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Erstes Kapitel. Das Kleeblatt.

Wer auf dem gewöhnlichen Wege von El Paso del Norte über den Rio Colorado nach Kalifornien hinüber wollte, der kam, bevor er Tucson, die Hauptstadt von Arizona erreichte, vorher nach der alten Mission San Xavier del Bac, welche ungefähr neun Meilen von Tucson entfernt liegt. Diese Mission wurde im Jahre 1668 gegründet und ist ein so prächtiges Bauwerk, daß es den Wanderer mit Staunen erfüllt, ein so glänzendes Monument der Zivilisation mitten in den Wildnissen von Arizona anzutreffen.

An jeder Ecke des Gebäudes erhebt sich ein hoher Glockenturm; die Front ist mit phantastischen Ornamenten reich verziert; die Hauptkapelle trägt eine große Kuppel und über den Mauern sind massive Simskränze und geschmackvolle Verzierungen angebracht.


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Dieses Bauwerk würde jeder großen Stadt, jeder Residenz zur Zierde gereichen.

Diese Mission ist zum Teil von einem Dorfe umgeben, in dem zur Zeit, in welcher unsre Erzählung spielt, Papago-Indianer in der Stärke von vielleicht dreihundert Seelen wohnten. Diese Papagos waren und sind noch heute ein friedfertiger, arbeitsamer und den Weißen wohlgesinnter Stamm, dessen Angehörige ihr Gebiet durch ein künstliches Bewässerungssystem wunderbar ergiebig gemacht haben und mit Weizen, Korn, Granaten, Kürbissen und andern Früchten und Lebensmitteln fleißig bebauen.

Leider hatten diese braven, arbeitsamen Menschen sehr viel von und unter dem weißen Gesindel zu leiden, welches sich Arizona zum Tummelplatze auserkoren hatte. Dieses ringsum von Gebirgen und Wüsten eingeschlossene Territorium besaß so gut wie gar keine Verwaltung; der Arm der Gerechtigkeit konnte nur schwer oder gar nicht über die Grenzen hereinreichen, und so zogen sich Hunderte und aber Hunderte, welche mit dem Gesetze zerfallen waren, aus Mexiko und den Staaten herein, um ein Leben zu führen, dessen Grundlage in der rohesten Gewaltthätigkeit bestand.

Zwar lag in der Hauptstadt Militär, welches die Aufgabe hatte, für die öffentliche Sicherheit zu sorgen; aber es waren nur zwei Kompagnien, also viel zu wenig für einen so weiten Bereich von gegen 300 000 Quadratkilometer, und dazu standen die Verhältnisse so, daß diese Helden froh waren, wenn sie selbst von dem Gesindel in Ruhe gelassen wurden. Hilfe konnte von ihnen wohl kaum erwartet werden. Das wußten die außerhalb des Gesetzes Stehenden nur zu wohl und zeigten darum eine Frechheit, welche geradezu ihresgleichen suchte. Sie wagten sich, in Banden versammelt, bis in die unmittelbare Nähe von Tucson heran, und niemand getraute sich nur eine Viertelstunde weit zu entfernen, ohne ein Arsenal von Waffen mit sich zu führen. Ein amerikanischer Reisender schildert die damaligen Zustände in folgender Weise:

»Die verzweifeltsten Schurken von Mexiko, Texas, Kalifornien und den andern Staaten fanden in Arizona sichere Zuflucht vor dem Strafrichter. Mörder und Diebe, Gurgelabschneider und Spieler bildeten die Masse der Bevölkerung. Alle Welt mußte bewaffnet sein, und blutige Scenen bildeten das tägliche Vorkommnis. Von einer Regierung war nicht die Rede, noch weniger von Gesetzes- oder Militärschutz. Die Beschäftigung der Besatzung von Tucson bestand darin, daß sie sich betrank und alles gewähren ließ. So war Arizona vielleicht der einzige unter der schützenden Aegide einer zivilisierten Regierung stehende Punkt des Landes, wo jedermann die Justiz in seinem Interesse handhabte.«

Da traten drüben in San Franzisko rechtlich denkende, mutige Männer zusammen, um einen »Sicherheitsausschuß« zu bilden, welcher zwar zunächst seine Thätigkeit über Kalifornien erstrecken sollte, bald aber sein kräftiges Walten auch im benachbarten Arizona bemerken ließ. Kühne Gestalten tauchten bald hier und bald dort, bald einzeln und bald zu Trupps vereinigt, im Lande auf, um dasselbe von den Verbrechern zu säubern, und nie verschwanden sie wieder, ohne die deutlichsten Spuren davon zurückzulassen, daß sie Gericht gehalten hatten. - -

Bei den Papagos von San Xavier del Bac hatte sich ein Irländer niedergelassen, welcher wohl auch aus keinem ehrbaren Grunde nach Arizona gekommen war. Er hatte da einen Laden eröffnet und behauptete, alle möglichen Gegenstände zu verkaufen; in Wirklichkeit aber konnte man bei ihm fast weiter nichts bekommen als einen Schnaps, für dessen Selbstfabrikation und Verkauf er die Bezeichnung eines Giftmischers verdiente. Sein Ruf war ein solcher, daß ehrliche Leute nicht bei oder mit ihm verkehrten.

Es war ein wunderbar schöner Apriltag, als er an einem der rohen Tische saß, welche vor seiner aus Luftziegeln errichteten Hütte standen. Er schien bei schlechter Laune zu sein, denn er klopfte mit dem leeren Schnapsglase auf die Platte des Tisches, und als nicht sofort jemand erschien, ihm dasselbe zu füllen, rief er, sich nach der offenen Thür wendend, in zornigem Tone:

»Holla, alte Hexe! Hast du keine Ohren? Brandy will ich haben, Brandy! Mach schnell, sonst helfe ich nach!«

Da trat eine alte Negerin mit der Flasche aus der Hütte und füllte ihm das Glas. Er leerte es in einem Zuge, ließ sich wieder eingießen, und während sie dies that, sagte er:

»Den ganzen Tag kein einziger Gast zu sehen! Die roten Halunken wollen das Trinken nicht lernen. Wenn dann auch kein Fremder kommt, kann ich mich hersetzen und mir Löcher in den eigenen Magen brennen!«

»Nicht allein sitzen,« begütigte die Alte. »Gäste kommen.«

»Woher weißt du das?« fragte er.

»Hab' sehen.«

»Wo?«

»Auf Weg von Tubac her.«

»O wirklich? Wer ist's?«

»Nicht wissen. Alte Augen nicht erkennen. Es Reiter sein, viele Reiter.«

Auf diese Worte hin stand er auf und eilte um die Ecke der Hütte. Von dort aus konnte er den Weg nach Tubac überblicken. Dann kam er schnell zurück und rief der Alten zu:

»Es sind die Finders, verstanden, die Finders, und zwar alle zwölf! Die verstehen es, zu trinken; da blüht der Weizen. Schnell hinein; wir müssen Flaschen füllen!«

Beide verschwanden in der Hütte. Nach einigen Minuten kamen zwölf Reiter in das Dorf, hielten vor der Hütte an und sprangen von den Pferden, die sie dann frei laufen ließen. Es waren wilde Gestalten von verwegenem Aussehen und so gut bewaffnet, wie es in dieser Gegend und bei den jetzigen Verhältnissen für jedermann nötig war. Einige trugen mexikanische Kleidung; die andern stammten aus den Staaten; das sah man ihnen deutlich an. Eins aber hatten sie alle gemein: es gab keinen einzigen unter ihnen, der ein vertrauenerweckendes Aussehen besaß.

Sie lärmten und schrieen roh durcheinander, warfen sich Scheltworte zu, einer von ihnen trat an die geöffnete Thür, zog seinen Revolver, gab einen Schuß in das Innere


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der Hütte ab und rief dann hinein: »Hallo, Paddy! Bist du daheim oder nicht, alter Giftmischer? Komm heraus mit deiner Schwefelsäure; wir haben Durst!«

Paddy ist bekanntlich die scherzhafte Bezeichnung des Irländers. Der Wirt erschien mit einer vollen Flasche unter jedem Arme und zwölf Gläsern in den Händen. Die Gläser auf zwei Tische setzend und sie dann füllend, antwortete er:

»Bin schon da, Mesch'schurs. Waret schon angemeldet; meine Schwarze hat euch kommen sehen. Hier, trinkt, und seid gebenedeiet in meinem Hause!«

»Behalte die Benediktion für dich, alter Spitzbube, außer sie soll als Vorbereitung zum Tode gelten! Wer dein Zeug trinkt, begeht einen Selbsttotschlag.«

»Schlagt euch nur immer tot, Mr. Buttler; werde euch mit einer weiteren Flasche wieder auferwecken. Haben einander seit Wochen nicht gesehen. Wie ist's inzwischen ergangen? Gute Geschäfte gemacht?«

»Gute?« antwortete Buttler mit einer wegwerfenden Handbewegung und indem er den Inhalt seines Glases hinunterstürzte, worin ihm seine Kameraden folgten. »Miserabel ist's gegangen, armselig wie noch nie. Haben nicht ein einziges Geschäft gemacht, welches der Rede wert gewesen wäre.«

»Aber warum? Ihr werdet doch die Finders genannt und nennt euch selbst auch so. Habt ihr die Augen nicht offen gehalten? Ich glaubte, heut ein gutes Geschäft mit euch machen zu können.«

»Das heißt, du wolltest uns den erwarteten Raub abkaufen und uns dabei wieder betrügen, wie du ja immer thust. Diesmal aber gibt es nichts, wirklich nichts. Den Roten ist nichts mehr abzunehmen, und wenn man einem Weißen begegnet, so ist er selbst einer, der in andrer Leute Taschen greifen muß. Dazu kommt der Sicherheitsausschuß, den der und jener holen möge! Was haben diese Halunken sich in unser Geschäft zu mischen? Was kümmert es sie, wenn wir da ernten, wo wir nicht, aber auch sie nicht, gesäet haben. Wahrlich, man muß jetzt darauf vorbereitet sein, aus jedem Strauche, an welchem man vorüberkommt, die Läufe einiger Doppelgewehre hervorblicken zu sehen! Aber Aug' um Aug', Zahn um Zahn! Wir haben uns vorgenommen, jeden ohne Gnade und Barmherzigkeit aufzuhängen, der den Verdacht in uns erweckt, zu diesem Vigilanzausschusse zu gehören. Hast du vielleicht dergleichen Burschen bei dir bemerkt, Paddy?«

»Hm!« brummte der Wirt. »Traut ihr mir zu, allwissend zu sein? Kann man es einem Menschen an der Nase absehen, ob er vigiliert oder, wie ihr, massakriert?«

»Blamiere dich nicht, Paddy! Ein Vorstehhund ist von einem Bluthund leicht zu unterscheiden, auch wenn beide Menschen sind. Ich gebe dir mein Wort, daß ich jedem Menschen, der zu diesem Ausschusse gehört, dies auf fünfzig Schritt Entfernung ansehe. Doch jetzt einstweilen von etwas anderm. Wir haben Hunger. Hast du Fleisch?«

»Nicht so viel, wie man auf die Zungenspitze bringen kann.«

»Eier?«

»Kein einziges. Lauft stundenweit herum, und ihr werdet kein Schlachttier noch eine Henne finden. Daran sind euresgleichen schuld, welche überall aufgeräumt haben.«

»Aber Brot?«

»Nur Maisfladen, und auch die müssen erst gebacken werden.«

»So mag deine Negerin backen; für frisches Fleisch werden wir selbst Sorge tragen.«

»Ihr? Ich habe euch doch schon gesagt, daß nichts zu finden ist.«

»Pshaw! Wir haben doch gefunden.«

»Was?«

»Einen Ochsen.«

»Wohl gar! Unmöglich! Wo denn?«

»Unterwegs, da hinten im Thale von Santa Cruz. Notabene, dieser Ochse gehört zu einem Wagenzuge, dem wir begegnet, oder vielmehr, an dem wir vorübergeritten sind.«

»Ein Wagenzug? Vielleicht Emigranten?«

»Wahrscheinlich; vier Wagen, jeder mit vier Ochsen bespannt.«

»Wieviel Menschen?«

»Weiß ich nicht genau. Es waren nebst den Ochsenlenkern noch einige Reiter bei den Wagen. Wieviel Personen im Innern saßen, konnte ich nicht sehen.«

»Aber gesprochen habt ihr doch mit ihnen?«

»Ja. Sie wollen über den Colorado hinüber und werden heut nacht hier Rast halten.«

»Hier? Hm! Hoffentlich geschieht nichts, was unsern guten Ort in Verruf bringen könnte, Sir!«

Er machte bei diesen Worten eine nicht mißzuverstehende Gebärde.

»Keine Sorge!« antwortete Buttler. »Wir wissen unsre Freunde zu schonen. Freilich, der Wagenzug muß unser werden, aber erst, wenn er sich jenseits Tucson befindet. Hier werden wir uns bloß einen Ochsen holen, weil wir Fleisch brauchen.«

»Mit der Absicht etwa, ihn zu bezahlen? Es wird diesen Leuten nicht einfallen, ein Zugtier zu verkaufen.«

»Unsinn! Was fällt dir ein, Paddy! Wir nehmen wohl, aber wir bezahlen nie; das weißt du ja. Wenn wir bei dir einkehren, ist es freilich anders. Du bist unser Hehler, und dich bezahlen wir nicht bloß, sondern wir lassen uns sogar von dir betrügen. Uebrigens werden uns diese Leute nicht viel Widerstand leisten. Es gab da vier Ochsentreiber, die wir kaum rechnen, zwei Knaben zu Pferde und den Scout (*Pfadfinder.), den sich die Emigranten gemietet haben. Dieser letztere allein ist zu fürchten, doch werden wir zwölf schnell mit ihm fertig werden. Er bekommt die erste Kugel. Wer in den Wagen saß, weiß ich nicht, wie bereits gesagt; aber wer so weichlich ist, sich unter die Plane zu stecken, von dem haben wir keine ernste Gegenwehr zu erwarten. Dann ritt noch so eine Figur hinterdrein, von der ich wahrlich nicht zu sagen vermag, ob sie eine männliche oder eine weibliche gewesen ist, obgleich sie ein Gewehr überhängen hatte und unter dem Mantel sogar einen


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Säbel zu tragen schien. Ich redete auch diese Gestalt an, bekam aber eine höchst kurze Antwort, die ich nicht verstand. Wenn ich mich nicht irre, ist es Deutsch gewesen.«

»Welch ein Blödsinn! Wer hier einen Säbel trägt, der ist verrückt und jedenfalls nicht zu fürchten. Ihr werdet also diesen Zug überfallen?«

»Gewiß.«

»Dann hoffe ich, daß ihr mich bei dem Geschäft beteiligen werdet!«

»Natürlich. Die Bedingungen sollst du sofort hören.«

Da jetzt die alte Negerin aus der Hütte trat, um die Gäste zu bedienen, steckten die beiden die Köpfe zusammen, um ihr Gespräch leise fortzusetzen. Die andern elf hatten auf dasselbe wenig geachtet und sich miteinander in überlauter Weise unterhalten, wobei sie dem Brandy so fleißig zusprachen, daß die leer gewordenen Flaschen bald mit vollen vertauscht werden mußten. Die Indianer des Ortes, welche währenddem ihren Beschäftigungen nachzugehen hatten, machten ziemliche Umwege, um nicht an der Schnapsbude vorüber zu kommen. Sie fürchteten sich vor den lärmenden Weißen, von denen ihnen die Erfahrung sagte, daß sie besser fern von denselben blieben.

Und dazu hatten sie allen Grund. Der Irländer hatte die zwölf Reiter mit dem Namen »the Finders« bezeichnet. So wurde eine überall gefürchtete Gesellschaft von Freibeutern genannt, die sich seit längerer Zeit im südlichen Arizona berüchtigt gemacht hatte. Sie tauchte bald hier, bald dort, oft geteilt und an verschiedenen Orten zu gleicher Zeit auf und entwickelte, da ihre Mitglieder sehr gut beritten waren, in Beziehung auf die Ortsveränderung eine solche Schnelligkeit, daß es noch niemand, selbst den Vigilanzmännern nicht, gelungen war, einem von ihnen beizukommen. Finder ist gleichbedeutend mit dem gleichlautenden deutschen Worte Finder, war hier aber wohl mit »die Findigen« zu übersetzen, weil ihnen nicht leicht eine Beute zu entgehen vermochte.

Plötzlich verstummte der Lärm vor der Schenkhütte, und aller Augen richteten sich verwundert auf drei neue Ankömmlinge, welche auf dem Platze erschienen. Das Aussehen dieser drei Männer berechtigte allerdings einen jeden, der sie zum erstenmal sah, verwundert zu sein. Sie waren von ihren Tieren gesprungen und gingen nach einem leerstehenden Tische, ohne, wie es den Anschein hatte, die anwesende Gesellschaft zu beachten.

Der vorderste von ihnen war ein kleines, sehr dickes Kerlchen. Unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines Filzhutes, dessen Farbe, Alter und Gestalt selbst dem schärfsten Denker ein nicht geringes Kopfzerbrechen verursacht haben würde, blickte zwischen einem Walde von verworrenen, schwarzgrauen Barthaaren eine Nase hervor, welche von fast erschreckenden Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. Infolge des gewaltsamen Bartwuchses waren außer diesem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den andern Gesichtsteilen nur zwei kleine, kluge Augen zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit dem Ausdrucke schalkhafter List die »Gifthütte« des Irländers überflogen, während ihr versteckter Blick eigentlich den zwölf Finders galt.

(Fortsetzung folgt.)


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Die beschriebene Oberpartie ruhte auf einem Körper, der bis auf die Kniee herab völlig unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen Jagdrocke stak, welcher augenscheinlich für eine bedeutend längere Person angefertigt worden war, aus Fleck auf Fleck und Flick auf Flick bestand und dem kleinen Männchen das Aussehen eines Kindes gab, welches sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung guckten zwei dürre, sichelkrumme Beinchen hervor, die in ausgefransten Leggins steckten, welche so hochbetagt waren, daß sie das Männchen schon vor Jahrzehnten ausgewachsen haben mußte, und die dabei einen umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in welchen zur Not der Besitzer in voller Person hätte Platz finden können. Die Füße hatten jene außerordentliche Dimension, von welcher man in Deutschland zu sagen pflegt: »Mit fünf Schritten über die Rheinbrücke hinüber.« In der Hand trug dieser Mann eine Flinte, die das Aussehen eines alten Prügels hatte, der im Walde abgeschnitten worden war. Die Waffen, welche wahrscheinlich in seinem Gürtel steckten, konnte man nicht sehen, weil der Jagdrock sie verdeckte.

Und sein Pferd? Es war kein Pferd, sondern ein Maultier, aber augenscheinlich ein so altes, daß die Eltern desselben kurz nach der Sündflut gelebt haben mußten. Die langen Ohren, mit denen es wie mit Windmühlenflügeln spielte, waren kahl; eine Mähne gab es wohl schon längst nicht mehr; der Schwanz bestand aus einem nackten Stummel, an wel-


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chem sich zehn oder zwölf Härchen langweilten, und dazu war das Tier wirklich zum Erschrecken dürr. Aber seine Augen waren hell wie bei einem jungen Füllen und von einer Lebhaftigkeit, einem Ausdrucke, welche wenigstens dem Kenner Respekt einzuflößen vermochten.

Derjenige, der ihm nach dem Tische folgte, war nicht weniger ein Original. Unendlich lang und entsetzlich fleischlos und ausgetrocknet, hing seine knochige Gestalt weit vornüber, so daß es schien, als gebe es für seine Augen keine andre Perspektive als diejenige auf seine beiden Füße, welche an zwei Beine gewachsen waren, deren Längsausdehnung einem angst und bange machen konnte. Ueber seine festen, kernigen Jagdschuhe hatte er ein Paar lederne Gamaschen geschnallt, welche noch ein gutes Stück des Oberschenkels bedeckten; der Leib steckte in einem eng anliegenden Kamisole, das mittelst eines breiten Gürtels, in und an welchem neben Messer und Revolver die verschiedensten kleinen Notwendigkeiten staken und hingen, zusammengehalten wurde; um die breiten, eckigen Schultern zog sich eine wollene Decke, deren Fäden die ausgedehnteste Erlaubnis hatten, nach allen Himmelsgegenden auseinander zu laufen, und auf dem kurzgeschorenen Kopfe saß ein Ding, nicht Tuch, nicht Mütze und auch nicht Hut, dessen Definition geradezu eine Sache der reinsten Unmöglichkeit war. Auf seiner Schulter hing eine alte, lange Rifle, die von weitem aus einem an einen Stock befestigten Wasserschlauch zu bestehen schien.

Der dritte und letzte war ebensolang und dürr, wie dieser zweite, hatte ein großes, dunkles Tuch turbanartig um den Kopf gewunden und trug eine rote Husarenjacke, welche sich auf irgend eine unbegreifliche Weise nach dem fernen Westen verirrt hatte, lange Leinenhose und darüber Wasserstiefel, an welche zwei riesige Sporen geschnallt waren. In seinem Gürtel steckten zwei Revolver und ein Messer vom besten Kingfieldstahl; sein Gewehr war eine jener doppelläufigen Kentuckybüchsen, welche in der Hand ihres Besitzers nie einen Schuß versagen und nie das Ziel verfehlen. Wollte man in der Physiognomie dieses Mannes nach irgend einer Eigentümlichkeit suchen, so fiel der sehr breite Mund auf, den er hatte. Die beiden Mundwinkel schienen eine ganz bedeutende Zuneigung für die Ohrläppchen zu besitzen und näherten sich denselben auf die zutraulichste Weise. Dabei besaß das Gesicht den Ausdruck der ehrlichsten Treuherzigkeit; der Besitzer desselben war jedenfalls ein Mann, in dem kein Falsch gefunden werden konnte.

Diese beiden letzteren waren mit Pferden beritten, die wohl schon viele Strapazen hinter sich hatten, aber noch weit mehr aushalten konnten.

Als die drei sich niedergesetzt hatten und der Wirt zu ihnen trat und nach ihren Wünschen fragte, erkundigte sich der Kleine:

»Was gibt's bei Euch zu trinken?«

»Brandy, Sir,« antwortete der Irländer.

»Gebt drei Gläser, wenn Ihr sonst weiter nichts habt!«

»Was soll es sonst hier geben? Oder wollt ihr vielleicht Champagner trinken? Ihr seht nicht so aus, als ob ihr ihn bezahlen könntet.«

»Leider, leider, ja,« nickte das Männchen mit bescheidenem Lächeln, »Ihr im Gegenteile seht mir ganz danach aus, als ob Ihr so einige hunderttausend Flaschen hier liegen hättet, wie mir scheint.«

Der Wirt entfernte sich, brachte das Verlangte und setzte sich dann wieder zu den zwölfen hin. Der Kleine setzte das Glas an die Lippen, kostete den Brandy, spuckte ihn aus und schüttete den Inhalt seines Glases auf die Erde. Seine beiden Gefährten thaten dasselbe, und der mit der Husarenjacke zog seinen Mund noch breiter, als er so schon war, und meinte:

»Pfui, Kuckuck! Ich glaube gar, dieser irische Spitzbube will uns mit seinem Brandy ermorden! Meinst du nicht auch, Sam Hawkens?«

»Yes,« antwortete der Kleine. »Wird ihm aber nicht gelingen. Wir drei vertragen schon noch so ein Gift, zumal wir es nicht trinken. Aber wie kommst du dazu, ihn einen irischen Spitzbuben zu nennen?«

»Wie ich dazu komme? Well! Wer den nicht sofort beim ersten Blicke für einen Irländer hält, der ist ein Dummkopf, wie er im Buche steht.«

»Sehr richtig! Aber daß du es ihm sofort angesehen hast, das wundert mich grad darum außerordentlich, hihihihi!«

Dieses »Hihihihi« war ein ganz eigenartiges, man möchte sagen, nach innen gerichtetes Lachen, bei welchem seine Aeuglein lustig funkelten. Man hörte, daß es ein Gewohnheitslachen war.

»Willst du damit etwa sagen,« fragte der andre, »daß ich sonst ein Dummkopf bin?«

»Sonst? Warum bloß sonst? Nein, immer, immer bist du einer, Will Parker! Ich habe dir nun schon fünfzehn Jahre lang gesagt, daß du ein Greenhorn (* Neuling.) bist, ein Greenhorn, wie mir noch keines vorgekommen ist. Wirst du mir es nun endlich einmal glauben?«

»Nein,« erklärte der andre, ohne sich durch dieses beleidigende Wort nur im geringsten aus der Fassung bringen zu lassen. »Nach fünfzehn Jahren ist man kein Greenhorn mehr.«

»Durchschnittlich, ja; aber wer selbst in diesen fünfzehn Jahren nichts gelernt hat, der ist noch immer eins und wird's auch immer bleiben, wenn ich mich nicht irre. Und eben daß du dies nicht einsiehst, das ist der sicherste Beweis, daß du noch jetzt ein Greenhorn bist. Was hältst du von den zwölf Gentlemen dort, die uns so neugierig beliebäugeln?«

»Viel Gutes nicht. Siehst du, wie sie lachen? Das gilt dir, alter Sam.«

»Mir? Wieso?«

»Weil es keinen Menschen gibt, der dich ansehen kann, ohne über dich zu lachen.«

»Freut mich, Will Parker, freut mich ungemein. Das gehört nämlich auch zu den vielen Vorzügen, welche ich vor dir besitze. Wer ein Auge auf dich wirft, möchte weinen, bitterlich weinen; bist eben ein trauriger Kerl, ein ganz trauriger, hihihihi!«

Sam Hawkens und Will Parker schienen in dem Ver-


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hältnisse einer immerwährenden lustigen Fehde zu einander zu stehen. Keiner nahm dem andern etwas übel. Der dritte hatte bis jetzt geschwiegen; nun zog er behaglich seine herabgerutschten Gamaschen in die Höhe, streckte die langen Beine weit von sich und sagte, indem ein derb ironisches Lächeln sich über sein hageres Gesicht ausbreitete:

»Wissen nicht, was sie aus uns machen sollen, diese Gentlemen. Stecken die Köpfe zusammen und werden doch nicht klug über uns. Feine Gesellschaft das; nicht, Sam Hawkens?«

»Ja,« nickte der Gefragte. »Laß sie sich die Köpfe zerbrechen, Dick Stone! Desto besser wissen wir, was wir von ihnen zu halten haben; Spitzbuben, was, alter Dick?«

»Yes. Ahnt mir sehr, daß wir ein Wörtchen mit ihnen werden sprechen müssen.«

»Mir auch. Und nicht nur ahnen! Halte es sogar für sicher, daß wir ihnen unsre Fäuste auf die Nasen setzen werden. Es sind grad genau die zwölf, auf deren Spur wir trafen.«

»Und die dann dem Wagenzuge folgten, um denselben erst heimlich zu beobachten.«

»Dann ritt der eine hin und fragte die Leute aus. Kommt mir verdächtig vor, sehr verdächtig! Sag 'mal, Will, hast du vielleicht einmal von den Finders gehört?«

»Gehört?« antwortete Parker. »Dir ist wohl dein Gedächtnis abhanden gekommen, altes Coon (* Abkürzung von Racoon = Waschbär.)? Hast ja selbst wiederholt von ihnen gesprochen!«

»Well, weiß das ganz genau. Fragte nur, um zu erfahren, ob du als Greenhorn endlich einmal gelernt hast, aufzupassen, wenn erfahrene Leute mit dir reden. Du weißt also noch, wie viel Finders es geben soll?«

»Zwölf.«

»Und wieviel Personen siehst du hier sitzen, geliebter Will?«

»Dreizehn,« lachte Parker vergnügt.

