Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 7, Seite 97
Reprint Seite 67


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

»Goeden dag, mijne Heeren!« grüßte er in breiter, holländischer Sprache. »Het is tijd, dat wij aan tafel gaan!« Das heißt zu deutsch: »Guten Tag, meine Herren! Es ist Zeit, daß wir zu Tische gehen!«

Das war eine ganz eigene Art und Weise, zumal er die Anwesenden dabei gar nicht anblickte und, ohne sie zu beachten, mit kleinen, gewichtigen Blicken auf den nächsten Tisch zusteuerte. Der Wirt schien ihn zu kennen, denn er stürzte dienstfertig herbei, schob unter mehreren tiefen Verbeugungen zwei Stühle zusammen, da der Gast auf nur einem nicht genügend Platz gefunden hätte, nahm ihm die Tasche, die beiden Flinten und den Regenschirm ab und plazierte diese Gegenstände mit zarter Sorgfalt in die Nähe des Gastes.

Ueber das Gesicht des Methusalem war beim Anblicke und bei dem Gruße dieses Mannes ein heiteres Lächeln geglitten. Er erhob sich, machte eine Verneigung und antwortete in lustigem Tone:

»Neemt plaats; maakt geene Komplimenten; doet als of gij thuis waart - setzen Sie sich; machen Sie keine Umstände; thun Sie, als ob Sie zu Hause wären!«

Jetzt erst blickte der Dicke zu den Vieren herüber. Er musterte sie einige Sekunden lang, zog dann die haarlosen Brauen zusammen und sagte zu dem höflichen Methusalem:

»Zij zijn een ongelukkige nijlpaard - Sie sind ein unglückliches Nilpferd!«

Dann krachte er seufzend auf die zwei Stühle nieder und gähnte, als ob er die halbe Atmosphäre einschlucken wolle.

»En zij zijn een dick stekelvarken - und Sie sind ein dickes Stachelschwein!« rief der Student ihm lachend zu.

»Zij schaap - Sie Schaf!« antwortete der Dicke verächtlich.

»Zij neushoorn - Sie Nashorn!« warf der Methusalem zurück.

»Zij - zij - zij papegaai - Sie Papagei!« donnerte der Dicke.

»Zij hooi-hofd - Sie Heukopf!« lachte Degenfeld.

Da stand der Dicke auf, streckte beide Fäuste vor und brüllte mit überschnappender Stimme:

»Zij dor vlammetje, zij droogen kleermaker - Sie dürres Streichhölzchen, Sie trockener Schneider. Zij - zij - zij - - - «

Er kam nicht weiter. Der Neufundländer hatte das feindselige Verhalten des Dicken bemerkt, war von seinem Stuhle gestiegen und kam langsam auf ihn zugeschritten. Bei ihm angekommen, richtete er sich auf, legte ihm die Pfoten auf die Achseln, zeigte die Zähne und knurrte ihm warnend in das rote Gesicht, als ob er sagen wolle:

»Du, nun ist's genug, sonst bekommst du es mit mir zu thun!«

Dem Bedrohten blieb das beabsichtigte Schimpfwort im Munde stecken. Er ließ sich auf seine Stühle niedersinken, wodurch der Hund wieder vierfüßig zu stehen kam, und rief wider alles Erwarten dem Wirte zu:

»Ik heb honger; gevt mij eene soep en kalfsvleesch - ich habe Hunger; geben Sie mir eine Suppe und Kalbfleisch!«

Das sah so komisch aus und klang so drollig, daß die vier anderen in ein lautes Gelächter ausbrachen. Der Hund zog die Oberlippe in Falten, als ob er in dieses Lachen einstimmen wolle, und kehrte schweifwedelnd zu seinem Herrn und auf seinen Stuhl zurück. Als der Dicke sich nicht mehr von dem Tiere bedrängt sah, wendete er sich um und rief in zornigem Tone:

»Mijne heeren, ik zoude mij schaamen, zoo dom de lagchen. Eet gij liefst een vleesch of en eyeren-koek; dit is buiten twijfel beter dan dit ondeugende foeikzen - meine Herren, ich würde mich schämen, so dumm zu lachen. Essen Sie lieber ein Fleischernes oder einen Eierkuchen; dies ist ohne Zweifel besser als dieses nichtsnutzige Feixen!«

