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Leïlet.

Novelle von M. Gisela.

Es war um die Zeit, in welcher die egyptische Sonne ihre Strahlen mit der gesteigerten Gluth auf die lechzende Erde sendet und Jeder, den nicht die Noth hinaus unter den freien Himmel treibt, sich unter den Schutz seines Daches zurückzieht und nach der möglichsten Ruhe und Kühlung strebt. Auch ich lag auf dem weichen Divan meiner gemietheten Wohnung, schlürfte würzigen Mokka und schwelgte in dem Dufte des köstlichen Djebeli, welcher meiner Pfeife entströmte. Die starken, fast fensterlosen Mauern boten dem Sonnenbrande einigen Einhalt, und die aufgestellten porösen Gefäße, durch deren Wände das Nilwasser verdunstete, machten die Atmosphäre so erträglich, daß ich von der gewöhnlichen Abspannung des Menschen während der Mittagszeit wenig oder gar nichts bemerkte.

Da erhob sich draußen die scheltende Stimme Omar-Arha’s, meines Dieners, der zugleich die Stelle eines Ministers aller inneren und äußeren Angelegenheiten bei mir vertrat, und mit einer Liebe und Ergebenheit an mir hing, die von einem Araber einem Christen gegenüber fast beispiellos genannt werden konnte. Er war früher Soldat seiner viceköniglichen Majestät gewesen und nach langjähriger Dienstzeit in Folge seiner Invalidität ohne Weiteres fortgejagt und fast dem Hungertode in die Arme getrieben worden; damals nahm ich ihn zu mir, heilte ihn von seinen Gebrechen und fand mich in der Folge reichlich dafür belohnt. Er bekam gute Kleidung und trug ausgezeichnete Waffen, zwei Dinge, welche ihn mit unendlichem Stolze erfüllten, und als ich ihm später noch die Vollmacht gab, mit dem königlichen Firman (Reisepaß, Empfehlung) in der Hand mich in den meisten geschäftlichen Angelegenheiten zu vertreten, da fühlte er die ganze Größe seiner Würde und wiederholte mir fast täglich die Betheurung:

„Was war ich, o Herr, als Du mich fandest und Dich mein erbarmtest? Eine todte Ratte, ein Hund, den man von sich stößt! Und was bin ich bei Dir geworden? Ein Sihdi (Herr), vor dem sich der Fellah fürchtet und der Türke zittert. El hamdi lillahi, Gott sei Dank!“

Außer seiner Treue und Zuverlässigkeit besaß er noch eine ganz besonders schätzenswerthe Eigenschaft in einem Humore, der nie zu versiechen schien, bei jeder Gelegenheit hervorsprudelte und selbst der ernstesten und schlimmsten Lage noch eine heitere Seite abzugewinnen wußte. „Mukle“, Spaßvogel, wurde er deshalb von allen Denjenigen genannt, denen er eine solche Vertraulichkeit gestattete; und da er, wie die meisten Araber, bei jedem Selbstgespräche sich eine Person vorstellte, mit welcher er sprach, so hielt er oft unter seinen eigenen zwei Augen die köstlichsten Reden, über welche das Zwerchfell eines etwaigen Zuhörers in die größte Gefahr gerathen wäre.

Jetzt freilich schien seine Stimmung nicht die beste zu sein, denn mit zornigem Tone hörte ich ihn rufen:

„Was? Den Effendi el kebihr, den großen Herrn und Meister willst Du stören — jetzt — in seinem Kef — in seiner Mittagsruhe? Hat der Teufel — Allah beschütze mich vor ihm — Dir den Kopf mit Nilschlamm gefüllt, so daß Du nicht begreifen kannst, was ein Effendi zu bedeuten hat, ein Mann, den der Prophet mit Weisheit speist, und der Alles kann, sogar die Todten wieder lebendig machen, sobald sie ihm sagen, woran sie gestorben sind!“

„Gott erhalte Deine Rede, Sihdi,“ ertönte die Antwort; „aber ich muß Deinen Effendi, den großen Arzt aus Frankhistan sehen, denn mein Herr, der mächtige und reiche Abrahim-Arha — Allah möge ihm tausend Jahre schenken — hat mich gesandt, ihn zu sich zu rufen.“

„Abrahim-Arha? Zu sich rufen? Wer ist denn Abrahim-Arha, und wie hieß sein Vater? Von wem wurde er geboren und wo leben die, denen er seinen Namen verdankt? Niemand kennt ihn, selbst ich, Omar-Arha, der tapfere Freund und Beschützer meines Gebieters, habe noch nie die Spitze seines Tarbusch gesehen. Gehe fort und komme in drei Tagen wieder. Morgen reisen wir ab!“

„So höre, Du Mann mit dem​den verstockten Ohren, was ich Dir zu sagen habe! Der Effendi soll kommen zu“ — hier wurde die Stimme des Sprechers unhörbar, und erst die letzten Worte seiner Rede konnte ich wieder verstehen: „Reicher Lohn wartet sein, wenn es ihm gelingt, den Tod von dem Hause meines Gebieters fern zu halten!“

„Allah akbar, Gott ist groß! Und ich, Omahr-Arha Ben Afradin stehe da, mit der Nilpeitsche in der Hand, und vergesse doch, ihr Deinen Rücken zu zeigen. Bei dem Barte des Propheten, Dein Mund spricht solche Weisheit, als wäre der Verstand Dir bei der Fahrt in’s Wasser gefallen. Weißt Du nicht, daß ein Weib gar keine Seele hat und deshalb auch nicht in den Himmel darf? Mein Herr kennt den Koran und verachtet die Frauen. Die schönste Perle des Harems ist ihm wie der Scorpion im Sande, und seine Hand hat noch nie das Gewand eines Weibes berührt, denn er weiß, daß ich es für ihn thue. Komme in drei Tagen wieder. Morgen reisen wir ab!“

„Du mußt wissen, o Unbarmherziger, daß er ihr Gewand nicht berühren und ihre Gestalt nicht sehen wird, denn die Gesetze des Harems sind streng. Er wird durch das Gitter mit ihr sprechen.“

„Ich bewundere die Weisheit Deiner Rede und die Klugheit Deiner Worte, o Mann! Merkst Du denn nicht, daß die Gesundheit, welche der Effendi spendet, an dem Gitter hängen bleiben würde? Komme in drei Tagen wieder!“

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„Ich darf nicht gehen; denn ich werde hundert Schläge auf die Sohlen bekommen, wenn ich den weisen Effendi nicht bringe!“

„Danke Deinem gütigen Herrn, Du Sclave eines Egypters, daß er Deine Beine mit Gnade erleuchtet! Ich will Dich nicht um diese Seligkeit betrügen und Dich deshalb allein ziehen lassen. Wir reisen Morgen ab. Salehm aleïkum, der Herr sei mit Dir; er lasse Dir die Streiche wohl bekommen!“

„So laß Dir noch Eins sagen, tapferer Arha. Der Herr unseres Hauses hat mehr Beutel in seiner Schatzkammer, als Du jemals zählen kannst. Du solltest auch mitkommen, hat er mir befohlen, und Du wirst ein Bakschihsch haben, ein Geschenk, wie es selbst Hafihs-Pascha, der Diamantenspendende, niemals gegeben hat.“

Jetzt wurde der Mann endlich klug und faßte meinen guten Omar bei dem Punkte, an welchem man den Morgenländer zu packen hat, wenn man ihn günstig stimmen will. Der geldlustige Haushofmeister änderte auch sofort den Ton seiner Stimme und gab die etwas weniger harte Antwort:

„Allah segne Deinen Mund, mein Freund! Aber ein Piaster in meiner Hand ist mir lieber als zehn Beutel in der Deinigen. Ich will mir es überlegen, ob ich den Herrn stören darf.“

„Laß den Rath Deines Herzens nicht zögern; hier nimm die Gabe Deines Bruders!“

„Deine Hand ist mager wie der Schakal hinter der Schlinge und dürr wie die Wüste jenseits des Mokkadam. Wie kann das Feld Frucht bringen, wenn nur zwei Tropfen Thau vom Himmel fallen!“

Nach dieser sehr deutlichen Aufforderung vernahm ich zum zweiten Male den klimpernden Ton des Silbers, und nun erst war Omar bereit, „mich zu stören.“ Ich konnte ihm unmöglich bös sein. Er handelte nur nach der allgemeinen Unsitte, und übrigens sind hier oben in Nubien die deutschen Aerzte nicht so öfters zu finden, als daß ein reicher Türke, wie Abrahim jedenfalls war, mit einem kleinen Bakschihsch hätte knausern dürfen.

Was mich aber bei der Angelegenheit mit Verwunderung erfüllte, war der Umstand, daß ich — wie ja aus den Reden der Beiden zu ersehen war, nicht zu einem männlichen, sondern zu einem weiblichen Patienten verlangt wurde. Obgleich ich schon mehrere Jahre im Oriente verweilt hatte, besaß das Wort Harem doch immer noch den Reiz des Geheimnißvoll-Romantischen für mich, und wenn ich auch den Character der morgenländischen Frauen nicht achten konnte, so mußte ich doch ihre oft wirklich unvergleichliche Schönheit bewundern, von der ich schon öfters hinter einem fortgewehten Schleierzipfel eine kleine aber überzeugende Probe bemerkt hatte. Da aber der Muselmann die Bewohnerinnen seiner Frauengemächer sogar in den dringendsten Fällen nicht den Augen eines Fremden, auch nicht des Arztes freigiebt, so handelte es sich hier jedenfalls entweder um eine alte Dienerin, oder ich bekam nichts weiter zu sehen, als die Fingerspitzen der Patientin. Deshalb sah ich dem Eintritte Omars mit ziemlicher Gleichgültigkeit entgegen.

„Herr, ein Mann will mit Dir sprechen, welcher draußen steht. Er hat ein Boot im Nil und sagte, ich müsse auch mit kommen!“

Fast hätte ich lachen müssen über die letzte Bemerkung, mit welcher sich der schlaue Bursche ein weiteres Trinkgeld sichern wollte. Doch mochte ich ihn nicht in Verlegenheit bringen und befahl im deshalb kurz, den Boten herein zu schicken.

Dieser verbeugte sich bei seinem Eintritte bis herab zur Erde, zog die Schuhe aus, trat um einige Schritte näher und begann unter wiederholter Verbeugung:

„Salem aleïkum, Allah sei mir Dir, oh Herr, und lasse Deine Ohren offen sein für die Bitte des geringsten Deiner Knechte.“

Meine Antwort erwartend, schwieg er. Ich erwiderte seinen Gruß mit einem kurzen Nicken des Kopfes und befahl:

„Sprich!“

„Es ist großes Herzeleid gekommen über das Haupt Abrahim-Arha’s, meines Gebieters, denn Leïlet, die Krone seines Herzens, schwindet hin in die Schatten des Todes und kein Arzt, kein Fakhir und auch kein Zauberer vermag die Schritte ihrer Krankheit aufzuhalten. Da hörte mein Herr, den Allah erfreuen mögen — von Dir und Deinem Ruhme, und daß der Tod vor Deiner Stimme flieht. Er sandte mich zu Dir und läßt Dir sagen: Komm und gieb mir meine Blume wieder; mein Dank soll süß und hell sein, wie der Glanz des Goldes!“

„Ich kenne diesen Ort und habe doch Deinen Herrn noch nicht gesehen. Wo wohnt er?“

„Er wohnt am Strome und sendet Dir ein Boot. In einer Stunde hast Du ihn erreicht.“

„Ich komme!“

Er zog sich zurück und ich erhob mich, nicht ganz frei von einer erwartungsvollen Spannung, die sich während der kurzen Unterredung meiner bemächtigt hatte. Alt und häßlich war sie nicht, das wußte ich jetzt; ihr Name war Leïlet, d. h. Nacht, und da der Orientale den Namen gern den Eigenschaften anpaßt, so sah ich vor meiner lebhaften Einbildungskraft sofort eine jener mächtig-prächtig-nächtigen Erscheinungen stehen, wie sie sich vorzugsweise gern im Morgenlande entwickeln. Auch die Wohnung war nicht ganz ungeeignet zu einem Tummelplatz für die Erfindungen der Phantasie. Vor einigen Monaten hatte ich sie bei der Reise nach dem Süden im Vorüberfahren liegen sehen und damals gehört, daß sie von einem verbannten Großen des Reiches erbaut worden sei und nun seit dem Tode desselben verlassen liege. Wie kam der jetzige Besitzer dazu, den einsamen Ort zu bewohnen? Hatten auch ihn politische Gründe hergeführt, oder gab es sonstige Geheimnisse, die er zu verbergen suchte?

Ganz ungesucht traten diese Fragen an mich heran, und wenn ihre Beantwortung auch kein Interesse für mich haben konnte, so sah ich doch ebensowenig Veranlassung, sie gewaltsam von mir abzuwehren, und ging dem Kommenden mit etwas mehr als gewöhnlicher Theilname entgegen.

In kurzer Zeit saßen wir bei den Ruderern im Kahne, ich in tiefe, wunderbare Gedanken versunken, Omar ernst und stolz, wie ein Pascha von drei Roßschweifen, im Gürtel die silberbeschlagenen Pistolen und den scharfen, glänzenden Dolch, in der Hand aber die unvermeidliche Nilpeitsche, das beste Mittel, sich unter der dortigen Bevölkerung Achtung und Berücksichtigung zu verschaffen. Zwar war die Hitze nicht angenehm, aber die stromabwärts

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gehende Bewegung unseres Fahrzeuges brachte uns mit einem kühlenden Luftzuge in Berührung, und bei der kurzen Dauer unserer Fahrt war dieselbe mehr eine Spaziertour, als eine Anstrengung zu nennen.

Es ging eine Strecke weit an Durrha-, Tabak-, Sesam- und Sennesfeldern vorüber, aus deren Hintergrunde schlanke Palmen emporragten; dann folgten unbebaute Flächen, über welche sich ein niederes Gestrüpp von Mimosen und Sykomoren hinstreckte, endlich nacktes Gestein, und mitten aus den wohl schon seit Jahrtausenden hier umhergestreuten Felsblöcken erhob sich die hohe quadratische Mauer, durch welche wir uns den Eingang suchen mußten.

Als wir anlegten, bemerkte ich, daß ein Kanal aus dem Flusse unter der Mauer hinführte, jedenfalls um die Bewohner mit dem nöthigen Wasser zu versehen, ohne daß dieselben sich außerhalb ihrer Wohnung zu bemühen brauchten. Unser Führer schritt uns voran, führte uns um zwei Ecken zu der dem Wasser abgekehrten Seite und gab an dem dort befindlichen Thore ein Zeichen, auf welches uns bald geöffnet wurde.

Das Gesicht eines Schwarzen grinste uns entgegen; doch beachteten wir seine bis zur Erde herabgehende Reverenz gar nicht und schritten vorwärts. Architektonische Schönheiten durfte ich von einem orientalischen Privatgebäude nicht erwarten, und so fühlte ich mich auch gar nicht überrascht über die kahle, nackte und fensterlose Fronte, welche das Haus mir zukehrte, aber das Klima des Landes hatte doch einen etwas zu auffälligen Einfluß auf das alte Gemäuer geäußert, als daß ich es zur Wohnung eines jungen, schönen und dabei noch kranken Weibes hätte empfehlen mögen.

Die Zierpflanzen, welche den schmalen Raum zwischen Mauer und Wohnhaus früher geschmückt und den Bewohnerinnen eine Erholung geboten hatten, waren längst verwelkt und verdorrt; wohin das Auge nur blickte, fand es nichts als leere, kahle Oede, und nur Schaaren von Schwalben, welche in den zahlreichen Rissen und Sprüngen des borstenden Gebäudes nisteten, brachten einigermaßen Leben und Bewegung in die traurige, todte Scene.

Durch einen dunklen, niederen Thorgang führte uns der voranschreitende Bote in einen kleinen Hof, dessen Mitte ein Bassin einnahm. Also bis hierher führte der Kanal, welchen ich vorhin bemerkt hatte, und der Erbauer des einsamen Hauses war klugerweise vor allen Dingen darauf bedacht gewesen, sich und die Seinigen reichlich mit dem zu versorgen, was in dem heißen Klima jener Länderstriche das Nothwendigste und Unentbehrlichste ist. Zugleich bemerkte ich nun auch, daß der ganze Bau darauf gerichtet war, die jährlich wiederkehrenden Ueberschwemmungen schadlos aushalten zu können.

In diesen Hof herab gingen mehrere hölzerne Gitterwerke, hinter denen jedenfalls die zum Aufenthalte dienenden Räume lagen. Ich konnte ihnen jetzt keine große, zeitraubende Beachtung schenken, sondern gab Omar einen Wink, mit der Reiseapotheke, welche er umhängen hatte, hier des Weiteren zu harren und folgte dem Wegweiser in den Divan des Hausherrn.

Es war ein geräumiges, halbdunkles und hohes Zimmer, durch dessen vergitterte Fensteröffnungen ein wohlthuendes Licht fiel. In Folge der aufgeklebten Tapeten, Arabesken -

Arabesken und Ornamente hatte es einen wohnlichen Anstrich erhalten, und die in einer Nische stehenden Wasserkühlgefäße erzeugten eine recht angenehme Temperatur. Ein Geländer trennte den Raum in zwei Hälften, deren vordere für die Dienerschaft, die hintere aber für den Herrn und die ihn besuchenden Gäste bestimmt war. Den erhöhten Hintergrund zierte ein breiter Divan, welcher von einer Ecke bis in die andere reichte und auf welchem Abrahim-Arha, der „Besitzer von vielen Beuteln,“ mit untergeschlagenen Beinen saß.

Er erhob sich bei meinem Eintreten, blieb aber der Sitte gemäß vor seinem Sitze stehen. Da ich nicht die gewöhnliche Fußbekleidung trug, so konnte ich mich ihrer auch nicht entledigen, sondern schritt unbekümmert um meine Lederstiefel über die kostbaren Teppiche und ließ mich an seiner Seite nieder. Die Diener brachten den unvermeidlichen Kaffee und die noch nothwendigeren Pfeifen, und nun konnte das Weitere folgen.

Mein erster Blick war natürlich nach seiner Pfeife gewesen; denn jeder Kenner des Orientes weiß, daß man an derselben sehr deutlich die Verhältnisse ihres Besitzers zu erkennen vermag. Das lange, wohlriechende und mit starkvergoldetem Silberdraht umsponnene Rohr hatte gewiß seine tausend Piaster gekostet. Theuer aber noch war das Bernsteinmundstück, welches aus zwei Theilen bestand, zwischen denen ein mit Edelstein besetzter Ring hervorschimmerte. Der Mann schien wirklich „viele Beutel“ zu besitzen, nur war dies kein Grund, mich befangen zu machen, da mancher Inhaber einer Pfeife im Werthe von zehntausend Piaster seinen Reichthum doch nur den geknechteten Unterthanen entwendet oder geraubt hat. Lieber also einen Blick in das Gesicht!

