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Reiseerinnerung von Dr. Karl May:)

Nachdruck verboten.

I. Gefangen.

Wir waren bei den uns befreundeten Schoschonen gewesen und von ihrem Häuptling und einigen hervorragenden Kriegern bis an die Mündung des Gooseberry-Creek in den Big Horn-River begleitet worden. Hier mußten die Schoschonen umkehren, weil jenseits des Big Horn damals das Gebiet der Upsaroka’s oder Krähenindianer begann, mit denen sie in Todfeindschaft lebten. Als sie sich von uns getrennt hatten, setzten wir unsern Ritt zwischen dem Wood- und Water-Creek in gerad östlicher Richtung fort, weil wir über die Dickhorn-Berge nach dem Powder River und dann nach den Black Hills wollten.

Wir waren vier Personen, nämlich außer meinem herrlichen Winnetou noch der stets lustige Dick Hammerdull und sein wortkarger Freund Pitt Holbers. Beide waren halbe Originale, Hammerdull sehr wohlbeleibt und kurz, Pitt Holbers aber lang und dürr, wie er auch, wenn er reden mußte, sich der größten Trockenheit befleißigte.

War unser Weg schon in Beziehung auf das Terrain kein bequemer zu nennen, so bot er uns in Beziehung auf die rote Bevölkerung jener Gegenden noch viel größere Schwierigkeiten, die sich unter Umständen sogar in Gefahren verwandeln konnten. Nördlich von der Richtung, in welcher wir ritten, hatten die uns feindlich gesinnten Upsaroka’s ihre Jagdgebiete, und bis in die südlich von uns gelegenen Rattlesnake-Mountains waren die Sioux-Ogallalah vorgedrungen, unsere alten, rachgierigen Gegner, welche einen unversöhnlichen Haß gegen uns hegten, obgleich wir ihnen niemals eine direkte Veranlassung zu demselben gegeben hatten. Wir befanden uns also zwischen zwei Völkerschaften, mit denen wir jede Begegnung möglichst zu vermeiden hatten, und die Bedenklichkeit dieser unserer Lage wurde durch den Umstand erhöht, daß beide zwar, als zu dem großen Volke der Dakota gehörend, verwandt mit einander waren, sich aber dennoch unaufhörlich in der blutigsten Weise befehdeten. Grad daß die Sioux Ogallalah bis nach den Rattlesnake-Bergen gekommen waren, mußte uns zur äußersten Vorsicht mahnen, weil sie diese Wanderung höchst wahrscheinlich in der Absicht eines Angriffes auf die Upsaroka’s unternommen hatten. Wenn sie ihn während unserer Anwesenheit ausführten, konnten wir sehr leicht zwischen die scharfen Schneiden einer Scheere kommen und, wie der Trappenausdruck lautet, ausgelöscht d. h. getötet werden.

Wir hatten uns noch nicht weit vom Big Horn-River entfernt, als wir an einen Bach kamen, welcher sein Wasser diesem Flusse zuführte. Ihm eine Strecke folgend, gelangten wir an eine Stelle, an welcher auf einen Durchmesser von über hundert Fuß das Gras niedergetreten war. Das mußte uns natürlich auffallen.

„Was ist das?“ sagte Dick Hammerdull, „das sieht ja aus, wie ein verlassener Lagerplatz. Meinst Du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

Coon ist die Abkürzung von Racoon, Waschbär; so pflegte Hammerdull seinen Freund scherzhaft zu nennen. Dieser antwortete in seiner trockenen Weise:

) Da der hochgeehrte Herr Verfasser infolge längerer Abwesenheit auf einer seiner großen Reisen uns diese prachtvolle Erzählung erst senden konnte, als der größte Teil unseres Kalenders schon gedruckt war, so waren wir gezwungen, den zweiten Teil derselben, „Errettet“, auf den nächstjährigen Kalender zu verschieben.

„Wenn du denkst, daß jemand hier gelagert hat, so habe ich nichts dagegen, lieber Dick.“

„Ja, das denke ich allerdings. Wir müssen absteigen, um diese Spuren genau zu betrachten. Vielleicht erfahren wir auf diese Weise, was für Leute hier gewesen sind.“

Ehe die beiden diese Worte gewechselt hatten, waren wir, Winnetou und ich, schon von den Pferden herunter, um den Platz zu untersuchen, Dick und Pitt halfen uns dann dabei. Unsere Bemühungen waren lange Zeit vergeblich, bis Winnetou uns durch ein lautes „Uff!“ darauf aufmerksam machte, daß er etwas gefunden hatte. Wir gingen hin zu ihm. Er deutete auf den Boden. Es war nur ein kleiner, scheinbar ganz unbedeutender Gegenstand, den wir da sahen, nämlich einen Tropfen blaue Fettfarbe, aber dieser unscheinbare Tropfen sagte ihm und mir, was wir wissen wollten.

„Blaue Farbe, hm!“ brummte Dick Hammerdull. „Es sind also Rote gewesen, welche sich mit den Kriegsfarben bemalt haben; aber nur eine Farbe genügt leider nicht, uns zu verraten, zu welchem Stamme sie gehören.“

„Nicht?“ fragte ich. „Es gibt dunkle, mittlere und helle Kriegsfarben. Dunkel sind schwarz und blau, mittel grün und rot, hell weiß und gelb. Als dunkel nehmen nur die Upsaroka’s dieses tiefe Blau, und also wissen wir, daß Krieger von diesem Stamme hier gelagert haben.“

Well! das ist richtig! Bin doch ein dummer Kerl, daß mir das nicht eingefallen ist! Meinst Du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Jeder Mensch muß sich selbst am besten kennen, und wenn du dich für dumm hältst, so fällt es mir also gar nicht ein, dir Unrecht zu geben, lieber Dick,“ antwortete der lange Pitt.

„Oho! So war es nicht gemeint! Ich habe gar nicht weniger Grütze im Kopfe als Du; das magst Du dir merken. Der Mensch kann doch nicht allwissend sein; nicht wahr, Mr. Shatterhand?“

Da diese Frage an mich gerichtet war, so antwortete ich:

„Allwissend freilich nicht; aber hier war es nicht schwer, den richtigen Schluß zu ziehen, und von einer guten Combination kann im „wilden Westen“ das Leben abhängig sein.“

„Zugegeben! Wir wissen nun also, wer die Roten waren, aber weiter wissen wir nichts.“

„Wirklich nichts, mein alter Hammerdull?“

Er schüttelte den Kopf und sah Winnetou fragend an. Dieser liebte das Sprechen nicht und überließ es mir, fortzufahren:

„Zunächst haben wir es nicht mit blos einigen Kundschaftern, sondern mit einer ganzen Kriegsschar zu thun, deren Zahl, wenn ich den Platz hier berechne, sich auf ungefähr zweihundert beläuft. Die Stelle, wo sie die Pferde gehabt haben, werden wir hier in der Nähe finden. Die Reitspur, also woher sie gekommen und wohin sie geritten sind, ist nicht mehr zu sehen, weil sich da das Gras inzwischen wieder aufgerichtet hat. Hier am Lagerplatze liegt es noch, und ich schließe darauf, daß die Upsaroka’s nicht in der letzten, sondern in der vorigen Nacht hier campiert haben. Weil ihre Jagdgebiete im Norden liegen, sind sie von dorther gekommen und also südwärts geritten, natürlich um die Ogallalah zu überfallen. Sie sind seit gestern früh von hier fort, und wir haben sie

also nicht zu fürchten; dafür aber haben wir uns vor den Sioux in acht zu nehmen.“

„Warum vor diesen? Woher wißt Ihr das?“ fragte der Dicke.

„Dieser Lagerplatz sagt es mir. Es gibt keinen einzigen Ascheplatz hier; die Upsaroka’s haben keine Feuer gebrannt, müssen es also für möglich gehalten haben, daß die Sioux hierher kommen. Diese Vermutung haben ihnen die Kundschafter gebracht, welche jeder Häuptling aussendet, ehe er einen Kriegszug beginnt. Von den Rattlesnake-Bergen zu den Upsaroka’s gibt es zwei Wege, nämlich entweder hier am Fluße abwärts oder drüben an den Bergen hin. Hier am Flusse ist die Gegend offener, also gefährlicher; der andere Weg ist also beschwerlicher aber sicherer; ich bin überzeugt, daß die Sioux ihn einschlagen, wenn sie überhaupt nordwärts wollen. Die Upsaroka’s befinden sich nicht auf dem richtigen Pfade; es steht zu erwarten, daß sie, wenn sie nach den Rattlesnake-Bergen kommen, die Sioux nicht mehr vorfinden, weil diese drüben entlang der Berge nordwärts geritten sind, um die nun unbeschützten Lager der Upsaroka’s zu überfallen. Wir haben von hier bis zu den Big Horn-Bergen außerordentlich vorsichtig zu sein. Das alles schließe ich aus der Beschaffenheit dieses Lagerplatzes. Glaubt Ihr nun noch immer, daß wir nichts wissen?“

„Hm, hm! Ja, eure Augen und meine Augen, das ist doch ein Unter­schied — — —“

Er wurde von Winnetou unterbrochen, welcher ein Stück am Bache hingegangen war, jetzt wieder kam und zu ihm sagte:

„Man soll nicht allein Augen, sondern auch Gedanken haben! Mein Bruder Shatterhand hat recht. Ich habe den Platz der Pferde gefunden; es sind wohl zweihundert Stück gewesen. Wenn die Ogallalah klug sind, kommen sie längs der Berge herauf, und wir wollen uns beeilen, diese noch vor Abend zu erreichen.“

Wir stiegen wieder auf und ritten weiter, in viel schnellerem Tempo als vorher. Das war am Vormittage, und wir waren bis gegen Abend unterwegs, wo wir auf eine von Norden kommende Spur von zwei Pferden trafen. Dies geschah in einer Gegend, in welcher zahlreiche einzeln stehende Büsche zwar nicht die Bewegung hemmten, aber uns der Fernsicht beraubten. Die Fährte war frisch, höchstens vier oder fünf Stunden alt, doch weiter gab sie uns nichts zu lesen. Wir hatten keinen Grund, uns länger mit ihr zu beschäftigen; wir verzichteten also darauf, ihr zu folgen und wollten eben weiter reiten, als da, wo sie zwischen zwei Sträuchern hervor kam, plötzlich eine Indianerin zu Pferde erschien. Sie erschrak bei unserm Anblicke, wendete das Pferd und verschwand. Was wollte eine Squaw hier? Das mußten wir wissen! Winnetou, der stets und schnell Entschlossene, flog auf seinem Pferde hinter ihr her. Wir konnten ruhig halten bleiben, denn es war der Frau ganz unmöglich, dem Häuptling der Apatschen zu entgehen. Es dauerte auch nur zwei Minuten, so kam er, ihr Pferd am Zügel haltend, mit ihr zurück. Als er uns erreichte, forderte er mich durch einen Blick auf, mit ihr zu sprechen; er zog für sich das Schweigen vor.