Diese geharnischte Rede hatte nur ein vermehrtes Gelächter zur Folge, was den Dicken so erboste, daß er, vorher tief Atem holend, die Lachenden mit wahrer Donnerstimme anfuhr:

»Mijne heeren, gij zijt slecht, gij zijt slechter, gij zijt de allerslechtsten; gij zijt myne vyanden; gij - gij - gij zijt vier zuuren aapen - meine Herren, Sie sind schlecht, Sie sind schlechter, Sie sind die allerschlechtesten; Sie sind meine Feinde; Sie - Sie - Sie sind vier saure Affen!«

Es läßt sich denken, daß die Lacher durch diese Donnerworte nicht in eine ernstere Stimmung versetzt wurden.

»Herrlich, herrlich!« rief Gottfried von Bouillon; »dat ist jradezu kostbar; dat ist jöttlich! Sie sind der ausjezeichnetste Mijnheer, der mich jemals vorjekommen ist! Aber ich bitt Ihnen, schonen Sie Ihre fette Konstitution, sonst könnten Sie gar leicht zerplatzen. Man sieht den Leberthran Ihnen schon jetzt aus allen Poren schwitzen!«

Der Holländer wollte auf diese Beleidigung antworten; da aber brachte einer der Kellner ihm die verlangte Suppe, und er zog es vor, dieser seine Aufmerksamkeit zu widmen. Er knurrte nur noch:

»Eene soep is beter dan zoo een bedorven schaap - eine Suppe ist besser als so ein verdorbenes Schaf!«

Er warf dem Gottfried eine verächtliche Handbewegung zu, knüpfte sich die Serviette um den Hals und begann dann, seine Suppe mit so schmatzendem Wohlbehagen zu essen, daß es klang, als ob ein halbes Dutzend »Varken« (Ferkel) am Troge säßen.

Dann wurde das Kalbfleisch gebracht. Er griff mit beiden Händen nach dem Teller, roch die Portion prüfend an, gab durch ein freundliches Nicken zu erkennen, daß der Duft ihm behage, und befahl:

»Gevt mij een stuk ossevleesch met erwten en zuurkool - geben Sie mir ein Stück Ochsenfleisch mit Erbsen und Sauerkraut!«

Den vier Zuschauern war es zweifelhaft, ob man hier in China Erbsen oder gar Sauerkohl bekommen könne. Der Holländer schien aber die Leistungen der Hotelküche genau zu kennen, denn eben als er das Kalbfleisch verzehrt hatte, wurde ihm der verlangte zweite Gang gebracht. Er beroch auch diesen, nickte wieder freundlich und bestellte:

»Gevt mij een gebraden varkenvleesch met mierook en gebaken peeren - geben Sie mir Schweinebraten mit Meerrettich und gebackenen Birnen!«

Als auch dies dann gebracht wurde, verlangte er »hamelsbout met salade«, Hammelsbrust mit Salat, dann »eend met spinazie en knoflook«, Ente mit Spinat und Knoblauch, später »zeevisch met gebaken pruimen«, Seefisch mit gebackenen Pflaumen. Dann zuletzt begehrte er zum Nachtische »zeekreeften, boter, kaas en een grooten kelk brandewijn«, Seekrebse, Butter, Käse und einen großen Kelch Branntwein.

Die Portionen waren so reichlich, daß eine einzige derselben hingereicht hätte, einen gewöhnlichen Esser zu sättigen; dieser Dicke aber machte, als er fertig war, ein Gesicht, als ob er noch immer Appetit verspüre. Er legte die Hände an den Leib und betastete denselben prüfend. Und wirklich schien er eine noch leere Stelle entdeckt zu haben, denn er begehrte nach kurzem Nachdenken noch »een brood met worst en mostaard«, ein Brot mit Wurst und Senf.

Die Mahlzeit hatte ihn so in Anspruch genommen, daß seine Aufmerksamkeit nur ein einziges Mal von derselben abgewichen war. Dies geschah, als den vier anderen Gästen das verlangte Bier gebracht wurde.

