Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 12, Seite 177
Reprint Seite 91


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

Der Raum, welcher den Passagieren angewiesen wurde, war wirklich mehr Kajüte als Koje. Sie war zwar leer und nur mit einer Strohmatte belegt, aber so hoch, daß man aufrecht stehen konnte, und so lang und breit, daß die fünf Reisenden gut Platz hatten. Wenn die an das Land geschickten Matrosen die Decken brachten, nach denen sie mitgeschickt worden waren, so ließ sich ein für die Nacht recht bequemes Lager herstellen.

Lieb war es den Reisenden, daß zu ihrer ausschließlichen Bedienung ein Matrose kommandiert wurde, welcher des Englischen ziemlich mächtig war. Er besaß kein mongolisches Gesicht, war klein und schmächtig und teilte ihnen mit, daß er ein Malaie sei und sein Englisch in Ostindien gelernt habe. Er war sehr gefällig, schien ihre Wünsche zu erraten, bevor sie dieselben aussprachen, und brachte ihnen allerlei Gegenstände herbei, welche ihm geeignet erschienen, der Kajüte ein wohnlicheres Aussehen zu geben.

Es verstand sich ganz von selbst, daß die Schiffsoffiziere mehr zu thun hatten, als sich nur mit ihren Passagieren abzugeben. Diese saßen bei einander an Deck, um die Rückkehr ihrer Boten zu erwarten, welche nach chinesischer Art ungewöhnlich lang ausblieben. Es wurde indessen dunkel, und der Malaie hing eine Papierlaterne in ihrer Nähe auf. Dann ließ er sich so nieder, daß er ihre Befehle gleich hören konnte. Ob er auf ihr Gespräch achtete, war ihnen gleich, da sie sich in deutscher Sprache unterhielten, die sehr wahrscheinlich hier kein Mensch verstand.

Endlich kamen die Matrosen, welche die eingekauften Gegenstände brachten und in die Kajüte bringen mußten. Die Passagiere gingen natürlich auch dorthin. Das gab dem Malaien Gelegenheit, sich von ihnen unbemerkt zum Kapitän zu begeben, bei welchem sich in diesem Augenblicke der Priester befand.

»Nun,« fragte der erstere in englischer Sprache, »hast du etwas erlauscht?«

»Sehr viel. Ich kenne sie nun so genau, als ob ich schon wochenlang ihr Diener gewesen wäre.«

Der Malaie sprach jetzt ein sehr gutes amerikanisches Englisch, während er vorher den Passagieren gegenüber gethan hatte, als ob er es nur radebreche.

»Nun, wo sind sie her?«

»Vier von ihnen sind Deutsche, und der Dicke ist ein Dutchman, ein Holländer.«

»Reich?«

»Dem Anscheine nach haben sie viel Geld bei sich.«

»Und was sind sie?« - »Der mit der blauroten Nase sagte, er sei vom höchsten Adel; Adam nannte er seinen Anherrn.«

»Das glaube ich. Adam ist der erste erschaffene Mensch, also der Anherr aller Menschen.«

»So hat dieser Mensch mich belogen?«

»Vielleicht ist die Reihe seiner Ahnen eine berühmte. Er und seine zwei Begleiter tragen die Tracht derjenigen jungen Leute, welche in Deutschland Mandarinen, also Kuan-fu werden wollen.«

»Also sind sie es noch nicht?«

»Nein.«

»Betrüger! Was sind die beiden anderen?«

»Der Dicke ist ein Hong-tse, ein Kaufmann, welcher hier ein Geschäft gründen will und also viel Geld bei sich haben muß. Der chinesisch Gekleidete aber muß ein Ho-tschang sein wie du. Er ist halb verrückt und gibt sich für einen Fu-tsiang aus, was ihm sehr übel bekommen kann.«

»Und was wollen diese Deutschen in China?«

»Sie suchen den Oheim des Jüngsten von ihnen, welcher sehr, sehr reich sein muß. Auch suchen sie eine Frau und deren Kinder.«

»Das hast du gehört?«

»Ja, sehr deutlich.«

»Haben sie denn englisch gesprochen?«

»Nein, sondern deutsch, ihre Muttersprache.«

»Und die verstehst du?«

»Ja. Du weißt doch, daß ich geborener Yankee bin und meinem Kapitän davonlief, weil ich einem Matrosen das Messer in den Leib gestoßen hatte und dafür in Eisen gelegt werden sollte. Ich bin da auf die 'Königin des Wassers' gekommen, wo mich keiner findet und es mir noch viel besser gefallen wird, wenn ich erst Chinesisch besser verstehe. Ich bin mit deutschen Matrosen gefahren und habe von ihrer Sprache, welche der englischen ähnlich ist, so viel gelernt, daß ich diese fünf Passagiere ziemlich gut verstehe.«