Wo habe ich doch nur diese Züge schon einmal gesehen, diese schönen, feinen und in ihrer Mißharmonie doch so diabolischen Züge? Forschend, scharf, stechend, nein, förmlich bohrend senkt sich der Blick des kleinen, unbewimperten Auges in den meinen und kehrt dann kalt und wie beruhigt wieder zurück. Glühende und entnervende Leidenschaften haben dem Gesichte ihre immer tiefer eindringenden Spuren aufgravirt; die Liebe, der Haß, die Rache, der Ehrgeiz sind einander behülflich gewesen, eine großangelegte Natur in den Schmutz des Lasters zu reißen und dem Aeußeren jenes undefinirbare Etwas aufzudrücken, welches der Reinheit ein sichers Wahrnungszeichen ist. Wo bin ich diesem Manne begegnet? Ich muß mich besinnen, aber das fühle ich, unter freundlichen Umständen ist es nicht gewesen.

„Salem aleïkum!“ tönte es langsam zwischen dem vollen, prächtigen, aber schwarzfgefärbten Barte hervor. „Möge Allah Balsam wachsen lassen auf den Spuren Deiner Füße und Honig träufeln von den Spitzen Deiner Finger, damit mein Herz nicht mehr höre die Stimme seines Kummers!“

„Gott gebe Dir Frieden und lasse mich finden das Gift, welches an dem Leben Deines Glückes nagt,“ erwiederte ich seinen Gruß, da nicht einmal der Arzt nach dem Weibe eines Muselmannes fragen kann, ohne den größesten Verstoß gegen die Höflichkeit und Sitte zu begehen.

„Du bist ein weiser Arzt und Deine Hand ist mit Erfolg begabt, als hätte sie der Prophet gesegnet. Du wirst die Krankheit finden und besiegen.“

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„Der Herr ist allmächtig; er kann retten und verderben; nur ihm gebührt die Ehre. Doch wenn ich helfen soll, so sprich!“

Diese directe Aufforderung, ein, und wenn auch unbedeutendes Geheimniß seines Harems preiszugeben, schien ihn unangenehm zu berühren, trotzdem er darauf vorbereitet sein mußte; doch versuchte er sofort diese Schwäche zu verbergen und befolgte meine Aufforderung.

„Du bist aus dem Lande der Ungläubigen, wo es keine Schande ist, von Der zu sprechen, welche die Tochter einer Mutter ist?“

Ich nickte zustimmend, innerlich sehr amüsirt über die Art und Weise, mit welcher er es umgehen wollte, von seinem Weibe zu sprechen.

„Auch der Gläubige darf ohne Aergerniß von den Frauen in Frankhistan sprechen. Erlaube, daß ich es thue!“

Ein zweites Neigen des Kopfes war meine Antwort.

„Wenn das Weib eines Franken keine Speise zu sich nimmt — —“

Er sah mich bei diesen Worten an, als ob er eine Bemerkung von mir erwarte. Ich winkte ihm nur, fortzufahren.

„— Den Glanz ihrer Augen und die Fülle ihrer Wangen verliert — müde ist und doch den Gruß des Schlafes nicht mehr kennt — nur lehnend steht und langsam geht — vor Kälte schauert und vor Hitze brennt — nichts wünscht, nichts haßt und unter dem Schlage ihres Herzens zittert — nicht lacht, nicht weint, nicht spricht — kein lautes Wort der Klage hören läßt und ihre Seufzer selbst nicht mehr vernimmt —“

Wieder blickte er mich an und in seinen Augen war deutlich eine Angst zu erkennen, welche sich von jedem der aufgezählten Krankheitsmerkmale zu nähren und zu vergrößern schien. Er mußte die Kranke mit der letzten, trüben Gluth seines fast gänzlich ausgebrannten Herzens lieb haben und hatte mir, ohne es zu wollen und zu wissen, sein ganzes Verhältniß zu ihr offenbart. Ich mußte ihm die Strafe sofort zu kosten geben und antwortete schnell einfallend:

„So wird sie sterben!“

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, so stand er hoch aufgerichtet vor mir. Der rothe Fez war ihm vom kahlgeschorenen Kopf geglitten, die Pfeife seiner Hand entfallen; in dem Gesichte zuckte es von den widerstreitendsten Gefühlen, und das Auge ruhte mit einem Ausdrucke des Entsetzens auf mir, der sich nach und nach in einen zornigen und zuletzt in einen drohenden verwandelte.

„Giaur!“ donnerte er ich an. „Wagst Du, mir das zu sagen, Hund? Die Peitsche soll Dir lehren, wer ich bin und daß Du thust, nur was ich Dir befehle. Stirbt sie, so stirb Du auch; doch machst Du sie gesund, so darfst Du gehen und kannst verlangen, was Dein Herz begehrt!“

Langsam und in tiefster Seelenruhe erhob auch ich mich, stellte mich in meiner ganzen Länge gerade vor ihn hin und sprach, auf den am Boden liegenden Fez deutend:

„Abrahim-Arha, was sagt der Prophet dazu, daß Du die Scham Deines Scheidels vor einem Ungläubigen entblößest?“

Im nächsten Augenblicke hatte er sein Haupt bedeckt und, vorn Grimm dunkelroth im Gesicht, den Dolch aus der Schärpe gerissen. Doch ruhig, wie zuvor fuhr ich fort:

„Ich habe den Bären gejagt und bin dem Nilpferd nachgeschwommen, der Elephant hat meinen Schuß gehört und meine Kugel hat den Löwen, den „Heerdenwürgenden“ getroffen. Danke Allah, daß Du noch lebst und bitte Gott, daß er Dein Herz bezwinge. Du kannst es nicht, Du bist zu schwach dazu und wirst doch sterben, wenn es nicht sofort geschieht!“

Das war eine neue, eine schwerere Beleidigung, als die andere und mit einem zuckenden Sprunge wollte er mich fassen, fuhr aber sofort zurück, denn jetzt blitzte auch in meiner Hand die Waffe, die man in jenen Ländern niemals von sich legen darf. Wir standen einander allein gegenüber, denn er hatte sofort nach der Darreichung des Kaffee’s und der Pfeife die Dienerschaft hinausgewinkt, damit sie nichts von unserer zarten Unterhaltung vernehmen solle.

Mit meinem tapfern Omar-Arha hatte ich nicht den mindesten Grund, mich vor den Bewohnern des alten Hauses zu fürchten; nöthigenfalls hätten wir Beiden die wenigen hier wohnenden Männer zusammengeschossen, aber ich ahnte zu viel von dem Schicksal der Kranken, für die ich mich ungemein zu interessiren begann, und zog es deshalb vor, den Weg der Güte zu betreten.

„Lebe wohl; es sei der Herr mit Dir und Deinem Hause! Du willst es nicht, daß ich den Tod bezwinge; Dein Wunsch mag sich erfüllen, rabbena chaliek, der Herr erhalte Dich!“

Noch immer den Revolver in der Hand, machte ich Miene, dem Ausgange zuzuschreiten.

„Halt, halt, Effendi!“ rief er, und jetzt klang aus seiner Stimme mehr Angst als Wuth. „Du hast die Seele eines Gläubigen beschimpft und darfst nicht gehen, ohne mir Genugthuung zu geben und meinem Willen Gehorsam zu erweisen!“

Ich trat zu ihm zurück, sah ihm lächelnd in das zuckende und blitzende Auge und antwortete so langsam, wie nur immer möglich:

„Merk auf, was ich Dir sage, mein Wort erklingt nie zweimal: Beim heiligen Leben Isa Ben Marryam, den wir Jesus, Sohn Maria’s nennen — Du hast einen seiner Gläubigen Giaur geheißen und ihn mit der Peitsche bedroht — bittest Du mich nicht um Verzeihung, und zwar sogleich, so gehe ich und Leïlet mag sterben!“

Mit Absicht sprach ich jetzt den Namen aus, welchen mir der Bote genannt hatte. Bei seinem Klange zuckte es über die erregten Züge des Egypters; es erwachte die Erkenntniß in ihm, daß er einen falschen Weg eingeschlagen habe und umkehren müsse, wenn er mich geneigt erhalten wolle. Aber sein Stolz empörte sich bei dem Gedanken, einem Christen Abbitte zu thun. Zwang, wie bei einem arabischen Quacksalber, war bei mir nicht möglich, und ich sah deutlich, daß der Gedanke, aus diesem Labyrinthe nicht herauszukommen, ihn in neue Wuth versetzte.

Da drehte ich mich um, schritt durch die Oeffnung des Geländers und befand schon der Thür nahe, als es angstvoll hinter mir erscholl:

„Bei dem Barmherzigen, bleib!“

Langsam drehte ich mich um und konnte nun die Züge des Erregten in ihrer häßlichsten Entstellung sehen. Die Spuren der Leidenschaften sprachen sich jetzt mit einer so widerwärtigen Deutlichkeit in ihnen aus, daß ich

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meinen Sieg fast bereute und ihm mit einer raschen Handbewegung alle weiteren Worte abschnitt.

„Laß Deine Rede schweigen! Der Christ vergiebt auch ohne laute Sühne; es ist so gut, als hättest Du gesprochen. — Nun laß uns Deines Herzens Kummer heilen und zu der Kranken gehen, um sie zu sehen.“

Wie von einem Stoße getroffen, fuhr er zurück.

„Maschallah, bist Du toll? Der Geist der Wüste hat Dein Hirn verbrannt, daß Du nicht weißt, was Du forderst. Das Weib muß sterben, auf welchem das Auge eines fremden Manne ruhte!“

„Sie wird noch sicherer sterben, wenn mein Auge sie nicht sehen darf. Ich muß den Schlag ihres Pulses messen und Antwort von ihr hören über Vieles, was ihre Krankheit betrifft. Nur Allah ist allwissend und braucht Niemand zu fragen.“

Wieder erhob sich ein heftiger Kampf und es dauerte lange, ehe er unter allerdings sehr beschränkenden Bedingungen auf mein Verlangen einging.

Ich durfte sämmtliche Frauengemächer sehen, da ich sehr absichtlich die Behauptung ausgesprochen hatte, daß der Grund des Uebels in irgend einem ungesunden Zustande der Wohnung liegen könne. Natürlich schien ich an eine rein körperliche Erkrankung zu glauben, obgleich ich schon seit der ersten Aufzählung der Symptome wußte, daß eine Herzens- und Gemüthskrankheit vorliege, und ich war sehr geneigt, anzunehmen, daß die Ursache in einem Zwange zu suchen sei, der die Patientin in die Hände Abrahim-Arha’s gebracht hatte.

Ferner durfte ich sie gehen sehen und die ersten drei Finger meiner rechten Hand um ihr Handgelenk legen, um den Puls zu fühlen. Sodann durfte ich ihr diejenigen Fragen vorlegen, welche ich für ganz und gar unumgänglich hielt; doch mußte sie mit jeder Antwort warten, bis sie von ihm die Erlaubnis dazu erhielt.

Ich war sehr zufrieden mit diesen Zugeständnissen; denn sie gewährten mir mehr, als jemals wohl einem Europäer zugestanden worden ist. Die Liebe des Egypters und infolge dessen auch seine Sorge mußte wohl eine sehr ungewöhnliche sein, da er sich zu solchen Opfern verstand. Freilich konnte ich die ingrimmigste Erbitterung gegen mich aus jeder seiner Mienen lesen, denn ihm war ich ein leider unabweisbarer Eindringling in die bisher unentweihten Mysterien seiner inneren Häuslichkeit, und ich hegte die Ueberzeugung, daß ich ihn auch selbst im Falle einer vollständigen Heilung als unversöhnlichen Feind zurücklassen würde.

Jetzt war er gegangen, um das Nöthige selbst anzuordnen, denn keiner seiner Diener durfte ahnen, daß er einem Fremden Eintritt in das Heiligthum verstatte. —

Endlich kehrte er zurück. Es lag ein Ausdruck fester, trotziger Entschlossenheit um seinem​seinen zusammengekniffenen Mund, und mit einem Blicke voll versteckt sein sollendem und doch hervorbrechendem Hasse drohte er:

„Bei der Seligkeit aller Himmel, Effendi, sobald Du ein Wort sprichst, was ich nicht wünsche, oder nur das Geringste mehr thust, als Dir erlaubt ist, stoße ich sie nieder. Ich schwöre es bei jedem Worte des Korans und bei allen Kalifen, deren Andenken Allah segnen möge!“

Er hatte mich also doch kennen gelernt und wußte, daß ihm diese Versicherung mehr nützen würde, als die

sanguinischesten Drohungen, wenn sie gegen mich selbst gerichtet waren. Uebrigens war es mir ja gar nicht in den Sinn gekommen, ihn in seinen Rechten zu kränken, nur konnte ich mich bei seinem Verhalten je länger desto weniger einer Ahnung entschlagen, daß sein Verhältniß mit der Kranken irgend einen dunklen Punkt habe.

Wir gingen. Er schritt voran und ich folgte.

Zunächst kamen wir durch einige fast in Trümmern liegende Räume, in denen allerlei nächtliches Gethier sein Wesen treiben mochte; dann betraten wir ein Gemach, welches als Vorzimmer zu dienen schien, und nun folgte der Raum, welcher allen Anzeichen nach als eigentlicher Frauendivan benutzt wurde. All’ die umherliegenden Kleinigkeiten waren solche, wie sie von Frauen gesucht und gern benutzt werden.

Eine größere Ausdehnung schien der Harem außer einem noch anstoßenden Raume nicht zu haben, und das unentbehrliche Bad lag jedenfalls unten zur ebenen Erde.

„Nun siehe, ob Du den Dämon der Krankheit hier findest!“ forderte mich Abrahim mit einem halb spöttischen, halb gläubigen Lächeln auf. „Ich will sehen, ob die Sonne ihr Angesicht verhüllt hat vor dem Auge des Fremden. Wage nicht, mir nachzufolgen, bis ich wiederkomme!“

Ich war allein. Wo war sie? War sie da draußen? Ganz gewiß; seine Wort waren ja deutlich genug. Wer sie doch sehen könnte, Leïlet, die Nacht, die kranke, todesmatte! Welch’ süßer, lieblicher, sinnbethörender Duft strömte und fluthete doch hier um mich! Waren das die sterbenden Wohlgerüche der hier gepflegten und verwelkten Blumen, oder war es der würzige Hauch ihres reinen, jungfräulichen Mundes, der sich bisher gegen die Küsse des Verhaßten gewehrt hatte? Es war mir so wunderbar, so märchensüß zu Muthe, gerade so, als käme eine jener Feen, wie sie in den Märchen leben, hereingeschwebt, um meine Kühnheit zu erproben, die dann gefeit ist und Alles vollbringen kann, ohne selbst Schaden zu leiden.

Mit Anstrengung mußte ich mich aus dieser Stimmung herausreißen und ließ mein Auge durch den Raum schweifen. Ich hatte ja gewußt, daß der Heerd der Krankheit hier nicht zu suchen sei, und war nur von dem Wunsche hergeführt worden, einmal das Innere eines Harems zu sehen. Es war hier ganz dieselbe Einrichtung getroffen, wie im Zimmer des Hausherrn: das Geländer, der Divan, die Nische mit den Kühlge — doch halt, halt, was ist das?

Auch hier, grad’ so wie dort, befindet sich grad’ über diesen Gefäßen ein Zuchloch in der Mauer, damit die Abkühlung des Wassers rasch vor sich gehe und auch den Nebengelassen mit zu Gute komme, und diese Oeffnung, sie führt —

Mit einigen raschen Schritten bin ich an der Mauer, neige das Auge an die Oeffnung und — ja, das ist sie, das ist Leïlet, die Nacht, die Nacht des Südens, wie sie dem Thore des Abendrothes entschweben müßte, wenn ihr der Schöpfer die Erlaubniß gäbe, in menschlicher Gestalt wieder auf die traumbedürftige Erde zu steigen! Das ist die Nacht, die himmlische, das ist Leïlet mit den dunklen, fast an der Erde schleifenden, sie wie ein Schleier umwallenden Locken.

(Fortsetzung folgt.)
[Die Zäsur zwischen zwei Fortsetzungen erfolgt mitten im Absatz.]

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Leïlet.

Novelle von M. Gisela.

(Fortsetzung.)

Leïlet mit dem reinen, blassen, schwermuthsernsten und doch so milden, unvergleichlich schönen Angesichte, Leïlet mit Augen so offen und groß, so tief und klar, in deren Blicke sich die ganze unberührte Unschuld eines Kindes mit dem Herzensglühen des beglückenden Weibes vermählt, Leïlet mit der weichen, herrlichen Gestalt, wie sie kaum der Meißel des Künstlers dem Marmor zu entlocken vermag, Leïlet, die thauzerfließende, die weinende, an deren Wimpern die Diamanten des Schmerzes glänzen, Leïlet — doch nein, das ist nicht eine gottgewollte Incarnation jener sterngeschmückten Göttin, deren Kommen und Scheiden der Himmel mit purpurnen Flammen und goldenen Reflexen feiert, sondern das ist ein vom tiefsten Grame zerrissenes Menschenkind, welches keinen Seufzer auf der Lippe trägt, weil sein ganzes Dasein eine einzige, ungestillte und ungehörte Klage ist.

Sie hat seinen Befehlen noch nicht Gehorsam geleistet, in der Tiefe ihres Schmerzes vielleicht noch gar nicht wieder an sie gedacht und steht nun da im leichten, sich innig an die Glieder schmiegenden Gewande, während er unter allen möglichen Drohungen sich bemüht, sie zu schnellerem Anlegen der entstellenden Hüllen zu bewegen.

Ich habe genug gesehen, trete zurück und begebe mich, um nicht den leisesten Verdacht zu erregen, auch noch zurück in das vordere Gemach. Ich habe noch nie die Liebe gekannt, habe gescherzt, gespottet und gelacht über die Schwächlinge, die ihre goldene Freiheit für einige Tage des Tändelns verkaufen, um in Ketten und beengenden Banden zu erwachen; nie sollte mein Herz anders klopfen, als unter dem Knalle meiner Büchse oder der Arbeit eines begeisternden Schaffens, und jetzt —? Ein einziger Augenblick, ein einziger kurzer Moment hat tief hinunter in das starre Herz gegriffen, um ein Leben, Knospen, Treiben, Blühen, ein Sehnen, Verlangen und Begehren zu erwecken, von dessen Dasein ich bisher keine Ahnung hatte, dessen Größe ich jetzt noch gar nicht ermessen kann, und dessen Reichthum sich mir erst in der Zukunft zu zeigen vermag. Nur das Eine fühle ich — nein, das weiß ich mit der heiligsten und unumstößlichsten Sicherheit: daß die Stunden ihres Aufenthaltes in diesem Hause gezählt sind.

