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Der Verfluchte.

Reiseerlebnis von Dr. Karl May.

1. Kapitel.

Drei volle Wochen hatte ich mich in Engyrijeh, der Hauptstadt des gleichnamigen kleinasiatischen Vilajets, aufgehalten und stand im Begriff, mich von meinem Gastfreunde zu verabschieden. Dieser war der höchststehende Mann dieser Provinz, nämlich der durch seine eiserne Strenge bekannte und gefürchtete Wali Said Kaled Pascha, welcher von seinen Unterthanen den Bei­na­men Sert Jumruk, die „harte Faust“, erhalten hatte. Ich war während meines Aufenthaltes Zeuge mehrerer Gerichtssitzungen gewesen und hatte da allerdings den Beweis erhalten, daß er diesen Namen nicht mit Unrecht führte; aber mochte seine strenge Gerechtigkeit auch zuweilen nahe an Härte streifen, so war er eben gerade darum der richtige Mann für seinen schwierigen Posten.

Die Bevölkerung des Vilajet Engyrijeh (Angora) ist eine sehr gemischte. Sunniten und Schiiten, armenische und griechische Christen leben da in beständiger Feindschaft unter und gegen einander, und es kommt gar nicht selten vor, daß bei der Frage, welcher Glaube der richtige ist, zum Messer gegriffen wird. Wo so scharfe Gegensätze vorhanden sind, jeder Mann und jeder halbwüchsige Knabe eine Waffe trägt und selbst von den Anfängen einer Volksbildung keine Rede sein kann, da bedarf es freilich einer festen und oft harten Hand, die rücksichtslosen, gewaltthätigen Geister im Zaume zu halten. Die Vorgänger Said Kaled Paschas waren Schwächlinge gewesen, welche mit Zagen gekommen und mit Freuden wieder gegangen waren. Da hatte sich der Sultan Said Kaled Paschas, seines alten Lieblings, erinnert und ihn nach Kleinasien geschickt, um da Wandel zu schaffen. Der Alte war Ferik gewesen, also Divisionsgeneral, und infolge einer Verwundung in der Ruhestand versetzt worden, doch folgte er dem Rufe des Padischah mit Freuden, und noch war er nicht lange im neuen Amte, so sah man bereits die Früchte seiner Thätigkeit. Der Stock begann zu regieren; Hunderte und aber Hunderte erhielten die Bastonnade; wer Blut vergoß, wurde ohne großes Federlesen gehenkt, und unter dem Stabe Wali kehrten die zügellosen Geister zur Botmäßigkeit zurück, wenn auch nur äußerlich zunächst; der Religionshaß blieb ja derselbe, der er gewesen war. Der Pascha war gefürchtet, ja gehaßt, und ich habe während meines Aufenthaltes bei ihm nicht eine einzige Person gesehen, von welcher ich behaupten möchte, daß sie ihm aufrichtig zugethan gewesen sei.

Gegen mich war er von geradezu ungewöhnlicher Freundlichkeit. Er bekümmerte sich täglich wiederholt und persönlich um mein Wohlbefinden, und seine Diener hatten die Anweisung, jeden meiner Wünsche sofort zu erfüllen. Ich durfte ihn nach Belieben in seinem Bureau aufsuchen und alles sehen und hören, was dort geschah. Des Abends saßen wir rauchend beisammen und unterhielten uns über alles, was ihn interessierte. Er war da gar nicht zurückhaltend, wie strenggläubige Muselmänner sonst gegen Christen zu sein pflegen, und zeigte mir ein Vertrauen, auf welches ich mir wohl hätte etwas einbilden können. Wie ich dazu kam, der Gast dieses Mannes zu sein und von ihm eine so freundliche Behandlung zu erfahren, das zu erzählen, mangelt mir der Raum; ich mußte es aber erwähnen, weil das Vertrauen, welches er mir noch beim Abschiede schenkte, sonst wohl befremdlich erscheinen würde.

Ich hatte meine wenigen Habseligkeiten dem Diener übergeben und ihm den Auftrag erteilt, mein Pferd zu satteln und sie dann hinten aufzuschnallen. Dann ging ich zum Pascha, um Dank zu sagen und Abschied zu nehmen. Er wußte, daß dies geschehen werde, und hatte sich darauf vorbereitet. Im Vorzimmer standen zwei baumlange und bis an die Zähne bewaffnete Arnauten, welche mich militärisch grüßten und in das Bureau wiesen. Die beiden Räume waren nicht durch eine Thüre, sondern nur durch einen dünnen Mousselinvorhang von einander getrennt, so daß man in dem einen hören konnte, was in dem andern gesprochen wurde, ein Umstand, welcher mir jetzt nicht mehr so gleichgültig wie seither erschien.

Der Wali stand am glaslosen Fenster und schaute durch das Holzgitter in den Hof, wo eben die Huftritte meines Pferdes zu hören waren. Er ließ mich keinen Augenblick warten, schnitt meine Dankesworte mit einer energischen Handbewegung ab und versicherte, daß es ihm sehr lieb gewesen wäre, wenn ich noch länger hätte bleiben können. Nach einigen weiteren freundlichen Bemerkungen trat er abermals an das Fenster, deutete in den Hof und sagte:

„Ich sehe Dein Pferd, Effendi. Ich möchte es gern als Andenken an Dich behalten. Willst Du es mir verkaufen?“

Ich hätte es ihm, obgleich ich nicht wohlhabend war, als Geschenk angeboten, wenn dies nicht zu kühn gewesen wäre darum antwortete ich:

„Du wünschest es. Bestimme selbst den Preis! Ich werde mir ein anderes kaufen.“

„Das hast Du nicht nötig. Ich gebe Dir einen Tenbih (schriftlichen Befehl) mit, auf welchen hin Du mit Deinen Begleitern überall, wohin Ihr kommt, gesattelte Pferde, Wohnung, Speise und alles, was Ihr braucht ohne Bezahlung bekommen werdet. Dieser Befehl gilt nicht nur für mein Vilajet, sondern auch für Adanah und Haleb. Dann bist Du bei weidenden Araberstämmen, wo Du für billigen Preis ein besseres Pferd haben kannst als hier.“

„Mit meinen Begleitern, sagst Du? Ich reise allein.“

„Nein. Die beiden Arnauten, welche Du draußen gesehen hast, haben den Befehl, Dich bis an die Grenze meiner Provinz zu bringen und in jeder Beziehung für Dich zu sorgen; ihre Pferde sind bereits gesattelt und es steht auch eines für Dich dabei. In Jachschah Khan, Baltschyk oder Denek Maden könnt Ihr dann frische Tiere nehmen, ganz wie es Dir gefällig ist. Ich danke für die Erlaubnis, den Preis selbst zu bestimmen. Ich sah das voraus und habe ihn in diesen Beutel gethan. Stecke ihn ein.“

Er gab mir einen kleinen, seidenen Beutel in die Hand und reichte mir dann auch das Dokument, von welcher er gesprochen hatte. Als ich beides unter Dank in die Tasche schob, fuhr er fort:

„Und nun möchte ich Dich um eine Gefälligkeit bitten, welche Du mir wohl erweisen wirst, obgleich ich Dich dadurch zu einem Umweg zwinge. Du willst zunächst nach Kaisarijeh und müßtest also über Sofular und Mudschur reiten; aber ich habe in Urumdschili einen alten Freund, dem ich durch Dich eine Botschaft senden möchte. Willst Du sie übernehmen?“

„Sehr gern!“

„So will ich Dir sagen, um was es sich handelt, damit Du weißt, daß Du ihm willkommen bist, obgleich er sehr einsam lebt und ganz besonders ein Feind der Christen ist. Er war Mir Alai (Oberst) im Heere des Großsultans, focht unter der Fahne des Propheten mit großer Tapferkeit und wurde in Ehren verabschiedet, hat aber niemals seine Pension erhalten. Er hat um dieselbe gebeten und sie, als man seine Bitte nicht hörte, wiederholt mit Nachdruck gefordert, doch vergebens, denn er hatte es mit Haushaltern des Sultans zu thun, welche nicht ehrlich waren. Die Pension wurde fünfzehn Jahre lang in Stambul ausgezahlt, ist aber nicht in seine Hände gekommen. Als ich Wali von Engyrijeh wurde, wendete er sich an mich, und ich habe den Fall genau untersucht und dem Großherrn direkte Anzeige gemacht. Gestern Abend kam der Bescheid: Ich soll dem Mir Alai die fünfzehnjährige Pension nebst Zinsen und Zinseszinsen sofort auszahlen. Wäre dieser Befehl vorgestern hier eingetroffen, so hätte ich das Geld seinem Sohne mitgeben können, welcher bei mir war; nun aber möchte ich die Gelegenheit benutzen, welche mir Dein Ritt nach Kaisarijeh bietet, und ich frage Dich, ob Du mir den Gefallen thun willst, meinem Freunde und Kriegskameraden seine Pension zu bringen?“

„Gern, wenn Du sie mir anvertrauen willst.“

„Sie ist in Deinen Händen sicherer als in der Tasche einer bewaffneten Estafette. Der Mir Alai heißt Osman Bei und wohnt nicht in der Stadt Urumdschili selbst, sondern in der Nähe derselben. Bekannter ist er unter dem Namen Abdal (der Einsiedler), und wenn Du Dich nach seiner Wohnung erkundigst, mußt Du Dich dieses Namens bedienen. Kannst Du ihm verschweigen, daß Du ein Christ bist, so thue es, denn er haßt die Anhänger Deines Glaubens grimmig und hat auch Veranlassung, dies zu thun; das Kreuz hat ihm das größte Unglück gebracht, welches ein Mann und Vater erleben kann, und ich schicke Dich zu ihm nicht nur des Geldes wegen, sondern auch weil ich Dich kennen gelernt habe und nun glaube, daß es Dir vielleicht gelingen wird, sein Leid zu mildern, da Dir eine Sprache gegeben ist, welche, wenn Du willst, tief zu Herzen geht.“

„So darf ich vielleicht fragen, welcher Art das Leid ist, von welchem Du sprichst?“

„Wenn er will, daß Du es wissen sollst, so wird er selbst es Dir mitteilen; ich erlaube mir nicht, diese Wunde meines Freundes auch nur aus der Ferne zu berühren. Freilich, wenn er hört, daß Du ein Christ bist, so wirst Du nichts erfahren; darum suche, es zu verschweigen. Ich erteile Dir diesen Rat auch darum, weil gerade jetzt die Zeit ist, in welcher sich die Mekkapilger dieser Gegend versammeln, um nach Damaskus zu ziehen. Das ist eine Zeit religiöser Erregung und Unduldsamkeit, und da Du solchen Leuten an allen Orten und auf allen Wegen begegnen wirst, so wirst Du klug thun, sie nicht wissen zu lassen, daß Du andern Glaubens bist.“

Es war gewiß seltsam, daß dieser hohe Beamte mich vor den strenggläubigen Moslemin, zu denen er doch selbst gehörte, warnte, und doch den Betrag der Pension, welcher jedenfalls -

jedenfalls kein geringer war, mir lieber anvertraute als einem islamitischen Kurier. Das Zusammentreffen mit Pilgern machte mir keine Sorge; viel eher war es mir bedenklich, daß die beiden im Vorzimmer stehenden Arnauten jedes Wort unserer Unterhaltung gehört hatten und also auch wußten, daß ich eine bedeutende Summe Geldes zu überbringen hatte. Sie waren Soldaten, der eine ein On Baschi (Korporal) und der andere ein Tschausch (Sergeant) und hätten nach europäischen Begriffen also wohl Vertrauen verdient; aber der Arnaut ist ein geborener Räuber und stets, selbst wenn er bei der Fahne steht, zu Gewaltthätigkeiten geneigt. Außerdem ist gerade der nichtchristliche Arnaut der muselmännischste der Muselmänner, und so war es mir doch nicht recht wohl bei dem Gedanken, gerade jetzt zur Zeit der Pilgerversammlungen und wo ich im Besitze vielen Geldes sein sollte, diese beiden finster blickenden Kerls für mehrere Tage und Nächte als Begleiter bei mir haben zu sollen. Ich teilte dies dem Mudir, natürlich in leisem Tone mit, und er antwortete:

„Du brauchst keine Sorge zu haben; ich werde sie verpflichten, und ihr Eid ist ihnen so heilig, daß sie ihn auf keinen Fall brechen werden.“

Trotz dieser Versicherung hatten meine Worte zur Folge, daß er von jetzt an nicht mehr so laut sprach; auch zählte er mir das Geld so vorsichtig vor, daß man es draußen nicht hören konnte. Es befand sich in einer [einem] festen Ledergurt, den ich unter der Weste um den Leib binden sollte. Ich mußte das gleich in seiner Gegenwart thun. Dann rief er die Arnauten herein, um mich ihnen zu übergeben. Sie mußten ihm bei dem Propheten zuschwören, so lange ich ihnen anvertraut sei, für meine Sicherheit ebenso wie für die ihrige besorgt zu sein. Dies beseitigte mein Bedenken; wenn ich ihnen alles zutraute, den Bruch eines solchen Gelöbnisses aber nicht.

