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Im Mistake-Cannon. Originalzeichnung von G. Montbard. (S. 148.)

Im Mistake-Cannon.

(Bild S. 145.)

„So, jetzt befinden wir uns an der richtigen Stelle. Setzt euch nieder; hier will ich euch erzählen, wie die Schlucht zu ihrem jetzigen Namen gekommen ist.“

„Weißt Du’s denn?“ fragte einer der Goldsucher den alten Westmann, welcher obige Worte gesprochen hatte.

„Ob ich es weiß! Hier von dem Stein aus, auf welchem ich sitze, habe ich damals den verhängnisvollen Schuß abgefeuert. Meine Augen waren um dreißig Jahre jünger als jetzt, aber doch nicht scharf genug, den Richtigen vom Falschen zu unterscheiden. Ich hatte einen Freund, wißt ihr, einen echten, wahren; er war ein Apache und hieß Tkhlish-lipa, ‚Klapperschlange‘. Er verdankte mir das Leben und hatte dafür versprochen, mir einen Ort zu zeigen,

an welchem Nuggets (goldhaltende Quarze) in Menge zu finden seien. Ich suchte mir also vier wackere Boys zusammen, welche zu dem Unternehmen paßten. Wir mußten sehr vorsichtig sein, weil der Ort im Gebiete der Comanchen lag; darum nahmen wir Weißen keine Pferde mit, und nur der Apache hatte auf seinen Mustang nicht verzichten wollen. Um keine lange Einleitung zu machen, wir kamen hier oben am Cannon an. Ihr seht am Rande desselben einzelne Riesenkakteen stehen. Weiter zurück gab es einen ganzen Wald davon, an dessen Saum wir uns eine Hütte bauten, in welcher wir wirtschaften wollten, während der Arbeitsplatz hier unten am Wasser lag.

„Tkhlish-lipa hatte nicht gelogen; unsere Ausbeute war über Erwarten reich, obgleich nur vier Personen schaffen konnten, da einer die Hütte zu bewachen hatte, während ein anderer jagen mußte, um für Fleisch zu sorgen. Das letztere hatte mit der größten Umsicht zu geschehen, da Avat-kuts, der ‚große Büffel‘, der Häuptling der hier hausenden Comanchen, nicht nur ein blutgieriger Mensch, sondern auch ein Virtuos im Spüren war. Es verstand sich ganz von selbst, daß jeder neben Hacke und Spaten auch seine Waffen stets bei der Hand hatte.

„Wir mochten wohl an die drei Wochen hier gewesen sein, als eines Tages der Apache den Dienst bei der Hütte zu versehen hatte, während ein Kamerad, der lange Winters, nach Fleisch umherstreifte. Während wir anderen hier unten herzhaft arbeiteten, saß der Rote oben, sich langweilend, in der heißen Sonnenglut. Er hatte sein Oberkleid, eine neue wertvolle Santillodecke, abgelegt und rieb sich den Körper zum Schutze gegen Insekten nach Indianerart mit Bärenfett ein. Da hört er hinter sich ein Geräusch. Er blickt sich um und sieht den gefürchteten Comanchenhäuptling, den er sofort erkennt, vor sich stehen, mit dem Gewehrkolben zum Schlage ausholend. Ehe er auszuweichen vermag, saust der Hieb nieder und trifft ihn so auf den Kopf, daß er die Besinnung

verliert. Daß ihm nicht der Schädel zerschmettert worden ist, hat er nur seiner eigenartigen Kopfbedeckung zu verdanken, einer Art Mütze, welche mit Fuchsschwänzen und Klapperschlangenhäuten verziert war.

„Avat-kuts läßt ihn einstweilen liegen und tritt in die Hütte, um dieselbe zu untersuchen. Er findet unsere mit Nuggets gefüllten Lederbeutel und hängt sie sich an den Gürtel. Wieder zurückgekehrt, wirft er seine alte Callicojacke ab und vertauscht sie mit der Santillodecke. Auch die Mütze des Betäubten gefällt ihm und er stülpt sie sich auf den eigenen Schopf. Dann pfeift er seinen starkknochigen Gaul, den er beim Anschleichen hinter den Kakteen zurückgelassen hat, herbei und findet, daß der in der Nähe grasende Mustang des Apachen bedeutend mehr wert ist. Nun soll der Feind skalpirt werden und zwar bei lebendigem Leibe. Der Comanche stellt sich also mit ausgespreizten Beinen über denselben, ergreift ihn mit der Linken beim Haare, um den Kopf emporzuziehen, nimmt das Messer in die Rechte, macht über die Ohren weg um Stirn und Hinterkopf einen Schnitt und versucht nun, den Skalp mit einem kräftigen Ruck loszureißen, was ihm aber nur halb gelingt. Klapperschlange erwacht von dem entsetzlichen Schmerze und faßt den Comanchen bei den Händen. Es beginnt ein Ringen, aus welchem der große Büffel unbedingt als Sieger hervorgehen muß, da der andere von dem herabgelaufenen Blut geblendet wird.