»Zieh den Wirt ab, Dummkopf!«

»Wie hätte ich das zu machen? Wird er es ruhig hinnehmen, daß ich ihn abziehe?«

»Bist und bleibst ein Greenhorn durch und durch! Hätte gar nichts dagegen, wenn du selbst abzögest! Hast noch nicht mal gelernt, einen Irländer abzuziehen; darum will ich deinem schwachen Verstande zu Hilfe kommen und dir sagen, daß ohne ihn zwölf Personen dort sitzen. Begreifst du das, süßer Parker?«

»Yes, lieber Sam. Kenne dich genau und wußte also, daß du ihn selbst gern abziehen möchtest. Darum habe ich mich verstellt und so gethan, als ob ich im Subtrahieren grad so wenig leistete wie du. Also zwölf sind's; du hast diesesmal gar nicht übel gerechnet, mein Sohn. Hoffentlich gibst du dir fernerhin die gleiche Mühe wie jetzt. Zwölf, hm! Das ist freilich auffällig!«

»Auffällig? Findest du das wirklich? Da hat das Greenhorn doch endlich 'mal eine Spur von Nachdenken verraten! Nun sag aber auch, wieso denn auffällig?«

»Sie sind zwölf, und die Finders sollen auch zwölf sein,« antwortete Parker mit unerschütterlicher Ruhe.

»Folglich -? Fahre weiter!«

»Folglich ist anzunehmen, daß sie vielleicht die Finders sind.«

»So ist es, geehrter Will. Hab sie sehr im Verdachte, sie seien es. Der Anführer soll Buttler heißen. Werden erfahren, ob ein Esquire dieses Namens bei ihnen ist.«

»Werden es dir gleich sagen!«

»Keine Sorge! Sind neugierig auf uns, diese Gentlemen. Sehe ihnen an den Nasenspitzen an, daß bald einer von ihnen kommen wird, um uns zu interviewen. Gebt ihnen nur keine Auskunft. Bin neugierig, wie sie es anstellen werden.«

»Höflich jedenfalls nicht,« meinte Dick Stone. »Werden sie nicht allzu fein ablaufen lassen.«

»Warum?« fragte Sam Hawkens. »Meinst wohl, daß wir grob werden sollen?«

»Sogar sehr!«

»Fällt mir nicht ein! Wir drei werden zusammen >the leaf of trefoil< (*»das Kleeblatt«.) genannt; ist ein Ehrenname; dürfen ihm keine Schande machen; sind bekannt als drei zusammengehörige Gentlemen, welche dadurch berühmt sind, daß sie durch List und Höflichkeit mehr zu erreichen pflegen als durch Grobheit und Gewalt. So soll es auch hier sein, so und nicht anders.«

»Well; aber dann werden diese Burschen glauben, daß wir uns vor ihnen fürchten!«

»Mögen sie, mögen sie immerhin, alter Dick. Wenn sie es thäten, würden sie sehr bald einsehen, daß sie sich geirrt haben, und zwar sehr, hihihihi! Das Kleeblatt, und sich fürchten! Kann darauf schwören, daß wir mit ihnen zusammengeraten. Wollen den Wagenzug überfallen, was wir nicht dulden werden. Mögen also erst immer denken, daß wir Angst haben; werden dann schon bald erkennen, daß sie sich geirrt haben.«

»Willst du mit ihnen kämpfen?«

»Nein.«

»Aber doch sie unschädlich machen, wenn sie die Finders sind?«

»Ja.«

»Wird kaum ohne Kampf abgehen!«

»Meinst du? Pshaw! Dieses alte Coon« - dabei deutete er mit Behagen auf sich selbst- »hat zuweilen Gedanken, welche besser sind als Messerstiche und Flintenschüsse. Mache gern einen Spaß, und ist dabei ein Vorteil über die Gegner zu erringen, so ist es um so besser. Mag nicht gern Blut vergießen; man kann seiner Feinde Herr werden, auch ohne sie umzubringen und auszulöschen (* Trapperausdruck für töten). Habe da meine Vorbilder.«

»Weiß genau, wer diese Vorbilder sind.«

»Du weißt es wirklich? Nun, wer?«

»Old Shatterhand, Old Firehand und Winnetou, der berühmte Häuptling der Apachen. Diese drei vergießen nie einen Tropfen Blutes, außer wenn es unumgänglich notwendig ist.«


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»Well, ist richtig, und doch sind sie bekannt und berühmt als die drei größten Helden des Westens. Will es auch so machen, will ihrem Beispiele folgen.«

»Und wohl auch ein Held werden, alter Sam?« fragte Will Parker in scherzhaft ironischem Tone.

»Schweig, Greenhorn! Sam Hawkens weiß genau, wer er ist und was er leisten kann. Hast du nicht gesehen, daß ich es mit zwei Dutzend Roten aufgenommen habe?«

»Yes

»Daß ich viel, vielmal durch List Ziele erreichte, an denen fünfzig und noch mehr verwegene Westmänner gescheitert wären und ihr Leben gelassen hätten?«

»Yes. Was wahr ist, darf man nicht leugnen. Bist ein ganzer Kerl, Sam, ein verteufelt feiner Pfiffikus, und viele, viele haben es teuer bezahlen müssen, daß sie den Fehler begingen, dich für dumm zu halten.«

»Well, werde also wohl auch mit diesen zwölf zu Ende kommen, ohne ihnen geradezu die Köpfe entzweischlagen oder Löcher durch die Leiber schießen zu müssen.«

»Also List?«

»Yes

»Welche?«

»Weiß jetzt noch nicht; wird sich aber im betreffenden Augenblick ergeben. Müssen uns zunächst verstellen, uns auslachen lassen, müssen recht unerfahren thun.«

»Wie Greenhörner?«

»Ja, wie Greenhörner, was freilich bei dir, Will Parker, keiner Verstellung bedarf, da du wirklich eins bist. Seht, wie sie über meine Mary, über mein Maultier lachen!«

»Ist aber auch keine Schönheit, Sam!«

»Schönheit? Unsinn! Ein häßliches Vieh ist sie, ein großartig häßliches Vieh; aber ich vertausche sie dennoch nicht gegen tausend edle Rosse. Ist klug, erfahren und verständig wie - wie - wie, na, wie Sam Hawkens, ihr Herr, selber, und hat mir hundertmal das Leben gerettet. Hab sie aber auch nie, nie im Stiche gelassen und würde mein Leben wagen, wenn sie sich in Gefahr befände. Meine Mary ist eben meine Mary, einzig, unübertrefflich und mit keinem andern Viehzeug zu vergleichen, sonst aber eine störrische, heillose, niederträchtige Bestie, welche man am liebsten gleich totschießen sollte.«

»Grad wie deine Liddy,« warf Dick Stone ein.

»Ja, die Liddy erst,« nickte Sam Hawkens, wobei seine kleinen Aeuglein funkelten und er mit der Hand liebkosend über sein altes, sonderbares Gewehr strich. »Die Liddy ist mir ebenso lieb wie die Mary; sie hat mir nicht ein einzigesmal versagt, mich nie im Stich gelassen. Wie oft hat Freiheit und Leben von ihr abgehangen, und stets hat sie ihre Schuldigkeit gethan. Freilich hat sie auch ihre Mucken, ihre großen Mucken, und wer sie nicht kennt, dessen Kürbis schwimmt gegen das Wasser (* Trapperausdruck für Unglück haben.). Ich aber kenne sie, ich habe sie studiert wie der Arzt die Karfunkelbeule; ich weiß genau, welche Vorzüge und welche Schwächen sie besitzt und an welcher Stelle ich sie streicheln und liebkosen muß, um sie bei guter Laune zu erhalten. Ich gebe sie nicht aus der Hand, bis ich sterbe, und wenn ich einmal tot bin, und ihr seid dabei, so thut mir den Gefallen und gebt mir meine Liddy mit unter den Rasen, mit dem ihr mich bedeckt. Kein andrer, der sie nicht kennt und lieb hat, soll sie jemals in die Hände bekommen. Die Mary, die Liddy, Dick Stone und Will Parker, das sind die vier, die mir ans Herz gewachsen sind und außer denen ich nichts mag und nichts besitze auf der ganzen weiten Welt.«

Ein feuchter Schimmer verdrängte das vorher so helle Funkeln seiner Augen, doch strich er mit den beiden Händen schnell über dieselben und sagte in wieder munterem Tone:

»Seht, da steht einer von den zwölfen auf, der, welcher mit dem Wirte so heimlich gemunkelt hat. Höchst wahrscheinlich kommt er her, um uns zu äffen. Well, die Komödie kann losgehen; aber verderbt sie mir nicht etwa!«

Man darf sich nicht darüber wundern oder es gar belächeln, daß Sam Hawkens seinem Maultiere und seinem Gewehre solche Kosenamen gegeben hatte und in so zärtlicher Weise von ihnen sprach. Die Westmänner vom alten Schrote und Korne - leider ist diese Sorte bis


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auf wenige, die man zählen kann, jetzt ausgestorben - waren ganz andre Menschen als das Gesindel, welches nach ihnen kam. Unter dem Ausdrucke Gesindel sind hier nicht etwa nur moralisch verkommene Menschen gemeint; dieses Wort hat hier eine andre als die gewöhnliche Bedeutung. Wenn ein Millionär, ein Bankier, ein Offizier, ein Advokat, meinetwegen auch der Präsident der Vereinigten Staaten selbst, nach dem Westen geht, ausgerüstet mit den jetzigen massenmörderischen Waffen, ängstlich behütet und bewacht von einer zahlreichen Begleitung, damit ihm ja keine Mücke in die Hühneraugen beißt, und von einem sicheren Standorte aus das Wild zu hundert Exemplaren niederknallt, ohne dessen Fleisch gegen den Hunger zu gebrauchen, so wird dieser hohe und vornehme Herr von dem wirklichen Westmann eben zum »Rabble«, zum Gesindel gerechnet. Der Indianer, der Westmann vom Fache, »machte« nur dann Fleisch, wenn er es brauchte. Er fing das ihm nötige Pferd aus einer Herde wilder Mustangs heraus; er kannte die Zeiten, wenn die Büffel von Süden nach Norden zogen und wenn sie zurückkehrten; er wußte die Gegenden, durch welche sie auf ihren Wanderungen kamen, und machte dort und dann Jagd auf sie, nur um sein Leben zu fristen. Da traf man auf Mustangherden zu fünftausend Stück; da kamen die Bisons gewallt wie ein Meer, zwanzig- und dreißigtausend und noch mehr zählend. Wo sind diese ungeheuren Massen hin? Verschwunden! So weit die Savannen reichen, ist kein einziger Mustang mehr zu sehen. Ausgerottet, vernichtet! Im Nationalparke droben »hegt« oder »schont« man jetzt einige Büffel; hier oder da kann man in irgend einem zoologischen Garten noch einen einzelnen sehen; aber in der Prairie, welche sie früher zu Millionen bevölkerten, sind sie ausgestorben; der Indianer verhungert körperlich und moralisch, und einen wirklichen, echten Westmann sieht man nur noch in Bilderbüchern. Daran ist das schuld, was der Trapper, der Squatter »Gesindel« nennt. Man sage ja nicht, daß der Grund in dem Vorrücken der Zivilisation liege. Die Zivilisation hat nicht die Aufgabe der Ausrottung, der Vernichtung. Wie oft thaten sich, als die Pacificbahnen erstanden, Gesellschaften von hundert und noch mehr »Gentlemen« zusammen, um, mit Gewehren »neuester« Konstruktion bewaffnet, einen Jagdausflug zu unternehmen. Sie dampften nach dem Westen, ließen in der Prairie halten und schossen aus den sicheren Coupés heraus auf die vorüberziehenden Büffelherden; dann fuhren sie weiter, ließen die Tierleichen zum Verfaulen liegen und rühmten sich, Prairiejäger gewesen zu sein und ein »excellent and eximious« Vergnügen gehabt zu haben. Dabei waren auf ein wirklich getötetes Tier zehn und noch mehr angeschossene, verwundete zu rechnen, welche sich mühsam und schmerzvoll weiterschleppten, um dann elend zu verenden. Der Indianer stand von fern, sah mit ohnmächtigem Grimme zu, in welcher Weise man ihm seine Nahrung raubte, ihn zum Hunger trieb und konnte nichts dagegen thun. Beschwerte er sich, so wurde er ausgelacht; wehrte er sich, so wurde er niedergemacht wie die Büffel, welche er für sein Eigentum hielt und deshalb geschont hatte.

Ganz anders der wirkliche Westmann, der frühere Jäger. Dieser schoß nicht mehr, als er brauchte. Er holte sich das Fleisch mit Gefahr seines Lebens. Er wagte sich auf seinem Pferde mitten in die Büffelherde hinein. Er kämpfte mit dem Mustang, den er sich fangen und zähmen wollte; er trat selbst dem grauen Bären kühn entgegen; sein Leben war ein unaufhörlicher, aber ritterlicher Kampf mit feindlichen Verhältnissen, feindlichen Tieren und feindlichen - Menschen. Dabei mußte er sich auf sich selbst, auf sein Pferd und auf sein Gewehr verlassen können, wenn er nicht »ausgelöscht« werden wollte. Das Pferd war daher sein Freund, die Büchse seine Freundin. Wie mancher Jäger hat oft und zwar sehr oft sein Leben für sein Pferd gewagt! Und mit welcher Liebe hing er an seinem Gewehre, jenem toten, seelenlosen Gegenstande, dem seine dankbare Phantasie dennoch eine Seele beilegte. Er hungerte und dürstete, um vor allen Dingen sein Pferd fressen und saufen zu lassen, und sah erst auf sein Gewehr, ehe er an sich selber dachte. Er gab beiden Namen wie menschlichen Personen und sprach mit ihnen wie mit Menschen, wenn er einsam, nur mit ihnen allein sich in das Gras der Prairie oder in das Moos des Urwaldes gelagert hatte. Zu dieser Art von Westmännern gehörte Sam Hawkens. Die Rauheit seines wilden Lebens hatte sein Herz nicht verdorben, er war trotz derselben ein gemütvolles aber dabei außerordentlich schlaues Kind geblieben.

Was er erwartet hatte, das geschah: Buttler war aufgestanden, kam herbei, pflanzte sich gebieterisch vor dem Tische, an welchem die drei saßen, auf und sagte, ohne sie zu grüßen, in höhnischem Tone:

»Wie prächtig ihr euch ausnehmt, Leute! Ihr scheint höchst sonderbare, höchst lächerliche Drillinge zu sein!«

»Yes,« nickte Sam sehr ernsthaft und sehr bescheiden.

Dieses Eingeständnis klang so komisch, daß Buttler laut auflachte und, während seine Gefährten in das Gelächter einstimmten, fortfuhr:

»Wer seid ihr denn eigentlich?«

»Ich bin der erste,« antwortete Sam.

»Ich der zweite,« fügte Dick Stone hinzu.

»Und ich der dritte,« stimmte Will Parker ein.

»Der erste, der zweite, der dritte? Was denn?« fragte Buttler, nicht gleich wissend, was sie meinten.


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»Na, Drilling natürlich!« antwortete Sam mit außerordentlicher Treuherzigkeit.

(Fortsetzung folgt.)


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Ein zweites, allgemeines Gelächter folgte diesen seinen Worten. Buttler war geschlagen; darum fuhr er den Kleinen unwillig an:

»Macht keine dummen Witze! Ich bin gewohnt, ernsthaft mit mir verkehren zu lassen. Daß ihr nicht Drillinge sein könnt, sieht man ja. Ich wollte eure Namen wissen. Heraus damit also!«

»Ich heiße Grinell,« antwortete Sam kleinlaut.

»Und ich Berry,« gestand Dick furchtsam.

»Und ich White,« stieß Will sehr ängstlich hervor.

»Grinell, Berry und White,« meinte Buttler, »eure Namen kenne ich jetzt. Nun sagt mir auch, was ihr seid!«

»Fallensteller,« erklärte Sam Hawkens.


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»Fallensteller?« lachte der Examinator. »Ihr seht mir ganz und gar nicht so aus, als ob ihr jemals einen Biber oder ein Racoon gefangen hättet!«

»Haben auch noch nicht,« gab der kleine Sam bescheiden zu.

»Ah, habt noch nicht! Wollt also wohl erst?«

»Yes

»Gut, sehr gut! Wo kommt ihr denn her?«

»Von Castroville unten herauf.«

»Was habt ihr dort getrieben?«

»Einen Kleiderladen, Compagniegeschäft zu dreien.«

»So so! Ist wohl schlecht gegangen?«

»Yes. Haben ein wenig Bankerott gemacht; hatten zu viel ausgeborgt, Kredit gegeben, aber keinen bekommen.«

»Richtig, richtig! Haben es euch gleich angesehen, daß ihr pleite gehen müßt. Also Kleiderhändler, vielleicht gar Schneider. Drei Schneider, die aus Ungeschick in die Pleite gefallen sind und nun den außerordentlich klugen Gedanken gefaßt haben, sich als Trapper wieder aufzuhelfen! Hört ihr es?«

Diese Frage war an seine Genossen gerichtet, welche dem Gespräche mit ironischem Behagen zuhörten. Sie ließen ein drittes, schallendes Gelächter hören. Sam Hawkens aber rief scheinbar zornig:

»Ungeschick? Da irrt Ihr Euch gewaltig, Sir. Wir wußten wohl, woran wir waren. Aus der Pleite mußte natürlich für uns etwas abfallen, sonst hätten wir sie nicht gemacht.«

Er zog seinen bockledernen Jagdrock vorn auf, klopfte auf seinen breiten Gürtel, daß es metallisch klang, und fügte stolz hinzu:

»Hier sitzen die Moneten, Sir!«

Das Gesicht Buttlers nahm den Ausdruck eines Raubvogels an, der nach Beute ausspäht, und in möglichst unbefangenem Tone fragte er:

»Ihr habt Moneten? Dann seid ihr freilich klüger gewesen, als ihr ausseht. Wieviel hat euch denn der Bankerott eingebracht?«

»Ueber zweitausend Dollar.«

»Die tragt ihr bei euch?«

»Yes

»Die ganze Summe?«

»Yes

»Auf der Reise, in dieser unsichern Gegend!«

»Pshaw! Wir haben Waffen.«

»Die würden euch verteufelt wenig nützen. Wenn zum Beispiel die Finders kämen, die würden euch drei Schneider ausbeuteln, ehe ihr nur Zeit fändet, die Augen aufzumachen. Warum habt ihr das viele Geld nicht lieber einer Bank anvertraut?«

»Werden es noch thun.«

»Wo?«

»Droben in Prescott.«

»Da hinauf wollt ihr?«

»Yes

»Als Fallensteller?«

»Yes

»Habt ihr denn Fallen?«

»Nein.«

»Woher wollt ihr sie nehmen?«

»In Prescott kaufen.«

»Himmel! Seid ihr Menschen! Was gedenkt ihr denn da oben zu fangen?«

»Biber und - und - und -«

Er stockte verlegen.

»Und - und - was denn weiter?« drang Buttler in den Kleinen.

»Grizzlybären.«

Da ertönte von den andern Tischen ein wahrhaft homerisches Gelächter herüber. Buttler lachte auch, daß ihm die Thränen in die Augen traten und der Atem versagte, und rief, als er sich einigermaßen beruhigt hatte:

»Grizzlybären wollt ihr in Fallen fangen, Grizzlybären, von denen einer neun Fuß hoch wird und auch neun Zentner wiegen wird! In Fallen fangen?«

»Warum nicht?« knurrte Sam verdrießlich. »Wenn nur die Fallen groß und stark genug sind!«

»Es gibt aber keine Grizzlyfallen und wird auch keine geben!«

»So lassen wir uns in Prescott von einem Schmiede welche machen.«

»Wie denn? In welcher Konstruktion?«

»Das werden wir ihm schon sagen.«

»Ihr drei Schneider? Halt auf, Kleiner, Dicker, halt auf, sonst ersticke ich!«

Er lachte wieder aus vollem Halse und konnte erst nach einer Weile fortfahren:

»Und selbst wenn das mit den Grizzlybären möglich wäre, so müßte man sich doch schon darüber halb totlachen, daß ihr, um Biber zu fangen, hinauf nach Prescott wollt.«

»Nach Prescott eigentlich nicht; dort wollen wir die Fallen kaufen; dann reiten wir nach dem Gila und dem San Franziskoflusse.«

An welchem es zwei Zoll hoch Wasser gibt; wo sollen da die Biber herkommen!«

»Das laßt nur unsre Sorge sein, Sir! Hab ein Buch gelesen, in welchem alles steht, auch das von den Bibern.«

»Schön, schön, vortrefflich! Wenn ihr so klug seid, euch nach einem Buche zu richten, so läßt sich nichts weiter sagen. Ich wünsche euch so viel Biber und Bären, wie ihr wollt. Aber ihr werdet auch noch andres finden.«

»Was?«

»Wilde Indianer, welche euch Tag und Nacht umschleichen, um euch zu überfallen.«

»Da wehren wir uns.«

»Mit euern Waffen etwa?«

»Yes

»Zum Beispiel hier mit Eurer Flinte?«

»Yes

»Alle Wetter, werdet ihr da ungeheure Heldenthaten verrichten. Zeigt doch einmal das Schießholz her! Das müssen wir uns unbedingt besehen.«

Er nahm Sam Hawkens das Gewehr aus der Hand und ging mit demselben zu seinen Genossen hinüber, welche es unter den kräftigsten Bemerkungen betrachteten. Auch Dick Stone mußte seine lange Rifle zeigen, welche den-


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selben ironischen Beifall fand; dann sagte Buttler, indem er die Gewehre zurückgab:

»Ich habe euch ein großes Unrecht gethan, Mesch'schurs, und muß euch deshalb um Verzeihung bitten.«

»Welches Unrecht?« fragte Sam.

»Ich hätte euch fast mit andern Leuten verwechselt.«

»Mit wem?«

»Mit dem Kleeblatte.«

»Kleeblatt? Wer ist das?«

»Das sind drei berühmte Jäger, welche stets beisammen sind und darum das Kleeblatt genannt werden, Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker.«

»Kennt Ihr die?«

»Nein, eben nicht, sonst wäre ich doch nicht in die Gefahr geraten, euch beinahe mit ihnen zu verwechseln.«

»Aber Ihr müßt doch wenigstens wissen, wie sie aussehen!«

»Das weiß ich auch. Sam Hawkens ist so klein und dick wie Ihr, und die beiden andern sollen so lang und dürr wie Eure Gefährten sein; das stimmt. Dazu kommt, daß Sam einen ledernen Jagdrock zu tragen pflegt, an welchem Fleck an Fleck so aufgenäht ist, daß kein Indianerpfeil mehr hindurchzudringen vermag. Ihr habt auch einen solchen Rock. Das ist nur Zufall, führte mich aber doch für einige Minuten irre. Jetzt freilich weiß ich, woran ich bin. Das Kleeblatt hat nicht mit alten Kleidern Pleite gemacht, ist jedenfalls ganz anders und weit besser beritten als ihr und würde nie solche Schießprügel auch nur berühren, wie die eurigen sind. Da man aber nie vorsichtig genug sein kann und besonders Sam Hawkens ein großer Pfiffikus sein soll, so will ich doch noch sicherer gehen, als ich bis jetzt gegangen bin. Ich habe gehört, daß Will Parker einmal skalpiert worden sein soll und infolgedessen eine Perücke trägt. Mr. Berry und Mr. White mögen mir also einmal ihre Köpfe zeigen!«

Buttler fühlte sich also noch nicht ganz beruhigt. Glücklicherweise war er falsch berichtet worden; nicht Will Parker, sondern Sam Hawkens hatte das entsetzliche Unglück gehabt, skalpiert zu werden. Stone und Parker entblößten bereitwillig ihre Häupter; Buttler griff in ihre Haare, überzeugte sich, daß es keine falschen waren, und sagte:

»All right, ihr seid drei Schneider, und ich will nun nur um euertwillen hoffen, daß ihr mit euern Gewehren jetzt ebenso umzugehen versteht wie früher mit euern Nähnadeln.«

»Keine Sorge!« meinte Sam sehr zuversichtlich. »Was wir treffen wollen, das treffen wir.«

»Wirklich?«

»Wirklich!«

»Wettschießen, wettschießen!« flüsterten diejenigen, welche Buttler am nächsten saßen, diesem zu.

Im Westen, wo fast jeder Mann ein guter Schütze ist, läßt nie jemand die Gelegenheit zu einem Wettschießen vorübergehen. Die Schützen messen sich gern miteinander; der Ruhm des Siegers spricht sich weit herum, und es werden oft dabei bedeutende Summen auf das Spiel gesetzt. Hier nun gab es nicht nur Gelegenheit zu einem Wett-, sondern sogar zu einem spaßhaften Schießen; die drei Schneider hatten wohl nicht gelernt, mit Gewehren umzugehen, und da die ihrigen nichts taugten, so gab es jedenfalls etwas zu lachen, wenn man sie dazu brachte, ihre vermeintliche Kunst zu zeigen. Darum sagte Buttler, um Sam anzustacheln, in zweifelndem Tone:

»Ja, mit der Nähnadel den Aermel eines Rockes treffen, das kann sogar ein Blinder; aber schießen, Schießen, das ist doch etwas ganz andres. Habt Ihr denn schon einmal geschossen, Mr. Grinell?«

»Yes,« antwortete der Kleine.