Hierauf begleitete der Wali mich bis in den Hof und blieb da stehen, bis ich zum Thore hinausritt, eine Ehrenerweisung, welcher gewiß nur selten jemand teilhaftig geworden war.

„Allah begleite Dich und nehme Dich in seinen Schutz!“ rief er mir noch nach, obgleich ich in seinen Augen ein Ungläubiger war. Er ahnte ebenso wenig wie ich, wie notwendig mir dieser Schutz in kurzem werden sollte.

Zunächst erfuhr ich gleich draußen vor der Stadt, was für strenge Muhammedaner meine beiden Arnauten waren. Kaum hatten sie das letzte Haus hinter sich, so stiegen sie ab, und der Tschausch sagte mir:

„Effendi, erlaube uns, das Reisegebet zu sprechen! Jeder wahre Gläubige tritt eine solche Reise nur zur Zeit des Nachmittagsgebetes an; wir aber sind schon am Vormittage aufgebrochen. Da Du ein Christ bist, so weißt Du nicht, daß wir damit den Zorn Allahs auf uns geladen haben; nun müssen wir ihn durch unser Gebet besänftigen.“

Sie schnallten ihre Schabracken los, um dieselben als Gebetsteppiche zu gebrauchen, eine Benutzung, die ich noch nie beobachtet hatte, knieten darauf nieder und verrichteten, gegen Mekka gewendet, unter halblautem Gemurmel und zahlreichen Verneigungen die Andacht, welche sie mir als so dringlich dargestellt hatten. War dies wirklich Herzenssache, oder wollten sie mir gleich im Beginn der Reise zeigen, daß sie mich zwar als ihren Schutzbefohlenen, aber doch als Giaur betrachteten? Als Soldaten waren sie der Disciplin unterworfen und also wohl nicht gewöhnt, stets nur zur Zeit des Nachmittagsgebetes aufzubrechen. Die militärische Notwendigkeit erfordert oft eine Umgehung der äußeren religiösen Gebräuche.

Ich ließ sie gewähren, ohne ein Wort zu sagen, und benutzte als echter Ungläubiger die mir dadurch gewordene Muße zum Betrachten des Tenbih, welchen ich von dem Wali erhalten hatte. Infolge dieses Schriftstückes konnte ich allerorten alles verlangen, was ein großherrlicher Kurier zu fordern hatte; das war mir natürlich außerordentlich angenehm. Die Neugierde trieb mich, auch den kleinen Beutel zu öffnen, in welchem sich die Bezahlung für mein Pferd befand. Es war ein ganz gewöhnlicher Gaul gewesen, und die Summe betrug wenigstens das Achtfache seines Wertes. Der Wali konnte das Pferd für sich nicht gebrauchen, und es war klar,

daß er es gekauft hatte, um mir in dieser Form ein Geschenk machen zu können. Es fiel mir nicht ein, zornig darüber zu sein.

Als das Gebet nach zehn Minuten beendet war, ritten wir weiter. Die Arnauten verhielten sich im höchsten Grade schweigsam gegen mich. Sie sprachen nur dann mit mir, wenn ich sie fragte, und antworteten da so kurz, daß ich einsah, es liege ihnen nichts daran, mich als leutseligen Effendi kennen zu lernen. Wenn sie sich miteinander unterhielten, sprachen sie nicht türkisch oder vielleicht arabisch, sondern sie bedienten sich ihres Mireditendialektes, von welchem mir kaum dreißig Worte geläufig waren. Sie ritten, je nach dem, vor oder hinter mir her, ohne sich um mich zu kümmern; ich schien für sie Luft zu sein, und als ich zur Mittagszeit in einem Dorfe halten ließ, um mir von dem Muchtar (Dorfschulzen) ein Essen liefern zu lassen, wollten sie sich, als dasselbe gebracht wurde, sich sofort darüber hermachen, als ob ich gar nicht vorhanden sei oder mit den Überresten fürlieb zu nehmen habe. Der Tschausch nahm, ohne sich um mich zu bekümmern, dem Muchtar die Schüssel ab, setzte sich mit derselben neben seinen Kameraden auf die Erde nieder und spreizte schon die Finger aus, um zuzulangen; da nahm ich, auch ohne ein Wort zu sagen, ihnen die Schüssel weg, ging mit derselben zur Seite, setzte mich nieder, nahm sie zwischen die Beine, zog meinen Löffel aus dem Gürtel und begann zu essen.

„Effendi, das Essen gehört auch uns!“ rief der Tschausch zornig.

„Wartet!“ antwortete ich kurz, indem ich weiterlöffelte.

„Wir sind gläubige Moslemin und dürfen nicht genießen, was ein Christ übrig läßt!“

„Und ich bin ein gläubiger Christ, der Euch die Ehre erweisen würde, Euch mit ihm essen zu lassen, wenn Ihr Offiziere wäret. Said Kaled Pascha, mein Freund, hat Euch zu mir befohlen, nicht aber mich zu Euch. Merkt Euch das!“

Sie schwiegen und gingen in das Haus, um sich anderes Essen geben zu lassen, verhielten sich aber von nun an noch abweisender gegen mich als vorher. In Jachscha Khan, wo wir über Nacht blieben, sah ich sie von dem Augenblicke, an welchem wir von den Pferden stiegen, nicht eher wieder, als bis ich am andern Morgen aufstieg, um fortzureiten. Zum Schutze brauchte ich sie nicht; ich konnte mich selbst beschützen, und da sie mir im übrigen nur hinderlich, nicht förderlich sein konnten, so wäre es mir lieber gewesen, wenn ich sie gar nicht mitgenommen hätte, zumal ich im Laufe dieses zweiten Tages die Bemerkung machte, daß sie überall, wo wir anhielten, mich sofort und geflissentlich als Christ bezeichneten. Das konnte jetzt, zur Pilgerzeit, unangenehme Folgen für mich haben.

Wir hatten in Jachscha Khan frische Pferde bekommen; für morgen brauchte ich wieder welche, zumal der heutige Ritt ein sehr anstrengender war, da wir erst am späten Abende über Baltschyk in Paschaköi ankamen. Es gab da einen Han (Herberge), vor welchem wir abstiegen. Da es meinen beiden Beschützern nicht einfiel, für mich zu sorgen, so rief ich selbst den Wirt herbei, um ihm meine Wünsche mitzuteilen. Als er das Dokument des Wali sah, kraute er sich verlegen hinter den Ohren und sagte:

„Essen könnt Ihr haben, ob aber auch Pferde, das bezweifle ich. Es ist schon ein Effendi da, welcher auch einen Tenbih des Wali besitzt; er hat auch schon Pferde bestellt.“

„Wie viele?“

„Zwei.“

„Ich brauche drei. Die werden jedenfalls zu bekommen sein.“

„Ich will’s versuchen; aber er wird jedenfalls die beiden besten nehmen, weil er eher gekommen ist als Du. Er weiß Pferde zu beurteilen, denn ich habe aus seinem Tenbih ersehen, daß er Kysrakdar (Gestütemeister) von Malatijeh ist.“

Ich ging in das Gebäude, um mich mit diesem Effendi zu verständigen, und fand einen jungen Türken ernsten Aussehens, welcher zufälligerweise auch nach Kaisarijeh wollte und bereit war, den Weg mit mir gemeinschaftlich zu machen. Das war alles, was wir sprachen, denn er zeigte sich außerordentlich -

außerordentlich einsilbig und zurückhaltend, und ich war so müde, daß ich nur einige Bissen aß und mich dann gleich niederlegte.

Am andern Morgen waren meine Arnauten nicht zu sehen. Der Wirt sagte mir, daß sie die beiden besten Pferde genommen hätten und fortgeritten seien. Ich nahm an, daß sie es unter ihrer muhammedanischen Würde gefunden hätten, mich weiter zu begleiten, hörte aber zu meinem Befremden, daß sie nicht die Richtung zurück nach Engyrijeh eingeschlagen hatten, sondern unserm bisherigen Wege weitergefolgt waren. Das mußte mir auffallen; sie wußten, daß ich Geld bei mir hatte, und ich nahm mir vor, vorsichtig zu sein.

Mein Ziel für heute war Boghaslajan, und der Kysrakdar zeigte sich damit einverstanden. Wir hatten zwar drei Pferde, die aber nichts taugten; ich brauchte nur eins, er zwei, da er Gepäck bei sich führte. Lieb war es mir, daß er den Weg genau kannte, aber weiter bot mir seine Gesellschaft auch nichts, da er wenigstens ebenso wortkarg wie gestern Abend war. Ich bemerkte, daß er mich heimlich mit prüfendem Blicke musterte und daß sein Gesicht dabei keineswegs einen feindseligen Ausdruck hatte. Er schien sich gern näher mit mir einlassen zu wollen und doch einen besonderen Grund zu haben, dies nicht zu thun.

Heute zeigte es sich mehr als an den beiden vorigen Tagen, daß wir uns der Pilgerzeit näherten. Wir kamen an einzelnen Gruppen und ganzen Zügen von frommen Muhammedanern vorüber, welche nach dem Versammlungsplatze dieser Provinz wanderten. Ich grüßte überall, gab aber die uns gewordenen Zurufe nicht zurück. Es wunderte mich, daß mein Begleiter sich ebenso verhielt. Ich hörte ihn nicht ein einziges Mal das gebräuchliche „Allah hu“ rufen. Die Leute fanden dieses unsere Verhalten irreligiös und hätten wohl mit uns angebunden, wenn wir nicht immer schnell an ihnen vorüber gewesen wären. Einmal aber, es war um die Mittagszeit, fiel mir das Verhalten eines Mannes auf, welcher auch zu einer kleinen Pilgergesellschaft gehörte, an welcher wir vorüberkamen. Als dieser meinen Begleiter erblickte, spuckte er wiederholt aus und rief mit lauter Stimme:

„Es Sabbi, es Sabbi! Sehr Ihr ihn? Spuckt aus vor ihm; speit ihn an! Reißt ihn vom Pferde, den Abtrünnigen, der von Allah und dem Propheten gewichen ist. Verflucht sei seine Seele!“

Die Begleiter dieses Mannes stimmten in sein Geschrei ein und wollten seiner Aufforderung Folge leisten; der Kysrakdar aber trieb seine Pferde zum Galoppe an, und ich folgte ihm ebenso schnell, noch immer das Geheul „verflucht sei seine Seele, verflucht sei seine Seele!“ hinter mir hörend. Als wir außer Sicht- und Hörweite gekommen waren, ließ er seine Pferde langsamer gehen und sagte in verlegenem Tone:

„Wir müssen uns trennen, Effendi, denn meine Gegenwart kann Dir, wie Du siehst, leicht gefährlich werden.“

„In wiefern? Warum beleidigt man Dich?“

„Weil man glaubt, ein Recht dazu zu haben. Ich war Moslem, bin aber jetzt ein Christ, ein katholischer Christ, was hier ja schlimmer ist als ein griechischer oder armenischer. So, jetzt weißt Du es; nun spucke auch vor mir aus!“

„Das werde ich bleiben lassen. Ich müßte mich ja selbst anspucken, denn ich bin auch ein Christ.“

Da richtete er sich schnell im Sattel auf, sah mich mit frohen Augen an und rief:

„Du ein Christ? Und ich hielt Dich für einen sehr strengen Bekenner des Propheten, weil Du mir gestern Abend sagtest, daß Du den Abdal Osman Bei besuchen wolltest. Dieser Mann spricht mit keinem Christen.“

„Was ich ihm zu sagen habe, ist solcher Art, daß er mit mir reden wird.“

„Dann muß es sehr Gutes sein, was Du ihm mitzuteilen hast. Du gefielst mir sogleich, als ich Dich gestern Abend sah. Hätte ich gewußt, daß Du auch Christ bist, so wäre ich anders gegen Dich gewesen. Verzeihe mir, Effendi!“

Er reichte mir die Hand herüber; ich drückte ihm dieselbe und antwortete:

„Du hast auch mir gefallen, und ich werde bei Dir bleiben, wenn Du es erlaubst. Laß diese Menschen schimpfen!

