Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 47, Seite 737
Reprint Seite 264


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

Alle in der Nähe weilenden Menschen waren herbei geeilt, und aller Hände streckten sich aus, um den Verunglückten nach dem Einkehrhause zu bringen. Als man ihn dort in die Stube getragen brachte, erschrak der Methusalem nicht wenig und die andern ebenso. Er wurde auf eine Bank gelegt, und Turnerstick erzählte, was und wie es geschehen war.

Die kräftigen Interjektionen des Verunglückten ließen keinen Zweifel darüber übrig, daß das ganze Malheur nur in einem kalten Bade bestehe. Das beruhigte den Methusalem vollständig, und er bat den Mijnheer, sich von der Bank zu erheben.

»Ik kan niet; ik ben erdronken!« antwortete dieser, und dabei blieb er.

Da trat der Besitzer des Kahnes herein, um die Fische zu bringen. Seiner Kleidung hatte das Wasser nichts geschadet, da dieselbe nur in einem aus Gras geflochtenen Lendenschurze bestand.

»Da kommen die Fische!« sagte der Gottfried. »Wir können den Tod unseres juten Freundes doch unmöglich durch ein Festessen feiern. Also brauchen wir die Karpfen und Aale nicht. Der Mann mag sie wieder in den Fluß werfen und ihnen die Freiheit jeben.«

Im Nu sprang der Dicke auf und schrie:

»De vischen weder in het water werpen? Ik dank zeer daarvoor! Deze vischen moeten in de keuken en in de vleeschschotel; maar gij willen wij in het dolhuis scheppen, want gij hebt het verstand en het vernuft verloren - die Fische wieder in das Wasser werfen? Ich danke sehr dafür! Diese Fische müssen in die Küche und in die Bratenschüssel, aber Sie wollen wir in das Tollhaus schicken, weil Sie den Verstand und die Vernunft verloren haben!«

»Ich denke, Sie sind tot!« lachte der also Angedonnerte.

»Dood? Ik ben niet dood. Ik moet mijne vischen braden, in boter en in uijen - tot? Ich bin nicht tot. Ich muß meine Fische braten, in Butter und in Zwiebeln!«

»So hängen Sie sich bei diese Jelejenheit gleich mit über dem Feuer auf, dat Sie trocken werden! Sie sind ja zur reinen Dachtraufe jeworden!« sagte der Wichsier.

Erst jetzt blickte der Dicke an sich herab und auf die Pfütze, welche sich unter seinen Füßen gebildet hatte.

»Rechtvaardige hemel, wat is dat!« rief er aus. »Ik ben een ongelukkige Nijlpaard. O, mijne kleeren een mijn linnen goed! Mijn rok en mijn broek, mijn vest en mijne fraaie das - gerechter Himmel, was ist das! Ich bin ein unglückliches Nilpferd. O, meine Kleider und meine Wäsche! Mein Rock und meine Hosen, meine Weste und meine schöne Halsbinde!«

»Ja, Sie sehen schön aus! Dat klebt alles nur so an Ihrem dürren Jeknöchel herum. Der leibhaftige Tod kann nicht so zusammenjefallen sein!«

»Zoo dun en dor ben ik?« schrie der Geängstigte auf. »O mijne ledematen, mijn ruggegraat en mijne ribben! Mijnheer Methusalem, wat zegt het woordenboek van het erdrinken en ersoppen - so dünn und dürr bin ich? O meine Gliedmaßen, mein Rückgrat und mein Rippen! Herr Methusalem, was sagt das Wörterbuch vom Ertrinken und Ersaufen?«

»Daß man sofort die Kleider wechseln und einige Tassen heißen Thees trinken soll, wenn man nicht eine Entzündung der Eingeweide riskieren oder gar sterben will,« antwortete der Gefragte sehr ernst.

»Ik will niet sterven, en ik will ook geene ontsteking van mijn ingewand. Geeft mij tee en kleeren! Helpt mij! Ik hoop, dat ik niet sterven zal, omdat de lucht hier zoo goed en gezond is - ich will nicht sterben, und ich will auch keine Entzündung meiner Eingeweide. Gebt mir Thee und Kleidungsstücke! Helft mir! Ich hoffe, daß ich nicht sterben werde, weil die Luft so gut und gesund ist!«

Diesem angstvollen und dringenden Wunsche wurde Folge geleistet. Degenfeld brachte den Verunglückten zum Wirte, welcher sich seiner annahm. Dann erhielt der Fischer ein Geschenk für seine rettende That. Es war nach deutschem Gelde fast nur eine Kleinigkeit, und doch hatte er eine solche Summe noch nie in der Hand gehabt. Seine Dankbarkeit war außerordentlich.