»Wonach?«

»Nach Sperlingen.«

»Mit diesem Gewehre?«

»Nein, mit dem Blasrohre.«

»Mit dem Blasrohre!« lachte Buttler laut auf. »Und da denkt Ihr, daß Ihr auch mit dem Gewehre ein guter Schütze

seid?«

»Warum nicht? Zielen ist doch zielen!«

»So? Wie weit könnt Ihr denn treffen?«

»Doch jedenfalls so weit, wie die Kugel läuft.«

»Sagen wir zweihundert Schritte?«

»Well

»Ungefähr so weit entfernt steht die zweite Hütte da drüben. Glaubt Ihr, sie zu treffen?«

»Die Hütte?« meinte Sam in beleidigtem Tone. »Die trifft ein Blinder, grad wie mit der Nadel den Rockärmel.«

»So wollt Ihr wohl sagen, daß das Ziel kleiner sein soll?«

»Yes

»Wie groß ungefähr?«

»Wie meine Hand.«

»Und das glaubt Ihr zu treffen, mit diesem Euerm Schießzeuge hier?«

»Yes

»Unsinn! Dieser Lauf muß ja gleich beim ersten Schuß zerplatzen, und wenn er das nicht thut, so ist er so krumm gezogen, daß Eure Kugeln um jede Hausecke biegen, nie aber gerade fliegen werden.«

»Versucht es doch einmal!«

»Wollen wir wetten? Ihr habt ja Geld dazu.«

»Nicht nur Geld, sondern auch Lust.«

»Wieviel setzt Ihr?«

»Soviel wie Ihr.«

»Also einen Dollar?«

»Einverstanden.«

»So gilt also die Wette. Aber wir wollen nicht nach jener Hütte schießen, weil der Besitzer es wohl nicht dulden würde, sondern ich -«

»Schießt nach der meinigen!« unterbrach ihn der Wirt. »Ich klebe an die hintere Front ein Papier, so groß wie meine Hand; dies ist das Ziel.«

Dieser Vorschlag wurde angenommen. Man begab sich nach der hintern Seite; das Papier wurde angeklebt, und dann zählte Buttler zweihundert Schritte ab. Er setzte einen Dollar, und Sam gab den seinigen. Darauf


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loste man, wer zuerst schießen solle. Das Los fiel auf Buttler. Er stellte sich in der abgemessenen Entfernung auf, zielte nur ganz kurz, drückte ab und traf das Papier.

Nun war die Reihe an Sam. Er machte die krummen Beinchen möglichst weit auseinander, legte seine Liddy an, bog sich weit, weit nach vorn und zielte eine lange, lange Zeit. In dieser Stellung sah er aus wie ein Photograph, welcher sich unter die Hülle seines Apparates beugt, um nach seinem Objekte zu visieren. Alle lachten. Da endlich krachte der Schuß, und Sam flog zur Seite, das Gewehr fallen lassend und mit der Hand die rechte Backe haltend. Das Gelächter wurde zum förmlichen Gejohle.

»Hat Euch die Flinte gestoßen, wohl gar einen Hieb gegeben?« fragte Buttler.

»Yes, sogar eine Ohrfeige ist's gewesen!« antwortete der Kleine wehmütig.

»Das Ding haut also; es scheint Euch selbst gefährlicher zu sein als andern Leuten. Wollen sehen, ob Ihr getroffen habt.«

Auf dem Papier war keine Spur von der Kugel zu bemerken. Man suchte lange, lange Zeit, bis endlich einer, welcher zur Seite gegangen war, unter dröhnendem Lachen den andern zurief:

»Kommt her zu mir! Es konnte mir nicht einfallen, hier zu suchen; aber da steckt sie, da, wer sie sehen will. Kommt her! Der Schnaps läuft aus dem Loche!«

Jedenfalls zum Transporte bestimmt, stand an der Seite des Hauses, vielleicht zehn Schritte von demselben entfernt, ein volles Branntweinfaß. In dieses war die Kugel geflogen, und man sah den Inhalt in einem fingerdicken Strahle aus dem frischen Schußloche strömen. Das jetzt entstehende Gelächter wollte kein Ende nehmen. Der Wirt aber fluchte und verlangte Entschädigung. Als Sam ihm dieselbe zusagte, beruhigte er sich und trieb mit dem Hammer einen hölzernen Pflock in das Loch, um dasselbe zu schließen.

»Also nicht einmal das Haus habt Ihr getroffen!« rief Buttler dem ganz verdutzt dreinschauenden Kleinen zu, »Ich habe Euch ja gesagt, daß Eure Kugeln um alle Ecken biegen werden. Der Dollar ist mein. Wollt Ihr noch einen wagen, Mr. Grinell?«

»Yes,« antwortete Sam.

Mit dem zweiten Schusse traf er wenigstens das Haus, aber ganz unten an der Ecke, während das Ziel oben in der Mitte der Mauer sich befand. So gab er noch vier oder fünf Schüsse ab, ohne dem Papier näher zu kommen, und verlor noch ebensoviele Dollars. Darüber wurde er zornig und rief aus:

»Es ist nur, weil es bloß um einen Dollar geht. Ich glaube, wenn es mehr gälte, könnte ich besser zielen.«

»Mir recht,« lachte Buttler. »Wieviel wollt Ihr parieren?«

»Soviel wie Ihr.«

»Sagen wir zwanzig?«

»Yes

Sam verlor auch diese zwanzig, verlor sie aber, weil er wieder ganz genau in dieselbe Ecke traf. Buttler strich das Geld ein und fragte:

»Noch einmal gefällig, Mr. Grinell?«

Dabei zwinkte er seinen Leuten heimlich und vergnügt mit den Augen zu.

»Yes,« antwortete Sam. »Es muß doch einmal werden.«

»Denke es auch. Wie hoch?«

»Wie Ihr wollt.«

»Fünfzig Dollar.«

»Yes

»Oder wir sagen lieber hundert?«

»Das ist zu viel. Ich bin zwar überzeugt, daß ich jetzt endlich treffen werde, aber es thut mir leid, Euch eine solche Summe abzunehmen, Mr. - wie heißt Ihr denn eigentlich, Sir?«

»Buttler,« antwortete der Gefragte zu schnell und also unvorsichtig. Wahrscheinlich hätte er einen andern Namen genannt, wenn er nicht durch Sams Frage so plötzlich überrumpelt worden wäre.

»Schön, Mr. Buttler,« fuhr er fort. »Also nicht hundert; es ist zu viel.«

»Nonsense! Was ich gesagt habe, das halte ich; es fragt sich nur, ob Ihr Mut habt.«

»Mut? Den hat ein Schneider immer.«

»Also hundert?«

»Yes

(Fortsetzung folgt.)


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Buttler war so sicher, das Ziel zu treffen, während Sam natürlich wieder danebenschießen würde, daß er diesmal noch kürzer zielte als vorher. Oder regte ihn die Höhe der Summe auf, kurz und gut, seine Kugel kam neben, zwar hart aber doch neben dem Papiere in die Mauer zu sitzen. Das raubte ihm aber nicht die gute Laune, denn sein Gegner traf jedenfalls nicht so nahe an das Ziel. Im schlimmsten Falle konnte es zum Stechen kommen, und da war ihm der Sieg dann sicher.

Jetzt zielte Sam, aber wohin? Nach der Mauerecke, wohin er bisher stets getroffen hatte und wo von ihm, außer dem ersten Schusse, Kugel auf Kugel saß.

»Was fällt Euch ein, Mr. Grinell,« rief Buttler erstaunt, »Ihr zielt ja nach der Ecke!«

»Versteht sich ganz von selbst,« antwortete der Kleine getrost.

»Warum denn aber?«

»Habe erst jetzt mein Gewehr begriffen.«

»Wieso?«

»Scheint seinen eigenen Willen, seine Launen zu haben. Ziele ich nach dem Papiere da oben in der Mitte, so geht die Kugel da hinunter in die Ecke. Ziele ich aber nach der Ecke, so wird sie wohl hinauf nach dem Papiere fliegen.«

»Das ist Verrücktheit!«

»Nicht von mir, sondern von der Flinte. Paßt 'mal auf!«

Er drückte ab, und die Kugel saß - - ganz genau in der Mitte des Zieles.

»Seht Ihr nun, daß ich recht hatte!« lachte der Kleine. »Gewonnen! Gebt die hundert Dollar heraus, Mr. Buttler!«

Die Summen waren noch nicht gesetzt worden. Buttler zögerte, der Aufforderung Folge zu leisten; es kam ihm der Gedanke, die Zahlung zu verweigern; dann aber hatte er einen Einfall, den er für besser hielt; er zog also die Goldstücke aus seiner Tasche, gab sie Sam und sagte:

»Halten wir auf?«

»Wie Ihr wollt.«

»Oder setzen wir noch einmal?«

»Meinetwegen!«

»Aber nicht hundert, sondern zweihundert!«


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»Sir, das ist zu viel!«

»Für mich nicht. Oder habt Ihr Angst bekommen?«

»Angst? Fällt mir nicht ein!«

»Also zweihundert; aber gleich gesetzt!«

»Gut! Da mein Kamerad Mr. Berry mag den Unparteiischen machen und das Geld verwahren, und wir nehmen ein neues Papier mit einem Punkte genau in der Mitte. Wessen Kugel diesem am nächsten sitzt, der hat gewonnen.«

»Einverstanden,« erklärte Buttler; »aber wir schießen nicht auf zwei- sondern auf dreihundert Schritte!«

»Da treffe ich nichts!«

»Ist auch nicht nötig. Vorwärts, Mr. Grinell, zweihundert Dollar heraus!«

Sam gab Dick Stone das Geld. Buttler schien nicht mehr so viel zu besitzen, denn er ging zu mehreren seiner Gefährten, um sich von ihnen aushelfen zu lassen. Als er die Summe beisammen hatte, gab er sie auch an Dick, welcher sehr wohl wußte, weshalb ihn Sam als Unparteiischen vorgeschlagen hatte. Nachdem ein neues Papier angeklebt worden war, zählte man dreihundert Schritte ab, und Buttler machte sich zum Schusse bereit.

»Ziele besser als vorhin!« rief ihm einer seiner Männer zu.

»Schweig!« antwortete er zornig. »Ein Schneider sticht mich nicht aus!«

»Vorhin aber doch!«

»War nur Zufall, weiter nichts.« Er zielte diesesmal doch viel länger und sorgfältiger als vorher. Sein Schuß traf das Papier, wenn auch nicht den Mittelpunkt desselben.

»Prachtschuß, Hauptschuß, famoser Schuß!« belobten ihn seine Gefährten.

Er nickte siegesgewiß dazu und hielt es für unter seiner Würde, auf Sam nun acht zu geben. Dieser stand bereit zum Schusse und rief seinem Gegner zu:

»Mr. Buttler, macht einmal die Augen auf!«

»Warum?«

»Ich werde diesmal grad den Punkt in der Mitte treffen.«

»Bildet Euch das nicht ein! Ihr könnt ihn in dieser Entfernung gar nicht sehen und kaum das Papier erkennen.«

»Ist auch nicht nötig, denn ich habe ihn doch nicht zu sehen, sondern zu treffen. Paßt auf, eins - zwei - drei!«

Bei eins stellte er sich in Positur, bei zwei legte er an, und bei drei krachte sein Schuß. Ein zwölf- oder dreizehnstimmiger Ruf des Schreckens oder des Aergers folgte; er hatte wirklich den Mittelpunkt getroffen. Dick Stone eilte zu ihm, hielt ihm das Geld hin und sagte:

»Nimm rasch, alter Sam, sonst bekommst du es dann nicht!«

»Well, würden mir es später aber doch noch geben müssen.«

Er steckte es ein und schritt dann der Hütte zu.

»Ein unbegreifliches, ein verdammtes Glück ist das!« rief ihm Buttler zornig entgegen. »So ein Zufall ist noch gar nicht dagewesen!«

»Bei mir allerdings noch nicht,« gestand Sam ein, und zwar ganz der Wahrheit gemäß, denn er war ein so vortrefflicher Schütze, daß er keines Zufalles bedurfte. Buttler aber nahm diese Worte in andrem Sinne und sagte:

»So gebt das Geld wieder heraus!«

»Herausgeben? Warum? Aus welchem Grunde?«

»Weil Ihr soeben zugegeben habt, daß das Ziel nicht von Euch, sondern durch den Zufall getroffen worden ist.«

»Schön! Aber der Zufall hat sich meiner Hand und meiner Flinte bedient; er hat das Ziel getroffen, also die Wette gewonnen; ihm gehört das Geld, und ich werde es ihm geben, sobald ich ihm zum nächstenmal begegne.«

»Das soll wohl ein Witz sein, Sir?« fragte Buttler drohend, und zugleich bildeten seine Leute einen engen Kreis um ihn und Sam.

Dieser letztere zeigte nicht die mindeste Besorgnis, sondern antwortete ruhig:

»Sir, Schneider pflegen keine Witze zu machen, wenn es sich um Geld handelt. Es ist mein Ernst. Wollen wir weiter schießen?«

»Nein; ich habe mit Euch, aber nicht mit Eurem Zufalle wetten wollen. Ist Euch derselbe immer so günstig?«

Er gab seinen Gefährten einen verstohlenen Wink, auf Feindseligkeiten zu verzichten; Sam bemerkte denselben aber doch und antwortete:

»Stets, nämlich wenn es sich der Mühe lohnt, eines lumpigen Dollars wegen aber nicht; da geht meine Kugel lieber in die Ecke.«

Eben wollten sie sich um diese Ecke wenden, um nach der vorderen Seite des Hauses zurückzukehren, als ihnen jemand entgegenkam. Dieser jemand war - Sam Hawkens Maultier, dessen Kopf neugierig nach seinem Herrn auszublicken schien. Buttler, welcher vorangegangen war, stieß mit dem Tiere fast zusammen.

»Häßliches Vieh!« rief er aus, der Mary einen Fausthieb gegen den Kopf gebend. »Ist ein wahres, richtiges Schneiderpferd! Einem andern könnte es im ganzen Leben nicht einfallen, sich auf eine solche Bestie zu setzen!«

»Sehr richtig!« stimmte Sam bei. »Nur fragt es sich, warum?«

»Warum? Aus Abscheu natürlich! Was denn sonst?«

»Es läßt sich gut sagen, aus Abscheu, wenn der Grund wo ganz anders liegt.«

»Wo soll er denn liegen?«

»Im Unvermögen.«

»Wieso? Wie meint Ihr das? Wollt Ihr etwa sagen, daß man Euern Ziegenbock nicht reiten könne?«

»Das behaupte ich nicht, Sir; ich wollte nur soviel sagen, daß ihn nur ein sehr guter Reiter besteigen kann.«

Er sagte diese Worte in einem so eigenartigen Tone, daß Buttler rasch frug:

»Meint Ihr etwa, daß ich kein guter Reiter bin, daß ich mit Eurer Bestie nicht fortkäme?«

»Das ist nicht meine Meinung gewesen, Sir, obgleich sehr zu erwarten steht, daß es Euch binnen einer Minute abwerfen würde.«

»Mich? Den besten Reiter zwischen Frisco und New Orleans? Ihr seid verrückt!«


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Sam maß ihn mit einem neugierigen Blicke vom Kopfe an bis zu den Füßen herab und fragte dann in ungläubigem Tone:

»Ihr der beste Reiter? Das glaube ich nicht. Ihr seid nicht zum Reiter gebaut; dazu sind Eure Beine zu lang.«

»Nicht zum Reiter gebaut!« lachte Buttler auf. »Was will ein Schneider vom Reiten verstehen! Als Ihr vorhin hier ankamt, hingt Ihr auf Euerm Viehzeuge wie ein Affe auf dem Kamele, und da wollt Ihr vom Reiten sprechen? Laßt Euch nicht auslachen! Euer Maultier nehme ich so zwischen die Schenkel, daß es binnen fünf Minuten zusammenbricht!«

»Oder Euch binnen einer Minute herunterwirft!«

»Sagt Ihr das wirklich im Ernste?«

»Yes

»Wollen wir wetten?«

»Ich setze zehn Dollar!«

»Ich auch!«

»Daß es mich nicht herunterwirft!«

»Und ich behaupte dies aber!«

»Gut, fertig, zehn Dollar heraus!«

Sam zog das Geld hervor und gab es Dick Stone wieder. Buttler borgte es sich von seinen Gefährten und gab es dann auch an Dick. Lieber hätte er es einem seiner Leute anvertraut, wollte aber keinen Verdacht erwecken.

»Eine miserable Wette!« sagte der Wirt zu ihm. »Um zehn Dollar zu gewinnen, auf ein solches Scheusal steigen! Diesmal aber werdet Ihr sicher gewinnen.«

Buttler nahm die alte Mary beim Zügel und führte sie von der Ecke fort nach dem vor dem Hause liegenden freien Platz.

»Also binnen einer Minute herunter!« rief er Hawkens zu. »Sitze ich dann noch darauf, habe ich gewonnen.«

»Darf ich mit dem Tiere reden?« fragte Sam.

»Warum nicht? Redet mit ihm, pfeift mit ihm oder singt mit ihm, ganz wie Ihr wollt!«

Es hatten sich zwei Gruppen gebildet. Auf der einen Seite stand Sam mit Dick und Will, auf der andern der Wirt mit den Leuten Buttlers. Dieser letztere stieg auf. Das Maultier ließ es sich ruhig gefallen und stand still und unbeweglich, als ob es aus Holz geschnitzt sei, Da sagte Sam:

»Bocke ihn ab, meine gute Bucking-Mary!«

Augenblicklich machte das Maultier einen runden, hohen Katzenbuckel, ging mit allen Vieren in die Luft, streckte sich da aus und kam mit dem Reiter zu gleicher Zeit wieder auf dem Erdboden an; es stand auf derselben Stelle, Buttler aber saß nicht mehr im Sattel, sondern neben der Mary unten auf dem Boden. Seine Leute schrieen überrascht auf; er sprang empor und rief ergrimmt:

»Dieses Vieh ist des Teufels! Erst steht es fromm wie ein Lamm, und dann geht es ganz plötzlich wie ein Ballon in die Luft!«

»Da wäre es besser, Ihr wäret Luftschiffer anstatt Reiter; das Geld ist mein,« antwortete Sam, indem er es einstrich.

»Zum Henker! Ich weiß nicht, ob ich richtig verstanden habe. Sagtet Ihr dem Tiere nicht, daß es mich abbocken solle?«

»Yes

»Sir, das verbitte ich mir!«

»Pshaw! Ihr habt gesagt, daß ich mit ihm reden kann, ganz wie ich will.«

»Aber zu meinem Schaden!«

»Nein, sondern zu Eurem Nutzen. Ihr braucht ja nur zu hören, was ich sage, so wißt Ihr, was das Tier thun wird und wie Ihr Euch dagegen zu verhalten habt, wenn Ihr ein so guter Reiter seid, wie Ihr vorhin sagtet.«

»Well, so werde ich das nächstemal sicher gewinnen; ich lasse mich nicht wieder herabbocken. Setzt Ihr noch einmal zehn Dollar?«

»Gern.«

Buttler borgte sich das Geld zum zweitenmal, gab es Dick und sagte zu Sam, indem er wieder aufstieg:

»Nun, sagt dem Racker doch wieder, was er thun soll!«

Sam lachte kurz und lustig auf und rief dem Maultier zu:

»Streif ihn ab, meine liebe Striping-Mary!«

Die Mary setzte sich augenblicklich in galoppierende Bewegung, gegen welche keine Bemühung Buttlers etwas half, schlug einen Bogen nach der unteren Hausecke zu und rannte, bei derselben angekommen, nach der oberen Ecke hin, und zwar so eng an der Mauer, daß das rechte Bein Buttlers an der Ecke hängen blieb und er, wenn er sich dasselbe nicht arg zerschinden oder gar brechen lassen wollte, aus dem Sattel mußte; er wurde »abgestreift« und kam wieder auf die liebe Erde zu sitzen.

»Alle neunundneunzigtausend Teufel!« schrie er wütend, indem er sich erhob und sein Knie befühlte. »Diese Bestie ist ein wahres Höllenvieh. Ich war natürlich auf das Abbocken gefaßt. Wie könnt Ihr ihm da befehlen, daß es mich abstreifen soll?«

Diese Frage galt Sam, welcher antwortete:

»Es ist ausgemacht worden, daß ich mit dem Maultiere sprechen, pfeifen oder auch singen kann, ganz wie es mir beliebt. Daran halte ich fest. Das Geld ist mein.«

Er strich es ein. Buttler hinkte zum Wirte hin und sagte halblaut zu ihm:

»Gib mir zwanzig Dollar! Meine Leute haben nichts mehr.«

»Wollt Ihr wieder wetten?« fragte der Irländer.

»Natürlich!«

»Ihr werdet abermals verlieren!«

»Jetzt ganz gewiß nicht wieder!«

»Und wenn aber doch? Von wem bekomme ich dann mein Geld?«

»Von mir, Halunke, von mir!«

»Aber wann?«

»Bis morgen früh.«

»Morgen früh? Wenn er Euch alles abgenommen hat?«

»Dummkopf! Das ist nur geborgt. Meine Leute würden wohl nicht so ruhig zusehen, wenn sie nicht wüßten, daß ich morgen früh wieder nicht nur zu meinen Verlusten bin, sondern noch viel mehr habe.«


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»Ah, die zweitausend Dollar dieses Schneiders?«

»Yes

»Nehmt Euch in acht, Sir! Dieser Kerl ist doch nicht ganz so dumm, wie wir gedacht haben.«

»Pshaw! Alles Zufall!«

»Mit dem Schießen, ja; aber das mit dem Maultiere wohl nicht.«

»Auch das! Das Tier ist ein altes, ausrangiertes Zirkusvieh, welches er für einige Dollar erhalten hat. Es kann diese beiden Kunststücke; das ist alles, Zufall, nur Zufall. Also her mit dem Gelde! Ich muß einstweilen wenigstens die letzten zweimal zehn Dollar wieder haben.«

Als ihm der Wirt das Geld aus dem Hause geholt hatte, rief er Sam Hawkens zu:

»Wettet Ihr noch mal mit?«

»Ja, doch nun zum letztenmal.«

»Einverstanden; aber um zwanzig Dollar!«

»Yes

»Da ist das Geld. Dazu gebe ich die heiligste Versicherung, daß mich Euer Scheusal jetzt nicht herunterbringt, es kann machen, was es immer will.«

Er stieg auf, nahm die Mary kurz in die Zügel und fest zwischen die Schenkel und horchte zu Sam hin, was dieser befehlen würde, ob abbocken oder abstreifen. Der Kleine aber gebot keins von beiden, sondern rief:

»Wälze ihn ab, meine liebe Rolling-Mary!«

Das Maultier warf sich augenblicklich nieder und rollte sich wie eine Walze auf dem Boden hin. Wenn Buttler sich nicht alle Glieder zerquetschen oder gar zerbrechen lassen wollte, mußte er die Zügel fahren lassen und die Füße aus den Steigbügeln nehmen. Kaum fühlte die Mary, daß sie ihn los war, so sprang sie auf, trabte zu ihrem Herrn hin, stieß ein triumphierendes Geschrei aus und rieb ihr Maul an seiner Schulter.

Buttler erhob sich langsam vom Boden, befühlte und betastete sich oben und unten, hinten und vom und machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht. Er war wütend über die mehrfache Blamage, welche er erlitten hatte, und wollte sich dies doch nicht merken lassen. Dazu schmerzten ihn alle seine Knochen und Muskeln, denn er hatte unter der Mary wie unter einer Drehrolle gelegen.

»Beliebt es Euch vielleicht, noch einmal zu wetten?« rief ihm Sam Hawkens zu.

»Geht zum Satan, sowohl mit Eurem Zufalle wie mit Eurer schändlichen Bestie!« antwortete der Gefragte, indem er sich niedersetzte.

»Habe mit dem Satan keine Geschäfte, Mr. Buttler, werde also dahin gehen, wohin es mir gefällt.«

»Nach Prescott doch?«

»Yes

»Schon heut?«

»Nein. Werden heut hier in San Xavier del Bac bleiben.«

»Habt ihr euch schon nach einem Obdache umgesehen?«

»Nein. Ist nicht nötig; werden im Freien schlafen.«

»Habt ihr zu essen?«

»Noch nicht. Dachten hier was zu bekommen.«

»Damit steht es schlimm. Es ist nichts mehr zu haben. Ihr könnt euch also nur dann satt essen, wenn ihr unsre Gäste sein wollt. Seid also klug, und nehmt meine Einladung an!«

»Thue es hiermit, Sir. Wann werdet ihr speisen?«

»Wenn das Fleisch angekommen ist. Ich werde euch benachrichtigen.«

Damit waren die Wetten beendet und war auch das Gespräch vorüber. Die beiden Gruppen hielten sich nun jede wieder für sich selbst.

»Hast ein famoses Geschäft gemacht!« sagte Dick Stone zu Sam. »Wollte, ich wäre an deiner Stelle!«

»Ist gar nicht nötig, denn wir teilen natürlich, wenn ich mich nicht irre. Halten uns wahrhaftig für Schneider, hihihihi! Und Buttler heißt der Kerl!«

»Sind also die zwölf Finders. Schlechte Gesellschaft das, zum Abendessen!«

»Hätte nicht notwendig gehabt, ihre Einladung anzunehmen; haben ja in unsren Satteltaschen noch Proviant für einen ganzen Tag, was ganz gut bis Tucson reicht; hege aber meine gute Absicht dabei. Will sie nämlich festnehmen.«

»Ohne Kampf?«

»Ohne.«

»Aber wie?«

»Das wird sich finden.«

»Hätten wohl lieber fortreiten sollen von hier; ist ein sehr gefährliches Plaster für uns, das hiesige.«

»Wieso?«

»Werden dir den Gewinn natürlich wieder abnehmen wollen, und wenn nicht mit List, dann mit Gewalt. Wohl nur deshalb sind wir zum Essen geladen worden.«

»Versteht sich am Rande des Teiches. Soll ihnen aber schwer werden. Fürchte mich nicht vor ihnen, besonders da ich gesehen habe, wie leicht sie sich nasführen lassen. Uns für Schneider zu halten, uns, das Kleeblatt!«


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»Haben sogar von diesem Kleeblatte gehört und uns einen Augenblick lang wirklich für dasselbe gehalten!«

»So daß Buttler euch die Köpfe untersuchte. Hätte der Kerl auf dem meinigen eine Entdeckungsreise unternommen, so wäre es ihm nicht länger in den Sinn gekommen, ein Kleeblatt für drei Schneider zu halten, hihihihi! Besaß einst auch mein eigenes Haar mit samt der Haut, an welche es gewachsen war, habe es von Kindesbeinen an ehrlich und mit vollem Rechte getragen, und kein Advokat hat es gewagt, es mir streitig zu machen, bis so ein oder zwei Dutzend Pawnees um mich waren, und mir das Fell bei lebendigem Leibe vom Kopfe schnitten und rissen. Bin dann nach Tekama gegangen und habe mir eine neue Haut gekauft; nannten es Perrücke und kostete mich drei dicke Bündel Biberfelle, wenn ich mich nicht irre. Schadet aber nichts, denn das neue Fell ist zuweilen praktischer als das alte, besonders im Sommer; kann es abnehmen, wenn mich schwitzt und es waschen und kämmen, ohne mich auf den Kopf zu kratzen. Und wenn abermals ein Roter meinen Skalp verlangen sollte, so kann ich ihm denselben verehren, ohne daß es ihm vorher Mühe und mir Schmerzen macht.«

»Und wie albern,« fiel Will Parker ein, »daß sie wirklich glaubten, wir wollten droben am Gila Biber, sogar graue Bären fangen!«

»War gar nicht so albern, wie du denkst,« erklärte Sam. »Haben ja sehr deutlich gesehen, daß du ein Greenhorn bist, und einem solchen ist eben alles zuzutrauen, auch daß er auf einem Heuboden Seehunde und Walfische fangen will. Sprachen davon, daß sie Fleisch erwarten. Wo sie es herbekommen? Ob etwa von Tucson? Ist kaum zu glauben. Wahrscheinlich auch ein Gaunerstreich. Werden es sich stehlen wollen - - behold, da kommen sie gezogen; werden sie also nun wohl kennen lernen.«

Er deutete nach vorn, wo auf dem freien Platze ein großer, langer, mit vier Ochsen bespannter Blahewagen erschien, dem noch drei andre folgten. Ein sehr gut bewaffneter Reiter ritt voran, das war der Scout. Neben den Wagen ritten zwei Knaben oder Jünglinge, welche auch Messer, Revolver und Doppelbüchsen trugen. Die Ochsentreiber waren nicht beritten. In zweien der Wagen gab es Insassen; man sah sie neugierig unter der Blahe hervorblicken.

