MobileMenuKarl-May-Gesellschaft → Primärliteratur

Die Rose von Sokna.

Ein Abenteuer aus der Sahara von Karl May.

Ich kehrte von einem Ausfluge in die Berge des Soudah nach Murzuk zurück. Die Palmen-, Granaten-, Oliven-, Feigen-, Pfirsich- und Aprikosengärten der Stadt lagen schon vor uns, und mein Diener Ali hielt seinen wackern Braunen an, um die Löwenhaut, welche er hinter sich aufgeschnallt hatte, aufzurollen, damit die Bewohner des Ortes sehen sollten, daß wir es gewagt hatten, den „Herrn mit dem dicken Kopfe“, wie der Araber den Löwen zu nennen pflegt, zum Kampfe aufzufordern.

Ich ließ es lächelnd geschehen, denn der wackere, wenn auch ein wenig eitle Ali war ein Diener, zu dem ich mir wirklich Glück wünschen konnte: ausdauernd und kräftig, listig wie ein Fuchs, dabei seinem Herrn aber treu ergeben, und in allen Mundarten und Gebräuchen der Wüstenländer zu Hause, so daß ich mich in jeder Beziehung auf ihn verlassen konnte. Er war mir von dem Wirthe des rühmlichst bekannten Hotels d’Orient in Algier empfohlen worden, hatte mich von dort aus über Tunis, Tripoli und Sokna nach Fezzan begleitet und war fest entschlossen, mit mir auch weiter über Augilah und Siwah nach Cahira zu gehen. Er hing mit wirklicher Liebe an mir und wäre wohl bis nach Sibirien an meiner Seite geblieben, wenn eine solche Tour in meinem Sinne gelegen hätte.

Er blähte sich nicht wenig auf, als er die halb scheuen, halb bewundernden Blicke bemerkte, welche die uns nun Begegnenden auf unsere Jagdtrophäe warfen.

„Siehst Du den Kahschef (Bezirksvorsteher,) der dort kommt, Sihdi“, frug er mich, „wie ihm vor Erstaunen die Augen aus dem Kopfe fallen. Ja, ich habe einen Sihdi, einen Herrn, der ein großer Taleb (Gelehrter) und Effendi ist und sich selbst vor Assad, dem Aufruhrerregenden (Löwe), nicht fürchtet! Aber ich, Ali el Hakemi Ebn Abbas Ebn er-Rumi Ben Hafs Omar en Nasafi, ich habe von dem Vater meines Bruders die Flinte des weisen Sultans Soliman (König Salomo) geerbt, der mit den Thieren redete, und fürchte mich selbst vor dem schwarzen Panther nicht, der noch gefährlicher ist als der Löwe, den wir Abu el Salßali, Vater des Erdbebens, nennen!“

Ich mußte die Feinheit anerkennen, mit welcher er seine Tapferkeit noch über die meinige zu stellen verstand, und ließ ihn ruhig gewähren, bis wir vor dem Hause meines Gastfreundes, des jüdischen Kauf- und Handelsherrn Manasse Ben Arahab anlangten. Ich warf Ali die Zügel meines Pferdes zu, begab mich in die mir angewiesene Wohnung, um mich umzukleiden, und suchte dann den Hausherrn auf. Ich mußte mich wundern, daß mir von der zahlreichen Dienerschaft Niemand begegnet war und erschrak wirklich, als ich in den Divan trat und den ehrwürdigen Manasse nicht wie gewöhnlich mit unterschlagenen Beinen sitzend, eine Stellung, welcher der Türke Rahat oturmak, Ruhen der Glieder nennt, sondern mit wirrem Haar und tief vergrabenem Gesichte lang auf den Kissen liegend fand.

„Salem aaleïkum, Friede sei mit Dir!“ grüßte ich ihn.

„Salem — Friede —? Wie soll sein Friede im Hause Ben Arahab, wo die Brunnen weinen und die Mauern klagen über — — ah, Du bist’s Du? Gelobt sei Gott, der Allmächtige, der Dich zurückgeführt hat an die Stätte des Unglücks! Sei mir willkommen, Effendi, und vernimm das Leid, das über uns hereingebrochen ist!

„Was ist geschehen?“ frug ich, erschüttert von dem Ausdrucke der Verzweiflung, die in seinen bleichen Zügen zu lesen war.

„Was geschehen ist?“ [ist?] Der Gott meiner Väter hat sein Angesicht von mir gewendet und mir genommen das Kind meines Alters, welches gewesen ist mein größtes Glück auf Erden.

„Dein Kind! Rahel?“ rief ich bestürzt. „Ist sie gestorben?“

„Gestorben? Ach, wenn sie doch lieber gestorben wäre! Ich wollte Dank sagen Jehova Elohim, daß er mir wenigsten gelassen hätte ihr Grab, um darauf zu weinen meine Thränen und zu trösten das Weib, welches mir gegeben hat das einzig gute Kind! Warum bin ich doch nicht geblieben in Sokna, wo es giebt keine Räuber der Wüste und keinen Mörder unserer Töchter; warum bin ich doch gezogen nach Mursuk, um zu vermehren mein Vermögen durch den Handel mit der Kaffila (Karawane)! Du hast gekannt Rahel, die Tochter meines Herzens, das Kind meiner Seele und den Stolz meines Lebens. Sie war jung wie Sulamith, schön wie Bathseba und stolz wie Judith, die Heldin aus der Stadt Bethulia. Sie war das Licht meiner Augen, der Stern meiner Tage und die Sonne meines Daseins. Nun ist der Stern verlöscht und die Sonne untergegangen; ich werde mit Herzeleid zur Grube fahren, wie Jacob wollte um Joseph, den Verkauften!“