Doch hier gilt es nicht, zu träumen und zu säumen; es will gehandelt sein! Das Gitter, welches die Stelle des Fensters vertritt, besteht aus zwei senkrecht an einander geschobenen Theilen, welche aus einander gezogen oder geschoben werden können, falls es einmal nothwendig ist, die Oeffnung frei zu geben. Bei näherer Betrachtung bemerke ich einen schmalen Holzriegel, welcher die beiden Hälften zusammenhält; rasch ist er, ohne die Stellung des Gitters zu verändern, beseitigt, und das Glück mag alles Uebrige besorgen! —

„Tritt herein, Effendi!“ tönte die Stimme Abrahims.

Ich trat wieder ein. In weite Gewänder gehüllt, stand sie tief verschleiert an der hinteren Wand des Zimmers. Nichts war von ihr zu sehen, als die kleinen, in Sammetpantoffeln steckenden Füße.

„Einige Schritte gehen!“ wandte ich mich an den Egypter.

Bei dem Klange meiner Stimme fuhr der Kopf mit einem raschen, jähen Rucke empor, und es schien mir, als ob die dunklen Augen mit einem überraschten und ängstlich forschenden Ausdruck durch die Schleierlücke hindurch auf mir ruhten. Ich bedurfte meiner ganzen Kaltblütigkeit, um ruhig zu scheinen.

Auf das Geheiß ihres Gebieters vollführte sie einige Bewegungen, deren Unsicherheit ich aber mehr auf Rechnung der Befangenheit, als der Schwäche schrieb; dann begann ich meine Fragen, deren Enthaltsamkeit Abrahim vollständig befriedigte.

Endlich ließ ich mir die Hand reichen, und fast wäre ich trotz der ernsten Situation in eine laute Heiterkeit ausgebrochen, als ich sah, daß die Hand so vollständig in ein dickes Tuch gebunden war, daß es unmöglich war, auch nur die Lage oder Form eines Fingers durch dasselbe zu unterschieden. Der Arm war in der Weise ebenso verhüllt, daß am Handgelenke grad’ genug freier Raum blieb, meinen kleinen Finger zu placiren. Und bei so eingeschnürtem Arme und so zusammengepreßter Hand sollte ich aus dem Pulse meine richtigen Schlüsse ziehen!

Ich gab mir doch den Schein dazu, und obgleich mein Gesicht die strengste Unempfindlichkeit bewahrte, war es mir bei der Berührung der kleinen, weichen, weißen Stelle doch, als fließe ein unbeschreibliches Etwas auf mich über und gäbe mir Verständniß für die geheimste Regung des hinter den dichten Gewändern klopfenden Herzens. Es war, als sei ich jetzt nicht mehr ich, sondern Eins mit ihr, als fühlte ich jeden Tropfen ihres Blutes rollen und jeden Gedanken erwachen und jetzt — ja, jetzt wollte sie mir etwas sagen — ich sah Nichts, kein Zeichen, nein, aber ich wußte es und neigte mein Ohr tiefer, wie um den Puls ihres Handgelenkes nicht blos zu fühlen, sondern auch zu hören, und — wirklich, da wehte es leise, leise, fast unhörbar durch den Schleier:

„Rette mich!“

Das was Alles so schnell und wie unter dem Einflusse eines unwiderstehlichen sympathetischen Gesetzes geschehen, daß Abrahim Nichts gemerkt hatte, trotzdem er dicht an meiner Seite stand. Ich mußte ihr eine Antwort geben, und noch ehe der Tyrann sie fortschicken, oder sich selbst mit mir entfernen konnte, gab ich den kurzen Bescheid:

„Allah kerihm, Gott ist gnädig; bald wird die Krankheit -

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Krankheit dieses Haus verlassen. Mein Trank muß Schlaf und tiefe Ruhe bringen, und dann wird neue Kraft einziehen in die kranke Seele. Leïlkum saaïde, glückliche Nacht!“

Ich konnte im Gehen diesen Gruß jetzt aussprechen; während der langen Verhandlungen mit Abrahim war der Nachmittag vergangen, und jetzt dunkelte der Abend in seiner südlich schnellen Weise schon herein. Omar Arha wurde gerufen, da ich ein Opiat geben mußte, und dann brachen wir auf.

Meine Versicherung, daß ich die Patientin in kurzer Zeit vollständig herstellen werden, hatte Abrahim-Arha bewogen, das Vorhergegangene einstweilen zu vergessen, und so bot er mir für die Nacht seine Gastfreundschaft an. Ich schlug diese ebenso aus wie jedes Geschenk, zu welchem er sich geneigt zeigte; doch konnte und wollte ich auch gar nicht verhindern, daß mein treuer Omar mit einem Bakschisch beglückt wurde, wie er es wohl seit langer Zeit nicht bekommen hatte.

Als wir das Boot bestiegen, welches uns unter der Leitung unseres vorigen Führers wieder zurückbringen sollte, wandte er sich deshalb mit stolzem Selbstbewußtsein zu dem Diener:

„Wir werden das Weib Deines Gebieters gesund machen, trotzdem sie keine Seele hat. Dafür hat der Mann, den Du Abrahim-Arha nennst, meine Hand mit Segen gefüllt, war mir lange nicht so wehe thut, wie daß Du deshalb Deine guten hundert Streiche eingebüßt hast. Ich bin gern bereit, sie Dir aus unseren eigenen Mitteln zu erstatten, und paßt es Dir auch jetzt nicht gleich, so komme in drei Tagen wieder. Wir reisen morgen noch nicht ab!

Unser Boot legte in der Nähe einer Dahabïe, einer Nilbarke an, welche wegen Mangel an Wind das Ufer gesucht hatte. Die Taue waren befestigt, die Segel eingezogen und nach dem frommen muhamedanischen Gebrauche lud der Reïs, der Kapitän des Schiffes, seine Leute zum Abendgottesdienste.

„Haï al el salah, auf, zum Gebete,“ tönte seine tiefe, männliche Stimme, und schon im Fortgehen, wandte ich mich schnell wieder zurück.

Hatte ich recht gehört? War das wirklich mein alter Freund Hassan, der Abu el Reïsahn, der Vater der Schiffsführer, wie er von allen seinen Bekannten genannt wurde? Die Stimme war die seinige; klar und deutlich schallte sie vom Bord herüber, und als er die letzten Worte: „el salem aleïkum, der Friede sei mit Euch,“ mit einer Betonung gesprochen hatte, die nur ihm eigenthümlich war, konnte ich keinen Zweifel mehr hegen.

Fast hüpfte mir das Herz vor Freude über diese willkommene Ueberraschung. Auf ihn, meinen alten Führer und Beschützer, konnte ich mich in jeder Lage, auch in der gegenwärtigen verlassen. Wir hatten zahlreiche Fahrten und Kameelwanderungen mit einander unternommen und uns in der Folge der gemeinschaftlich bestandenen Gefahren so innig zusammengelebt, als seien wir Vater und Sohn. Nach wenig Augenblicken stand ich bei ihm auf dem Schiff und fühlte die kräftige Umarmung, mit welcher er mich,

ganz gegen den kalten orientalischen Gebrauch, an sich drückte.

„Heil sei mit Dir, mein Sohn, daß Du meinen Augen Dein Angesicht zeigest; Allah hat Dich beschützt mitten im Gifte des Sudan, damit mein Herz Freude an Dir habe. Komm, steige über die Gummiballen und laß mich hören, was Deinen Fuß an diesen schlimmen Ort geführt!“

„Ein schlimmer Ort?“

„Vor dem Auge des Ungerechten welkt das Gras, und vor seinem Blicke sterben die Blumen des Feldes. Weißt Du nicht, daß hier Abrahim-Arha wohnt, der sich früher Hedjahn-Bei nannte?“

„Hedjahn-Bei, der Mörder der Karawanen!“ rief ich so laut, daß es weit über das Wasser schallte und Hassan mich mit einer angstvollen Bewegung zum Schweigen mahnte. „Hedjahn-Bei, der dann vom Vicekönig begnadigt wurde, um seine früheren Spiegesellen an den Strick zu liefern?“

„Ja, Hedjahn-Bei, der auch uns beraubte und gefangen nahm, und dem wir nur entkamen, weil Du sein Kameel tödtetest!“

„Komm näher, immer näher, damit kein anderes Ohr meine Worte vernehme, Abu el Reïsahn! Weißt Du, daß ich bei ihm war?“

„Bei ihm? Kannte er Dich wieder?“

„Fast. Er zeigte mir seinen Harem.“

„Seinen Harem? Allah bewahre Deinen Kopf! Hat Dich die Sonne gestochen?“

„Ich bin gesund und bei Sinnen, Hassan; Du sollst Alles wissen. So höre!“

Ich erzählte ihm das Abenteuer des heutigen Nachmittages, aber ohne noch Etwas über meinen Entschluß, die Kranke zu befreien, verlauten zu lassen.

Seit ich nun wußte, warum mir Abrahim-Arha so bekannt vorgekommen war, hatte dieser Entschluß womöglich noch an Festigkeit gewonnen. Hassan hörte mir lautlos bis zum Shclusse meiner Erählung zu und beobachtete auch dann noch ein nachdenkliches Schweigen. Endlich frage er langsam und mit Betonung:

„Wann willst Du fortgehen von hier?“

„Noch diese Nacht.“

„Und die Rose dieses Mörders?“

„Sie wird mit mir gehen,“ antwortete ich, erstaunt über den Scharfsinn des Alten, welcher mich vollständig errathen hatte.

„Mein Sohn —“

„Laß Deine Zunge schweigen, mein Vater!“ fiel ich ihm in die Rede. „Ich weiß, was Du mir sagen willst und kenne meine Wege. Du sollst nicht sündigen an dem Gesetze des Propheten; aber zur Zeit des ersten Gebetes wirst Du mit dem Schiffe da sein, wo mein Kahn Dich erwartet.“

Wieder schwieg er eine geraume Zeit; dann antwortete er:

„Die Dahabïe ist nicht mein Eigenthum. Ich komme vom Bahr el abiad, wo ich Gummi und Senna bestellt habe, und reise als Gast zurück. Aber um die Zeit der Morgenröthe werden wir schon weit von diesem Orte sein.“

Damit war es abgemacht. Der alte „Vater der Schiffsführer“ stand in so hohem Ansehen bei seinen Standesgenossen, daß er auf jedem von ihm bestiegenen Schiffe sich getrost als Herr benehmen konnte, und ich m​wußte, daß

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er mir den größtmöglichen Schutz gewähren werde, trotzdem er als Muselmann sich nicht näher in eine Angelegenheit einlassen konnte, welche sich zwischen einem Weibe und einem Ungläubigen entwickeln sollte. —

In meine Wohnung zurückgekehrt, ging es vor allen Dingen nun eifrig an’s Einpacken. Meine Sammlungen gab ich in Obhut des mir freundschaftlich gesinnten Consuls, den ich noch besuchte, und alles Uebrige mußte Omar auf die Dahabïe besorgen. Sodann construirte ich mir eine Laterne, wie sie zu dem vorliegenden Zweck am besten geeignet erschien. Ich füllte nämlich ein kleines geschliffenes Fläschchen fast bis an den Rand mit feinem Oele und gab ein Stückchen Phosphor hinein; dann schloß ich die Vorrichtung luftdicht zu und hatte eine Laterne, die nicht nur einen genügenden Lichtschimmer verbreitete, sondern auch wenig Platz beanspruchte und selbst unter dem Wasser keinen Schaden erleiden konnte.

Zuletzt noch, als ich die Briefschaften in das Portefeuille schloß, fiel mir der letzte Brief meines Bruders in die Hände. Er war von Kairo datiert und lautete an einer seiner Stellen:

  … „Ich weiß, daß Du mit Deinem mehr auf die That gerichteten Character die Liebe für eine Schwäche hältst und kann leider Deine Ansicht auch nicht widerlegen, da Du noch kein Wesen getroffen hast, welches es verstanden hätte, sich aller Gefühle und Empfindungen Deines Herzens zu bemächtigen. Aber wenn Dir ein derartiges Wesen entgegen träte, wie ich es voll unendlicher Seligkeit in meinen Armen halte, so würde auch Dein Gemüth sich dem Sonnenstrahle der Liebe öffnen und alle Stimmen Deines Innern müßten zusammenklingen zu einem einzigen großen, unendlichen Jubel. Du weißt, daß ich ein nüchternes Menschenkind und kein Phantast und Schwärmer bin, aber seit ich in diese Auge geblickt, seit ich diese Lippen geküßt, seit diese Locken mir duften und diese Stimme mir klingt, habe ich einen guten Theil des trägen, irdischen Stoffes abgestreift und lebe in einer ununterbrochenen Entzückung, welche mich fast an die Himmel Muhamed’s glauben läßt. Lache und spotte meinetwegen über mich, aber komm’ und siehe selbst — ich bin überzeugt, daß dann Dein Spott verstummen wird! ....“

Wirklich hatte ich mich beim Lesen dieser Zeilen eines gewissen Lächelns nicht erwehren können; jetzt aber weckte die Wiederholung ganz andere Gefühle in meinem Herzen.

Welch’ eine Schickung, daß wir beide fast zu gleicher Zeit unsere bisher so widerstrebenden Nacken unter dem Scepter der Schönheit beugen mußten! Welch’ ein Glück, daß uns das Geschick grad’ in dieser seligen Zeit zusammenführen sollte! Und welch’ eine Wonne, welche uns im enggeschlossenen Kreise für die ganze Zeit unseres Lebens erwartete! —

Der Kahn stieß ab.

Es war eine jener Nächte, in denen die Natur in so tiefem Vertrauen ruht, als gäbe es auf der ganzen weiten Erdenrunde keine einzige drohende oder störende Macht.

Die leisen Lüfte, welche mit den Schatten der Dämmerung gespielt, waren zur Ruhe gegangen; die Sterne des Südens lächelten verschwiegen aus dem tiefblauen Dunkel des Himmels herab, und die Wasser des göttlichen Stromes flutheten ruhig und fast lautlos in ihrer breiten Bahn dahin. Wir ließen das klein, schwanke Fahrzeug von den Wellen treiben. Ich lehnte halb liegend am Steuer;

Omar saß regungslos und träumend bei den eingezogenen Rudern, und so gaben wir uns widerstandslos der Ruhe hin, welche jeder That, sei es in der großen Gottesnatur oder im Leben des schaffenden Menschen, voranzugehen pflegt.

Auch in den Tiefen meines Innern herrschte Ruhe, stille, friedliche Ruhe; es war, als zöge ein heiliger Gotteshauch über die Gefilde meines Herzens, und ich dachte unwillkürlich an die Worte des orientalischen Königs, welcher unter den Palmen Zions dem Herrn Jehova die Klänge seiner Psalmen opferte: „Meine Seele ist stille in Gott!“ Ja, so war es; die wahre Liebe lehnt sich an Gott, gründet sich auf das Vertrauen zu seiner Hülfe und spricht in der Stunde der Gefahr: „Mit dem Herrn wollen wir Thaten thun.“

Es war nichts Leichtes, was ich zu vollbringen gedachte; denn ich wollte mich in die Höhle des Löwen wagen, vor dessen Namen das ganze Nilthal, die angrenzenden Wüstenstrecken und die in ihnen zerstreuten Oasen gezittert hatten; die Schießwaffen mußte ich zurücklassen und sah mich also fast wehrlos ihm und den Seinen gegenübergestellt, falls ich überrascht und entdeckt wurde. In diesem Falle konnte ich auch auf den Beistand meines sonst so tapfern Dieners nicht zählen, denn dieser mußte zurückbleiben, um das Boot zu bewachen und den an das Ufer befestigen Kahn Abrahims in den Grund zu bohren, damit eine etwaige Verfolgung abgeschnitten und verhindert werde. Aber die Gefahr war mir so oft begegnet, daß ich mich nach und nach an sie gewöhnt hatte, und zudem galt es hier ja einen Preis, für den das größte Wagniß noch kein zu hohes Opfer genannt werden konnte.

Also vorwärts; bis zur Morgenröthe ist es keine Ewigkeit, und jetzt gilt es zu handeln; dort heben sich schon die dunklen Umrisse des Gebäudes aus ihrer grauen, steinigten Umgebung hervor!

Ich ließ mich eine Strecke oberhalb des Ortes, den Omar dann in einem weiten Bogen umfahren sollte, um weiter unten anzulegen, an das Land setzen und schritt dann vorsichtig, zwischen den zerstreut umherliegenden Felsenblöcken Deckung nehmend, der Mauer zu, um zunächst zu recognosciren.

Wie sich allerdings erwarten ließ, war das äußere Thor verschlossen; aber es war auch in keiner Weise die Spur eines lebenden Wesens zu bemerken, ein Umstand, welcher mich mit Genugthuung erfüllte, denn so konnte ich annehmen, daß die Bewohner der einsamen Hauses nicht mehr wach seien.

Trotzdem schritt ich nicht in aufrechter Stellung zum Kanale, sondern gebrauchte die auf keinen Fall schädliche Vorsicht, mich auf die Erde zu legen, um ihn kriechend zu erreichen.

Seine Wasser blinkten mir nicht sehr einladend entgegen; jedenfalls war es nicht angenehm, einem schönen weiblichen Wesen in triefender, vielleicht schlammiger Kleidung entgegen zu treten. Natürlich hatte ich nur diejenigen Stücke angelegt, welche unumgänglich nothwendig waren, und alles Andere im Boote gelassen. Ich warf einen Stein in das Wasser und hörte an dem dadurch hervorgebrachten Schalle, daß es nicht tief sei. Wirklich brauchte ich gar nicht zu schwimmen; es reichte mir kaum bis an den Mund, aber eine hohe Lage Schlamm hatte sich

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auf dem Boden abgesetzt, der mir das Vorwärtskommen sehr erschwerte.

Nach wenigen Schritten befand ich mich unter dem gewölbten Bogen der Leitung und zählte genau die Schritte, welche ich vorwärts that. Als ich mich nach meiner ungefähren Berechnung unter dem innern Hofe befinden mußte, senkte sich plötzlich die Wölbung bis herab auf die Oberfläche des Wassers, und ich wußte nun, daß ich mich in der Nähe des Bassins befinde. Die noch übrige Strecke mußte ich tauchend und in gebückter Stellung durchkriechen, was nicht blos höchst unbequem und anstrengend, sondern auch mit Gefahr verbunden war. Wie nun, wenn sich mir ein unvorhergesehenes Hinderniß in den Weg stellte und ich auch nicht so weit zurückkehren konnte, um den nöthigen Athem zu holen — oder wenn ich beim Emportauchen von irgend Wem bemerkt wurde? Es war doch immerhin möglich, daß sich Jemand in dem Hofe befinden konnte.