Die Squaw konnte nicht viel über dreißig Jahre alt sein. Sie saß nach Männerart und stolz im Sattel, war wohlthuend sauber gekleidet und verriet durch keine Miene, daß oder ob sie Angst vor uns hatte. Sie war jedenfalls allein, sonst hätte der Apatsche sich anders verhalten; darum fragte ich gar nicht nach ihrer Begleitung, sondern sagte:

„Es ist seltsam, daß eine Squaw sich ohne Schutz so weit von ihrem Lager entfernt. Wodurch wurde

meine rote Schwester gezwungen, dies zu thun? Will sie mir ihren Namen sagen?“

Ihr Auge leuchtete stolz auf, als sie antwortete:

„Warum spricht mein weißer Bruder von Schutz? Kann es keine Squaw geben, die sich nicht fürchtet? Ich sehe drei Bleichgesichter und nur einen roten Mann. Glauben die Bleichgesichter an den heiligen Erretter, welcher der Sohn des großen Geistes ist?“

„Ja.“

„Ihr seid Christen und in euern Augen lebt die Ehrlichkeit. Ihr gleicht nicht anderen Bleichgesichtern, welche die Güte auf der Zunge, aber den Haß und den Betrug im Herzen tragen; ich traue euch. Ich bin Uinorintscha ota, die Squaw von Uamduschka sapa ), des Häuptlings der Upsaroka’s.“

Uinorintscha ota heißt „viel Frauen“, ein Name, welcher nach indianischer Ausdrucksweise schließen ließ, daß sie bei ihrem Manne in ungewöhnlicher Achtung stand. Ich fragte:

„Du vertraust uns, weil wir Christen sind, und hast den Sohn des großen Geistes unsern Erretter genannt. Hat dir vielleicht ein Pu teh uakon ✽✽) von ihm erzählt?“

„Mir nicht; aber die Mutter meiner Mutter war die Squaw eines Kriegers der Mandans und liebte die Squaw eines weißen Pu teh uakon, von welcher sie das Gebet erlernte; sie betete auch mit ihrer Tochter, und diese, meine Mutter, erzählte mir alles, was sie von Uakantanka tschihintku ✽✽✽) wußte, und betete mit mir.“

„Betest Du auch jetzt noch?“

„Ich bete mit meinen beiden Knaben, doch darf der Häuptling es nicht hören, denn er haßt die Bleichgesichter, welche unter dem Vorgeben, uns das Gebet zu bringen, nur das Verderben in unsere Wigwams tragen.“

„Er scheint Dich sehr lieb zu haben. Darum reitest Du ihm wohl nach?“

Sie stutzte, besann sich kurze Zeit und antwortete dann:

„Wie kommt das Bleichgesicht auf den Gedanken, daß ich ihm folge, daß er sich also nicht daheim im Lager befinde?“

„Ich weiß, daß er mit einer Schar von Kriegern von dort aufgebrochen ist, um die Sioux Ogallalah zu überfallen. Er ist da drüben am Flusse aufwärts geritten, und meine rote Schwester befindet sich also, falls sie zu ihm will, auf falschem Wege.“

„Sagst Du die Wahrheit?“ fragte sie erstaunt.

„Ja; wir wissen es genau. Wenn Du in dieser Richtung weiterreitest, wirst Du wahrscheinlich auf die Ogallalah treffen. Ich warne Dich!“

Jetzt verwandelte sich der Ausdruck des Erstaunens auf ihrem Gesichte in den des Schreckens, und sie erkundigte sich in hastiger Weise:

„Haben die Sioux die Rattlesnake-Berge verlassen? Werden sie hier abwärts kommen?“

„Ich vermute es.“

„Kennst Du sie? Seid ihr Freunde von ihnen?“

„Wir sind Freunde aller roten und weißen Menschen; aber die Sioux erkennen das nicht an; sie hassen uns; Du bist erschrocken. Du siehst mich forschend an. Hast Du einen Wunsch? Ich will Dir sagen, wer wir sind; dann wirst Du Vertrauen zu uns haben. Dieser rote Krieger neben Dir ist Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, und ich bin — —“

„Old Shatterhand?“ fiel sie mit in die Rede. „Wo Winnetou ist, da befindet sich auch Old Shatterhand. Sag mit, ob Du dieses Bleichgesicht bist!“

) Schwarze Schlange.  ✽✽) Missionär.  ✽✽✽) Gottes Sohn.

„Ich bin es.“

„Uff! Ihr seid Feinde meines Stammes; aber wenigstens ich habe nichts von Euch zu fürchten, denn diese beiden berühmten Krieger sind zu stolz, sich an einer Squaw zu vergreifen.“

„Du irrst. Wir sind nicht Feinde der Upsaroka’s; wir wünschen Frieden mit allen Menschen, auch mit Euch.“

„Aber unsere Krieger haben Euch vor einigen Monden, um Euch zu töten, bis an den Schlangenfluß verfolgt!“

„Das ist richtig, und doch hatten wir ihnen nichts gethan! Sie irrten sich in uns, und wir verzeihen ihnen. Hoffentlich finden wir bei Dir mehr Vertrauen als bei ihnen?“

Ihr Auge ruhte angstvoll auf der Spur, welcher sie gefolgt war; sie kämpfte eine Weile mit sich und sagte dann in entschlossenem Tone:

„Ja, ich will Euch trauen, denn meine Angst ist groß. Ich bin eine Squaw und weiß nicht, wie ich meine Knaben retten kann. Winnetou und Old Shatterhand werden sich nicht dadurch an den Kriegern der Upsaroka’s rächen, daß sie mich belügen und meine Söhne in den Tod reiten lassen.“

„So bist Du nicht dem Häuptling, sondern seinen und Deinen Knaben nachgeritten? Befinden sie sich in Gefahr?“

„In der größten, wenn es wahr ist, daß die Sioux Ogallalah hier kommen werden. Uff, uff! Mein Mund sollte das Geheimnis dieses Kriegszuges nicht erwähnen, und doch muß ich davon sprechen, wenn ich meine Söhne retten will! Die Krieger der Upsaroka’s erfuhren, daß die Feinde gekommen seien, uns anzugreifen. Uamduschka sapa sandte Kundschafter aus und brach nach deren Rückkehr mit zweimal hundert Männern auf, um den Sioux zuvorzukommen. Ich erfuhr von ihm, daß er den Weg einschlagen wolle, auf welchem ich mich jetzt befinde.“

„So hat er unterwegs aus irgend einem Grunde diesen seinen Plan geändert. Sind ihm etwa Deine Söhne heimlich nachgeritten?“

„Mein großer, weißer Bruder hat es erraten.“

„Wie alt sind sie! Besitzen sie schon Namen?“

„Sie zählen erst vierzehn und fünfzehn Sonnen ); aber in ihren Herzen wohnt der Mut, und ihre Seelen sehnen sich danach, schon jetzt unter die Krieger aufgenommen zu werden. Darum sind sie dem Häuptling einen Tag nach seinem Aufbruche gefolgt. Als ich das Morgens erwachte, waren sie fort; ihre Pferde fehlten; ich suchte und fand ihre Spur, welche mir ihr Vorhaben verriet.“

„Warum bist Du selbst ihnen gefolgt? Warum hast Du keinen Mann gesandt?“

) Jahre.
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Wir wollten eben weiter reiten, als da plötzlich eine Indianerin zu Pferde erschien

„Weil der Häuptling im Zorne die Unerbittlichkeit des grauen Bären besitzt. Vor seinem Grimme über seinen Ungehorsam kann kein Krieger sondern nur ich sie retten. Ich habe ein Stück Fleisch zum essen mitgenommen und mich aufs Pferd geworfen, ohne die Zeit zu verlieren, welche von den Bleichgesichtern eine Minute genannt wird; ich bin bis hierher auf ihrer Spur geblieben und habe fortwährend zum Manitou und zu seinem Sohne gebetet, sie noch heute einholen zu können; da traf ich Winnetou und Old Shatterhand, um zu hören, daß meine Söhne nicht ihrem Vater nach, sondern den Feinden entgegengeritten sind. Ich muß fort; ich muß ihnen folgen. Vielleicht gelingt es mir noch, sie zu warnen!“

Sie ritt, von ihrer Angst getrieben, weiter. Ein Blick zwischen Winnetou und mir genügte, uns zu verständigen; wir folgten der Squaw. Ich trieb mein Pferd an die Seite des ihrigen und sagte:

„Wenn es richtig ist, was ich vermute, nämlich das Deine Söhne auf die Sioux Ogallalah treffen werden, so kannst Du sie nicht retten; eine Squaw bringt das nicht fertig; dazu gehören Krieger. Kehre Du also um, und reite heim! Wir werden an Deiner Stelle der Spur folgen und uns der Knaben annehmen.