Die Thränen rannen ihm während dieser ächt orientalischen Herzensergießung in schweren Tropfen in den grauen Bart. Er versuchte, sie zu trocknen, und fuhr fort:

„Sie hat sich die schönen Augen bestrichen mit Khol und angelegt ihr goldgeschmücktes Gewand, um mit ihren Freundinnen lustzuwandeln vor dem Thore Ain el schemms (Sonnenquelle, östliches Thor). Da sind gekommen zwei gewaltige Reiter mit langen Flinten und scharfen Handschars (Dolchsäbel), haben sie gezogen auf das Pferd und sind gesprengt mit ihr davon, hinaus in die Wüste.“

Ich wollte eben fragen, wann das geschehen sei, als einer der vorhin unsichtbaren Diener eintrat und, sich demüthig bis zur Erde neigend, meldete:

„Es ist ein Mann im Hofe, der Dich zu sprechen verlangt, o Herr.“

„Ich spreche nicht — ich rede nicht — ich will Niemand sehen. Sag, ich bin verreist — sag, ich bin todt, gestorben vor Gram und Herzeleid!“

„Ich habe es ihm gesagt,“ entgegnete der Mann, der seinen Herrn genau kannte; „aber er will reden von einem großen Geschäfte, bei welchem viele Beutel zu verdienen sind.“

„Ein großes Geschäft — viele Beutel? Was hilft mir das Geschäft, und was sollen mir die Beutel, wenn fort ist Rahel, die einzige Erbin von mir! Wer ist der Mann?“

„Ein Araber mit goldener Spange am Burnus und silberbeschlagenen Pistolen.“

„Goldener Spange — silberbesch — — ? Er mag kommen!“

Der Klang des edlen Metalles hatte bei meinem Freunde wohl dieselbe Macht wie sein Schmerz. Nach einigen Augenblicken trat der Angemeldete in stolzer würdevoller Haltung herein.

„Salem aaleïkum!“ grüßte er, ohne den Kopf nur einen Zoll tief zu neigen. Er war ein freier Sohn der Wüste und kam zu einem Giaur, er, der Rechtgläubige zu einem Juden.

„Friede sei mit Dir! Wie ist Dein Name, und was willst Du von mir?“

„Mein Name ist gefürchtet wie der Name von el Timsach, dem Krokodile, und was ich will, sollst Du vernehmen, Manasse Ben Arahab!“

Er sprach dies mit fester, tiefer Stimme, und, obgleich er das Ende des Turbantuches als Lischam (Gesichtsschleier) herabgeschlagen hatte, bemerkte ich doch, daß sein dunkles Auge mit scharfem Blicke den Raum durchsuchte.

„Du hast eine Tochter?“ fuhr er fragend fort.

„Eine Tochter! Kennst Du sie — hast Du sie gesehen — weißt Du von ihr, nach der ich all die Meinen ausgesandt habe?“ rief Manasse, sich mit gespannter Miene erhebend.

„Weder Deine Diener noch der Bey mit seinen Soldaten, bei dem Du gewesen bist, werden sie finden, auch der Pascha von Tripoli nicht. Schick alle Scheidans (Teufel) aus, es ist umsonst, denn — sie ist bei mir!“

„Bei Dir?!“ Er sprang vollends auf und trat auf ihn zu. „Wie bist Du zu ihr gekommen, und wie heißest Du?“

„Mein Name ist Dir bekannt; ich bin der Kofla-Aga.“

„Der Kofla-Aga!“

Manasse sank bei diesem entsetzten Ausrufe wieder zusammen, und auch ich war in hohem Grade bestürzt. Kofla-Aga, Herr der Karawanen, nannte man den berüchtigten und gefürchteten Anführer einer Gum (Raubkarawane), welche bald hier und bald dort auftauchte und die Karawanen überfiel und vernichtete, so daß weder von Mensch noch Thier jemals wieder etwas zu hören war. Jeder Handelszug, der nicht von einer zahlreichen militairischen Escorte begleitet wurde, war ihr verfallen, und weder die zornigen Befehle des Pascha’s noch die Anstrengungen des Bey’s hatten vermocht, dem Unwesen zu steuern. Jetzt stand der fürchterliche und kühne Mann vor uns und erklärte, daß Rahel sich in seiner Gewalt befinde. Jedenfalls hatte er sie des Lösegeldes wegen geraubt, denn Ben Arahab war als sehr reich bekannt.

„Ja, Habihb (Geliebter), der Kofla-Aga!“ wiederholte er in stolzem Tone.

„Allah kerihm, Gott ist gnädig! was soll sie bei Dir?“

„Willst Du sie wieder haben?“

„Ja, ja — so bald wie möglich — jetzt gleich! Du hast sie gefunden. Du willst sie wiederbringen — Hamdullillah, Preis sei Gott; Du bist ein ehrlicher Mann!