Der Scout hatte wohl die Absicht gehabt, hier halten zu lassen; aber als er die Gesellschaft vor der Schnapsschänke erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht, und er ritt weiter; die Wagen folgten ihm natürlich.

»Verdammt!« sagte einer der Finders mit unterdrückter Stimme zu dem Wirte. »Da scheint aus dem Braten heut abend nichts zu werden.«

»Warum nicht?«

»Weil sie weiterfahren. Wer weiß, wie weit von hier sie dann halten.«

»Werden nicht weit kommen. Man sah, daß die Ochsen müde waren. Hast du das Gesicht des Scout bemerkt?«

»Nein.«

»Es verfinsterte sich, als er euch erblickte. Es ist in ihm Verdacht gegen euch entstanden, weil ihr ihn zu weit ausgefragt habt. Er hätte wohl hier Lager gemacht und ist nur euretwegen wieder fort, weit aber keineswegs, wohl nur bis ans Ende des Ortes, wo es Gras für die Rinder gibt.«

»Ich werde einmal nachsehen.«

»Thu das nicht. Wenn er dich sieht, wächst sein Mißtrauen.«

»Das ist richtig,« bestätigte Buttler. »Wir müssen warten, bis es dunkel geworden ist; dann gehe ich selbst mit einigen von euch ihnen nach. Sie werden ihre


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Ochsen frei grasen lassen; wir führen einen von denselben fort und schlachten ihn.«

»Und werdet entdeckt!« warf der Wirt ein.

»Was nennst du entdeckt? Wenn jemand kommt, so sitzen wir bei dir und essen gebratenes Rind; das ist alles. Der fehlende Ochse aber liegt weit draußen vor dem Dorfe, zwar erstochen und angeschlachtet, aber wer will beweisen, daß wir die Thäter sind?«

»Wir essen grad das Stück Fleisch, welches an dem toten Ochsen fehlt!«

»Das ist kein Beweis, denn wir haben es soeben von einem unbekannten Roten gekauft. Und will man uns trotzdem noch weiter belästigen, so haben wir Gewehre und Messer, uns jeden Lästigen vom Halse zu schaffen.«

»Die drei Schneider da drüben essen mit?«

»Ja. Weißt du, Paddy, was für einen Gedanken ich habe?«

»Nun?«

»Wir machen sie betrunken.«

»Um sie dann - - -?«

»Ja, um sie dann - - - ganz so, wie du meinst.«

»Bei mir im Hause?«

»Ja, drin in der Stube. Hier im Freien wäre es unmöglich. Man könnte versteckte Zeugen haben.«

»Aber es ist für mich höchst gefährlich, eine solche That in meinem Hause, in meiner Stube geschehen zu - - -«

»Schweig! Du bekommst von dem, was wir bei den Kerls finden, dreihundert Dollar; das ist genug für die kleine Belästigung - bist du einverstanden?«

»Ja, denn ich sehe, es geht nicht wohl anders. Aber ich befürchte, daß sich die Kerls schwer berauschen lassen werden.«

»Leicht, sehr leicht im Gegenteile. Hast du nicht gesehen, daß sie deinen Schnaps wegschütteten?«

»So etwas sieht jeder Wirt!«

»Daraus folgt doch, daß sie keine Schnapstrinker sind und also nichts vertragen können. Nach einigen Gläsern werden sie toll und voll betrunken sein.«

»Ich bin der Ansicht: Daraus folgt, daß sie keine Schnapstrinker sind und also keinen trinken werden. Wie wollt ihr sie da betrunken machen?«

»Hm, auch das wäre möglich. Hast du denn gar nichts andres als nur Schnaps?«

Der Wirt machte ein Gesicht, welches pfiffig sein sollte, und antwortete:

»Für gute Freunde und wenn es ehrlich bezahlt wird, habe ich irgendwo ein Fäßchen sehr hitzigen Kalientewein aus Kalifornien liegen - - -«

»Kalientewein? Alle Wetter, den mußt du schaffen!« fiel Buttler ein. »Ein einziger Liter davon wirft die drei Schneider um, und für uns wird dieser Kaliente eine wahre Wonne sein. Wieviel soll er kosten?«

»Vierzig Liter sechzig Dollar.«

»Etwas teuer, aber einverstanden. Du bekommst also dreihundertsechzig Dollar von dem, was uns die nächste Nacht einbringt.«

»Warum wollt ihr solche Umwege mit diesen Schneidern machen, Sir? Sie einladen, mit ihnen essen, sie unterhalten, dann berauschen und so weiter? Gibt es denn keinen kürzern und bessern Weg?«

»Das sehr wohl; aber Paddy, ich will dir sagen: Es liegt in dem Habitus dieser drei Männer so ein Etwas, was mich nicht so ganz an die Schneider glauben läßt. Ich habe es mir überlegt. Die Schüsse, welche der Kleine gethan hat, sind Meisterschüsse gewesen, sogar die ersten Fehlschüsse. Wir sahen ihn nach dem Papiere zielen, und doch hat er mit einer blitzschnellen Bewegung des Gewehres, welche wir gar nicht bemerkt haben, genau Kugel auf Kugel in die Ecke geschickt. Schau hin, wie sie da sitzen! Sie sehen nicht ein einziges Mal her, o bewahre; aber ich sage dir, daß sie trotzdem alles so genau wissen, als ob sie ihre Augen immerwährend hierher richteten. Ich kenne diese maskierten Späherblicke. Und ihre Haltung! Als ob sie jeden Augenblick bereit wären, ihre Revolver abzudrücken. Hätte einer von ihnen eine Perücke aufgehabt, so würde ich jetzt darauf schwören, daß sie das gefürchtete >Kleeblatt< sind. Und auch trotzdem, daß sie es nicht sein können, müssen wir uns vorsehen. Ueberfallen, überrumpeln lassen die sich nicht so leicht, wenigstens nicht ohne daß sie blitzschnell mit ihren Messern und Kugeln zur Hand sind.«

»Aber zwölf oder gar dreizehn gegen drei; da muß der Ausgang doch wohl sicher sein!«

»Allerdings; aber von den zwölf, also von uns, werden dabei sicher einige getötet oder gar verwundet. Eine Betäubung durch einen tüchtigen Rausch ist da das sicherste und ungefährlichste - - -«

(Fortsetzung folgt.)


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Buttler hielt mitten in der Rede inne, deutete nach dem freien Platze hinüber und fuhr fort:

»Da kommt die sonderbare Gestalt, welche hinter dem Wagen herritt; sie ist zurückgeblieben, sieht den Zug nicht mehr und weiß nun augenscheinlich nicht, wohin sie sich wenden soll.«

Der Ausdruck »sonderbare Gestalt«, dessen er sich bediente, war sehr zutreffend und sagte eher zu wenig als zu viel. Indem sie langsam nähergeritten kam, machte sie in kurzen, fast genau abgemessenen Zeiträumen die regelmäßigsten Pendelbewegungen auf dem Pferde, jetzt mit den Beinen weit nach hinten und den Kopf vornüber gesunken, dann rasch mit demselben nach hinten und mit den beiden Beinen nach vorn. Der Körper war in einen langen, weiten Regenmantel und der Kopf in ein großes Wiener Saloppentuch gehüllt, dessen Zipfel bis auf den Rücken des Pferdes herunter fiel. An den Füßen trug die Figur Zeugstiefeletten; über die eine Schulter hing eine Flinte, und unter dem grauen Mantel schien ein Säbel zu stecken. Das Gesicht, welches


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aus dem Tuche hervorblickte, war bartlos, voll und rot, so daß man, besonders bei dieser Art sich zu kleiden, jetzt wirklich nicht zu sagen vermochte, ob ein Maskulinum oder Femininum da auf dem langsamen, hagern Klepper saß. Und das Alter des rätselhaften Wesens? War diese Frau ein männlicher Mensch, so mochte er fünfunddreißig Jahre zählen; war dieser Mann aber eine Dame, so stand sie sicher im Anfange der Vierzig. Jetzt war sie bei den Tischen angekommen, hielt das Pferd an und grüßte in hohem Kopf- oder Fisteltone:

»Guten Tag, meine Herren! Haben Sie vielleicht vier Ochsenwagen gesehen?«

Alles bisher Gehörte war natürlich englisch gesprochen worden; dieser Damenherr oder diese Herrendame aber bediente sich der deutschen Sprache, deren die Gefragten nicht mächtig waren, weshalb auch keine Antwort erfolgte. Als die Frage in der Tonlage des eingestrichenen d wiederholt wurde, stand Sam Hawkens auf, trat zu dem Pferde hin und antwortete deutsch:

»Sprechen Sie nicht englisch?«

»Nein, nur deutsch.«

»Darf ich erfahren, wer Sie sind?«

Da bekam er eine kleine Terz höher, also im eingestrichenen f, zu hören:

»Ich bin der Herr Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden.«

»Klotzsche bei Dresden? Was der Teufel, da sind Sie wohl ein Sachse?«

»Ja, ein geborener, jetzt aber emeritiert.«

»Und ich auch, obgleich ich mich schon so lange in Amerika befinde, daß ich beinahe vergessen habe, woher ich bin. Sie gehören wohl zu den vier Wagen, Herr Kantor?«

»Ja. Ich bitte aber sehr, recht vollständig zu sein; sagen Sie also lieber, Herr Kantor emeritus! Dann weiß gleich jedermann, daß ich den Orgel- und Kirchendienst quittiert habe, um meine sämtlichen Befähigungen nun ganz allein der harmonischen Göttin der Musik zu widmen.«

Die Aeuglein Sams leuchteten lustig auf, doch meinte er in ernstem Tone:

»Gut, Herr Kantor emeritus, Ihre Wagen sind längst vorüberpassiert, und werden, wie ich vermute, draußen vor dem Dorfe angehalten haben.«

»Wieviel Takte habe ich da noch weiterzureiten?«

»Takte?«

»Hm - - hm - - Schritte wollte ich wohl sagen.«

»Das weiß ich ebensowenig, weil ich mich gleichfalls zum erstenmale hier befinde. Erlauben Sie, daß ich Sie führe?«

»Sehr gern, mein werter Herr. Ich bin die Melodie, und Sie machen die Begleitung. Wenn wir unterwegs keine langen Viertelpausen und Fermaten machen, werden wir wohl mit dem Fine bei den Wagen angekommen sein.«

Sam warf seine Liddy über die Schulter, pfiff seiner Mary, welche ihm wie ein folgsamer Hund folgte, nahm das Pferd des seltsamen Emeritus bei dem Zügel und schritt der Richtung nach, welche die Wagen eingehalten hatten. Da erklang die hohe Fistelstimme vom Klepper herab:

»Sie wissen nun, wie ich heiße und wer und was ich bin; darf ich auch Ihren Namen erfahren?«

»Später.«

»Warum nicht jetzt?«

»Weil sich Leute hier befinden, die ihn nicht wissen dürfen; ich werde Ihnen das später erklären.«

»Warum erst später? So eine Ungewißheit ist mir so ziemlich wie eine unaufgelöste Septime oder None. Haben Sie also die Gewogenheit, diesen Dominantseptakkord von A gefälligst nach D-dur oder doch wenigstens nach B-moll herüberzuleiten!«

»Das wäre eine Unvorsichtigkeit, welche nicht nur mich, sondern auch Sie in Schaden bringen kann. Sie befinden sich in Gefahr, Herr Kantor!«

»Bitte, bitte, Kantor emeritus! In Gefahr? Das geht mich nichts an. Für Musensöhne gibt es nur die eine Gefahr, daß ihre Schöpfungen nicht anerkannt werden; ich kann aber hier weder applaudiert noch deploriert werden, weil niemand meine Kompositionen kennt, welche übrigens nur erst in meinem Kopfe, aber noch nicht in Partitur vorhanden sind.«

»Also Sie komponieren?«

»Ja, bei Tag und Nacht.«

»Was?«

»Eine große Oper für drei Theaterabende in zwölf Akten, für jeden Abend vier Akte; wissen Sie, so eine Trilogie wie der >Ring der Nibelungen< von Richard Wagner, diesesmal aber nicht von ihm sondern von mir, dem Herrn Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden.«

»Können Sie das denn nicht daheim komponieren? Was treibt Sie denn da nach Amerika, noch dazu nach Arizona, dem gefährlichsten Teil des wilden Westens?«

»Wer mich treibt? Der Geist, die Muse, wer denn anders? Der begnadete Musensohn muß den Eingebungen der Göttin folgen.«

»Das verstehe ich nicht. Ich folge keiner Göttin, sondern meinem Verstande.«

»Weil Sie kein Begnadeter sind. Mit Verstand komponiert man keine Oper, sondern mit Generalbaß und Kontrapunkt, wenn nämlich ein passendes Libretto, ein Text vorhanden ist. Und dieser Text, der ist eben die Spannfeder, die mich herübergeschwippst hat nach Amerika.«

»Wieso, Herr Kantor?«

»Bitte wiederholt recht sehr: Kantor emeritus! Es ist wirklich nur der Vollständigkeit halber. Man könnte denken, daß ich noch immer zu Klotzsche bei Dresden die Orgel spielen muß, während ich doch schon seit zwei Jahren einen Nachfolger habe. Meine Oper ist nämlich im Kopfe vollständig fertig; aber es fehlt mir der passende Text dazu. Ich habe mich mit berühmten Dichtern in Verbindung gesetzt, zum Beispiel mit Herrn Zuckerkrach in Wien, der einen sehr schönen Gespensterroman, und mit Herrn von Kuchenbruch in Halle, welcher eine sehr


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lebhafte Ode an den Meerbusen von Biscaya geschrieben hat. Sie haben mir unter die Arme gegriffen, aber nicht poetisch genug. Ich will Hexameter komponieren aber keine Jamben. Auch waren sie mir viel zu zart, zu lyrisch, zu butterig weich, denn ich brauche einen kräftigen, einen gigantischen, einen cyklopischen Text, denn meine Oper soll eine Heldenoper werden. Da habe ich mich also selbst nach Helden umsehen müssen, aber leider keine recht geeigneten gefunden. Die Helden von Rottecks Weltgeschichte sind nämlich schon viel zu sehr abgedroschen worden; ich aber will neue, originale Helden, die noch nicht zwischen den Coulissen und Soffitten gestanden haben. Da lebt nun in der Nähe von Dresden zuweilen mein Freund und Gönner Hobblefrank, und der - - -«

»Der Hobblefrank lebt dort? Den kennen Sie?« fiel Sam schnell und überrascht ein.

»Ja. Sie auch?«

»Sehr gut sogar, sehr gut! Weiter, weiter!«

»Und der hat mich auf solche Helden, wie ich sie brauche, aufmerksam gemacht.«

»Wohl auf sich selbst?«

»Auch mit.«

»Auf wen noch, Herr Kantor?«

»Ich ersuche Sie nun schon zum vierten- oder gar zum fünftenmale: Herr Kantor emeritus! Es ist gewiß und wahrhaftig nur der Vollständigkeit wegen. Man könnte sonst denken, ich messe mir ein Amt an, in welchem ich mich nun schon seit zwei Jahren nicht mehr befinde. Also der Hobblefrank, über den wir übrigens noch weiter sprechen werden, hat mich auf solche für mich passende Helden aufmerksam gemacht, zunächst natürlich auf sich selbst und sodann in zweiter Linie auf drei andre Männer, mit denen er früher hier im wilden Westen ganz außerordentliche Thaten verrichtet hat und wahrscheinlich jetzt wieder zusammengetroffen ist.«

»Wer sind diese Leute?«

»Ein Apachenhäuptling, welcher Winnetou heißt und zwei berühmte weiße Prairiejäger, Namens Old Shatterhand und Old Firehand.«

»Good lack! Das sind allerdings die allerberühmtesten Gentlemen, die ich kenne!«

»Wie? Auch Sie kennen dieselben?«

»Und ob! Wer sollte die nicht kennen! Und wer noch nicht das Glück gehabt hat, sie zu sehen, dem ist, mag er sein, wer er will, doch so viel von ihnen erzählt worden, daß er sie beinahe so gut kennt, als ob er mit ihnen beisammengewesen wäre.«

»So könnten auch Sie mir von ihnen erzählen?«

»Will es meinen! Ich, und nichts von ihnen wissen, hihihihi! Ich sage Ihnen, daß Sie von mir so viel über diese Gents hören können, daß Sie zwanzig Opern davon zu komponieren imstande sind. Die Musik dazu müssen Sie sich freilich selber machen.«

»Natürlich, natürlich! Der Hobblefrank hat mir alle Abenteuer erzählt, die er mit den Herren erlebte; kann ich von Ihnen noch Ferneres vernehmen, so ist mir das lieb, weil dadurch mein zu bearbeitender Stoff reicher wird.«

»Sie sollen mehr erfahren, als Sie brauchen. Aber sagten Sie nicht soeben, daß der Hobble jetzt wieder mit ihnen zusammengetroffen sei?«

»Ja, so sagte ich; ich vermute es, wenn ich es auch nicht ganz bestimmt behaupten kann. Ich war nämlich einige Tage lang nicht daheim gewesen; als ich nach Hause kam, fand ich einige Zeilen von ihm vor, in denen er mich aufforderte, schleunigst zu ihm zu kommen, falls es noch meine Absicht sei, mit ihm nach Amerika zu gehen, um die betreffenden Helden für meine Oper persönlich kennen zu lernen. Ich suchte ihn natürlich sofort auf, kam jedoch zu spät, denn die Villa >Bärenfett<, welche er bewohnt, war verschlossen - alles zu, kein Mensch da, und vom Nachbar konnte ich nur erfahren, daß der Hobblefrank für längere Zeit verreist sein müsse. Ich habe als ganz selbstverständlich angenommen, daß er nach Amerika ist, und bin ihm nachgereist.«

»Warum aber grad in dieses wilde Arizona hinein? Haben Sie denn Grund, zu glauben, daß er sich in dieser Gegend befindet?«

»Ja. Er sprach nämlich einmal mit mir über die ungeheuern Gold- und Silberreichtümer von Arizona und Nevada und erwähnte dabei, daß er sofort dorthin aufbrechen werde, sobald er erfahre, daß einer seiner früheren Gefährten sich dorthin wenden wolle. Er steht nämlich mit ihnen im Briefwechsel. Da er nun so plötzlich und ohne auf mich zu warten abgereist ist, vermute ich, daß er von einem Freunde, wahrscheinlich von Old Shatterhand, eine solche Nachricht empfangen hat.«

»Und daraufhin, also nur daraufhin, haben Sie diese weite Reise gemacht?«

»Ja, ich bin sicher, ihn hier zu treffen.«

»Heigh-ho! Für diese Sicherheit gebe ich Ihnen nicht einen Pfennig. Meinen Sie denn, man treffe sich hier hüben so leicht, wie man sich drüben in der Heimat so zwischen Klotzsche und Zitzschewig findet?«

»Warum nicht? Land ist Land, gleichviel, ob es Sachsen oder Arizona heißt. Warum soll man sich in dem einen schwerer begegnen als in dem andern?«

»Welche Frage! Erstens handelt es sich darum, daß Arizona und Nevada je zwanzigmal größer sind als Sachsen und dann kommen auch die Verhältnisse in Betracht. Haben Sie eine Ahnung davon, wie viele und welche Indianerstämme hier wohnen?«

»Die gehen mich doch nichts an!«

»Kennen Sie die Unwegsamkeit des Landes, die wilden Schluchten und Canons, die Oede der Bergregion, die Trostlosigkeit der Wüsten, besonders derjenigen, welche zwischen Kalifornien, Nevada und Arizona liegt?«

»Geht mich auch nichts an!«

»Verstehen Sie die Sprachen der Indianer, der hiesigen Weißen?«

»Brauche ich nicht! Meine Sprache ist die Musik.«

»Aber der wilde Indianer wird ganz und gar nicht musikalisch mit Ihnen sprechen und verfahren! Wie es scheint, wissen Sie gar nicht, welchen Gefahren Sie sich aussetzen, wenn Sie den Hobblefrank aufsuchen wollen.«


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»Gefahren? Ich habe Ihnen bereits gesagt, wie ich darüber denke. Ein Jünger der Kunst, ein Sohn der Musen hat keine Gefahren zu fürchten. Er steht so hoch über dem gewöhnlichen Leben wie die Violine über dem Rumpelbasse; er lebt und atmet den Aether himmlischer Akkorde und hat mit irdischen Dissonanzen nichts zu schaffen.«

»Well! So lassen Sie sich einmal von einem Indsman den Skalp über die Ohren ziehen, und sagen Sie mir dann, welche himmlischen Akkorde Sie dabei vernommen haben! Hier zu Lande gibt es nur eine Musik, und das ist diese hier.«

Er schlug bei diesen Worten mit der Hand an sein Gewehr und fuhr dann fort:

»Dieses musikalische Instrument gibt die Töne an, nach denen in Arizona und Nevada getanzt wird, und - -«

»Getanzt - - - Pfui!« unterbrach ihn der Kantor. »Wer hat vom Tanzen gesprochen, oder wer wird überhaupt davon sprechen! Ein Künstler niemals! Das Tanzen ist eine hastige und immerwährende Veränderung des festen Standpunktes, durch welche man in unästhetischen Schweiß gerät.«

»Dann will ich wünschen, daß Sie hier nicht in die Lage kommen, ganz gegen Ihren künstlerischen Willen den Schwerpunkt und mit ihm noch einiges andre, vielleicht gar das Leben zu verlieren. Leider steht schon jetzt zu befürchten, daß Sie sehr bald gezwungen sein werden, einen Hopser zu tanzen, bei welchem es wohl kaum ohne Schweiß abgehen wird.«

»Ich? Fällt mir nicht ein!«

»Oho! Sie müssen!«

»Wer wollte oder könnte mich zwingen?«

»Die Herren, welche da hinter uns vor der Schnapsschenke saßen.«

»Wieso?«

»Das werde ich Ihnen später erklären.«

»Warum nicht jetzt?«

»Weil ich es andern auch noch sagen muß und ein Ding nicht gern zweimal thue, wenn es nicht nötig ist, und weil wir jetzt da angekommen sind, wohin wir wollten, wenn ich mich nicht irre.«

Sie hatten das Dorf verlassen und befanden sich nun hinter demselben an der Straße, welche nach der Hauptstadt führt. Während dieses ganzen Weges und Gespräches hatte der Kantor seine eigentümlichen Pendelbewegungen auf dem Pferde fortgesetzt. Bald den Oberkörper nach vorn, bald nach hinten biegend, hatte er die Beine und Füße mit den Bügeln in die entgegengesetzte Richtung geschoben, was dem kleinen Sam Hawkens, wie sein lustiges Augenblinzeln zeigte, nicht wenig Spaß zu machen schien. Jetzt sahen sie die vier großen, schweren Auswandererwagen vor sich stehen. Die Insassen derselben waren ausgestiegen und hatten die Ochsen ausgespannt, welche das nicht allzu reich sprossende Gras abweideten.

Die Wagen waren in der Weise aufgefahren, daß sie eng neben einander standen, mit den Deichseln alle nach einer Seite, nach Süden gerichtet, ein großer Fehler in jener Gegend, wo es der Indianer und des herumvagierenden weißen Gesindels wegen stets geraten ist, eine sogenannte Wagenburg zu bilden. Die Insassen waren ausgestiegen und bewegten sich in geschäftiger Weise auf dem Platze umher. Zwei Frauen suchten nach dornigem Akaziengestrüpp, dem einzigen Holze, das es hier zu einem Feuer gab; zwei andre hantierten mit Töpfen, in denen das Essen gekocht werden sollte; einige Kinder halfen dabei. Zwei Männer schafften in Eimern Wasser herbei; ein dritter untersuchte die Wagenräder; diese drei waren noch ziemlich jung. Ein vierter, welcher gewiß die Fünfzig überschritten hatte, aber noch bei vollen Manneskräften und sehr robust und stark gebaut war, stand inmitten dieses Treibens, um dasselbe zu bewachen und von Zeit zu Zeit mit heller Stimme und in kurzen Worten einen Befehl auszusprechen. Er schien also der Anführer dieser Auswanderer zu sein. Als er die beiden Ankömmlinge bemerkte, rief er dem einen derselben entgegen.

»Wo bleiben Sie denn nun wieder einmal, Herr Kantor? Man ist in steter Sorge um Sie und - -«

»Bitte, bitte, Herr Schmidt,« unterbrach ihn der Angeredete; »Herr Kantor emeritus, wie ich Ihnen schon hundertmal gesagt habe. Es ist wahrhaftig nur der Vollständigkeit wegen und weil ich mir kein Amt anmaßen darf, welches ich nicht mehr bekleide.«

Dabei hielt er sein Pferd an und stieg von demselben herunter, aber wie! Er nahm erst das rechte Bein empor, um links herunter zu kommen; das schien ihm aber zu gefährlich zu sein; darum zog er nun den linken Fuß aus dem Bügel, um zu versuchen, rechts auf die Erde zu kommen, was für ihn aber wahrscheinlich ebenso bedenklich war. Darum stemmte er beide Hände auf den Sattelknopf, lüpfte sich empor und schob sich nach hinten, so daß er auf die Kruppe des Pferdes zu sitzen kam. Von da aus retirierte er langsam immer weiter rückwärts und rutschte endlich beim Schwanze herunter. Das Tier war


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lammfromm und ermüdet und ließ diese sehr seltsame und lächerliche Prozedur ruhig vor sich gehen. Die Emigranten hatten diesem »Abrutsche« schon sehr oft beigewohnt, weshalb er auf sie keinen Eindruck machte; dem guten Sam Hawkens aber war so etwas noch nicht vorgekommen, und so mußte er sich große Mühe geben, nicht laut aufzulachen.