»Das ist vortrefflich! Horche nur weiter; aber laß dir nichts merken! Ich werde dich extra belohnen. Das Geld haben sie einstecken?«

»Natürlich! Aber diese Leute tragen ihr Vermögen nicht in Metall, sondern in Wechseln und andern Papieren bei sich.«

»Davon verstehe ich nichts. Ich werde also ihnen die Münzen abnehmen und die Papiere an den Hui-tschu1) in Ngo-feu verkaufen.«

»Du willst also nicht nach Kuang-tschéu-fu?«

»Fällt mir gar nicht ein! Während die Kerls schlafen, gehen wir in See.«

»Wir haben aber Flut; da wird es schwer gehen.«

»Wir warten, bis die Ebbe eintritt.«

»Die Leute werden es merken.«

»O nein, denn sie bekommen Opium in das Getränk und der Landwind wird uns ganz geräuschlos in die See treiben, wo wir sie in das Wasser werfen. Meine Papiere sind in Ordnung; ich kann also fort, wenn es mir beliebt.«

»Ertränken willst du sie?«

»Gewiß! Hast du Mitleid mit ihnen? Meinst du, daß ich sie leben lassen soll, damit sie dann verraten, daß meine 'Schui- heu' ein Tseu-lung-yen ist?«

»Daran denke ich nicht. Aber jetzt dürfen sie noch nicht sterben, sondern erst später in Ngo-feu bei dem Hui-tschu.«

»Warum?«

»Weil wir ohne sie ihre Papiere nicht verkaufen oder sonst verwerten können. Ich kenne das.«

»Du mußt es freilich besser wissen als ich. Müssen sie denn dabei sein?«

»Ja, sie müssen ihre Einwilligung und Unterschrift geben.«

»Das werden sie nicht thun.«

»Sie werden es, wenn du ihnen sagst, daß sie sonst sterben müssen. Sie werden glauben, sich dadurch vom Tode loszukaufen.«

»Und wenn sie es gethan haben, so töten wir sie dennoch! Das meinst du doch?«

»Ja.«

»Du bist ein kluger Mensch. Ich sehe ein, daß ich dich sehr gut gebrauchen kann. Du wirst es gut bei mir haben. Kehre jetzt zu ihnen zurück und suche noch mehr zu erfahren! Wir werden sie trotz ihrer Waffen leicht überwältigen, denn sie werden schlafen wie die Toten. Nur der Hund macht mir Sorge. Er ist ein gewaltiges, starkes Tier.«

»Gib ihm vergiftetes Fleisch!«

»Da hast du recht. Dein Rat ist gut, und ich werde ihn befolgen. Also gehe jetzt! Wir werden nun das Kong-pit vornehmen und sie dazu einladen. Das gibt uns Gelegenheit, ihnen Sam-chu mit Opium zu trinken zu geben.«

»Da will ich dich noch auf eins aufmerksam machen. Vielleicht kommen sie auf den Gedanken, auch den Geist zu befragen. Nach dem, was ich dir von ihnen mitgeteilt habe, kann er seine Antworten sehr leicht einrichten, wenn er ein Geist der Klugheit ist.«

Er ging und begab sich nach der Kajüte, wo er seine jetztweiligen Herren thätig fand, sich dieselbe möglichst behaglich einzurichten. Während er ihnen dabei behilflich war, bediente er sich wieder des gebrochenen Englisch und achtete auf jedes Wort, welches gesprochen wurde.

Dann kam der Kapitän, um seine Passagegäste zum Kong-pit abzuholen.

Degenfeld, welcher über diesen in China sehr gebräuchlichen Vorgang gelesen hatte, war vollständig überzeugt, daß demselben eine beabsichtigte Täuschung, also ein Schwindel zu Grunde liege, und er fühlte sich sehr wißbegierig, zu sehen, wie man denselben ausführen werde.

In China pflegt man mit Hilfe feiner Pinsel zu schreiben. Der Name »das Herabkommen zum Pinsel« bezeichnet also einen Vorgang, bei welchem ein Geist herabsteigt, um mit Hilfe eines besonders zu diesem Zwecke konstruierten Pinsels die ihm vorgelegten Fragen schriftlich zu beantworten.