„Hilf ihm, o Gott; er ist delih, verrückt geworden!“ spottete der Räuber. „Du sollst sie haben, gesund und unverletzt, sobald Du mir zehn Beutel in Gold (51000 Mark) bezahlst.“

„Bezahlst —?“ Wie von einer Natter gestochen, schnellte Manasse bei Seite. „So hast Du sie geraubt? Bösewicht, ich werde Dich auf der Stelle festhalten lassen!“

„Das thust Du nicht,“ klang es unter einer verächtlichen Handbewegung; „denn ich schwöre Dir beim Barte des Propheten, Dein Kind stirbt, sobald ich nicht zur festgesetzten Stunde zurückgekehrt bin! Ich gebe Dir zwei Wochen Zeit, die Beutel herbeizuschaffen, und werde Dir dann sagen, wohin sie zu liefern sind.“

„Zehn Beutel in Gold! Ich bring sie nicht zusammen!“

„So wird das Mädchen mein Weib und meiner Männer Weib, Allah weiß es, und dann stirbt sie! Jetzt aber halte Deinen Mund verschlossen, denn was der Kofla-Aga beim Barte des Propheten schwört, das bricht er nie. Salem aaleïkum, Friede sei mit Dir!“

Ohne mich auch nur mit einem einzigen Worte beachtet zu haben, schritt er hinaus. Manasse Ben Arahab aber sank wie vernichtet auf die Kissen nieder. Es was ihm niemals ein so unvortheilhaftes Geschäft angeboten worden wie dasjenige, welches der Mann mit der goldenen Spange und den silbernen Pistolenbeschlägen mit ihm eingeleitet hatte. —

II.

Wir waren drei Tage lang von Murzuk nach Augilah unterwegs. Die Speditionskarawane, welcher ich mich mit Ali angeschlossen hatte, war von Manasse ausgerüstet worden, obgleich ich ihm geraten hatte, damit noch zu warten, bis sie sich einem größeren Zuge anschließen könne. Allerdings wurden die Güter schon seit längerer Zeit erwartet, und er meinte, da der Kofla-Aga jetzt mit den zehn Beuteln beschäftigt sei, so werde ein Ueberfall nicht zu fürchten sein, trotzdem der Bey ihm keine Schutzwache mit geben könne, weil der für solche Zwecke bestimmte Theil der nur 250 Mann starken türkischen Garnison zu Murzuk sich schon nach allen Winden hin unterwegs befand.

Ich war anderer Meinung. Es war jedenfalls sicher, daß der Räuber das Haus Ben Arahab’s bewachen ließ und folglich den Abgang der Karawane erfahren mußte. Ich hatte dessen ungeachtet dem alten, treuen Schech el Djemahli (Aeltesten der Kameeltreiber) erklärt, mitzugehen, da ich es trotz des besten Willens zu keiner Bangigkeit vor dem arabischen Hiesel bringen konnte und zudem der Wunsch in mir entstanden war, meinem Gastfreunde nützlich sein zu können.(Fortsetzung folgt.)

Die Rose von Sokna.

Ein Abenteuer aus der Sahara von Karl May.

(Fortsetzung.)

Ich hatte Rahel öfters gesehen. Sie war eine jener Schönheiten, wie sie nur der Orient reift, und wurde aus diesem Grunde, und weil sie aus Sokna stammte, mit vollem Rechte in der Hauptstadt von Fezzan „die Rose von Sokna“ genannt. Wie oft hatte ich, in ihren Anblick vertieft, lautlos vor ihr gesessen, wie oft die kleine Kaffeetasse aus ihrer Hand empfangen, wie oft ihren Liedern gelauscht, von denen sie mir den arabischen Pilgergesang „Lubecka Allah hümeeh (Hier bin ich, o mein Gott)“ am häufigsten wiederholen mußte!

Jetzt befanden wir uns, wie gesagt, seit drei Tagen unterwegs und hatten nichts Verdächtiges bemerkt. Es war zur Zeit des Assr, des Reiseaufbruches für alle ächten Araber, zwei Stunden vor Untergang der Sonne. Ich ritt an der Spitze der Karawane neben dem Schech el Djemahli (Djemmel = Kameel), welcher mir von den Gefahren der Wüstenreise erzählte, weil er mich, allerdings mit einigem Rechte, für einen Rhassihm, für einen Neuling hielt.

Ich hörte seine nach morgenländischer Manier im Superlativ gehaltenen Schilderungen an, obgleich ich wußte, daß die Sahara ihre größten Schrecken nicht hier in der libyschen Wüste sondern erst in der eigentlichen „Sahel“ entwickelt.

„Seht diese Steine, Sihdi, welche herumliegen, als hätten die bösen Djinns (Geister) sie gesäet? Sie fielen vom Himmel herab, als der Erzengel mit dem Teufel kämpfte, der sich an den Mauern des Himmels fest hielt und ein Stück davon mit herunterriß.“

„Ama di Bacht, das ist ein Glück, daß Du nicht grade darunter standest, sonst hätte Deinem Schädel kein Balsam helfen können!“

„Du willst nicht glauben, was ich Dir sage? Ja, Du bist ein Nemsi (Deutscher), dem kein Mollah und kein Derwisch helfen kann! Einst kamen die tapfern Uёlad Arfa und unterjochten sich das weite Land. Zwei Sonnenaufgänge von hier“ — er zeigte dabei nach Süden — „waren einige Mauerbrocken auf den Rras (einzelner Berg) gefallen; sie bauten davon el Kasr (Bergfestung); aber der Scheidan (Böse) trieb sie von dannen, und nun wohnen die bösen Djinns im Schlosse, und wer ihnen mehr als zwei Tagereisen zu nahe kommt, ist der Tschehenna, der Hölle verfallen. Im Namen des Allbarmherzigen, glaub, was ich Dir sage; ich habe es von einem frommen Marabut, der war fünftausend Jahre alt und ist mit dabei gewesen!“

