Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 46, Seite 721
Reprint Seite 259


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

Der Wirt hatte ihm jedenfalls schon draußen gesagt, daß vornehme und ausländische Gäste anwesend seien. Das war aus dem Blicke zu ersehen, mit dem er die Anwesenden musterte, und aus der tiefen Verneigung, mit welcher er sie begrüßte. Sie erhoben sich und verneigten sich ebenso.

»Ich komme, um diese Nacht bei Ihnen zu bleiben,« sagte er zum Wirt. »Sind die Stuben frei, welche wir gewöhnlich bewohnen?«

»Leider nicht, « antwortete der Gefragte verlegen. »Ich habe sie diesen huldvollen Herren gegeben, da mir Ihre Ankunft nicht bekannt war, hoher Beschützen«

»So werden wir in andern Räumen schlafen.«

Da bemerkte der Methusalem in zuvorkommender Weise:

»Das werden wir nicht zugeben. Der mächtige König der Armen und Notleidenden soll nicht unsertwegen auf die gewohnte Bequemlichkeit verzichten. Wir treten ihm sehr gern die Räume ab, welche er zu bewohnen pflegt.«

»Wissen Sie denn, wer ich bin?« fragte der König.

»Ich vernahm es soeben und habe auch schon längst gehört, welche Ehrerbietung man Ihnen zu zollen hat.«

»Nun, dann werden Sie wohl auch gehört haben, daß der T'eu niemals die Gesetze der Höflichkeit verletzt. Sie kommen aus einem fernen Lande und dürfen erwarten, daß Sie überall auf das gastlichste aufgenommen werden. Es wäre ein Vergehen gegen die gute Sitte, wenn ich Ihr großmütiges Anerbieten mißbrauchte. Darum ersuche ich Sie, die Zimmer, welche für Sie bestimmt sind, zu behalten.«

»Aber gebietet nicht eben diese gute Sitte, daß jeder Jüngere vor dem Aelteren zurücktritt?«

»Ja, aber auch der Tiefere vor dem Höheren. Und der letztere sind doch Sie von uns beiden.«

»O nein, Sie sind König.«

»König der Armen und Elenden, was soviel wie nichts ist. Darf ich vielleicht Ihren glanzvollen Namen erfahren?«

»Unsere Namen sind auf diesem Kuan des Kaisers verzeichnet.«

Er gab ihm den Paß, welchen er von dem Tong-tschi erhalten hatte. Der T'eu entfaltete denselben und verbeugte sich, als er das Siegel und die Unterschrift gesehen hatte, dreimal bis fast zum Boden herab. Dann las er die Namen. Als er damit zu Ende war, verbeugte er sich abermals, legte den Paß zusammen, gab ihn zurück und sagte:

»Das ist die höchste Empfehlung, welche einem Menschen bei uns werden kann. Dennoch wage ich es, Ihnen auch meine geringen Dienste anzubieten.«

»Diese Huld ist mir hochwillkommen, da ich weiß, daß die Freundlichkeit des mächtigen T'eu oft mehr vermag als so ein Kuan.«

»Es ist wahr; es ist mir zuweilen möglich, jemand nützlich zu sein. Ihre glanzvollen Namen haben einen sehr fremden Klang. Nur ein einziger ist dabei, welcher unserer Sprache angehört, Liang-ssi. Welcher der hohen Herren trägt denselben?«

»Der Betreffende ist augenblicklich nicht hier, wird aber auch noch die Ehre haben, Ihnen seinen ehrfurchtsvollen Gruß zu sagen. Vielleicht kennen Sie ihn. Er steht im Dienste des Herrn Sei-tei-nei in Ho-tsing-ting.«

»Den kenne ich allerdings. Es ist ein sehr tüchtiger junger Mann, welcher sich viel auf Reisen befindet, die er im Interesse des Geschäfts seines Herrn unternimmt. Darum habe ich ihn nur ein einziges Mal bei demselben gesehen. Ich bin oft in Ho-tsing-ting, und der Besitzer der Feuerbrunnen ist mir ein lieber Freund. Er hat sich sehr um meine Untergebenen verdient gemacht, da er nur solche Arbeiter anstellt, welche sonst kein Unterkommen haben und ihm von mir empfohlen werden. Er steht infolgedessen unter meinem ganz besonderen Schutze, und ich werde niemals dulden, daß der Besitzer des Oelwerkes aus dem Grunde, daß er ein Ausländer ist, geschädigt wird. Sie sind also mit Liang-ssi gereist, willkommener Herr?«