Es ist ganz selbstverständlich, daß der Geist nicht in sichtbarer Gestalt erscheint, sondern es ist eine Person, stets von hervorragender Stellung, vorhanden, deren er sich bedient, um sich bemerkbar zu machen. Man hat es also, gerade wie in unseren spiritistischen Versammlungen, mit einem »Medium« zu thun. Dieser angebliche schriftliche Verkehr mit der Geisterwelt besteht in China schon seit Jahrhunderten, und es ist gewiß höchst interessant, zu erfahren, daß das Kong-pit auch zu jenen »Erfindungen« gehört, in oder mit denen die Chinesen uns vorangegangen sind.

Es wird vorher von einem Aprikosenbaume unter gewissen Zeremonien ein dünner Zweig abgeschnitten. Dabei entschuldigt man sich bei dem Baume über die ihm widerfahrene Verletzung dadurch, daß man diejenigen Zeichen in seine Rinde schneidet, welche ihm sagen, daß der Zweig als »Geisterpinsel« gebraucht werden solle. Sodann verschafft man sich ein Stück Bambus, einen Zoll dick und ungefähr einen Fuß lang. Der Aprikosenzweig wird wie ein Pinsel zugeschnitten und rechtwinkelig genau in die Mitte des Bambusstückes gesteckt, so daß beide also folgende Gestalt besitzen:

Das Medium hat diese Vorrichtung mit nach oben gerichteten Händen an den beiden Enden des Bambus so anzufassen, daß der Aprikosenpinsel nach abwärts zeigt, also genau so, wie unsere zweifelhaften Wünschelrutenkünstler ihr Werkzeug anfassen müssen. Der Mann hält dann den Pinsel über einen Tisch, dessen Platte mit feinem, glattgewalztem Sande bestreut ist, und nun kann der Geist, indem er auf die Hände des Mediums einwirkt und den Pinsel über den Sand führt, die ihm vorgelegten Fragen beantworten.

Bei der unnatürlichen Stellung der Hände kommen dieselben bald ins Zittern, dennoch wird es einem geübten Medium nicht schwer werden, lesbare Zeichen in dem Sande hervorzubringen. Ganz selbstverständlich fällt bei verfänglichen Fragen die Antwort stets so aus, daß sie verschiedene Deutungen Zuläßt, deren eine wohl in Erfüllung gehen und das Richtige treffen wird.

Da das Kong-pit als eine religiöse Handlung betrachtet wird, so darf es nur unter gewissen Zeremonien vorgenommen werden. Uebrigens hat sich der Geist zu legitimieren. Er hat seinen Namen, seinen Stand und die Dynastie, unter welcher er als Mensch auf Erden wandelte, anzugeben. Je älter diese letztere ist, bei welcher Angabe es aber auf einige hundert oder gar tausend Jahre nicht ankommt, desto ehrfurchtsvoller wird der Geist behandelt. Man nimmt an, daß eine Täuschung ausgeschlossen sei, da die Hände des Mediums eine Stellung haben, welche das Schreiben unmöglich macht.

Als die Männer auf das Deck traten, war es dunkle Nacht. Zwischen Mittel- und Hintermast hingen Papierlaternen, welche den Platz leidlich erleuchteten. In der Nähe des bereits erwähnten Tisches, welcher die Weihgeschenke für den Geist enthielt, stand ein zweiter, der mit einer glatten Schicht Sand bedeckt war. Die Mannschaft bildete um diese Stelle einen Kreis, in welchen der Ho-tschang die Deutschen führte. Dort waren mit Hilfe von Kisten Sitze für sie hergerichtet.

Als sie sich unter allgemeinen Verbeugungen da niedergelassen hatten, trat der Priester hervor und begann, natürlich in chinesischer Sprache:

»Wir stehen im Begriff, einen Geist über den Verlauf unserer Fahrt zu befragen. Wir bringen hierzu die ernstesten, weihevollsten Gesinnungen mit und werden unsere Bitte an Mat-supo, die erhabene Gottheit des Meeres, richten.«

Er gab einen Wink, worauf zwei Sessel und das Bild der Meeresgottheit gebracht wurden. Er stellte die Stühle eng nebeneinander an eine Seite des mit den Opfergaben bedeckten Tisches und forderte die Gottheit auf, sich auf den Ehrenplatz niederzulassen. Da in China der Vornehmere zur Linken sitzt, so wurde das Bild auf den betreffenden Sessel gestellt, während der jetzt noch leere rechte Stuhl für den zu erwartenden Geist bestimmt war.