„Uff! antwortete sie. „Eine Mutter sollte nichts zur Rettung ihrer Kinder thun können? Hat Old Shatterhand noch keine Mutter gesehen, welche ihre Kinder liebt?“

Well! Ich will Dich also nicht auffordern, umzukehren; aber ich bitte Dich, uns an Deiner Stelle handeln zu lassen. Du würdest ihnen keine Hülfe bringen, sondern nur Dich selbst auch dem Verderben überliefern; ich wiederhole das, obgleich Du es nicht glaubst.“

„So ist es wirklich wahr, daß Winnetou und Old Shatterhand mit mir reiten wollen?“

„Ja.“

„Aber die Ogallalah werden Euch am Marterpfahle töten, wenn Ihr ihnen in die Hände fallt!“

„Sie haben das schon oft thun wollen, es aber doch nicht fertig gebracht.“

„Ihr wagt dennoch Euer Leben! Für zwei Knaben eines Stammes, dessen Krieger Euch töten wollten! Meine berühmten Brüder mögen mich verlassen und ihren frühern Weg fortsetzen!“

„Das thun wir nicht. Deine Kinder befinden sich in Gefahr, und Dir droht auch der Tod. Wir begleiten Dich.“

„Uff! So ist es also doch wahr, was die Mutter meiner Mutter stets behauptet hat!“

„Was?“

„Daß ein Christ, wenn er wirklich und von Herzen an den Sohn des guten Manitou glaubt, sogar sein Leben wagt, um dasjenige eines Feindes zu retten. Nicht wahr, das ist die Liebe, welche dort oben wohnt, wo die Sterne stehen?“

Es ist die Liebe, welche vom Himmel kommt und im Herzen jedes guten Menschen wohnt, auch in dem Deinigen, denn Du bist ja auch bereit, für Deine Kinder in den Tod zu gehen.“

„Mein weißer Bruder sagt Worte der Wahrheit; das fühle ich in meinem Innern. Wenn ich wieder bete, werde ich auch für ihn beten. Jetzt kann ich es nicht, denn meine Seele kennt nichts als nur die Angst um meine Söhne. Glaubst Du, daß sie noch zu retten sind?“

„Ja. Es ist ja noch gar nicht gewiß, daß sie den Sioux in die Hände fallen, und selbst wenn dies geschieht, hoffe ich zuversichtlich, daß wir sie befreien werden.“

Während ich mit der Indianerin sprach, hatte Winnetou sich an unsere Spitze gesetzt. Hammerdull und Holbers ritten hinter ihr und mir. Ich hörte, daß der Dicke zu dem Langen sagte:

„Wer hätte das gedacht, daß so etwas möglich sei! Erst geben wir uns alle Mühe, den Sioux auszuweichen, und nun reiten wir ihnen grad in die Zähne. Was sagst Du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Da sagt man nichts, sondern man reitet mit!“

„Ob man mitreitet oder nicht, das ist ganz egal, nur ausschließen darf man sich nicht davon. Doch halt, was ist mit Winnetou?“

Der voranreitende Apatsche hielt nämlich in diesem Augenblicke sein Pferd an und gab uns einen Wink zurück, die unsrigen auch zu parieren. Dann stieg er ab. Ich that dasselbe und ging zu ihm hin. Wir befanden uns an der Ecke eines ausgedehnten Gebüsches, hinter welchem eine kleine, offene Prairie folgte. Sie war nicht ganz eine halbe englische Meile breit und stieß jenseits an einen Wald, an dessen Rand wir eine bedeutende Schar von Reitern erblickten, welche soeben von ihren Pferden gestiegen waren, um Lager zu machen. Es war allerdings auch nicht zu früh dazu, denn die Sonne hatte sich schon so tief niedergesenkt, daß sie in kurzer Zeit verschwinden mußte. Das waren die Sioux Ogallalah, und was wir vermutet hatten, war also eingetroffen.

Die Squaw, Holbers und Hammerdull stiegen auch von ihren Pferden. Der letztere sagte in seiner drollig zuversichtlichen Weise:

„Da haben wir sie ja! Das sind gewiß auch zweihundert Mann. Wie werden sie erschrecken, wenn wir über sie hinwegstolpern! Denn wir machen uns doch an sie, Mr. Shatterhand, was?“

„Natürlich!“ antwortete ich. „Wir müssen ihnen doch die beiden Knaben abnehmen.“

Da fragte die Squaw rasch:

„Mein weißer Bruder glaubt also, daß diese Krieger meine Söhne wirklich ergriffen haben?“

„Ganz gewiß. Sie befinden sich ja auf der Spur Deiner Kinder und würden nicht grad auf derselben Lager machen, wenn sie nicht diejenigen gefangen genommen hatten, von denen diese Fährte geritten worden ist. Sie fühlen sich vollständig sicher, und es fällt ihnen gar nicht ein, zu denken, daß noch jemand denselben Stapfen folgen könnten. Hätten sie ihren Weg nur noch bis hieher verfolgt, so wären wir ihnen zwar noch schnell ausgewichen, aber sie hätten die Hufeindrücke unserer Pferde entdeckt.“

„Und denkt Old Shatterhand, daß wir die Gefangenen befreien können?“

„Ich hoffe, daß es möglich ist. Nur müssen wir verlangen, daß Du vollständig darauf verzichtest, auch nur das Geringste dabei zu unternehmen, denn Du könntest leicht alles verderben.“

„So laß uns schnell einen Umweg machen und hin reiten!“

„Habe nur Geduld! Wir können nicht eher von hier fort, als bis es vollständig dunkel geworden ist.“

Wir banden die Pferde an und setzten uns nieder. Die Frau konnte nicht still sitzen; sie rückte unruhig hin und her. Das war mir sehr begreiflich, aber wenn sie sich später im Augenblicke der Entscheidung auch nicht besser zu beherrschen vermochte, so machte es sich nötig, sie unter Aufsicht zu nehmen.

Hammerdull freute sich auf das zu erwartende Abenteuer; er rieb sich vergnügt die Hände und sagte:

„Hoffentlich, Mr. Shatterhand, habt Ihr Euch nicht vorgenommen, wieder, wie gewöhnlich, den Streich allein auszuführen. Ich will auch dabei sein! Ich möchte nicht immer bloß den Zuschauer machen.“

„Was und wie wir es thun werden, das kommt ganz darauf an, in welcher Lage sich die Gefangenen befinden“, antwortete ich.

„Die Lage geht mich gar nichts an! Ob es eine Lage gibt oder ob es keine gibt, das ist ganz und gar egal, wenn sie uns nur günstig ist. Frei müssen die beiden jungen Upsaroka’s werden. Meinst Du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm, wenn Du denkst, lieber Dick, ich habe nichts dagegen,“ antwortete der lange Pitt.

Winnetou lag lang ausgestreckt im Grase und sagte kein einziges Wort dazu. Sein männlich schönes, bronzenes Gesicht war völlig unbewegt. Er, der Vornehme, hielt es für vollständig überflüssig, ein Wort über eine Angelegenheit zu verlieren, in welcher nur die That zu sprechen hatte. Von ihm war im geeigneten Augenblicke ein einziger, kurzer Wink von größerer Bedeutung als tausend Worte, die ein anderer sprach.

Die Zeit verging; es wurde dunkel und dann finstere Nacht. Der Himmel hatte sich bewölkt, und nur hier und da blickte einmal ein Stern hernieder, um gleich wieder zu verschwinden. Nun war es Zeit für uns. Wir brachen auf und ritten über die Prairie, doch nicht in gerader Linie, weil diese uns direkt hinüber zu den Sioux geführt hätte; wir richteten es vielmehr so ein, daß wir den Waldesrand so weit von ihnen erreichten, daß sie uns nicht hören und noch viel weniger sehen konnten. Wie sicher sie sich fühlten, das zeigte uns der Umstand an, daß sie nicht nur sehr hohe, helle Feuer brannten, sondern es auch gar nicht für nötig hielten, diese in irgend einer Weise zu maskieren. Wir banden unsere Pferde wieder an; dann sagte ich zu Hammerdull und Holbers:

„Ich gehe jetzt mit Winnetou recognoszieren; wir lassen unsere Gewehre hier bei Euch, und Ihr entfernt Euch, bis wir wiederkommen, auf keinen Fall von dieser Stelle.“

„Darf ich denn nicht mit?“ fragte er mißmutig.

„Ihr würdet jetzt vollständig überflüssig sein. Später werdet Ihr sehr wahrscheinlich noch genug zu thun bekommen.“

Well; darauf will ich mich verlassen!“

„Und sorgt vor allen Dingen dafür, daß die Squaw hier bleibt! Gebt ja nicht etwa zu, daß sie uns folgt; es könnte keine größere Dummheit geschehen, als diese wäre!“

Wir gingen. Indem wir dicht am Waldesrande hinschlichen, näherten wir uns dem Lager der Ogallaha so weit, daß wir die uns zunächst sitzenden Gestalten ziemlich deutlich erkennen konnten; dann war es Zeit, den Rest des Weges unter den Bäumen zurückzulegen; auf diese Weise kamen wir unbemerkt so weit, daß wir, im Saume des Gehölzes versteckt, die Ogallalah nahe vor uns liegen hatten.

Von außen her war nicht heranzukommen, weil die Roten ihre Pferde in einen Halbkreis um das Lager angepflockt hatten, und diese Tiere pflegen die Annäherung eines Weißen durch Schnauben zu verraten. Es brannten mehrere Feuer; man konnte fast

jedes Gesicht deutlich erkennen. Wir waren neugierig auf den Anführer der Truppe, denn wir kannten alle hervorragenden Häuptlinge und Krieger der Sioux. Wir sahen aber außer lauter jungen Leuten nur einen alten Indsman, welcher im Rufe der Klugheit stand und darum bei Beratungen hinzugezogen wurde, sonst aber keinen Rang besaß. Er hieß Tantschan honska ), ein Name, welcher sich auf seinen Körperbau bezog. Er saß an einem der Feuer ganz allein mit einem Manne, welcher unsere Aufmerksamkeit besonders auf sich zog, denn er war ein Weißer. Von robustem, starkknochigem Baue, hatte er einen wahren Stierkopf auf dem Nacken sitzen; seine breiten, wie zugehackten Gesichtszüge machten den Eindruck der heimtückischen List und Gewissenslosigkeit. Wer er war, was wußten wir nicht; wir hatten ihn nicht gesehen. Neben ihm lag ein ranzenartig zusammengenähtes graues Wolfsfell, aus dessen zugebundener Oeffnung einige mehr als fingerstarke Stäbe hervorragten. Dieses Fell wurde zuweilen von innen bewegt; es schien irgend ein lebendiges Tier darin zu stecken. Auf der andern Seite des Feuers lagen die beiden Upsarokaknaben, welche wir suchten; sie waren so fest gebunden, daß sie kaum ein Glied regen konnten. Die Sioux aßen; wir sahen, daß sie einen Büffel geschossen hatten, dessen Fleisch sie über die Feuer hielten, um es leicht anzubraten und dann zu verzehren.