»Ja. Wir kommen von Kuang-tschéu-fu und wollen morgen früh zu Sei-tei-nei.«

»Zu meinem Freunde? Verfolgen Sie bei diesem Besuche eine gewisse Absicht?«

»Ja. Ich will ihm den Sohn seines Bruders zuführen, den er eingeladen hat.«

»Wirklich? Ich weiß, daß er nach demselben geschrieben hat. Ist es dieser junge Herr, welcher neben Ihnen sitzt? Ich habe in dem Passe zu meiner Verwunderung den Namen Li-cha-la-da Sei-tei-nei gelesen.«

Der T'eu konnte das »r« nicht aussprechen; er verwandelte es in ein »l«. Li-cha-la-da oder eigentlich Ri-cha-ra-da ist die chinesische Aussprechung des Namens Richard.

Als der Methusalem die Frage bejahte, begrüßte der Bettlerkönig den Gymnasiasten noch einmal besonders und versicherte ihn seines Schutzes, welcher ihm vielleicht von Vorteil sein könne.

»Daß dieser Schutz ein starker ist, haben wir bereits an uns erfahren,« sagte Degenfeld. »Wir befanden uns in großer Gefahr; unsere Feinde verwandelten sich aber sofort in Freunde, als wir ihnen bewiesen, daß Sie Ihre mächtigen Hände über uns halten.«

Der T'eu machte eine Bewegung des Erstaunens und fragte:

»Wer waren diese Leute?«

»Die Kuei-tse. Sie begegneten uns unterwegs.«

»Das sind allerdings Leute, denen ein Bekenner des Buddha und überhaupt jeder Andersgläubige am besten aus dem Wege geht. Aber wie konnten Sie sich auf mich berufen? Wie konnten Sie, von denen ich nichts gewußt habe, ihnen beweisen, daß ich Ihr Beschützer bin? Mir selbst ist das ja unbekannt!«

»Ich zeigte ihnen diesen zweiten Kuan, welchen ich besitze.«

Er gab ihm den Schutzbrief in die Hand, und es war im höchsten Grade interessant, das Gesicht zu sehen, welches der T'eu machte, als er denselben erblickte.

»Wie? Mein eigener Kuan!« rief er aus. »Und zwar ein Kuan erster Klasse, von denen ich nur sehr wenige ausgegeben habe! Ich ersehe aus dem nur mir kenntlichen Zeichen, daß es der Kuan meines Schwiegersohns in Kuang-tschéu-fu ist!«

»Sie meinen Hu-tsin, den Juwelier. Es gelang uns, ihm einen kleinen Dienst zu erweisen, und da er hörte, daß wir in das Innere des Landes gehen wollten, wo Beschwerden oder gar Gefahren unser warten konnten, so rüstete er uns mit diesem Kuan aus, von dessen Wert wir einen so überzeugenden Beweis erhalten haben.«

»Sie haben meinem Hu-tsin einen Dienst geleistet? Das kann kein gewöhnlicher gewesen sein, denn einer alltäglichen Gefälligkeit wegen würde er sich nicht von diesem Passe getrennt haben. Darf ich erfahren, was geschehen ist, und wie Sie mit ihm bekannt geworden sind? Soeben bringt man den Thee. Ich lade Sie demütig ein, denselben mit uns zu trinken. Dabei können wir von meinem Schwiegersohne sprechen.«

»Ich werde Ihnen gern von ihm erzählen, doch handelt es sich um ein Ereignis, welches wir in der Art zu einem glücklichen Ende führten, daß man nur im Vertrauen von demselben sprechen kann.«

»Das können Sie. Diese Männer sind meine Offiziere, meine Freunde, vor denen ich kein Geheimnis habe; sie können alles hören, was Sie zu sagen haben.«

Der Wirt hatte den schnell bereiteten Thee gebracht. Er hatte auch für jeden der fremden Gäste eine Tasse. Das entsprach der chinesischen Sitte. Es wurden noch Pfeifen bei ihm bestellt; Tabak hatten die Begleiter des T'eu bei sich. Als die kleinen Täßchen geleert, und die Pfeifen in Brand gesteckt worden waren, begann der Methusalem zu erzählen.