Ich machte keine Versuch, ihn eines Anderen zu belehren, und hielt mein Hedjihn (Reitkameel) an, um den Zug, dessen Arrièregarde mein wackerer Ali bildete, an mir vorüber zu lassen. Die Lastkameele kamen nur sehr langsam vorwärts; das ermüdete mich mehr als der schnelle Ritt auf einem schlanken Reitthiere, welches, wenn es zu der vorzüglichen Rasse der Bischahrihnhedjihn gehört, zehn bis zwanzig deutsche Meilen ohne Unterbrechung im Trab zurücklegt. Das meinige war ein solches; ich beschloß daher, mit Ali zu lagern, um den Eindruck der überwältigenden Wüstenöde einmal vollständig zu empfinden und dann auf unsern behenden Thieren den Zug bald wieder einzuholen.

„Hast Du einmal etwas von el Kasr gehört?“ frug ich den Diener, als wir uns gelagert hatten. Es war bei der Erwähnung des Geisterschlosses ein Gedanke in mir aufgestiegen, der vielleicht eine Berechtigung haben konnte.

„El Kasr, Effendi?“ Er streckte alle zehn Finger abwehrend von sich. „Hilf uns, o Herr, begnadige uns mit Deinem Segen, denn das ist ja das verfluchte Gebäude, über welches nicht einmal die Vögel des Paradieses (Schwalben) wegkommen, ohne herabzustürzen! Ich hab in Murzuk davon gehört. Nur el Büdj, der gewaltige Bartgeier, darf darüber schweben, weil er die Unglücklichen verzehren muß, die sich zu den bösen Djinns verirren.“

„So fürchtest Du Dich vor diesen Geistern?“

„Alllah icharkilik, Gott verbrenne Dich, Sihdi, wenn Du glaubst, daß ich, der unüberwindliche Ali el Hakemi Ebn Abbas Ebn er-Rumi Ben Hafs Omar en Nasafi vor einem Menschen oder einem Thiere davonlaufe! Du bist ein großer Taleb und Effendi, aber Allah hu akbar, Gott ist noch größer, und wenn Du mich mit Feigheit schändest, so laß ich Dich hier liegen und gehe dahin, wo ich hergekommen bin! Doch sag, wer kann mit Geistern kämpfen?“

„Und wenn nun diese Geister Menschen wären?“

Der gute Ali riß den Mund so weit wie möglich auf; er konnte nicht eher begreifen, auf welche Weise ein Geist ein Mensch sein könne, als bis ich ihm die nöthige Aufklärung gab.

„Bismillah, im Namen Gottes, Sihdi, Du bist weise wie Sultan Soliman, als er das Kind zerschneiden wollte! Doch was für Männer könnten auf el Kasr wohnen?“

„Vielleicht der Kofla-Aga mit seinen Räubern!“

„Der Kofla-Aga — der Kofla-Aga — der Würger der Karawanen?“ wiederholte er mehrere Male, um seinen unschuldigen Verstand für den kühnen Gedanken empfänglicher zu machen; dann streckte er sich lang auf die Bastdecke aus und schloß die Augen. Ich wußte, daß er nun in der betreffenden Angelegenheit nicht eher wieder zu sprechen sei, als bis er den Gegenstand vollständig verarbeitet hatte.

Er unterbrach sein Nachdenken nur dann auf kurze Zeit, als die Sonne in das Sandmeer tauchte. Da erhob er sich in die Kniee und rief:

„Jetzt ertönt von allen Moscheen der Gläubigen der Ruf des Mueddin: „Hai aal el sallah, ja, rüste Dich zum Gebete!“ Wende ab Dein Angesicht, Sihdi, denn ich will mich waschen und nach Mekka schauen!“

Er betete den vorgeschriebenen Abschnitt aus dem Koran und ließ an Stelle des Wassers, welches in der Wüste mangelt, den aufgerafften Sand durch die Hände laufen. Dann nahm er seine vorige Stellung wieder ein.

Auch ich streckte mich aus und rollte mich in meine Decke, um mich so viel wie möglich gegen die fast unausstehliche Hitze zu schützen, welche jetzt nach dem Sinken der Sonne der glühende Erdboden auszustrahlen begann. Ich hatte zuvor beschlossen, nach nur kurzer Rast der Karawane zu folgen; da diese aber jedenfalls auch bald Lager machte und dieses vor Tagesgrauen nicht wieder verließ, so nahm

ich mir vor, zu bleiben wo ich war. Ich konnte am Morgen ihren Spuren leichter folgen als jetzt, wo trotz des helleren Lichtes der südlichen Sterne das Auge in eine größere Entfernung nicht zu dringen vermochte.

Ich ließ mein Hedjihn sich zur Erde legen; Ali folgte meinem Beispiele und mit Hülfe einiger Durrhakuchen (aus Negerhirse) und unserer Kirba (kleine Wasserschläuche für den persönlichen Tagesgebrauch) hielten wir ein frugales Abendmahl, nach dessen Beendigung wir den Schlaf suchten. Die ausgedehnten Fernen des Oceans, die weiten Ebenen der amerikanischen Prairieen, Savannen, Pampa’s und Llano’s, die lang- und breitgestreckten Flächen der Wüste, sie haben gewiß sehr Vieles gemein, aber die beiden Ersteren vermögen nie den Eindruck der Oede, Verlassenheit und Trostlosigkeit zu machen, wie die Letztere, von welcher Freiligrath so treffend sagt: „Sie liegt vor Gott in ihrer Leere wie eine leere Bettlerfaust.“ Dieser Eindruck ist, je weiter entfernt man sich von menschlichen Wesen weiß, ein desto überwältigender; man fühlt sich hineingeworfen in eine tödtliche Verlassen- und Vergessenheit, wie ein winziges Körnchen Sand in das unermeßliche Stein- und Trümmermeer, in welchem den verwegenen Wanderer auf Schritt und Tritt die häßliche Larve des Todes angrinst.