„Indessen hat der lange Winters eine gute Jagd und sich mit der Ausbeute nach Hause gemacht. Er findet die Fährte des Comanchen, erschrickt und schleicht ihr nach. Um die Ecke des Kaktuswaldes tretend, sieht er die beiden kämpfenden Indianer und hält wegen der Santillodecke und der Mütze den Comanchen für den Apachen. Er legt schnell sein Gewehr an und schießt auf den blutenden Freund, trifft aber glücklicherweise wegen der weiten Entfernung nicht. Der Comanche fährt, als er den Schuß hört, herum, erblickt den neuen Feind, reißt sich los, springt, sein Gewehr liegen lassend, nach dem Mustang des Apachen, schwingt sich auf und jagt davon. Klapperschlange, vor Wut und Schmerz fast wahnsinnig, wischt sich das Blut aus den Augen, gewahrt den fliehenden Gegner und dessen stehen gebliebenes Pferd. Im Nu sitzt er auf und jagt ihm nach, den

Lasso von den Hüften reißend, während der lange Winters ganz verblüfft hinterdreinschaut, weil er sich den Vorgang nicht erklären kann. Da Winters den Weg nach rechts versperrt und links die dichten Kakteen kein Entkommen bieten, so sprengt der Comanche dem Cannon zu, von welchem er weiß, daß ein wenn auch gefährlicher Pfad an der fast senkrechten Wand desselben zur Tiefe führt. Er ahnt nicht, daß sich vier Bleichgesichter da unten befinden.

„Drüben, jenseits des Wassers, seht ihr einen Vorsprung, eine schmale, fortlaufende Kante, aus dem Felsen treten und sich nach der Höhe ziehen; das ist der erwähnte Pfad. Schon für den Fußgänger schwierig, ist er für einen Reiter geradezu gefährlich, und wir wunderten und daher nicht wenig, als wir von oben herab den Hufschlag galoppirender Pferde vernahmen. Der Höhe wegen, in welcher sie sich befangen, konnten wir erst nur die Köpfe der Reiter sehen, doch je weiter sie herabkamen, desto vollständiger erblickten wir die Gestalten. Voran lief der Mustang des Apachen, dessen Reiter wir infolge der Mütze und Santillodecke für Klapperschlange halten mußten. Er wurde von einem auf einem uns fremden Pferde sitzenden Reiter verfolgt, welchem der blutige Schopf vom Kopfe hing und der sich wegen der hindernden Felsenwand vergeblich bemühte, dem Voranreitenden den Lasso um den Kopf zu werfen. Wir hörten die Stimme des Apachen unausgesetzt rufen: ‚Hatatitla aguan, hatatitla aguan — erschießt ihn, erschießt ihn!‘ Das galt natürlich uns, und ich griff zu der Büchse. Jetzt erreichte der vorderste die Sohle der Schlucht, dort, jenseits des Wassers, und sprengte weiter. Nun kam der andere. Er konnte jetzt den Lasso freier handhaben und schwang ihn zum Wurfe. Ich drückte ab — ein Schrei und er flog nach hinten vom Pferde, welches reiterlos weiterjagte. Nach wenigen Sekunden standen wir drüben bei ihm. Denkt euch unsern Schreck, als wir in ihm unsern skalpirten roten Freund erkannten! Meine Kugel hatte nur zu gut getroffen. Er deutete vorwärts und sagte mit brechender Stimme: ‚Darteh litschane Avat-kuts — dieser Hund war der große Büffel.‘ Dann war er tot.“

Der Erzähler schwieg und starrte trüben Blickes nach der angedeuteten Stelle hinüber. Die anderen ehrten dieses Schweigen, indem auch sie nichts sagten. Erst nach einer längeren Weile fuhr er fort:

„So wurde ihm das Gold, welches er uns schenkte, durch eine Kugel vergolten. Wir haben die Schlucht den Mistake-Cannon genannt, und dieser Name ist ihr bis auf den heutigen Tag geblieben. Man hat die Geschichte oft in meiner Gegenwart erzählt; nie aber ist es mir eingefallen, zu sagen, daß ich selbst der unglückliche Held derselben bin. Ich habe das im stillen mit mir abzumachen versucht. Heute jedoch, da wir uns an derselben Stelle befinden, soll es einmal vom Herzen herunter und ihr mögt mir nun sagen, ob man mich einen Mörder nennen kann.“

„Nein, nein!“ rief es rundum. „Du bist vollständig unschuldig. Aber wie ist’s mit dem Comanchen? Er entkam?“

„Nein. Wir fanden ihn gar nicht weit von hier im Steingeröll, wo das Pferd gestrauchelt und ihn abgeworfen hatte. Ihr könnt euch denken, daß es da anstatt einer Leiche zwei gegeben hat. Das ist das Gesetz des wilden Westens; sprechen wir nicht darüber!“

„Und das Gold, die Nuggets! Wir wollen natürlich wissen, welche Schätze ihr damals aus dem Cannon hier mitgenommen habt!“

„Weit weniger als der vortreffliche Anfang vermuten ließ. Es war, als habe ein Racheengel das Gold tief ins Erdinnere verschwinden lassen. Seite meine Kugel den Apachen traf, wurde die Ausbeute von Tag zu Tag geringer, bis sie endlich ganz aufhörte. Wir gruben und arbeiteten noch wochenlang, doch vergeblich. Und was wir mitnahmen, das hat nicht lange vorgehalten; es ist bald alle geworden — beim Wein und beim Spiel. Nur eins ist mir geblieben und wird mich bis an mein Ende nicht verlassen, nämlich die Erinnerung an den Augenblick, da mein Blei den Roten vom Pferde riß. Dies Bild schwebt mir immer und immer vor, und dazu gellt mir im Ohr der Todesschrei. Es schüttelt mich. Kommt, wollen fort! Ich mag den Ort nicht länger sehen!“