbt, der Wilhelm und ich, wir sind vor Glück auch ganz stumm gewesen, und die Herrschaften haben selbst net gewußt, wo sie mit ihrer Rührung hin sollen. Anna, das war die schönste Stund’ in meinem Leb’n! Und nun werd’ ich meine Rache vollenden, aber net die, welche ich erst gewollt hab’, sondern eine andere, eine viel, viel schönere und bessere!“

Er schob sich zum Ofen und zog die Bilderstöße unter demselben hervor; dann entfernte er das Blech und eine Lage Ziegelsteine und griff in die jetzt sichtbar werdende Vertiefung.

„Hier sind sie, die Dukatensäck’, alle mit einander! Ich

hab’ gebettelt und gemalt, gescharrt und gespart wohl an die dreißig Jahr, und wenn es mir ’mal gar zu schwer hat werden wollen, so hab’ ich gedacht: es ist für Deine Rache; der Heinrich muß aus dem Dukatenhof und Du ziehst an seiner Stell’ hinein! Dann hab’ ich wieder von Neuem Kraft gehabt, bin im Land’ herum gefahren, hab’ gehungert und gedurstet, im Wald oder auf der Wiese geschlafen, und wenn ich heimgekommen bin, so ist der Beutel voll gewesen und ich hab’ Dir das Geld vom Heller bis zum Pfennig vorgezählt. Jetzt ist’s nun gut, und ich kauf’ auch den Hof, aber net für mich, und der Heinrich, der soll net hinausgestoßen werden, sondern er soll der Dukatenbauer sein, wie er’s bisher gewesen ist. Ich aber, ich bleib’ bei Dir in meinem Häuschen; ich mag net fort, denn der Köpfle-Franz und die Anna, die passen nirgends anders hin!“

Nun war in dem ärmlichen Raume wieder jenes verheißungsvolle Klingen zu hören, wie am Abende des Begräbnißtages; die Nachtruhe blieb dem Auge des Bewohners fern, und als es am Morgen an den Laden klopfte, hatten seine hellen Augen keinen Schlaf gesehen.

„Wer ist’s?“ frug er.

„Ich bin’s, Path’, der Wilhelm!“

„Hast Du den Karren mit?“

„Ja.“

„So ist’s gut. Ich werd’ aufmachen.“

Er öffnete. Wilhelm hielt mit einer Schubkarre draußen.

„Du hast mich bestellt, Franz. Was soll ich denn fortschaff’n?“

„Komm herein! Wirst’s gleich seh’n!“

Mitten in der Stube stand ein alterthümlicher Kasten von starkem, halbverrostetem Eisenblech.

„Diese Truhe hier schaffst Du mir nach dem Dukatenhof und das Papier auch mit, welches ’draufliegt. Es kommt in die untere Stub’.“

„Schön!“ Er wollte den Kasten vom Boden heben, bemerkte aber, daß dazu eine ungewöhnliche Kraftanstrengung erforderlich sei. „Das ist schwer, Path’. Was hast Du denn d’rin?“

„Allerlei alten Kram, der lange Jahre bei mir unter’m Ofen geleg’n hat. Greif nur fest zu; es wird schon geh’n!“

„Und was willst Du mit dem Gerümpel auf dem Hofe?“

„Das wirst wohl noch seh’n. Mach’ nur alleweil’, daß Du fortkommst. Ich komme gleich nach!“

Als Franz den Hof erreichte, stiegen eben der Baron und der Agent aus der Kalesche, vor welche der Braune des Dukatengrafen gespannt war.

„Kommst grad’ recht, Franz!“ rief der Erstere. „Kannst nachher gleich den neuen Bauer abzeichnen.“

„Hab’s schon heut Nacht gethan. Er ist auf dem Papier mit all’ seinen Leuten.“

Der Baron blickte ihn fragend an, wurde aber nicht weiter von ihm beachtet.