Daß ‚Langer Leib‘ mit dem Weißen allein an einem Feuer saß, ließ vermuten, daß sie beide die Truppe befehligten. Wie kam dieses fremde Bleichgesicht dazu, die Sioux hierher nach dem Big Horn-River zu führen? Hatte er eine Rache gegen die Upsaroka’s? Waren die Ogallalah von ihm durch Versprechungen veranlaßt worden, ihm bei der Ausführung derselben beizustehen? Das fragte ich mich, und Winnetou hatte jedenfalls ganz dieselben Gedanken.

Wir krochen, um vielleicht etwas zu erlauschen, dem betreffenden Feuer so nahe, wie das Terrain es uns erlaubte; hinter einem Beerenstrauch liegend, konnten wir den ganzen Lagerplatz überblicken. Ich nahm an, daß die zwei Anführer mit den zwei Gefangenen noch nicht viel gesprochen hatten; es war ja während des Rittes hierher keine passende Gelegenheit dazu gewesen. Die Richtigkeit dieser Annahme sollte ich sofort erfahren, als der Weiße fertig mit essen war. Er wischte sich das Messer an seinem Aermel ab und sagte zu dem „Langen Leib“:

„Jetzt wird es Zeit sein, diese Upsaroka-Brut vorzunehmen. Hat mein roter Bruder etwas dagegen?“

Der Sioux knurrte etwas, was nein bedeuten sollte, und so gab der Weiße einem Indianer den Befehl, die Gefangenen so zu binden, daß sie sitzen

) Langer Leib.
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Sie sprang hinaus und auf das Feuer zu …

konnten. Sie wurden in sitzende Stellung aufgerichtet, und dann sagte der Weiße zu ihnen:

„Also Ihr seid die Söhne des Hundes, welcher sich Uamduschka sapa, die schwarze Schlange nennt; weiter habe ich noch nichts von Euch erfahren. Kennt Ihr mich?“

„Ja,“ antwortete der ältere Knabe, indem er dem Sprecher furchtlos in das Auge blickte.

„Nun, wer bin ich?“

„Du bist Folder, der frühere Agent der roten Männer; Du hast sie betrogen und bist deshalb von dem weißen Vater in Washington ) bestraft worden. Dann gingst Du nach dem wilden Westen und wurdest Pferdedieb und Mörder. Unser Vater, der berühmte Häuptling der Upsaroka’s, erwischte Dich, als Du ihm fünf Pferde gestohlen hattest. Darauf steht der Tod; da aber Uinorintscha ota, unsere Mutter, Mitleid hatte und für Dich bat, tötete er Dich nicht, sondern ließ Dich nur schlagen und jagte Dich dann fort.“

Das war ja ein ganzes Sündenregister, welches der Knabe seinem Feinde so mutig vorhielt! Wir wußten nun, wer dieser Weiße war, denn wir hatten gar wohl von jenem berüchtigten Indianeragenten Folder gehört, von dem die armen Roten in einer solchen Weise betrogen und übervorteilt worden waren, daß sich die Behörde der Sache doch endlich einmal hatte annehmen müssen. Er wurde abgesetzt und mit mehreren Jahren Gefängnis bestraft.

Also diesen Gauner sahen wir jetzt vor uns! Nun war es uns klar, daß er die Ogallalah zu einem Zuge gegen die Upsaroka’s beredet hatte, um sich für die damals erhaltenen Hiebe zu rächen. Er grinste die Knaben höhnisch an und antwortete:

„Wie laut so junge Hunde, wie ihr seid, doch schon bellen können! Ich werde euch aber die Schnauzen verschließen; darauf könnt ihr euch verlassen! Ja, euer Vater, der räudige Kerl, hat mich prügeln lassen, prügeln, daß das Blut nur so um mich spritzte. Ich habe damals einen himmelhohen und höllentiefen Schwur gethan, mich zu rächen, und jetzt bin ich gekommen, diesen Schwur wahr zu machen. Ihr sollt mir jeden Tropfen Blut, den ihr mir damals herausgeschlagen habt, mit einem Indianerleben bezahlen. Beim Teufel, ich hätte nicht gehofft, daß ich schon jetzt Gelegenheit haben würde, mit meiner Rache anzufangen. Schon jetzt zwei Upsaroka’s zu fangen, und noch dazu die Söhne des Häuptlings, das ist ein Glück, dessen ich mich würdig zeigen werde. Aber was habt ihr Ratten denn hier in dieser Gegend zu suchen? Warum habt ihr euch so weit von eurem Lager entfernt?“

„Wir haben noch keine Namen; darum zogen wir

) Präsident der Vereinigten-Staaten.

aus, um in der Einsamkeit zu fasten und den großen Geist um unsere Medizinen zu befragen.“

Das war eine Antwort, wie sie gar nicht klüger gegeben werden konnte. Der Häuptlingssohn war trotz seiner Jugend ein Pfiffikus. Er verriet nicht, daß sein Vater auf einem Kriegszug gegen die Sioux unterwegs war. Folder war so unvorsichtig, ihm vollen Glauben zu schenken; er sagte:

„Ihr braucht den großen Geist nicht zu fragen; euere Medizinen kenne ich schon. Ich werde sie euch zeigen.“

Er knüpfte den Riemen, welcher den erwähnten Fellranzen verschloß, auf und zog langsam einen der Stäbe heraus. Ich sah zu meinem Erstaunen, daß eine große Klapperschlange an demselben hing. Er hielt den Stock mit der sich wütend bewegenden Schlange empor und lachte:

„Das werden eure Medizinen sein; sie stecken da im Wolfsfelle. Als wir jetzt in den Rattlesnake-Mountains ) waren, kam ich an einen Ort, wo diese Bestien ein Meeting abzuhalten schienen, denn sie waren in Menge da beisammen. Da euer Vater „Schwarze Schlange“ heißt, kam mir sogleich der Gedanke, daß dies ein Fingerzeig für meine Rache sei. Ich fing ein halbes Dutzend dieser Schlangen und nahm sie mit, um die „Schwarze Schlange“ mit Weib und Kindern durch Schlangengift in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Ein großartiger Gedanke, wie ihn noch kein Westmann jemals gehabt hat! Darum freut es mich, daß Ihr so zuvorkommend seid, Euch schon heute bei mir einzustellen. Ich werde die jungen Upsaroka-Schlangen mit diesen Klapperschlangen zusammenbinden und meine Augen an den Bissen weiden, gegen die ihr euch nicht wehren könnt. Das wird morgen früh geschehen, so bald es Tag geworden ist. Oder ist es Euch vielleicht lieber, wenn ich es schon jetzt thue?“

Er stand auf und hielt den Knaben die züngelnde und sich windende Schlange so nahe, daß der verderbliche Biß sofort erfolgen konnte. Da raschelte es nach bei uns im Gebüsch, und eine weibliche Stimme rief im Tone des Entsetzens:

„Halt, thue es nicht, thue es nicht! Ich beschwöre dich beim großen Geiste, laß sie leben, und töte lieber mich!“

Sie sprang hinaus und auf das Feuer zu. Es war Uinorintscha ota, die Häuptlingsfrau. Die Sorge um ihre Kinder war zu mächtig gewesen; sie hatte sich von Hammerdull und Holbers nicht halten lassen und sich herbeigeschlichen. Ohne uns zu sehen und von uns bemerkt zu werden, war sie unsere Nachbarin gewesen und hatte die Drohungen Folders gehört. Jetzt lag sie draußen bei ihren Söhnen auf den Knieen, liebkoste sie und rief und bat:

„Gebt sie frei; laßt sie los! Bindet mich, lieber mich mit den Schlangen zusammen! Sie dürfen nicht gebissen werden; ich will an ihrer Stelle sterben, ich!“

Es läßt sich denken, daß das plötzliche Erscheinen der Squaw großes Aufsehen erregte. Die Sioux sprangen auf und drängten sich herbei. Folder, welcher die Frau kannte, rief halb erstaunt und halb erfreut aus:

„All devils! Das ist ja Uinorintscha ota, die fromme Frau des Upsaroka-Häuptlings! Sag sofort, Weib, wie Du hier in diese Gegend kommst!“

„Ich bin meinen Söhnen nach, weil sie fortgeritten sind, ohne mich zu fragen,“ antwortete sie.

„Ist das wahr?“

„Ja.“

) Klapperschlangenbergen.

„Wer hat Dich begleitet?“

„Niemand.“

„So bist Du allein?“

„Ja.“

„Kommt jemand nach?“

„Nein.“

„Weiß dein Mann, wo Du bist?“

„Nein.“

„Bist Du geritten? Wo hast Du dein Pferd?“

„Als ich eure Feuer sah, habe ich es draußen auf der Prairie stehen lasen und mich herbeigeschlichen.“

„Verteufelte Geschichte! Das kann uns unsern ganzen, schönen Plan verderben! Erst die Knaben fort und dann die Squaw fort; die „Schwarze Schlange“ wird natürlich nach ihnen suchen lassen. Wenn wir von einem solchen Späher vor der Zeit gesehen werden, ist alles verraten. Wir müssen dreifach vorsichtig sein. Bindet die Squaw!“

„Ja, bindet mich!“ bat sie. „Aber laßt dafür meine Kinder frei.“

„Weib, bist Du verrückt? Du kommst mir grad recht, denn ich habe sechs Schlangen, für jede Person zwei. Ich will mich an der Freude ergötzen, welche Du über deine roten Bengels haben wirst, wenn sie sich mit den Rattlesnakes um die Wette winden. Also bindet sie; dann werde ich sie noch weiter ausfragen!“

Er schob den Stab mit der Schlange in den Ledersack zurück; indem er dieses that, sagte „Langer Leib“ zu ihm:

„Mein weißer Bruder mag mir erlauben, daß ich Späher aussende!“

„Warum? Wohin?“

„Die Squaw kann uns belogen haben, als sie sagte, daß sie allein sei. Sie hat im Walde gesteckt und uns belauscht. Wir müssen ihn und den ganzen Umkreis des Lagers absuchen, um zu erfahren, ob sie die Wahrheit gesprochen hat.“

„Ja, das müssen wir allerdings. Es wäre verteufelt, wenn wir von hier fort müßten, denn grad hier gibt es eine Stelle, wie ich sie gar nicht besser für mein Schauspiel finden kann. Ich kenne hier eine tiefe, weite Cache ), welche ich früher selbst mit gegraben habe; da hinein wollte ich diese drei Roten mit den Schlangen werfen. Also sucht! Ich hoffe, daß niemand zu finden ist.“

Jetzt war es die höchste Zeit für Winnetou und mich, uns zu entfernen. Wir huschten erst ein Stück zurück, tiefer in den Wald hinein, und eilten dann nach der Stelle zurück, an welcher Hammerdull und Holbers auf uns warteten. Diese beiden empfingen uns in großer Verlegenheit, denn sie glaubten, von uns tüchtig ausgescholten zu werden.