Als dann der Mijnheer wieder in der Stube erschien, bot er einen höchst eigenartigen Anblick. Eine Hose für ihn zu finden oder gar eine Weste und einen Rock, war ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. In China wird zwar die Wohlbeleibtheit mit der Schönheit für identisch gehalten; aber es gab leider im ganzen Dorfe und dessen Umgegend keinen Mann, der sich nach dieser Anschauung in Beziehung auf seine Schönheit mit dem Mijnheer hätte messen können. Darum war kein einziges passendes Kleidungsstück aufzutreiben gewesen. Ein Anzug aber hatte doch geschafft werden müssen, und zwar einer, welcher der Würde des »erlauchten« fremden Herrn angemessen war. Darum hatte der Wirt zu dem Bonzen geschickt, welcher über den einzigen gewebten Gegenstand, der hier in Betracht kommen konnte, zu verfügen hatte; das war nämlich der Vorhang im Götzentempelchen des Dorfes. Glücklicherweise pflegen solche Dorfseelsorger nicht allzu streng zu sein, und so hatte der Mann sich bereit finden lassen, die heilige Gardine zu dem erwähnten profanen Zwecke zur Verfügung zu stellen, aber freilich auch erst dann, als er vernommen hatte, daß der Bettlerkönig anwesend und der Fremdling ein Freund desselben sei.

Dieser Vorhang hatte einen schmutzig-gelben Lackfarbengrund, auf welchem allerlei phantastisches Getier, Götterköpfe und ähnliches aufgetragen war, aber so dick, daß das fast brettsteife Gemälde nur sehr schwer in Falten zu bringen war. Es sah vielmehr aus, als ob der Dicke sich mit einer höchst unregelmäßig gefalzten chinesischen Wand umgeben habe, aus welcher nur vorn die Hände und oben der Kopf sich an das Licht des Tages wagen durften.

Und auf diesem Kopfe saß eine hohe, spitze, zuckerhutförmige Soldatenmütze, an deren vorderer Seite das Zerrbild eines Drachen befestigt war. Zu beiden Seiten hingen Schutzklappen hernieder, welche der Mijnheer unter seinem Kinn zusammengebunden hatte.

So kam er, um die steife Malerleinwand nicht zu zerbrechen, langsam herein- und vorsichtig nähergeschritten. Seine Freunde mußten sich die größte Mühe geben, nicht in ein lautes Lachen zu fallen, denn durch diese schauderöse Umhüllung war der sonst schon außergewöhnliche Umfang des Dicken wenigstens verdoppelt worden.

»Hier ben ik weder, Mijnheeren,« sagte er gravitätisch. »Mijne gezondheid is weder zeer goed, en ik heb eenen honger, dat mijn mag bot beneden toe de voeten gat - hier bin ich wieder, meine Herren. Meine Gesundheit ist wieder sehr gut, und ich habe einen Hunger, daß mein Magen bis herab zu den Füßen reicht.«

»Nun, dann sind Sie ja nicht tot!« antwortete der Methusalem.

»Neen, daar denk ik niet daaraan. Waaneer eten wij - nein, da denk' ich nicht daran. Wann essen wir?«

»Jetzt noch nicht. Wollen Sie sich nicht setzen?«

»Nee, dat kan ik niet.«

»Warum nicht?«

»Omdat mijn keizermantel breekt - weil mein Kaisermantel zerbricht.«

»So müssen Sie freilich stehen, bis Ihre Kleidung trocken geworden ist. Uebrigens die Mütze steht Ihnen ausgezeichnet!«

»Ja. Zij is van het kanonenvolk. Waar zijn mijne geweeren - ja. Sie ist von der Artillerie. Wo sind meine Gewehre?«

»Die haben wir einstweilen ab- und auch ausgetrocknet. Ihren Ranzen mußten wir geradezu ausgießen.«

»Wat?« fragte er schnell und in besorgtem Tone. »Was zoo vel water daarin - was? War so viel Wasser drin?«

»Ja.«

»O mijn ongelukk! Wat zal ik maken?«

Er rief das in einem so jämmerlichen Tone, als ob es sich wirklich um das größte Unheil handle. Der Ranzen lag auf der Bank, von welcher er ihn wegnehmen wollte; aber das ging nicht, da er sich wegen seines steifen »Kaisermantels« nicht bücken konnte.