Der Methusalem hatte für jeden einen guten Schluck bestellt, infolgedessen der Kellner vier ganz kleine Fläschchen brachte, welche nicht einmal ein drittel Liter faßten. Der dienstbare Geist glaubte, seine Sache gut gemacht zu haben; Degenfeld aber öffnete eines, goß den Inhalt desselben in sein Studentenglas, führte dasselbe an den Mund, leerte es in einem Zuge bis auf die Nagelprobe, setzte es ab und befahl, indem er mit der Zunge schnalzte:

»Nicht ganz übel! Das genügte aber nur zur Probe. Bringen Sie für jeden eine solche Portion! Fünf Personen.«

»Fünf?« fragte der Kellner, welcher nach nochmaliger Umschau nur vier Individuen herausbrachte.

»Ja, ich sage es doch!«

»Aber Sie sind nur vier!«

»Wir sind fünf. Dieser da hat auch seinen Durst.«

Bei diesen Worten deutete er auf den Hund. Der Kellner zog eine dumm verwunderte Grimasse und fragte, um ganz sicher zu gehen, in seinem Pitchenenglisch:

»Also zwanzig Flaschen, Sir?«

»Ja doch!«

»Aber, Sir, kennen Sie den Preis des Bieres hier in Hongkong?«

Da stieß der Methusalem sein Glas auf den Tisch, daß letzterer krachte, und wetterte den Frager an:

»Kerl, willst du etwa meine Moneten vorher okularinspizieren? Lauf Philister! sonst brenne ich dir zehntausend Füchse auf den Leib!«

Der Kellner rannte erschrocken fort und zwei andere hinter ihm drein, da er nicht zwanzig Flaschen allein tragen konnte. Sie brachten dieselben. Der Methusalem goß abermals viere in sein Glas, schwenkte dasselbe gegen den Kapitän und sagte:

»Ich komme Ihnen dieses Tröpfchen!«

»Wie? Was?« fragte Turnerstick. »Sie kommen? Mir? Wieso? Das nennen Sie ein Tröpfchen!«

Er hatte noch nicht ausgesprochen, so hatte der Methusalem schon ausgetrunken. Dieser füllte das Glas von neuem mit vier Flaschen, schob es dem Kapitän zu und antwortete:

»Natürlich ist es nur ein Tropfen. Mir wäre es eine große Schande, ein halbes Tröpflein im Glase zu lassen, Sie kommen mir nach, und ich hoffe, daß Sie sich nicht vor uns und diesen staunenden Kulis blamieren werden!«

»Blamieren? Pah! Sind Sie schon einmal durch eine Seemannsgurgel gekrochen? Da sind Sie gewiß nicht stecken geblieben. Ihr Gläschen macht mir keine Angst. Prosit, mein lieber Freund von Bouillon!«

»Re!« nickte der Namensvetter des Eroberers von Jerusalem.

Turnerstick bewies, daß er nicht zuviel gesagt habe. Er trank das Glas aus. Gottfried nahm es ihm sofort aus der Hand, füllte es für sich und leerte es ebenso wie die beiden anderen.

Der Wirt und die Kellner standen von fern und warfen sich große Blicke zu. Solche Trinker sahen sie noch niemals. Der dicke Holländer hatte, obgleich sehr intim mit seinem »Vleesch« beschäftigt, den Vorgang dennoch bemerkt. Er war ein tüchtiger Esser; jetzt sah er Leute, welche im Trinken wenigstens ebensoviel leisteten wie er im Essen. Das imponierte ihm; das ließ seinen Groll sofort verschwinden. Er fühlte sich getrieben, ihnen seine Anerkennung auszusprechen. Darum erhob er sich von seinen zwei Stühlen, kam herbei, wischte sich mit der Serviette den Mund und sagte:

»Mijne Heeren, gij zijt braave en dappere makkers. Gij drinkt tamelijk goed. lk ben uw vriend en uw broeder; gij wordt het begrijpen. Ik bidd, gevt mij uwe handen - meine Herren, Sie sind brave und tapfere Gesellen. Sie trinken ziemlich gut. Ich bin Ihr Freund und Bruder; das werden Sie begreifen. Ich bitte, reichen Sie mir Ihre Hände!«

Er schüttelte jedem von ihnen die Hand und kehrte dann an seinen Tisch zurück, um weiter zu essen.