„Wir sind nicht schuld,“ sagte der Dicke. „Die Squaw hat uns nicht gefragt, hat kein Wort gesprochen; sie sprang plötzlich auf und war fort. Habt ihr sie nicht gesehen? Sie muß euch nachgelaufen sein.“

„Sie ist gefangen,“ antwortete ich. „Steigt schnell auf; wir müssen fort!“

„Wohin?“

„Kommt nur, kommt!“

Wir nahmen natürlich das Pferd der Squaw mit. Die Sioux glaubten, sie habe es auf der Prairie stehen lassen; von da konnte es sich verlaufen haben; wenn es fehlte, war dies kein Grund zum Verdacht. Wir entfernten uns wohl eine halbe Meile weit und hielten erst dann an, als wir überzeugt waren, daß die Nachforschungen der Ogallalah sich nicht bis zu uns erstrecken würden. Als wir uns da ausgestreckt hatten, fragte ich den Apatschen:

) Verborgene Grube zum Verstecken der erbeuteten Häute und Felle.

„Wann gehen wir wieder hin?“

„Um Mitternacht,“ antwortete er.

„Das denke ich auch; eher nicht. Wir müssen warten, bis alles schläft.“

Er schwieg eine Weile und stieß dann den Seufzer aus:

„Uff! das ist wieder einmal ein Bleichgesicht, ein — — — — Christ! Ein Indianer ist ein Engel gegen diese Weißen. Mein Bruder mag nichts zu mir sagen; ich mag kein Wort darüber hören!“

Wie recht hatte er!

Ich mußte natürlich Hammerdull und Holbers erzählen, was wir erlauscht hatten. Als ich damit zu Ende war, sagte Dick:

„Da hat man es wieder einmal: Weiber verderben doch stets den Brei! Drum habe ich nicht

geheiratet und werde diesen Fehler auch nie begehen. Was meinst Du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?

„Das machst Du, wie Du willst,“ antwortete der Gefragte in seiner trockenen Weise.

„Ob ich will oder nicht, das bleibt sich gleich, das ist sogar ganz egal; ich mach es eben nicht! Was hat sie nun davon? Hat sie ihre Kinder gerettet? Mit Klapperschlangen zusammengebunden zu werden! Es schüttelt mich! Das lassen wir natürlich nicht geschehen, und wenn es uns das Leben kosten sollte. Wie aber werden wir es anfangen, Mr. Shatterhand?“

„Das wird sich finden, wenn wir hinkommen,“ antwortete ich. „Jetzt wollen wir versuchen, zu schlafen, denn während der Nacht wird es wohl keine Ruhe geben.“

(Schluß folgt im nächstjährigen Kalender.)

Zierleiste

Zierleiste2 linksMutterliebe.Zierleiste2 rechts

Schluß der Reiseerinnerung von Dr. Karl May. (Siehe vorjähriger Kalender.)

II. Gerettet.

(Nachdruck verboten.)

Dieser Versuch wurde zwar gemacht, aber er gelang nicht; wir konnten nicht einschlafen und machten uns um Mitternacht auf den Weg, nachdem wir die Pferde festgebunden hatten. Wir schlichen uns natürlich mit der größten Vorsicht an, mußten aber zu unserer Ueberraschung finden, daß diese Mühe vergeblich gewesen war — — — die Sioux waren nicht mehr da.

Wo waren sie hin? Auf den verlassenen Feuerstätten lagen noch einige zwar ausgegangene aber nur halb verbrannte dürre Aeste; wir zündeten sie wieder an, um sie als Fackeln zu benutzen und mit ihrer Hülfe nach Spuren zu suchen. Da fanden wir, daß die Roten über die Prairie hinüber waren, ihren Kriegszug also fortgesetzt hatten.

„Uff!“ sagte Winnetou. „Die Squaw hat in ihrer Angst verraten, daß wir hier sind; sie hat den Sioux mit uns gedroht und ihnen gesagt, daß wir sie und ihre Kinder retten werden. Darum sind die roten Krieger schnell fort, damit wir ihnen den Ueberfall der Upsaroka’s nicht vereiteln können. Wir reiten ihnen rasch nach. Wenn wir ihre Fährte während der Nacht auch nicht sehen können, wenn es Tag geworden ist, werden wir sie schon finden.“

Ich war vollständig mit ihm einverstanden. Wir eilten zu unseren Pferden und stiegen auf, um auf demselben Wege zurückzureiten, den wir seit unserm Zusammentreffen mit der Squaw gekommen waren. Da wir die Gegend also kannten, machte es uns trotz der Dunkelheit keine Schwierigkeit.

Wir ritten sehr schnell, schneller, als die Sioux reiten konnten, weil sie keine Kenntnis von dem Terrain besaßen. Sie waren höchst wahrscheinlich nicht lange vor uns aufgebrochen, und so durften wir hoffen, sie in nicht zu langer Zeit einzuholen. Wir waren für diesen Fall entschlossen, alles, aber auch das Gefährlichste zu wagen.

Es dauerte leider nicht lange, so kamen wir an den Punkt des Zusammentreffens mit der Squaw, und von da an war die Gegend auch uns nicht mehr bekannt; aber schon nach zwei Uhr lichtete sich der Himmel; es war nicht mehr so dunkel wie vorher, und wir konnten die Pferde ausgreifen lassen. Kurze Zeit später war der Erdboden zu erkennen; das gab uns die Möglichkeit, nach der Fährte zu suchen. Hammerdull und Holbers ritten geradeaus; ich wendete mich nach rechts, Winnetou sich nach links; in zehn Minuten wollten wir wieder zusammentreffen. Ich fand nicht, aber als ich wieder zu den drei andern

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Die eine Hand fest um ihre Kehle, mit der andern einige Hiebe an die Schläfe....

stieß, hatte der Apatsche die Spuren entdeckt; wir folgten ihnen, und zwar sehr vorsichtig, denn sie waren noch keine Viertelstunde alt.

Die Gegend war sehr bergig geworden. Wir kamen durch einen Wald. Als wir das Ende desselben erreichten, gab es einen ebenen Streifen, vor uns offen, rechts mit Büschen besetzt. Die Sioux befanden sich eben jetzt auf diesem Streifen, und da er eine ansteigende Lehne bildete, konnten wir jeden einzelnen Reiter unterscheiden. Sie ritten auf eine steile Höhe zu, welche von zwar lichten aber sehr breitgipfeligen Bäumen bestanden war. Ueber diese Höhe führte eine Art natürlicher Schneuße, ein baumarmer, schmaler Streifen, auf welchen die Roten zu lenkten. Indem wir sie abzählten, bemerkten wir Zweierlei, etwas uns Willkommenes und etwas uns Ueberraschendes. Das Willkommene war, daß die beiden Anführer allein ritten, und zwar eine ziemliche Strecke hinter den andern her. Das Ueberraschende bestand darin, daß die Squaw und ihre Söhne nicht bei ihnen waren.

„Die Sioux haben sie gar nicht mitgenommen, sondern mit den Schlangen in die Cache geworfen,“ sagte ich. „Wir müssen schnell wieder zurück; aber da wir nicht wissen, wo die Cache liegt, muß Folder es uns sagen. Wir nehmen ihn und „Langen Leib“ gefangen. Wir müssen ihnen dort auf der Höhe zuvorkommen; also Galopp da nach den Büschen rechts, daß sie uns nicht sehen!“

Winnetou hatte, wie gewöhnlich, ganz dieselben Gedanken wie ich gehabt; er flog, ohne meine Worte ganz anzuhören, uns schon voran, und wir folgten ihm so schnell, wie unsere Pferde laufen konnten; die Sträucher verschwanden nur so hinter uns.

Als wir den Fuß der Höhe erreichten, waren wir überzeugt, daß die Sioux auf ihrem offenen Terrain auch noch nicht weiter waren. Wir sprangen von den Pferden. Hamerdull und Holbers sollten sie und unsere Gewehre halten, also hierbleiben, während Winnetou und ich unter den Bäumen, also von den Roten ungesehen, die Höhe zu Fuße zu ersteigen hatten. Das ging mit langen Schritten und Sprüngen die Höhe schnell bergan, wobei wir, um ruhiges Blut zu behalten, den Atem sorgfältig einteilten. Auf halber Steigung angekommen, wendeten wir uns mehr nach links, in schief emporstrebender Richtung der Schneuße zu. Als wir den Rand derselben erreichten, ritten die Sioux eben vorüber. Wir standen hinter einem über mannshohen Felsenstück. Jetzt trat eine Pause ein, nach welcher wir die beiden zurückgebliebenen -

zurückgebliebenen Anführer kommen hörten. Als sie den Felsen passiert hatten, flüsterte Winnetou mir zu:

„Du den Weißen, ich den Roten!“

Wir schnellten unhörbar hinter ihnen her; ein kräftiges Ausholen, ein gelungener Sprung, und wir befanden uns hinter ihnen auf den Pferden. Die eine Hand fest um ihre Kehle, mit der andern einige Hiebe an die Schläfe, und sie glitten, indem wir nachhalfen, in bewußtlosem Zustande von ihren Pferden herab, die allerdings nicht stillstehen, sondern davonrennen wollten. Ein solcher Ueberfall von hinten auf das Pferd ist gar nicht leicht; man bringt es nur nach langer Uebung fertig. Nun wandten wir unsere Lassos auf, banden damit die Gefangenen wie Säcke quer über ihre Pferde fest, nahmen diese bei den Zügeln und führten sie den Berg wieder hinab. Das war alles so schnell und vorsichtig gegangen, daß, als wir bei unsern Gefährten ankamen, wohl kaum eine ganze Viertelstunde vergangen war.