Er hielt es für geraten, nicht bloß von der auf den Juwelier bezüglichen Episode zu sprechen, sondern er begann mit dem Auftrage, den er von Ye-kin-li erhalten hatte, und gab einen, wenn auch nur kurzen Bericht alles dessen, was sie bis hierher erlebt hatten.

Die Chinesen waren sehr aufmerksame Zuhörer. Als er geendet hatte, erhob sich der T'eu, machte den Reisenden eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung, welchem Beispiele seine »Offiziere« sogleich folgten, und sagte im Tone der größten Hochachtung:

»Was wir jetzt vernommen haben, ist ein sicheres Zeugnis, daß in dem Vaterlande der aufrichtig bewunderten Herren Leute wohnen, welche außerordentlich kenntnisreich, kühn und umsichtig sind. Was Sie gethan haben, ist nicht nur des Lobes, sondern auch der Bewunderung wert, und der Scharfsinn, mit welchem Sie meinen Schwiegersohn gerettet haben, verpflichtet uns zur größten Dankbarkeit. Wir werden uns alle Mühe geben, unsre Erkenntlichkeit zu beweisen, und bitten um die huldreiche Genehmigung, den morgenden Ritt nach Ho-tsching-ting in Ihrer erlauchten Gesellschaft machen zu dürfen. Das Wiederfinden der Familienglieder Ihres achtungswürdigen Ye-kin-li hat uns mit großer Teilnahme erfüllt, welcher ich dadurch Ausdruck gebe, daß ich Sie ersuche, das Abendmahl nicht auf Ihre Kosten bereiten zu lassen, sondern bei demselben meine Gäste zu sein. Ich werde sogleich die dazu nötigen Vorbereitungen treffen.«

Der Methusalem erhob Einspruch dagegen, doch vergebens. Der Bettlerkönig begab sich selbst nach der Küche, um dort seine Befehle zu erteilen.

Während dieser Pause erkundigten sich die Gefährten nach dem Inhalte des Gespräches, und Degenfeld teilte ihnen denselben mit. Sie waren natürlich sehr erfreut darüber, sich die Freundschaft dieses Mannes erworben zu haben, und der Dicke sprach die ganz unerwartete Frage aus:

»Mijnheer Methusalem, zal deeze guede koning ook mij in zijne armen nemen - Herr Methusalem, wird dieser gute König auch mich in seine Arme nehmen?«

»Sie meinen, ob er auch Sie beschützen werde? Natürlich!«

»Dat is zeer goed, want hij zal mij helpen - das ist sehr gut, denn er soll mir helfen.«

»Wobei?«

»In gevalle dat ik het steenolie koop - im Falle, daß ich das Steinöl kaufe.«

»Sind Sie denn das gewillt?« fragte der Methusalem überrascht.

»Ik zal al Ho-tsing-ting koopen. De lucht is hier zonder voorbeeld goed. De lucht makt mij dik. Ik ben zoo dor, zoo in het geheel dor, en ik kan hier weder toe mijnen vleesch komen - ich werde ganz Ho-tsing-ting kaufen. Die Luft ist hier unvergleichlich gut. Die Luft macht mich dick. Ich bin so dürr, so ganz und gar dürr, und ich kann hier wieder zu meinem Fleische kommen.«

»Aber der Preis würde, wenn Onkel Daniel überhaupt verkaufen sollte, sehr hoch sein!«

»Dat zeg ik mij ook, maar ik heb Geld - das sage ich mir auch, aber ich habe Geld!«

»Ich glaube, daß Sie reich sind, doch sind die Zahlungsverhältnisse hier sehr unbequem.«

»Denkt gij, dat ik goud- en zilverstukken in mijnen broekzak heb? Zoo dom ben ik niet. Ik heb wissels, zeer goede wissels - denken Sie, daß ich Gold- und Silberstücke in meiner Hosentasche habe? So dumm bin ich nicht. Ich habe Wechsel, sehr gute Wechsel!«

»Auch das glaube ich Ihnen gern. Tragen Sie Ihren Wunsch dem Onkel vor, wenn wir zu ihm kommen!«

Jetzt trat der T'eu wieder herein und machte dem kurzen Zwischengespräch ein Ende. Nach einiger Zeit kamen die beiden Brüder mit dem Hoei-hoei. Sie flossen von Dankesworten über, und es gelang dem Methusalem nicht, dieselben durch die Bemerkung abzuweisen, daß er eigentlich zu ihrem gegenwärtigen Glücke gar nichts beigetragen habe. In der Seligkeit, die Ihrigen gefunden zu haben, dachten sie an nichts anderes, auch nicht an das einstige Vermögen ihres Vaters. Sie hielten es für verloren.