Aber alle diese Bedenken konnten mich nicht irre machen. Ich sog die Lunge voll Athem, bog mich unter das Wasser und schob mich, halb schwimmend, halb gehend, so schnell wie möglich vorwärts.

Eine ziemliche Strecke hatte ich zurückgelegt, und schon verspürte ich den eintretenden Luftmangel, als ich mit der Hand an ein Hinderniß stieß. Es war ein aus starken Stäben zusammengesetztes Gitterwerk, jedenfalls angebracht, um Thiere und grobe Unreinigkeiten von dem Bassin abzuhalten.

Bei dieser Entdeckung wollte sich doch eine gewisse Aengstlichkeit meiner bemächtigen.

Zurück konnte ich nicht, denn ehe ich die Stelle erreicht hätte, wo ich emportauchen und athmen konnten, war ich jedenfalls schon erstickt, und doch schien das Gitter sehr dauerhaft gearbeitet und befestigt zu sein. Aber hier gab es nur zwei Fälle: entweder gelang es mir, durchzukommen, oder ich mußte ertrinken.

Mit aller Gewalt stemmte ich mich gegen die Stäbe — vergebens; das Gitter war tief in die Mauer eingefügt. Jetzt faßte ich nur den einen Stab in seiner Mitte und zog ihn mit angestemmten Füßen an mich — er gab nach; das Wasser hatte ihn biegsam und morsch gemacht; — ein zweiter Ruck, und er brach — die nächsten folgten — jetzt war die Oeffnung groß genug zum Hindurchschlüpfen, und gerade in dem Augenblick, an welchem mir die Brust zu zerspringen drohte, stand ich im Bassin, hob den Mund über die Oberfläche des Wassers, schöpfte neuen Athem und zog dann aber sofort den Kopf wieder zurück, um mich erst zu überzeugen, daß ich unbemerkt sei.

In Folge der Anstrengung aller Muskeln und der Aufregung der Athmungswerkzeuge zitterte ich heftig am ganzen Körper; doch ging das schnell vorüber, und als ich nichts Verdächtiges bemerkte, befand ich mich bald außerhalb des Wassers und schlich mich in den Schutz des dunklen Schattenstreifens, welcher sich längs der Wand hinzog.

Ein Schreck aber blieb mir nicht erspart: bei der unausgesetzt gebückten und heftigen Bewegung war mir der Dolch entfallen. Zwar hatte ich, auch diesen Fall erwägend, nicht eine meiner besseren Waffen zu mir gesteckt, und der Verlust war also ein an sich nur geringer; kam ich aber in die Lage, mich vertheidigen zu müssen, so war

er doch groß genug, um mich ernstlich besorgt zu machen.

Zunächst schlich ich zum Thore, welches den inneren Hof von dem äußern abschloß; es war durch einen einfachen Riegel verschlossen, welcher sich leicht zurückschieben ließ. Dasselbe hatte ich auch an dem Thore bemerkt, welches sich draußen in der Mauer befand. Der Rückzug konnte also unschwer vor sich gehen.

Ich öffnete, schlich hinaus und holte mir eine jener Stangen, welche ich heut’ gesehen hatte. Sie waren als Stützen der Bäume verwendet worden und lagen jetzt, da diese Bäume längst eingegangen waren, zerstreut umher.

Sie war lang genug. Ich lehnte sie an die Mauer, klomm vorsichtig empor und bemerkte zu meiner großen Freude, daß das Fenstergitter nicht wieder geschlossen war. Mit einer Hand mich an der Stange haltend, schob ich die eine Hälfte leise und behutsam zurück und stand nach einigen vergeblichen und gefährlichen Versuchen endlich in dem Vorzimmer.

Aufmerksam horchend, vernahm ich die tiefen und regelmäßigen Züge eines Athmenden. Ich schlich mich näher, holte meine chemische Laterne aus der Tasche und ließ ihren phosphorescirenden Schein einen kurzen Augenblick lang auf den Schlafenden fallen.

Es war ein altes Weib, welches, mit dem Oberkörper an die Wand gelehnt, in orientalischer Weise auf einem ausgebreiteten Teppich ruhte. Ihr Schlaf war, wie ich nach aufmerksamerem Lauschen vernahm, kein gewöhnlicher. Leïlet hatte meine Worte: „mein Trank muß Schlaf und tiefe Ruhe bringen,“ wohl verstanden und der alten Dienerin einen Theil des Opiums gegeben.

Leise, leise schritt ich nun zur nächsten, durch einen Zeugstoff verhängten Thüröffnung, schob die Portiére​Portière zurück und befand mich im tiefsten Dunkel. Wieder lauschte ich, aber nicht der leiseste Lufthauch war zu bemerken, und schon wollte ich wieder zu der Leuchte greifen, als ich bis in das tiefste Mark hinein vor Schreck erbebte, dann aber von einer Seligkeit ergriffen und durchfluthtet wurde, wie ich sie noch nie empfunden hatte; eine kleine, weiche, warme Hand hatte die meine erfaßt und zog mich jetzt tiefer in das Zimmer.

„Salem aleïkum, Friede sei mit Dir!“ hauchte es ganz nahe an meiner Wange. „Ich wußte, daß Du kommen würdest.“

„Wer sagte es Dir?“ fragte ich leise.

„Dein Auge und mein Herz. Hattest Du nicht deshalb das Gitter geöffnet?“

„Ja, ich bin’s gewesen. Aber wenn ich nicht schon heut’ gekommen wäre?“

„Ich hätte Dich erwartet, morgen, später, zu jeder Zeit, in jeder Nacht!“

Sie hatte mich verstanden, mir geglaubt, mir vertraut! Eine Wonne durchzitterte meine Seele, wie sie von keiner Sprache, von keiner Rede beschrieben werden kann.

„Willst Du mit mir gehen?“

„Ja.“

„Bist Du sein Weib?“

„Nein.“

Dieses „Nein“ klang so fest und energisch, daß ich seine Bedeutung in seinem ganzen Umfange fühlen mußte.

„Wo ist er?“

„In seinem Divan. Er schläft.“

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„Auch von der Medizin?“

„Nein. Er ist zu klug und hätte es entdeckt.“

„Hörtest Du mich kommen?“

„Ja. Mein Herz hat gezittert, und die Angst fesselt meine Glieder. Er kommt des Nachts sehr oft bis an die Thür.“

„So laß uns fliehen! Wie gehen wir?“

„So wie Du kamst; kein anderer Weg ist möglich.“

Sie schritt in eine Ecke des Zimmers und drückte, zu mir zurückgekehrt, mir das Ende einer starken Schnur in die Hand, welche sie sich um den Leib befestigt hatte. Bei dieser Berührung bemerkte ich das angstvolle Beben ihrer Finger.

„Wirst Du das halten?“

„Ja.“

In der andern Hand trug sie ein ziemlich umfangreiches Bündel, welches sie vorsichtig aus dem Fenster fallen ließ. So fest hatte sie an mich geglaubt, so sicher hatte sie mein Kommen gewußt, daß sie vollständig zur Flucht vorbereitet war.

Sie stieg in die Fensteröffnung. Ungewohnt einer solchen Anstrengung, konnte sie die nöthige Vorsicht nicht anwenden; eine der alten morschen Holzleisten brach mit lautem Krachen los und stürzte prasselnd hinab auf die Steine. Hier gab es kein Säumen, denn dieses Geräusch mußte man im entferntesten Winkel des Hauses gehört haben. Ich bog mich neben ihr hinaus und zog die Stange herbei. Die Angst gab ihr die nöthigen Kräfte, und an der Schnure von mir gehalten, glitt sie langsam hinab.

Kaum aber hatte sie den Boden berührt, so hörte ich rasche Schritte sich von der Seite der Männerwohnung nahen. Ich schwang mich auf die Brüstung und sprang, die Stange gar nicht benutzend, hinunter in den Hof. Dort griff ich das Bündel auf, faßte das Mädchen am Arme und zog sie in größter Eile nach dem Thore.

Da ertönte ein Schrei hinter uns, der aus gar keiner menschlichen Kehle zu kommen schien, und dann war es still. Aber diese Stille war eine gefährliche; er war nach Waffen gesprungen. In raschem Lauf flohen wir über den äußern Hof. Der Riegel des Thores ließ sich von unkundiger und ängstlicher Hand schwer regieren und raubte uns die kostbarsten Augenblicke. Endlich flog er zurück, aber hinter uns schnaubte auch schon der Verfolger. Noch waren wir nicht weit über die Mauerecke gekommen, als er aus dem Thore gesprungen kam. Ich zeigte nach der Stelle, an welcher ohngefähr ich Omar vermuthete.

„Fliehe dorthin; ich werde ihn halten!“

Er kam näher; ich sprang auf die Seite, um ihn zum Schusse zu verleiten. Es gelang. Die Kugel pfiff an mir vorüber und ich stürzte wie getroffen zur Erde. Was ich erwartet hatte, geschah: sich gar nicht um mich kümmernd, sprang er dem Mädchen nach.

Sofort erhob ich mich wieder, flog hinter ihm her, packte ihn mitten im Laufe, so daß er zum Stehen kam, und schlug ihn, noch ehe er zu einem Entschlusse kommen konnte, mit der Faust zu Boden.

Ich wußte, daß er schon nach wenig Secunden wieder zu sich kommen werde, auch mußten die übrigen Bewohner des Hauses ihm sofort folgen, deshalb faßte ich das Mädchen am Arme und rief laut nach meinem Diener. Aber da tauchte auch schon seine Gestalt vor uns auf. Er war bei

dem Schusse aus dem Boote gesprungen, um mir zu Hülfe zu kommen. Jetzt drückte er mir vor allen Dingen den Revolver in die Hand und eilte uns dann voran.

Er hatte, um gleich abstoßen zu können, das Fahrzeug nicht vollständig auf das Trockene gebracht. Ohne mich lange zu besinnen, nahm ich deshalb Leïlet auf die Arme und trug sie durch das Wasser. Auch das Kleiderbündel war gerettet und die größte Gefahr jedenfalls vorüber, trotzdem wir die Verfolgung jetzt wieder von Neuem hörten.

Eben legte Omar die Ruder ein und ich zog das Steuer auf die Seite, als zwei Männer am Ufer erschienen. Es war der wieder zu sich gekommene Abrahim und der Diener, welcher uns heut’ gerudert hatte. Mit einem lauten Fluche sprang der Erstere in’s Wasser und faßte mit den beiden Händen den Rand unseres Bootes. Da aber hob Omar das eine Ruder in die Höhe und ließ es mit so wuchtigem Schlage auf die Finger des Egypters fallen, daß dieser mit einem schrillen Schmerzensschrei fahren ließ.

Der Andere stand wie eine Bildsäule am Ufer; er schien jetzt erst zu bemerken, um was es sich eigentlich handle. Mein tapferer Haushofmeister erhob sich jetzt von der Ruderbank und rief, ihm die gravitätischesten seiner Grüße zuwinkend:

„Warum stehst Du da, Djemmel, Kameel, und wunderst Dich? Habe ich Dir nicht gesagt, daß wir heut’ abreisen? Strecke Deine Arme aus, Du Inbegriff aller Weiheit, und ziehe den Fisch aus dem Wasser, den Du Abrahim-Arha, Deinen Gebieter nennst. Allah tröste Euch; Salem, Salem aleïkum!“

Es war uns leicht, den Eindruck zu beobachten, welchen diese salbungsvolle Rede auf den armen erschrockenen Mann machte, denn der Morgen begann sich zu röthen, und da drüben kam auch schon eine Dahabïe herabgesegelt, in welcher ich die erwartete vermuthete. Ich hatte mich nicht getäuscht; als wir uns ihr näherten, erkannte ich Hassan, den Reïs, welcher vorn am Schnabel stand und uns zuwinkte.

Leïlet hatte gleich nach der Besteigung des Bootes ihre Schleier umgelegt und zog sich, als wir auf dem Schiffe angekommen waren, sofort in die Kajüte zurück. Ich dagegen schritt zu Hassan, um zu erforschen, in wie weit die Mannschaft auf meine Anwesenheit vorbereitet sei.

„Marhaba, Du sollst willkommen sein!“ sprach er, meine Absicht errathend. „Du bist mein Freund, mein Sohn!“

Er hatte deutlich gesprochen. Daß er das Mädchen nicht erwähnte, belehrte mich, daß er mir Gastfreundschaft im vollsten Umfange gewähre, aber alle weitere Verantwortung von sich weise. Ich öffnete mein Portefeuille und winkte den Kapitän herbei:

„Wem gehört dieses Schiff?“

„Dem Herrn gehört’s, Effendi!“

Es war Eigenthum der Regierung, ein glücklicher Umstand für mich. Ich hielt ihm meinen Firmahn entgegen.

„Kennst Du diese Schrift?“

„Ich kenne sie, Effendina!“ antwortete er mit einer dreimaligen und so tiefen Verneigung, als stehe er vor seiner Unüberwindlichkeit, dem Großherrn selbst.

(Fortsetzung folgt.)

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Leïlet.

Novelle von M. Gisela.

(Fortsetzung.)

„So wisse: Wenn ich mit Dir zufrieden bin, wird meine Gnade über Euch leuchten; thut Ihr aber gegen meinen Willen, so werden Eure Füße den Zorn der Peitsche fühlen.“

Ich kannte diese Leute und wußte mit ihnen umzugehen. Wie sehr Omar-Arha in dieser Beziehung mit mir sympathisirte, bewies er mir sehr deutlich, indem er jetzt, kaum zwei Minuten nach unserer Ankunft, schon vollständig bewaffnet und mit der Nilpeitsche in der Hand auf dem Decke umherstolzirte.

Der Morgenwind lag voll in den großen dreieckigen Segeln, so daß das Fahrzeug eine recht gute Fahrt machte. Wir waren schon eine ansehnliche Strecke stromabwärts getrieben, trotzdem aber bemerkte ich mit Hülfe meines guten Glases, daß an dem einsamen Hause mehrere Personen an der Stelle beschäftigt waren, wo Omar das Boot Abrahims in das Wasser gesenkt hatte. Man war also doch Willens gewesen, uns auf das Schiff zu folgen, hatte aber in Folge unserer Maßregel diesen Vorsatz glücklicher Weise nicht ausführen können.

So sehr mich dies befriedigte, mußte doch ein anderer Umstand die lebhafteste Besorgniß in mir erregen. In nicht großer Entfernung hinter uns segelte nämlich ein Sandal, eine jener langgebauten und starkbemannten Barken mit großen Segeln, welche fast mit einem Dampfer um die Wette gehen. Man hatte sie angerufen und ich sah deutlich, daß sie ihre Leinwand fallen ließ, um dem Rufe Gehör zu schenken. Wurde Abrahim mit dem Besitzer des Schiffes einig, so konnten wir ihm zu Wasser nicht entkommen und die jetzt so günstig scheinenden Umstände mußten sich für uns in höchst bedrohliche verwandeln.

Der Tag war vergangen. Wir hatte der Windstille wegen anlegen müssen und verfolgten nun am andern Morgen mit vollgeblähten Segeln unsern Weg weiter.

Wenn man die Art und Weise, mit welcher der überschwängliche und geräuschvolle Südländer seine Geschäfte betreibt, abrechnet, so konnten wir von einer recht ruhigen und angenehmen Fahrt reden. Die ganze Bemannung des Schiffes mit sammt dem Kapitän hielt sich in durchaus respectvoller Entfernung von uns und ließen uns mit einer Freiheit schalten und walten, welche wir jedenfalls meinem Firmahn und dem Umstande zu verdanken hatten, daß ich ein Franke war. Der Reïs wußte recht wohl, daß die abendländischen Consuls nicht spaßen, wenn es gilt, einen unter ihre Protection gehörenden in nachdrücklichen Schutz zu nehmen. Die besondere Freundschaft des Hassan trug natürlich das Ihrige ebenfalls bei, uns die wünschenswertheste Rücksicht zu verschaffen.

Mit Leïlet hatte ich nur die nothwendigesten Worte gewechselt. Ich wollte ihr Zeit zur Sammlung und Einkehr geben und durfte die Vortheile meiner Stellung zu ihr nicht geltend machen. Es kam mir nicht in den Sinn, ihr gegenüber mit orientalischen Forderungen aufzutreten; die Zeit mußte die gewünschten Blüthen entwickeln, und was ihre sonstigen Verhältnisse betraf, so sah ich einer darauf bezüglichen Mittheilung zwar mit unleugbarer Spannung entgegen, wollte aber die Zeit und den Umfang dieser Eröffnungen ihrem eigenen Ermessen überlassen.

Ich stand neben dem Mustahmel, dem Steuermann, auf dem Dache der Kajüte, von wo aus mir ein freier Blick über den ganzen Horizont gestattet war. Abrahim war nicht der Mann, von einer Verfolgung abzusehen, vielmehr hatte ich die feste Ueberzeugung, daß er alles Mögliche und Unmögliche aufbieten werde, mir meinen schönen Raub wieder abzujagen und seiner Rache den größten Vorschub zu leisten. Nach den Gesetzen des Landes hatte ich ein todeswürdiges Verbrechen begangen, und der an seinem besten Eigenthume, in seinen heiligsten Rechten Beschädigte konnte mich einfach niederschießen, wo und wie er mich nur immer fand, ohne den geringsten Schaden von diesem Acte der Selbstjustiz davonzutragen. Meine Lage war also keine ganz beruhigende, und mit einem der Sorge sehr verwandten Gefühle beobachtete ich einen Gegenstand, welcher unsern Lauf verfolgte und unserem großen und darum wenig schnell segelnden Fahrzeuge immer näher rückte.

Erst hatte ich blos die Mastenspitzen gesehen, welche sich deutlich am Horiztonte abhoben, nach und nach aber waren die großen lateinischen Segel voll und deutlich hervorgetreten, und jetzt war auch der lange schmale Rumpf zu erkennen, welcher sich unter dem schweren und nachhaltigen Drucke des Morgenwindes mit erstaunlicher Schnelligkeit durch die Fluth bewegte. Es war derselbe Schnellsegler, welchen Abrahim-Arha gestern angerufen hatte; ich erkannte ihn sofort an einer ausgebesserten Stelle des Vordersegels, welche mir gestern aufgefallen war.

Ich sprang vom Dache herab und trat an den Bug des Schiffes, wo sich stets der Sitz des Reïs befindet, welcher das Fahrwasser zu prüfen und dem Mustahmel seine Befehle darnach zu ertheilen hat. Er erhob sich.