Ich schloß die Augen. Das ausglühende Licht des Tages brannte fort in ihnen, und ich fiel nur langsam in einen unruhigen Schlummer, welcher mir die Gestalten Ali’s, Rahel’s, Kofla-Aga’s, den alten Schech el Djemahli und el Kasr, die Geisterburg mit el Büdj, dem gewaltigen Bartgeier und den todt aus der Luft herabstürzenden Thiuhr el Djinne in wirrem Durcheinander vorführte. Sogar die Himmelsmauer sah ich niederschmettern mit dem Teufel, der sich an ihr festgekrallt hatte, und wälzte mich stöhnend hin und her, bis endlich kurz vor Sonnenaufgang sich ein tieferer Schlaf meiner erbarmte.

Er währte nicht lange, denn die Stimme Ali’s weckte mich, welcher knieend und das Angesicht nach Osten gewendet das Fetjer betete, welches kein guter Moslemim zur Zeit des Zwielichtes vor der Morgenröthe versäumt.

Nachdem wir einen Schluck Wassers und einige Bissen Durrahkuchen zu uns genommen hatten, brachen wir auf. Wer im „wilden Westen“ von Nordamerika auf die Fährte des Büffels, Bären oder Indianers zu achten gelernt hatte, dem konnte es nicht schwer werden, die Spuren der Karawane dem von scharfem Steingeröll bedeckten Boden abzulesen, trotzdem ich deutlich erkannte, daß sie in kurzer Zeit verwischt sein würden.

Wir mochten wohl etwas über eine deutsche Meile zurückgelegt haben, als wir den Ort erreichten, wo sie allem Anscheine nach gelagert hatte. Der Boden bildete hier einen feinsandigen, fast kreisrunden und von größeren Felsbrocken eingerahmten Teller und war auf eine so energische Weise zertreten, daß die mehr als zahlreichen Eindrücke meine Aufmerksamkeit erregten.

Ich stieg ab, um die verdächtige Erscheinung zu untersuchen. Hier hatte eine beispiellose Verwirrung, vielleicht gar ein Kampf, wenn auch ein unblutiger, stattgefunden.

Ich suchte nach Anhaltepunkten und fand einen, der mir vollständige Aufklärung bot: Eine Kofla von fast zwanzig Thieren war von Süden her herbei geschlichen, hatte unsere Karawane im Schlafe überfallen und sie nach derselben Richtung hin mit sich fort genommen. Kein Zeichen war zurück geblieben, auch nicht das geringste, keine Kameelhalfter, kein Zeltpflock, keine Schleife und kein Band von einer Rauïe (Lastgestell) oder einem alten Serdj (Sattel); keine Spur des Verbrechens sollte zurück bleiben, wenn der jetzt abwechselnd fächelnde Gebli und Behari (Süd- und Nordwind) die Fußtapfen ausgeglichen hatte.

„Ali, bist Du mir wirklich so treu, wie Du immer sprichst?“

„Warum fragst Du, o Sihdi? Ich bin Dir so treu, wie der Tropfen dem Wasser und die Wärme dem Feuer!“

„Und gehst Du mit, wohin ich dich führe?“

„Hamdullillah, Preis sei Gott, daß ich Dich gefunden habe, den guten Effendi aus Nemsistan (Deutschland). Du bist der beste Herr in ganz Blad el Rumi (Europa) und ich der beste Diener in Mehr, Mogreb el Ausath und Mogreb el Aksa (Egypten und Nordafrika). Warum soll ich von Dir bleiben? Ich gehe mir Dir bis an das Ende der Erde und noch zehntausend Tagereisen weiter!“

„Auch zum Kofla-Aga, Ali?

„Auch zu ihm, wenn Du willst. Was ist’s auch Großes? Er wohnt ja hier im Bahr billa ma, im Meer ohne Wasser (Wüste)!“

„Er wohnt auf el Kasr.“

„Weißt Du das genau, Effendi?“

„Ja. Er ist mit seiner Kofla hier gewesen und hat unsere Karawane mit nach dem Geisterschloß genommen. Dort wird er die Thiere und Güter behalten und die Männer ermorden.“

„Gott verdamme den Hund! Soll ich hingehen und ihn zerreißen, Sihdi?“

„Du hast Manasse Ben Arahab gekannt?“

„Warum sollte ich nicht? Habe ich nicht bei ihm das beste Kuskussu (Grütze mit Hammelfett) gegessen?“

„Und hast auch gesehen Rahel, seine Tochter?“

„Ich habe sie gesehen. Sie hat Augen wie Leïkum saaïde, die segensreiche Nacht, und ihre Finger sind voll Güte und Barmherzigkeit. Doch sie ist verschwunden. Ich glaube, ein böser Djinn ist bezaubert worden von ihrer Lieblichkeit und hat sie durch die Lüfte geführt.“