Die Räume, welche seit Jahrhunderten nur von den Dukatenbauern und ihren Angehörigen betreten worden waren, standen heut’ offen; Fremde gingen in ihnen auf und ab und mäkelten über die Gegenstände, an denen die

strenge Geschichte eines durch Selbstsucht und Hochmuth zu Grunde gerichteten Geschlechtes haftete. In der unteren Stube hatten die Herren vom Gericht ihren Sitz aufgeschlagen; im Flure war von dem spekulativen Bergwirthe ein ambulanter Schanktisch errichtet worden; zahlreiche Neugierige strömten herbei, um dem letzten Athemzuge der Dukatenwirthschaft beizuwohnen; es wurde gelobt und getadelt, entschuldigt und verurtheilt, bemitleidet und verspottet, gelacht, gescherzt, getrunken; die Gebote folgten sich erst langsam, dann immer schneller; als aber der Baron seine gewichtige Stimme erhob und mit siegesgewisser Miene gleich die wahrscheinlich höchste Ziffer notiren ließ, ging ein respektvolles Schweigen über die ganze Versammlung.

„Nicht wahr, das zieht?“ frug er, sich triumphirend im Kreise umblickend. „Komm her, Kleiner, und mach die Tasche auf! Wir müssen unsere Zahlungsfähigkeit nachweisen.“

Der Agent that, wie ihm geheißen war, und bald hatten Beide den Tisch mit dem Inhalte ihrer Briefschaften vollständig bedeckt.

„So, das ist ein Pflaster, wie es hier kein Anderer aufzuweisen hat. Wer noch weiter bieten will, der mag’s versuchen; aber das Gut wird unser, und der Dukatengraf muß heut’ noch hinaus!“

„Das wird sich finden!“ erscholl es von der Thüre her. „Jetzt ist er noch da und hat auch gar keine Lust, schon fortzugeh’n.“

Es war Graf selbst, welcher auf seinem Rollwägelchen sich hereingeschoben hatte.

„Oho, Knirps, Du thust doch heut’ gewaltig dick, wo es Dir doch etwas dünner zu Muthe sein sollte,“ höhnte der von den Getränken etwas berauschte Baron. „Bleib’ nur immer oben in Deiner Kammer und zähl’ zusammen, was Du den Leuten schuldig bist!“

„Das weiß ich ganz genau und werd’s bezahlen. Noch bin ich hier Herr im Haus’, und wer heut’ Abend draußen ist, das wird ja wohl zu sehen sein. Schau her, wenn Du denkst, der Dukatengraf ist all’ geworden!“

Er näherte sich dem Blechkasten, welchen Wilhelm hier abgesetzt hatte und dem von Niemandem irgend eine Aufmerksamkeit geschenkt worden war, zog den Schlüssel hervor und öffnete. Ein allgemeiner Ruf des Erstaunens entfuhr den Lippen der Umstehenden! Die Truhe war bis an den Rand mit flimmernden Goldstücken gefüllt.

„Siehst Du nun, Baron, daß der Graf noch übergenug Dukat’n hat, um Dich sammt Deinem Gesell’n dort aus dem Haus zu werf’n? Herr Assessor, kommen Sie her und zähl’n Sie so viel davon weg, als ich schludig bin, auch die Kosten mit! Und hernachmals macht ihr Anderen, daß ihr hinauskommt! Die Versteigerung ist zu End’ und ich will nun wieder Ruh’ im Hause haben!“

„Wie kommen Sie auf einmal zu dem Gelde?“ frug der Beamte.

„Das werden Sie noch heut’ erfahren. Jetzt aber bitt’ ich, abzuzählen; ich kann net auf den Tisch hinauf!“

„Nein, das geht nicht!“ rief der Baron. „Ich habe auf den Hof geboten und trete nicht wieder zurück. Ich kann bezahlen; hier liegt mein Geld. Der Hof muß mein

werden; d’rum streiche ich es gleich gar nicht erst wieder ein!“

„Das will ich mir auch verbitten!“ klang es da hinter ihm und eine feste, schwere Hand legte sich auf seine Schulter. Ein fremder Herr, welcher bisher den schweigsamen Beobachter gemacht hatte, war an ihn herangetreten. „Kennen Sie vielleicht diese beiden Photographieen, meine Herren?“ frug er, dem Baron ebenso wie dem Agenten je eine Visitenkarte vorhaltend. „Ich habe die Bekanntschaft dieser Männer schon seit Monaten vergeblich gewünscht und bin ganz glücklich, sie endlich doch noch zu machen. Herr Verwalter und Herr Privatkopist, Sie sind meine Gefangenen!“