Sie können uns doch nur mit ihren Worten erreichen, welche ungefährlich sind. Da Du den Abdal Osman Bei erwähnst — kennst Du ihn vielleicht?“

Er sah vor sich nieder und rief dann aus:

„Ob ich ihn kenne! Er ist ja der Erzeuger meines Lebens, mein Vater; und ich bin sein Sohn, sein einziges Kind.“

„Wie! So bist Du der, welcher beim Wali gewesen ist?“

„Ja. Der Wali ist ein Freund meines Vaters und hat auch mich lieb, obgleich er mir ob meines Abfalles zürnt. O, Effendi, wie glücklich bin ich durch die heilige Religion geworden und doch auch wie unglücklich durch das Herzeleid, in welches ich meinen Vater und meine Mutter versetzen mußte! Du kannst es gar nicht erfassen!“

„Ich begreife es. Dein Vater ist der strengste, der eifrigste Bekenner des Islam, und Du, sein einziges Kind, hast den Kuran verworfen. Ich kenne beides, die Bibel und den Kuran, das helle, lebenspendende Licht des Christentums und den glühenden, versengenden Brand der Lehren Muhammeds; ich kenne auch das Menschenherz und verstehe, daß Dein Vater Dich von sich gestoßen hat.“

„Er hat mich nicht nur verstoßen, sondern — — verflucht. Du hast es ja gehört, daß ich es Sabbi, der Verfluchte, genannt werde!“

Er war ein starker Mann, ein Charakter, und doch standen ihm die Thränen in den Augen, als er fortfuhr:

„Und nichts, nichts kann ihn versöhnen als meine Rückkehr zu den Irrlehren des Islam; diese aber ist mir unmöglich!“

„Ja, bleib’ getreu! Der himmlische Vater steht unendlich höher als der leibliche; die göttliche Liebe wird Dir die irdische ersetzen, welche Du verloren hast.“

„Ich habe sie verloren und doch auch gewonnen. Die Liebe des Vaters hat sich in Haß und Fluch verwandelt; dafür errang ich eine andere Liebe, und diese war es, welche mich zum rechten Glauben leitete. Darf ich Dir sagen, wie das gekommen ist?“

„Sei überzeugt, daß ich mich aufs höchste dafür interessiere!“

„So erfahre, daß ich, so wie mein Vater, Offizier war. Der Name meines Vaters und die Freundschaft Said Kaled Paschas standen mir zur Seite, so daß mein Avancement ein schnelles war. Ich zählte vierundzwanzig Jahre, als ich Kol agassy (Kapitän) der Engyrijeh-Dragoner in Kaisarijeh wurde. Der Dienst führte mich in das Haus des französischen Konsuls, eines Katholiken; ich sah dessen Tochter, liebte sie, kam wieder, fand Gegenliebe und wurde durch dieselbe zur Wahrheit des christlichen Glaubens geführt. Erlaß es mir, ausführlich zu sein! Es war eine schwere Zeit, eine Zeit des Zweifels und der Kämpfe, des Glückes und des schwersten Herzeleides. Die Liebe war meine Führerin gewesen, und die Überzeugung wurde meine Stütze, an welcher ich mich fest und aufrecht hielt. Ich entsagte dem bisherigen Glauben nicht aus Zuneigung zu der Geliebten, sondern in der vollen Überzeugung, daß nicht Muhammeds, sondern Christi Weg zu Allah und zum Himmel führt. Der Vater verstieß und verfluchte mich; ich mußte den Abschied nehmen; aber die Braut blieb mir treu und der Konsul verhieß mir die Hand seiner Tochter, sobald ich Ersatz für die verlorene Stellung gefunden haben würde. Ich bemühte mich viele, viele Monate lang, doch überall wurde der Abtrünnige, es Sabbi, der Verfluchte, abgewiesen. Da wendete ich mich endlich an Said Kaled Pascha, meinen frühern Gönner, welcher mittlerweile Wali von Engyrijeh geworden war. Er zürnte mir; er sah sich nicht im stande, mir meinen Abfall zu verzeihen, aber er liebte mich noch und beschied mich zu sich. Jetzt komme ich von ihm und habe die Bestallung als Kysrakdar von Malatijeh in der Tasche. Dieses berühmte, großherrliche Gestüt liegt nicht zu fern von hier und doch in einer andern Provinz; ich habe also die bisherigen Anfeindungen nicht zu fürchten und bin trotzdem in der Nähe des Vaters, um jede Gelegenheit, mich mit ihm zu versöhnen, ergreifen zu können. Gott segne den Wali, er ist ein strenger Mann, aber ein treuer und wahrer Freund!“

„Ja, das ist er. Hat er mich doch beauftragt, mit Deinem Vater von Dir zu reden und ihn, wenn möglich, zur Versöhnung zu stimmen.“

„Hat er das? Wirklich?“

„Ja. Er sprach allerdings nicht deutlich, da er seine Hand nicht in fremde Wunden führen wollte, jetzt aber weiß ich, was er gemeint hat, und wenn Du es erlaubst, werde ich mich dieses Auftrages gern entledigen.“

„Thu’ es lieber nicht, Effendi! Der Versuch wird mißlingen und könnte alles verschlimmern. Ja, wärest Du kein Christ! Als Bote des Wali wird mein Vater Dich wohl bei sich empfangen, obwohl er sonst keinen Fremden zu sich läßt; aber sobald er erfährt, daß Du ein Christ bist, jagt er Dich mit Hunden fort.“

„Das befürchte ich nicht, denn ich bringe ihm eine frohe Botschaft, welche er seit fünfzehn Jahren vergeblich erwartet hat.“

„Seit fünfzehn Jahren? So betrifft es wohl seine Pension?“

„Ja. Sie ist ihm gewährt worden, und ich habe den ganzen Betrag nebst Zins und Zinseszins bei mir, um ihm denselben auszuhändigen.“

„Welch ein Glück, welch ein großes Glück! Mein Vater ist ein Einsiedler und Menschenfeind geworden nicht nur aus Zorn darüber, daß man ihm die Zahlung verweigerte, sondern weil er so arm ist, daß er ohne die Pension kaum zu leben vermag. Ich teilte mit ihm meine Gage, die mir dann verloren ging. Ja, jetzt glaube auch ich, daß Du ihm willkommen bist und daß Du es wagen darfst, meiner bei ihm zu erwähnen. Gott gebe, daß es Erfolg hat!“

„Da kommt mir ein Gedanke. Wäre es nicht vielleicht besser, wenn Du selbst ihm das Geld brächtest?“

„Nein, nein! Er würde es nicht annehmen. Du mußt es bringen, Du, nicht ich. Eins aber kann ich thun, nämlich mich in der Nähe halten, damit Du mich, falls Du mit Deinen Bemühungen glücklich bist, sogleich rufen oder holen kannst.“

„Gibt es einen dazu passenden Ort?“

„Ja; ich werde ihn Dir vorher zeigen. Wie gut, wie herrlich, daß wir uns getroffen haben, Effendi! Vielleicht kann ich meiner Braut nicht nur eine Anstellung, sondern auch die Kunde von der Versöhnung mit meinem Vater bringen. Sag’, ob ich Dir etwas zuliebe zu thun vermag, Effendi! Meine Freundschaft wird Dir gehören, so lange ich lebe!“

„Ich biete Dir die meinige dafür, obgleich wir uns, wenn wir einmal geschieden sind, wohl schwerlich jemals wiedersehen werden. Meine Heimat liegt zu fern von hier.“

„Wo?“

„In Alemannia, wohin Du wahrscheinlich niemals kommen wirst; dennoch wird das Andenken, welches ich Dir bewahre, stets ein herzliches sein.“

Es läßt sich denken, daß wir nun in anderer Weise als bisher mit einander verkehrten. Er entwickelte eine Lebhaftigkeit, welche für einen Türken wirklich selten war, und erzählte mir in kurzer Zeit seinen ganzen Lebenslauf. Leider erlitt unsere Unterhaltung zuweilen recht gehässige Unterbrechungen. Je mehr wir uns Boghaslajan näherten, desto mehr Leute gab es, die ihn kannten, und da wir nur Muhammedanern begegneten, welche die Pilgerreise angetreten hatten, also fanatischen Muhammedanern, so hatte er, so oft man ihn erkannte, die niederträchtigsten Schimpfreden anzuhören, und wir bogen oft feldein, um auf einem Umwege derartigen Beleidigungen zu entgehen. In Boghaslajan weigerte sich der Wirt sogar, ihn zu behalten, und es bedurfte der wiederholten Hindeutung auf die Tenbihs des Wali, ehe er sich aus Angst vor der Strafe bereit finden ließ, uns Quartier und Essen zu geben und am nächsten Morgen für drei frische Pferde zu sorgen. Es stieg dabei die Ahnung in mir auf, daß es vielleicht noch schlimmer kommen könne. —

Zierleiste

2. Kapitel.

Illustration2

Nicht aus Sorge für unser Wohlergehen, sondern aus Rücksicht auf sich selbst und auf die Ruhe seines Hauses machte der Wirt uns bemerklich, daß es geraten sei, uns nicht vor den andern Gästen sehen zu lassen. Er sagte, die Stube sei voller Pilger, welche während der Nacht hier bleiben würden, und brachte uns hinter das Haus in einen von vier halb verfallenen Lehmmauern umschlossenen Raum, den er seinen Gülistan, seinen Blumengarten, nannte. Es gab da einen ziemlich verdorrten Jasminstrauch, einen welken Zitronenbaum und — last, not least — eine Rose mit zwei Knospen und mehreren Würmern drin und hunderten von Läusen auf den Blättern. Die eine Ecke dieses Gartens war durch eine alte, viel geflickte Leinwand abgesperrt und sollte wohl ein Zelt, eine Laube oder so etwas Ähnliches bedeuten. In einer andern Ecke stand eine solche Menge von Gras, daß ein einziges Kaninchen es in fünf Minuten hätte wegfressen können. Das also war ein türkischer Blumengarten. Vielleicht begeistert diese Beschreibung einen germanischen Dichter, ihn in vierundzwanzig Sonetten zu besingen.

„Hier müßt Ihr schlafen, wenn Ihr unbelästigt bleiben wollt,“ meinte der Wirt, indem er auf die Leinwand deutete. „Euer Gepäck werde ich bringen und dann auch Essen und Wasser besorgen.“

Nach diesen Worten ging er fort, indem es ihm unmöglich zu sein schien, daß wir irgend welche Wünsche haben könnten. Was mich betraf, so schlief ich in diesem famosen Gülistan ebenso gern wie drin im schmutzigen Hause, und der Kysrakdar dachte jetzt an nichts als an die Aussöhnung mit seinem Vater; alles andere war ihm gleichgültig.

Nach kurzer Zeit brachte der Wirt die Sachen meines Gefährten geschleppt, die meinigen hatte ich bei mir, und dann das Abendessen. Dieses bestand ausschließlich aus einem trockenen und lederzähen Kuchen, welcher mit ranzigem Öle getränkt war. Das Wasser befand sich in einem Kruge, welcher den Henkel und den halben Rand verloren hatte, was im Oriente der Vollkommenheit bekanntlich keinen Eintrag

thut. Während er uns diese Delikatessen präsentierte, sagte er in wichtigem Tone:

„Seid froh, daß ich Euch hierher gebracht habe! Soeben frugen die Arnauten wieder nach Euch.“

„Welche Arnauten?“ fragte ich, da mein Verdacht sofort rege war.

„Die heute Nachmittag gekommen sind. Sie frugen gleich nach ihrer Ankunft nach Euch, besonders nach Dir,“ fügte er, zu mir gewendet, hinzu. „Sie sagten, ich solle Dich nicht aufnehmen, denn Du seist ein Christ und wollest Dich den Pilgern anschließen, um die heiligen Gebräuche kennen zu lernen und dann später zu verhöhnen.“

„Ein Christ bis ich, das ist wahr; aber eben gerade deshalb habe ich mit Euern heiligen Gebräuchen nichts zu schaffen. Du hast diesen Arnauten nicht gesagt, daß wir angekommen sind?“

„Nein, noch nicht.“

„So hüte Dich überhaupt, es zu thun! Wenn Du plauderst, zeige ich es dem Wali an, dessen Empfehlung ich besitze. Wo befinden sich die Arnauten?“

„Im Pferdestalle, ganz hinten wo das Futter liegt.“

„So haben sie sich also versteckt?“

„Ja.“

„Ist Dir das nicht ein Beweis, daß sie Schlimmes vorhaben und ein böses Gewissen besitzen?“

„Nein, denn sie sagten, sie seien Euch nachgesandt worden, um Euch zu beobachten und nötigenfalls gefangen zu nehmen.“

„Das ist eine ungeheure Lüge, denn von diesem meinen Begleiter wissen sie eigentlich nichts, und mir sind sie von dem Wali zu meiner Bedienung mitgegeben, wie Du aus meinem Tenbih ersehen kannst. Sie haben es aber vorgezogen, sich aus dem Staube zu machen, aus welchem besondern Grunde, das werde ich schon noch erfahren. Also sage ihnen nichts von unserer Anwesenheit, Du könntest sonst in Strafe kommen. Und halte die bestellten Pferde zeitig bereit, da wir mit dem Frühesten aufbrechen werden.“

Er ging. Es war mir nicht etwa bange; es fiel mir auch gar nicht ein, vor den Arnauten das Hasenpanier zu ergreifen, aber nach dem, was mir geahnt und was ich wieder jetzt gehört hatte, trachtete ich darnach, das Geld, welches ich bei mir trug, so bald wie möglich los zu werden. Darum wollte ich morgen den Ritt möglichst früh beginnen.