Der T'eu äußerte den Wunsch, daß ihre Mutter und ihre Schwestern auch mit an dem Mahle, welches ein Festessen genannt werden müsse, teilnehmen möchten. Das war eine große Ehrenerweisung, da der Chinese es durchschnittlich verschmäht, mit einer weiblichen Person zu speisen. Zugleich war er sich bewußt, etwas Seltsames und sehr Schwieriges zu verlangen, da es in China als höchst unpassend für eine gebildete Frau oder ein wohlgesittetes Mädchen angesehen wird, sich Fremden zu zeigen oder gar an einem Tische mit ihnen zu essen. Darum wußten die Brüder nicht, was sie antworten sollten. Die Zurückweisung der Einladung wäre eine Unhöflichkeit gegen den Bettlerkönig gewesen, und die Annahme derselben hätte für die Damen eine Anforderung enthalten, der sie nur mit großer Ueberwindung gerecht werden konnten. Der Methusalem nahm sich des T'eu an, indem er Liang-ssi fragte:

»Ihre Damen werden doch mit uns nach Deutschland gehen?«

»Ja.«

»Und nicht nach China zurückkehren?«

»Nie.«

»So können sie sich ganz gut schon jetzt als Deutsche betrachten. In meiner Heimat ist es eine Ehre für die Gäste, Damen bei sich sehen zu dürfen. Die Damen sind die Blumen im Kranze der Gesellschaft; sie verschönern den Kreis, und ihre Anwesenheit macht, daß die Worte sanfter und lieblicher fließen. Wenn Sie glauben, uns eine kleine Dankbarkeit schuldig zu sein, so bewegen Sie Ihre Mutter und Ihre Schwestern, mitzukommen. Wir werden ja ganz unter uns sein und dem Wirte befehlen, Fremde von diesem Zimmer fern zu halten.«

Da die Einladung auf diese Weise unterstützt wurde, so erklärten die Brüder, daß sie ihre Damen mitbringen würden.

Es war noch nicht Abend, und der Wirt bedurfte einer längeren Frist, das Essen zuzubereiten. Diese Zeit konnte recht wohl durch Unterhaltung ausgefüllt werden. Es gab ja so viel zu fragen, zu erzählen und zu erklären. Das war aber langweilig für diejenigen, welche nicht chinesisch verstanden. Darum suchten sie sich in anderer Weise zu beschäftigen.

Der Dicke war an das Fenster getreten, von welchem aus man eine Aussicht auf die seeartige Erweiterung des Flusses hatte. Er beobachtete das Treiben auf dem Wasser. Die Eigenartigkeit des Fischfangs erregte seine besondere Aufmerksamkeit. Eben als wieder einmal einer der Wasserraben untergetaucht war und ein Beutestück im Schnabel emporbrachte, rief er aus, indem er in die fetten Hände klatschte:

»Heiza! Daar heeft weder zoo eene gans eenen haring gevangen - juchhe, da hat wieder eine Gans einen Hering gefangen!«

»Einen Hering?« lachte der Gottfried. »Woher sehen Sie denn, dat es ein Hering ist?«

»De haring is doch een visch!«

»Ja, ein Fisch ist er freilich; aber nicht alle Fische sind auch Heringe. Ich habe bisher jeglaubt, dat man Heringe nur auf dem Meere fängt. Hier jiebt es andre Fische.«

»Wat vor welke? Palingen, zardijnen, snoeken, zeelten of karpen - was für welche? Aale, Sardellen, Hechte, Schleien oder Karpfen?«

»Ik habe jehört, dat es bei den Chinesigen fette Karpfen und ausjezeichnete Forellen jiebt,« antwortete der Wichsier, um dem Mijnheer Appetit zu machen.