»Ach was, Emeritus!« antwortete Schmidt in kräftiger Weise, die ihm eigen zu sein schien. »Für uns sind Sie noch immer der Herr Kantor. Haben Sie sich emeritieren lassen, so ist das Ihre Sache, aber kein Grund für uns, dieses ewige Fremdwort immer wiederzukauen. Warum bleiben Sie immer zurück? Man hat nur stets auf Sie aufzupassen!«

»Piano, piano, lieber Schmidt! Ich höre Sie sehr gut, auch wenn Sie nicht so schreien. Es kam mir ein musikalischer Gedanke. Ich glaube nämlich, daß man bei einer Ouverture, wenn das Cello im Orchester fehlt, die Stimme desselben auch der dritten Trompete übergeben kann. Nicht?«

»Uebergeben Sie sie meinetwegen der großen Paukentrommel! Ich weiß wohl, daß ein Wagen geschmiert werden muß, wenn er gut laufen soll, aber nicht, was in einer Ouverture getrompetet werden muß. Was haben Sie uns denn da für einen Hanswurst mitgebracht?«

Bei diesen Worten deutete er auf Sam Hawkens. Der Kantor antwortete, ohne ihm das kräftige und wohl auch beleidigende Wort zu verweisen:

»Dieser Herr ist - - ist - - heißt - - hm, das weiß ich selbst noch nicht. Ich traf ihn im Dorfe und fragte ihn nach Ihnen; da ist er so freundlich gewesen, mich heraus zu Ihnen zu modulieren. Die Hauptsache ist, daß er auch ein Sachse ist.«

»Ein - - Sachse?« fragte Schmidt im Tone des Erstaunens, indem er Sam vom Kopfe an bis zu den Füßen herunter betrachtete. »Das ist doch gar nicht möglich! Wenn bei uns in Sachsen jemand in solcher Kleidung herumliefe, würde er auf der Stelle arretiert!«

»Aber wir sind glücklicherweise jetzt nicht in Sachsen,« antwortete Hawkens ganz freundlich; »darum werde ich meine Freiheit wahrscheinlich behalten, wenn ich mich nicht irre. Ihr werdet hier noch ganz andre Anzüge zu sehen bekommen, als der meinige ist. Es gibt im wilden Westen nicht auf je zwanzig Schritte zehn Kleidermagazine. Darf ich vielleicht erfahren, wohin ihr wollt, meine Herren?«

»Ihr?« meinte Schmidt in abweisendem Tone. »Wir sind gewohnt, Sie genannt zu werden, und möchten, ehe wir Ihnen Auskunft geben, zunächst wissen, wer Sie sind, was Sie treiben und auf welchem Weg Sie sich befinden.«

»Well, das können Sie wissen. Ich heiße Falke, bin aus Sachsen herübergekommen, lebe als Westmann und gebe jedem die Ehre, die ihm gebührt. Da habt Ihr meine volle Legitimation. Ob Ihr mir meine Frage nun auch beantworten wollt, das steht in Eurem Belieben.«

»Ihr und Euer? Herr Falke, ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir gewohnt sind - - -«

»Schon gut, schon gut!« unterbrach ihn der Kleine. »Und ich habe auch bereits gesagt, daß ich einem jeden die Ehre gebe, die ihm gebührt. Wer mich als einen Hanswurst betrachtet, der wird von mir Ihr oder gar Er genannt, und sagt der Esel dieses Wort noch einmal, so gehe ich fort und laß ihn so dumm bleiben, wie er ist.«

»Alle Donner! Meinen Sie damit etwa mich?« brauste der Alte auf, indem er drohend einen Schritt zurücktrat.

»Ja,« antwortete der Kleine, indem er ihm furchtlos und höchst freundlich in die Augen sah.

»Da machen Sie ja gleich, daß Sie wieder fortkommen, falls Sie wünschen, daß Ihre Knochen bei einander bleiben sollen!«


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»Ich habe ja schon gesagt, daß ich gehen und Sie bleiben lassen werde, was und wie Sie sind. Aber als Ihr Landsmann denke ich, die Pflicht zu haben, Sie vorher zu warnen.«

»Vor wem?«

»Vor den zwölf Reitern, welche heute an Ihnen vorübergekommen sind.«

»Ist nicht nötig. Wir sind selbst so klug, zu wissen, woran wir sind. Die Kerls haben uns gleich nicht gefallen und, als sie uns ausfragen wollten, keine Auskunft erhalten. Sie sehen also, daß Ihre guten Lehren bei uns überflüssig sind.«

Er drehte sich um, zum Zeichen, daß er mit Sam Hawkens nichts mehr zu thun haben wolle. Dieser machte eine Bewegung, sich zu entfernen, blieb aber doch, angetrieben von seinem guten Herzen, wieder halten und sagte:

»Master Schmidt, noch ein Wort!«

»Was?« fragte der Alte barsch.

»Wenn Ihr wirklich keine guten Lehren braucht, so will ich sie gerne für mich behalten. Gestattet mir nur noch das eine zu fragen. Stehen eure Wagen nur einstweilen so bei einander wie jetzt?«

»Warum diese Frage?«

»Weil dies die allerbequemste Weise ist, bestohlen oder gar überfallen zu werden; hätte ich hier etwas zu gebieten, so würde mit den vier Wagen ein Viereck gebildet, innerhalb dessen alle Menschen und Ochsen - - hihihihi - Menschen und Ochsen während der ganzen Nacht zu bleiben hätten. Dabei müßte von der Dunkelheit an bis zum frühen Morgen ein Posten sorgsam Wache halten.«

»Warum?«

»Weil ihr euch in Avijour befindet und nicht daheim in der Dresdener oder Leipziger Kreisdirektion.«

»Wo wir sind, das wissen wir genau. Um das zu erfahren, brauchen wir keinen Hanswurst zu fragen. Macht Euch also fort von hier, sonst schaffe ich Euch Spannfedern in die Beine!«

»Well, gehe schon, wenn ich mich nicht irre, habe es gut gemeint mit euch; aber wenn dem Esel zu wohl ist, so habe ich nichts dagegen, wenn er auf das Eis geht, um eine Polka zu probieren!«

Er drehte sich scharf um und entfernte sich nach dem Dorfe zu. Schmidt fuhr den Kantor unmutig an:

»Da hatten Sie uns einen saubern Kerl gebracht. Sah aus wie ein Harlekin und war dabei doch grob wie Bohnenstroh. Für solche Landsmänner muß ich danken.«

»Aber mit mir ist er vorher sehr zuvorkommend und freundlich gewesen,« wagte der Emeritus einzuwerfen. »Das war wohl die Folge davon, daß ich ihn hübsch dolce angesprochen habe, wie wir Musikkünstler uns auszudrücken pflegen, während Sie ihm sehr sforzando über den Mund gefahren sind.«

»Weil er wie ein Landstreicher dahergelaufen kam und ---«

(Fortsetzung folgt.)


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Schmidt war von einem lauten Ausrufe unterbrochen worden. Die beiden jungen Männer, welche die Wagen zu Pferde begleitet und von denen die Finders gesprochen hatten, waren am Flusse gewesen, um ihre verstaubten Pferde zu waschen; jetzt kamen sie zurückgeritten. Der eine von ihnen hatte ein sehr intelligentes Gesicht vom Schnitte und der hellen Farbe des Europäers, obgleich die letztere infolge der Sonnenglut beträchtlich gedunkelt war. Er mochte wohl achtzehn Jahre zählen und war von mehr breiter als hoher Figur. Noch interessanter war der Kopf des andern. Seine kühn modellierten Züge waren echt indianisch, doch nicht von der bei den Indsmen gewöhnlichen Schärfe, auch standen seine Backenknochen nicht so weit hervor. Die Farbe seines Gesichtes war ein mattes Bronce, zu welchem das helle Grau seiner scharfen Augen ebenso wie das Mittelblond seines Haares lebhaft kontrastierte. Seine Gestalt war schlanker, doch nicht weniger kräftig als diejenige seines Begleiters, mit welchem er jedenfalls im gleichen Alter stand. Beide waren nach europäischer Art gekleidet und, wie es schien, vortrefflich bewaffnet. Ebenso saßen beide sehr gut zu Pferde, zumal der Grauäugige, welcher mit seinem Tiere wie zusammengegossen schien. Dieser letztere hatte, als er, sich dem Lager nähernd, Sam Hawkens schnell von dannen gehen sah, den Ruf ausgestoßen, durch welchen Schmidt unterbrochen worden war.

»Was gibt's? Was wollen Sie?« fragte dieser entgegen.

Der junge Mann trieb sein Pferd schnell näher und antwortete, vor Schmidt anhaltend, in deutscher Sprache doch mit fremdem Accent:

»Wer war der kleine Mann, welcher soeben von hier fortgegangen ist?«

»Warum?«

»Weil er mir bekannt vorkam. Seine Kleidung ist eine andre, und ich habe sein Gesicht nicht gesehen; aber sein Gang fällt mir auf. Hatte er einen Bart?«

»Ja.«


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»Das stimmt! Die Augen?«

»Sehr klein.«

»Die Nase?«

»Fürchterlich.«

»Stimmt auch! Hatte er vielleicht falsches Haar?«

»Wie kann ich das wissen? Man fragt doch keinen Menschen bei der ersten Begegnung mit ihm, ob sein Haar echt ist!«

»Das thut man nicht; aber eine Perücke ist vom echten Haare mit dem ersten Blicke zu unterscheiden. Wissen Sie vielleicht, was er ist?«

»Einen Westmann nannte er sich.«

»Auch dieses stimmt. Hat er vielleicht seinen Namen genannt?«

»Ja.«

»Sam Hawkens etwa?«

»Nein. Er heißt Falke und ist ein Deutscher.«

»Sonderbar, aber doch erklärlich! Falke heißt englisch auch hawk. Viele Deutsche nehmen, wenn sie herüberkommen, englische Namen an; warum sollte jemand, der Falke heißt, sich nicht Hawkens nennen? Aber daß Sam Hawkens ein Deutscher ist, das glaube ich nicht; er hat nie davon gesprochen und sich auch stets so als Yankee gegeben, daß er jedenfalls westlich vom Atlantik geboren ist. Aber diese Gestalt und dieser eigentümliche, schleichende Gang! Jeder gute Westmann hat das Anschleichen gelernt; aber so pflegt nur Sam Hawkens zu schleichen. Doch halt, noch eine Frage. hat dieser Mann während des Gespräches vielleicht einmal gelacht?«

»Ja.«

»Wie?«

»Ausgesucht höhnisch, als er von Menschen und von Ochsen sprach.«

»Ich meine, mit welchem Vokale, mit welchem Laute er lachte. Man lacht mit a und mit i, sogar mit e oder mit o.«

»Es war mit i, und mehr ein Kichern als ein Lachen.«

»Wirklich, wirklich?« fragte der Jüngling in höher interessiertem Tone. »Dann ist er es vielleicht doch gewesen. Sam Hawkens hat ein ganz eigentümliches Hihihihi, wie man es von keinem andern hört; man vernimmt es sehr oft von ihm; es klingt so listig und dabei stillvergnügt; er schluckt es halb in sich hinein. Und noch ein Erkennungszeichen für ihn gibt es: hat er vielleicht eine Redensart wiederholt?«

»Nicht daß ich wüßte.«

»Hat er nicht einigemal gesagt: Wenn ich mich irre?«

»Möglich, daß er etwas dem ähnliches gesagt hat; ich habe nicht darauf geachtet.«

»So war er es doch nicht. Sam Hawkens sagt so oft: Wenn ich mich nicht irre, daß es einem jeden auffallen muß; dies wäre auch hier der Fall gewesen, und ich habe mich also geirrt.«

Er schwang sich, wie sein Gefährte schon gethan hatte, vom Pferde und ließ es laufen. Seine Ahnung hatte ihn nicht betrogen, doch hatte Sam sich seiner Redensart zufälligerweise nicht so oft bedient, daß sie besonders in die Ohren gefallen wäre.

Der Kleine war nach der Schenke zurückgekehrt und hatte sich wieder zu Dick und Will gesetzt. Um doch etwas zu verzehren, ließen sie sich je noch einen Whisky geben, den sie mit Wasser verdünnt tranken. Die Finders lachten über diese Nüchternheit, ließen die Drei aber sonst in Ruhe.

Als es dunkel geworden war, brannte der Irländer eine Laterne an, welche aufgehängt wurde und den Platz vor dem Hause zur Not erleuchtete; in das Innere desselben sollte erst später, beim Essen, gegangen werden. Nach einiger Zeit stand Buttler vom Tische auf, gab dreien seiner Gefährten einen Wink und entfernte sich mit ihnen.

»Das hat irgend einen Zweck,« sagte Will Parker leise. »Wohin mögen sie wollen?«

»Kannst du dir das nicht denken?« fragte ihn Sam.

»Nein. Ich bin nicht allwissend.«

»Ich auch nicht; aber wer kein solches Greenhorn wie Will Parker ist, der muß wissen, was sie wollen.«

»Nun, was, altes gescheites Coon?«

»Fleisch.«

»Woher?«

»Von den Auswanderern.«

»Ah, ja! Die haben gewiß Rauchfleisch mit, und das soll ihnen gestohlen werden.«

»Fällt keinem Menschen ein! Die Finders haben Appetit nach frischem Fleische, und da draußen bei den Wagen gibt es sechzehn Ochsen. Weißt du nun, woran du bist, mein süßer Will?«

»Ah, die Ochsen, richtig, richtig!« nickte der Gefragte.

»Es ist diesen Gentlemen wirklich zuzutrauen, daß sie einen Ochsen stehlen, was viel leichter ist, als in einen bewachten Wagen zu steigen, um einen harten Schinken herauszuholen. Man legt sich auf die Erde, schleicht sich an das Tier und treibt es langsam und vorsichtig vom Lager fort, bis man es sicher hat.«

»So ist es; ja, so wird's gemacht, hihihihi! Scheinst in früherer Zeit ein feiner Ochsendieb gewesen zu sein, wenn ich mich nicht irre.«

»Schweig, altes Coon! Mir sollten diese Leute leid thun, wenn sie ein Zugtier einbüßen. Ist dir deine Vermutung erst jetzt gekommen?«

»Nein, sondern gleich als Buttler vom Fleische sprach.«

»Und bist bei den Emigranten gewesen und hast sie nicht gewarnt?«

»Wer sagt dir denn, daß ich dies nicht gethan habe? Aber man nannte mich einen Hanswurst, dessen guten Rat niemand braucht. Sam Hawkens ein Hanswurst, hihihihi! Hat mir ungeheuern Spaß gemacht. Bin zwar nicht ganz salonmäßig gekleidet; aber dieser Kantor emeritus sieht doch noch weit eher wie ein Bajazzo aus als ich, wenn ich mich nicht irre.«

»Du lachst. Denkst du denn auch daran, daß wir zum Essen eingeladen sind?«

»Natürlich denke ich daran! Fühle ja einen Hunger


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wie ein Prairiewolf, dem die Sonne zwei Wochen lang in den leeren Magen geschienen hat.«

»Willst also der Einladung folgen und gestohlenes Fleisch mitessen?«

»Yes, sogar sehr!«

»Sam, das wird mir schwer, zu glauben, da du eine so grundehrliche alte Haut bist. Doch thu, was du willst; ich aber mache nicht mit. Gestohlene Ware ißt Will Parker nicht!«

»Sam Hawkens auch nicht, außer er weiß, daß sie hinterher bezahlt wird.«

»Ach, du meinst - - -?«

»Ja,« nickte der Kleine. »Bin ein Hanswurst genannt worden und mußte mich mit meinem Rate abweisen lassen, werde also nichts verhindern. Strafe muß sein, besonders wenn sie zur Lehre und zur Besserung dient, wie mir scheint. Werde auch mit dem größten Appetit mitessen, dann aber dafür sorgen, daß die Bestohlenen voll entschädigt werden.«

»Wenn das ist, esse ich auch mit. Müssen uns aber dabei sehr in acht nehmen. Sollte mich wundern, wenn uns die Finders ungerupft von dannen lassen wollten.«

»Werden ihre eigenen Federn lassen müssen; paß nur auf!«

Buttler mochte mit seinen Gefährten vielleicht drei Viertelstunden fortgewesen sein, als sie zurückkehrten. Sie brachten eine Rindslende mit, welche in das Haus geschafft wurde, um dort gebraten zu werden. Bis sie gar war, wurden noch mehrere Flaschen Whisky geleert. Als die Negerin endlich meldete, daß der Braten fertig sei, kam Buttler zu dem »Kleeblatt« herüber, um dasselbe aufzufordern, sich mit in das Innere des Hauses zu begeben.

»Können wir das, was ihr uns spenden wollt, nicht lieber herausbekommen?« fragte Sam.

»Nein,« lautete die Antwort. »Wer unser Gast sein will, muß bei uns sitzen. Uebrigens wißt ihr vielleicht, daß der Wein nur in Gesellschaft mundet.«

»Wein? Woher soll der hier kommen?« that Sam erstaunt.

»Ja, woher! Nicht wahr, das wundert euch? Ich sage euch, ihr seid bei echten Gentlemen zu Gaste geladen. Wir haben gesehen, daß ihr keinen Whisky mögt, und darum euch zu Liebe und euch zu Ehren den Wirt überredet, uns das einzige Fäßchen abzulassen, was er noch im Hause hat. Es ist ein Wein, wie ihr wohl noch keinen gekostet habt. Also kommt, Mesch'schurs!«

Er wendete sich nach der Thür, in welcher seine Leute schon verschwunden waren. Dadurch gewann Sam Gelegenheit, seinen Gefährten zuzuraunen:

»Wollen uns betrunken machen und dann ausrauben. Denken, wir haben Kindermagen, weil wir den Giftschnaps des Iren verschmähen. Hihihihi, sollen sich täuschen, wenn ich mich nicht irre! Sam Hawkens trinkt wie ein Kellerloch, und hat man je ein Kellerloch berauscht gesehen? Hört also, Boys: Richtet euch genau nach mir. Wir thun, als könnten wir nichts vertragen, trinken sie aber dennoch alle unter den Tisch.«

»Wenn sie uns nicht vorher schon massakrieren!« bemerkte Will.

»Fällt ihnen nicht ein! Müßten doch auf Widerstand gefaßt sein. Würden zwar denken, uns überwältigen zu können, zwölf gegen drei, doch nicht ohne daß auch wir ihnen einige Kugeln oder Stiche in das Fleisch geben. Werden es also jedenfalls vorziehen, uns schwer betrunken zu machen, daß wir uns dann nicht zu wehren vermögen. Also keine Sorge, altes Greenhorn! Hast immer Angst. Sam Hawkens aber ist kein solcher Neuling wie Will Parker und weiß ganz genau, wieviel er wagen darf.«

Während dieses kurzen Gespräches thaten sie, als ob sie nach ihren Tieren sähen, die sich in der Nähe befanden, und traten dann in das Haus.

Rechts lag die Küche mit einem höchst primitiven Herd, auf welchem ein Feuer brannte; über diesem hatte die Negerin das Fleisch gebraten. Links standen zwei lange Tafeln, welche aus ungehobelten Pfählen und Brettern bestanden, daran je zwei Bänke aus demselben Materiale. Es war also für alle Anwesenden Platz zum Sitzen vorhanden. Das Weinfaß lag in der Ecke auf einem Klotze; der Ire füllte daraus zwei Krüge, aus denen getrunken wurde. Gläser gab es nicht.

Die Finders hatten sich vorgenommen, wenig zu trinken, bis ihre drei Gäste vollständig berauscht seien. Sie ließen also die Krüge fast ununterbrochen kreisen und thaten so, als ob sie tüchtig tränken, nahmen aber nur kleine Schlucke. Der Wein war aber wirklich gut; er schmeckte ihnen, und so kam es, daß ihre Schlucke immer größer wurden.

Auch der Braten war vorzüglich; man sprach ihm tüchtig zu und war mit ihm schon fast auf die Neige gelangt, als eine Unterbrechung des Mahles eintrat. Es erschien nämlich der schon erwähnte Führer der Auswanderer unter der Thür, hinter ihm der alte Schmidt und dann auch die drei andern Männer. Sie hatten ihre Gewehre bei sich, während diejenigen der Schmausenden weggelegt worden waren. Als sie die Scene kurz überblickt hatten, trat der Führer einige Schritte näher und sagte:

»Good evening, Mylords! Erlaubt ihr uns vielleicht, euch gesegnete Mahlzeit zu wünschen?«

»Warum nicht?« antwortete Buttler. »Würden euch gern einladen, mitzuthun; haben aber schon beinahe aufgegessen; Knochen, die wir euch geben könnten, gibt es nicht.«

»Thut uns leid. Also nicht mal Knochen? Da ist's wohl gar Lende, was ihr euch geleistet habt?«

»Yes, eine feine Büffellende.«

»Laufen hier noch Büffel herum? Es wird wohl ein zahmes Rind gewesen sein?«

»Wohl möglich. Haben es aber als Büffellende gekauft.«

»Wo denn, wenn ich fragen darf?«

»In Rhodes Rancho im Thale von Santa Cruz, an dem wir vorübergekommen sind.«

»Das muß doch einen tüchtigen Pack gegeben haben, und wir haben keinen bei euch bemerkt, als ihr an uns vorüberrittet.«


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»Weil jeder sein Stück bei sich trug, wenn Ihr nichts dagegen habt, Sir,« hohnlächelte Buttler.

»Well, Master. Wie aber kommt es denn, daß uns ein Ochse fehlt?«

»Fehlt euch ein Ochse? Ah, wie viele seid ihr denn gewesen?«

Die Finders belohnten diesen groben Witz mit einem schallenden Gelächter. Der Führer ließ sich dadurch nicht irre machen und fuhr fort:

»Ja, ein Zugochse ist uns abhanden gekommen. Habt ihr vielleicht eine Ahnung, Gentlemen, wohin er ist?«

»Habt ihr ihn uns vielleicht zur Bewachung anvertraut? Sucht ihn doch!«

»Das thaten wir natürlich und haben ihn gefunden.«

»So seid froh, Sir, und laßt uns mit diesem euerm Ochsen in Ruhe! Wir haben mit dem Beeste nichts zu schaffen.«

»Wahrscheinlich doch! Die Sache ist nämlich die, daß er fortgelockt und erstochen worden ist, mit einem schönen, regelrechten Stiche zwischen die beiden betreffenden Wirbel, einem Stiche, der den sofortigen und lautlosen Tod des Tieres zur Folge hatte. Das ist ganz die Art und Weise der Rinderdiebe, ihre Beute gleich in der Nähe abzuschlachten.«

»Well. So denkt ihr also, der Ochse sei euch gestohlen worden?«

»Das denken wir nicht nur, sondern wir sind überzeugt davon.«

»So jagt den Dieben nach! Vielleicht erwischt ihr sie. Das ist der einzige und beste Rat, den ich euch geben kann.«

»Wir haben ihn bereits befolgt. Sonderbarerweise nämlich fehlt an dem erstochenen Ochsen gerade nur die Lende!«

»Das finde ich nicht sonderbar, sondern ganz erklärlich. Die Diebe haben wohl gewußt, daß die Lende das beste und schmackhafteste Stück eines Rindes ist.«

»Well, sie sind also gleicher Ansicht mit euch gewesen, da ich ja sehe, daß euer Braten grad auch Lende war, wahrscheinlich die Lende eines Zugochsen, nicht aber diejenige eines Büffels.«

Da stand Buttler von der Bank, auf welcher er sitzen geblieben war, auf und fragte in drohendem Tone:

»Was soll das heißen, Sir? Bringt Ihr etwa unsern Braten mit der Lende des gestohlenen Rindes zusammen?«

»Ja, das thue ich allerdings, und ich hoffe, daß ihr nichts dagegen habt.«

Im Nu hatte Buttler sein Gewehr in der Hand, und auch seine Gefährten sprangen auf, die ihrigen zu ergreifen.

»Mann,« rief er dem Führer zu, »wißt Ihr, was Ihr thut, was Ihr wagt? Wollt Ihr etwa behaupten, wir seien die Diebe, welche Ihr sucht? Seht diese zwölf Gewehre auf Euch gerichtet, und wiederholt die Anschuldigung, welche Ihr ausgesprochen habt!«

»Fällt mir nicht ein! Ich habe meine Pflicht gethan und bin nun fertig. Ich bin der Führer der Männer, welche da hinter mir stehen; sie sind Deutsche und können nicht englisch sprechen. Was ich sagte, habe ich in ihrem Namen gesagt und kann nun gehen. Ich bin ihr Scout, aber nicht ihr Ochsenhirt; was nun zu thun ist, mögen sie selber thun.«

Er drehte sich um und ging fort. Dieser Mann hatte von seinem Standpunkte aus ganz recht; er war ein Mietling und that nur das, wofür er bezahlt wurde. Er hatte eigentlich schon zuviel gethan, indem er sich eines abhanden gekommenen Rindes wegen vor die drohenden Läufe dieser gefährlichen Leute wagte. Die Deutschen hatten wahrscheinlich gemeint, er werde diese Angelegenheit zu Ende führen, denn sie standen, als er sich entfernt hatte, zunächst wie ratlos da, bis dem alten Schmidt ein Auskunftsmittel in den Sinn kam. Er wendete sich nämlich an Sam Hawkens, welcher mit seinen beiden Freunden ruhig weitergegessen und scheinbar auf sonst nichts geachtet hatte.

»Herr Falke, haben Sie gehört, was unser Führer gesagt hat?«

»So ziemlich,« antwortete der Kleine, indem er ein Stück Fleisch in den Mund schob.