Vom Essen war keine Rede. Wir untersuchten das Innere des Zeltes. Es stand eine primitive Steinbank darin, welche nicht einmal einem Menschen und noch viel weniger zweien Platz zu einem Lager gewähren konnte. Darum streckten wir uns draußen außerhalb des Zeltes auf den Erdboden nieder und schliefen bald den Schlaf der Gerechten, obgleich wir vor den Arnauten wohl nicht ganz sicher waren. Es war doch die Möglichkeit vorhanden, daß sie nach dem Garten kamen, um da, von niemandem bemerkt, ihre Beobachtungen fortzusetzen; aber ich verließ mich auf mein gutes Gehör, welches mich bei irgend einem ungewöhnlichen Geräusch sicher aus dem Schlafe geweckt hätte.

Wir erwachten trotz unsers unbequemen Lagers leider später, als in unserer Absicht gelegen hatte. Es war schon heller Tag, und von unserm berühmten Rosengarten aus hörten wir das Geräusch und die Stimmen der Pilger, welche sich zum Aufbruche rüsteten. Da wir uns des Kysrakdar wegen nicht vor ihnen sehen lassen wollten, warteten wir, bis es still geworden war, und gingen dann aus dem Garten in den Hof. Die ersten Menschen, welche wir da erblickten, waren die beiden Arnauten, welche unter dem offenen Hofthore standen und nach der Gegend ausschauten, aus welcher sie uns zu erwarten hatten, obgleich auf eine Ankunft unsererseits um diese Stunde wohl schwerlich zu rechnen gewesen wäre.

„Dort stehen sie,“ meinte mein Gefährte. „Gehen wir wieder in den Garten zurück?“

„Nein. Sie können noch stundenlang da stehen, und wenn wir warten wollten, bis sie weg sind, würden wir unsere Zeit versäumen. Übrigens liegt nun, da es Tag geworden ist, nichts mehr daran, ob sie uns sehen oder nicht.“

Wir gingen also über den Hof dem Hause zu. Sie hörten unsere Schritte, drehten sich um und waren nicht wenig betroffen, -

betroffen, uns zu sehen. Der Tschausch machte eine rasche Bewegung, sich zu entfernen und draußen zwischen den Häusern zu verschwinden; ich aber rief ihm zu:

„Bleib’! Wo willst Du hin? Weißt Du nicht, daß Du zu uns gehörst?“

Er kehrte um und kam langsam näher. In seinem Gesichte war finsterer Trotz zu lesen. Der On Baschi folgte ihm, um ihm bei seiner Verteidigung beizustehen.

„Ihr seid ein wenig spazieren geritten, ohne uns um Erlaubnis zu fragen,“ sagte ich. „Said Kaled Pascha wird Euch darüber unterrichten, ob man eine solche Unbotmäßigkeit ohne Strafe wagen darf.“

„Erzähle es ihm!“ antwortete der Tschausch.

„Ja, ich werde es ihm berichten!“

„Aber nur bald, sonst könnte es leicht zu spät werden!“

„Ich werde schon dafür sorgen, daß nichts eintritt, wodurch Ihr der verdienten Züchtigung enthoben werden könntet.“

„Thu’, was Du willst; es geht uns nichts an. Wir begleiten keinen Giaur, und Du hast uns nichts zu befehlen. Du gehst, wohin es Dir beliebt, und wir thun auch was wir wollen.“

„Ich werde allerdings thun, was mir beliebt; ob aber Euch Euer Belieben auch gelingen wird, ist eine andere Sache. Ich könnte Euch Eure Pferde wegnehmen, denn sie wurden von mir requiriert; ich lasse Euch aber so, wie Ihr seid, und wünsche, daß Ihr es Euch nicht schlimmer machen mögt.“

Wären sie klug gewesen, so hätten sie verstanden, was ich meinte. Ich wendete mich ab und ging in das Haus, um nach dem Wirte zu suchen. Er fand sich bald und teilte uns mit, daß er frische Pferde für uns im Stalle stehen habe. Wir tranken den Kaffee, welchen er uns bot, und begaben uns dann nach dem Stalle, um die Pferde zu besichtigen. Es standen drei da, aber als ich sie genauer in Augenschein nahm, sah ich, daß sich nur ein frisches dabei befand; die beiden andern waren diejenigen, auf denen sich die Arnauten heimlich von uns entfernt hatten. Auf die sogleich angestellten Erkundigungen erfuhr ich, daß die beiden Kerls, während wir Kaffee tranken, fortgeritten seien. Sie hatten die guten Pferde genommen und uns ihre abgetriebenen zurückgelassen, die wir nun wohl oder übel nehmen mußten, da in dem kleinen Neste keine andern zu bekommen waren. Dieses Unglück war aber nicht groß, weil ich heute nur bis Urumdschili wollte, welches von Boghaslajan in einem fünfstündigen Ritt recht wohl zu erreichen ist.

Der Weg führte an einem Nebenflüßchen des Tarka hin; wir hatten freies Feld vor uns. Als der Kysrakdar sagte, daß wir später durch einen großen und dichten Wald kommen würden, antwortete ich:

„Da haben wir uns sehr in acht zu nehmen, da sich jedenfalls da unsere Arnauten versteckt haben.“

„Versteckt! Zu welchem Zwecke?“

„Um uns zu ermorden.“

„Ermorden? Höre ich recht! Sprichst Du im Ernste, Effendi?“

„Ja.“

„So hältst Du sie, die Dich beschützen sollten, für Mörder?“

„Für Raubmörder. Ich habe Dir bisher nichts Näheres mitgeteilt; nun aber, da meiner Ansicht nach die Entscheidung naht, muß ich Dich darauf aufmerksam machen. Sie waren dabei, als der Wali von dem Gelde Deines Vaters sprach, und wissen, daß ich es bei mir trage. Eine solche Summe kann auch ehrlichere Leute verführen, als die Arnauten zu sein pflegen.“

„Ich erschrecke! Sollten sie sich nicht deshalb, weil wir Christen sind, sondern dieses Geldes wegen von uns entfernt haben?“

„Jedenfalls.“

„Aber sie haben doch jedenfalls von Said Kaled Khan strenge Anweisung erhalten, und da sie Soldaten sind, muß ihnen jeder Ungehorsam doppelt angerechnet werden!“

„Was das betrifft, so mußten sie sogar einen Eid ablegen, ihren Verpflichtungen zu genügen; aber wenn ich mich recht erinnere, so war der Wortlaut dieses Eides so gehalten, daß er zu umgehen ist. Sie haben geschworen, so lange ich ihnen anvertraut sei, für meine Sicherheit ebenso besorgt zu sein, wie für die ihrige. Da sie sich von uns getrennt haben, bin

ich ihnen, wenigstens ihrer Ansicht nach, nicht mehr anvertraut, und sie halten sich infolge dessen ihres Versprechens entbunden.“

„Das ist ein Verdacht, den ich nur schwer zu teilen vermag. Sie sind doch Vertrauenspersonen.“

„Welches Vertrauen sie verdienen, haben sie uns ja deutlich gezeigt. War es nur ihre Absicht, uns los zu werden, so konnten sie nach Engyrijeh zurückkehren und dort sagen, sie seien von mir heimgeschickt worden. Warum aber ritten sie weiter, und, was die Hauptsache ist, warum hielten sie sich nicht hinter uns, sondern uns voran? Ich bin vollständig überzeugt, daß sie es auf das Geld abgesehen haben.“

„Erlaube mir nur noch einen Einwand: Sie sind Deine Beschützer, sollen also bei Dir sein. Wenn Dir etwas geschieht, muß sich der Verdacht des Wali sofort auf sie lenken. Das wissen sie ebenso gut, wie ich es Dir sage.“

„Bedenke, daß ihnen da eine ganze Auswahl von Ausreden zur Verfügung steht. Ich bin überfallen worden, weil ich sie zurückgeschickt habe. Übrigens bedeutet die Summe, welche ich bei mir habe, für diese Leute, selbst wenn sie dieselbe teilen, ein Vermögen. Sie würden wohl gar nicht in ihren Dienst zurückkehren, sondern irgend wohin gehen, wo man sie nicht finden würde, was bei der Größe und den Zuständen des weiten Sultanats eine Kleinigkeit wäre. Du magst zweifeln; ich aber bin überzeugt, daß mein Mißtrauen mich nicht täuscht.“

„Dann müssen wir darauf bedacht sein, ihnen auszuweichen, Effendi!“

„Gibt es denn einen andern Weg nach Urumdschili?“

„Von hier aus eigentlich nicht, doch können wir nach rechts gegen Hadschi Bektasch reiten und dann auf halbem Wege durch die Wälder und über die Berge zurückgehen.“

„Dazu habe ich keine Lust. Wie groß würde dieser Umweg sein?“

„Wir würden freilich erst am Abende am Ziele ankommen.“

„Also einen vollen halben Tag versäumen? Wegen dieser Halunken sicher nicht. Wir reiten weiter.“

„Aber wenn sie wirklich im Walde auf uns lauern! Es scheint zwar nur auf Dich abgesehen zu sein, doch müßten sie auch mich töten, weil ich sonst gegen sie zeugen würde.“

„Du warst Offizier, und ich denke also, daß Du Dich nicht fürchtest!“

„Ich kenne allerdings keine Furcht, mag aber nicht leichtsinnig sein. Gegen die Kugel eines im Walde versteckten Mörders kann selbst der größte Heldenmut nicht schützen.“

„Das weiß ich und fordere also keinen Heldenmut. Ein wenig Vorsicht genügt.“

„Sagt Dir die Vorsicht, wo der Mörder steckt, so daß Du ihm auszuweichen vermagst?“

„Ja. Hab’ keine Sorge! Ich besitze in solchen Dingen mehr Erfahrung als Du denkst. Betrachte den Weg, auf dem wir reiten! Der Boden ist weich und trägt die Spuren aller, welche heute früh darauf gegangen sind. Noch deutlicher haben sich die Hufspuren der beiden Pferde eingedrückt. So lange wir diese Spuren sehen, sind wir sicher, denn ehe die Arnauten sich auf die Lauer legen, müssen sie ihre Pferde vom Wege wegführen, um sie zu verstecken.“

„Du scheinst schärfere Augen zu haben als ich, denn ich kann die Spuren der Reiter nicht von denen der Fußgänger unterscheiden. Aber gefährlich ist es auf alle Fälle, ihnen zu folgen.“

„Nein. Wenn wir in den Wald kommen, bleibst Du eine Strecke hinter mir zurück und bist also sicher; das übrige kannst Du mir getrost überlassen.“

Ich durfte wohl annehmen, daß er kein Feigling sei, mußte aber noch lange auf ihn einreden, ehe er Vertrauen zu meinem Sicherheitsgefühle faßte und mir weiter folgte. Man darf nicht denken, daß es eine gebahnte Straße gab; es war eine Bahn, welche mit der Zeit und ad libitum ausgetreten worden war; man konnte so breit gehen und nach rechts oder links abweichen, wie man wollte. Später wurde diese Bahn schmaler und ausgesprochener, weil sie nun durch den Wald führte. Dieser bestand zunächst aus niedrigem Gebüsch, aus welchem dann einzelne Bäume ragten, die sich darauf zu einem geschlossenen Ganzen vereinigten.

Uns zur Seite hatten wir das kleine Flüßchen, welchem zufolge der Boden jetzt noch feuchter wurde, als er vorher gewesen war. Die Hufeindrücke wurden deutlicher. Ich hielt an, stieg ab und machte meinen Gürtel los, um ihn dem Pferde um den Hals zu schnallen; dann band ich die Steigbügel am Sattelgurte fest und stieg wieder auf. Nachdem ich dem Kysrakdar mein Gewehr, welches mich gehindert hätte, übergeben hatte, forderte ich ihn auf, mir nun nur langsam zu folgen, während ich ihm voranreiten würde. Er wollte eine Erklärung haben, doch ließ ich mich darauf nicht ein.

