Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 17, Seite 257
Reprint Seite 117


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

»Ich selbst bin die Antwort. Ich bin, anstatt zu schreiben, sofort selbst abgereist. Onkel Methusalem hier that es nicht anders. Wir wollten nach Kanton zu dem Agenten, um uns zu erkundigen, welche Reisegelegenheit zu wählen sei.«

»Methusalem? Auch ein Onkel?« fragte der Chinese. »Diesen Namen habe ich noch nie gehört.«

»Er ist sehr selten,« antwortete der Rotblaue lachend. »Es hat, seit die Erde steht, nur ein einziger außer mir noch so geheißen und der ist nun leider endlich tot. Aber wer hätte so etwas denken können, als Sie heimlich an die Thür klopften! Nun soll mir jemand daran zweifeln, daß heut noch Wunder geschehen! Wir heißen Sie natürlich auf das herzlichste willkommen. Zwar befinden wir uns gegenwärtig in keiner angenehmen Lage, aber wir werden schon Mittel und Wege finden, uns aus derselben zu befreien, und dann werden wir sofort nach Hu-nan aufbrechen, oder genauer nach Ho-tsing-ting. So heißt doch wohl der Ort?«

»Ja, Herr.«

»Er scheint früher anders geheißen zu haben?«

»Er hat seinen jetzigen Namen erst, seit Herr Stein sich dort befindet.«

»Dachte es mir. Ting bedeutet eine kleine Stadt, und Ho-tsing heißt soviel wie Feuerbrunnen oder Feuerquelle. Der Ort würde also zu deutsch Feuerbrunnenstadt heißen. Wir wissen, daß Herr Stein eine Petroleumquelle entdeckt hat. Darum, als Sie seinen Namen nannten und von Kohlen sprachen, begann ich zu ahnen, daß Sie den meinen, welchen wir aufsuchen wollen.«

»Nicht nur Petroleum haben wir gefunden, sogar Gas. Das reine Brenngas strömt aus der Erde.«

»Aber nicht freiwillig, sondern infolgedessen, daß Herr Stein nachgebohrt hat?«

»Ja. Dem Bohrloche entströmte eine Luft, welche man verbrennen kann. Sie leuchtet viel besser als Lampen. - Aber gehören Sie alle zusammen? Sind Sie alle miteinander verwandt? Werden Sie alle nach Ho-tsing-ting reisen?«

»Alle, diesen einen Herrn ausgenommen, welcher uns wohl nicht so weit begleiten wird.«

Er zeigte auf den Dicken, welcher ebenso wie der Kapitän und der Gottfried der Szene mit größtem Interesse gefolgt war. Die Begegnung mit diesem Chinesen, welcher ein Beamter des Onkels Daniel war, war eine so ungewöhnliche, daß man zunächst fast gar nicht an die Gefährlichkeit der Lage dachte, in welcher man sich befand. Es gab so viel zu fragen und zu beantworten. Der Kapitän meinte kopfschüttelnd:

»Es hat doch schon manches Schiff sehr unerwartet meinen Kurs gekreuzt, aber eine so seltsame Begegnung ist mir noch nicht vorgekommen!«

»Mich auch nicht,« stimmte Gottfried bei. »Ich bin janz jerührt von diese Jüte des Schicksales. Ich möchte das Fatum beim Kopfe nehmen und mich von ihm einen Kuß jeben lassen. Kommen Sie her, oller Chinesige! Ich schüttele Sie die Hände und rufe Sie ein herzliches Tsching-tsching-tsching entjegen, wat in diesem Land soviel heißt wie 'du bist mich erjebenst willkommen, oller Schwede!' Ich bitte um Ihre Freundschaft und stelle mir selbst nebst Oboe Ihnen zur jeneigten Disposition.«

Er umarmte den Chinesen und küßte ihn auf die Wange. Darüber war der Dicke so gerührt, daß er sich eine Thräne aus dem Auge wischte und beinahe schluchzend sagte:

»Ik ben ook uw vriend. Hebt gij eene goede gezondheid?«

Der Chinese sah ihn fragend an, denn er hatte ihn nicht verstanden. Der Methusalem erklärte ihm:

»Mijnheer von Aardappelenbosch versichert, daß er auch Ihr Freund sei, und erkundigt sich, ob Sie eine gute Gesundheit besitzen.«

»O, meine Gesundheit ist ausgezeichnet,« antwortete nun der Chinese.