Jetzt zog der Priester ein gelbes, beschriebenes Papier hervor und las den Inhalt desselben laut ab. Dieser lautete: »Wir haben an diesem Abende Sam-chu und andere Gaben vorbereitet und ersuchen unseren mächtigen Schutzpatron, uns einen allwissenden Geist zu rufen, welchem wir unsere Fragen vorlegen können. Wir werden denselben dort an der Schiffstreppe empfangen.«

Er verbrannte das Papier und warf die Asche in die Luft. Nun entstand eine mehrere Minuten lange Pause des Wartens, denn man mußte doch dem Schutzpatron Zeit lassen, einen passenden Geist zu finden. Während dieser Pause hatte der Priester das Götzenbild mit einem Tuche bedeckt, um anzudeuten, daß die Meeresgottheit sich auf der »Suche« nach dem Geiste befinde und also abwesend sei.

Dann entfernte er das Tuch. Das Bild stand auf seinem Platze; die Gottheit war also wieder zurück und hatte jedenfalls einen Geist, welcher nun unten an der Schiffstreppe wartete, mitgebracht. Darum gab der Priester dem Ho-tschang und dem To-kung einen Wink, denselben dort abzuholen.

Die beiden Offiziere gingen nach der Treppe und forderten den Geist in lauten, höflichen Worten auf, herauf zu kommen und sich bei ihnen niederzulassen. Höchst wahrscheinlich hatte er dieser Einladung Folge geleistet, denn sie brachten ihn zwischen sich geführt, indem sie sich unaufhörlich gegen ihn verbeugten. Der Priester empfing ihn mit ebenso tiefen Verneigungen und ersuchte ihn ehrerbietigst, auf dem für ihn reservierten Stuhle Platz zu nehmen.

Diese Szene war so wunderlich, daß die Deutschen kaum im stande waren, ihr Lachen zu unterdrücken. Der Geist war natürlich unsichtbar, und darum nahmen sich die Verbeugungen und die an ihn gerichteten Worte außerordentlich komisch aus.

Alle an einen Geist gerichteten Fragen müssen auf ein Papier geschrieben werden, welches man dann verbrennt, um den geschriebenen Zeichen, wie man meint, eine geistige Form zu geben. Jetzt schrieb der Priester zunächst die Frage auf, ob der »wolkenwandelnde« Geist angekommen sei, verbrannte das Papier und streute die Asche in die Luft. Dann ergriff er den Geisterpinsel in der beschriebenen Weise und hielt denselben über den mit Sand bestreuten Tisch. Seine Hände begannen zu zittern; das Werkzeug kam in Bewegung, und der Aprikosenzweig fuhr hörbar durch den Sand. Der Methusalem schaute nach. Da stand deutlich geschrieben:

»To, d.i. angekommen.«

Er war also da. Weil der Priester den Pinsel zu halten hatte, mußte im weiteren Verlaufe der Kapitän die Fragen aufschreiben und die Papiere in Asche verwandeln. Durch die nun an den unsichtbar auf dem zur rechten Hand sitzenden Auskunftgeber gerichteten Fragen und die von ihm mit Hilfe des Priesters in den Sand geschriebenen Antworten erfuhr man, daß er zuletzt Kia-tsong geheißen habe und unter der Dynastie der Wu-ti2) ein Wang3) des Ostens gewesen sei. Da die berühmten Wu-ti vor über viertausend Jahren gelebt haben und ein Wang der höchste Beamte des Reiches ist, so war der unsichtbar anwesende Vizekönig jedenfalls ein Geist, auf den man stolz sein konnte.

Das sah der Priester natürlich ein. Er fühlte sich zur größten Höflichkeit verpflichtet, legte seinen Geisterpinsel beiseite, verbeugte sich zur Erde und bat den Geist, doch die Güte zu haben und von dem Weine zu kosten.

Dieser Wein war kein Traubenwein, sondern gegorener Reis, Sam-chu genannt. Ein Geist ist natürlich zu stolz, zu essen oder zu trinken, wenn Leute es sehen, welche noch ungestorben sind. Darum wurden die Laternen mit Matten, welche zu diesem Zwecke bereit gehalten waren, verhängt, so daß es rundum dunkel war.

Der Methusalem war der einzige unter den Passagieren, welcher alles verstand.