Es galt, die Stelle zu erkunden, an welcher die Arnauten steckten, und mir während dieses freilich gefährlichen Unternehmens keine Blöße zu geben. Ich mußte also nach Indianerart so reiten, daß der Leib des Pferdes meinen Körper beschützte. Auf der Seite des Flüßchens waren die Kerls jedenfalls nicht versteckt; darum steckte ich nach dieser Seite hin den einen Arm in den Gürtel und nach der andern den Fuß in den festgebundenen Bügel. Nun lag ich also mit der einen Kniekehle im Sattel, während das andere Bein in der Luft schwebte; indem ich mich am Gürtel, also am Halse des Pferdes, festhielt, saß ich nicht mehr auf demselben, sondern hing lang an der Seite des Tieres hin, dem die Sache so fremd vorkam, daß es erst nicht vorwärts wollte, aber doch gehorchen mußte. Einmal in Gang gebracht, war es dann leicht zu lenken.

Ich hielt, ohne nach rechts oder links zu blicken, die Augen scharf zur Erde gerichtet, damit mir ja kein Stapfen entgehen möge. Die Arnauten waren langsam geritten, um nicht etwa die vor ihnen befindlichen Pilger einzuholen, und da wir kurz nach ihnen von Boghaslajan fortgeritten waren, so befanden wir uns ihnen ziemlich nahe, und es war vorauszusehen, daß ich meine Absicht in kurzer Zeit erreichen würde.

Mein Pferd galoppierte, was in meiner Lage die bequemste Gangart war. Mein Kopf befand sich unter dem Halse des Gaules, und ich sah die Spuren deutlich, fort und immerfort, bis dieselben plötzlich abwichen und zwischen die Bäume hineinführten. Ich wußte genug, riß mein Tier herum und ritt zurück. Dabei hörte ich unweit der Stelle, an welcher ich ungekehrt war, einen kurzen Ruf erschallen. Die dort versteckten Arnauten hatten den sonderbaren Reiter gesehen, mich aber wohl nicht erkannt, da ich nur einen kurzen Augenblick zu sehen gewesen war.

Natürlich richtete ich mich jetzt wieder im Sattel auf und teilte, zu dem Kysrakdar zurückgekehrt, ihm mit, daß es mir gelungen sei, den Ort des Hinterhaltes zu entdecken. Nun war demselben sehr leicht auszuweichen. Wir ritten über das Flüßchen, dessen Wasser nicht tief war, hinüber, stiegen dort unter den Bäumen ab und führten unsere Pferde wohl eine halbe Stunde weit durch den Wald. Da wir nun versichert sein konnten, die gefährlichste Stelle weit genug hinter uns zu haben, kehrten wir nach dem Wege auf die andere Seite des Wassers zurück und gelangte aus dem Walde, der uns so leicht hätte verhängnisvoll werden können. Mein Begleiter war, da er die Arnauten nicht zu sehen bekommen hatte, noch immer nicht ganz überzeugt, daß sie wirklich Böses gegen uns im Schilde führten.

Von jetzt an ritten wir durch eine hügelige Landschaft, welche durch einen steten Wechsel von Wiesengrün und kleinen Wäldchen belebt wurde. Zuweilen sahen wir zur Seite ein Dörfchen, ein einsames Haus liegen, vermieden es aber, durch Ortschaften zu reiten. Der Kysrakdar machte lieber einen Umweg; er war hier bekannt und wollte sich nicht beschimpfen lassen. Freilich waren nicht alle Begegnungen zu umgehen, und dann gab es auch stets einen Auftritt, dem wir uns als Reiter glücklicherweise immer schnell entziehen konnten.

„Es Sabbi, es Sabbi — der Verfluchte, der Verfluchte!“ mußte mein beklagenswerter Kamerad bei jedem Zusammentreffen hören. „Speit ihn an; werft ihn mit Steinen, reißt ihn vom Pferde! Allah verdamme ihn; Allah verbrenne ihn; Allah vernichte ihn!“

Je weiter wir kamen, desto mehr Menschen sahen wir unterwegs und desto fanatischer und aufgeregter schienen sie zu sein. Sie alle wollten nach Kaisarijeh, wo sich, wie ich später sah, die Pilger der ganzen, weiten Umgegend versammelten, um gemeinschaftlich über den Antitaurus zu gehen.

Wehe dem Menschen, dem das Unglück begegnet, durch eine unbedachte Handlung oder ein unvorsichtiges Wort die hochgesteigerte religiöse Empfindlichkeit dieser Leute zu verletzen! Wer nicht Muhammedaner ist, hält sich da am besten unsichtbar hinter seinen vier Pfählen, und in Wahrheit sahen wir auch nicht ein einzige Person, welche infolge ihrer Kleidung oder eines sonstigen Zeichens als Christ zu erkennen gewesen wäre.

Die Pilgerhaufen wurden schließlich so zahlreich, daß ihnen fast nicht mehr auszuweichen war. Sie wollten zunächst alle nach Urumdschili, um die zwischen hier und Kaisarijeh über den reißenden Kizil Irmak führende Seilfähre zu benutzen. Wir sahen keinen einzigen Reiter unter ihnen, ein sicheres Zeichen, daß wir gerade die Hefe vor uns hatten, welche leicht in Gährung zu bringen ist. Höchstens trieb einmal einer ein armseliges Eselein, welches sein noch armseligeres Gepäck tragen mußte, vor sich her.

Die Mittagszeit war vorüber, als wir das erste bebaute Feld vor uns liegen sahen. Hinter Hecken und Obstbaumgruppen stieg ein dünnes, sonderbar geformtes Ziegelwerk in die Höhe, welches ein Minareh vorstellen sollte. Wir waren in der Nähe von Urumdschili angekommen.

Rechts von uns, vielleicht zwei Kilometer von der Stadt, sah ich eine Gruppe von mehreren Eichen der großfrüchtigen kleinasiatischen Art. Unter denselben stand neben Oliven- und Maulbeerbäumen ein Häuschen, welches rundum von einer Mauer umgeben war. Noch weiter zurück war der Horizont jedenfalls von einem Walde dunkel gefärbt. Der Kysrakdar deutete auf das Haus und sagte:

„Dort wohnt mein Vater, der Einsiedler. Du kannst zwischen den Tabak- und Safranfeldern hindurch leicht hinkommen. Sollte ausnahmsweise das Thor offen sein, so hüte Dich, in den Hof zu gehen. Die Hunde würden Dich zerreißen. Klopfe auf das Becken neben dem Thore!“

„Gut! Wo bleibst Du einstweilen?“

„Ich reite nach dem Walde, welchen Du dort hinten liegen siehst. Brauchst Du mich während des Nachmittags, so hole mich; ich werde Dich kommen sehen. Im andern Falle nehme ich an, daß Du als Gast diese Nacht beim Vater bleibst, und werde mich Dir schon bemerklich machen.“

„Du hast nichts zu essen und gehst nicht nach der Stadt. Da wirst Du hungern müssen.“

„Ich würde zu meiner Braut reiten, wenn die Stadt nicht voller Pilger wäre, welche mich beschimpfen würden. Wenn es Abend ist, darf ich es eher wagen. Hungern werde ich nicht, denn auf den Feldern wachsen Melonen genug, an denen ich mich sättigen kann. Gott gebe Dir Glück zu Deinem Vorhaben und lasse es gelingen!“

Er drückte mir die Hand und ritt in der Richtung nach dem Walde davon; ich lenkte mein Tier zwischen die Felder hinein, um nach dem Hause zu gelangen.

Es lag einsam in der heißen Sonnenglut; die Baumkronen, welche über die Mauer blickten, ließen ihre Blätter hängen. Diese Mauer war sehr dick und sehr hoch. In der vordern Seite befand sich ein hölzernes Thor, welches verschlossen war. Neben demselben hing ein kleines Metallbecken mit einem Hammer. Ich klopfte, und sofort erhob sich jenseits der Mauer ein mehrstimmiges, satanisches Hundegeheul, welches wohl fünf Minuten anhielt und dann auf eine zurufende Menschenstimme verstummte. Dann fragte dieselbe Stimme, es war eine weibliche, am Thore nach meinem Begehr.

„Ist Osman Bei, der ehemalige Mir Alai, daheim?“ antwortete ich.

„Wer bist Du?“

„Ein Bote seines Freundes Said Kaled Pascha, des Wali von Engyrijeh.“

„Warte!“

Ich stieg vom Pferde und wartete; es verging eine halbe Stunde. Ich setzte mich in das wuchernde Gras und Unkraut neben dem Thor, und es verging noch eine halbe Stunde. Ich schellte wieder. Dasselbe Hundegeheul und dann dieselbe Stimme:

„Wer ist draußen?“

„Noch immer der Bote des Wali.“

„Warte!“

Ich setzte mich wieder nieder und wartete eine Stunde, zwei, drei volle Stunden. Da kam ein uralter, gebeugter, schmutziger und nur in Lappen gekleideter Kerl durch die Felder nach dem Hause, blieb vor mir stehen, sah mich finster und stechend aus seinen triefenden Augen an und sagte dabei kein Wort.

„Gehörst Du in das Haus?“ fragte ich.

Er nickte, was jedenfalls Ja bedeuten sollte.

„Ist der Mir Alai daheim?“

Er schüttelte den Kopf, womit er sehr wahrscheinlich Nein sagen wollte.

„Ich habe mit ihm zu sprechen. Wo befindet er sich?“

Abermaliges Kopfschütteln. Da drückte ich meine einzige Kugel ab:

„Ich bringe ihm Geld, viel Geld!“

Ich hatte einen Kernschuß gethan, denn kaum war das Zauberwort Geld erklungen, so rief der Alte mit atemloser und überschnappender Fistelstimme:

„Geld, viel Geld? Warte, mein Söhnchen, warte nur ein ganz klein wenig, Du Liebling Allahs, Du Bote der Glückseligkeit! Ich werde den Abdal holen. Er befindet sich in der Stadt, um den Pilgern heilige Reden zu halten. Er ist der Oberste der Sekte der „Tschok Keskinler (sehr Strengen, ganz Strengen) und hat mit seinen Ordensbrüdern die Pflicht, die Begeisterung der Gläubigen für die fromme Reise zu erhöhen.“

Er ging wieder fort, schnell, sehr schnell.

„Wie lange habe ich noch zu warten?“ konnte ich ihm noch nachrufen.

„Nur wenige, sehr wenige Minuten,“ antwortete er zurück und war dann auch schon verschwunden, so eilig hatte er es. Ja, das Geld „macht Beine“.

Also der Einsiedler war der Oberste der ganz strengen Muhammedaner. Da hatte ich es mit einem sehr fanatischen Menschen zu thun. Die Freude am Besitz war bei ihm auch nicht geringer als die Frömmigkeit, denn als ich annahm, daß der Bote ungefähr die Stadt erreicht haben werde, sah ich die beiden schon von dort herbeikommen.

Der Mir Alai mochte fünfundsechzig Jahre zählen, war hoch und stark gebaut und hatte einen strengen ascetischen und dabei kühnen Gesichtsausdruck. Er musterte mich einige Augenblicke und sagte dann:

„Du bringst Geld? Gib her! Von wem ist es?“

„Von Said Kaled Pascha.“

„Ah, ein Geschenk für meine Ordensbrüder. Gib her!“

Er hielt mir die Hand hin.

„Es ist kein Geschenk, sondern etwas Anderes.“

„So sage es!“

„Nicht hier. Ich möchte diese Angelegenheit nur in Deiner Wohnung mit Dir besprechen.“

„Das geht nicht, denn ich laß keinen fremden Menschen ein.“

„Das thut mir leid. Ein Bote des Wali von Engyrijeh ist kein Mann, den man wie einen Bettler vor der Pforte abfertigt. Ich gehe also wieder.“

Ich stieg auf mein Pferd, ohne daß er es hinderte, und fügte noch hinzu:

„Es betrifft Deine Pension, die Du nun endlich erhalten sollst. Lebe wohl!“

„Halt!“ rief er da, indem er mir in die Zügel griff. „Meine Pension? Steig’ ab, und komm’ herein; ich kann Dich nicht fortlassen.“

Ich stieg scheinbar zögernd wieder ab. Er hatte das Thor mit einigen Griffen, ich weiß nicht wie, geöffnet, trat in den Hof und rief den drei riesigen Hunden, welche da auf der Lauer standen, einige Worte zu, worauf sie sich zurückzogen. Der alte Triefäugige nahm mein Pferd, und ich ging mit seinem Herrn in das Innere des Hauses, welches so ärmlich eingerichtet war, daß es die Bezeichnung Haus eigentlich gar nicht verdiente. Die Stube, in welche wir traten, hatte als einziges Ameublement einen alten Teppich, auf den wir uns niederließen.