»En mijne gezondheid is niet goed. Ik ben altijd onpasselijk - und meine Gesundheit ist nicht gut; ich bin immer krank (allzeit unpäßlich).«

Der Chinese wußte nicht recht, wie er zu dieser intimen Mitteilung komme. Er wollte eine Frage aussprechen, welche den Holländer vielleicht beleidigt hätte; glücklicherweise aber kam dieser ihm mit der Versicherung zuvor:

»Gij alle zijt mijne vrienden. Ik reiz met naar Ho-tsing-ting. Gij zullt mij niet verliezen - Ihr alle seid meine Freunde. Ich reise mit nach Ho-tsing-ting. Ihr sollt mich nicht verlieren.«

Er reichte allen die fetten Hände und empfing von ihnen die Versicherung, daß dieser sein Entschluß ihnen außerordentlich angenehm sei. Darüber war er so erfreut, daß sein Gesicht vor Vergnügen glänzte.

Darauf kam man nun wieder auf die Gegenwart zu sprechen. Man befand sich ja in einer Lage, welche die größte Vorsicht und Aufmerksamkeit erforderte. Der Methusalem wagte es, die Thür zu öffnen und hinauszutreten. Als er wieder hereingekommen war und den Riegel vorgeschoben hatte, berichtete er:

»Es ist wirklich kein Mensch zu sehen, diese Menschen sind außerordentlich nachlässig. Meinen sie denn, uns so sicher zu haben, daß sie sich gar nicht um uns zu kümmern brauchen?«

»So ist es,« antwortete der Chinese. »Wir befinden uns auf hoher See und können ihnen also nicht davonlaufen.«

»Aber sie uns auch nicht! Aus wie vielen Köpfen besteht die Bemannung?«

»Es sind über sechzig Leute.«

»So viele habe ich nicht gesehen.«

»Sie hielten sich verborgen.«

»Und wie sind sie bewaffnet?«

»Nach Ihren Begriffen herzlich schlecht, nach den unserigen aber sehr gut. Daß sie mit Stinktöpfen versehen sind, haben Sie ja schon bemerkt?«

»Ja, und zwar zum Schaden dieser Leute.«

»Sodann sind Kanonen vorhanden.«

»Wir haben doch keine gesehen!«

»Sie stecken in den Kisten, welche sich unten im Raume befinden. Sobald der Tag anbricht, sollen sie aus diesen Hüllen genommen und aufgewunden werden. Erst dann wird die 'Wasserkönigin' als Raubdschunke zu erkennen sein.«

»So ist sie jetzt auf Raub ausgelaufen?«

»Ja. Erst sollen Sie ermordet werden, dann will der Ho-tschang auf Handelsdschunken Jagd machen. Der Raub wird dem Hui-tschu, dem Obersten der Genossenschaft gebracht.«

»Welcher Art sind diese Kanonen?«

»Von derjenigen, welche bei uns Pao genannt wird. Eine jede hat ihren Namen. Nach diesen Bezeichnungen müssen die Geschütze außerordentlich gefährlich sein. Es gibt da einen 'speienden Drachen', einen 'verschlingenden Tiger', einen 'fürchterlich imposanten Pao', einen 'siegerzwingenden', einen 'himmelstürmenden' und einen 'menschenfressenden Pao'. Mit Ihren Geschützen aber sind diese Kanonen nicht zu vergleichen.«

»Und die Handwaffen?«

»Da gibt es Schwerter, Lanzen, Beile, Messer, Pfeile, Bogen und alte Pistolen. Außerdem Flinten verschiedenster Art.«

»Sind diese letzteren gut?«

»Nein. Man hat alte Luntenflinten. Diese werden Niao-tsiang genannt, was soviel wie Vogelflinte bedeutet. Dann dreiläufige alte Gewehre. Sie führen den Namen San-yan-tschung, 'Flinte mit drei Oeffnungen', ferner gibt es Schloßflinten. Man nennt sie Tse-lai-ho-tsiang, 'von selbst losgehende Gewehre'. Auch Schrotflinten hat man. Sie führen die Bezeichnung Sian-tsiang, 'dünne Flinten'. Und endlich habe ich noch Windbüchsen gesehen. Man nennt sie Fung-tsiang, was soviel wie 'Windgewehr' bedeutet. In der Mandschusprache heißen sie Tschirgabuku miootschan, was man als 'Flinte mit eingesperrter Luft' übersetzen muß.«

»Nun, das ist ja eine ganze Masse von Mordwerkzeugen. Man möchte sich wirklich fürchten.« lachte der Blaurote.

»Und fürchten Sie sich wirklich?« fragte der Chinese besorgt.