»Wir haben es nicht verstanden. Hielt er diese Leute für die Diebe?«

»Ja.«

»Und das sagte er ihnen?«

»Ja.«

»Was war die Folge?«

»Die Folge? Hm, die Folge war, daß er dann fortging.«

»Alle Teufel! Soll ich mir etwa meinen Ochsen stehlen lassen!«

»Sollen? Sie haben sich ihn stehlen lassen, wenn ich mich nicht irre.«

Bei diesen letzteren Worten, auf welche er besonders aufmerksam gemacht worden war, horchte Schmidt auf. Dann fuhr er fort:

»Das muß aber doch bestraft werden!«

»Von wem?«

»Vom Gerichte. Und ich muß Schadenersatz bekommen!«

»Von wem?«

»Von den Spitzbuben.«

»So redet mit dem Gerichte und auch mit den Spitzbuben.«

»Ich verstehe ja nicht englisch!«

»Ihr könntet auch nichts machen, wenn Ihr es verständet.«

»So helfen Sie mir doch! Sie sind ein Deutscher, also ein Landsmann von uns und müssen sich unsrer annehmen.«

»Ich muß? Was könnt Ihr von der Hilfe eines Hanswurstes erwarten? Hättet Ihr meinen Rat befolgt, eine Wagenburg gebildet und Euer Vieh bewacht, so wäre Euch der Ochse nicht gestohlen worden. Ich kann nichts für Euch thun, gar nichts.«

»Aber hier sitzen, mit den Spitzbuben gemeinschaftliche Sache machen und von dem gestohlenen Braten essen, das können Sie wohl, nicht?«

»Ja, das kann ich, denn ich bin von ihnen zum Mitessen eingeladen worden, wenn ich mich nicht irre.«


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Wieder horchte Schmidt auf, als er diese Worte hörte. Das war ja genau die Redensart, deren sich Sam Hawkens zu bedienen pflegte! Dann stieß der Deutsche den Kolben seines Gewehres wütend auf den Fußboden und rief:

»Dann danke ich für die Landsmannschaft und werde mir selber helfen!«

»Wie wollt Ihr das anfangen?«

»Ich zwinge diese Schufte, mich zu bezahlen!«

»In welcher Weise?«

»Durch Gewalt. Wir sind vier Personen und haben unsre Gewehre!«

»Und hier stehen zwölf verwegene Männer euch gegenüber, welche ebenso gute Gewehre besitzen. Begeht keine Dummheit! Der Ochse ist dadurch, daß ihr euch in eine offenbare Lebensgefahr begebt, nicht wieder lebendig zu machen.«

»Das weiß ich auch; aber wo bleibt das Geld, welches er mich kostet?«

»Diese Leute haben kein Geld, und selbst wenn sie welches besäßen, würdet Ihr es ihnen durch Gewalt nicht abzuzwingen vermögen.«

»Soll ich etwa List anwenden?«

»Dazu seid Ihr nicht der Mann. Ein Bär ist kein Fuchs und ein Tolpatsch kein Pfiffikus, wenn ich mich nicht irre.«

Schon wollte Schmidt wegen des Tolpatsches eine grobe Antwort geben, als die letzteren Worte ihn von diesem Vorhaben abbrachten. Er fragte rasch:

»Wenn ich mich nicht irre! So haben Sie jetzt schon dreimal gesagt. Heißen Sie wirklich Falke?«

»Ja, wenn ich mich nicht irre.«

»Und bringen doch immer diese Worte, welche die Redensart eines andern Westmannes sein sollen.«

»Welches Mannes?«

»Schi-So hat mir seinen Namen gesagt; ich habe ihn aber wieder vergessen.«

»Schi-So?« fragte Sam, sichtlich überrascht. »Wer ist das?«

»Ein junger Begleiter von uns, der Sohn eines Navajohäuptlings, welcher Nitsas-Ini heißt.«

Da machte Sam eine Bewegung der Freude und rief aus:

»Nitsas-Ini? Sein Sohn ist bei euch? Kommt er aus Deutschland zurück?«

»Ja; er ist mit uns herübergefahren.«

»Ausgezeichnet, ausgezeichnet! Da es so steht, sollen Sie mich nicht umsonst um meinen Beistand gebeten haben. Kehren Sie nun ruhig in Ihr Lager zurück; Sie werden Ihren Ochsen ersetzt bekommen.«

Hatte er vorher Ihr zu ihm gesagt, so begann er nun, ihn Sie zu nennen. Die Nachricht, welche er soeben empfangen hatte, mußte ihn also umgestimmt haben.

»Das sagen Sie wohl nur, um mich loszuwerden?« fragte Schmidt mißtrauisch.

»Nein. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie volle Entschädigung erhalten werden, und vielleicht noch mehr als das. Wieviel hat der Ochse gekostet?«

»Hundertdreißig Dollar.«

»Die erhalten Sie. Ich sage es Ihnen, und also ist es wahr, wenn ich mich nicht irre.«


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»Schon wieder: Wenn ich mich nicht irre! So sind Sie wohl der Westmann, welchen Schi-So meint?«

»Jedenfalls bin ich es, denn ich weiß, daß mir diese Worte sehr oft über die Zunge schlüpfen, ohne daß ich es beabsichtige. Es ist eine Angewohnheit von mir, welche abzulegen ich mir vergeblich Mühe gegeben habe. Ich habe Schi-So früher sehr oft gesehen, wenn ich mich als Gast bei dem Stamme seines Vaters befand. Sagen Sie ihm, daß ich mit dem Frühesten hinaus in das Lager kommen werde, um ihn zu begrüßen. Wo befand er sich denn, als ich gegen Abend draußen war?«

»Er war nach dem Flusse geritten.«

»Und Ihr Scout, den ich auch nicht sah?«

»Der war fort, um vielleicht einen wilden Truthahn zu schießen. Ich werde ihm eine Predigt darüber halten, daß er uns hier so schmachvoll verlassen hat.«

»Das wird Ihnen keinen Nutzen bringen. Wenn Sie ihn nicht dafür bezahlen, daß er Sie und alle Ihre Habe vor jeder Gefahr zu schützen hat, können Sie nicht verlangen, daß er sich selbst in Gefahr begibt. Also gehen Sie jetzt! Ihr längeres Bleiben hat keinen Zweck, sondern nur den Erfolg, diese Leute hier noch mehr gegen Sie aufzuregen.«

»Sie werden aber Wort halten?«

»Gewiß; Sie können sich darauf verlassen.«

»So will ich gehen, und niemals wieder soll es mir vorkommen, daß ich mir etwas stehlen lasse.«

»Wenn Sie nicht verständiger handeln, als Sie heut gehandelt haben, werden Sie noch oft Schaden erleiden, bis Sie endlich klüger geworden sind.«

»Haben Sie keine Sorge. Ich werde von jetzt an sehr darauf achten, wenn mir jemand einen guten Rat erteilt.«

»So will ich das benutzen und Ihnen gleich jetzt den Rat geben, niemals wieder, wenigstens im wilden Westen nicht, einen Menschen nach dem Anzuge zu taxieren, den er auf dem Leibe trägt. Kleider machen hier nicht Leute; das merken Sie sich!«

Als Schmidt mit seinen drei Männern das Haus verlassen hatte, fragte Buttler den Kleinen:

»Wir haben kein Wort verstanden. Was meinte denn der Kerl?«

»Er verlangte Schadenersatz.«

»Und was habt Ihr geantwortet?«

»Ihn fortgeschickt.«

Sam sagte damit keine Lüge, aber auch nicht, daß er Ersatz versprochen hatte. Der Finder fühlte sich befriedigt und meinte:

»Es war sein Glück, daß er Euch gehorcht hat. Wir sind nicht gewohnt, mit Deutschmen viel Federlesens zu machen. Jetzt aber setzt Euch wieder nieder. Wir wollen zeigen, daß diese Dummköpfe uns den Appetit nicht verdorben haben.«

Das Essen und Trinken begann von neuem; das erstere währte nicht lange mehr, da nur der Rest noch zu verzehren war; desto mehr wurde sich dann auf das letztere verlegt. Als das Faß halb geleert war, gab sich Sam den Anschein, als ob der Wein eine berauschende Wirkung auf ihn zu äußern beginne, und Dick und Will folgten seinem Beispiele. Das freute die Finders außerordentlich; sie sahen ihre Absicht gelingen, glaubten, daß es nur noch kurzer Zeit bedürfen werde, ihre Opfer einzuschläfern, und sprachen nun den Krügen noch mehr als vorher zu. So verging Viertelstunde auf Viertelstunde. Sam that, als ob er nur noch mit Mühe die Augen offen zu halten vermöge; den Finders begannen die ihrigen auch zuzufallen, doch nicht zum Scheine, sondern aus wirklicher Betrunkenheit; sie hatten vorher zuviel Schnaps zu sich genommen.

Der erste, welchen das Trinken vollständig übermannte, war der Irländer. Er setzte sich am Herde nieder, schlief ein, nickte tiefer und immer tiefer und fiel dann endlich, ohne aufzuwachen, auf den Boden nieder, so lang er war.

Sam hatte dem Anführer sehr fleißig zugetrunken, und dieser bekam einen solchen Rausch, daß er den Kopf in die Hände und die Ellenbogen auf die Tafel stemmen mußte, um ihn zu halten. Er merkte sehr wohl, daß der Wein ihn übermannen wolle, und gedachte, sich keine Blöße vor seinen Leuten geben zu dürfen. Darum blinzelte er ihnen verstohlen, wie er meinte, zu; sie sollten denken, daß er sich bloß verstelle. Die ganz natürliche Folge davon war, daß sie glaubten, sich denselben Anschein geben zu sollen, dies war ihnen außerordentlich lieb, und so trat in der erst so lauten und beweglichen Gesellschaft bald die größte Ruhe und Stille ein.

Da stand Hawkens auf, um die Krüge zu füllen. So lange noch ein Tropfen in dem Fasse war, weckte er bald den einen, bald den andern auf, um ihn zum Trinken zu nötigen.

(Fortsetzung folgt.)


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Endlich war das Faß leer und die Finders schliefen alle einen tiefen, tiefen Schlaf, aber nicht den der Gerechten. Sam machte die Probe, indem er einige von ihnen weckte. Sie lallten, ohne zur richtigen Besinnung zu gelangen, unverständliches Zeug und fielen wieder zusammen. Einer von ihnen stierte mit leblosen Augen vor sich hin und fragte:

»Sind sie nun endlich betrunken, Buttler?«

»Ja, ganz und gar,« antwortete Sam.

»Dann hinaus mit ihnen und das Messer zwischen die Rippen; dann teilen wir das Geld und scharren sie ein.«

Und als Sam nichts dazu sagte, fuhr er mit lallender Zunge fort:

»Was redest du nicht? Willst du sie etwa laufen lassen? Das geht nicht; ihr Tod ist beschlossen. Soll ich -- mit -- meinem --Messer--anfangen?«

»Ja,« sagte Hawkens.

»Dann - - nehme ich - - den kleinen - - Di - - Di - -


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Dicken und - - -« Er griff mit der Hand nach dem Gürtel, um sein Messer zu ziehen, stand auf, konnte sich aber nicht halten und glitt auf den Boden nieder, wo er ohne Besinnung liegen blieb.

»Da haben wir es gehört,« flüsterte Dick Stone. »Ermordet sollen wir werden, und nachdem man uns ausgeraubt hat, will man uns verscharren. Du hattest mit deiner Vermutung also das Richtige getroffen, alter Sam. Was thun wir nun?«

»Das Einfachste: wir fesseln sie. Riemen und Schnüre wird es wohl im Hause geben.«

Ja, es gab deren genug, und bald hatten die Drei die Finders nicht nur, sondern auch den Wirt und die alte Negerin, welche auch schwer betrunken war, an Händen und Füßen gefesselt. Nun ließ Sam seine beiden Genossen als Wächter zurück und ging nach dem Lagerplatze der deutschen Emigranten. Als er sich demselben näherte, hörte er eine jugendliche Stimme rufen:

»Who is there? I shoot - wer ist da? Ich schieße!«

»Sam Hawkens ist's,« antwortete er.

»Schon? Das ist prächtig! Tretet näher, Sir! Daß Ihr so bald kommt, ist ein gutes Zeichen, wie ich vermute?«

»Kann auch ein schlimmes sein. Wie nun, wenn ich hätte fliehen müssen?«

»Dann wären Eure beiden Gefährten bei Euch. Ohne die flieht Ihr gewiß nicht; also meine ich, weil sie im Dorfe geblieben sind, daß es dort gut stehe. Kommt herein, Sir; steigt über diese Wagendeichsel!«

»Bin zu klein dazu; will lieber drunterweg kriechen.«

Sam bemerkte, daß man mit den Wagen ein Viereck gebildet und die Tiere in dasselbe getrieben hatte. Sein Rat war also befolgt worden, doch leider erst dann, als man durch Schaden klug geworden war. Der, welcher die Wache gehabt und ihn angerufen hatte, streckte ihm die Hand zum Gruße entgegen. Es war Schi-So, der Indianerhäuptlingssohn. Er hatte im reinsten Englisch gesprochen. Jetzt fragte ihn Sam:

»Hoffentlich sprechen Sie deutsch, junger Freund, da Sie sechs Jahre in Deutschland gewesen sind?«

»Ziemlich gut.«

»So lassen Sie uns die Schläfer wecken und deutsch sprechen, da sie Deutsche sind. Doch horch! Wer kommt da?«

Sie horchten in die Nacht hinaus. Man hörte Pferdegetrappel vom Dorfe her.

»Ein Reiter ist's, ein einzelner,« flüsterte Schi-So. »Wer mag das sein?«

»Es ist kein Reiter; diesen Hufschlag kenne ich sehr genau. Es ist meine alte, gute Mary, welche mir nachgelaufen kommt. Sie kennen sie von früher her?«

»Ja, ich kenne sie. Aber bitte, sagen Sie nicht Sie, sondern Du zu mir! Ich bin Indsman und will ein solcher bleiben und den Gewohnheiten meines Stammes nicht untreu werden.«

»Recht so, mein Junge! Bist also da drüben nicht stolz geworden? Da wird der alte Sam dich lieb behalten. Hast mir viel zu erzählen, doch ist jetzt nicht die Zeit dazu; müssen es für später aufheben.«

Das Maultier kam bis an die Wagendeichsel heran, an welcher Sam noch immer stand, und rieb den Kopf an seiner Schulter. Durch das laute Sprechen waren die Schläfer wach geworden; sie kamen herbei, um zu fragen, wer gekommen sei; sie konnten Sam nicht sehen, weil das Feuer verloschen war. Er wurde von Schmidt ganz anders empfangen als beim ersten Male und erteilte die Weisung, daß es wieder angebrannt werden solle. Als das Feuer den Platz beleuchtete, verlangte er zunächst, die Namen der Anwesenden kennen zu lernen. Schi-So stellte ihm die Personen vor. Die drei jüngeren, aber auch verheirateten Auswanderer hießen Strauch, Ebersbach und Uhlmann; Schi-So's junger Freund wurde Adolf Wolf genannt. Mehr wollte Sam nicht wissen; er meinte, das Nähere könne er später erfahren, und jetzt müsse man sich zunächst mit der Gegenwart beschäftigen. Die Frauen und Kinder, unter denen keine kleinen waren, kamen auch herbei; der Scout konnte selbstverständlich nicht fern bleiben, und so waren alle beisammen, als Sam in seiner eigenartigen Weise von seinem heutigen Zusammentreffen mit den Finders zu erzählen begann. Außer dem jungen, blonden Indianer hatte ihn bisher keiner der Anwesenden gekannt. Als sie hörten, in welcher Weise er die Wetten gewonnen und dann die Finders in den Schlaf getrunken und dann sich ihrer Personen versichert hatte, erkannten sie trotz der Einfachheit und Bescheidenheit seiner Darstellungsweise, daß dieses kleine, sonderbare Männchen keineswegs ein gewöhnlicher Westläufer oder gar Herumstreicher sei. Das fühlte auch der alte Schmidt; darum streckte er ihm, als die Erzählung zu Ende war, die Hand entgegen und sagte in entschuldigendem Tone:

»Ich sehe ein, daß ich Sie um Verzeihung bitten muß; ich habe Sie verkannt. Hoffentlich tragen Sie es mir nicht nach?«

»Werde mich hüten!« lachte der Kleine. »Habe an mir selbst genug zu tragen und werde mich also nicht auch noch mit andrer Leute Fehler schleppen. Der Hanswurst ist vergeben und soll auch vergessen sein, wenn ich mich nicht irre.«

»Sie behaupten also, daß diese zwölf Personen die Finders sind?«

»Ja.«

»Daß Sie mit Stone und Parker ermordet werden sollten?«

»Ja.«

»Und daß diese Spitzbuben auch uns überfallen und ausrauben wollten?«

»Auch das.«

»So liegen Gründe genug vor, sie alle um den Hals oder wenigstens in das Zuchthaus zu bringen. Wir werden sie also während dieser Nacht bewachen und morgen dann der Behörde übergeben.«

»Nein, das werden wir nicht.«

»Was denn?«

»Sie laufen lassen.«

»Laufen lassen? Solche Verbrecher, denen Sie soeben mit heiler Haut entgangen sind? Haben Sie ein Gehirn im Kopfe?«


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»Vielleicht steckt's drin; in den Stiefeln wenigstens habe ich es nicht, Master Schmidt. Man merkt es wohl, daß Sie eben jetzt von drüben herüberkommen und noch fremd im Lande sind. Wenn Euch drüben jemand einen Schafskopf nennt, so schleppt Ihr ihn schnell vor den Richter; hier aber macht man das anders. Selbst ist der Mann! Welche Behörde meinen Sie? Wo gibt es eine? Und wenn, hat sie auch die nötige Gewalt? Kann ich beweisen, was ich behaupte?«

»Ich denke doch!«

»Nein. Ich halte diese Männer für die Finders, weil sie ihrer zwölf sind und einer von ihnen Buttler heißt. Ist das vor dem Richter ein Beweis? Ich behaupte, daß man uns ermorden wollte, denn ein total Betrunkener hat es geschwatzt. Ich sage Ihnen, daß Sie überfallen werden sollen, denn ich vermute es. Was wird der Richter dazu meinen? Und wenn er die Anzeige annimmt und die Finders einsperrt, so haben wir Aufenthalt und eine Menge Scherereien, daß wir himmelblau vor Aerger werden.«

»Nun wohl! Sie sagten: Selbst ist der Mann. Bilden wir also selbst ein Gericht. Wir verurteilen die Spitzbuben zum Tode und geben jedem von ihnen eine Kugel.«

»Soll mich Gott behüten! Ich bin kein Mörder. Nur in direkter Verteidigung meines Lebens bin ich im stande, Menschenblut zu vergießen.«

»Also wollen Sie sie wirklich entlaufen lassen?«

»Ja.«

»Und sie sollen keine Strafe bekommen?«

»Doch! Grad deshalb, weil sie bestraft werden sollen, will ich sie laufen lassen.«

»Herr, das ist ja gar nicht möglich; das ist widersinnig! Wollen Sie mich etwa foppen?«

»Habe keine Lust dazu. Würde keine Ehre einbringen, einen Neuling zu foppen. Widersinnig, sagen Sie? Master Schmidt, die Sache hat den besten Sinn, den es geben kann, wenn ich mich nicht irre. Es gehört dazu nichts weiter als ein wenig Grütze im Kopfe. Haben Sie welche drin, hihihihi?«

»Herr, Ihr werdet beleidigend!« brauste Schmidt auf, der trotz seines vorhin gegebenen Versprechens sein Temperament nicht bezähmen konnte.

»Beleidigend? Nein. Spreche nur stets so, wie mit mir geredet wird. Haben mich vorhin auch gefragt, ob ich ein Gehirn im Kopfe habe. Werde Ihnen erklären, daß kein Widersinn vorhanden ist. Wir haben jetzt keine Beweise, sondern nur Vermutungen; müssen also nach Beweisen fischen. Lassen wir die Kerls jetzt laufen, so überfallen sie Ihren Wagenzug, und wir nehmen sie beim Schopfe; dann besitzen wir den Beweis, der ihnen an den Kragen gehen wird, wenn ich mich nicht irre.«

»Wie? Ueberfallen sollen wir uns lassen?«

»Ja, freilich.«

»Da begeben wir uns aber doch in eine Gefahr, in welcher wir umkommen können!«

»Denke nicht daran! Kommt ganz darauf an, wo man das Pferd aufzäumt, ob beim Kopfe oder beim Schwanze. Verlassen Sie sich nur auf mich! Sam Hawkens, dieses alte Coon, wird schon eine List ausfindig machen, in welcher diese Finders stecken bleiben müssen. Werden noch weiter darüber sprechen. Muß mich auch mit Dick Stone und Will Parker bereden. Die Hauptsache ist jetzt zunächst die Erfüllung meines Versprechens: Schadenersatz für den gestohlenen und getöteten Ochsen. Wollen Sie ihn sich jetzt holen?«

»Wenn ich ihn bekommen kann, sofort. Nur fragt es sich, ob die Finders die ganze Summe bezahlen werden.«

»Warum sollten sie nicht?«

»Weil sie nur die Lende genommen und wir uns das andere zurückgeholt haben, um es selbst zu verzehren.«

»Bleibt sich gleich; der Ochse ist tot und muß bezahlt werden. Also kommen Sie jetzt, sich den Ersatz zu holen! Aber hüten Sie sich dabei, mich bei meinem hiesigen Namen Sam Hawkens zu nennen! Ich habe meine guten Gründe, diesen Menschen denselben noch nicht wissen zu lassen.«

»Wer von uns soll alles mit nach dem Dorfe gehen?«

»Nur Sie allein, Master Schmidt; mehr brauchen wir nicht. Die andern mögen hier bleiben, sich zum Aufbruche rüsten und die Ochsen an die Wagen spannen, damit Ihr Zug nach unsrer Rückkehr sofort nach Tucson aufbrechen kann.«

»Jetzt schon, noch während der Nacht? Wir müssen doch ausruhen und wollten erst am Morgen fort.«

»Das wird nun nicht möglich sein. Wie die Verhältnisse jetzt liegen, müssen Sie unbedingt auf die fernere Nachtruhe verzichten.«

Da ertönte von dort, wo die Frauen sich befanden, eine tiefe kräftige Baßstimme im ausgesprochensten sächsischen Dialekte.

»Hörn Se, daraus wird nischt! Der Mensch will seine ordentliche Ruhe haben und das Vieh ooch. Es wird also hier geblieben!«

Sam blickte die Sprecherin verwundert an. Einen Einspruch von weiblicher Seite, und noch dazu in diesem Tone, hatte er nicht erwartet. Sie war eine starkknochige Gestalt von sehr männlichem, resolutem Aussehen. Hätte das Feuer heller gebrannt, oder wäre es Tag gewesen, so würde der Kleine bemerkt haben, daß unter ihrer scharf gebauten Nase sich eine dunkle Linie hinzog, welche man beim besten Willen doch nicht anders als einen Schnurrbart nennen konnte.

»Ja, gucken Sie nur immer her!« fuhr sie fort, als sie den befremdeten Blick des Westmannes auf sich gerichtet sah. »Es wird nich andersch. Bei Tage wird gefahren und bei Nacht geschlafen. Da könnte jeder kommen und unsre Ordnung über den Haufen werfen!«

»Aber mein Vorschlag zielt nur auf Ihre Sicherheit, auf Ihren Vorteil hin, liebe Frau,« antwortete Sam.

»Das machen Sie mir nich weiß!« entgegnete sie wegwerfend. »Een ordentlicher Mensch treibt sich nich so mitten in der Nacht und bei solcher Finsterheet in Amerika herum. Ja, wenn's derheeme wär, da ließ ich mersch gefallen; aber in fremden Erdteelen wartet man hübsch ruhig, bis es Tag geworden is. Verschtehen Se mich?«

»Freilich verstehe ich Sie, liebe Frau; aber ich denke, -«


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»Liebe Frau?« unterbrach sie ihn. »Ich bin gar nich Ihre liebe Frau! Wissen Se, wer ich eegentlich bin und wie ich heeße?«

»Natürlich sind Sie die Gattin eines dieser vier Gentlemen.«

»Gentlemen! Reden Se doch deutsch, wenn Se eene deutsche Frau vor sich haben! Ich bin die Frau Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern. Der da« - - - dabei deutete sie auf einen der drei jüngeren Auswanderer - - »is mein gegenwärtiger Gemahl und Ehemann, Herr Schmiedemeester Ebersbach; so wird's nämlich geschrieben, gesprochen aber Eberschbach. Und daß Sie's gleich von vorn'rein wissen, er tanzt nich etwa so, wie Sie pfeifen, sondern er hat sich nach mir zu richten, weil ich elf Jahre älter bin und also mehr Verschtand und Erfahrung haben muß als er. Ich bleibe hier und er folglich ooch. Bei nachtschlafender Zeit wird nich in der Welt herumgefahren.«

Da keiner der Emigranten eine Entgegnung aussprach, so ließ Sam Hawkens seine lebhaften Aeuglein lustig im Kreise herumgehen und meinte dann:

»Wenn die Herren gewohnt sind, dieser sehr energischen Lady zu gehorchen, so kann ich allerdings nur bitten, wenigstens für dieses Mal eine Ausnahme zu machen.«

Er wollte weiter sprechen; sie aber fiel ihm schnell in die Rede:

»I was Se nich sagen! Eene Ausnahme! Als ob ich mer das gefallen ließe! Da kennen Se mich schlecht! Was gucken Se mich denn so an? Se brauchen keen solches Gesicht zu machen. Wissen Se, ich bin's, nach der man sich hier zu richten hat, ich; verschtehn Se mich? Wer hat denn die ganzen Kosten bezahlt? Für die Ueberfahrt und nachher ooch für den Landweg bis hierher? Und wer wird noch weiter herborgen müssen? Ich! Ich bin's Kapital! Jetzt wissen Se alles, und nun woll'n mer wieder schlafen gehn!«

Wieder sagte keiner der Männer ein Wort dagegen, selbst Schmidt nicht, der doch der Anführer zu sein schien und vor Abend gegen Sam so kräftig aufgetreten war. Darum stand dieser letztere vom Feuer, an welchem er gesessen hatte, auf und sprach in gleichgültigem Tone:

»Ganz wie Sie wollen. Sagen wir also gute Nacht, wenn ich mich nicht irre. Es ist das letzte Mal, daß Sie es thun, denn ich bin überzeugt, daß der heutige Schlaf Ihr letzter ist, hihihi!«

Er wendete sich zum Gehen; da stand die Frau auch schnell auf, hielt ihn am Arme fest und fragte:

»Unser letzter Schlaf? Wie meenen Se das, Sie kleenes Männchen Sie?«

Sie war allerdings, als sie so neben ihm stand, um einen Kopf länger als er. Er that, als hätte er diese Bezeichnung nicht gehört, und antwortete:

»Ich meine, daß Sie früh nicht wieder aufwachen werden.«

»Warum denn nich?«

»Weil Sie tot sein werden.«

»Tot? Das fällt mir gar nich ein! Frau Rosalie Eberschbach schtirbt noch lange nich!«

»Glauben Sie, daß die zwölf Vagabunden, mit denen Sie es zu thun haben, gesonnen sein werden, sich nach Frau Rosalie Ebersbach zu richten?«

»Die können uns nischt thun; die sind gefangen und gebunden, wie Sie uns erzählt haben.«

»Sie werden sich aber frei machen und über Sie herfallen, sobald ich mich mit meinen beiden Kameraden aus der Schenke entfernt habe.«

»Sie wollen sich entfernen, wollen fort?«

»Natürlich!«

»Wohin?«

»Nach Tucson.«

»Warum aber denn? Es is doch eegentlich Ihre Pflicht, diese Gefangenen zu bewachen, bis wir uns in Sicherheet befinden! Was soll ich denn von Ihnen denken, wenn Sie uns im Schtiche lassen und von hier verschwinden wie Butter an der Sonne!«

»Denken Sie, was Sie wollen!«

»Schöne Rede das, sehr schöne Rede! Haben Se denn noch nich gehört, daß Männer gegen Damen uffmerksam zu sein und sie zu beschützen haben? Und Frau Rosalie Eberschbach is eene Dame, verschtanden!«

»Ganz richtig; aber wer sich unter meinen Schutz begibt, der hat sich nach mir zu richten. Auch verstanden? Sie sollen überfallen werden. Geschieht das hier, nachdem Sie sich wieder schlafen gelegt haben, so sind Sie verloren. Geschieht es nicht, so können wir nichts beweisen. Um den Beweis zu führen, müssen wir nach Tucson, wo ich den Kommandanten ersuchen will, uns ein Detachement Soldaten zur Hilfe zu geben. Dann sind wir den Finders auch an Zahl so überlegen, daß wir sie ergreifen können, ohne daß es zum Schusse kommt


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und einer von uns verwundet wird. Darum müssen wir sofort aufbrechen, um schon am Morgen in Tucson zu sein und die Falle, welche wir den Finders stellen wollen, fertig zu haben, ehe sie dieselbe bemerken. Können Sie das begreifen, Frau Ebersbach, geborene Leiermüller?«

»Warum haben Se das nich gleich gesagt?« fragte sie in ganz anderm Tone. »Uebrigens bin ich als Leiermüllern verwitwet, nich aber geboren. Wenn Sie so vernünftig mit mir reden wie eben itzt, bin ich ooch vernünftig. Ich bin nämlich ooch nich uff den Kopp gefallen; das können Sie sich merken. Also wollen wir die Ochsen anschpannen und uns zum Weiterfahren fertig machen. Aber daß nur Schmidt mit Ihnen gehen soll, daraus wird nischt. Ich will mer diese Kerls ooch ansehen. Warten Se een bißchen; ich will mer eene Flinte holen.«

Sie ging zu ihrem Wagen, in welchem sich das Gewehr befand. Als sie mit demselben zurückkehrte, wurde sie von ihrem Manne gebeten:

»Bleib da, Rosalie! Das ist nichts für Frauen. Ich werde an deiner Stelle mitgehen.«

»Du?« antwortete sie. »Du wärscht der Kerl dazu! Schpiel dich nur nich etwa als Mann und Helden uff ; du weeßt, daß ich das een für allemal nich leiden kann. Du bleibst also und wartest, bis ich wiederkomme!«

Sie wendete sich zu Sam, welcher, leise vor sich hinkichernd, mit ihr und Schmidt nach dem Dorfe ging. Als sie die Schenke erreichten und in dieselbe traten, waren die Finders infolge der drückenden Fesseln aus ihrem betäubenden Rausche erwacht, und Buttler sprach eben zornig auf Stone und Parker ein.