»Wat? Karpen en forelen?« rief der Dicke. »Daarvan moet ik eten! Ik ga buiten aan 't water en koop mij vischen. Ik et de vischen zoo gaarn, zoowel de hommers als ook de kuiters was? Karpfen und Forellen? Davon muß ich essen. Ich gehe hinaus an das Wasser und kaufe mir Fische. Ich esse die Fische so gern, die Milchner sowohl als auch die Rogner.«

»Dann würde ich sie mir doch lieber selbst fangen!«

»Vangen? Ik mij zelf? Kan ik dat - fangen? Ich mir selbst? Kann ich das?«

»Warum nicht? Haben Sie denn noch nie gefischt?«

»Neen.«

»Das ist ja sonderbar, da Sie die Fische so sehr jern essen; aber es schadet nichts. Wir jehen hinaus und mieten uns einen Kahn und die zu demselben jehörigen Vögel für eine Stunde.«

»Ja, wij zullen gaan. Is het vleesch van de vischen goed? Maakt het spek in den lichaam - ja, wir wollen gehen. Ist das Fleisch von den Fischen gut? Macht es Speck in den Körper?«

»Ja, sehr. Ich habe mich sagen lassen, dat besonders derjenige, welcher einen Walfisch verzehrt, mariniert oder unmariniert, sehr fett werden soll. Also kommen Sie! Der Methusalem ist von die Chinesen zu sehr in Anspruch jenommen. Ihn wollen wir nicht stören.«

»Maar ik kan niet mit de vischers spreken - aber ich kann nicht mit den Fischern sprechen.«

»Das ist auch gar nicht notwendig,« fiel Turnerstick ein, welcher zu den beiden getreten war. »Ich gehe mit und werde den Dolmetscher machen. Da es scheint, daß man hier ein ausgezeichnetes Chinesisch spricht, so werden Sie sehen, wie prachtvoll ich mit diesen Leuten auskomme.«

Er griff nach seinem Fächer, der Mijnheer nach seinem Schirm, seinen Gewehren und sogar nach dem Ranzen. Der Gottfried bemerkte dem letzteren, daß diese Dinge nicht notwendig und im Gegenteil nur hinderlich seien, doch wurden seine Worte nicht beachtet. Der Dicke war von seinen Sachen eben nicht zu trennen.

Die Menschenmenge hatte sich ziemlich verlaufen, so daß die drei unbelästigt das Ufer erreichten. Dort winkten sie einen der Kähne herbei.

»Master,« rief Turnerstick dem in demselben sitzenden Manne zu, »wir wolleng fischang und den Kahn für eine Stunde miethung. Was wird das kosting?«

Als der Fischer den Kopf schüttelte, fuhr er fort:

»Fischang, fischeng, fisching, fischong, fischung wolleng wir! Verstanding?«

Er erhielt als Antwort dasselbe erstaunte Kopfschütteln und meinte zornig:

»In China scheinen nur Taubstumme in die Fischergilde aufgenommen zu werden. Dieser Mensch schaut mich an wie die Kuh das neue Thor. Was ist zu thun?«

»Wollen mal versuchen, wat ich jelernt habe,« schmunzelte der Gottfried.

»Sie? O weh! Da kommen wir auch nicht weiter!«

»Nun, einige Worte und Redensarten habe ich mich doch jemerkt. Wat Fisch und Kahn und Stunde heißt, dat weiß ich. Dat Wörtchen 'mieten' kenne ich auch. Also versuchen wir es!«

Es gelang ihm wirklich, sich verständlich zu machen, und als er dem Manne so viel Geld, als er für erforderlich hielt, in die Hand drückte, lachte derselbe am ganzen Gesichte und lud die glänzenden Herren durch drei tiefe Verneigungen ein, in das Fahrzeug zu steigen. Gottfried hatte zehnmal mehr bezahlt, als hier gebräuchlich war.

Der Kahn hatte für wenigstens acht Personen Platz. Ueber seine Borde waren Stangen gelegt, auf denen die Wasserraben saßen, welche vor den Fremden nicht im mindesten scheuten. Der Chinese ruderte seine Gäste ziemlich weit hinaus und hielt dann an, um das Fischen zu beginnen. Auf dem Boden des Kahnes standen einige Gefäße, welche die gefangenen Fische enthielten. Ein leeres wurde mit Wasser gefüllt, um die nunmehrige Beute aufzunehmen, welche den Fremden gehörte, da dieselben bezahlt hatten. Auf einen Zuruf ihres Herrn erhoben sich die Raben in die Luft und schossen dann in und unter das Wasser.

Das Wort Rabe ist eigentlich ein falscher Ausdruck für diese zum Fischen gleich vom Ei aus abgerichteten Tschu-tsches. Der richtige Name ist Cormoran oder Scharbe (Phalacrocorax sinensis). Sie tauchen ausgezeichnet und schießen sogar große Strecken unter dem Wasser fort, um ihre Beute zu ergreifen.