Wie ein Blitzschlag fielen diese Worte in die Versammlung, welche für einige Augenblicke von der größten Verwirrung ergriffen wurde. Der Baron wollte sich dieselbe zu Nutze machen, warf sich auf den Tisch, strich mit einigen raschen Griffen das Geld zusammen und stürzte dann nach der Thüre. Dort aber nahmen ihn einige bereitstehende Gehilfen des Fremden in Empfang, und nach kurzem, vergeblichem Ringen war sowohl er als auch der Agent durch Handschellen und Schließketten unschädlich gemacht. Der Arrestator wandte sich nun zu dem Gerichtsbeamten.

„Herr Assessor, gestatten Sie mir, mich Ihnen zu legitimiren und die im Besitze dieser Männer betroffenen Werthpapiere und Effekten sammt dem draußen stehenden Geschirr in meine Verwahrung zu nehmen. Der Herr Ortsrichter wird mir diese Erlaubniß wohl auch nicht vorenthalten!“

Die beiden Angeredeten gaben gleich nach dem ersten

Blicke auf die vorgezeigte Legitimation ihre Zustimmung, und es wurde ein Verzeichniß all’ der Gegenstände angefertigt, welche die Inculpaten bei sich führten. Der Polizist unterwarf ganz besonders die Notizblätter einer eingehenden Prüfung. Als er sie zusammenschlug, ließ er das scharfe Auge im Kreise herumgehen.

„Ist der Mann dort an der Thüre der Bergwirth?“

„Ja!“ lautete die Antwort

„Er wird den beiden Anderen Gesellschaft leisten. Nehmt ihn fest!“

„Was? Mich?“ rief der Wirth, sich nach dem Ausgange wendend; schon aber fühlte er sich ergriffen und zurückgehalten.

„Ja, Sie! Eine so genaue Buchführung, wie ich sie hier im Portefeuille des Herrn ’Bankiers’ finde, hat für gewisse Geschäftsarten ihre großen Schattenseiten. Sie gehen mit uns!“

Darauf wandte er sich an Graf

„Ich konnte Ihrer Anzeige erst heute Folge leisten, weil es mir nothwendig schien, mich zuvor über die vorliegenden Verhältnisse im Stillen zu orientiren. Dies ist so eingehend geschehen, wie es mir die Kürze der Zeit gestattete, und ich sehe mich dadurch in die Lage versetzt, Ihnen eine erfreuliche Mittheilung machen zu können: Die Buchführung dieser Herren läßt sowohl die Art und Weise als auch die Höhe Ihrer Verluste sehr deutlich erkennen, und da die Beträge zum großen Theile noch vorhanden sind, so dürfen Sie Hoffnung auf eine wenigstens theilweise Wiedererstattung haben. Das Weitere werden Sie auf gerichtlichem Wege

mitgetheilt erhalten. – Für jetzt aber ist meine Aufgabe hier vollendet. Gestatten Sie mir, Herr Assessor, mich zu verabschieden!“

In weniger als einigen Minuten rollte die Kalesche des Barons davon; sie war weit schwerer, als einige Stunden vorher, und der Brauen trabte so unwillig von dannen, als hege er die überzeugung, daß der Dukatenhof noch immer seine rechtmäßige Heimath sei.

Ebenso kurzer Zeit nur bedurfte es, um den Hof von den vielen lästigen Gästen zu befreien, deren Anwesenheit nun keinen Zweck mehr haben konnte. Anfangs wollte es Niemand begreifen, daß das Gut im Besitze des Dukatengrafen verbleiben werde, und als im Laufe des Tages der wahre Sachverhalt ruchbar wurde, war es den Leuten noch viel unerklärlicher, woher der Köpfle-Franz dieses ungewöhnliche Vermögen habe, welches ganz sicher einst niemand Anderes erben werde, als Wilhelm und Emma.

Noch am Abende feierten diese Beiden ihre Verlobung, bei welcher außer den Eltern Wilhelms auch der Pfarrer zugegen war. Er hatte den ihm übergebenen Dukatenschatz wieder mitgebracht und wollte ihn in die Hände Graf’s zurücklegen; dieser aber wehrte ab.