(Fortsetzung folgt.)


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»Was will der Mann?« fragte Sam Hawkens die beiden.

»Was soll er wollen,« antwortete Stone. »Wundert sich natürlich darüber, daß wir sie haben und nicht sie uns. Fragt, ob dies der Dank dafür sei, daß wir mit ihnen essen und trinken durften.«

»Ja,« rief Buttler in grimmigem Tone, indem er an seinen Banden zerrte und sich bemühte, wenigstens den Oberkörper aufzurichten, »was ficht euch an, uns im Schlafe in dieser Weise zu behandeln? Wir haben euch gastlich aufgenommen, euch nicht beleidigt, nicht das mindeste gethan und dafür seid - - -«

»Nicht das mindeste gethan?« unterbrach ihn Sam. »Glaube wohl, daß euch das ungeheuer ärgert - übrigens wozu die vielen Worte: wir wissen und kennen eure Absichten, denen wir zum Opfer fallen sollten, und zum Danke dafür gedenken wir euch dem Richter auszuliefern.«

Da lachte Buttler höhnisch auf und fragte:

»Und der wird euch ohne Beweise glauben?«

»Ihr habt euch in eurem Rausche verschnappt.«

»Und selbst wenn es so wäre, wird kein Richter auf das Wort eines Schwertrunkenen hören. Eure Beweise stehen auf schwachen Füßen, Sir. Mag der Richter erscheinen; wir werden ihm ruhig entgegensehen. Was haben wir euch gethan? Euch nicht ein einziges Haar gekrümmt!«

»Weil wir so klug waren, euch zuvorzukommen. Sehen aber


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freilich ein, daß eine Anzeige nichts taugt. Könnten zwar beschwören, was wir von euch gehört haben, würden aber so viel Zeit mit euch und dem Richter verlieren, daß wir lieber davon absehen.«

»Das ist der beste Gedanke, den ihr zum Vorteile für euch haben könnt. Nun hoffe ich aber auch, daß ihr die Fesseln von uns nehmt!«

»Nicht so stürmisch, Sir! Haben vorher noch ein Wort mit euch zu reden.«

»So macht schnell! Was wollt ihr noch?«

»Bezahlung für den Ochsen, den ihr erstochen habt.«

»Was geht euch der Ochse an!«

»Sehr viel. Haben uns nämlich diesen deutschen Emigranten angeschlossen. Wollen nämlich auch hinauf in die Berge, um Bären und Biber in Fallen zu fangen, grad so wie wir. Sind also ihre Gefährten geworden, und haben also die Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie ihren Verlust ersetzt erhalten.«

»Das geht euch dennoch nichts an!« zürnte Buttler. »Wir geben nichts!«

»Schadet nichts; denn was ihr nicht gebt, das nehmen wir uns.«

»So, wollt ihr uns bestehlen?«

»Nein, sondern nur dafür sorgen, daß wir euch für ehrliche Bezahler halten dürfen. Wie hoch wird wohl der Wert des Ochsen sein, Master Buttler?«

»Das ist uns gleich. Wir haben kein Geld mehr. Ihr wißt ja, daß ihr uns infolge der Wetten alles abgenommen habt.«

»Habt euch aber wenig darüber geärgert, weil ihr es uns wieder rauben wolltet. Rechnen wir hundertfünfzig Dollar. Nicht?«

»Meinetwegen hunderttausend. Wir können nicht bezahlen.«

»Mit Geld freilich nicht; ist auch nicht nötig; werdet ja nicht ganz und gar leere Taschen haben.«

»Zounds! Wollt ihr uns etwa die Taschen ausräumen!«

»Warum nicht?«

»Sir, das wäre Raub!«

»Schadet nichts. Freut uns, euch einmal in das Handwerk pfuschen zu können.«

»Wir sind keine Räuber, und wenn ihr euch an den Dingen vergreift, welche wir bei uns haben, werden wir euch anzeigen!«

»Würde uns sehr lieb sein. Möchten gern wissen, was der Richter sagt, wenn er euch zu sehen bekommt. Also vorwärts, Dick und Will! Wollen einmal ihre Taschen untersuchen.«

Die beiden Genannten machten sich mit dem größten Vergnügen an das Werk; die Finders sträubten sich dagegen, soviel sie konnten, doch ohne Erfolg; ihre Taschen wurden alle geleert. Es fanden sich viele Gegenstände, besonders einige wertvolle Uhren vor, von denen man getrost behaupten konnte, daß sie gestohlen oder geraubt worden waren. Sam nahm die Uhren, zeigte sie Schmidt und fragte diesen:

»Die Burschen besitzen kein bares Geld. Würden Sie diese Uhren an Zahlungsstatt nehmen?«

»Wenn sie keine Münze haben, ja,« antwortete der Gefragte; »nur fragt es sich, ob ich nicht dadurch einbüße. Ich müßte die Uhren verkaufen, und kein Händler zahlt dafür den wirklichen Wert.«

»Haben Sie keine Sorge. Sie büßen keinen Pfennig ein. Diese Uhren haben gewiß den vierfachen Wert Ihres Ochsen; darauf können Sie sich verlassen.«

»Aber mein Gewissen, Herr!«

»Wieso?«

»Wird es mir erlauben, diese Gegenstände anzunehmen?«

»Warum nicht?«

»Wenn sie nun gestohlen sind!«

»Das sind sie wahrscheinlich.«

»So gehören sie dem Bestohlenen, aber nicht mir.«

»Das ist richtig; aber diese Leute würden die Uhren niemals wieder bekommen. Wahrscheinlich sind sie ermordet worden und selbst wenn dies nicht wäre, dürfen Sie ohne Skrupel zugreifen. Es herrschen hier ganz andre Verhältnisse als drüben in der deutschen Heimat.«

»Aber man hat doch, wenn die rechtmäßigen Eigentümer nicht mehr leben oder nicht ausfindig gemacht werden können, die Pflicht, solche Gegenstände der Behörde zu übergeben!«

»Wen meinen Sie hier unter der Bezeichnung Behörde? Kein hiesiger Beamter würde sich die Mühe geben, nach dem Eigentümer zu forschen, sondern die Uhren einfach für sich behalten und Sie heimlich auslachen. Stecken Sie dieselben also getrost ein und falls Sie damit ein Unrecht zu begehen glauben, werde ich die Verantwortung auf mein Gewissen nehmen.«

»Wenn das so ist, so würde es geradezu Dummheit von mir sein, wenn ich mich ferner weigern wollte.«

Er schob die Uhren also in die Tasche. Als Buttler dies sah, rief er aus:

»Was soll das heißen? Ich glaube, dieser Mensch will sich an unserm Eigentum vergreifen. Das soll -«

»Schweig, Schurke!« schnitt ihm Sam in donnerndem Tone die Rede ab. »Er hat sie als Bezahlung für den getöteten Ochsen betrachtet und ihr könnt froh sein, wenn dies die ganze Strafe ist, welche ihr für das, was ihr gethan habt und noch thun wolltet, erleidet. Heute seid ihr einmal an die richtigen Leute gekommen, an drei Schneider, welche es verstehen, solchen Halunken, wie ihr seid, die Röcke anzumessen. Wenn euch wieder einmal solche Kleiderhändler begegnen sollten, so seht euch ja vor, ehe ihr wieder daran denkt, mit ihnen wetten zu wollen! Uebrigens sind wir ganz und gar nicht gewillt, uns in Beziehung auf diese Uhren der Rechenschaft zu entziehen. Wir fahren von hier nach Tucson und werden morgen abend an dem dahinter liegenden Knotenpunkte unser Lager aufschlagen. Ihr könnt uns folgen und uns mit Polizei aufsuchen, welcher wir sehr gern Rede stehen wollen.«

»Ja, ja, das werden wir thun, ganz gewiß werden


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wir das thun! Wir kommen in euer Lager und holen uns wieder, was ihr uns gestohlen habt. Und nun nehmt uns die Fesseln ab! Das können wir verlangen, da ihr jetzt wohl endlich mit uns fertig seid.«

»Daß wir Narren wären. Geben wir euch frei, so würdet ihr uns schon heut im Lager aufsuchen anstatt morgen. Ihr bleibt also so liegen, wie ihr seid. Wenn es Tag geworden ist, wird wohl jemand kommen, der euch frei macht.«

»So nehmt den Lohn dafür später in der Hölle!«

»Danke, Sir! Und damit ihr nicht etwa einen von uns unberechneten Schaden anrichten könnt, werden wir euch jetzt eure Munition nehmen. Ihr könnt sie euch morgen mit den Uhren wieder holen. Es wird euch bis dahin alles ehrlich aufgehoben werden.«

Hawkens, Stone und Parker entluden die Gewehre und nahmen alle vorhandenen Patronen oder Kugeln und das Pulver an sich, worüber die Finders in außerordentlichen Zorn gerieten.

Frau Ebersbach war während der ganzen Scene stille Zuschauerin gewesen. Sie verstand nicht, was gesprochen wurde, konnte sich aber dennoch alles leicht erklären. Und noch einen andern stummen Zuschauer gab es - Mary, das Maultier Sams, welches seinem Herrn auch jetzt wieder gefolgt war, mit dem Vorderleibe im Hause stand und alle Bewegungen seines Herrn mit großer Aufmerksamkeit verfolgte.

Als man mit den Finders zu Ende war, wurde die Schänke verlassen und die Thür von außen zugemacht und mit einem schweren Steine angedrückt; dann marschierten die fünf Personen nach dem Lager. Mary trabte gemütlich hinterdrein. Sie war gewohnt, ihrem Herrn wie ein treuer Hund auf Schritt und Tritt zu folgen, wenn er ihr nicht durch ein bestimmtes Zeichen zu verstehen gegeben hatte, daß sie an Ort und Stelle zu bleiben habe.

Während ihrer Abwesenheit waren alle Vorbereitungen getroffen worden, so daß jetzt sofort aufgebrochen werden konnte. Der Führer ritt voran, mit ihm die beiden Jünglinge, denen es von Interesse war, nächtlich an der Spitze dieses einsamen Zuges zu reiten. Dann folgten die Wagen, von Dick Stone und Will Parker geleitet, während Sam Hawkens mit dem Kantor hinten folgte. Er hatte sich mit Absicht diesen Begleiter auserwählt, da er glaubte, von diesem am besten über die Verhältnisse der Personen, welche diese kleine Karawane bildeten, unterrichtet werden zu können. Eigenartig, sehr eigenartig mußten diese Verhältnisse sein; das sagte er sich nach dem, was er bis jetzt davon gesehen und erfahren hatte. Der originelle musikalische Kantor; diese Frau Rosalie Ebersbach, vor welcher alle so bedeutenden Respekt zu haben schienen und die ihm, dem erfahrenen Westmanne, so absprechend entgegengetreten war; der Sohn des Indianerhäuptlings, welcher aus Deutschland kam; der junge Deutsche, welcher dessen Freund zu sein und nicht zu den andern zu gehören schien; das waren Persönlichkeiten und Verhältnisse, welche die Neugierde erwecken mußten. Der Kantor kam der Wißbegierde des Kleinen entgegen, denn kurze Zeit, nachdem die Wagen sich in Bewegung gesetzt hatten, begann er das beabsichtigte Gespräch mit der Frage:

»Unsre Frau Rosalie war mit bei diesen Finders. Denen wird sie aber ihre Meinung gesagt haben, denn sie weiß ihre Zunge zu gebrauchen, wenn sie will. Sie hat doch jedenfalls mit ihnen gesprochen?«

»Kein Wort.«

»Das sollte mich wundern. Ich habe im Gegenteile geglaubt, daß sie ganz fortissimo mit ihnen verfahren würde.«

»Spricht sie denn englisch?«

»Nur einige Worte, welche sie sich unterwegs gemerkt hat.«

»Wie können Sie da denken, daß sie mit diesen Leuten reden könne, die nur englisch oder spanisch verstehen!«

»Sie konnte sich doch eben dieser Worte, welche sie gelernt hat, bedienen.«

»Zehn oder zwölf zufällig aufgeschnappte Ausdrücke reichen zu einer langen Strafpredigt nicht aus. Uebrigens hatte es den Anschein, als ob ihr, als sie die Finders sah, der Mut zu einer solchen Rede entschwunden sei.«

»Der Mut? Wieso? Diese Burschen haben doch gefesselt am Boden gelegen; da brauchte sie sich nicht vor ihnen zu fürchten.«

»Zu fürchten gerade nicht; aber trotzdem haben diese wilden Gestalten einen Eindruck auf sie gemacht, durch welchen sie zum Schweigen veranlaßt worden wäre, selbst wenn sie englisch hätte sprechen können.«

»Das glauben Sie ja nicht! Frau Rosalie fürchtet sich vor keinem Menschen, mag er noch so vornehm oder noch so verwegen aussehen. Sie hat Haare auf den Zähnen und ist gewohnt, daß man ihr den Willen thut.«

»Das habe ich freilich bemerkt. Sie alle hielten ja den Mund, als sie mir widersprach.«

»Ja, das muß man thun, wenn man nicht ein tüchtiges Graupelwetter auf sich laden will. Dabei aber ist sie seelensgut und, wenn man sie nur reden läßt, gleich wieder um den kleinen Finger zu wickeln. Widerspruch verträgt sie freilich nicht.«

»Das ist ein großer Fehler, wenn ich mich nicht irre. Wenn man eine Sache nicht versteht, muß man Lehre annehmen.«

»O, diese Frau Rosalie versteht vieles und alles!«

»Unsinn! Von den hiesigen Verhältnissen und wie man sich dabei zu verhalten hat, kann sie gar nichts wissen. Und wenn sich solche Scenen wiederholen, wie die heutige war, muß sie sehr gewärtig sein, nicht nur tüchtig zurechtgewiesen zu werden, sondern auch, wenn sie bei ihrem Willen beharrt, die ganze Gesellschaft in Schaden oder gar Gefahr zu bringen.«

»Auch das dürfen Sie nicht glauben. Selbst wenn sie etwas nicht kennt und versteht, findet sie sich außerordentlich schnell hinein. Sie haben ja auch gesehen, daß sie dann einer Ansicht mit Ihnen war. Es ist immer


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besser, sie laufen zu lassen, wie sie laufen will, sie kommt doch stets am richtigen Fine an.«

»Wenn Sie so sprechen, scheinen auch Sie einen großen Respekt vor ihr zu haben, Herr Kantor.«

»Herr Kantor emeritus, wenn ich bitten darf! Es ist ja nur der Vollständigkeit wegen, weil ich meinen Abschied genommen habe und also nicht mehr im Amte bin. Ja, ich habe Respekt vor ihr, und sie verdient ihn auch. Sie ist eine tüchtige und musikalisch gebildete Frau.«

»Aha, musikalisch gebildet, hihihihi! Komponiert sie etwa auch?«

»Nein; aber sie spielt.«

»Was?«

»Ziehharmonika.«

»Alle Wetter, das ist freilich etwas andres! Ziehharmonika! Ein vorzügliches Instrument, wenn ich mich nicht irre! Ja, wenn sie diese spielt, so muß man Respekt vor ihr haben. Ich habe noch nie von einer Dame gehört, welche Ziehharmonika spielt.«

»Ich auch nicht; Frau Rosalie ist die erste. Sie hat sich manchen schönen Thaler damit verdient.«

»Ah, etwa bei einer herumziehenden Damenkapelle gewesen?«

»Nein, zum Tanze aufgespielt.«

»Oeffentlich?«

»Ja.«

»Bravo! Ich denke, Sie halten den Tanz für etwas Ordinäres?«

»Das thue ich auch; hier aber lagen die Verhältnisse anders. Frau Rosalie ist nämlich eine geborene Morgenstern -«

»Das weiß ich; sie hat es mir gesagt.«

»Und heiratete in die Leiermühle bei Heimberg -«

»Verwitwete Leiermüllerin,« nickte Sam Hawkens lächelnd.

»Zur Mühle gehörte eine Schankgerechtigkeit mit kleinem Tanzsaale. Das Geschäft war vorher schlecht gegangen, bis sie sich desselben annahm. Das war wieder einmal ein in die Augen fallender Beweis, welchen Wert die edle Musika hat; sie verläßt keinen Musensohn und auch keine Musentochter. Frau Rosalie kaufte sich eine Ziehharmonika, lernte sie spielen und zog mit derselben die tanzlustige Jugend der ganzen Umgegend an sich. Da sie selbst zum Tanze aufspielte, brauchte sie keine Musikanten zu bezahlen und nahm ein schönes Geld für sich ein, da die Tour pro Person zwei Pfennige kostete; billiger machte sie es nicht, denn wen die Musen geadelt haben, der hat die Pflicht, seinen Wert aufrecht zu erhalten. Also es wurde nicht nur getanzt, sondern auch gegessen und getrunken; das Geschäft hob sich außerordentlich, und als der alte Leiermüller starb, hinterließ er sie als eine Witwe, welche auf einem vollen Geldsacke saß und sagen konnte: Kommt her und habt Respekt vor mir!«

»Und den hatte man auch?«

»Natürlich! Sie war die reichste Frau im Dorfe,


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verkaufte dann später die Mühle zu einem hohen Preise und wurde hierauf die Frau unsres Schmiedemeisters -«

»Welcher auch Respekt vor ihr hat!«

»Warum sollte er nicht?«

»Wie aber und aus welchem Grunde kommt sie jetzt nach Amerika?«

»Diesen vortrefflichen Gedanken habe ich ihr eingegeben.«

»Sie? Hm! Die Frau konnte in der Heimat bleiben; sie hatte ja doch keine Not daheim.«

»So meinen Sie, daß man nur aus Not auswandern soll?«

»Das nicht; aber ein Zwang, ein innerer oder äußerer Zwang, ist doch meist die Ursache.«

»War es auch hier, nämlich ein Drang, ein Stringendo nach der neuen Welt. Ich hatte ihr Bücher geborgt, und die Schmiederei ging schlecht; es gefiel ihr nicht mehr daheim. Als sie nun hörte, was der Hobble-Frank mir alles gesagt und erzählt hatte, und daß ich meine Helden hier in Amerika suchen wollte, da war sie ganz Feuer und Flamme und wollte mit.«

»Wie kamen Sie denn zu ihr, die in Heimberg wohnt, während Sie aus Klotzsche sind? Liegen diese beiden Orte nahe beisammen?«

»Nein, Heimberg liegt oben im Gebirge, Klotzsche aber nahe bei Dresden. Aber ich war doch in Heimberg Kantor, meine letzte Anstellung, und zog des besseren Klimas wegen, sobald ich emeritiert worden war, nach Klotzsche, blieb aber mit Heimberg in stetem Briefwechsel und war auch öfters dort. Trotz alledem wäre ihr der Gedanke, nach Amerika zu gehen, nicht mit solcher Gewalt gekommen, wenn die Wolfsche Angelegenheit nicht gewesen wäre.«

»Welche Angelegenheit?«

»Das wissen Sie noch nicht?«

»Nein.«

»Wolf, der Heimberger Förster, hat einen kinderlosen Bruder in Amerika, welcher vielen, vielen Wald, große Herden und ich glaube gar auch Silbergruben besitzt. Dieser Bruder hat ihn gebeten, ihm seinen Sohn hinüberzuschicken, den er zu seinem Nachfolger und Universalerben machen will, wenn er ihm gefällt. Der Förster fragte seinen Sohn, welcher sich auf der Tharandter Forstakademie befand, und dieser hatte sogleich Lust, dem Rufe zu folgen, nachdem er sein Examen bestanden haben würde.«

»War das nicht Leichtsinn oder Lieblosigkeit gegen seine Eltern?«

»Gott bewahre! Nicht im geringsten, sondern gerade das Gegenteil. Der Förster hat eine zahlreiche Familie und ein geringes Gehalt. Da ist Schmalhans Küchenmeister, und die Opfer, welche das Studium des Aeltesten gekostet hat, sind ihm außerordentlich schwer geworden; es war unmöglich, die andern Söhne auch eine bessere Carriere betreten zu lassen, obwohl sie sehr begabt dazu waren. Da hat denn Adolf den Ruf des Oheims mit Freuden vernommen. Er mußte zwar die Heimat und die Eltern verlassen, sagte sich aber, daß er als Nachfolger des reichen Pflanzers seinen Geschwistern schnell emporhelfen könne.«

»Diese Gesinnung ist freilich ehrenwert. Und hat er dem Rufe gefolgt?«

»Ja.«

»Wann?«

»Eben jetzt. Sie haben ihn ja gesehen.«

»Ich? Wo denn?«

»Hier bei uns. Da vorn reitet er ja!«

»Der ist's, der? Dieser junge Mann? Der kann doch unmöglich die Forstakademie schon vollständig absolviert haben?«

»Doch, und zwar hat er sie mit sehr guten Zeugnissen verlassen. Sie mögen daraus ersehen, was für ein tüchtiger junger Mann er ist. Er wird, da sein Onkel große Waldungen besitzt, diesem mit seinen Kenntnissen Nutzen bringen. Allerdings gab es für ihn auch noch einen andern Grund, sich so schnell und willig für Amerika zu entscheiden, und dieser Grund kann mit dem indianischen Worte Schi-So bezeichnet werden.«

»Das ist doch der Name des Häuptlingssohnes?«


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»Allerdings. Sie sind, wie ich gehört habe, ein Bekannter dieses Häuptlings. Wissen Sie vielleicht, weshalb dieser seinen Sohn nach Deutschland geschickt hat?«

»Ja.«

»Das ist mir lieb. Können Sie es mir einmal prima vista vorgeigen, oder ist vielleicht ein Geheimnis dabei?«

»Es gibt keinen Grund, die Sache geheim zu halten; es ehrt vielmehr den Häuptling und kennzeichnet ihn als einen Mann, der den Bildungsgrad von seinesgleichen weit, weit überragt. Nämlich als er noch jung war, überfiel ein feindlicher Stamm einen Auswandererzug; es wurde alles niedergemetzelt und nur ein Mädchen verschont und mitgenommen, welches eine Deutsche war. Der Häuptling rettete sie und brachte sie zu seinem Stamme. Sie sollte sich dort zunächst von ihrem Unglücke und Leide erholen, und dann wollte er sie nach der nächsten weißen Ansiedelung bringen. Sie wurde gut gepflegt und noch besser behandelt; ihre Verwandten waren ermordet worden; sie hatte nirgends Bekannte; die Ansiedelung, wohin sie gebracht werden sollte, war ihr fremd; es gefiel ihr bei den Navachos, und sie gewann den Häuptling Nitsas-Ini (großer Donner) lieb, der sie gerettet hatte - sie blieb und wurde seine Frau. Sie hat es nie zu bereuen gehabt und lebte außerordentlich glücklich mit ihm.«

»Ist das die Möglichkeit!« rief der Kantor aus. »Ein roter Mensch mit einer weißen Frau!«

»Ein roter Mensch, sagen Sie? Das klingt wie verächtlich! Ich sage Ihnen, daß Gott der Vater und Schöpfer aller Menschen ist; die Farbe der Haut macht keinen Unterschied. Ich habe Indianer kennen gelernt, vor denen sich tausend und hunderttausend Weiße schämen müßten. Nitsas-Ini war ein solcher. Seine weiße Frau war kein hochgebildetes Fräulein, sondern ein gewöhnliches Mädchen gewesen, aber als Deutsche überragte sie doch in jeder Beziehung alle roten Frauen und Mädchen. Das gereichte dem ganzen Stamme zum Segen. Sie wurde das Vorbild aller Squaws und Töchter. Es trat ein andrer Ton ein; es bildeten sich andre Formen; ihr Mann, der Häuptling, war ihr erster und ihr eifrigster Schüler und hatte später nichts dagegen, daß sie mit den Kindern, die sie ihm schenkte, deutsch sprach, sie unterrichtete und ihnen Bücher kaufte. Da lernten sie Winnetou, den großen Apachen kennen; mit ihm kam Old Shatterhand, der berühmte Freund und Beschützer aller gutgesinnten roten Männer. Sie sahen mit Freuden, was die weiße Squaw geleistet, welchen Segen sie gestiftet hatte; sie blieben längere Zeit bei dem Stamme und kehrten oft zu demselben zurück, um dem Werke Festigkeit und Ausbau zu geben. Nie hat dieser Stamm wieder Krieg geführt, sondern nur, wenn er sich verteidigen mußte, zu den Waffen gegriffen. Seine Angehörigen sind Freunde der Weißen, wurden infolgedessen von diesen nie vertrieben, sondern durften ihr Gebiet behalten, wenn sie sich auch in Beziehung auf die Abgrenzung und Einteilung desselben nach den vorgeschriebenen Gesetzen richten mußten. Diese Navachos befinden sich im Besitze fruchtbarer Weideländereien und ungeheurer Wälder; ihr Reichtum ist von Jahr zu Jahr gewachsen, und so sehnsüchtig die weißen Squatter und Landfresser nach demselben blicken, es ist für keinen dieser Männer etwas zu holen. Denn infolge von Old Shatterhands Bemühungen betrachtet die Regierung der Vereinigten Staaten das Gebiet nicht als Indianerreservation, sondern als in berechtigten Händen befindliches Privateigentum, dessen Besitzer das Gesetz gegen jeden Eingriff zu schützen hat. Man könnte sich bewogen fühlen, dieses Gebiet ein zivilisiertes zu nennen. Der >große Donner< war einsichtig genug, zu erkennen, daß er für die Zukunft nicht die nötigen Kenntnisse besitze, und daß sein Nachfolger mehr, viel mehr lernen müsse, als er selbst gelernt hatte. Er faßte, beeinflußt durch seine kluge weiße Frau, den Entschluß, seinen Erstgeborenen in eine Schule der Weißen zu schicken. Old Shatterhand kam und stimmte lebhaft bei. Er war ein Deutscher und die Squaw eine Landsmännin von ihm, und beide brachten den Häuptling dahin, den Sohn nach Deutschland zu senden, um ihn dort einer berühmten Erziehungsanstalt anzuvertrauen. Old Shatterhand schlug eine solche vor, und sein Vorschlag wurde angenommen.«

»Ich weiß, ich weiß,« fiel da der Kantor ein. »Ich kenne diese Anstalt.«

»Wirklich? Nun, welche?«

»Es ist die höhere Lehr- und Erziehungsanstalt, kurz und gut, das berühmte Institut Direktor Arno Kriegers in Kötzschenbroda bei Dresden.«

»Woher wissen Sie das?«

»Schi-So sagte es mir, und auch Adolf Wolf ist dort für die Tharandter Akademie vorgebildet worden.«

»So brauche ich nicht viel mehr hinzuzufügen, denn das weitere scheinen Sie besser zu wissen, als ich es weiß.