„Ja ein böser Djinn ist es gewesen, aber nicht einer von denen, die Du meinst, sondern einer, der Fleisch und Blut besitzt. Er heißt Kofla-Aga.“

„Der Kofla-Aga? Wer hat es Dir gesagt, Effendi?“

„Ich weiß es. Er hält sie auf el Kasr gefangen.“

„Gefangen? Sihdi, ich kenne Einen, der wird hingehen und sie befreien!“

„Wer ist das?“

„Er heißt Ali el Hakemi Ebe Abbas Ebe er-Rumi Ben Hafs Omar en Nasafi.“

„Ist dies Dein Ernst, Ali?“

„Glaubst Du, Sihdi, daß ich mit dem Kofla-Aga scherzen möchte?“

„Nun gut, ich gehe mit. Es handelt sich um das Leben vieler Männer und um die Freiheit der Tochter Ben Arahabs. Thust Du Alles, was ich will, so erhältst Du den Preis, welchen der Bey von Fezzan auf den Kopf des Kofla-Aga ausgesetzt hat. Vorwärts, laß uns die Spur verfolgen!“

„Be issm lillahi, in Gottes Namen, Sihdi; aber erlaube zuvor, daß ich die Fathcha bete. Allah hilft dem, der sich in Gefahr zu ihm wendet!“

Er kniete auf dem Sattel seines ruhigen Thieres, das Angesicht nach Sonnenaufgang, und betete die Fathcha, die erste Sure des Korans, wie den Gläubigen bei allen wichtigen Unternehmungen vorgeschrieben ist. Sodann ließ ich mein Bischarihnhedjihn ausgreifen, um das Geisterschloß so bald wie möglich zu erreichen.

(Fortsetzung folgt.)

Die Rose von Sokna.

Ein Abenteuer aus der Sahara von Karl May.

(Fortsetzung.)

Wir waren nun beinahe zwei Tage lang der Richtung nach Süden gefolgt. Unser kleiner Proviant und Wasservorrath, der ja nur für einen Tag berechnet war, ging trotz unserer Sparsamkeit zu Ende, und es wurde Zeit, das Ziel unseres Rittes zu erreichen.

Wer sich die Wüste als eine große, nur vom Sande erfüllte Ebene vorstellt, ist im Irrthume. Vor uns erhoben sich nach und nach die scharfen, phantastischen Contouren einer Bergkette, zwischen deren Vorhügel die uns zum Wegweiser dienende Spur dahinführte. Diese war jetzt von Stunde zu Stunde deutlicher geworden, und eben bogen wir um eine Felsenkante, als Ali sein Thier anhielt und ihm mit dem gebräuchlichen „E — o — a!“ den Befehl, sich niederzulegen gab. Ich folgte sofort seinem Beispiele; er mußte einen Grund haben, sich nicht sehen zu lassen.

„Allah kerihm, Gott ist gnädig! Siehst Du dort die Gum (Raubkarawane), Sihdi?“

Ich folgte mit dem Auge seinem ausgestreckten Arme. Vor uns lag eine weite, von steil anstrebenden Bergwänden eingefaßte Thalrundung; unserm Standorte grad gegenüber, ungefähr drei Viertel Wegesstunden weit, erhob sich auf der Kuppe des Ras (Berg) ein eigenthümliches Mauerwerk, zu welchem eine lange Reihe von Reitern emporstrebten. Ich nahm das Fernrohr zur Hand und erkannte wirklich unsere Karawane, welche von den Räubern bedeckt und geführt, nach und nach unter dem alten, eingefallenen Thore verschwand. Schnell war ein Plan gefaßt. Wir durften uns nicht sehen lassen und mußten daher den offenen Thalkessel umgehen.

„Zurück, Ali; das ist el Kasr; wir müssen es auf einem Umwege erreichen!“

Es war ein böser, schlimmer Weg, den wir nun verfolgten. Wir mußten uns beeilen, noch vor dem bald zu erwartenden Einbruche der Dunkelheit an Ort und Stelle zu gelangen und hetzten, bald durch enge Seitenthäler und wilde, nackte Schluchten, bald über schroffe Höhengrate dahin, als würden wir von tausend Djinns nach dem verhängnißvollen Geisterschlosse getrieben. Im Grunde genommen war unser Unternehmen ein etwas unüberlegtes; aber ich konnte es, wie bereits gesagt, wirklich zu keiner Furcht vor dem Kofla-Aga bringen, freute mich sogar, offen gestanden, auf das zu erwartende Abenteuer und verließ mich dabei ganz auf unsere guten Waffen und auf mein gutes Glück, welches mich bis dahin selbst in den kritischsten Situationen nicht verlassen hatte. Auf die Tapferkeit Ali’s konnte ich sicher rechnen. Seit er wußte, daß el Kasr nicht von Geistern, sondern von Menschen bewohnt sei, hatte das Schloß seine Schrecken für ihn vollständig verloren.

Wir ritten jetzt in ein enges Wadi (Thal) nieder, dessen Sohle mit trockenem, scharfschneidigem Halfagras

bewachsen war. Es mußte Wasser in der Nähe sein, und wirklich, als wir dem Winkel folgten, den das Thal beschrieb, glänzte uns das ersehnte Element entgegen. Es war ein Birket, ein kleiner See, wie man sie zuweilen in der Wüste findet, nur kurze Zeit ein wenig Wasser zeigend und das ganze Jahr dann leer und trocken liegend.