„Siehst Du den Sandal dort hinten?“

„Ich sehe ihn, Effendi. Er gehört meinem Freunde Chalihd Ben Mustapha und ist das beste Schiff zwischen dem Sudan und Kahira.“

„Dein Freund Chalihd Ben Mustapha wird heute noch zu seinen Vätern gehen.“

„Ich höre, was Dein Mund spricht, aber ich verstehe es nicht!“

Er hat sein Schiff einem Manne geliehen, der mein Todtfeind ist. Es wird die Kugel zwischen uns gewechselt

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werden, und mein erster Schuß wird Chalihd Ben Mustapha wegnehmen.“

„Allah behüte uns, Effendi! Warum soll der Sohn Mastapha’s büßen die Sünde Deines Feindes?“

„Weil er ihm sein Schiff leiht, mich zu verfolgen.“

„Ich werde nicht erlauben, daß hier auf meinem Fahrzeuge sich der Geruch des Pulvers erhebt!“

„Rabbena chelïek, der Herr erhalte Dich! Denn wenn Deine Seele nur eine Sylbe denkt, was mir nicht gefällt, so wird die erste Kugel nicht Deinen Freund, sondern Dich selbst treffen. Jetzt weißt Du meine Worte. Allah lenke Deine Gedanken!“

Hassan hatte Alles gehört und sprach, als ich mich entfernt hatte, mit dringlichen Geberden zu dem Reïs. Ich konnte jetzt nichts weiter thun und mußte das Kommende geduldig abwarten.

Die Ermahnungen meines alten Beschützers schienen doch nicht ohne Erfolg zu sein, denn es dauerte nicht lange, wurde noch eine Trikehta, ein kleineres Segel, beigesetzt, um die Schnelligkeit des Schiffes zu vergrößern. Doch merkte ich gar bald, daß die Entscheidung dadurch höchstens verzögert, nicht aber aufgehoben werde.

Natürlich war ich fest entschlossen, Alles, selbst das Aeußerste zu wagen. Unter Umständen hätte ein Geldgeschenk große Wirkung gehabt, aber ich kannte diese Art Leute gut genug und wußte, daß die Peitsche Omars und meine Büchse mir größeren Respect verschaffen würden, als sonst ein anderes Mittel.

Diese Meinung wurde auch sofort bestätigt; denn einer der jungen Schiffer bestieg das kleine Boot und blieb zurück. Wenn ich diesen Vorgang auch nicht zu beachten schien, so wußte ich doch, daß er den Befehl erhalten hatte, Chalihd Ben Mustapha vor meiner Kugel zu warnen. Der Orientale weiß, daß der Europäer bessere Waffen besitzt und ein sichererer Schütze ist, als er, und hegt deshalb eine ganz besondere Abneigung, sich der Mündung einer fränkischen Büchse gegenüberzustellen.

Die Zeit verging, der Sandal kam immer näher und hatte uns endlich so weit eingeholt, daß der zurückgelassene Bote wieder zu uns stoßen konnte. Seine Botschaft war nicht unberücksichtigt geblieben, denn obgleich das eine Segel eingenommen wurde, um gleichen Schritt mit uns zu halten, steuerte man doch nicht auf uns zu, sondern hielt sich immer in vorsichtiger Entfernung, und als ich mit meinem Rohre jetzt einen ziemlich entfernten Würgfalken, welcher fischend über das Wasser zog, herunterholte, war ich fest überzeugt, die guten Leute in eine heilsame Angst versetzt zu haben.

Abrahim-Arha war mit dieser außerordentlichen Vorsicht natürlich nicht zufrieden. Ich sah ihn unter den drohendsten Gesten drüben herumrennen und sich endlich mit Gewalt des Steuers zu bemächtigen. Der Sandal dreht sich herum und hielt auf uns zu.

Ich schritt, die Büchse in der Hand, auf den Reïs zu.

„Siehst Du Deinen Freund Chalihd Ben Mustapha, den Kapitän, vorn am Buge sitzen?“

„Ich sehe ihn, Effendi!“

„Ich werde zu ihm sprechen, um ihn zu warnen.“

„Allah erleuchte Dich, Effendina! Willst Du ihm das Leben rauben?“

„Nein, jetzt nur die Reiherfeder, welche auf seinem Tarbusch weht!“

Ich hob’ die Büchse; der Schuß krachte, und die Feder war verschwunden. Selbst das entsetzlichste Unglück hätte den würdigen Ben Mustapha nicht so in Aufregung versetzen können, wie dieser Warnungsschuß. Er fuhr in die Luft, als beständen seine hagern Glieder aus dem besten Gummi elasticum, stürzte sich, den bedrohten Kopf mit beiden Händen haltend, unter hellem Zeder auf Abrahim zu und drängte ihn mit von der Angst verdoppelten Kräften vom Steuer hinweg. Der Sandal machte eine Wendung und hielt wieder von uns ab.

Diese Gefahr schien überstanden, aber zwei größere standen uns noch bevor. Schon seit einiger Zeit hatten wir bemerkt, daß die Wogen mit größerer Gewalt und Schnelligkeit vorwärts strebten und die jetzt felsig gewordenen Ufer einander immer näher traten. Wir näherten uns einer jener Stromschnellen, welche, mehr oder weniger gefahrdrohend für den Schiffer, dem Verkehre auf dem Nile fast unübersteigliche Hindernisse entgegenstellen. Die Feindschaft der Menschen mußte jetzt schweigen, damit sich die ungetheilte Aufmerksamkeit Aller auf das Element richten konnte. Die andere Gefahr drohte mir in einer etwaigen Untersuchung meiner Angelegenheit vor dem Richter, der ich nach der jetzigen Lage der Dinge wohl kaum entgehen konnte. Selbst wenn wir die Schnelle glücklich überstanden, waren wir früher oder später gezwungen, anzulegen, und dann brachte Abrahim den Raub jedenfalls sofort zur Anzeige.

Da ertönte die Stimme des Reïs über das Deck:

„Blickt auf, Ihr Männer, der Schellahl, der Katarakt kommt! Tretet zusammen und betet die Fathcha!“

Die Leute folgten der Weisung und beteten im Chore die erste Sure des Korans:

„Behüte uns, o Herr, vor dem von Dir gesteinigten Teufel!“

„Im Namen des Allbarmherzigen!“ intonirte der Reïs, und die Andern fielen ein:

„Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, zu Dir wollen wir flehen, auf daß Du uns führest den rechten Weg, den Weg Derer, die Deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg Derer, über welche Du zürnst, und nicht den Weg der Irrenden. Amen!“

Die Worte und Werke der Religion sind dem Muhamedaner keine Formeln, sondern sie sind ihm tief empfundene Wahrheit. Die kurzen Worte ergriffen auch mich mächtig. Nicht Furcht vor der Gefahr war es, was sich meiner bemächtigte, sondern Ehrfurcht vor der im tiefen Herzen eingewurzelten Religiösität dieser halbwilden Menschen, welche Nichts thun und beginnen, ohne sich Dessen zu erinnern, der in dem Schwachen mächtig ist.

„Wohlan, Ihr jungen Männer, Ihr muthigen Helden, geht an Eure Plätze,“ gebot nun der Führer, „denn der Strom hat uns jetzt ergriffen!“

Das Commando eines Nilschiffes läuft nicht so ruhig ab, wie die Führung eines Fahrzeuges auf abendländischem Gewässer. Das heiße Blut des Südens rollt durch die Adern und treibt den Menschen von dem Extrem der ausschweifendsten Hoffnung herab auf dasjenige der tiefsten Verzweiflung. Alles schreit, ruft, brüllt, heult, betet oder flucht im Augenblicke der Gefahr, um im nächsten Momente noch lauter zu jubeln, zu singen und zu jauchzen. Dabei arbeitet ein Jeder mit Anspannung aller Kräfte

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und der Schiffsführer springt von Einem zum Andern, um Jeden anzufeuern, tadelt die Säumigen in Ausdrücken, wie sie nur ein Araber sich auszudenken vermag, und belohnt die Andern mit den süßesten und zärtlichsten Namen, unter denen das Wort „Held“ sich am meisten wiederholt.

Wir hatten uns schon heut Morgen auf das Passiren der Schnelle vorbereitet und Reservemannschaft eingenommen. Jedes Ruder war doppelt besetzt, und am Steuer standen drei Barkenführer, welche jeden Fußbreit des Stromes hier kannten.

Mit furchtbarer Gewalt rauschten die Wogen jetzt über die kaum vom Wasser bedeckten Felsenblöcke; die Wellen stürzten schäumend über das Deck und der Donner des Kataraktes übertäubte jedes Kommandowort. Das Schiff stöhnte und krachte in allen Fugen; die Ruder versagten ihre Dienste, und, dem Steuer vollständig ungehorsam, tobte die Dahabïe durch den kochenden Gischt.

Da treten die schwarzen, glänzenden Felsen vor uns eng zusammen und lassen nur noch ein Thor offen, welches kaum die Breite unseres Schiffes hat. Die Wogen werden durch dasselbe förmlich hindurchgepreßt und stürzen sich in einem dicken mächtigen Strahle nach unten in ein Becken, welches übersäet ist von haarscharfen und nadelspitzen Steinblöcken. Mit sausender Hast schießen wir dem Thore zu. Die Ruder werden eingezogen. Jetzt sind wir in dem furchtbaren Loche, dessen Wände uns zu beiden Seiten so nahe sind, daß wir sie mit den Händen erreichen können. Als wolle es uns hinaustreiben in die Luft, so schleudert uns die rasende Gewalt der Strömung über die sprühenden Kämme des Falles hinaus; wir stürzen hinab in den Schlund des Kessels; es brodelt, spritzt, rauscht, tobt, donnert und brüllt um uns her, als wären die Geister von tausend Höllen losgelassen — da packt es uns wieder mit unwiderstehlicher Macht und reißt uns eine schiefabfallende Ebene hinab, deren Wasserfläche glatt und freundlich vor uns liegt, aber gerade unter dieser Glätte die gefährlichste Tücke birgt, denn wir schwimmen nicht, nein, wir fallen, wir stürzen mit rapider Vehemenz die abschüssige Bahn hinab, und —

„Allah kerihm, Gott ist gnädig!“ tönt jetzt die schrille Stimme Hassans. „An die Ruder, an die Ruder, Ihr Männer, Ihr Helden! Seht Ihr den Tod denn nicht vor Euch? Amahl, amahl, ja Allah amahl, macht, macht, bei Gott, macht, Ihr Hunde, Ihr Feiglinge, Ihr Söhne, arbeitet, arbeitet, Ihr Männer, Ihr Tapfern, Ihr Helden!“

Wir schießen einer Scheere zu, welche sich gerade vor uns öffnet und uns im nächsten Augenblicke vernichten muß. Die Felsen sind so scharf und der Fall des Stromes so reißend, daß von dem Schiffe kein handgroß Holzes beisammen bleiben kann.

„Allah ja sahtir, o Du Bewahrer, hilf! Links, links, Ihr Hunde, Ihr Söhne von Hunden, Ihr Enkel von Hundesöhnen, links, links mit dem Steuer, Ihr Braven, Ihr Herrlichen, Ihr Unvergleichlichen! Allah, Allah! Maschallah, Gott sei Dank!“

Das Schiff hat den fast übermenschlichen Anstrengungen gehorcht und ist vorübergeflogen. Auf einige Augenblicke befinden wir uns im ruhigen Fahrwasser und Alles stürzt auf die Kniee, um dem Allmächtigen zu danken.

„Eschhetu inu la il laha il Allah!“ tönt es jubelnd über das Deck. „Bezeuget, daß es nur einen Gott giebt! Sellem aaleïna be baraktak, begnadige uns mit Deinem Segen!“

Da kommt es hinter uns hergeschossen, wie von der Sehne eines Bogens geschnellt. Es ist der Sandal, welcher dieselben Gefahren hinter sich hat, wie wir. Seine Schnelligkeit ist jetzt wieder größer als die unsrige, und er muß an uns vorüber. Aber das offene Fahrwasser ist so schmal, daß wir nur mit Mühe auszuweichen vermögen, und fast Bord an Bord rauscht er vorbei. Am Maste lehnt Abrahim-Arha, die Rechte hinter sich versteckend. Mir gerade gegenüber reißt er die verborgen gehaltene, lange arabische Flinte an die Wange — ich werfe mich nieder — die Kugel pfeift über mich hinweg — und in der nächsten Secunde ist der Sandal uns weit voran.

Alle haben den Meuchelversuch gesehen, aber Niemand hat Zeit zur Verwunderung oder zum Zorne, denn wieder packt uns die Strömung und treibt uns in ein Labyrinth von Klippen. Eben will ich einmal nach der Kajüte, um mich von dem Befinden Leïlets zu überzeugen, als mich ein lauter Schrei zurückblicken heißt.

Der Sandal ist an einen der Felsen gerannt und von der Gewalt des Stoßes ein Mensch über Bord geworfen worden. Die Schiffer schlagen die Ruder in die Fluth und das nur leicht beschädigte Fahrzeug schießt, von den Wogen erfaßt, wieder frei davon. Aber der Herabgestürzte hängt im Wasser, sich verzweiflungsvoll an die Klippe klammernd. Ich ergreife einen der vorhandenen Dattelbaststricke, eile an das Seitenbord und werfe ihn dem Bedrohten zu — er faßt darnach, ergreift ihn und wird emporgezogen — — es war Abrahim-Arha.

Glücklich auf dem Decke angekommen, schüttelte er das Wasser aus dem Gewand und stürzte dann mit geballten Fäusten auf mich zu. Aber, wie sich besinnend, hielt er mitten in dieser Bewegung inne, drehte sich ab und eilte nach der Kajüte. Aber ehe er den Eingang noch erreicht hatte, stand ich schon vor demselben.

Die Stromschnelle war in ihren gefährlichsten Stellen glücklich durchschifft, und wir konnten uns nun mit der nöthigen Muße unserer Privatangelegenheit zuwenden. Aber wie es schien, sollte mir das Handeln jetzt noch erspart bleiben, denn Omar war herbeigesprungen, riß den Gegner beim Genicke zurück und hielt ihm die gespannte Pistole entgegen.

„Abrahim-Arha, vergissest Du, daß ich der Diener meines Gebieters bin und den Zugang zu seinem Harem zu behüten habe?“

„Hinweg mit Euch, Ihr Räuber! Allah möge —“

„Abrahim-Arha, schweige, sonst ist Deine Seele im nächsten Augenblicke da, wo die Bürger der Hölle wohnen. Beim Barte des Propheten, ich scherze nicht!“

Mein guter Omar fühlte sich in seinem Amte gekränkt, und wenn dies der Fall war, so gab es keinen energischeren Kopf als ihn. Abrahim mochte das erkennen und trat zurück. Er stand hier allein Zweien gegenüber und war klug genug, den Kampf einstweilen aufzugeben. Aber in jedem seiner Züge war der unumstößliche Entschluß zu lesen, ihn bei der nächsten Gelegenheit mit doppelter Kraft wieder zu beginnen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte er sich ab und nahm auf einem der Sennesblätterpackete Platz, welche, da der Raum die ganze Ladung nicht

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gefaßt hatte, auf die Planken des Verdeckes befestigt worden waren.

Am nächsten Landeplatze mußten die oberhalb der Stromschnelle eingenommenen Schiffer wieder an das Land gesetzt werden. Unsere Dahabïe wandte sich deshalb dem Ufer zu. Doch gebot ich dem Reïs, keine Zeit zu verlieren und sofort wieder abzustoßen. Obgleich er seinen Leuten gern die nach der gehabten Anstrengung so nothwendige Ruhe gegönnt hätte, war er doch bereit, auf meinen Wunsch einzugehen, wurde aber leider davon abgehalten; denn als wir uns dem Ufer näherten, kam uns ein Boot entgegengerudert, welches von finsterblickenden Männern besetzt war, die sofort zu uns an Bord stiegen. Es waren Khawassen — Polizisten.

Die Bemannung des Sandal, welcher hier gelandet war, um die erlittene Beschädigung auszubessern, hatte von dem Frauenraube erzählt, und so durfte ich mich über den unliebsamen Besuch nicht wundern. Zudem war der fürtreffliche Chalid Ben Mustapha eilenden Fußes zum Richter gesprungen und hatte eine so wohlgesetzte Rede gehalten von dem ungläubigen Mörder, Räuber, Aufrührer und Empörer, daß ich sehr zufrieden sein mußte, mit dem Köpfen oder Säcken davonzukommen.

Da die Gerechtigkeit in jenen Ländern von der wichtigen Institution der Actenstöße noch keine Ahnung hat und deshalb sehr schnell und summarisch verfährt, so wurden wir sammt und sonders in Beschlag genommen und sofort „anhero transportirt“. Selbst Leïlet, tief verschleiert, wurde in eine Sänfte genöthigt und mußte unserem Zuge folgen, der bei jedem weiteren Schritte größer wurde, weil Jung und Alt, Groß und Klein sich ihm anschloß. Doch noch im Vorübergehen rief sie mir einige Worte in italienischer Sprache zu, welche alle meine Befürchtungen sofort verscheuchten:

„Ich bin eine Christin und von ihm gewaltsam entführt worden!“

Welcher Grund sie bisher auch veranlaßt haben mochte, zu schweigen, jetzt erkannte sie, daß diese Mittheilung nothwendig und von größtem Vortheile für mich sein müsse. Aber wie kam sie zu dem Italienisch — wer und woher war sie?

Der Sahbeth-Bei oder Polizeidirektor saß mit seinem Sekretair schon unserer Ankunft gewärtig.

Er trug die Abzeichen eines Majors, sah aber weder sehr kriegerisch noch überhaupt übermäßig intelligent aus. Wie die Bemannung des Sandal schien auch er den verunglückten Abrahim-Arha für ertrunken gehalten zu haben und behandelte jetzt den vom Tode Auferstandenen mit einem Respekte, aus welchem ich auf die Furcht schließen konnte, in welche sich der frühere Hedjahn-Bei zu setzen gewußt hatte.

Nachdem er diesem eine Pfeife angeboten, welche natürlich auch angenommen wurde, begann die Verhandlung mit dem Berichte, welchen Abrahim über das Geschehene machte. Ich hatte mich auf den Divan niedergelassen, von welchem ich mich trotz der Aufforderung des Sahbeth-Bei auch nicht wieder erhob.

Nach beendigtem Vortrage des Anklägers wandte sich der Mann der Polizei zu mir:

„Was hast Du zu den Worten des Arha, den Allah beschützen möge, zu sagen, Franke?“

„Nichts.“

„Du giebst also die Wahrheit Dessen, was ich gehört habe, zu?“

„Ja.“

„Gut. Du bist schuldig und wirst nachher Deine Strafe vernehmen!“

Sich zu Omar wendend, fuhr er in seinem zornigsten Tone fort:

„Weißt Du, was Dich erwartet, Hund von einem Sclaven? Denke nicht, daß Du unter dem Schutze dieses Ungläubigen stehest, welcher sich auf seinen Consul berufen wird! Du bist Unterthan des Großherrn — Allah mehre seine Herrlichkeit — und hast den Tod verdient. Ich werde Deine verruchte Seele vorbereiten. Khawassihn, bringt die Peitsche!“

Die verhängnißvolle Kette mit den Lederriemen zur Bastonade wurde herbeigeholt, und die Diener der Gerechtigkeit näherten sich meinem braven Haushofmeister, um die stets gern gesehene Execution an ihm zu vollziehen. Mit angstvollen und hülfesuchenden Blicken flehte er zu mir herüber.