„Nein, Herr Pastor, ich nehm’ die Dukaten net wieder! Der Franz wird sie wohl auch net haben wollen, aber ich weiß Jemand, der sie recht gut gebrauchen kann. Ich hab’ gehört, daß sich der Feldhüter Wolf im vorigen November aus Verseh’n die Hand zerschossen hat, der kann mit seiner zahlreichen Familie das Geld wohl nothwendig haben. Ich bin erlöst worden aus großer und auch tiefer Noth, mein

Herz soll ferner nie wieder so hart sein, wie es früher gewesen ist. Die Dukaten waren für Dich bestimmt, Franz; soll sie der Wolf bekommen?“

„Ich hab’ alleweil nix dagegen, daß er sie bekommt! Jetzt aber schaut ’mal her, was ich heut’ Nacht den jungen Leuten als Angebind’ zur Verlobung gezeichnet hab’!“

Er rollte das Papier aus einander, welches Wilhelm heute mit dem Blechkasten abgeholt hatte. Es enthielt eine Bleistiftzeichnung, welche die untere Stube des Dukatenhofes darstellte; in der Mitte desselben stand das wohlgetroffene Königspaar, vor welchem die beiden Krüppel in flehender Stellung an der Erde lagen. Hinter ihnen hielt Wilhelm die weinende Emma umfangen und seitwärts von dieser Gruppe verbarg der Gerichtsdirektor seine Bewegung hinter dem vorgehaltenen Taschentuche. Die Züge sämmtlicher Personen waren auf das Sprechendste wiedergegeben und die Stimmung des Augenblickes so treu festgehalten, daß die Beschauer des Bildes sich von dem Anblicke desselben ergriffen fühlten und dem zeichner ihre unverhohlene Bewunderung aussprachen.

„Net wahr,“ frug dieser, „es ist gut geworden? Ich hab’ noch niemals nix so gern gemalt, wie dieses Blatt, und darum hat’s gelingen müssen. Das kommt hier an die Wand zum ewigen Andenken an die Stund’, die uns die schwerste und auch die schönste gewesen ist im ganzen Leben.“

„Jawohl, die schwerste,“ meinte Graf; „ich hab’ das wohl am meisten gefühlt, aber auch die schönste, denn es ist mir unverdiente Gnade zu Theil geworden und euch Allen Heil und Segen.“ – – – – – – –

Seit diesen Begebenheiten sind noch nicht gar viele der Jahre verflossen, und noch leben sämmtliche Personen, von denen keine sich geweigert hat, dem freundlichen Leser bekannt zu werden. Der alte Dukatenhof hat sich von seinem Verfalle vollständig erholt; er gilt als eines der am besten bewirthschafteten Güter der ganzen Umgegend. Und wenn der oben angeführte Chronist aus seinem längst eingesunkenen Grabe hinter der Sakristei hervorsteigen und die Feder in die Hand nehmen könnte, um die Geschichte der Familie Graf bis auf die Gegenwart fortzuführen, so würden seine Aufzeichnungen vielleicht mit den Worten schließen:

„Auß denen zweyen Klötz aber sind gemacht eyn ganz absonderlich Zahl von Bretten, vnd hat man darauß gebaut eyn schön und fürtrefflich Lauben, so da steht an selwigem Orte, als wo die Bäum vormalen einst gelegen sind. Solch Lauben ißt dem Köpfle-Franz seyn Werkstatt worden, indem er des Morgens von seyner Hütten herunterkompt vnd erst des Abends wieder von dannen fährt. So kommen denn die Leut, als da sind Männlein und Weiblein, fürnämlich des Sonntags, in hellen Hauffen herbey, umb sich zu holen eyn Contrefey, so mann alsbald hänkt in die Stuben, allwo das Licht am Beßten trifft. Sitzt auch zuweillen dabey der Dukkatengraff, so da ißt der Letzte seynes Geschlechtes, sambt dem kleynen Enkeleyn, dieweylen die Bäurin in der Küchen schantzt. Vnd weyl so allermassen viele Bilder gehn von deme Hoff hinauß ins weitte Land, derohalben ist er bey Denen, so ihn kennen, nicht mehr Dukkatenhoff, sondern Köpflehoff geheissen.“