Gottfried von Bouillon und Richard Stein hatten sich während der Schiffsreise zwar auch mit der chinesischen Sprache beschäftigt, waren aber noch nicht so weit, einer solchen Zeremonie von Wort zu Wort folgen zu können. Turnerstick und der Dicke verstanden aber gleich gar keine Silbe. Darum benutzte Degenfeld jede eintretende, wenn auch noch so kleine Pause, ihnen mit leiser Stimme das Gehörte zu verdolmetschen und das Gesehene zu erklären.

Der Tisch mit dem Sande war, sobald das Fragen und Antworten begann, an den Opfertisch gerückt worden, so daß nur drei Seiten des letzteren frei blieben. Die erste dieser Seiten nahmen die beiden Sessel ein, auf denen die Meeresgottheit und der Geist thronten; an den beiden übrigen Seiten saßen die fünf Passagiere, und zwar so, daß der Mijnheer sich zur rechten Hand des Geistes befand. Diesem flüsterte, sobald die Laternen jetzt verdunkelt waren, der Blaurote zu:

»Passen Sie auf, Mijnheer, ob der Geist trinken wird! Man wird es doch vielleicht hören.«

Nach einer kurzen Pause berichtete der Dicke in ebenso leisem Tone:

»Hij drinkt, hij drinkt! Ik hoor 't slaarpen - er trinkt, er trinkt! Ich höre es schlürfen.«

»Es ist der Priester!«

»Deze vos! Ik word hijm leeren! Ik wet, wat ik word maken - dieser Fuchs! Ich werde ihm lehren! Ich weiß, was ich machen werde!«

Als dann auf einen Befehl des Priesters die Matten wieder von den Laternen entfernt worden waren, konnte jedermann sehen, daß der Geist getrunken hatte, denn der Inhalt des Gefäßes hatte sich vermindert.

Nun wurde der Geist gefragt, ob man gutes Wetter bekommen, ob die Fahrt glücklich sein und ob man gute Geschäfte machen werde. Die Antworten fielen so glücklich aus, daß der Priester sich verpflichtet fühlte, den Geist aufzufordern, ein Stück des auf dem Tische liegenden Kuchens zu essen.

Das Gebäck sah höchst appetitlich aus und war in acht gleich große Teile geschnitten. Wieder wurden die Lampen verhängt, dieses Mal für längere Zeit, denn selbst ein Geist bedarf mehr Frist, ein Stück Kuchen zu essen als um einen Schluck Branntwein zu nehmen.

Als dann die Laternen wieder enthüllt wurden, staunten alle. Der Geist hatte sich nicht nur mit einem Achtel begnügt, sondern den ganzen Kuchen verzehrt. Er war jedenfalls aus sehr weiten Regionen herabgestiegen, da er einen so großen Hunger hatte. Am meisten erstaunt war der Priester selbst. Seine Augen waren ganz erschrocken auf den Teller gerichtet, auf welchem der Kuchen gelegen hatte. Er wußte nicht, was er denken sollte. Der Zopf wollte ihm vor Schreck zu Berge steigen. Er hatte gemeint, einen Hokuspokus zu begehen. Sollte es doch in Wirklichkeit Geister geben? Sollte das Kong-pit kein Betrug sein? Sollte in Wahrheit dort auf dem scheinbar leeren Sessel ein Geist sitzen, der in so kurzer Zeit die übrigen sieben Achtel verschlungen hatte? Denn das eine Achtel hatte er, der Priester, im Schutze der Finsternis zu sich genommen.

Sein Auftreten war von jetzt an wenig sicherer als vorher. Die Hauptfragen waren beantwortet, und nun wurde es den Matrosen erlaubt, sich mit etwaigen Erkundigungen an den Geist zu wenden. Die abergläubischen Leute machten davon reichlichen Gebrauch. Das war den Offizieren lieb, da sie durch die Aussprüche des Orakels eine gewisse Macht über diese sonst schwer lenkbaren Menschen gewannen.