„Besch juhs, gebt ihm fünf Hundert!“ lautete der Befehl.

Jetzt erhob ich mich.

„Laß die Diener Deiner hohen Gerechtigkeit noch ein Wenig verziehen, o Bimbaschi, und wirf den Blick Deines erleuchteten Auges auf diese Schrift!“

Ich winkte Omar und ließ durch ihn den Fermahn überreichen.

„Was soll’s mit diesem Schreiben?“

„Ich fordere, daß Du die ersten Worte desselben laut vorliesest oder durch Deinen Sahbeth-Effendi vorlesen lässest!“

Er gab das Pergamentpapier seinem Secretair, und dieser las:

„Der Inhaber dieses Buiruldu ist der Kapitän-Effendi N. N. aus N., der auf Befehl seines Königs in Egypten, Nubien und Habesch reist —“

„Halt, jetzt weißt Du, wer ich bin, und nun befiehl Deinem Diener, die letzten Zeilen zu lesen!“

Es geschah.

„Es ist ihm alle Ehre zu erweisen; man soll ihm Schutz und Hülfe geben und seine Wünsche so erfüllen, daß er bei seiner Rückkehr uns nur Gutes von unserem Lande erzählen kann!“

Das Gesicht des ehrwürdigen Bei wurde bei diesen Worten um Einiges länger, als es vorher gewesen war. Noch größer aber wurde seine Unruhe, als ich fortfuhr:

„Willst Du mir wohl sagen, o Bimbaschi, welche Ehre ein Beamter dem Fermahn Seiner Majestät zu erweisen hat? Du hast ihn in die Hand genommen und wieder fortgegeben, wie eine Düte, aus welcher die Datteln gefallen sind!“

„Ich wußte nicht, daß Du einen Fermahn besitzest.“

„Gut. Ich werde Seiner Unübertrefflichkeit erzählen, daß Du zuweilen Etwas nicht weißt, was Du doch wissen solltest. Aber noch schlimmer ist es für Deine Seele, daß Du nicht gelernt hast, den Kläger von dem Angeklagten zu unterscheiden. Wer hat Dir befohlen, den Verbrecher mit Ehren zu überhäufen und den Beschädigten zu verurtheilen, ohne ihn zu hören?“

Eine lautlose, tiefe Stille war während meiner Worte unter der vorher ziemlich unruhigen Versammlung eingetreten. Das Gesicht des Beamten bekam einen geradezu

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unbeschreiblichen Ausdruck totaler Verblüffung, und vollständig rathlos wanderte sein kleines, nichtssagendes Auge zwischen mir und Abrahim-Arha hin und her. Dieser Letztere war von seinem Divan emporgefahren und rief:

„Kelb, Hund, was wagest Du?“

Ohne diese Beschimpfungen zu beachten, fuhr ich fort:

„Ich bin es, o Bimbaschi, der hier die Klage zu erheben hat. Ich klage diesen Mann, den Ihr jetzt Abrahim-Arha nennt, um seine früheren Thaten zuzudecken, des Frauenraubes an. Er hat meine Freundin mit Gewalt entführt, und sie ist nicht eine Tochter des Islam, sondern eine Christin. Ich habe sie seinen Händen wieder entrissen, wie es mir die Pflicht und die Gerechtigkeit gebot, und Du willst uns bestrafen, Sahbeth-Bei? Allah schenke Deinem Geiste Licht, damit Du thust, was ihm und Deinem Herrscher wohlgefällt!“

Es gehörte die ganze in diesem Lande so nothwendige Unverfrohrenheit dazu, in dieser Weise die Situation geradezu auf die Spitze zu stellen; aber während sich der Bei unter der Last meiner Worte förmlich zusammenbückte, brachten sie bei dem von mir Beschuldigten die gerade entgegengesetzte Wirkung hervor. Er riß, vor Wuth Alles um sich her vergessend, den Dolch aus dem Gürtel und stürzte mit einem heiseren Brüllen auf mich los. Ich war ihm sowohl an Körperkraft, als auch an Besonnenheit überlegen, entwaffnete ihn mit einem raschen Griffe und warf ihn meinem Diener in die bereitwilligen Armen, die sich sofort wie ein Schraubstock um ihn schlossen.

„Bimbaschi, bist Du hier die Obrigkeit, oder soll ich selbst mich schützen?“ rief ich jetzt, den Revolver ziehend.

Das gab ihm die nöthige Thatkraft zurück, und wie er erst gedankenlos gegen mich gewesen war, so wandte er sich jetzt ohne Mäßigung gegen den wuthschnaubenden Hedjahn-Bei.

„Bindet ihm Hände und Füße und schafft ihn in das Gefängniß. Der Fall ist schwer; ich werde über ihn nachdenken und ein gerechter Richter sein!“

(Fortsetzung folgt.)

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Leïlet.

Novelle von M. Gisela.

(Fortsetzung.)

Sei mir gegrüßt, Kahira, du herrliche, wüstenbegrenzte, gärtenumlegene, palmenumstandene Königin Egyptens! Sei mir gegrüßt mit deinem milden Himmel, deinen schlanken Minarets, deinen kühlen Straßen, deinen rauschenden Platanen und früchtereichen Sykamoren, deinen balsamduftenden Orangenhainen und dattelschweren Palmen! Ich grüße euch, ihr sarazenischen Häuser, ich grüße dich, o blumenreiche Esbekïe, ich grüße euch, ihr himmelstrebenden Pyramiden und dich, du Stadt der Todten in der Wüste, dich, o Mokkhadam, mit deinen Bergen, dich, o Bulakh, mit deinem barkenreichen Hafen, und dich, o Fostat, mit deiner herrlichen Insel — ja, ich grüße dich, o Kahira, dich und all’ dein Volk! El salahm aaleïkum, mit euch sei das Heil!

Lange Monate war ich ein Wanderer in der Wüste gewesen und kehrte nun zurück zur unvergleichlichsten der Städte, wo ich wieder den Spuren europäischen Lebens begegnen, den Bruder finden und die Grüße der fernen Heimath empfangen sollte. Wer Kairo kennt, der wundert sich nicht über die Begeisterung, mit welcher ich die Stadt der fünfhundert Moscheen begrüßte, als unsere Dahabïe in Alt-Kairo anlegte. Omar-Arha tanzte vor Entzücken um das Gepäck herum, und selbst Hassan, der alte Abu el Reïsahn rief ein tiefathmiges „Sallah el nebbi, preist den Propheten!“

Wohin das Auge nur schaute, erblickte es Glück und Freude; nur Leïlet lehnte bewegungslos am Eingange zur Kajüte und ließ kein Zeichen irgend welcher Gefühlserregung bemerken. Sie war mir ein Räthsel, ein tiefes, unlösbares Räthsel, und diese Undurchdringlichkeit warf ihre schweren, dunklen Schatten bis hinein in die heiligsten und verborgensten Räume meines Herzens.

Die Verwickelung vor dem Sahbeth-Bei war unaufgelöst geblieben. Um vielleicht von meiner günstigen Meinung profitiren zu können, hatte er mir seine Gastfreundschaft angeboten; aber ein Verweilen bei ihm konnte mir keinen Vortheil bringen, und so war ich, ohne die Entscheidung des Rechtsfalles abzuwarten, abgereist. Zwar versicherte er mir beim Barte des Propheten und den zahllosen Bärten aller Khalifen und Moslemim, daß er ein Exempel statuiren werde; aber ich war überzeugt, daß er dem Gefangenen nicht das geringste Leid zufügen, sondern ihn sobald wie möglich entlassen werde. Die Wahrheit zu gestehen, war ich herzlich froh, so leichten Kaufes aus der Verlegenheit zu kommen, die leicht eine höchst verhängnißvolle für mich hätte werden können, und drang deshalb auf die möglichste Beschleunigung unsrer Fahrt. Sie war eine glückliche in Beziehung auf den äußern Verlauf, nicht aber in Hinsicht auf den heißesten Wunsch meines Herzen, welches mit jeder Stunde höher und sehnender klopfte unter der mächtigen Regung einer Liebe, deren ich mich nie für fähig gehalten hätte.

Stundenlang saß ich bei Leïlet und konnte mein Auge nicht wenden von den herrlichen Zügen, welche sie mir unverhüllt darbot, wenn kein Fremder in der Nähe weilte, und aus denen mir die ganze Seligkeit eines Himmels entgegenstrahlte. Aber diesen Himmel, ich durfte ihn noch nicht mein nennen. Es war nicht Muthlosigkeit oder Mangel an Selbstvertrauen, was mich abhielt, ein entscheidendes Wort zu sprechen, sondern es lag über dem ganzen Wesen des schönen Mädchens ein Etwas ausgegossen, welches sie einem rücksichtsvollen Character unnahbar machen mußte, ein Noli me tangere, ein Rühr’ mich nicht an, welches ich unmöglich verletzen und entheiligen konnte.

Ich wußte es und fühlte es nur zu deutlich, daß sie sich unendlich glücklich fühle, aus den Banden Abrahims befreit zu sein, und doch sprach sich in ihren Zügen, in dem Klange eines jeden ihrer Worte eine Wehmuth, eine Unruhe und Bängstigung aus, welche mich mit stiller Sorge erfüllte. Oft schon hatte ich die Frage nach Aufklärung auf den Lippen, aber dann traf mich stets ein so innig flehender Blick des großen, tiefleuchtenden Auges, daß ich nicht anders konnte, als die Frage zurückzudrängen und die Lösung der Zukunft anheimzustellen. Und doch überraschte ich dieses Auge oft bei einem Blicke, der mit dem Ausdrucke der herzlichsten Liebe und des rückhaltslosesten Vertrauens auf mir ruhte, und nur zuweilen schien es mir, als spreche sich daneben eine unwillkürliche Theilnahme aus, welche mich mehr beunruhigte, als es eine offen dargelegte Abneigung gethan hätte.

Gestern Abend war’s; der Mond warf sein magisches Licht hernieder auf die dunklen Berge des Mokkhadam, und silberne Reflexe zuckten über das Wasser. Die großen, hellen Sterne der südlichen Halbkugel traten so nahe zur Erde herab und die Abendluft war geschwängert von balsamischen Düften. Ich lehnte einsam vorn in der Nähe des Reïs und gab mich widerstandslos dem elegischen Eindrucke hin, welchen eine solche Nacht auf jedes empfängliche Gemüth äußert.

Da trat Leïlet an meine Seite, schlug den Schleier zurück und gab ihre Wangen dem leise fächelnden Hauche preis. Es war mir, als eilten die Strahlen des Mondes schneller und freudiger hernieder, um ihr Stirne und Mund zu küssen, als nickten ihr die Palmen des Ufers aus dem Halbdunkel ihre Grüße entgegen und als verstumme das Plätschern der Wellen vor dem bezaubernden Einflusse ihrer Nähe. Es lag so weich und wehe in dem engelgleichen Angesichte, und ein langer, tiefer und schwerer Athemzug hob den Busen, dessen Bewegung ich trotz der Hülle deutlich zu erkennen vermochte. Plötzlich legte sie die Hand auf meinen Arm, und leise und gepreßt klang es:

„O, zürne mir nicht, Du Guter!“

Ich wußte ihr nicht zu antworten, und mein Schweigen -

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Schweigen falsch deutend, schlang sie, wie von einem unwiderstehlichen Impulse getrieben, die Arme um meinen Nacken, preßte ihr Köpfchen fest, fest an meine Brust und schluchzte:

„Leïlet kann nicht dafür!“

Noch ein langer, tiefer, unbeschreiblicher Blick, als müsse sie ihre ganze Seele in mein Auge senken, und dann floh sie der Kajüte zu.

Ich blieb zurück unter einem Sturme von Empfindungen, der mich die ganze Nacht nicht ruhen ließ und auch am Morgen sich noch nicht beschwichtigt hatte. Es lastete ein Geheimniß, ein Druck auf ihrer Seele, der ihres Herzens Freiheit raubte und die Erfüllung meiner freudigsten Hoffnung verzögerte. Aber ich beschwichtigte meine Befürchtungen; die nächste Zukunft schon mußte mir ja die Lösung des Räthsels bringen und mich über die Verhältnisse meines schweigsamen Schützlings unterrichten. Mochten aber dieselben sein, wer sie wollten, das stand felsenfest: mein mußte sie werden, und sollte ich einen einzigen Augenblick des Glückes mit dem Tode oder mit einem öden und freudeleeren Leben bezahlen! — —

Die wenigen Passagiere, welche die Dahabïe unterwegs aufgenommen hatte, waren jetzt über das Landungsbret geschritten, und ich wandte mich nun zu Leïlet, um sie an den Aufbruch zu mahnen. Sie eilte herbei und bat hastig und flehend:

„Verlaß mich nicht schon jetzt, sondern nimm mich mit Dir!“

Wie klang doch diese Bitte so sonderbar! i​Ich bog mich zu ihr nieder und flüsterte mit überfließendem Herzen:

„Ich werde Dich nie, nie wieder von mir lassen!“

Da ich wußte, daß mein Bruder die Wohnung geändert hatte und ich seine gegenwärtige Adresse noch nicht kannte, so nahm ich für mich und Leïlet eine Barutsche, einen jener meist zweiräderigen und mit Kissen ausgelegten Wagen, wie sie in Kairo üblich sind, und fuhr, die Sorge für das Gebäck meinem Omar überlassend, nach dem Hotel d’Orient, um dort einstweilen Wohnung zu nehmen.

Es war schon zu spät, den Consul aufzusuchen, um die nöthigen Erkundigungen einzuziehen und etwa eingegangene Briefe und Schriftstücke in Empfang zu nehmen. Deshalb beschloß ich, nicht auszugehen und mich vielmehr mit dem Ordnen meiner Effekten zu beschäftigen.

Eben hatte ich diese Arbeit beendet, als Leïlet bei mir eintrat. Jeder ihrer Züge sagte mir, daß irgend ein Entschluß sie beschäftige, und als sie sich dem Tische näherte, wußte ich, daß sie im Begriffe stehe, die bis heut’ aufgeschobene Aufklärung auszusprechen. Da fiel ihr Blick auf eine vor mir liegende Mappe, welche in goldenen Lettern meinen Namenszug trug. Ein Blitz der Ueberraschung zuckte über ihr erbleichendes Angesicht, und mit unsicherer, ja zitternder Stimme hauchte sie:

„Ich kam, um Dir den Abendgruß zu bringen. Leïlkum saaïde, gute Nacht!“

„Leïlet,“ rief ich emporspringend, „worüber erschrakst Du? Wolltest Du mir nur diese zwei Worte sagen?“

„O nein, Herr, Du solltest Vieles vernehmen, aber meine Lippe muß sich schließen, bis sie morgen sprechen darf.“

„Morgen? Warum nicht heut’, nicht jetzt? Hast Du nicht gefühlt, daß mein Herz sich allezeit gesehnt hat nach

dem Worte, welches Du aufgehoben hast bis jetzt und nun auch weiter noch verschweigen willst?“

„Ich habe das Leid Deiner Seele zu jeder Zeit in Deinem Auge gelesen, aber die Lippe blieb mir stumm, weil —“

Die Hände vor’s Gesicht legend, lehnte sie tiefathmend den Kopf an meine Schulter. Ich schlang den Arm leise um ihre weiche, schlanke Gestalt; da aber wand sie sich los und war, noch ehe ich es verhindern konnte, hinter der Thüre zu ihrem Gemache verschwunden.

Was war das? Was hatte sie so erschreckt, so erschüttert; konnte es wirklich die unschuldige, bedeutungslose Mappe sein, welche eine so plötzliche Zurückhaltung bewirkt hatte? Von tausend unklaren und ungewissen Gedanken hin und her geworfen, saß ich da und zermarterte mir den Kopf mit Vermuthungen und Befürchtungen, deren Stichhaltigkeit ich doch immer wieder bezweifeln mußte. Mein auf der Mappe stehender Name, den sie bisher allerdings nur in seiner arabischen Verdolmetschung gehört hatte, konnte doch unmöglich auf die Stimmungen und Entschlüsse eines mir bis vor kurzer Zeit vollständig fremden Wesens einen so gewaltigen Eindruck haben, wie ich ihn soeben bemerkt hatte. Es blieb mir Nichts weiter übrig, als mich in Geduld zu fassen und den morgenden Tag, von dem sie ja gesprochen hatte, abzuwarten. —

Der Bruder wohnte, wie ich am andern Morgen erfuhr, in Bulakh, wohin ich mich sofort verfügte, um ihn nach so langer Zeit wiederzusehen und Zeuge seines Glückes zu sein, von welchem er mir geschrieben hatte.

Ungemeldet trat ich ein. Mit untergeschlagenen Beinen saß er wie ein echter Padischa mit würdigem Gesichtsausdrucke auf dem Divan und hob das Auge zu dem Eindringling empor. Meine von der Sonne fast schwarzgebrannten, von der Gluth der Wüste bis auf die Knochen ausgetrockneten und mit einem dichten Barte verhüllten Züge schienen ihm für den ersten Augenblick befremdlich vorzukommen, und schon wollte ich versuchen, wie lange ein Incognito zu behaupten sei, indem ich mit orientalischem Ernste grüßte:

„Salem al —“ als er, aufspringend und mit ausgebreiteten Armen auf mich losstürzend, rief:

„Halt’s Maul, Goldjunge, mit Deinem Salem und rede, wie Dir der Schnabel gewachsen ist! Aber, um’s Himmels willen, Herzensbruder, wie bist Du von der Frau Sonne mitgenommen! Wahrhaftig, ich ertappte mich auf dem wohlthuenden Gedanken, der König der sieben Indien habe einen seiner schwärzesten Mohren zu mir geschickt, um als abschreckendes Beispiel einer verbrannten Menschenschwarte Modell zu sitzen. Komm, mache Deine langen Beine krumm und lasse Dich nieder, damit man in Ruhe Deine alte, liebe, treue, ehrliche und hausbackene Physiognomie genießen kann. Doch halt, vorher muß ich Dich küssen, mein Sohn!“

Das war noch ganz der aufgeräumte, lebensfrohe und neckische Cumpan, der selbst die ernstesten Regungen seines Herzens in ein heiteres Gewand zu kleiden wußte und deshalb von Fremden oft für oberflächlich gehalten wurde, wo er doch nur zu stolz war, sein Inneres unberufenen Blicken preiszugeben. Mit beiden Händen zog er, um die rechte Stelle für den Kuß zu finden, mir den wirren Bart weit auseinander und lachte:

„Höre, Schatz, laß Dich mit diesem Mimosengestrüpp

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nur ja von keiner Dame sehen, sonst kannst Du Dir gar kein entschiedeneres Fiasco wünschen. Unter drei Monaten darfst Du Dich in keiner Gesellschaft attrapiren lassen, das steht bombenfest, und ich werde Dich ganz gehörig in die Wäsche nehmen müssen, um Dich ohne Blamage als meinen Bruder sehen lassen zu können!“

Es war die herzliche Freude des Wiedersehens, die ihn so sprechen ließ, und ich wußte ja, wie gut gemeint seine Worte waren, aber dennoch thaten sie mir wehe, denn er hatte mit ihnen den einzigen wunden Fleck berührt, den ich jetzt besaß. Wenn das fatale Klima meinen äußern Menschen in der Weise verschimpfirt hatte, daß selbst der Bruder so wenig Angenehmes darüber zu bemerken wußte, wie konnte ich da an eine Liebe glauben, wie ich sie von Leïlet erwartet hatte? Ich Thor! Allerdings konnte ich im Punkte der weiblichen Zuneigung wohl noch von keiner Erfahrung sprechen, aber so viel weiß doch auch der einfachste Mensch, daß die Liebe vorzugsweise gern durch das Auge ihren Einzug hält, und ich glich jetzt allerdings mehr einem Beduinen vom berühmten Stamme der Uëlad Sliman als einem civilisirten Jünger Aesculaps, der in den Heirathsstiefeln umherspaziert. Das Räthsel war mir gelöst, und zwar auf eine Weise, welche mich nicht ganz ohne Hoffnung für die Zukunft ließ.