Was Richard Stein betrifft, so wagte er sich nicht an das volle Stammglas. Er ließ sich ein kleineres bringen und eignete sich auch nur eine Flasche an. Gottfried griff augenblicklich nach den drei übrigen, leerte sie in das Glas und trank dasselbe aus, nachdem er vorher sich selbst zugerufen hatte:

»Prosit Magen! Es ist zwar kein Wolkenbruch, doch ein angenehmes jelindes Plätscherchen.«

Dann nahm er seine weiße Mütze, welche wasserdicht gefüttert war, vom Kopfe, legte sie verkehrt, also offen auf den Tisch, gerade vor den Neufundländer hin und goß diesem die letzten vier Fläschchen nacheinander hinein. Der Hund nahm den Gerstensaft mit großem Wohlbehagen zu sich und leckte zuletzt die Mütze sehr sorgfältig aus, welche Gottfried sich wieder auf sein Haupt stülpte, um dann zu fragen:

»So! Jeprobt hätten wir. Wat aberst nun? Wollen wir uns nach so langem Entbehren noch een loyales Seidel leisten?«

»Was fällt dir ein,« entgegnete Methusalem. »Wir befinden uns hier nicht im 'Geldbriefträger von Ninive', von welchem aus wir nur um die Ecke zu gehen brauchten, um heim zu steigen. Ich vor allen Dingen muß zum Konsul. Auch habe ich eine Anweisung zu präsentieren und mich mit dem unvermeidlichen Mammon zu versehen. Wartet hier, bis ich wiederkomme! Habt ihr Lust, so trinkt meinetwegen inzwischen noch eins, aber nicht mehr! Ich werde es bezahlen.«

»Halt!« fiel da der Kapitän ein. »Das Zahlen ist meine Sache. Wir befinden uns noch in der Hafenstadt, und ich muß Sie also bitten, meine Gäste zu sein.«

»Habe nichts dagegen,« lächelte der Methusalem. »Aber wird Ihnen nicht die Zeche zu hoch sein?«

»Was denken Sie! Sehen Sie doch meine Schnuren! Die reichen jedenfalls noch wochenlang.«

Der Bemooste ließ ihn bei diesem Glauben und entfernte sich, die Pfeife und auch den Hund zurücklassend, welche er unmöglich mit zum Konsul nehmen konnte. Turnerstick bestellte zu den bisherigen vierundzwanzig Flaschen noch sechs, um eine runde Dreißig zu bekommen. Gottfried rümpfte zwar die Nase dazu, sagte aber nichts, weil der Kapitän der Zahlende war und, um einer allzu schnellen Konsumtion vorzubeugen, zwei kleine Gläser kommen ließ.

Mittlerweile hatte der Holländer seine Mahlzeit vollendet. Er band die Serviette ab, trocknete sich mit derselben das von der Anstrengung des Essens schwitzende Gesicht und machte auf seinen Stühlen eine Wendung, daß er die drei anderen nun gegenüber hatte.Es war ihm anzusehen, daß er nun ein kleines Gespräch im Interesse der Verdauung für nützlich hielt. Er hatte gehört, welcher Sprache sich die anderen bedienten, und sagte daher in leidlichem Deutsch:

»lk verzoek - ich bitte, mijne Heeren, sind Sie nicht Deutsche?«

»Ja,« antwortete Gottfried.

»Dachte es mir. Auch ich bin in Deutschland gewesen, als Kommis in Köln am Rhein; damals war ich noch jünger als jetzt.«

»Wahrscheinlich!«

»Nein, wirklich! Damals zählte ich twintig Jaaren, und jetzt bin ich fast vijf en veertig. Damals war ich een ongelukkige nijlpaard, en jetzt bin ich een zwaare (schwerer) Mann mit gezouten (gesalzenen) Erfahrungen. Damals habe ich die deutsche Sprache erlernt, und das freut mich jetzt, weil ich mich mit Ihnen unterhalten kann.«

»Die Freude ist beiderseitig, Mijnheer.«

»Sehr schön! Gefalle ich Ihnen?«

»Außerordentlich!«

»Sie mir auch. Ich bin nämlich Mijnheer Willem van Aardappelenbosch und komme von Java, wo ich Pflanzungen von Ryst (Reis) und Tabak hatte. Ich habe verkauft und will nun sehen, ob ich hier in China etwas Aehnliches finde.«


(Fortsetzung folgt.)



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