Er sah den Studenten dabei ängstlich an. Die Chinesen sind keineswegs wegen ihres persönlichen Mutes berühmt, und dieser hier machte sehr wahrscheinlich keine Ausnahme. Er hatte zwar ein ganz ehrliches und vertrauenerweckendes Gesicht; aber er war klein und schmächtig und hatte keineswegs das Aussehen eines furchtlosen Mannes oder gar eines Helden. Es war von ihm schon eine sehr mutvolle Handlung gewesen, sich von den Piraten loszusagen und zu den Deutschen zu gehen. Das wäre wohl nicht geschehen, wenn er nicht von den letzteren Rettung erwartet hätte. Sollte diese Hoffnung etwa getäuscht werden? In diesem Falle hätte er es wohl für besser gehalten, bei den Chinesen zu bleiben. Um ihn in dieser Beziehung auf die Probe zu stellen, antwortete der Methusalem:

»Ganz geheuer ist es mir natürlich nicht. Ueber sechzig Feinde, welche in dieser Weise bewaffnet sind! Was können wir gegen die Kanonen thun?«

»O wehe, Herr! halten Sie es für gefährlich?«

»Sehr!«

»So raten Sie mir wohl, mich lieber wieder fortzuschleichen, damit die Piraten gar nicht erfahren, daß ich bei Ihnen gewesen bin?«

»Ich kann Ihnen weder zu- noch abraten. Thun Sie, was Ihnen beliebt. Aber ich denke, daß Ihr Platz bei dem Neffen Ihres Prinzipals ist.«

»Da werde ich ja erschossen!«

»Pah! Glauben Sie das nicht! Ich habe Sie nur prüfen wollen und da leider erfahren, daß wir im Falle eines Kampfes auf Sie nicht allzusehr rechnen dürfen. Aber es kann nicht jeder ein großer Krieger sein; es muß auch Männer des Friedens geben, Kaufleute, Kohlenhändler und andere. Ich denke, daß wir Sie mit durchschleppen werden. Angst zu haben, fällt mir gar nicht ein. Wir sind zwar nur fünf Personen, aber mit sechzig Chinesen nehmen wir es schon noch auf. Oder, sagen Sie, Mijnheer, wollen wir etwa auch, um unser Leben zu retten, Seeräuber werden?«

»Ik niet,« antwortete der Gefragte. »Ich heb geweeren en een mes. Ich ben een groote veldheer - ich nicht. Ich habe Gewehre und ein Messer. Ich bin ein großer Feldherr.«

»Und du, Gottfried?«

»Na, wenn Sie mir fragen, so können Sie mich leid thun!« antwortete der Pfeifenträger zornig. »Eine Handvoll Chinesen werden doch mir nicht aus der Fassung bringen. Wenn die mit mich nach dem Monde wollen, so werfe ich sie alle runter in die Wolken. Diese Kerls blase ich mit meine Oboe an, daß sie nur so durch die Lüfte fliegen. Jottfried und Seeräuber! Wer mich so wat zumutet, der verdient die hellen Prüjel, und aber wat für welche!«

»Schön! Und Sie, Kapitän?«

»Auch mich fragen Sie?« meinte Turnerstick. »Wollen Sie mich kränken oder gar beleidigen?«

»O nein, ich halte es für meine Pflicht, Sie zu fragen, bevor wir einen Beschluß fassen, dessen Ausführung jedenfalls mit Gefahren verbunden ist.«

»So kann ich Ihnen weiter nichts sagen, als daß ich ein Seemann bin, der in Gefahren groß geworden ist.«

»Gut, so sind wir also einig. Was nun thun? Wir haben zwar noch Zeit, doch ist es besser, schon jetzt zu einem Plane zu kommen. Wo schlafen die Matrosen?«

Diese Frage war an den Chinesen gerichtet. Er antwortete:

»Unten im Raume bei den Kanonen.«

»Schlafen sie stets da unten?«

»Ja.«

»So ist die Einrichtung hier eine ganz andere als auf unsern Schiffen. Drei Wachen und der Steuermann auf Deck und die andern alle unten. Das ist eine heillose Wirtschaft, besonders für einen Piraten. Ich habe gesehen, daß die Segel gesetzt sind, und da wir ruhiges Wetter und konstanten Landwind haben, so sind zwar keine Deckhände notwendig; aber wenn plötzlich eine Bö kommen sollte, was in diesen Gewässern häufiger vorkommt als anderwärts, so würde sich die Dschunke ganz gemächlich umlegen und mit uns in die Tiefe gehen. Wo schläft der Kapitän?«

»Gewöhnlich hier nebenan,« antwortete der Chinese. »Heute aber wagte er das nicht, da er Ihre Gewehre fürchtete. Die Kugeln dringen durch die dünne Wand. Er befindet sich mit dem Schiffsherrn und dem Priester in der hinteren Kajüte.«