»Was ist's?« fragte der Methusalem. »Warum erschrecken Sie so?«

»Wat het geeft? Lieve hemel, ik heb mijne wissels daarin!«

»Ihre Wechsel? Wohl eingenäht?«

»Ja; ik heb zij daarin geschoben. O, wat ben ik geschrokken - ja, ich habe sie darin versteckt. O, was bin ich erschrocken!«

»Dann nur schnell heraus mit ihnen, sonst werden sie zu schanden!«

»Dat God verhoede! Maakt op, maakt op - das wolle Gott verhüten! Macht auf, macht auf!«

Degenfeld trennte das Futter los, welches glücklicherweise aus Wachsleinwand bestand und die Feuchtigkeit leidlich abgehalten hatte, so daß dieselbe nur bis auf das starke Couvert gedrungen war, in welchem die Wertpapiere steckten.

»Steekt zij de wissels voor korte tijd in uwen zak! In mijnem keizermantel is geen zak - stecken Sie die Wechsels für kurze Zeit in Ihre Tasche! In meinem Kaisermantel ist kein Sack.«

So war denn auch in dieser Beziehung der Unglücksfall gut abgelaufen. Selbst der Mütze hatten die elementaren Gewalten nichts anhaben können. Turnerstick hatte sie ausgedrückt und dem dicken Hausgötzen, welcher in einer Ecke des Zimmers thronte, auf das kugelrunde Haupt gesetzt, damit sie auf diesem ehrwürdigen Platze trocknen solle.

Mittlerweile wurde es draußen dunkel, und der Wirt brachte einige Lampen herein - wirkliche Petroleumlampen mit Breitbrenner und Cylinder, ein zweites, sicheres Zeichen, daß man sich in der Nähe des Onkels Daniel befand.

Dann wurden die Tische zum Mahle gerüstet, und Liang-ssi ging, seine Mutter und die Schwestern zu holen. Als sie kamen, wurde der erste Gang aufgetragen, eine dünne Suppe, in welcher geröstete Fischflossen lagen.

Die Damen waren ebenso gekleidet wie am Nachmittage.

Sie erhielten die Ehrenplätze, die Mutter obenan und die Töchter ihr zu beiden Seiten, was ihnen bisher jedenfalls noch nie geschehen war. Neben der einen Tochter saß der Bettlerkönig und neben der andern der Methusalem. Beide gaben sich alle Mühe, durch rücksichtsvolle Aufmerksamkeit die Damen von ihrer großen Befangenheit zu befreien, was ihnen aber nicht gelingen wollte. Es wurde ihnen nur sehr selten eine kurze, kaum hörbare Antwort zu teil.

Die Gerichte bestanden aus verschieden zubereiteten Fischen und dem ebenso vielfältig gekochten, gebackenen und gebratenen Fleische jenes Tieres, welches der Mohammedaner ebenso wie der Jude verachtet, während der Chinese es in großen Mengen züchtet; ein österreichischer Dichter hat ihm sogar eine Stotter-Ode gewidmet, deren erste Strophe folgendermaßen lautet

»Ich kenne ein lie-lie-lie-liebliches Tier;
  Dem schenk' ich a-lle A-achtung.
Es lebt auf je-jedem Ba-bauerhof hier
  Und auch auf je-jeder Pa-pachtung,
Es stammt aus dem Bako-ko-konyer Wald
  Und lebt von dem, wa-was es frißt.
Es schmeckt wa-wa-warm, und es schmeckt ka-ka-kalt,
  Wenn's saftig gebraten i-ist.«

Daß der Mijnheer es nicht mit den Mohammedanern hielt, sondern mit denjenigen verständigen Völkern, welche dem betreffenden Rüsseltiere die demselben gebührende Ehre gern und voll angedeihen lassen, das bewies er auf das energischeste. Er langte zu und ließ sich zulangen, solange es etwas gab. Die anderen waren satt, da aß er noch immer. Und als da noch auf einem großen Teller die Krone des Speisezettels hereingetragen wurde, wobei der Wirt mit lauter, triumphierender Stimme rief: »Siao-t'ün!« so verstand der Dicke zwar die chinesische Bezeichnung nicht, aber er erkannte das jugendliche Geschöpf in der knusperig gebratenen Haut und rief entzückt aus:

»Een klein, gebraden varken! Dat is goed! Dat eet ik, dat eet ik op; ja wel, ik eet het varken zekerljk al op - ein kleines Bratferkel! Das ist gut! Das esse ich, das esse ich auf; jawohl, ich esse das Ferkel sicherlich ganz auf!«

Er machte sich mit einem Eifer darüber her, als ob er noch gar nichts gegessen habe. Und das that er stehend, da er nicht sitzen konnte. Der Methusalem bekam wirklich Angst, daß er sich Schaden thun werde, und nur aus diesem Grunde verlangte er auch für sich ein Stück und forderte den Kapitän und den Gottfried mit einem bezeichnenden Blicke auf, ein Gleiches zu thun. Das übrige aber wurde von dem tapfern Dicken wirklich »opgegeten«.

Zuletzt gab es für die Damen Thee und für die Herren Raki und einen Reiswein, welcher besser war als derjenige, den sie früher getrunken hatten.

Die Damen, welche nur äußerst wenig genossen hatten, da es für eine Chinesin unschicklich ist, vor fremden Augen die Hände wiederholt sehen zu lassen, wurden, nachdem sie sich höchst ceremoniell verabschiedet hatten, nach Tische von Liang-ssi und Jin-tsian nach Hause begleitet. Die Zurückbleibenden hatten sich beim Scheiden auf das höflichste für ihr Erscheinen bedankt.

Nun war es Zeit geworden, zur Ruhe zu gehen. Der T'eu hielt Wort; er ließ sich selbst durch die dringendsten Bitten der Fremden nicht bestimmen, die ihnen zugesagten Räume für sich und seine Begleiter zu nehmen. Er schlief mit denselben in der Gaststube, in welcher gegessen worden war.

Die Schlafzimmer bestanden übrigens aus den leeren vier Wänden, in welchen niedrige Rohrgestelle standen, die mit Hilfe der mitgebrachten Decken in Betten verwandelt werden mußten. Sie waren je für zwei Personen eingerichtet. Der Methusalem war mit Richard und der Gottfried mit dem Mijnheer beisammen. Letzterer fand seine getrockneten Kleider vor und entledigte sich schleunigst des heidnischen Mantels, indem er brummte:

»Deze gordijne hat mij al mijnen lichaam opgewreven. Ik dank daarvoor en word nimmer weder in 't water vallen! Gesteld dat de lucht niet zoo goed ware geweest, zoo ware ik nook voor de middernacht dood; ik ware gestorven aan de ontsteking van mijne long en lever - diese Gardine hat meinen ganzen Leichnam aufgerieben. Ich danke dafür und werde niemals wieder in das Wasser fallen! Angenommen, daß die Luft nicht so gut gewesen wäre, so wäre ich noch vor Mitternacht tot; ich wäre gestorben an der Entzündung meiner Lunge und Leber!«

»Ja, dat ist wahr,« stimmte der Gottfried heimlich lachend bei. »Die hiesige Luft ist ausjezeichnet; sie scheint in hohem Jrade heilsam zu sein.«

»Dat is zij, en daarom zal ik hier blijven - das ist sie, und darum werde ich hier bleiben.«

»Ist's Ihr Ernst? Wollen Sie wirklich dat Jeschäft des Onkels Daniel kaufen?«

»Ja, ik koop al de fabriek - ja, ich kaufe die ganze Fabrik.«

»Notabene, wenn er Lust hat, sie zu verkaufen. Prächtig wäre dat freilich. Er könnte da mit uns nach Deutschland jehen und auf seine chinesischen Lorbeeren dort ausruhen.«

»En ik hier op meinen nederlandischen peper. Doch voor hedendaags leg ik mi op dit bed. Ik wil slapen - und ich hier auf meinem niederländischen Pfeffer. Doch für den heutigen Tag lege ich mich auf dieses Bett. Ich will schlafen!«

»Ja, aber nicht schnarchen!«

»Ik? Dat mak ik niets. Ik slaap zeer stil en mooi; dat kunnt gij geloven - ich? Das thue ich nie. Ich schlafe sehr still und artig; das können Sie glauben!«

Aber bereits nach zehn Minuten schnarchte er in der Weise, daß der Gottfried während der ganzen Nacht von Erdbeben und Kanonendonner träumte und am Morgen herzlich froh war, als er sah, daß ihn weder eine Kugel getötet noch die Erde verschlungen habe.