Nachdem dem froherregten Herzen Genüge geschehen war und sich der Sturm der Gefühle gelegt hatte, nahmen wir eng neben einander Platz, um die nothwendigen Mittheilungen gegenseitig einzutauschen. Jetzt nun erst, im Laufe der ruhigen Unterhaltung, bemerkte ich den Zug schwerer Ermüdung, welcher um die eingesunkenen Augen, die eingefallenen Wangen und den schmerzlich geschlossenen Mund des Bruders lag. Seine Haltung, sonst kräftig und elastisch, war eine sichtlich schlaffe, und das vorhin so freudige Roth seiner Farbe war einer krankhaften Blässe gewichen. Er war krank — er litt — ich konnte keinen Zweifel hegen. Mit theilnehmender Sorge ergriff ich seine Hand und erkundigte mich nach der Ursache der Veränderung, welche dem brüderlichen Auge eher auffallen mußte, als jedem anderen. Ein minutenlanges Schweigen folgte meiner Frage, und dann klang es mit leiser, vibrirender Stimme:

„Du hast meinen letzten Brief erhalten?“

„Ja.“

„Und von meinem Glück gelesen?“

„Mit inniger Freude und Dank gegen Gott, Bernhard, der Dir ein solches Wesen finden ließ!“

„Es ist aus — aus — wohl für immer!“

Das klang so trostlos, so aller Hoffnung bar, und da ich fest geglaubt hatte, ihn im Schooße eines reichen Glückes zu finden, so mußte ich betroffen ausrufen:

„Aus —? Inwiefern und warum?“

„Ich habe sie verloren.“

„Verloren? Auf wessen Verschuldung? So sprich doch!“

„Natürlich mußt Du Alles wissen, schon aus brüderlicher Offenheit. Aber noch Eins: Du kennst die Verhältnisse dieses unglücklichen Landes besser, als ich und weißt vielleicht da noch einen Rath, wo ich schon längst am Ende meiner Klugheit stehe und vergebens die Gedanken zermartere, um noch Etwas zu finden, was mir Hoffnung giebt. Ja, ich begrüße Deine Ankunft als das einzige Ereigniß, welches mir, wenn auch vielleicht nicht die ersehnte Hülfe,

so doch wenigstens Trost und Beruhigung bringen kann.“

„Aber ich wiederhole meine Bitte: So sprich doch endlich! Du siehst ja, daß Du mich förmlich auf die Folter spannst. Was ist denn nur geschehen, das Dich, den fröhlichen, hoffnungsreichen und glücklichen Gesellen so niederschmettern, so muthlos machen, so um die gewohnte Energie und das glückliche Selbstvertrauen bringen konnte?“

„So höre! Du weißt, daß ich das obere Geschoß eines alten Gebäudes bewohnte, von dessen plattem Dache man einen freien Ueberblick auf die niedriger gelegenen Dächer der Nebenhäuser hatte. Ich pflegte da oben die kühlen Stunden des Tages zuzubringen und stieg auch öfters des Abends hinauf, um die milde Luft und die Pracht des Himmels zu genießen, trotzdem ich als Ausländer Gefahr lief, mir dadurch eine hier so gefährliche Augenentzündung zuzuziehen.

Das Nachbarhaus bewohnte einer jener Levantiner, welche meist als arme Schlucker nach Egypten kommen und durch ehrlose Kunstgriffe und elende Schurkereien nach und nach ein Vermögen zusammenscharren, nach welchem sie blos streben, um es zu besitzen, da bei den Verhältnissen dieses Landes die Klugheit ihnen verbietet, ihre Wohlhabenheit bemerken zu lassen. Der Mann war mit einem Weibe und deren Schwester aus Syrien herübergekommen und, wie ich bald erfuhr, für Geld zu Allem bereit, was Gewinn zu bringen verspricht.

So wenig Sympathie man für den männlichen Theil der levantinischen Christen hegt, so berühmt sind die Frauen der Levante wegen ihrer oft geradezu sinnberückenden Schönheit und ihrer Herzenseigenschaften, durch welche sie in den vortheilhaftesten Gegensatz gestellt werden zu ihren moralisch verderbten Angehörigen, und ich glaube fest, unter den Frauen all’ der hier vertretenen Racen und Völkerschaften des Orientes sind sie die einzigen, denen sich ein Lebensglück anvertrauen läßt.

Oefters schon hatte ich die beiden Nachbarinnen auf der Plattform ihres Hauses lustwandeln sehen, stets aber tief verschleiert, und nur zuweilen drang ein abgerissener Laut ihres immer leise geführten Gespräches empor zu mir. Durfte ich nach dem süßen, weichen Wohlklange einer Stimme schließen, so war die Sprecherin jung und sicherlich nichts weniger als häßlich; wenigstens begann meine Phantasie ihre schmeichelnde Thätigkeit, und da ich bemerkte, daß auch mir einige Aufmerksamkeit gewidmet wurde, so regte sich bald der Wunsch in mir, die Geheimnisse des Schleiers einmal lüften zu können. Sie waren keine Muhamedanerinnen, und ich durfte also annehmen, daß eine klein Wißbegierde meinerseits nicht auf eine völlige Unmöglichkeit stoßen werde, zumal ich schon von Türkinnen die Erlaubniß bekommen hatte, einen Blick hinter die grausamen und neidischen Falten thun zu dürfen.

Eines Morgens waren sie nach beendigter Erholungsstunde wieder hinabgestiegen, und ich stand schon im Begriffe, mein Zimmer nun auch aufzusuchen, als ich von Neuem leichte Schritte vernahm. Rasch wandte ich mich zurück. Aber wie soll ich Dir die Herrlichkeit beschreiben, auf welche jetzt mein Auge fiel! Ich will es gar nicht versuchen, denn es würde mir doch unmöglich gelingen, Dir einen auch nur annähernden Begriff von der Schönheit, Reinheit und Unschuld zu geben, welche sich mir hier

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offenbarte, zu einem weiblichen Wesen verkörpert, wie es mir weder ein Gemälde noch ein Gebild meiner Phantasie gezeigt hatte. Das war nicht ein Weib, sondern ein Mädchen, nicht die Frau des Kaufmanns, sondern jedenfalls ihre Schwester. Mit einem raschen Schritte stand ich an der Brüstung, und mit einem schnell gewagten Sprunge befand ich mich unten bei ihr, vor ihr, in ihrer unmittelbaren Nähe, so daß ich meine Arme hätte um sie legen können, wenn sie nicht zurückgewichen wäre.

Sie hatte etwas Vergessenes vermißt und war wieder zurückgeeilt, ohne zuvor den Schleier umzulegen. Jetzt nun stand sie vor mir, übergossen von der Gluth des Schreckens, und deutlich sah ich das Zittern, unter welchem sie erbebte. Es war mir, als sei der Himmel offen, um mir all’ seine Seligkeiten anzubieten, und mit einem raschen Griffe faßte ich nach ihr und hielt sie bei den beiden kleinen, weißen Händen. Aber sprechen, sprechen konnte ich nicht, ebensowenig wie sie; ich war nicht der rasche, waghalsige Mann, als den Du mich ja kennst, sondern ich war wie ein Kind, wie ein Bettler, der nicht wagt, einen Laut über seine Lippen kommen zu lassen und das Verlangen nach Gnade und Barmherzigkeit nur in dem überwältigenden Blick seines Auges concentrirt.

Auch ihr Auge sprach. Zwar suchte es den Boden, aber ich bemerkte keinen Zorn in seinem Blicke, sondern nur Angst und Beklemmung. Ich wußte Alles, Alles: Auch sie hatte mich während ihrer wiederholten Anwesenheit auf dem Dache bemerkt, mich beobachtet und vielleicht Theilnahme für den einsamen Fremden empfunden, der ihr so viel Aufmerksamkeit schenkte. Ein Gefühl unendlichen Glückes schwellte mir die Brust, und im nächsten Augenblicke hatte ich sie an mich gezogen und legte meinen Mund auf ihre weichen, schwellenden, lebenswarmen Lippen. Mit Anstrengung all’ ihrer Kräfte wollte sie sich loswinden, ich aber hielt sie fest und fragte:

„Bitte, o bitte, sage mir Deinen Namen!“

„Ich heiße Warde,“ klang es leise, und mit einem neuen Versuche, mir zu entschlüpfen, fügte sie hinzu: „Laß mich gehen, es ist Tag, und mir wird angst!“

„Warde, Warde heißest Du? Das bedeutet in der Sprache meines Landes ’Rose.’ Willst Du meine Rose sein — meine Rose?“

Sie antwortete nicht, sondern rang weiter mit meinen sie noch immer umschlingenden Armen.

„Es ist Tag, sagst Du, und darum wird Dir angst? Würdest Du fliehen, wenn es dunkel ist und kein Verräther meine Küsse sehen könnte?“

„Laß mich gehen, o laß mich!“

„Kommst Du denn wieder, heut’, wenn es Abend geworden ist?“

„Ich darf nicht!“

Enger zog ich sie wieder an mich und drohte ihr energisch:

„Ich halte Dich fest, bis Du mir sagst, daß Du kommst.“

„Du bist ein Franke, und Dein Herz gehört der Heimath und —“

„O nein, nein,“ unterbrach ich sie, „mein Herz gehört Dir, Dir, nur Dir, und nie wird es an eine Andere denken! Kommst Du?“

„Ich komme,“ hauchte sie.

„Allein?“

„Allein!“

Noch einen Kuß, gegen den sie sich jetzt nicht sträubte, und dann eilte sie davon. Ich stand wie ein Träumender; doch bald mußte ich mich an das Gefährliche meiner Lage erinnern. Ein Blick empor zur Brüstung, von welcher ich herabgesprungen war, zeigte mir, daß die zerbröckelten Backsteine der Mauer meinen Händen und Füßen zwar gefährliche, aber doch Stützpunkte zum Emporklimmen boten, und bald befand ich mich wieder oben. Zurück mich wendend, gewahrte ich die letzte verschwindende Falte eines weiblichen Gewandes. Sie war in Sorge um mich gewesen und hinter dem Treppenvorsprunge stehen geblieben, bis sie mich in Sicherheit wußte. Sie liebte mich; jetzt wußte ich es sicher, und mit Ungeduld erwartete ich den Abend.“ —

Während er von diesem glücklichsten Augenblicke seine Lebens erzählte, rötheten sich seine blassen Wangen und seine Augen füllten sich mit seligem Glanze. Ja, so war er: kühn, entschlossen und den Augenblick benutzend. Warum hatte ich es nicht auch so mit Leïlet gethan! —

„Sie hielt Wort,“ fuhr er in seiner Erzählung fort; „sie kam, und von nun an sahen wir uns täglich und beschäftigten uns bald ernstlich mit der Berathung über unsere Zukunft. Da bemerkte ich, daß sie einsylbiger und stiller war als sonst. Ich frug nach dem Grunde und erfuhr, daß jetzt täglich ein reicher Egypter zu ihrem Bruder komme und mit ihm über sie zu verhandeln scheine. Du weißt, daß hier die Frauen gekauft werden, oder wenigstens durch die Auszahlung einer Summe Geldes zu erlangen sind. Mir fehlten augenblicklich die Mittel, aber trotzdem beschloß ich, morgen schon den Bruder zu besuchen, um dem Andern zuvorzukommen. Warde wollte ihn vorbereiten.

Am nächsten Vormittage saß ich oben auf der Plattform. Da hörte ich ein Geräusch, bog mich vor und erblickte zwei Männer, welche zu derselben Zeit nach oben sahen und mich sofort bemerkten.

„Aaïb aaleihn, Schande über ihn!“ hörte ich den Einen rufen, während er mit finsterem Blick die Stelle der Mauer musterte, welche ich als Stiege zu benutzen pflegte.

Wer waren die Beiden? War es der Bruder, welchen ich noch nicht kannte, vielleicht mit jenem Egypter? Ich ließ mich nach einer Weile zu einer Unterredung bei ihm anmelden und erhielt den Bescheid, morgen zu kommen. Warum erst morgen? Ich konnte mich des Gefühles nicht erwehren, daß etwas Feindseliges gegen uns im Werke sei, und erwartete mit einer nicht zu überwindenden Beklemmung den Abend, an welchem ich Warde sprechen konnte.

Die Zeit unserer Zusammenkünfte kam, aber die Geliebte nicht. Ich wartete bis spät in die Nacht hinein, aber vergebens, und wünschte nun sehnlichst den Anbruch des Tages herbei, um mir bei dem Levantiner Gewißheit holen zu können.

Er empfing mich mit einem Gesichte, in welchem die Schadenfreude deutlich geschrieben stand und beobachtete kaum die gegen einen Besuch gebräuchlichen Höflichkeiten. Trotzdem trug ich ihm meine Angelegenheit mit möglichster Ruhe und Freundlichkeit vor und sah dann mit Spannung seiner Antwort entgegen.

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„Du bist einer von den Effendi’s, welche der Vicekönig gerufen hat, damit sie ihm große Häuser bauen, in denen der Dampf mehr arbeitet, als hundert Männer?“

„Ja.“

„Ich hasse diese Fremden, welche zu uns kommen, um uns arm zu machen. Du wirst Warde niemals wiedersehen!“

Das war allerdings deutlich genug, trotzdem aber hielt ich meinen Zorn zurück und gab mir die möglichste Mühe, ihn zu einer Aenderung seines Entschlusses zu bewegen, doch vergebens. Und als ich schließlich darauf bestand, das Mädchen selbst zu sprechen, erhob er sich und gab mir den niederschmetternden Bescheid:

„Du hast die Sitte und das Gesetz des Landes verletzt und das Angesicht eines Weibes gesehen, welches das Eigenthum eines Andern geworden ist. Warde ist gestern abgereist mit dem Manne, dem ich sie gegeben habe. Gehe, laß Deinen Fuß nicht wieder mein Dach berühren!“

„So hast Du sie gezwungen, dieses Haus zu verlassen!“

„Gezwungen?“ lachte er; „Du irrst, Fremdling; sie ging mit Freuden nach dem Schiffe, denn sie hoffte Dich dort zu finden.“

„Mich? Also getäuscht, verrathen habt Ihr sie! Weißt Du, Elender, daß ich sie suchen und auch finden werde? Aber, wehe Dir, wenn ich Dich zur Rechenschaft ziehen werde!“

„Schweig! Du bist ein Unwissender hier im Lande, sonst wäre Dir bekannt, daß ich die Gewalt habe, mit den Frauen meines Hauses zu thun nach meinem Wohlgefallen. Entferne Dich, damit mein Zorn Dich nicht dem Gesetze überweise!“

Er sprach die Wahrheit und hatte das Recht, die Beleidigung, zu welcher ich mich hatte hinreißen lassen, dem Richter anzuzeigen. Deshalb beherrschte ich mich und ging, fest entschlossen, Alles zu thun und zu wagen, um die mir Entrissene wiederzufinden.

Möglich war es, daß er mir ein Mährchen erzählt und Warde noch bei sich hatte, doch brachten mich meine Nachforschungen bald zu der Ueberzeugung, daß er mir die Wahrheit berichtet. Um so erfolgloser aber waren alle meine Anstrengungen, eine Spur der Geliebten aufzufinden, obgleich ich Nichts unterließ, was mir nur einen Schimmer von Hoffnung bringen konnte.

So sind Monde verflossen und haben mir nichts weiter gebracht, als die Ueberzeugung, daß ich verzichten muß, obgleich Alles in mir sich gegen den Gedanken sträubt, das herrliche Wesen, welches mit aller Gluth des Herzens nur mich allein liebt, in den Armen eines Andern zu wissen. Sieh mich an — was ist aus mir geworden?“ —

Er schwieg. Ich kannte ihn und wußte, daß jeder Versuch, ihn zu trösten, nutzlos sein würde.