Diese Armut kann als Maßstab bei der Berechnung des Entzückens dienen, welches der Einsiedler empfand, als ich ihm einen fünfzehnjährigen Pensionsbetrag nebst Zinseszinsen hinzählte. Er schwamm in Wonne, eilte fort, um seine Frau davon zu benachrichtigen, und kehrte dann zurück, mir zu

sagen, daß ich sein Gast sein und mit ihm nach der Stadt gehen müsse, um der Feierlichkeit des Empfanges der einzelnen Pilgerzüge und der Einweihung der heiligen Fahne beizuwohnen.

Die Fahne war natürlich nicht die berühmte Fahne, welche alljährlich auf einem weißen Kameele nach Mekka geschafft wird, dennoch gelüstete es mich, der Einladung Folge zu leisten; ich sagte also zu.

Zunächst wurde ich, allerdings in höchst eiliger Weise, mit dem Besten bewirtet, was das Haus bot, Milch und einige Früchte. Dabei behandelte mich der Abdal mit aller Freundlichkeit, die einem solchen Menschenfeinde möglich war; das heißt mit fast gar keiner. Er hatte seine Freude nur einen Augenblick lang sehen lassen; jetzt war er wieder zugeknöpft. Eine eigentliche Unterhaltung gab es nicht, und nun gar von seinem Sohne anfangen, das durfte ich erst recht nicht wagen. Noch nicht halb gesättigt, mußte ich mit ihm fort, nach der Stadt, einem schmutzigen Neste, in welchem es eigentlich mehr Schutt und Trümmer als Steine und mehr geistig betrunkene Muhammedaner als Menschen gab.

Der Empfang der nacheinander ankommenden und meist nur durchziehenden Pilgerhaufen bestand in einem heiseren Allah-Gebrüll, und über die Einweihung der „heiligen“ Fahne will ich lieber gar nichts sagen. Diese Menschen waren eben beinahe toll vor religiöser Begeisterung; sie schrieen wie die Tiger, verwundeten sich, um dem Propheten ihr Blut zu weihen, und ergingen sich in ähnlichen andern Verrücktheiten, bei denen ich förmlichen Ekel empfand. Ich war darum froh, als der Abdal mich nach hereingebrochener Dunkelheit aufforderte, mit ihm nach Hause zu gehen, um das Abendbrot einzunehmen. Ob ich meinen Zweck in Beziehung auf seinen Sohn bei ihm erreichen würde, war mir mehr als zweifelhaft geworden. Ganz abgerechnet, daß er überhaupt ein hartes Herz besaß, war er ein so verknöcherter Islamit, daß an eine Verzeihung voraussichtlich nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen zu denken war. Dennoch war ich fest entschlossen, nach dem Abendessen oder auch schon während desselben mein Glück zu versuchen, die Angelegenheit sollte sich aber noch vor demselben entscheiden.

Als wir durch das Thor traten, mußten die Hunde wieder von mir abgehalten werden. Der Mond war im Aufgehen, uns so sah ich mein Pferd, welches sich im Grase unter den Bäumen gütlich that. Das Sattel- und Zaumzeug hing an einem Pflocke an der Hauswand. Der Mir Alai führte mich in dasselbe Zimmer, in welchem ich schon gewesen war, und entfernte sich dann, wahrscheinlich, um bei seinem Weibe nachzusehen, ob das Essen bereit stehe. Er war kaum von mir fort, so erhob sich auf der Seite, nach welcher er gegangen war, ein wütendes Geschrei. Ich erkannte seine Stimme; er brüllte wie ein Verrückter. Der Schwall seiner Worte blieb mir unverständlich; deutlich aber hörte ich nur immer die Worte Sabbi, Verfluchter, und den oft wiederholten Fluch Allah partschalamah, was so viel wie „Gott zerschmettere dich!“ bedeutet.

Wie ich später hörte, hatte sein Sohn mit Ungeduld auf mich gewartet und diese Ungeduld, als es dunkel wurde, nicht länger bemeistern können. Er war herbeigekommen und hatte das Thor, dessen Mechanismus er kannte, geöffnet. Die Hunde brauchte er als Sohn des Hauses nicht zu fürchten. Er hatte seinen Vater und mich abwesend gefunden und war zu seiner Mutter gegangen, wo ihn der erstere jetzt ertappte, mit Fäusten auf ihn eindrang, ihn zu Boden warf und fluchend und brüllend auf ihn einschlug. Die Mutter wollte dem Wütenden Einhalt thun, wurde aber von ihm mit solcher Gewalt in eine Ecke geworfen, daß sie dort wimmernd lieben blieb. Der Sohn rang sich in die Höhe, um den Vater von sich abzuhalten, er mußte sich natürlich gegen ihn wehren; das steigerte die Wut desselben in solchem Maße, daß er ein geladenes Gewehr von der Wand riß und auf ihn anlegte. Er hätte sicherlich geschossen; der Kysrakdar sah glücklicherweise ein, daß es unmöglich sei, mit einem so wahnwitzig erregten Menschen gütlich zu verhandeln, und ergriff die Flucht. Um aus dem Hause zu kommen, mußte er durch die Stube, in welcher ich mich befand. Er kam zur einen Seite hereingesprungen und wollte zur andern hinaus; da sah er mich und blieb stehen. Schon aber erschien sein Vater hinter ihm, mit

dem Gewehr in der Hand und legte auf ihn an. Ich sprang hinzu, schlug den Lauf zur Seite; der Schuß krachte, und die Kugel ging hart am Kopfe des Sohnes vorüber und fuhr in die Wand.

„Was thust Du, Unglückseliger!“ rief ich ihm zu. „Du willst Deinen eigenen Sohn ermorden?“

„Schweig!“ donnerte er mich an. „Was hinderst Du mich, diesen Abtrünnigen zu züchtigen, diesen Hund, der von Allah abgefallen ist, diesen Verlorenen und Verfluchten, der nichts zu erwarten hat als nur die Hölle mit allen ihren Qualen!“

„Er ist Dein Sohn, und Du bist sein Erzeuger!“

„Allah verzeihe es mir, daß ich sein Vater bin! Woher aber weißt Du, daß dem so ist? Kennst Du ihn denn?“

„Ja, ich bin mehrere Tage mit ihm geritten.“

„So wußtest Du, daß er sich hier befindet, daß er zu mir wollte?“

„Ja.“

„Und Du hast es mir nicht gesagt! So hat er, den Allah zerschmettern möge, Dir wohl verschwiegen, daß er ein Giaur, ein Christenhund geworden ist?“

„Nein, er hat es mir gesagt.“

„Und Du hast ihn nicht angespeit, ihn nicht zum Teufel und allen bösen Engeln gejagt?“

Er hatte diese Fragen, während er weit nach vorn gebeugt vor mir stand und mich mit seinen blitzenden Augen verbrennen zu wollen schien, mit großer Hast hervorgestoßen. Er befand sich in einem Zustande, der ihn zu jeder Gewaltthat fähig machte, dennoch antwortete ich ruhig:

„Wie hätte ich das gekonnt, da ich ihm nicht unrecht geben kann. Ich bin ja selbst ein Christ.“

„Du — — Du — Du ein Christ?“ Diese Worte schienen ihm nicht aus dem Munde zu wollen; seine Augen traten drohend hervor, und sein Gesicht färbte sich dunkelrot, während er, wie eine Schlange zischend, fortfuhr: „Und Du hast es gewagt, zu mir zu kommen, den man den Einsiedler nennt, zu mir, der ich der Oberste der „Ganz Strengen“ bin? Du bist mit mir bei der Einweihung der heiligen Fahne — — — hinaus mit Euch, augenblicklich hinaus!“

Er wartete nicht ab, ob wir dieser Aufforderung Folge leisten würden, sondern rannte an uns vorüber und hinaus. Wir hörten, daß er die Hunde rief.

„Um Gottes willen, wehre Dich!“ forderte mich sein Sohn erschrocken auf, indem er sein Messer zog. „Wenn er diese Teufel auf uns hetzt, schonen sie selbst mich nicht.“

Und der Alte hetzte sie wirklich auf uns; ich hörte sie kommen und hatte kaum noch Zeit, mein Gewehr, welches an der Wand lehnte, zu ergreifen. Da kamen sie lechzend hereingestürzt, alle drei, einer hinter dem andern, die riesigen Tiere. Es gab kein Besinnen, kein Bedenken, keine Wahl; so wie sie kamen, schoß ich die beiden ersten nieder und schmetterte den dritten mit dem Kolben zu Boden. Da erschien der Alte und stürzte sich, als er die toten Hunde sah, auf mich. Er mußte wie ein gefährlicher Wahnsinniger behandelt werden; ich empfing ihn auch mit einem Kolbenhiebe, der ihn gerade so niederstreckte wie seinen Hund. Hinter uns erhob sich ein Wehegeschrei. Die Frau war da, herbeigelockt durch meine Schüsse. Sie durfte sich vor mir, dem Fremden, nicht sehen lassen; ich ging also hinaus, sattelte mein Pferd und wartete, bis der Kysrakdar nachfolgen werde. Er kam nach einiger Zeit und meldete:

„Ich habe die Mutter beruhigt, Der Vater ist nicht verletzt, sondern nur ohnmächtig. Wir müssen fort, ehe er erwacht.“

Er öffnete das Thor und führte mich gegen die Stadt hin nach einer Stelle, wo ich auf ihn warten sollte, denn er mußte gehen, um sein Pferd zu holen. Nach seiner Rückkehr ritten wir nach der Stadt, um jenseits derselben auf den Weg nach Kaisarijeh zu kommen. Noch hatten wir die ersten Häuser nicht erreicht, so kamen wir an zwei Reitern vorüber, welche am Wege hielten und bei unserer Annäherung zur Seite wichen, so daß wir sie nicht betrachten konnten, fast aber schien es mir, als ob es unsere beiden Arnauten gewesen seien —

3. Kapitel.

Illustration3

Der Kysrakdar hatte sich wirklich an Feld­melonen gesättigt; mich aber hungerte, und so suchte ich, als wir in die Stadt kamen, den einzigen Bäcker, den es dort gab, auf, um mir etwas Eßbares zu kaufen. Die Pilger hatten seine Vorräte so in Anspruch genommen, daß eigentlich nichts mehr zu haben war; glücklicherweise aber hatte er mich an der Seite des Einsiedlers gesehen, und da er mich für einen Freund desselben hielt, so ließ er mir aus reiner Gefälligkeit ein orientalisches, das heißt fast unverdauliches Kuchenbrot ab. Dann ging es weiter, denn mein Begleiter wollte sich in Urumdschili natürlich nicht aufhalten.

Ich wäre sehr gern unterwegs übernacht geblieben; er aber schlug mir vor, direkt nach Kaisarijeh zu reiten, weil er hier überall gekannt war und Unannehmlichkeiten vermeiden wollte, und ich gab aus Rücksicht für ihn meine Zustimmung.

Der Weg beträgt sechs deutsche Meilen, was keine geringe Aufgabe für unsere Pferde war, welche für diese Nacht eigentlich der Ruhe bedurften, und ging, wie schon erwähnt, über den Kizil Irmak, wobei man sich der Fähre zu bedienen hatte.

Als wir am Flusse ankamen, war der Fährmann wach. Er hatte ein Feuer am Ufer brennen, weil die ganze Nacht hindurch Pilger kamen, welche übergesetzt werden mußten. Andere lagerten gruppenweise am Flusse, um schlafend den Morgen zu erwarten. Die Fähre bestand aus aufgeblasenen Häuten, welche mit Rohr bedeckt waren. Es stiegen mit uns eine Anzahl Pilger ein, und eben wollte der Fährmann vom Ufer stoßen, da rief einer derselben:

„Halt! Wollt Ihr Allah und den Propheten beleidigen, indem Ihr mit es Sabbi, dem Verfluchten fahrt? Da steht er mitten unter Euch! Allah verdamme ihn!“

Sie wichen alle vor ihm zurück, einige spuckten ihn sogar an, und kehrten ans Ufer zurück. Nur meinem groben Auftreten, dem Vorzeigen meines Tenbih und einer reichlichen Bezahlung hatten wir es zu verdanken, daß uns der Fährmann an das andere Ufer brachte. Er versicherte uns, daß

die Fähre gewaschen und durch das Beten von Kuransprüchen gereinigt werden müsse, ehe ein gläubiger Moslem dieselbe wieder betreten werde. Der Auftritt war höchst ärgerlich, sollte uns aber später zum Vorteile gereichen.

Da der Mond am wolkenlosen Himmel stand, bot der nächtliche Ritt gar keine Beschwerden; aber die Helle, welche er verbreitete, hatte zur Folge, daß der Kysrakdar von mehreren Pilgern, welche wir überholten, erkannt wurde. Wir hatten dann immer die üblichen Flüche und Verwünschungen anzuhören; sonst jedoch begegnete uns bis Kaisarijeh nichts Erwähnenswertes.