Als die Reisenden am anderen Morgen in das Gastzimmer traten, fanden sie den T'eu schon in voller Geschäftsthätigkeit. Er hatte gestern bereits Boten nach den umliegenden Orten gesandt, und die Sian-yos1) derselben waren am frühen Tage gekommen, ihm ihre Abgaben zu bringen, durch welche sie sich von dem Besuche seiner Untergebenen, der Bettler, loskauften.

Das war ein sehr lebhaftes Feilschen und Handeln, bei welchem sich aber nur derjenige seiner Offiziere beteiligte, zu dessen Bezirk diese Ortschaften gehörten. Der T'eu sprach stets nur das letzte, entscheidende Wort dazu, und der Methusalem fand, daß die Beträge, welche gezahlt wurden, äußerst gering waren. Es wurde für die Familie nach unserem Gelde kaum ein Groschen berechnet. Ledige selbständige Personen hatten nur die Hälfte zu geben, und dafür waren diese Orte ein ganzes Vierteljahr lang frei von allen Bettelbesuchen. Ein chinesischer T'eu duldet in seinem Bereiche keinen Armen, welcher auf eigene Rechnung betteln geht.

Nach Beilegung dieser Angelegenheit wurde gefrühstückt, wobei der Mijnheer schon wieder wacker in das Gefecht ging, und dann brach man auf.

Liang-ssi und Jin-tsian ritten natürlich auch mit. Der Dicke bat, ihn heute nicht anzubinden, und hielt sich während des ganzen Rittes auch recht leidlich im Sattel.

Was von der Bevölkerung laufen konnte, begleitete den Trupp bis hinaus vor das Dorf, wo ein Nebenflüßchen ein schmales Seitenthal durch die Bergkette gerissen hatte. Diesem Thale mußte man folgen, um in die erwähnte kohlenreiche Ebene zu gelangen. Der T'eu versicherte, daß man schon am zeitigen Nachmittag in Ho-tsing-ting sein werde.

Der Methusalem hielt sich vorzugsweise zu diesem Manne, welcher selbstverständlich ein ausgezeichneter Kenner chinesischer Zustände war. Von ihm konnte und wollte er lernen und erhielt über alles, was er fragte, die ausführlichste Auskunft und Belehrung. Zuweilen gesellte er sich aber auch zu den Gefährten, welche sich für sich halten mußten, weil sie sich mit den Begleitern des Bettlerkönigs nicht genügend zu verständigen vermochten.

Richard Stein und der Methusalem hatten einige Worte und Redensarten mit ihnen gewechselt. Der Dicke versuchte es gar nicht, seine drei oder vier Worte, welche er sich gemerkt hatte, an den Mann zu bringen. Er unterhielt sich aber trotzdem ganz gut mit ihnen, indem er ihnen zuweilen freundlich zunickte oder ihnen ein sehr wohlwollendes Lächeln von seinem fetten Gesicht entgegenglänzen ließ. Turnerstick aber hatte es nicht lassen können, mit seinen berühmten Sprachkenntnissen zu glänzen, war aber natürlich nicht verstanden worden. Darum sagte er zu dem Methusalem, als dieser sich wieder einmal für kurze Zeit zu ihnen gesellte, in mürrischer Weise:

»Da reiten Sie nun immer neben diesem T'eu daher! Ich weiß nicht, was Sie an ihm und seinen Leuten finden!«

»Nun, alles was ich suche, nicht mehr und nicht weniger.«

»Ich aber gar nichts. Diese Menschen verstehen nicht einmal ihre eigene Muttersprache!«

»Warum aber verstehen sie denn mich?«

»Weil Sie ein ebenso horribles Chinesisch sprechen wie sie. Ich habe gestern und heute nicht eine einzige gescheite Endung zu hören bekommen. Höchstens wenn einmal von dem Wohnorte des Onkels Daniel die Rede war. Ho-tsing-ting, das ist wirklich echt chinesisch. Ing, ang, ong, ung und eng. Merken Sie sich das endlich doch einmal! Ich will herzlich froh sein, wenn wir zum Onkel kommen, denn ich hoffe, daß er so gut und gewandt spricht, daß ich mich mit ihm unterhalten kann.«

»Jedenfalls, da er lange genug in China gelebt hat.«

»Was wird er für Augen machen, wenn er Deutsche kommen sieht!«

»Deutsche? Meinen Sie, daß er uns sofort als solche erkennen werde?«

»Er wird es aus Ihren Studentenanzügen erraten.«

»Dergleichen werden auch an den Universitäten anderer Länder getragen. Uebrigens möchte ich ihm nicht gleich sagen, was wir wollen und wer wir sind.«

»Warum?«

»Um ihn dann desto mehr zu überraschen. Er wird allerdings sehen, daß wir des Studiums Beflissene sind, aber -«

»Ik ook?« unterbrach ihn der Dicke.