»Das ist gut. Aber sagen Sie mir zunächst, wie ich Sie nennen soll. Sie haben uns Ihren Namen noch nicht gesagt.«

»Mein Titelname ist Liang-ssi.«

Auf die Frage des Methusalem hatte der Chinese seinen Titelnamen genannt: Liang-ssi, zu deutsch: 'gute Geschäfte'. Dieser Name ließ sehr leicht auf die Eigenschaften seines Trägers schließen; derselbe war jedenfalls ein tüchtiger Kauf- oder überhaupt Geschäftsmann. Kriegerischer Sinn war da nicht zu erwarten.

»Mich,« sagte der Student, »können Sie verschieden nennen. Ich heiße Degenfeld, zuweilen auch Methusalem. Wollen Sie sich aber lieber des Chinesischen bedienen, so rufen Sie mich 'Tsing-hung'.«

»Tsing-hung?« fragte der Chinese erstaunt. »Das heißt ja der Blaurote!«

»Allerdings.«

»Nennt man Sie so?«

»Ja.«

»Weshalb?«

»Wegen meiner Nase.«

»Sonderbar! Ist das Ihr Titelname?«

»Nein, sondern mein Scheng ming.«

»Ihr Studentenname? Was haben Sie studiert?«

»Das, was Sie Tschu nennen.«

»Das heißt alles?«

»Ja. Ich hatte wenig Lust, aber sehr viel Zeit. Darum lernte ich alles, und kann nun nichts. Doch erlauben Sie mir Ihnen auch die Namen der andern Herren zu nennen! Dieser Herr ist Kapitän Turnerstick, welcher Name von einem Chinesen, der unsere Sprache nicht kennt, wie Tu-ru-ne-re-si-ti-ki ausgesprochen würde. Hier mein Diener Gottfried, welches letztere Wort wie Go-to-to-fi-ri-di lauten müßte. Eigentlich heißt er auch noch Ziegenkopf, womit ich Sie aber nicht behelligen darf, da ich sonst Zi-ge-ne-ko-po-fo zu sagen hätte. Und nun dieser, mein lieber Freund, heißt Aardappelenbosch. Wie würden Sie da als Prachtchinese sagen?«

»A-ra-da-pa-pe-le-ne-bo-scho,« antwortete der Chinese.

»Danke sehr, bin jetzt froh, daß ich nicht in Ihrem Reiche der Mitte geboren wurde! Und nun, mein lieber Kapitän, möchte ich auch von Ihnen etwas wissen. Wie viele Hände braucht so ein Ho-tschang, um mit oder auf der Dschunke ein Manöver ausführen zu lassen?«

»Da muß ich wissen, welches.«

»Wenden.«

»Wenden? Hm! Das kommt sehr auf den Wind. an.«

»Ich meine den jetzigen.«

»Also Landwind. Wir gehen vor dem Winde. Eine solche Dschunke ist ein sehr ungehorsames Ding. Ankreuzen kann man nur ganz wenig. Warum fragen Sie?«

»Wir fahren nach Hong-kong zurück.«

»Nach - Hong - kong?« dehnte Turnerstick. »Sind Sie verrückt?«

»Wahrscheinlich nicht.«

»Die Chinesen werden sich hüten, umzukehren!«

»Das denke ich auch. Wir fragen sie aber gar nicht.«

»Alle Teufel! Ich verstehe! Master Methusalem, das ist kühn!«

»Wenn auch! Dem Kühnen gehört ja die Welt.«

»Richtig! Welch ein Streich! So etwas wäre noch nie dagewesen.«

»Desto besser! Ich thue gern etwas, was andere nicht fertig bringen. Also, wie viele Hände brauchen Sie, wenn Sie das Kommando der 'Königin des Wassers' übernehmen?«

»Will sehen.«

Er öffnete leise die Thür, trat hinaus und sah sich um. Sein scharfes Seemannsauge erkannte den Wächter, welcher schlafend am großen Maste saß. Er prüfte das Schiff, die See, den Wind, kehrte dann in die Kajüte zurück und sagte:

»Landwind und Ebbe, da ist bei dieser Takelung und mit den wenigen und schweren Mattensegeln nichts zu machen.«

»Wirklich gar nichts?«

»Ja. Höchstens könnte man die Segel fallen lassen, aber dennoch würde man durch die Ebbe weiter in See getrieben werden.«