Der Geist gab auch jetzt so vortreffliche Antworten, daß der Priester ihn bat, die Gnade zu haben, noch einen Schluck zu trinken. Sobald die Laternen verdunkelt worden waren, schlich der betrügerische Geisterbanner sich herbei, um nach dem Kruge zu greifen und einen tüchtigen Schluck zu thun. Wie erschrak er aber, als seine Hand die Stelle leer fand, auf welcher derselbe soeben noch gestanden hatte. Fast hätte er laut aufgeschrieen. Es war also doch ein Geist vorhanden, welcher Kuchen aß und Sam-chu trank. Welch ein Triumph, wenn man das den Leuten zeigen konnte! Welch ein Anblick, einen in der Luft schwebenden Krug zu sehen, ohne aber den Trinkenden erblicken zu können! Er gab sofort den Befehl, die Hüllen von den Lampen zu entfernen. Als das geschah - - - stand der Krug wieder auf seinem Platze, aber vollständig leer. Er war ausgetrunken worden. Der Geist mußte ebenso durstig wie hungrig sein. Der Priester machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht. Richard Stein aber, welcher neben dem Mijnheer saß, flüsterte diesem zu:

»Was soll man denken? Ich habe es wirklich trinken hören.«

»Zoo?« lächelte der Dicke. »Ik kan't niet gelooven - so? Ich kann es nicht glauben!«

»O doch! Ich hörte es so glucksen und schlürfen, wie wenn jemand recht hastig trinkt, um schnell fertig zu werden.«

»Zoo is de dorst zeer groot geweest - so ist der Durst sehr groß gewesen!«

Was den Priester und die Offiziere, welche den Schwindel des Kong-pit kannten, in Schrecken versetzte, das erregte den Jubel der Mannschaften, die nun überzeugt waren, daß ein Geist vorhanden sei, und zwar ein sehr vornehmer, der sich nicht mit einem Schluck Reiswein und einem Stück Kuchen abspeisen lasse. Der Geistercitierer faßte sich notgedrungenermaßen und fragte nun die Gäste, ob auch sie vielleicht wünschten, eine Frage an den Geist zu richten. Der Methusalem hatte sich bereits vorgenommen, darum zu bitten, und ging also schnell auf diesen Vorschlag ein. Er ließ die Frage aufschreiben, ob er und seine Gefährten den Zweck ihrer Reise erreichen würden. Als dann der Geist mit Hilfe des Mediums die Antwort in den Sand geschrieben hatte, trat Degenfeld hinzu, um die Antwort selbst zu lesen. Er geriet in das höchste Erstaunen, denn sie lautete:

»Ja. Ihr werdet den reichen Oheim finden, auch die Frau mit den Kindern, und der Holländer wird ein großes Geschäft kaufen.«

Der Methusalem übersetzte seinen Kameraden diese Antwort ins Deutsche, was ihre höchste Verwunderung zur Folge hatte. Es war klar: Der Geist kannte ihr Vorhaben, welches sie so geheim gehalten hatten! Die Genugthuung über ihre sichtbare Betroffenheit war bei dem Priester so groß, daß er die in ihm aufgetauchten Bedenken bezüglich des Geistes ganz vergaß und denselben höflichst aufforderte, den Anwesenden die Ehre zu erweisen, ein Stück Braten zu sich zu nehmen.

Dieser Braten war natürlich kalt geworden. Die sieben oder acht großen Stücke, welche auf dem Teller lagen, sahen recht einladend aus, fast wie recht knusperiger Kalbsbraten. Natürlich wurden die Lichter wieder verhüllt, und der Priester schlüpfte herbei, um heimlich zuzulangen. Da er aber der Sache nicht traute und in Erwartung dessen, daß er als Stellvertreter des Geistes werde tüchtig essen müssen, am Tage gar nichts zu sich genommen hatte, nahm er zwei Stücke weg, um nicht ganz schlecht wegzukommen, falls der Geist nochmals selbst auch zulangen werde.

Diese zwei Stücke verzehrte er mit großem Appetite und gebot dann, die Laternen wieder zu enthüllen. Kaum fiel der Schein derselben auf den Tisch, so konnte man sehen, daß der Teller vollständig geleert sei.

Dem Priester wurde es angst und bange, zumal er die bedenklichen Blicke bemerkte, welche die in seine Kunstgriffe eingeweihten Offiziere auf ihn warfen. Diejenigen Stücke, welche der Geist übrig zu lassen pflegte, waren stets für sie bestimmt. Jetzt mußten sie natürlich meinen, daß sie von dem Medium übervorteilt worden seien; sie mußten annehmen, daß der Priester das Fehlende zu sich gesteckt habe, um es später zu verzehren.

»Alle Wetter!« sagte der Methusalem halblaut. »Dieser Geist eines Vizekönigs muß wirklich seit über viertausend Jahren gehungert und gedurstet haben. Er ißt und trinkt ja wie ein deutscher Bauernknecht beim Dreschen!«


1) : Oberster der Genossenschaft.
2) : Fünf Kaiser.
3) : Vizekönig.


(Fortsetzung folgt.)



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