»Nein, denn Sie sind nur ein der lieben Ernährung Beflissener. Aber wir können uns als englische Bursche ausgeben, welche sich auf einer Studentenfahrt rund um die Erde befinden. Engländern ist so etwas wohl zuzutrauen.«

»Gut! Und ich bin der Kapitän, mit dessen Schiffe Sie die Fahrt unternehmen. Nicht?«

»Ja.«

»En ik? Wat ben ik?« fragte der Mijnheer.

»Wat sind Sie?« antwortete der Gottfried. »Sie sind natürlich kein andrer als der dicke Kaffernhäuptling Cetewayo, den wir mit nach London nehmen wollen, um ihm zu lehren, wie ein juter Plumpudding jemacht wird!«

»Zoo! En gij, wat zijt gij, Mijnheer? Gij zijt dat ongelukkige Nijlpaard, dat ik in Londen zien laten wil, namelijk voor geld, een Schilling van ieden Mijnheer van goeden huize en een halfen Schilling van ieden baardscheerder, penseelmaker en hoogeschoolfagotblazer - so! Und Sie, was sind Sie, Mijnheer? Sie sind das unglückliche Nilpferd, welches ich in London sehen lassen will, nämlich für Geld, einen Schilling von jedem Herrn aus gutem Hause und einen halben Schilling von jedem Bartscherer, Pinselmacher und Universitätsfagottbläser!«

»Sehr gut!« lachte Gottfried. »Da haben Sie mir jewaltig ablaufen lassen, und ik jestehe, dat ik es wohl verdient habe. Aberst es war nicht so jemeint, und es fuhr mich nur so heraus, weil Sie dick sind und der Kaffer auch. Darum nichts für unjut, oller Schwede! Ich bleibe doch Ihr bester Freund, den Sie haben, und wir können uns also janz jut von- und miteinander fürs Jeld sehen lassen. Nicht?«

»Neen! Ik wil weten, wat ik in Ho-tsing-ting zijn zal - nein! Ich will wissen, was ich in Ho-tsing-ting sein soll.«

»Wat Sie für eine Rolle spielen sollen? Essen Sie und trinken Sie! Dat wird wohl das beste sein.«

»Ja, dat is goed; dat laat ik geern gelden. Gij zijt mijn vriend, en ik heb zij zeer liev - ja, das ist gut; das lasse ich gern gelten. Sie sind mein Freund, und ich habe Sie sehr lieb.«

Bei diesen Worten, welche der gute Mensch nicht etwa ironisch, sondern in vollem Ernste aussprach, reichte er dem Gottfried seine Hand hinüber, welche derselbe herzhaft drückte.

»So ist's recht,« sagte der Methusalem. »Freunde dürfen scherzhafte Worte nicht auf die Goldwage legen. Aber, Gottfried, hüte deine Zunge besser! Wer sich zu schnell gehen läßt, der muß sich darauf gefaßt machen, einmal derb angehalten zu werden. Du wirst mir, wie schon oft gesagt, zuweilen zu üppig.«

»Davon ist mich nichts bewußt, und wat ich dem Mijnheer sagte, dat war nur eine kleine und sehr jerechte Rache.«

»Wofür?«

»Für seine Dampfsäge.«

»Ah! Hat er heute nacht geschnarcht?«

»Jeschnarcht! Wat dat für ein jelinder und nachsichtiger Ausdruck ist! Jesägt hat er! Baumstämme hat er auseinander jerissen und zu Brettern verschnitten, Baumstämme so stark und lang wie ein Leuchtturm, dat die Latten und Schalen nur so abjeflogen sind!«

»Neen,« protestierte der Dicke. »Dat kan ik niet. Daarvan wet ik niets - nein. Das kann ich nicht. Davon weiß ich nichts.«


1) : Schultheißen.


(Fortsetzung folgt.)



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