Nun ging es wieder durch die Büsche zurück, nach dem Walde und dann immer weiter, bis wir sahen, daß die Entführten wieder zu sich kamen; da hielten wir an. Sie erschraken nicht wenig, als sie bemerkten, daß sie nicht mehr bei ihren Sioux sondern gefangen waren. „Langer Leib“ erkannte uns sofort. Folder wollte mit Grobheiten um sich werfen; da hielt ich ihm den Revolver vor und sagte:

„Still, Hallunke, sonst schieße ich Dich augenblicklich nieder! Wir wollen die Upsaroka-Squaw und ihre Kinder haben, und Du wirst uns die alte Cache zeigen, in welcher sie stecken. Wenn ihnen die Schlangen nur den geringsten Schaden zugefügt haben, so ist der heutige Tag der letzte Euers Lebens; das schwöre ich, Old Shatterhand, Dir zu!“

„Cache — — — —? Schlangen — — —?“ fragte er, nach einer Ausrede suchend.

„Schweig, sonst bekommst Du die Kugel! Ihr setzt Euch jetzt richtig auf die Pferde und werdet da fest angebunden. Dann reiten wir weiter. Wer nur eine Versuch des Widerstrebens macht, ist einen Augenblick später ein toter Mann!“

Auch wenn sie diese Drohungen nicht hätten beachten wollen, wären sie durch den unerbittlichen Blick, mit dem das Auge des Apatschen an ihnen haftete, zum widerstandslosen Gehorsam veranlaßt worden. Wir fesselten sie auf ihre Pferde und ritten dann mit ihnen weiter, vermieden aber den bisherigen Weg, um den Sioux die Verfolgung möglichst schwer zu machen; denn daß diese ihre Führer vermissen, sie suchen und uns dann nachreiten würden, das verstand sich ganz von selbst. Ihr Ritt nach dem Jagdgebiete der Upsaropka’s wurde dadurch nicht nur eine Weile aufgeschoben, sondern wahrscheinlich auch ganz unmöglich gemacht.

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Unten lag die Squaw, jetzt wieder in Krämpfen und schwer mit dem Atem ringend.

Ueber den jetzigen Rückweg ist weiter nichts zu erwähnen, als daß wir uns auf demselben selbstverständlich möglichst beeilten. Es mochte gegen acht Uhr Morgens sein, als wir auf dem gestrigen Lagerplatze der Ogallalah wieder ankamen. Als ich Folder nun aufforderte, uns nun zu zeigen, wo die Mutter mit ihren Kindern zu finden sei, sagte er mit einem brutal höhnischen Lachen:

„Ich habe Euch noch nie gesehen, aber genug von Old Shatterhand und Winnetou gehört, um zu wissen, daß Ihr nie richtet, ohne vollgültige Beweise zu haben. Ich habe von Euch nichts zu fürchten, denn ich bin unschuldig. Ich weiß von keiner Squaw etwas und von ihren Kindern noch viel weniger.“

Well! Ein offenes Geständnis hätte Euch genützt; da Ihr leugnet, habt Ihr keine Gnade zu erwarten. Wir haben gestern da im Gesträuch gesteckt und alles gesehen und gehört; wir werden die Gesuchten sicher finden. Will nicht wenigstens Tantschan Honska aufrichtig sein?“

Der Sioux, an den ich diese Frage gerichtet hatte, schüttelte den Kopf und antwortete stolz:

„Tantschan Honska führt nicht mit Weibern und mit Kindern Krieg; er wird kein Wort darüber sprechen.“

Well, so werden wir suchen!“

Es verstand sich ganz von selbst, daß von hier aus nach der Cache Spuren führten; wir hatten sie heut Nacht nicht sehen können, sonst wären wir den Sioux nicht nachgeritten, ohne vorher die Grube zu suchen. Wir brauchten jetzt nur die Augen aufzuthun, um eine Fährte zu entdecken, welche erst am Rande des Waldes hin und dann in diesen hinein führte. Es waren die Spuren menschlicher Füße und zweier Pferde. Die Sioux hatten zwei Krieger mit ihren Pferden hier gelassen, um die Cache bis zur Rückkehr der Schar zu bewachen. Schon wollte ich, während wir den Stapfen folgten, wegen diesen zwei Wachen zur Vorsicht mahnen, als ich die Spitze eines Moccassin hinter einem Baum hervorragen sah. Ich ging hin. Da stand der ältere der beiden Knaben mit einem Messer in der Hand. Er hielt uns für Feinde, weil er uns nicht kannte.

„Du bist der Sohn des Häuptlings der Upsaroka“, sagte ich. „Ich bin Old Shatterhand, und da ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen. Wo ist Deine Mutter und wo Dein Bruder.

„Uff!“ rief er erleichtert aus. „Old Shatterhand und Winnetou! Mutter hat uns gesagt, daß Ihr uns retten wollt. Sie wird sterben, denn die Schlangen haben sie gebissen. Wir suchen nach Giftkraut, können aber hier keins finden.“

Die Thränen traten dem wackeren Sohne in die Augen.

„Führe uns!“ forderte ich ihn auf. „Vielleicht ist noch Hülfe möglich.“

„Nein; Mutter stirbt,“ sagte er weinend. „Sie zittert am ganzen Leib und schlägt um sich; oft liegt sie schon wie tot; dann erwacht sie wieder, um zu beten. Wo sie gebissen wurde, ist alles geschwollen und dunkel gefärbt. Sie wird sterben, aber ich, ich werde sie rächen! Kommt!“

Er führte uns vielleicht zweihundert Schritte weiter; da blieb er stehen und sagte:

„Horcht! Sie spricht.“

Wir lauschten und hörten die Stimme der Frau wie aus einer Höhle heraus:

„Machpiya ekta token nitawatschin etschongpi king maka akan hetschen etschongpi nongue — — wie dein Wille im Himmel geschieht, so geschehe er auch auf Erden!“

Die betete das Vater unser. Wir gingen noch einige Schritte, bogen um eine dichte Baumgruppe und standen dann vor der Cache. Sie war vielleicht acht Fuß tief, sechs Fuß lang und breit und mit Rundhölzern ausgekleidet, um sie vor der Feuchtigkeit und dem Einsturz zu bewahren. Der aus ebensolchen Hölzern bestehende und mit Moos bekleidete Deckel war jetzt abgenommen und lag auf der Seite. Solche Gruben wurden von den Jägern und Fallenstellern angelegt, um die erbeuteten Felle bis zur Zeit ihres Abholens zu verstecken.

In der Nähe sahen wir zwei Pferde angebunden; zwei Gewehre lehnten dabei, und an zwei Aststumpfen sahen wir — — — zwei frische, blutige Kopfhäute hängen.

„Von wem sind diese Skalpe?“ fragte ich schnell und verwundert.

„Von den beiden Sioux, welche uns bewachten. Ich werden Old Shatterhand und Winnetou alles erzählen,“ antwortete der Knabe, indem seine Augen stolz aufleuchteten. „Jetzt bitte ich die berühmten, großen Krieger, zuerst nach der Mutter zu sehen!“

Indem wir in die Grube schauten, bemerkten wir zunächst eine abgebrochene, junge Fichte, welche den Knaben als Leiter diente. Unter lag die Squaw, jetzt wieder in Krämpfen und schwer mit dem Atem ringend. Bei ihr saß ihr jüngerer Sohn; er hatte ihren Kopf in seinem Schoße und weinte. Im entgegengesetzten Winkel lagen mehrere Riemen und drei große, vollständig ausgewachsene Klapperschlangen, welche nun tot waren. Ich sprang mit Winnetou hinab. Wie wir bei gleichen Veranlassungen fast stets auch die gleichen Gedanken mit einander hatten, ebenso jetzt: wir sahen zunächst nicht nach der Frau sondern nach den Schlangen. Sie waren durch Erwürgung getötet worden. Ihre fast zwei Meter langen Körper zeigten, mehr in der Nähe des Kopfes als hinten, zahlreiche kleine, wie von einer Stopfnadel herrührende Löcher in der Haut, doch mußte man sehr scharf hinsehen, um sie zu bemerken. Ich nickte dem Apatschen befriedigt zu, und er antwortete mit einem frohen Lächeln; Worte brauchten wir nicht.

Nun wendeten wir uns zu der Frau. Die Krämpfe hatten plötzlich nachgelassen; sie lag nun bewußtlos. Wir fanden an ihren Beinen bis zum Knie herauf, an ihren Armen und besonders an den Händen die Spuren von Bissen, deren Umgebung zwar, aber nicht stark, angeschwollen und blau gefärbt war, also nicht so dunkel, wie ihr Sohn gesagt hatte. Sie durfte nicht länger in der Grube liegen. Wir hoben sie so hoch empor, daß Hammerdull und Holbers sie vollends hinausnehmen konnte; dann stiegen wir mit dem jüngeren Knaben nach. Ich wendete mich zu Folder, welcher mit „Langer Leib“ gefesselt neben der Cache lag.

„Siehst Du, Schurke, daß wir Dein Geständnis nicht gebraucht haben! Wo sind die andern drei Schlangen?“

„Ein Sioux hat den Ledersack, in welchem sie stecken, auf dem Pferde,“ antwortete er.