Es war am späten Vormittag, als wir diese am Nordfuße des Ardschisch gelegene Stadt erreichten. Sie ist uralt, hieß vor Zeiten Mazaca und später Caesarea Eusebia oder Caesarea ad Argasum montem und ist die berühmteste unter allen Städten, welche den Namen Caesarea führten. Der später hier residierende griechische Metropolit führte den Titel Hypertinorum hypertimus es totius Orientis exarchus. Die Stadt hat sehr enge, schmutzige Straßen, doch sah ich einige gut gebaute Häuser, unter ihnen dasjenige, welches der französische Konsul bewohnte und vor dessen Thür wir natürlich abstiegen.

Der Kysrakdar hatte mir die Versicherung gegeben, daß ich wie ein alter Bekannter oder guter Freund aufgenommen werden würde, und ich fand das aufs vollkommenste bestätigt. Der Konsul, ein Großhändler, war ein frommer, ernster und dabei höchst wohlwollender Mann, seine Frau eine freundliche, sehr liebenswürdige, aber im Oriente unmodern gewordene Dame und die Tochter erstens eine wirkliche Schönheit und zweitens in Beziehung auf ihr Herz und Gemüt der reine, wahre Sonnenschein. Es war nicht zu verwundern, daß sie die Seele meines neuen Freundes so ganz und gar für sich gefangen genommen hatte.

Zunächst mußte natürlich unser gestriges Erlebnis erzählt und ausführlich besprochen und beklagt werden; hierauf speisten wir vorzüglich; und dann mußten wir uns schlafen legen, da wir während der ganzen Nacht unterwegs gewesen waren. Der Kysrakdar legte sich jedenfalls mit fröhlichem Herzen nieder, denn da er nun die zur Bedingung gemachte Anstellung besaß, hatte ihm der Konsul gesagt, daß man noch heute oder morgen den Tag der Hochzeit bestimmen werde.

Ich schlief schnell ein, wurde aber sehr bald wieder geweckt und zwar durch einen entsetzlichen Lärm, welcher sich vor dem Hause erhob. Es mußte etwas ganz Ungewöhnliches geschehen sein. Ich stand auf, um mich zu erkundigen, und wollte eben zur Thüre heraus, als der Konsul hereingestürmt kam und bestürzt ausrief:

„Sie sind schon wach? Das ist gut! Denken Sie sich, Sie und mein Schwiegersohn sollen verhaftet werden! Draußen stehen die Polizisten mit einer großen Menge Volkes.“

„Verhaftet? Weshalb?“ fragte ich.

„Sie sollen heute Nacht beim Einsiedler eingebrochen sein und ihn bestohlen und sogar verwundet haben. Er hat gestern viel Geld erhalten und das haben Sie ihm abgenommen. Er ist Ihnen nach hier gefolgt und hat Sie beim Kadi angezeigt.“

„So! Das ist ja im höchsten Grade interessant! Erst bringe ich ihm das Geld vierzig geographische Meilen weit her, und dann breche ich bei ihm ein, um es ihm zu stehlen!“

„Ja, es ist ein Unsinn, aber ein sehr ernster und für Sie höchst gefährlicher Unsinn!“

„Wie so?“

„Das fragen Sie, Monsieur? Ja, Sie fußen darauf, daß Sie fremd sind, und daß ich Konsul bin! Ich kann Ihre Auslieferung verweigern; das ist richtig; aber bedenken Sie, daß wir uns in der Zeit der Hadsch befinden! Da ist der Muhammedaner unberechenbar. Hunderte von Pilgern befinden sich in der Stadt; sie lagern auf allen Gassen und Plätzen. Wird nur ein einziger, kleiner Funke in diese so leicht entzündliche Masse geworfen, so entsteht ein Brand, dessen Wirkung gar nicht abzusehen ist.“

„Ich denke, der vierte Teil der hiesigen Bevölkerung besteht aus Christen?“

„Ja, aber aus armenischen, welche uns wenigen Katholiken feindlicher gesinnt sind als selbst die Muhammedaner. Wie oft haben diese Armenier unsern Gottesdienst gestört, den wir fast im Verborgenen halten müssen; wie oft haben sie gedroht, unsere kleine, arme Kapelle verbrennen zu wollen! Auf sie können wir uns gar nicht verlassen. Ich gestehe, daß ich mich in großer Verlegenheit befinde!“

„Die sehr bald zu Ende gehen wird, denn ich habe nicht die Absicht, Ihnen mit meiner Person Schwierigkeiten zu bereiten. Sagen Sie mir vorher das Eine: Können Sie die Auslieferung des Kysrakdar verweigern?“

„Nein; er ist türkischer Unterthan.“

„Gut, so liefern Sie uns einfach aus!“

„Das sagen Sie, weil Sie die Gefahr, in welcher Sie sich befinden, unterschätzen. Hören Sie!“

Er machte mich auf den Lärm draußen aufmerksam. Ich hörte rufen:

„Es Sabbi, es Sabbi! Kristianlar dyschary, dyschary Kristianlar — der Verfluchte, der Verfluchte! Die Christen heraus, heraus mit den Christen!“

Das klang freilich nicht ungefährlich. Wenn wir in die Hände dieses aufgeregten muhammedanischen Pöbels gerieten, waren wir unsers Lebens nicht sicher.

„Hat Ihr Haus nur einen Ausgang?“ fragte ich darum.

„Nein. Man kann durch den Garten auf eine hintere Gasse kommen.“

„Und wie viele Polizisten hat der Kadi geschickt?“

„Sechs.“

„So mögen drei uns durch den Garten bringen, und die andern drei können die Menge beruhigen, indem sie den guten Leuten sagen, daß wir uns bereits beim Kadi befinden.“

„So geht’s, ja, so geht’s, Monsieur! Und damit Sie nicht etwa denken, daß ich Sie verlassen will, werde ich Sie zum Kadi begleiten.“

„Sehr gut, Monsieur! Unsere Unschuld muß sich auf alle Fälle herausstellen, aber es ist sehr leicht möglich, daß ich Ihres Beistandes nicht entraten kann.“

Zwei Minuten später gingen wir, nämlich der Konsul, der Kysrakdar und ich, von drei Polizisten begleitet, durch den Garten und mehrere sehr wenig belebte Gassen nach der Wohnung des Kadi, welche auch eine hintere Thüre hatte, die wir natürlich benutzten. Ich hatte alles mit, was mir gehörte, auch mein Doppelgewehr. Wir wurden über einen weiten Hof geführt, in welchem eine große Menge Menschen stand. Es war heute Gerichtstag, und im Oriente ist es einem Schauspiel gleichgeachtet, den Gerichtsverhandlungen beizuwohnen, die Richtersprüche zu hören und der sofortigen Vollstreckung derselben, wobei es viele Prügel setzt, zuzuschauen. Dann kamen wir in ein größeres Gemach, welches das Amts- und Arbeitszimmer des Kadi bildete. Er befand sich in demselben; niemand war bei ihm.

Dieser Vertreter der großherrlichen Gerechtigkeit war ein dicker Türke mit wohlwollendem Gesichtsausdrucke; die Gutmütigkeit blickte ihm aus den Augen. Er bewillkommnete den Konsul, indem er ihm die Hand schüttelte und auf ein Sortiment gestopfter Tabakspfeifen deutete, welche auf einem Teppiche neben einem glimmenden Kohlenbecken lagen. Den Kysrakdar schien er als Abtrünnigen nicht zu sehen. Mich aber musterte er scharf und sagte dann:

„Wenn Du das Geld gestohlen hast, so sag’s lieber gleich; ich bekomme es doch heraus!“

Anstatt der Antwort gab ich ihm meinen Tenbih und setzte mich neben dem Konsul nieder, um mir, ebenso wie dieser, eine Pfeife anzubrennen. Dieses mein Verhalten und der Inhalt der Schrift machte den Kadi verlegen. Er rieb sich erst die Stirn, dann die Nase; nachher kratzte er sich hinter dem Ohre und meinte:

„Diese Angelegenheit scheint freilich ganz anders beschaffen zu sein, als ich dachte! Nicht?“

„Möglich,“ antwortete ich. „Wie hast Du Dir ihre Beschaffenheit denn gedacht?“

„Daß Du der Spitzbube bist.“

„Ja, dann war’s freilich sehr einfach! Ich bekam zunächst ganz gehörige Prügel und wurde dann für eine Reihe von Jahren eingesperrt. Leider bin ich aber erstens dieser Spitzbube nicht, und zweitens müßte diese Sache, da ich ein Deutscher bin, vor einer ganz andern Stelle verhandelt werden.“

„Aber Du warst gestern bei Osman Bei, der Mir Alai gewesen ist und den man den Einsiedler nennt?“

„Ja. Ich habe ihm das Geld gebracht, welches mit Said Kaled Pascha für ihn anvertraute.“

„Erzähle mir, wann Du zu ihm gekommen, wieder von ihm gegangen bist und was während Deiner Anwesenheit bei ihm geschehen ist!“

Ich kam dieser Aufforderung nach, indem ich ihm einen ausführlichen Bericht gab. Am Schlusse desselben erwähnte ich die beiden Reiter, welche ich vor den ersten Häusern von Urumdschili gesehen und für die beiden Arnauten gehalten hatte. Er hörte mir aufmerksam zu, las meinen Tenbih noch einmal durch, schlug mit der äußern Handfläche gegen das Papier und sagte:

„Deine Erzählung und dieser Tenbih beweisen alles. Ein Mann, dem der Wali von Engyrijeh eine so große Summe anvertraut, kann kein Spitzbube sein. Ich werde den Einsiedler kommen lassen.“

Er gab einem der drei Polizisten, welche uns gebracht hatten und mit uns eingetreten waren, einen Wink. Der Mann entfernte sich und brachte nach wenigen Augenblicken der Mir Alai herein. Als dieser uns erblickte, stürzte er zunächst auf seinen Sohn zu, schlug ihm die rechte Faust — den linken Arm trug er im Bunde — ins Gesicht und schrie ihn an:

„Verfluchter, Abtrünniger, Hund, der seinen eigenen Vater beraubt! Allah zerschmettere Dich! Heraus mit meinem Gelde! Wo habt Ihr es? Ihr habt es geteilt!“

Dann sprang er auf mich zu, blieb vor mir stehen, streckte mir die geballte Hand entgegen und rief:

„Verräter, Lügner, Mörder, sag’ sofort, wo es ist, sonst ist’s um Dich geschehen! Draußen stehen hunderte von frommen Pilgern, welche Dich zerreißen, wenn Du es nicht gestehst!“

Ich antwortete natürlich nicht; der Kadi fuhr ihn an meiner Stelle an:

„Sei still, Schwachkopf! Dieser Effendi ist ein berühmter Gelehrter aus Frankistan, aber kein Dieb. Er hat das Vertrauen unsers berühmten Said Kaled Pascha genossen und es fällt ihm gar nicht ein, sich an Deinen Piastern zu vergreifen!“

„Er ist’s; ich weiß es genau!“ antwortete der Wütende. „Er wollte mich erschießen, hat mich aber nur in den Arm getroffen. Die Kugel ging mir durch das Fleisch und drückte sich dann an der Wand platt; ich habe sie mit. Und noch etwas anderes habe ich mit, nämlich einen Zeugen, welcher beweisen kann, daß dieser Christenhund aus Frankistan sehr viel Geld, also das meinige in seiner Tasche hatte.“

Er hatte dem Kadi den Thatbestand angezeigt und mußte ihn in unserer Gegenwart noch einmal erzählen. Er war eine Stunde nach unserer Entfernung schlafen gegangen, nachdem er seiner Frau das Geld noch einmal vorgezählt und es dann in einen Kasten gelegt hatte. Dieser Kasten stand zwischen ihm und seiner Frau auf dem Schlafteppich. Kurz nachdem er eingeschlafen war, weckte ihn ein Geräusch auf; er fühlte nach dem Kasten und erwischte dabei den Arm eines Mannes, welcher den Kasten stehlen wollte. Es entstand ein Ringen, wobei es sich zeigte, daß zwei Einbrecher da waren. Der eine riß mit dem Kasten aus; der andere hielt den Alten fest, eilte dann auch fort und gab, als er sich verfolgt hörte, einen Pistolenschuß auf ihn ab, durch welchen er verwundet und von der Verfolgung abgeschreckt wurde. Die Diebe waren jedenfalls über die Mauer gestiegen und hatten durch das Fenstergitter ihn das Geld zählen sehen. An den Thüren des Hauses gab es keine Schlösser; der Einbruch hatte nur dadurch gelingen können, daß ich die Hunde hatte töten müssen.