Sie werden nicht nur zum Einzelfischen, sondern auch zur gesellschaftlichen Jagd abgerichtet. Bei dieser letzteren fliegen sie in der Luft auseinander, bis sie einen Kreis bilden; dann stürzt sich jeder Vogel senkrecht in das Wasser und treibt die Beute nach der Mitte des Kreises hin, wo sie mit dem Schnabel ergriffen und in das Boot gebracht wird.

So ein Tschu-tsche kann einen ziemlich großen Fisch festhalten. Ist er ihm jedoch zu schwer, so stößt er ein kurzes Krächzen aus, auf welches ein zweiter, ja ein dritter Vogel herbei eilt, um ihm Hilfe zu leisten.

Damit sie die Beute nicht selbst verzehren, wird ihnen ein eiserner Ring oder ein enger Lederkragen um den Hals gelegt. Ist dann der Fang zu Ende, so nimmt der Fischer seinen Cormoranen diese Ringe ab und erteilt ihnen dadurch die Erlaubnis, nun für sich selbst zu sorgen.

Es währte kaum eine Viertelstunde, so war das Gefäß so gefüllt, daß kein Fisch mehr in dasselbe ging. Es waren einige Aale dabei; die anderen Fische gehörten zu den Karpfenarten; auch sie hatten eine bedeutende Größe.

»Dat ist ein hübscher Fang,« meinte der Gottfried. »Wir werden ihn dem Wirte bringen, welcher diese Fische mit für dat Abendessen verwenden kann.«

»Ja, deze vischvang is zeer goed,« stimmte der Mijnheer bei. »Varen wij aan het land. Ik zelf zal deze vische braden. De vischen moeten in boter en uijen gebraden worden. Ik zelf moet dat maken - ja, dieser Fischfang ist sehr gut. Fahren wir an das Land. Ich selbst werde diese Fische braten. Die Fische müssen in Butter und Zwiebeln gebraten werden. Ich selbst muß das machen.«

Der Gottfried bedeutete dem Fischer, an das Ufer zu rudern. Noch hatten sie dasselbe nicht erreicht, so stand der Kapitän von seinem Sitze auf. Für ihn als Seemann war das nichts Besonderes, vielmehr etwas Selbstverständliches. Auch der Gottfried erhob sich. Er verstand sich darauf, ein Boot zu regieren, und lief also keine Gefahr. Der Mijnheer folgte dem Beispiele der beiden. Die Augen sehnsüchtig auf das Gefäß gerichtet, welches die Fische enthielt, achtete er nicht darauf, daß das Boot im nächsten Augenblicke an das Land stoßen mußte. Er stand vorn am Bug, wo das Fahrzeug am schmalsten war. Jetzt erreichte das Boot das Ufer. Ein Stoß, ein Ruck - der Dicke verlor die Balance. Die Arme weit ausstreckend und einen lauten Schrei ausstoßend, flog er über Bord und in das hier mehr als mannstiefe Wasser.

Der Schiffer warf dem Gottfried sofort den Strick zu, mit welchem der Kahn zu befestigen war, und sprang dem Mijnheer nach. Dieser war für wenige Augenblicke verschwunden; dann aber tauchte der Chinese mit ihm auf und ruderte an das Land, wo er ihn in das Gras legte. Die auf dem Wasser schwimmende schottische Mütze hatte Turnerstick aufgefischt, während Gottfried den Kahn festband.

Der Dicke hatte weder seinen Schirm, seine Flinten, noch den daran hängenden Tornister verloren. Wäre derselbe im Wasser geblieben, so hätte das für den Mijnheer für den Augenblick einen großen Verlust ergeben, da er ... seine »Wissels« im Futter desselben verborgen hielt. Dies war der Grund, daß er sich nicht von dem Ranzen zu trennen vermochte.

Jetzt lag er lang ausgestreckt da, mit geschlossenen Augen und triefend vor Wasser. Er hatte keineswegs die Besinnung verloren, denn er hustete und pustete in einem fort, ohne aber ein Glied dabei zu rühren, und füllte jede Pause, welche ihm die Anstrengung seiner Lunge gewährte, indem er rief:

»Ik ben dood; ik ben gestorven; ik ben erdronken en ersoopen - ich bin tot; ich bin gestorben; ich bin ertrunken und ersoffen! «


(Fortsetzung folgt.)



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