„So hast Du sie also für den Häuptling der Upsaroka mitgenommen. Aber Deine Berechnung war eine falsche. Die Squaw hat wohl zwanzig Bisse erhalten, wird aber doch nicht sterben, weil die Giftdrüsen leer gewesen sind. Die in dem Ledersack eng zusammengedrückten und darüber zornigen Schlangen haben sich unter einander selbst gebissen, wie wir jetzt an ihren Häuten gesehen haben, und dadurch wurde der Giftvorrat erschöpft. Deine Lage wird dadurch freilich nicht verbessert, denn Du wirst trotzdem als Mörder behandelt werden.“

„Was geht denn Euch das an, was ich mit den Roten vorhabe? Ihr wollt Euch doch nicht etwa als Richter über mich aufspielen? Das müßte ich mir verbitten! Ich verlange, von Euch freigelassen zu werden!“

„Warte das ab, Bursche! Du wirst noch froh sein, wenn wir uns als Richter Deiner erbarmen.“

„Das bildet Euch nicht ein! Ich würde lieber sterben, als mich unter Euer Urteil stellen.“

„Gut, merke Dir das! Wir sind mit einander fertig.“

Da ihre Mutter noch bewußtlos war, mußten die Knaben uns nun erzählen, was sich nach unserer Entfernung vom gestrigen Lauscherposten ereignet hatte. Das war folgendes:

Man hatte nach etwaigen Begleitern der Squaw gesucht, aber niemand gefunden. Sie hatte dann mit heißer Angst und unablässig um das Leben ihrer Kinder gefleht, doch vergeblich. Sie hatte mit der Rache ihres Mannes gedroht, und als dies nur ein Gelächter Folders zur Folge gehabt hatte, war sie in ihrer Verzweiflung so unvorsichtig gewesen, zu sagen, daß wir hier in der Nähe seien. Die Wirkung war freilich sofort eingetreten, aber leider eine entgegengesetzte: anstatt einer Aenderung ihres Schicksals war eine Beschleunigung desselben eingetreten. Man hatte sie mit ihren Kindern unter dem Scheine von Feuerbränden nach der Cache gebracht, diese geöffnet und von den Klapperschlangen drei hinabgeworfen; dann waren die drei Unglücklichen, an Händen und Füßen gefesselt, hinabgelassen worden. Hierauf war Folder aus Besorgnis vor uns mit den Sioux aufgebrochen. Er wollte die Upsaroka’s ausrauben, so viele wie möglich von ihnen töten und ihren Häuptling lebendig hierherbringen, um ihn dem Schicksale seines Weibes und seiner Kinder zu weihen. Aus diesem Grunde hatte er zwei Krieger zur Bewachung der Grube zurückgelassen. Diese hatten Angst gehabt, von uns entdeckt zu werden, und sich, sobald es Tag geworden war, von hier entfernt, um nach uns zu forschen. Inzwischen hatte sich hier in der Grube ein Beispiel selbstlosester, aufopfernster Mutterliebe ereignet, wie es bewundernswerter gar keines geben kann. Die Knaben hatten sich in einer Ecke eng zusammengedrückt und sich aus Furcht vor den Schlangen vollständig bewegungslos verhalten. Die Mutter aber hatte, um ihre Kinder von dem schrecklichen Tode zu erretten, den ihre Hände zusammenhaltenden Riemen mit den Zähnen zernagt und, als sie dadurch die Arme frei bekam, im Finstern nach den Schlangen gesucht, um sie unschädlich zu machen, was nur dadurch geschehen konnte, daß sie eine nach der andern erwürgte. Daß sie dabei selbst und zwar viele Male gebissen wurde, kam bei ihr nicht in Betracht.

Als die dritte Schlange tot war, knotete die Squaw ihren Söhnen mit größter Mühe die Fesseln los, dann brach sie zitternd, fröstelnd, schwindelnd und fiebernd zusammen. Kurze Zeit später graute der Tag. Da sich kein Wächter sehen ließ, stieg der eine

rote Boy auf die Schultern des andern, schwang sich hinaus und brach die schon erwähnte junge Fichte ab, mit deren Hülfe der Bruder nachfolgte.

Kaum war das geschehen, so kam der eine Posten zurück; sie hörten ihn und versteckten sich. Er hatte unsere Spuren entdeckt und an ihnen ersehen, daß wir fort waren; nun fühlte er sich sicher. Er band sein Pferd an, lehnte sein Gewehr an einen Baum und ging zur Grube, um hinabzusehen; als er nur die Squaw bemerkte, fuhr er erschrocken zurück. Mittlerweile war der ältere Bruder zu dem Baum gehuscht, hatte das Gewehr ergriffen, spannte den Hahn, zielte auf den Sioux und schoß ihn nieder. Hierauf zog er ihm das Messer aus dem Gürtel und schnitt ihm, wen auch nicht so leicht und regelrecht wie ein erwachsener Krieger, den Skalp herunter. Dann wurde der Tote fortgeschafft und versteckt.

Nun luden die Brüder das Gewehr wieder, um auch den zweiten zu erschießen. Das sollte der jüngere thun, der auch einen Skalp haben wollte. Der Sioux kam nach einiger Zeit und wurde in den Kopf geschossen, skalpiert und zu dem andern Toten geschleift. Jetzt waren die jungen Indsmen Herren des Platzes und konnten sich um ihre Mutter bekümmern. Der eine stieg hinab zu ihr, damit sie nicht allein sei; der andere ging, um das giftverzehrende Schlangenkraut zu suchen. Dabei fanden wir ihn. Daß jeder der Knaben einen Skalp erbeutet hatte, das sicherte ihnen nicht nur volle Straflosigkeit von seiten ihres Vaters zu, sondern machte sie auch zum Eintritt in die Reihen der jungen Krieger würdig. Sie waren außerordentlich stolz darauf, man sah es ihnen an, wie sie vor Freude und Mut strahlten.

Nun wir die Hauptsache erfahren hatten, galt es vor allen Dingen, zunächst für die Squaw zu sorgen und uns dann auf die Rückkehr der Sioux vorzubereiten. Mir war es, als ob ich Schlangenkraut vorhin draußen am Lagerplatze hätte stehen sehen. Ich sagte dies Winnetou, und er forderte mich auf, es ihm zu zeigen. Wir gingen hinaus. Indem wir darnach suchten, stieß der Apatsche ein lautes „Uff!“ aus und sprang unter die Bäume; ich folgte ihm schnell. Wir sahen eine sehr beträchtliche Reiterschar auf uns zukommen. Als sie sich uns so weit genähert hatte, daß wir die Kriegsfarben erkennen konnten, rief Winnetou:

„Das ist Uandutschka sapa mit seinen Upsaroka’s. Sie halten sich für unsere Feinde; wir aber wollen uns den Scherz machen, uns von ihnen umzingeln zu lassen.“

Wir traten also wieder hinaus ins Freie. Kaum sahen sie uns, so ließen sie ihr Kriegsgeschrei hören, kamen herangejagt und schlossen uns ein.

„Uff, uff!“ rief die „Schwarze Schlange“. „Old Shatterhand und Winnetou! Nehmt diese Hunde fest, damit wir den Marterpfahl mit ihnen zieren!“

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„Hier sitzt Winnetou der Häuptling der Apatschen, es ist Friede!“

Winnetou setzte sich nieder, stieß die Klinge seines Messers in den Rasen und sagte:

„Hier sitzt Winnetou, der Häuptling der Apatschen; er gräbt das Messer des Krieges in die Erde, es ist Friede!“

Ich setzte mich neben ihn, deutete mit der Hand nach der betreffenden Richtung und forderte die „Schwarze Schlange“ auf:

„Der Häuptling der Upsaroka’s will die Sioux Ogallalah fangen. Er ist auf einem falschen Wege nach den Rattlesnake-Bergen geritten und wieder umgekehrt, weil er die Spuren der Sioux gefunden hat, welche nach seinen Jagdgründen wollen. Er ist diesen Spuren bis hierher gefolgt. Wir wollen ihm die Anführer der Sioux als seine Gefangenen schenken. Wenn er sie haben will, mag er der Spur folgen, welche dort links in den Wald hineinführt!“

„Uff!“ rief er aus. „Das kann nichts anderes sein als ein Verrat!“

„Sind Winnetou und Old Shatterhand Verräter? Kann man uns eine einzige Lüge nachweisen? Hier sitzen wir, und 200 Upsaroka’s haben uns umringt. Sie mögen uns töten, wenn es sich herausstellt, daß wir Dich betrügen wollen! Du wirst nicht nur finden, was ich sagte, sondern noch viel, viel mehr.“

„Uff! Ich thue das, was Du gesagt hast, aber wehe Euch, wenn Deine Worte trügerisch sind! Es werden, bis ich wiederkehre, zweimal hundert Gewehre auf Euch gerichtet sein.“

Er stieg vom Pferde und ging; er war zu stolz und zu mutig, Begleitung mitzunehmen; aber seine Leute hielten alle ihre Gewehre so, daß wir in die Läufe sehen konnten. Wir waren ohne Sorgen, denn wir kannten den Erfolg. Es vergingen zehn Minuten und nochmals zehn; da kehrte er zurück. Ein Wink von ihm, und die Gewehre wurden von uns abgewendet. Er trat zu uns und sagte:

„Meine Brüder haben Recht gehabt: es ist Friede. Wir hielten Old Shatterhand und Winnetou für unsere Feinde, sie aber haben uns bewiesen, daß sei unsere Brüder sind. Sie haben ihr Leben für meine Squaw und meine Söhne gewagt, und meine Söhne sind durch sie zu Kriegern geworden; wir werden das Kalummet des Friedens mit ihnen rauchen.“

„Aber jetzt nicht sondern später,“ fiel ich ein. „Die Sioux Ogallalah können jeden Augenblick da drüben jenseits der Prairie erscheinen; sie dürfen Euch nicht sehen. Deine Krieger mögen sich im Walde verstecken; dann wird Euer Sieg ein leichter sein.“

„Uff! Du meinst, daß sie zurückkommen?“

„Ja. Ich sage es, und so wird es auch geschehen. Sei klug, und folge meinem Rate!“

Er war freilich so gescheidt, ihn zu befolgen. Seine Krieger zogen sich mit ihren Pferden in den Wald zurück, so daß niemand mehr zu sehen war; wir aber gingen mit ihm zu seinem Weibe, welches

er, wie wir bald bemerkten, so liebte, wie ich es von ihm, dem Indianer, gar nicht für möglich gehalten hätte.

Die Freude, ihn zu sehen und keine Vorwürfe von ihm zu bekommen, wirkte so günstig auf die Frau, daß sie jetzt keine Schmerzen fühlte. Als sie hörte, daß ein blutiger Kampf bevorstehe, bat sie ihn, es nicht so weit kommen zu lassen; er möge es für genug halten, daß der Ueberfall auf sein Lager abgewendet sei. Es ist selbstverständlich, daß Winnetou und ich sie dabei kräftig unterstützten. Wir legten ihm alle Gründe vor, welche für unsere friedliche Ansicht sprachen, und es gelang uns schließlich, ihn zu bewegen. Er wollte sich mit Folder, der allerdings dem Tode verfallen war, begnügen und mit dem für ihn sehr wichtigen Umstande, daß seine Söhne Skalpe erbeutet hatten und dadurch trotz ihrer Jugend Krieger geworden waren. Wenn man den sogenannten Wilden nimmt, wie man ihn nehmen soll, ist er ein ganz vortrefflicher Mensch.