Aber noch Eins bemerkte ich: wir hatten el Kasr erreicht. Das Wadi hatte eine lange aber nur wenige Ellen breite Seitenschlucht, deren eine Wand fast senkrecht zu dem Gemäuer des Schlosses emporstieg. Grad dieser Steilung wegen konnten wir von oben nicht gesehen werden und ritten in die Schlucht hinein. Wir waren noch nicht gar weit vorwärts gekommen, so deutete Ali in die Höhe.

„Siehst Du el Büdj, den großen Bartgeier mit seinen Frauen und Kindern, Effendi?“

Eine ganze Schaar von Geiern hatte sich über uns erhoben, und nach wenigen Schritten fanden wir die Schlucht von abgenagten und gebleichten Knochen dicht übersäet. Es waren menschliche Gebeine — mit Schaudern mußte ich es denken — jedenfalls die Ueberreste der unglücklichen Kameeltreiber, welche in der Wüste gefangen, nach el Kasr geführt und vom Felsen in die Tiefe gestürzt worden waren. Darum also erzählte die Sage von el Büdj, dem gewaltigen Bartgeier, der über der Geisterburg schwebte!

Das Aufsteigen der Vögel konnte unsere Anwesenheit verrathen; wir mußten warten, bis sie sich beruhigt hatten. Ich lenkte mein Thier nach einer Spalte, welche ich in der Felsenwand bemerkte, stieg ab und wollte eben die Oeffnung untersuchen, als ein Mann aus ihr hervortrat, welcher zwei Girba (Schläuche aus sudanischen Ziegenhäuten) in den Händen hielt. Er stand wohl im Begriff, vom Birket Wasser zu holen. Im Nu hatte ich ihn bei der Kehle gepackt, die ich so fest zusammenschnürte, daß er keinen Laut von sich zu geben vermochte, und in der nächsten Minute lag er gebunden am Boden. Dann setzte ich ihm die Spitze meines Dolchmesssers auf die Brust.

„Vernimm, ja radjal, Mann, was ich Dir sage: Versuchst Du, Dich zu wehren, oder antwortest Du mir einen einzigen Laut der Lüge, so schickt Dich dieser Stahl hinunter in die Tschehenna (Hölle)! — Der Kofla-Aga wohnt auf el Kasr?“

„Ja, Sihdi,“ stöhnte er voller Angst und Schreck.

„Er hat Rahel, die Tochter Manasse Ben Aharabs bei sich?“

„Ja.“

„Durch diese Spalte gelange man in das Schloß?“

„Ja.“

„Wie viel Männer seid Ihr?“

Er zögert mit der Antwort, aber ein leises Kitzeln mit der Klinge half seinem guten Willen nach.

„Vier und zwanzig.“

„Wo ist der Aga jetzt?“

„In seinem Diwan (Prachtzimmer).“

„Und die Andern?“

„Bei der Beute.

„Alle?“

„Alle!“

„Wo?“

„Nicht weit von hier.“

„Schwöre mir beim Haupte des Propheten, daß Du mir die Wahrheit gesagt hast!“

„Ich schwöre!“

„Steh auf und zeige mir den Weg. Bist Du gehorsam, so soll Dir nichts geschehen; machst Du aber den leisesten Versuch des Verrathes, so bist Du verloren! Wo sind die Gefangenen?“

„Eingeschlossen.“

„Gut. Steig jetzt voran!“

Ich faßte den Strick, dessen anderes Ende ihm die Hände auf den Rücken hielt, und nachdem Ali die Kameele gefesselt hatte, traten wir in die Spalte. Der Araber war unbewaffnet. Wir beiden Andern trugen Jeder außer dem Dolche eine Doppelflinte und ein paar Doppelpistolen und ich außerdem zwei sechsschüssige Revolver, alle Läufe scharf geladen. Die Spalte führte uns erst wagrecht in den Felsen hinein und dann allmählich in die Höhe. Durch die Nachhilfe der Schloßbewohner war sie in einen passirbaren Gang umgewandelt worden.

(Fortsetzung folgt.)

Die Rose von Sokna.

Ein Abenteuer aus der Sahara von Karl May.

(Fortsetzung und Schluß.)

Wir mußten nach meiner Ansicht fast die Oberfläche des Felsens erreicht haben, als ich Stimmen vernahm. Wir gelangten an eine Thür, traten vorsichtig näher und blickten in den hinter ihr liegenden Raum. Ich erkannte auf den ersten Blick in ihm die Niederlage der geraubten Güter. Er war fast bis an die Decke mit Ballen und den verschiedensten Gegenständen, wie sie eine Karawane mit sich führt, gefüllt, und ich zählte über zwanzig Männer, welche theils beschäftigt theils müßig bei dem trüben Scheine der Kameelsdüngerfackeln zu erkennen waren. Ich warf die schwere, alterthümliche Thür zu und schob die sicher unzerbrechlichen Mauerriegel vor. Mein Glück blieb mir auch heute treu: Die Bande des Kofla-Aga war gefangen.

„Zeige mir die Männer, welche vorhin gekommen sind!“ gebot ich dem Araber.

Er schritt noch eine Strecke aufwärts und blieb vor einer zweiten Thür stehen. Ich gab den Strick an Ali und tastete mich im Dunkeln zurecht. Auch hier waren starke Riegel angebracht. Ich öffnete.

„Salem aaleïkum, Ihr Leute! Tretet hervor, denn Ihr seid frei!“

„Hamdullillah, Preis sei Gott! Seid Ihr es wirklich, Sihdi?“ klang da die freudige Stimme des alten Schech el Djemahli.