Der Einsiedler zeigte die plattgedrückte Kugel vor; es war eine Pistolenkugel, aber weder der Kysrakdar noch ich

besaß ein Pistol. Der Zeuge war jener Pilger, welcher uns auf der Fähre beleidigt hatte. Seine Aussage war günstig anstatt ungünstig für uns, denn wir bewiesen durch dieselbe, daß wir zur Zeit des Einbruches schon längst jenseits des Flusses gewesen waren. Dennoch blieb der Alte bei seiner Meinung. Er schwor, daß wir die Diebe seien, wurde aber vom Kadi scharf zurecht gewiesen und aufgefordert, sich zu entfernen. Als er trotzdem auf mich losschimpfte, drohte ihm der Kadi mit sofortiger Arretur und Bastonnade, falls er noch ein beleidigendes Wort zu mir sage; darum richtete er seinen Grimm nun ausschließlich gegen seinen Sohn, dessen sich der Kadi nicht annahm; der Letztere hatte nicht ein einziges Wort an den Kysrakdar gerichtet; für ihn, den strenggläubigen Muhammedaner, war der „Verfluchte“ eben gar nicht vorhanden.

„Sabbi, vermaledeiter Sabbi, Du hast Deinen eigenen Vater beraubt und bestohlen!“ schrie der Alte, indem er seinen Sohn ins Gesicht schlug und ihn anspeite. „Allah partschalamah — Allah zerschmettere Dich. Ob ich einst den Himmel erben werde, daß weiß ich nicht, denn Du bist mein Sohn und hast mich um die Seligkeiten des ewigen Lebens und um die Wonnen des Paradieses gebracht. Möge der Satan Dich verschlingen!“

In dieser Weise ging es eine Weile fort. Der Kysrakdar war arretiert und durfte sich nicht entfernen; als Sohn wollte er sich nicht an seinem Vater vergreifen und so mußte er dessen wörtliche und thätliche Beleidigungen über sich ergehen lassen. Der Kadi that dem keinen Einhalt; er gönnte dem zu einem andern Glauben Übergetretenen die Züchtigung, welche er erlitt. Aber mir wurde es doch zu viel. Ich stand auf, schob mich zwischen Vater und Sohn und donnerte den ersteren an:

„Nun schweig’! Denn alles, was Du Deinem unschuldigen Sohne vorwirfst, muß ich auch auf mich beziehen. Soll ich die Hilfe des Kadi anrufen, welche er mir augenblicklich gewähren muß?“

Das wirkte. Er wendete sich von seinem Sohne ab, mir zu und antwortete:

„Ja, ich muß hier schweigen, denn die Augen des Gerichtes sind mit Blindheit geschlagen; aber Allah wird richten zwischen mir und Euch, und zwar noch heute, an diesem Tage. Allah partschalamah — Allah zerschmettere Euch!“

Er ging fort, und zwar gerade zur rechten Zeit, denn der Kadi fühlte sich durch die Worte, daß die Augen des Gerichtes mit Blindheit geschlagen seien, in hohem Grade beleidigt, ließ ihn aber doch gehen, ohne ihn zu bestrafen. Der Beamte hielt es für seine Pflicht, sich zu entschuldigen, daß er uns belästigt hatte, und that dies in der umständlichen orientalischen Weise, so daß wir wohl erst nach einer halben Stunde entlassen wurden.

Während dieser Zeit hatte der Einsiedler sein Möglichstes gethan, die Menge draußen gegen uns aufzuhetzen. Als wir in den Hof traten, wurden wir mit Verwünschungen empfangen. Wir durften uns nicht durch das vordere Thor wagen; der wüste Lärm, den es da draußen gab, sagte uns deutlich, was unser wartete. Wir wendeten uns also hinterwärts nach der Thüre, durch welche wir hereingekommen waren. Wir erreichten sie auch; aber die gegen uns erbitterten Menschen drängten aus dem Hofe nach, und als wir auf die hintere Gasse traten, sahen wir rechts von uns einen Haufen stehen, der uns erwartete und mit wüstem Geschrei auf uns zukam. An seiner Spitze befanden sich — — meine beiden Arnauten! Nach links war der Weg frei. Wir rannten in dieser Richtung fort, denn es war klar, wir mußten fliehen, wenn wir nicht gelyncht sein wollten.

„Haltet sie auf, die Ungläubigen, die Verfluchten!“ schrie der Mob, welcher sich hinter uns dreinstürzte. Bald kam uns ein zweiter Haufe entgegen; also bogen wir eilends in eine Seitengasse ein, und so weiter, die Verfolger immer hinterdrein, bis es uns doch einmal gelang, sie irre zu führen. Da blieben wir stehen, um Atem zu schöpfen. Wir befanden uns am südlichen Ende der Stadt, deren Bewohner dem Geschrei nach, welches wir von überall her hörten, alle auf den Beinen zu sein schienen, um uns zu fangen.

„Ihr könnt unmöglich zurück,“ sagte der Konsul. „Steigt hinauf zur Kapelle; dort seid Ihr sicher. Ich werde Euch benachrichtigen, wenn Ihr kommen dürft. Es ist die reine Empörung in der Stadt, und mir bangt um die andern Katholiken. Ich will versuchen, nach Hause zu kommen und sie zu warnen.“

Wir trennten uns also; ich stieg mit den Kysrakdar, welcher die Umgebung der Stadt genau kannte, den Berg hinauf, wo wir hinter den dort stehenden Büschen leidliche Deckung fanden.

Der Ardschisch-Berg, an welchem Kaisarijeh liegt, von den Alten Mons Argaeus genannt, ist ein großartiger, erloschener Vulkan, steil und wild zerklüftet und steigt mit seinen Kratern und zerrissenen Felsgebilden bis in die Schneeregion hinauf. Es war ein schmaler, steiler, aber gut ausgetretener Pfad, auf welchem mein Begleiter mich aufwärts führte. Um Felsen zu umgehen, mußten wir uns bald nach rechts, bald nach links wenden und standen dann plötzlich vor einem kleinen, hölzernen Bauwerke, welches auf einem kanzelartigen Felsenvorsprunge stand. Das war die Kapelle, in welcher die wenigen Katholiken der Stadt ihre Andacht zu verrichten pflegten. Nach vorn und rechts ging es steil in die Tiefe; linker Hand gab es einen Felsenspalt, welcher durch hohes Strauchwerk beinahe verdeckt wurde. Der Kysrakdar steckte die Hand in einen dieser Büsche und zog an einer Schnur, die dort verborgen war. Wie ich sah, hing an derselben ein vielleicht drei Ellen langes Brett, welches es über den Spalt legte. Es bildete eine Brücke, mit deren Hilfe wir hinüber kamen. Er zog das Brett hinter uns her und sagte:

„So! Nun kann niemand zu uns herüber, und wir befinden uns in Sicherheit. Nur zwei Menschen kennen dieses Versteck, nämlich ich und meine Braut; die Brettbrücke habe ich mir erdacht und hier war es, wo sie mich in den Wahrheiten der heiligen Religion unterrichtete.“

Wir setzten uns am Felsenrande nieder. Gerade unter uns lag die Stadt. Wir sahen das ameisenartige Gewühl in den Gassen. Die Aufregung schien sich gesteigert zu haben. Rechts von uns, jenseits des Spaltes, stand die Kapelle. Jetzt sah ich auf den ersten Blick, daß sie auf einer sehr gefährlichen Stelle stand. Der Vorsprung, welcher sie trug, hatte viele Risse und schien im Zerbröckeln begriffen zu sein. Das Kapellchen konnte er wohl tragen, ob aber auch eine größere Anzahl Menschen dazu, das schien mir doch zweifelhaft. Als ich den Kysrakdar darauf aufmerksam machte, sagte er, daß er auch schon denselben Gedanken gehabt, sich aber an den gefährlichen Anblick gewöhnt habe. Noch während er diese Antwort aussprach, hörten wir Stimmen jenseits des Spaltes. Wir lugten durch die Büsche und sahen — — unsere Verfolger erscheinen, den Einsiedler, die beiden Arnauten und noch viele, viele andere, welche sich nachdrängten. Wir konnten hören, was sie sprachen. Wir waren im Irrtum gewesen; sie hatten unsere Spur doch nicht verloren gehabt. Sie wußten, daß wir hier heraufgestiegen waren, und füllten bald die Kapelle und den ganzen Raum vor derselben. Wenn sie uns fanden, waren wir verloren; aber sie sahen uns nicht und steckten aus Wut darüber die Kapelle in Brand. Unter jubelndem Johlen und gotteslästerlichen Ausrufen standen sie nun da, um die Flammen aufzingeln zu sehen. Da erblickte ich einen dünnen Riß, den ich vorher nicht gesehen hatte, im Felsen, auf dem sie standen; er wurde breiter und breiter — — — der Felsen brach. Ich schrie, meine eigene Lage

vergessend, laut auf, um sie zu warnen, aber da starrte ich auch schon ins Leere; der Felsen war verschwunden, mit der Kapelle und allen Menschen, die sich auf demselben befunden hatten. Einen Augenblick später hörten wir es unten in der Tiefe krachen, als ob der ganze Berg zusammenbreche. Der Kysrakdar sprang auf, schlug beide Hände vor das Gesicht und schrie:

„Mein Vater, mein Vater! Gott hat gerichtet und zwar fürchterlich!“

Er wollte hinab; ich hielt ihn zurück. Zu retten gab es nichts, denn bei dieser Tiefe waren gewiß alle Menschen, welche sich auf dem Felsen befunden hatten, zerschmettert wie dieser selbst; zu retten hatten wir nur uns selbst, und das konnten wir nur dadurch, daß wir hier oben verborgen blieben.

Die nun folgenden Stunden können nicht beschrieben werden. Ich sah, was unten vorging. Die ganze Bewohnerschaft der Stadt schien am Fuße der Felswand versammelt zu sein, um die Leichen aus dem Steingetrümmer hervorzuarbeiten. Mein Gefährte befand sich in einem unbeschreiblichen Zustande. Gegen Abend hörten wir eine weibliche Stimme, welche fort und fort seinen Namen rief. Wir antworteten und stiegen dem Schalle nach. Es war seine Braut, welche, als sie ihn erblickte, sich krampfhaft schluchzend in seine Arme warf. Erst nach einiger Zeit konnte sie erzählen. Man hatte natürlich geglaubt, daß wir beide auch mit abgestürzt seien. Der Kadi war gekommen, um die Arbeiten zu leiten und die Verunglückten zu recognosciren. Viele waren nicht zu erkennen gewesen. Als man auch die beiden Arnauten unter den Trümmern hervorzog, hatte der Beamte sich meines Verdachtes erinnert und ihre Kleider und Taschen durchsuchen lassen. Man fand das Geld bei ihnen; unsere Unschuld war also erwiesen. Dennoch schien es mir nicht geraten, uns sehen zu lassen, da der Fanatismus jedenfalls der Ansicht war, daß wir, wenn auch schuldlos, doch die Ursache des Todes so vieler Leute seien. Auch der Körper des Einsiedlers hatte sich gefunden, aber in einem fürchterlichen Zustande. Der Konsul hatte ihn in sein Haus schaffen lassen.

Die junge Dame kehrte zurück, um ihren Eltern zu sagen, daß wir gerettet und vollständig unverletzt seien. Als es dunkel geworden war, kam der Konsul selbst, uns zu holen. Wir kamen glücklich und unbeachtet in seiner Wohnung an. Der Kysrakdar wollte vor allen Dingen seinen Vater sehen, und ich ging mit in die Stube, in welcher der Körper lag.

„Allah partschalamah — Allah zerschmettere dich!“ Das war die so oft wiederholte Verwünschung des Alten gewesen; nun lag er selbst zerschmettert da. Kein Glied seines Körpers war unverletzt geblieben! „Allah wird richten zwischen mir und euch, und zwar noch heute, an diesem Tage!“ hatte er gesagt. Mit welch entsetzlicher Genauigkeit waren diese seine Worte in Erfüllung gegangen! Allah hatte gerichtet! —

Was weiter geschah? Der „Oberste der ganz Strengen“ wurde am nächsten Abende beim Scheine des Mondes begraben — — von Katholiken; ein reitender Bote hatte sein Weib herbeigeholt. Der Sohn des von Allah Zerschmetterten ist noch heute Kysrakdar von Malatijeh und hat dieses Gestüt zu großer Berühmtheit gebracht. Seine Braut ist ihm das geblieben, was sie immer war — sein Sonnenschein. Glück und Segen ruht auf allem, was er thut, und längst vergessen ist der häßliche Name, der an der Spitze und am Ende dieser Erzählung steht: es Sabbi, der Verfluchte. — — —

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