Als infolgedessen der „Lange Leib“ erfuhr, daß er nicht gefangen bleiben und am Marterpfahle sterben, sondern frei sein solle, wollte er es erst gar nicht glauben. Er wußte, wieviel Upsaroka’s hinter den Bäumen steckten; er kannte die Gefährlichkeit meines fünfundzwanzigschüssigen Henrystutzens und die Gefährlichkeit von Winnetous Silberbüchse; er konnte sich also sagen, was eine einzige unerwartete Salve von uns für eine furchtbare Verheerung unter den Sioux anrichten müsse. Und doch wollten wir auf alles, selbst auf die uns sichere Beute verzichten! Das war ihm unbegreiflich. Aber mit um so größerer Bereitwilligkeit ging er darauf ein, seine Sioux zum vollständigen und augenblicklichen Verlassen der hiesigen Gegend zu bewegen.

Wir waren grad mit ihm einig geworden, als sie am jenseitigen Rande der Prairie erschienen. Wir ließen sie ziemlich nahe kommen, und dann ging er ihnen entgegen. Sie stutzen und hielten an. Als er sie erreicht hatte, schlossen sie einen Kreis um ihn. Sie hatten wohl nicht erwartet, das zu hören, was er ihnen zu hören gab, denn wir sahen, daß sie in große Aufregung kamen.

„Sie können sich nicht in die neue politische Lage finden,“ lachte Dick Hammerdull. „Dieser „Lange Leib“ scheint kein guter Redner zu sein. Wir hätten eigentlich Dich hinüberschicken sollen, Pitt Holbers. Meinst Du nicht auch, altes Coon?“

„Mach keine dummen Witze, lieber Dick!“ antwortete der Lange. „Du weißt ja, daß ich kein Redner bin.“

„Ob Du einer bist oder nicht, das ist ganz und gar egal, denn bekanntlich sind stets diejenigen die besten Redner, welche gar nichts sagen. Doch schau, jetzt sind sie endlich fertig; der „Lange Leib“ kommt wieder her.“

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Die nun folgende Ceremonie der Friedenspfeife wurde mit größter Feierlichkeit vorgenommen.

Die Aufregung schien vorüber zu sein, denn die Sioux Ogallalah nahmen eine ruhige Haltung an. Ihr Anführer meldete uns:

„Meine Krieger würden den Beschluß nicht angenommen haben, wenn die Upsaroka’s allein hier wären; aber da sie das Zaubergewehr Old Shatterhands kennen, haben sie sich entschlossen, sogleich fortzureiten und nicht wiederzukommen. Darf ich mir mein Pferd nehmen?“

„Ja,“ nickte Uamduschka sapa. „Aber wisse, daß ich Euch Kundschafter nachsenden werde, welche Euch beobachten werden. Erfahre ich von ihnen, daß Ihr Euer Wort nicht haltet, so rufe ich über fünfmal hundert Krieger zusammen und vernichte Euch!“

Der Ogallalah machte eine Bewegung, welche sowohl Zustimmung wie auch Ironie bedeuten konnte, und holte sich sein Pferd. Bald darauf verschwand er mit seiner schweigend sich entfernenden Schar hinter dem Walde. Einige Upsaroka’s bekamen den Befehl, ihnen nachzureiten, um sie zu beobachten.

Niemand war über diesen Ausgang der Sache so betroffen wie Folder. Er hatte die Ueberzeugung gehegt, daß es zum Kampfe kommen und dieser ihm die Freiheit wiederbringen werde. Als er erfuhr, daß es für ihn keine Hoffnung gebe und er für den Tod am Marterpfahle bestimmt sei, ließ er mich zu sich kommen und bat mich, ihn zu retten. Ich antwortete:

„Ihr habt gesagt, das was Ihr mit den Roten vorhabt, gehe mich nichts an; ebenso habt Ihr versichert, daß Ihr lieber sterben als Euch unter mein Urteil stellen würdet. Die Folgen, welche ich voraussah, sind eingetroffen und mögen ihren Lauf nehmen.

„Aber, Sir, Ihr könnt doch unmöglich zusehen, daß ein Weißer, ein Christ, von diesen Roten gegen alles und jedes gesetzliche Recht hingemordet wird!“

„Christ? Nehmt dieses Wort nicht in den Mund! Habt Ihr etwa an Euer Christentum gedacht, als ihr Tausenden von hungernden und frierenden Indsmen die Nahrung und Kleidung unterschlugt? Als sie sich über diesen haarsträubenden Betrug auflehnten, habt Ihr sie einfach niederschießen lassen. Was war die kurze Gefängnisstrafe für solche Missethaten? Nichts! Und was Ihr dann getrieben habt, geht mich nichts an; es handelt sich nur um Euer jetziges Verbrechen. Uamduschka sapa hatte Euch, dem Pferdediebe, das Leben geschenkt; die Hiebe waren die reine Gnade für Euch. Anstatt ihm dankbar zu sein, wolltet Ihr den vielfachen Tod in seinen Stamm tagen und — — doch genug! Es ist schade um jedes Wort. Denkt an die Cache und die Klapperschlangen! Einen so raffinierten Hallunken, wie Ihr seid, von der mehr als verdienten Strafe zu erretten, würde ein Verbrechen sein. Ihr seid kein Christ, sondern ein blutgieriger, -

blutgieriger, gefühl- und gewissenloser Schurke, der unbedingt unschädlich gemacht werden muß!“

Da donnerte er derart mit Flüchen und Verwünschungen gegen mich los, daß sich mir die Haare hätten sträuben mögen. Ich entfernte mich, ohne noch ein Wort zu sagen. Dieser Mensch war keine Spur von Gnade wert.

Hatte ich mich vorher, als wir allein waren, um die Squaw sorgen dürfen, ohne dadurch meiner Kriegerehre Schaden zu thun, so stand es jetzt damit anders. Sie stand jetzt nicht mehr unter unserm Schutze, und ich konnte meine Teilnahme für sie nur dadurch beweisen, daß ich mich nach ihrem Befinden erkundigte. Der Häuptling antwortete:

„Sie liegt jetzt ruhig und schläft; ich weiß, daß sie bald wieder vollständig gesund sein wird, denn wir kennen Pflanzensäfte, welche das Schlangengift mit allen seinen Folgen aus dem Körper treiben. Mein weißer Bruder wird sie, sobald wir unsern Wigwams erreicht haben, so munter wie eine Antilope sehen.“

„Meinst Du, daß wir Euch dorthin begleiten werden?“

„Uff! Wolltet Ihr das etwa nicht thun? Das würde den berühmten Namen der Upsaroka’s schänden. Sollen wir von uns sagen lassen, daß Old Shatterhand und Winnetou unsere Gestfreundschaft verachtet haben? Dann wäre es besser gewesen, Ihr hättet meine Squaw und meine Söhne sterben lassen!“

Er hatte Recht, und als ich den Apatschen darüber befragte, willigte er sofort ein, den Wunsch des Häuptlings zu erfüllen.

Die nun folgende Ceremonie der Friedenspfeife wurde mit größter Feierlichkeit vorgenommen; dann folgte die weniger feierliche Beerdigung der beiden Siouxleichen. Als Grab diente die Cache, in welcher ihre Opfer hatten sterben und verwesen sollen. Dieses Schicksal war nun ihren Wächtern geworden; es gibt keine größere Consequenz als diejenige der ewigen Gerechtigkeit.

Nun war unsers Bleibens nicht länger mehr hier am Platze; die Rückkehr mußte der Kranken wegen beschleunigt werden, für welche eine Tragbahre hergestellt und zwischen zwei Pferden befestigt wurde. Als wir fortritten, sagte der stets muntere Hammerdull zu seinem langen Freunde:

„Noch gestern Mittag gaben wir uns alle Mühe,

uns weder von den Upsaroka’s noch von den Sioux sehen zu lassen, und nun heut — — — —? Die Einen haben wir ohne Pension emeritiert, und mit den andern sind wir gar in so dicke Brüderschaft geraten, daß wir mit ihnen ziehen, um alle ihre Küchenzettel zu studieren. So ändern sich die Zeiten oft in ganz kurzer Zeit. Was sagst Du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Ich werde gar nichts sagen sondern nur studieren,“ antwortete der Gefragte in seiner trockenen Weise. „Reden ist Silber, Essen ist Gold!“

„Ob Silber oder Gold, das bleibt sich nicht nur gleich, sondern das ist sogar ganz und gar egal; ich halte es mit beiden und freue mich nebenbei und außerdem auch auf die Theater, Bälle, Conzerts, Hochzeiten, Kindtaufen, Kirchweihen und was es sonst noch alles geben wird.“

Wenn es auch nicht die Vergnügungen gab, welche der Dicke hier scherzweise aufgezählt hatte, so kann ich doch sagen, daß die Gastfreundschaft der Upsaroka’s, als wir deren Wigwams erreicht hatten, alles Mögliche aufbot, um zu beweisen, daß sie es mit der Pfeife des Friedens ernst und aufrichtig gemeint hatten. Das einzige Ereignis, an welchem wir uns nicht beteiligten, war der „Tod am Marterpfahle“, durch welchen einer der größten Indianerquäler, Folder, seine Schandthaten zu büßen hatte. Ich bin im Leben nie mitleidslos gewesen, aber wenn ich diesem Menschen das Leben durch ein einziges Wort oder eine Handlung in die Rechte der Squaw hätte erhalten können, ich hätte es doch nicht ausgesprochen.

Was die Squaw betrifft, so traf ein, was der Häuptling von ihrer schnellen Genesung gesagt hatte; sie konnte schon nach einigen Tagen das Zelt verlassen und war nach einer Woche so gesund wie vor den Schlangenbissen. Den drei von ihnen [ihr] erwürgten Rattlesnakes waren die Häute abgezogen worden, welche die Frau als Andenken an jene schreckliche Nacht behalten wollte. Während eines späteren Besuches bei den Upsaroka’s sah ich, daß sie diese Häute als Schmuck in ihre lang herabfallenden Zöpfe eingeflochten hatte. Noch heute, nach so langer Zeit, denke ich, wenn von Mutterliebe gesprochen wird, an diese Indianerin und möchte ihr Beispiel jedem Menschen vorhalten, welcher das Vorurteil hegt, daß nur die weiße Rasse tieferen Gefühlen zugänglich sei. — — —

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