„Ich bin es. Ich wollte mich von der Wahrheit dessen überzeugen, was Dir Dein frommer, fünftausendjähriger Marabut erzählt hat, und habe die bösen Djinns gefangen.“

Ich führte ihn mit der Hälfte seiner Leute an die Thür des Lagerraums zurück, deren Bewachung ich ihm übergab, und folgte mit den Andern unserm Führer weiter.

Wir traten endlich an das Tageslicht.

„Lubecka Allah hümeh!“ hörte ich grad über uns eine bekannte Stimme singen. Es war Rahel.

„Wo ist der Diwan des Aga?“ frug ich den Araber.

„Geh diese Stufen empor und durch zwei Gemächer; Du findest ihn ihm dritten!“

„Kommt mit, und wartet vor der Thür!“

Die kurze Dämmerung des Südens war bereits hereingebrochen, als ich in den Diwan trat, aber ich vermochte doch noch die Pracht zu erkennen, mit welcher dieses Gemach der alten Ruine ausgestattet war. Der Kofla-Aga saß auf einem kostbaren Beni-Snassen-Teppich, der wenigstens vier Zentner schwer sein mochte, und war so mit seinem Narghileh (Wasserpfeife) beschäftigt, daß er mein Kommen gar nicht hörte.

„Salem aaleïkum!“ grüßte ich. „Ist der „Würger der Karawanen“ taub geworden, daß er den Schall meiner Füße nicht vernimmt?“

Bei dem Klange der fremden Stimme sprang er auf und trat mit einigen raschen Schritten auf mich zu. Er erkannte mich und griff zum Yatagan.

„Allah akbar, Gott ist groß. Wer, Fremdling, hat Dich von Murzuk nach el Kasr geführt, und wie bist Du herbeigekommen, ohne daß wir Dich gesehen haben?“

„Ich komme, um zu holen Rahel, die Tochter Manasse Ben Aharabs.“

„Sie ist nicht hier. Hast Du die zehn Beutel?“

„Sie ist hier, Du Vater des Mordes und Erzeuger des Raubes, und die Beutel liegen in Murzuk.“

„So geh und hole sie!“

„Bah! Du wirst mich nie wieder von hinnen lassen, weil sonst die Wohnung des Kofla-Aga verrathen ist, sondern mich vom Felsen werfen lassen wie die Andern alle!“

„Beim Barte des Propheten, Giaur, Du hast recht gesagt! Gieb Deine Waffen her!“

„Die sollst Du sehen!“ Ich zog den Revolver. Er hatte wohl noch keines dieser kleinen Instrumente gesehen.

„Willst Du mit mir scherzen? Ich schwöre Dir bei Muhammed und allen heiligen Kalifen, leg Deine Waffen nieder, sonst bist Du ein Kind des Todes!“

„Und ich schwöre Dir bei Isa Ben Marryam, den wir Jesus, den Sohn Mariens nennen, daß ich Dir die Hand zerschmettere, wenn Du die Klinge nicht sofort zu Boden wirfst!“

„So stirb, Kelb, Du Hund!“

Er stürzte sich auf mich; ich drückte los — seine Hand sank nieder und die erhobene Waffe fiel klirrend zur Erde. Sofort aber raffte er sie mit der Linken wieder auf und sprang mit einem lauten Wuthschrei bis hart an mich heran. Ich drückte zum zweiten Male ab; auch seine Linke war getroffen, er stürzte jetzt selbst nieder.

„Amahl, amahl, Ali, herbei, herbei, Ali!“ rief ich. Der treue Diener kam herein und warf sich auf den Verwundeten, der sich unter seiner Umschlingung wie ein angeschossener Panther bäumte. Es halft ihm Nichts. Auch die befreiten Kameeltreiber eilten herzu. Er wurde überwältigt und gebunden. —

Wieder ritten wir in Murzuk ein. Wir hatten nur Kofla-Aga, den Anführer der Räuber mitgenommen, während sich seine Männer unter der Bewachung der zurückgelassenen Treiber noch auf el Kasr befanden. Sie sollten von den Soldaten des Bey abgeholt werden.

Der „Würger der Karawanen“ ritt, fest auf sein Kameel geschnürt, zwischen Ali und dem alten, wackern Schech el Djemahli; ich folgte mit Rahel, welche mit entzückter Miene von dem über dem Rücken des Kameels hangenden

Tachterwan (Frauenkorb) aus, die duftenden Gärten der Stadt begrüßte. Unsre jetzige Beute war kostbarer als die Haut von Abu el salßali, dem Vater des Erdbebens, welche bei unserm vorigen Einzuge den Rücken von Ali’s Pferd geziert hatte. Dieser war auch nicht wenig stolz auf unsern Fang und kam, als wir die ersten Häuser erreichten, an meine Seite.

„Sihdi, siehst Du dort den Fundukih (Gastwirth) an der Thür, wie neugierig er aufsieht, wer wohl unser

Gefangener sein mag? Du bist ein großer Effendi und Taleb; aber Dein Diener Ali el Hakemi Ebn Abbas Ebn er-Rumi Ben Hafs Omar en Nasafi hat den Kofla-Aga festgehalten und gebunden wie man el Thibb, den feigen Schakal oder el Tabäa, die stinkende Hyäne bindet. Er ist ein tapferer Held und wird sich vom Bey den Preis bezahlen lassen — tefattelan, wenn Dir’s gefällig ist!“ —