»Können Sie nicht wenigstens beidrehen?«

»Ja, wir können uns eben vor Topp und Takel legen, aber es nützt uns nichts. Zwar ist die Dschunke in ihrer Art sehr gut gebaut. Ich müßte es doch versuchen, indem ich die Segel killen lasse und sie dann lähnlich brassen. Nehme ich, da Sie das nicht verstehen, dann selbst das Steuer, so kann ich es vielleicht fertig bringen, daß wir wenigstens keine Fahrt machen. Wir treiben dann nicht weiter in See und können warten, bis früh der Seewind aufkommt und nachher die Flut eintritt. Mit beiden können wir dann nach Hong-kong zurück.«

»Gut, machen wir es so! Also wie viele Leute soll ich Ihnen zur Verfügung stellen?«

»Zur Verfügung? Können Sie denn die Matrosen so aus den Aermeln schütteln?«

»Ja.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Und doch ist es so leicht. Unser Freund Liang-ssi geht hinunter zu den Chinesen und schickt uns unter irgend einem Vorwande so viele, wie Sie brauchen, herauf. Er muß sie einzeln wecken und ebenso einzeln schicken, damit unten keiner von dem anderen etwas weiß. Die übrigen dürfen nicht erwachen. So wie die Kerls einzeln kommen, überwältigen wir sie. Dann sind sie gezwungen, zu thun, was wir wollen. Die anderen nageln wir ein, damit sie nicht herauf können.«

»Herrlicher Gedanke! Methusalem, Sie sind ein Prachtkerl!«

»Ja,« stimmte der Dicke bei, »hij wil het gaanze scheep muisen - ja, er will das ganze Schiff mausen!«

»Ja, dat wollen wir!« fiel Gottfried lustig ein. »Donner und Doria, wat werden die daheim im Jeldbriefträger von Ninive für Jesichter machen, wenn wir ihnen erzählen, daß wir fünf Personen eine janze Dschunke mitsamt die Bemannung jestohlen und in die Westentasche davonjetragen haben! Ja, so wird es jemacht! Wat ich dabei thun kann, dat wird jern jeschehen!«

»Ist es nicht zu gefährlich?« fragte der Chinese.

»Nein,« antwortete der Methusalem.

»Aber ich soll die Leute heraufschicken?«

»Die werden Sie nicht fressen!« beruhigte ihn der Kapitän. »Sinnen Sie sich nur einen guten Vorwand aus!«

»Aber sie werden sich an mir rächen wollen!«

»Pah! Wir sorgen schon dafür, daß sie unschädlich gemacht werden und Ihnen nichts thun können. Gibt es Stricke hier in der Nähe?«

»Genug, in dem Behältnisse da vor dieser Kajüte.«

»Dahinein aber kann man nur von oben gelangen?«

»Ja.«

»Und da steht der Vorderposten! Das ist unangenehm!«

»Gar nicht!« sagte der Methusalem. »Ich werde gleich ein Wort mit dem Mann sprechen.«

»Sie wollen hinauf zu ihm?«

»Ja. jedenfalls schläft auch er. Ich nehme ihn ein wenig bei der Kehle. Passen Sie 'mal auf! Gottfried mag mitgehen und sein Taschentuch als Knebel bereit halten.«

Die beiden verließen die Kajüte. Sie sahen die Leinen, an denen am Abende die Laternen gehangen hatten. Der Methusalem schnitt eine derselben ab, um sie als Fessel gebrauchen zu können. Er sah den schlafenden Mann im Großmaste sitzen.

»Komm, Gottfried,« sagte er. »Wir wollen erst diesen unschädlich machen.«

Sie schlichen sich zu ihm hin und kamen ganz an ihn heran, ohne daß er aufwachte.

»Ich fasse ihn bei der Kehle,« flüsterte der Student. »Er wird den Mund öffnen, um zu schreien oder Atem zu holen. Da steckst du ihm dein Taschentuch so weit wie möglich hinein.«

»Schön! Werde ihm jut bedienen!«

Sie nahmen sich noch Zeit, die lange Leine in kürzere Stücke zu schneiden; dann legte Degenfeld dem Manne die Hände um den Hals. Er wollte erschrocken auffahren und schreien. Im Nu schob ihm der Wichsier das Tuch in den Mund.

»So!« nickte der letztere. »Der singt uns nun keine Quadrille vor. Soll ich ihn binden? Halten Sie ihm jetrost fest!«

Der so unzart Ueberraschte schlug mit den Händen und stieß mit den Füßen um sich, konnte aber nicht verhüten, daß Gottfried ihn so fesselte, daß er sich nicht mehr zu bewegen vermochte.

»Mit dem sind wir fertig,« meinte Degenfeld. »Nun nach vorn!«


(Fortsetzung folgt.)



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