„Hast Du nicht den Gedanken gehabt, durch ihre Schwester Etwas zu erfahren?“

„Natürlich; er lag so nahe, daß ich ihn gleich in der ersten Stunde hegte und befolgte. Ich war entschlossen, sie zu sprechen, selbst wenn ich dadurch in Gefahr gerathen sollte; aber sie wurde streng bewacht, durfte das Dach nicht mehr betreten, und als ich doch den Posten auf der Plattform nicht aufgab, brachte es mein Gegner dahin, daß der Wirth mich unter tausend Versicherungen seines Bedauerns von der Nothwendigkeit benachrichtigte, mir eine andere

Wohnung zu suchen, da er meine jetzige von jetzt an für sich selbst haben müsse.“

„Und Du folgtest der Weisung freiwillig?“

„Ich mußte wohl oder übel, da es mir nicht einfallen konnte, mich mit dem Manne herumzustreiten.“

„Und jetzt bewohnt er die Räume wirklich?“

„Das fällt ihm gar nicht ein; sie stehen noch leer, obgleich er sie vermiethen will.“

„Gut, ich werde zu ihm gehen und sehen, ob ich sie für mich bekomme.“

„Für Dich?“ rief er überrascht. „Wahrhaftig, Du hast recht. Geh’ hin, geh’ hin, Bruderherz; Du giebst mir neues Leben! O, ich wußte wohl, daß Dein Kommen mir Trost und Ermuthigung bringen würde!“

„Da hat man den Sanguiniker! Erst vollständig hoffnungslos und jetzt in Folge dieses einen Wortes große Erwartungen hegend. Täusche Dich nicht, Bernhardt. Wir müssen uns berathen und werden allerdings wohl Nichts versäumen, was sich möglicher Weise thun läßt, aber waren Deine Anstrengungen vorher erfolglos, so dürfen wir nach so langer Zeit keine zu großen Ansprüche an das Glück oder den Zufall machen.“

„Ich weiß, ich weiß es! Aber Du darfst mir doch nicht verwehren, mich über Deine Gegenwart und Mithülfe zu freuen und dabei die Ansicht zu hegen, daß Zweien Etwas leichter wird, als Einem. Nur eine Spur, eine kleine, leise Spur verschaffe mir, und ich habe genug! Ich hole mir dann die Verschwundene, und wenn ich sie unter den Pyramiden hervorgraben sollte.“

Er war aufgesprungen. Die Hoffnung spannte jetzt seine Muskeln wieder, röthete seine Wangen und belebte seinen Blick. Ich konnte nicht anders, als mich darüber freuen, und ging daher auf seine glückliche Stimmung ein:

„Das scheint mir denn doch etwas zu anstrengend; aber wenn Du sie aus irgend einem Harem entführen willst, so bin ich mit dabei. Ich habe in solchen Sachen einige Uebung und auch das nöthige Glück.“

„Du?“ fragte er lachend. „Mit welcher Zuleika bist Du denn dem Großtürken oder Padischa entwischt?“

„Zuleika? Pah, ein zu ordinairer Name für ein solches Abenteuer! Leïlet muß sie heißen, ja, und so heißt sie auch wirklich. Willst Du sie sehen?“

„Junge, entweder fängst Du an, Romane zu schreiben, oder Du hast sonst irgend einen Klapps, was bei der hiesigen Hitze sehr zu verzeihen wäre.“

„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben, aber am allerseligsten sind, die nicht glauben und doch sehen. Du sollst zu den Allerseligsten gehören, d’rum ziehe Dein Feierkleid an, Du Ungläubiger, und mache Dich auf, denn siehe, Du sollst im Hotel d’Orient die Krone aller Schönheiten sehen, mit welcher sich vielleicht selbst Deine Warde nicht vergleichen kann!“

„Höre, mein Sohn, Du scheinst im Ernst zu sprechen!“

„Natürlich ist es mein Ernst.“

„Wirklich? Also auch Du bist verliebt? Du, diese Krankheit scheint in unserer Familie epidemisch zu werden: erst ich, jetzt auch Du! Komm und erzähle!“

(Schluß folgt.)

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Leïlet.

Novelle von M. Gisela.

(Schluß.)

„Nein, komm und siehe. Zum Erzählen ist es später ebenso Zeit, und übrigens bin ich fast schon allzulang fortgeblieben.“

„Wie Du befiehlst. Aber Eins sage ich Dir: wenn die Schönheit Deiner Zuleika —“

„Leïlet heißt sie!“

„Gut, Deiner Leïlet nur halb so groß ist wie meine Neugierde, so hat der „Klapps“ seine vollständige Berechtigung. Also, en avant!“

Wir brachen auf und wanden uns bald durch das farbenreiche Gewimmel der engen Straßen. Schon waren wir in der Nähe des Hotels, da faßte mich der Bruder plötzlich bei der Hand.

„Mein Gott, ist’s möglich? Bruderherz, es ist wahr, daß Dein Kommen mir Glück bringt. Blicke die beiden Männer an, welche soeben an uns vorüber müssen!“

Ich folgte der Richtung seines Auges und — wäre fast erschrocken, denn der Eine von den Beiden war kein Anderer, als — Abrahim-Arha, der Hedjahn-Bei. Also hatte ihm der Sabeth-Bei ganz so, wie ich gedacht, sofort nach meiner Abreise freigegeben, und er war mir gefolgt.

Auch er erblickte mich. Ein Blitz freudiger Genugthuung zuckte über sein Gesicht, doch faßte er sich schnell und schritt mit seinem Begleiter an uns vorüber. Das Mienenspiel des Ueberraschten war meinem Bruder nicht entgangen.

„Kennt Ihr einander?“ fragte er fast athemlos.

„Sehr gut. Warum?“

„Warum? Mein Gott, erräthst Du denn aus meinen vorherigen Worten nicht, wer die Beiden sind?“

„Sprich!“

„Der Levantiner mit dem Manne, den ich an jenem Vormittage auf dem Dache des Nachbarhauses sah. Wer ist dieser — und wo hat Du ihn kennen gelernt?“

Ich hörte diese Fragen kaum noch. Es war, als sei mir ein Keulenschlag mitten hinein in’s tiefste Herz versetzt worden; wie erstarrt blieb ich stehen und mußte in diesem Augenblicke einen Besorgniß erregenden Anblick geboten haben, denn der Bruder rief, mich am Arme fortziehend:

„Um des Himmels Willen, was hast Du? Komm, komm, wir müssen den Beiden folgen; jetzt haben wir ihn!“

Ich hielt ihn zurück, denn ein einziger Blick hatte mich belehrt, daß wir ihnen nicht nachzuschleichen brauchten.

„Das ist nicht nothwendig; sie werden vielmehr uns verfolgen!“

„Sie uns? Weshalb?“

„Frage jetzt nicht, sondern komm!“

Mit ängstlicher, fieberischer Hast drängte ich vorwärts; es war in mir eine Ahnung aufgestiegen, eine Ahnung, so furchtbar und doch auch wieder — doch nein, ich konnte

den Gedanken nicht fassen, sondern eilte, die Bemerkungen des Bruders gar nicht beachtend, auf das Entree des Hotels zu und sprang mehr als ich stieg die Treppe empor, welche zu meinem Zimmer führte.

Es war leer, als wir eintraten; Leïlet befand sich also im Nebengemache.

„Aber sage mir nur endlich, was Du hast? Du bist ja trotz des Sonnenbrandes so blaß wie eine Leiche, und Deine Augen blicken wahrhaft furchterregend.“

„Was ich habe? Da siehe es selbst!“

Ich öffnete die Thür und schob ihn in das Zimmer. Eine einzige Sekunde war es still da drinnen, eine Sekunde, die für mich wie eine Ewigkeit wog, und dann jubelte es laut und jauchzend:

„Warde!“

„Bernardo!“

Sie hatten sich erkannt; sie hatten sich wieder. Ich aber stand inmitten meines Zimmers und fühlte, wie mir das Blut das Herz zu zersprengen, zu zerreißen drohte; es wurde dunkel vor meinen Augen — die Wände wirbelten mit sausender Schnelle um mich herum — die Füße fühlten den Halt unter sich weichen — und wie von einer riesigen Faust niedergestreckt, brach ich zusammen und schlug besinnungslos auf den Boden nieder.

Wie lange ich gelegen, ich weiß es nicht; aber als ich erwachte, lag ich auf dem Divan, fühlte meine Hand in derjenigen des Bruders und blickte in das liebevoll auf mich gerichtete, thränenfeuchte Auge Leïlets, welche sich voll Sorge über mich gebeugt hatte.

„Ich heiße Warde, Abrahim-Arha nannte mich Leïlet,“ erklärte sie mir.

Ich nickte; sprechen konnte ich nicht; es war mir unmöglich, auch nur einen einzigen Laut zu stammeln. Sie war die Geliebte des Bruders; nun war mir Alles klar, und so manche Kleinigkeit, so mancher Zug, für den mir die Erklärung gefehlt hatte, wurde mir jetzt begreiflich.

Sie hatte ihr Auge forschend auf mich gerichtet, als sie meine Stimme zum ersten Male hörte. Der Klang erinnerte sie an Bernhardt. Meine Aehnlichkeit mit ihm hatte ihr Vertrauen eingeflößt, ohne daß sie sich dieses Grundes klar bewußt wurde. Dankbarkeit und Liebe waren in ihrem Innern in Zwiespalt gerathen, daher die Unklarheit in ihrem Thun und Wesen. Erst gestern hatte sie bei dem Blicke auf die Mappe meinen wirklichen deutschen Namen erfahren und ihre Mittheilung zurückgehalten, da sich nun Alles ja ganz von selbst auflösen mußte.

Da trat der Kellner ein und meldete zwei Männer, welche nach mir gefragt hatten. Warde entfernte sich, und ich richtete mich empor.

„Bitte, Bernhardt, laß mich für Dich handeln!“ konnte ich nur noch sagen und dann traten sie ein. Es

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war der Schwager Leïlets und Abrahim, in deren Mienen der Triumph, uns überrumpelt und gefangen zu haben, sich deutlich ausprägte.

Es verstieß ganz gegen die gewöhnliche Handlungsweise des Morgenländers, uns ohne ceremonielle Vorbereitung, persönlich und ohne obrigkeitliche Begleitung in einer Angelegenheit aufzusuchen, die einen strafgesetzlichen Character hatte. Jedenfalls wurden sie von gewissen Berechnungen dazu bewogen, denen ich durch ein möglichst kurzes, bündiges und kräftiges Verhalten begegnen mußte. Ohne eine Anrede abzuwarten, nahm ich deshalb zuerst das Wort und begann, die Glocke nach einem Diener ziehend:

„Abrahim-Arha, Du bist ein höflicher und gütiger Mann. Ich hätte vielleicht vergeblich nach Dir suchen müssen, wenn Du nicht selbst gekommen wärest!“

„Ich verstehe nicht, was Du sprichst!“ antwortete er, sichtlich verblüfft über die ruhige Art und Weise, ihn zu empfangen, der doch jedenfalls erwartet hatte, uns im höchsten Grade in Schrecken und Angst zu versetzen.

„Du wirst mich bald begreifen!“ Und mich an den eintretenden Omar wendend, frug ich: „Omar-Arha, sind die Läufe Deiner Pistolen geladen?“

„Herr!“ antwortete er, die beiden Männer, von denen wenigstens der Eine ihm nur zu wohl bekannt war, mit feindseligem Blicke messend, „sage mir, wen ich niederschießen soll!“ Und in demselben Augenblicke blitzten auch die blankgeputzten Läufe der beiden Schießwaffen in seinen Händen.

„Jeden, der dieses Zimmer verlassen will, ohne daß ich es ihm erlaube!“

„Gut, Effendi!“

Die Hähne knackten, und wie er in entschlossener Haltung und mit haßerfüllten Zügen an der Thüre stand, mußten die Beiden sofort erkennen, daß er meinem Befehle unbedingte Folge leisten werde, so wenig ernst es mir auch eigentlich mit ihm gemeint war.

„Abrahim-Arha, kennst Du mich?“ wandte ich mich wieder an diesen.

„Dich, den Räuber meines —“

„Halt!“ unterbrach ich ihn. „Nicht seit dieser Zeit meine ich, sondern früher? Als ich zu Dir kam, gerufen von Dir, um Leïlet gesund zu machen, da sah ich Deinem Auge den Gedanken an, daß Du mich schon einmal gesehen habest. Doch war Deine Erinnerung zu schwach, Dir zu sagen, wo.“

Er blickte, ohne zu antworten, mich erwartungsvoll an.

„Denke an den Franken, den Du, Hedjahn-Bei, der Mörder der Karawanen, in der Wüste von Dakel überfielst, beraubtest und tödten wolltest. Er war stärker und klüger als Du und entkam Dir, aber Alles, was er besaß, seine Habe, seine kostbaren Sammlungen, mußte er verloren geben. Wo hast Du mein Eigenthum, Mann? Ich fordere es von Dir bis auf das letzte Kameelhalfter, bis auf die letzte Zeltstange — mein Eigenthum, oder Dein Leben!“

In seinem Angesichte kämpften Furcht und Wuth miteinander, Furcht, meiner Entschlossenheit gegenüber, und Wuth, mir zum zweiten Male als Besiegter gegenüber zu stehen, mir, den er jetzt erst und allerdings nun zu spät wieder erkannte. Aber fast noch mehr, als er, nahm Omar meine Aufmerksamkeit in Anspruch, der jenem Ueberfalle

ebenfalls mit beigewohnt und später wohl tausend Mal dem Räuber in den glühendsten und dabei belustigendsten Ausdrücken Haß und Rache geschworen hatte. Mit weit vorgebogenem Oberkörper und vor Hast stotternder Stimme rief er:

„Effendi, Effendina, ich beschwöre Dich bei Allem, was im Himmel und auf Erden ist, sogar bei dem Barte aller alten Weiber — den ihnen Allah noch lange erhalten möge — ist er’s, ist er es wirklich?“

„Er ist es!“ bekräftigte ich, mußte aber den erbitterten Diener mit einem strengen Befehle abhalten, sich auf Abrahim zu stürzen.

„Und Du,“ wandte ich mich jetzt zu seinem Begleiter, „Du hast geraubtes Gut empfangen, um die Schwester Deines Weibes zu verkaufen! Frag’ das Gesetz, welches Loos Deiner wartet.“

Der Egypter hatte sich jetzt endlich von seiner Ueberraschung erholt und erkannte — allerdings wenigstens mit einigem Rechte — in meinem Worten eine leere Drohung.

„Deine Rede ist weise,“ meinte er in dem Tone schadenfroher Ueberlegenheit. „Aber, Du vergissest, daß die Gnade des Mächtigsten im Lande mich erleuchtet hat. Du zuckst die Waffe Deines Dieners gegen mich; das Gesetz wird diese That bestrafen!“

„Du hast recht gesagt: meine Rede ist weise; aber die Quelle Deines Mundes giebt schmutziges Wasser. Weißt Du nicht, daß dieser Mächtigste im Lande keine Missethat vergeben kann, die an einem Unterthanen meines Landes, an einem Diener meines Herrschers verübt worden ist? Du kannst der Strafe nicht entgehen, denn der Consul meines Volkes wird nicht ruhen, bis der Gerechtigkeit genug gethan ist!“

Er erblaßte und schwieg, und auch der Levantiner bot einen Anblick dar, welcher mich auf den Gedanken brachte, daß er in irgend einer Weise, vielleicht als Hehler und Ankäufer des erbeuteten Gutes, dem früheren Thun Abrahim-Arhas nahe gestanden habe. Ich mußte den Vortheil, den ich errungen hatte, auszunutzen suchen.

„Abrahim-Arha, ich habe Dir die Kraft meines Armes und den Muth meiner Seele gezeigt, Du sollst auch die Güte meines Herzens kennen lernen. Setze Dich an meine Seite; wir wollen Worte der Versöhnung miteinander sprechen!“

Er folgte halb gern, halb widerwillig meiner Aufforderung, und nun begann eine Unterredung, in welcher Alles entwickelt wurde, was die Betheiligten an Scharfsinn und Willenskraft besaßen, eine Unterredung, welche alle Empfindungen und Regungen, deren das menschliche Herz fähig ist, in Gährung brachte, eine Unterredung, so heiß und aufregend, daß ich schließlich fast an dem Erfolge zu zweifeln begann und deren endliches Resultat doch noch ein für mich so zufriedenstellendes war, daß ich Omar den Befehl gab, die Pfeifen zu bringen.

Er stand während unseres Wortkampfes wie auf glühenden Kohlen und hoffte immer, daß ich die Geduld verlieren und meine gegen Abrahim ausgesprochene Drohung wahrmachen werde. Jetzt nun sah er sich so vollständig enttäuscht, daß er mit vor Aerger fast weinender Stimme ausrief:

„Wenn es Dir Vergnügen macht, unseren kostbaren Djebeli mit Räubern zu verrauchen, da werde ich auch einer, Effendi. Er mag sich seine Pfeife selber stopfen!“

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Ein Blick der tiefste Verachtung auf Abrahim gab dieser Revolution gegen meinen Willen noch einen ganz besonderen Nachdruck, und jetzt erst die Pistolen wieder in den Gürtel schiebend, schritt er aus der Thür, um — meinen Befehl doch trotz Alledem gehorsam auszuführen.

Unser Uebereinkommen war ein einfaches. Abrahim-Arha verzichtete auf Warde und ich auf eine gerichtliche Verfolgung gegen ihn. Mit diesem Zugeständnisse brachte ich kein Opfer, da mir seine Bestrafung, die übrigens noch sehr in Zweifel zu ziehen war, das verlorene Eigenthum nicht zurückbringen konnte, während seine Verzichtleistung ihm so schwer wurde, daß ich mich einer Regung des Mitleides nicht erwehren konnte.

Als er sich mit seinem Freunde, der den Wunsch, die Schwester seinen Weibes zu sehen, gar nicht ausgesprochen hatte, entfernte, kehrte diese zu uns zurück. Sie hatte jedes unserer Worte gehört und dabei eine Angst empfunden, die an Größe nur mit dem Entzücken zu vergleichen war, welches jetzt aus ihren Augen strahlte.

Sie warf sich schluchzend an die Brust Bernhardt’s; dieser aber führte sie mir zu.

„Nicht mir gehörest Du, sondern sein Eigen sollst Du sein! Er hat Dich gefunden und befreit, hat Dich beschützt in den Gefahren der langen Wasserfahrt und gegen die Angriffe Abrahims, hat Dich erkämpft und errungen jetzt wieder von Neuem durch seine Vertheidigung, und deshalb bist Du sein Eigenthum. Nimm sie hin, Bruder, und sei

glücklich! Du hast sie verdient, und ich werde Trost finden in dem Gedanken, daß ich meine Pflicht gethan!“

Er weinte laut auf vor tiefinnerer Bewegung, und auch mir stürzten die Thränen über die sonneverbrannten Wangen.

„Nein, Bernhardt, Dein Opfer würde Dich und auch uns Beide nur unglücklichmachen!​unglücklich machen! Gott weiß es, daß sie mir nicht weniger theuer ist, als Dir, aber ihre Liebe gehört Dir, und deshalb darst Du sie nicht von Dir geben. Wache über ihr Glück, so wie ich es gethan hätte zu jeder Stunde, zu jeder Minute meines Lebens, wenn ihr Herz mir nicht fremd geblieben wäre!“

Da schlang sie die Arme fest um meinen Nacken, legte ihre Lippen auf meinen Mund und sprach dann mit betheuerndem Tone:

„Es würde nur Dir allein gehören, hätte ich nicht ihn vor Dir gekannt, aber es liebt auch Dich — Dich — nur ihn und Dich!“

Ich nahm sie, legte sie in seine Arme und zog sie Beide an mich. So standen wir lange, lange, weinend und schluchzend, als wären wir Kinder, bis sich die Thür öffnete und Omar-Arha eintrat.

„Effendi — ach so — verzeihe! — aber — Allah kerim, Gott ist gnädig — und wenn Abrahim-Arha, der Hedjahn-Bei, der Räuber da wäre, so hätte ich — beim Barte des Propheten, auch Jemanden, den ich umarmen könnte. Salem aleïkum, Friede und Heil sei mit Euch!“