(Fortsetzung folgt.)


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»Old Shatterhand,« fuhr Sam fort zu erzählen, »ebnete den Weg zur Aufnahme in das Institut, und die Häuptlingssquaw brachte dann ihren Sohn hinüber, bei welcher Gelegenheit sie die große Freude hatte, ihre Heimat wiederzusehen. Später lernte ich den >großen Donner< kennen und erfuhr zu meinem Erstaunen von ihm, daß er einen Sohn in Kötzschenbroda bei Direktor Krieger habe. Der Knabe rechtfertigte die Empfehlungen Old Shatterhands; seine Zensuren lauteten ohne Ausnahme auf >Eins<, und als er von dort nach Tharandt ging, gestanden sich seine Lehrer, daß dieser rote Schüler von keinem der bisherigen weißen übertroffen


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worden sei. Uebrigens darf man ihn nicht in dem Sinne >rot< nennen, in welchem dieses Wort gewöhnlich gebraucht zu werden pflegt. Sie kennen ihn und haben also gesehen, daß seine deutsche Abstammung mütterlicherseits von Einfluß auf die Farbe seines Haares und seiner Augen gewesen ist. So, das ist das, was Sie über ihn zu wissen wünschten. Und nun ahne ich auch, auf welche Weise der Försterssohn zu ihm gekommen ist. Sie sagten ja, daß dieser auch bei Direktor Krieger vorgebildet worden sei?«

»Ja, sie waren dort Klassenbrüder und sind auch zu gleicher Zeit nach Tharandt gegangen. Eigentümlich war es, daß der Ruf von Wolfs Oheim gerade zu der Zeit eintraf, zu welcher der Abgang Schi-Sos beschlossen wurde. Warum hat der letztere denn eigentlich gerade Tharandt besuchen müssen?«

»Der großen Wälder wegen, welche sein Stamm besitzt. Er soll als späterer Häuptling die nötigen Kenntnisse besitzen, die Reichtümer, welche in diesen Forsten stecken, nicht nur zu erhalten, sondern womöglich noch zu vermehren. Man weiß, daß die Vereinigten Staaten sich durch die schlechteste Forstwirtschaft auszeichnen; vor den daraus folgenden großen Schäden soll Schi-So einst seinen Stamm bewahren. Doch weiter! Sie wollten mir doch wohl sagen, welchen Einfluß diese beiden Zöglinge von Kriegers Institut auf die frühere Leiermüllerin ausgeübt haben, Herr Kantor?«

»Ja; aber zunächst haben Sie doch endlich die Güte, darauf zu achten, daß ich nicht mehr im Amte bin und daß Sie also der Vollständigkeit wegen Herr Kantor emeritus zu sagen haben. Ich darf mich nicht mit Federn schmücken, welche ich längst abgelegt habe, und das immerwährende Weglassen dieses höchst notwendigen Wortes erregt in mir den sehr begründeten Verdacht, daß Sie mich noch immer im Amte stehend glauben und an meiner musikalischen Begabung zweifeln, welche allein mich veranlaßt hat, mich emeritieren zu lassen! Oder lassen Sie diese lateinische Bezeichnung vielleicht deshalb stets fallen, weil ich Sie nicht bei Ihrem Namen und vollständigen Titel nenne? Sie müssen bedenken, daß mir eigentlich noch keins von beiden bekannt ist!«

»Nicht deshalb, sondern nur aus reiner Vergeßlichkeit. Was meinen Namen betrifft, so hieß ich drüben Samuel Falke, werde aber hier hüben Sam Hawkens genannt. Es genügt vollständig, wenn Sie einfach Sam zu mir sagen.«

»Das ist nicht höflich genug. Ich will Ihnen also einen Vorschlag machen. Da Sie früher Samuel Falke waren, es jetzt aber nicht mehr sind, gerade so, wie ich nicht mehr Kantor bin, so wäre es gewiß ganz richtig und den Umständen gemäß, wenn ich entweder Samuel emeritus oder auch Falke emeritus zu Ihnen sagte. Welches von beiden ist Ihnen lieber?«

»Keins. Ein Name ist kein Amt. Nennen Sie mich also Sam oder Hawkens.«

»Schön, ganz wie Sie wollen! Aber warum durften die Finders nicht erfahren, daß Sie Sam Hawkens sind?«

»Weil ich unter diesem Namen weit bekannt bin. Man hat mir, Dick Stone und Will Parker den Namen >das Kleeblatt< gegeben, weil wir drei stets beisammen sind. Man rechnet uns nicht zu den gewöhnlichen Westläufern, sondern zu den erfahrenen Männern, welche wissen, was sie wollen, und sich weder besiegen noch betrügen lassen. Ich will die Finders überlisten; dies würde mir aber nicht gelingen, wenn sie wüßten, wen sie vor sich haben; sie würden entweder ganz von uns lassen oder doch wenigstens sich so in acht nehmen, daß ich meine Absicht nicht erreichte. Und es liegt mir doch viel daran, diese Menschen für ehrliche Leute unschädlich zu machen.«

»Sehr wohl; jetzt weiß ich, woran ich bin, und kann nun wieder nach Tharandt übergehen. Schi-So und Wolf kamen nämlich von Tharandt oft nach Heimberg herauf, welches ein vielbesuchter Luftkurort ist, und kehrten in der Leiermühle, später auch in der Schmiede ein, als die Müllerin den Schmied geheiratet hatte. Sie waren also mit beiden gut bekannt. Gerade als mich der Hobble-Frank bestimmt hatte, nach Amerika zu gehen und seine Helden aufzusuchen, kam der Brief des Onkels und auch die Nachricht, daß Schi-So zu seinem Stamme zurückkehren werde. Dieser Onkel war ungeheuer reich und wohnte, wie man bald heraus hatte, in der Nähe der Navachos; das ging rasch im Dorfe herum, welches meist blutarme Einwohner hat; da fiel es mir denn nicht schwer, einige von ihnen zu vermögen auszuwandern und mit mir hinüber zu ziehen.«

»Also haben Sie, sozusagen, diese armen Leute verführt!« meinte Sam in vorwurfsvollem Tone.

»Verführt? Was für ein Ausdruck! Ein Kantor emeritus, welcher tausendmal beim Gottesdienste die Orgel gespielt hat, gehört halbwegs zur Geistlichkeit, also zu demjenigen Stande, in welchem man nicht nach Verführern suchen darf. Führer bin ich ja, aber doch nicht Verführer, denn ich will diese Leute zum Glücke führen. Ich bin überzeugt, daß der Onkel Wolfs sie sehr gut aufnehmen wird. Und Geld, sich Land zu kaufen oder ein Geschäft anzufangen, ist auch vorhanden.«

»Ich denke, diese drei sind arm!«

»Ja, Schmidts, Strauchs und Uhlmanns hatten nichts; aber Ebersbachs sind, wie Sie gehört haben, wohlhabend und Frau Rosalie hat ihnen das nötige Geld vorgeschossen. Sie ersehen daraus, was für eine brave Frau sie ist. Sie konnte recht wohl im Vaterlande bleiben und hat sich nur aus Teilnahme für diese drei, aus Freundschaft für mich und infolge ihres Dranges nach der Fremde entschlossen, mitzugehen. Besonders entzückt war sie darüber, daß in Amerika die Damen so außerordentlich geachtet und berücksichtigt werden.«

»Ach so,« lächelte Sam vergnügt; »und Frau Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern, verwitwete Leiermüllerin ist eben auch eine Dame! Das erklärt mir freilich das vorher Unerklärliche. Sie haben also alle die Absicht, sich bei dem Oheime Wolfs anzusiedeln?«

»Sie wollen ihn fragen. Gibt er es nicht zu, so ziehen sie weiter.«


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»Und Sie? Was beginnen denn Sie?«

»Ich? Ich suche natürlich Old Shatterhand, Old Firehand und Winnetou auf. Natürlich werde ich auch den Hobble finden.«

»Sie scheinen, wie bereits gesagt, sich das als außerordentlich leicht vorzustellen, und doch können Sie jahrelang im Westen herumreiten, ohne auch nur auf einen von diesen Männern zu treffen.«

»So muß man fragen, sich erkundigen!«

»Denken Sie, es sei hier geradeso wie in einem deutschen Dorfe oder Städtchen, in welchem man sofort berichtet wird, wenn man nach dem Herrn Müller, Meier oder Schulze fragt? Die Gesuchten können leicht zehnmal ganz nahe an Ihnen vorüberreiten oder in sehr geringer Entfernung von Ihnen lagern, ohne daß Sie es ahnen.«

»Oho! Ich ahne es; darauf können Sie sich verlassen. Einem Tonkünstler ist nichts zu schwer. Wer von den Musen ausgezeichnet und bevorzugt wird, bei dem sammeln alle Töne sich zu Accorden. So werden auch die gesuchten Männer sich um mich zusammenfinden, wie wohlgeschulte Musici um ihren Dirigenten.«

»Will es Ihnen wünschen. Was ich dabei thun kann, da wir dieselbe Route haben, das wird natürlich geschehen. Jetzt aber sollten Sie sich in einen der Wagen legen, um zu schlafen.« .

»Schlafen? Warum?«

»Weil wir morgen abend wahrscheinlich nicht schlafen können; wir müssen wachen, da die Finders uns überfallen wollen.«

»Sie sind davon also wirklich überzeugt, Herr Hawkens?«

»Ja. Irgend jemand, der am frühen Morgen nach der Schenke kommt oder an derselben vorübergeht, wird ihr Rufen hören und sie befreien. Dann setzen sie sich auf die Pferde, um uns nachzureiten.«

»Nach Tucson?«

»Fällt ihnen nicht ein. In dieser Stadt lassen sie sich ganz gewiß nicht sehen. Sie werden Tucson umreiten und dann unsern Wagengeleisen folgen, bis sie bemerken, daß wir Lager gemacht haben. Um von uns nicht bemerkt zu werden, halten sie an und warten, bis es Nacht geworden ist. Um ja nichts zu verabsäumen, habe ich ihnen die Munition genommen; doch sind sie gewiß so klug, sich in San Xavier del Bac mit neuer zu versorgen, was ihnen freilich nicht leicht werden wird, da ich nicht glaube, daß dort viel zu haben ist. Also, folgen Sie meinem Rate und steigen Sie in einen Wagen!«

»Danke! Ich schlafe nicht.«

»Warum aber nicht?«

»Weil während eines solchen nächtlichen Rittes die schönsten musikalischen Gedanken kommen. Ich mache da Studien für meine Oper. Vielleicht lasse ich gleich im ersten Akte einen solchen Ochsenwagenzug über die Bühne gehen, was beim Scheine einer kleinen Mondessichel einen ganz besonderen Eindruck machen muß, zumal die Instrumente dabei das Knallen der Peitschen, das Brüllen der Ochsen und das Knarren der Räder nachzuahmen haben.«

»Möche dabei sein!« sagte Sam im ernsthaftesten Tone. »Muß ein außerordentlicher Kunstgenuß sein! Also machen Sie Ihre Studien und bleiben Sie meinetwegen wach. Aber werfen Sie sich denn immerwährend so bald nach vorn und bald nach hinten? Das muß Sie doch ungeheuer ermüden!«

»Allerdings; aber es ist leider nicht zu umgehen.«

»Nicht zu umgehen? Unbegreiflich! Wieso denn? Es strengt natürlich auch das Pferd an und macht es kaput.«

»Kann nicht anders, bester Herr Sam. Ich komponiere immerwährend und immerfort, selbst jetzt, während ich mit Ihnen spreche. Indem mir nun die Melodien durch das Gehirn erklingen, muß ich sie nach ihrer Taktart prüfen. Dazu gehört eigentlich ein sehr empfindliches Instrument, welches Mälzels Metronom oder Taktmesser genannt wird. Da ich dasselbe aber unmöglich durch den wilden Westen mit mir führen kann, so habe ich ein weit bequemeres und praktischeres Metronom erfunden, indem ich mich in ganz regelmäßigen Intervallen im Sattel hin und her schwinge. Freilich wird das Pferd dadurch zuweilen irre, denkt, ich will herunter, und hält im Laufen an; aber das thut mir nichts, denn sobald ich die Komposition dann fertig habe, treibe ich es wieder an.«

»Aber dadurch bleiben Sie doch jedenfalls oft zurück!«

»Das kommt freilich vor.«

»Das kann aber höchst gefährlich für Sie werden, Sie unvorsichtiger Mann!«

»Glaube es nicht, Herr Sam!«

»Wenn Sie zurückbleiben und von rotem oder weißem Gesindel überfallen werden, können wir Sie nicht retten.«

»Mich überfällt kein Gesindel, ich bin gefeit dagegen.«

»Unsinn!«

»Sprechen Sie nicht von Unsinn, lieber Herr Sam! Ich weiß schon, was ich sage. Haben Sie vielleicht schon einmal gehört, daß ein berühmter Opernkomponist von irgend welchem Gesindel überfallen worden sei?«

»Nein; ist mir nichts erinnerlich.«

»Da haben Sie es, was ich meine. Als Komponist einer großen Heldenoper und Selbstdichter des dazu gehörigen Librettos stehe ich unter dem ganz besonderen Schutze der Musen. Dieselben werden sich hüten, mich zu hohen musikalischen Gedanken zu begeistern und dann überfallen und töten zu lassen, wobei diese Gedanken für immer wieder verloren gehen würden. Das wäre ja ganz dieselbe Dummheit, als wenn der Schuster mir zwei neue Stiefel machte und sie, wenn er sie fertig hat, in den Ofen steckte, um sie zu vernichten. Oder meinen Sie, die Musen seien weniger klug, als ein gescheiter Schuster?«

»Kann das nicht sagen; habe noch mit keinem von diesen Frauenzimmern gesprochen und auch noch keins


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gesehen. Aber ich kann nicht während der ganzen Nacht hier bei Ihnen sein und darf auch keinem andern zumuten, stets nur auf Sie aufzupassen; da Sie nun auf keinen Fall zurückbleiben dürfen, weil wir Feinde hinter uns haben, so werde ich Sie anbinden, um Ihrer Person ganz sicher zu sein.«

»Anbinden, Herr Hawkens? Woran denn? Etwa an das Pferd?«

»Das würde nichts nützen, da der Gaul auch in diesem Falle stehen bleiben könnte. Nein, ich meine, daß ich ihn hier an den hintersten Wagen binden werde.«

»Sie halten dieses für praktisch?«

»Sehr! Das Pferd kann nicht stehen bleiben, sondern muß trotz Ihrer Schwingungen ununterbrochen weiterlaufen. Dabei befinden Sie sich stets allein und ungestört und können Ihren musikalischen Schöpfungen nachhängen, ohne in denselben unterbrochen zu werden.«

»Richtig, sehr richtig! Dieser Gedanke ist sehr gut; ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für denselben und werde Ihnen bei der ersten Aufführung meiner Oper gern ein Freibillet zur Verfügung stellen. Oder wünschen Sie deren zwei?«

»Ich werde darüber nachdenken, Herr Kantor, falls ich zufällig -«

»Bitte, bitte, Herr Kantor emeritus! Ich kann es Ihnen zuschwören, daß es nur der Vollständigkeit wegen ist.«

»Weiß, weiß! Und ich versichere Ihnen, daß es bei mir nur aus Vergeßlichkeit geschah.«

Sam zog einen Riemen aus der Satteltasche und band mit demselben den Gaul des Kantors hinten an den Wagen an. So war für den guten, ununterbrochenen Fortgang sowohl des Pferdes als auch der Oper gesorgt, und der geniale Komponist brauchte nicht immerwährend beaufsichtigt und im Auge behalten zu werden.

In langsamem Ochsenschritte ging die Fahrt die ganze Nacht hindurch vor sich, und so kam es, daß die Reisenden erst zwei Stunden nach Tagesanbruch die Stadt vor sich liegen sahen, obgleich die Entfernung zwischen San Xavier del Bac und Tucson eine so kurze ist.

Der Anblick dieser Hauptstadt war ein wenig erfreulicher. Obgleich es noch so früh am Tage war, strahlte die Sonne doch schon mit einer fast unerträglichen Glut auf die kahlen Schlammhütten und Mauertrümmer herab. Aeußerst häßliche Koyotehunde bellten und heulten dem Zuge entgegen, und ausgedörrte, in bunte Fetzen gehüllte Menschengestalten lungerten vor den Thüren und an den Ecken herum und verzerrten grinsend ihre sonnverbrannten Gesichter, als der letzte Wagen an ihnen vorüberknarrte und sie den Herrn Emeritus auf dem hinten angebundenen Pferde erblickten. Er nickte ihnen, ohne ihr Lachen übelzunehmen, freundlich zu; mochten sie seine Situation für lächerlich halten, ihm war es ganz recht, daß er das Tier nicht mehr zu lenken brauchte.

Auf Sams Anweisung wurde auf einem freien oder vielmehr vollständig kahlen Platze angehalten, wo sich bald eine Menge von kläffenden Hunden, schreienden Kindern und neugierigen Tagedieben einfanden, welche die Wagen umlungerten und ihre Aufmerksamkeit besonders auf Sam Hawkens und den Kantor richteten, wohl wegen der sonderbaren Persönlichkeit des ersteren und auch infolge der ungewöhnlichen Weise, in welcher beide gekleidet waren.

Da die deutschen Auswanderer während ihrer Reise nur wenig Englisch gelernt und vom Spanischen sich gar nur einige Brocken angeeignet hatten und sich also der hiesigen Bevölkerung gegenüber nicht verständlich machen konnten, übernahm es Sam Hawkens, sich zu erkundigen, ob man hier Futter für das Vieh und Wasser bekommen könne. Ja, Heu und Wasser war zu haben, aber beides in sehr schlechtem Zustande und zu hohen Preisen, und zehn, zwanzig und noch mehr Faulenzer zeigten sich bereit, es herbeizuholen, um sich durch diese Arbeit, welche eigentlich keine Arbeit war, einige Centavos zu verdienen.

Als dies besorgt war, begab sich der Kleine zum Kommandanten, um demselben sein Anliegen vorzutragen. Er vernahm, daß dieser Offizier mit zahlreicher Begleitung nach Prescott gereist und fast die ganze Besatzung nach der Gegend des Guadalupepasses aufgebrochen sei, um die


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dort hausenden aufrührerischen Mimbrenjos zu züchtigen. Er wurde zu einem Kapitän geführt, welcher die Stellvertretung des Kommandanten übernommen hatte. Er saß bei seiner Morgenschokolade und las in einer alten Zeitungsnummer, welche hier in Tucson aber neu genannt werden mußte. Als er den Eintretenden erblickte, zeigte sein Gesicht zunächst den Ausdruck der Ueberraschung; dann erheiterte es sich mehr und mehr; endlich lachte er laut auf, erhob sich von seinem Stuhle und sagte in einem Tone, dessen Impertinenz nicht zu verkennen war:

»Mensch, wer seid Ihr? Was wollt Ihr? So ein Jack-pudding (* Hanswurst.) ist mir noch niemals vorgekommen!«

»Mir auch nicht,« antwortete Sam in einer Weise und mit einer Handbewegung, welche ahnen ließen, daß er den Offizier meinte.

»Euch auch nicht? Was wollt Ihr damit sagen?« fuhr ihn dieser in ganz anderm Tone an. »Wollt Ihr mich etwa beleidigen!«

»Ist es eine Beleidigung, wenn ich Euch beistimme?« fragte Sam sehr ernst und sehr ruhig.

»Ach so! Dann lobe ich Eure edle Selbsterkenntnis. Ich wiederhole Euch, daß ich noch keinem solchen Harlekin begegnet bin, wie Ihr zu sein scheint. Ihr kommt wohl, um die Erlaubnis zu bitten, hier eine lustige Vorstellung geben zu dürfen?«

»Ja, das ist's,« lachte Sam. »Ihr habt's erraten, Sir, und sollt mir dabei helfen, wenn ich mich nicht irre.«

»Helfen? Ich? Haltet Ihr den Stellvertreter des Kommandanten, einen Vereinigtenstaatenoffizier für einen ebensolchen Lustigmacher, wie Ihr seid?«

»In diesem Fall, ja,« antwortete Sam, indem er sich kaltblütig einen Stuhl herbeizog und sich auf denselben setzte.

»Mensch, noch ein solches Wort und ich lasse Euch einsperren und durchpeitschen!« drohte der Offizier, indem er einige Schritte auf den Kleinen zutrat. »Wie könnt Ihr Euch ohne meine Erlaubnis setzen! Ihr befindet Euch bei dem Höchstgebietenden der Stadt und habt vor ihm zu stehen. Also auf mit Euch, und zwar augenblicklich!«

Er griff bei diesen Worten mit der Hand nach einem Nagel, an welchem eine Reitpeitsche hing. Auf Sam aber machte diese Bewegung nicht den geringsten Eindruck. Er sagte in einem sehr gelassenen Tone:

»Ich befinde mich bei dem Höchstgebietenden? Meinetwegen, ja; habe nichts dagegen; bin ja ein Kamerad von ihm.«

»Ein Kamerad? Von mir?« dehnte der andre. »Ihr wäret ein Offizier, Ihr, Ihr?«

Bei dieser Frage ließ er einen Blick unendlicher Geringschätzung über die Gestalt des Kleinen gleiten.

»Well, Offizier!« nickte dieser freundlich. »Habt Ihr vielleicht einmal etwas von dem bekannten Leaf of trefoil gehört?«

»Kleeblatt? Welches Kleeblatt meint Ihr da?«

»Die drei Prairiejäger, wenn ich mich nicht irre.«

»Ja, dieses Kleeblatt kenne ich. Es besteht aus Dick Stone, Will Parker und Sam Hawkens, von dem man sich erzählt, daß -«

»Schön, Sir, schön!« unterbrach ihn der Westmann. »Habt also von diesen dreien gehört. Freut mich, freut mich sehr! Werden da bald mit unsrer lustigen Vorstellung im reinen sein und dabei erfahren, wer den Bajazzo macht. Wißt Ihr vielleicht auch, daß Sam Hawkens im letzten Kriege Scout (* Führer, Pfadfinder.) gewesen ist?«

»Ja, unter General Grant. Er hat es infolge seiner großen dabei geleisteten Dienste, durch seine List und Kühnheit bis zum Kapitän gebracht. Aber was hat das mit Euch zu thun?«

»Viel, sehr viel, Sir; jedenfalls mehr als mit Euch, denn ich schätze, daß Ihr damals noch gar nicht in der


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Uniform gesteckt habt. Das Kleeblatt befindet sich nämlich gegenwärtig hier.«

»Hier? In Tucson?«

»Yes, Sir. Und Sam Hawkens, der verdiente Vereinigtenstaatenkapitän, befindet sich Euch sogar noch näher; er sitzt in diesem Augenblicke hier in Eurer Stube.«

»Hier? In meinem Zimmer?« rief der Stellvertreter betroffen und indem seine Augen sich erweiterten. »Es ist ja außer mir kein andrer Mensch da als Ihr?«

»Well, stimmt genau, Sir!«

»Dann - dann - wäret Ihr - Ihr, Ihr dieser Hawkens!«

»Yes, bin ich auch, wenn ich mich nicht irre.«

»Thunder-storm! Ihr wäret Sam Hawkens? Ihr?«

»Denke es. Warum sollte ich es nicht sein?«

»Weil - weil - weil,« stotterte der Kapitän verlegen, »weil Ihr keineswegs darnach ausseht. Ein Offizier kann sich doch unmöglich in solche Kleider stecken!«

»Wüßte nicht, warum er es nicht thun sollte! Warum sollte sich gerade ein Offizier nicht nach seinem Geschmacke kleiden, Sir? Und dies ist nun einmal mein Geschmack, der Geschmack von Sam Hawkens, und wer denselben für geschmacklos halten sollte, der mag dies thun; ich habe nichts dagegen, so lange er schweigt. Wenn er es aber wagt, es mir zu sagen, so befindet sich die richtige Antwort auf eine solche Beleidigung hier in meiner Hand!«

(Fortsetzung folgt.)


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Sam Hawkens zeigte bei diesen Worten auf sein Gewehr und fügte hinzu. »Uebrigens, daß ich damals Offizier wurde, darauf gebe ich keinen leeren Kürbiskern. Zu einem tüchtigen Westmanne gehört weit mehr als zu einem Subalternoffizier, und ein Westmann bin ich, Sir; ja, der bin ich ganz gewiß, und wenn Ihr es nicht glaubt, so bin ich bereit, es Euch zu beweisen. Wollen wir uns einander gegenüberstellen, um zu erfahren, wessen Kugel ganz genau das Herz des andern trifft? Bin sofort bereit dazu, Sir, sofort, wenn Sie es wünschen!«

Das wurde in einem Tone gesprochen, welcher trotz der allerdings lächerlichen Gestalt Sams dem Offizier sichtlich imponierte. Der letztere machte eine abwehrende Handbewegung und antwortete, diesesmal nun in höflichem Tone:

»Ist gar nicht nötig, Sir, ist nicht nötig! Warum sollen sich Gentlemen, welche Kameraden sind, ohne alle Veranlassung niederschießen?«

»Hm! Veranlassung wäre wohl vorhanden dazu. Aber da Ihr erkannt habt, daß der vermeintliche Hanswurst ein Gentleman und Euer Kamerad ist, so habt hier meine Hand. Wollen nun in Frieden über die lustige Aufführung sprechen, an welcher Ihr Euch beteiligen sollt.«

Sie schüttelten sich die Hände, und dann erzählte Sam von seinem gestrigen Zusammentreffen mit den zwölf Reitern, welche er für die Finders hielt. Der Kapitän hörte sehr aufmerksam zu; sein Gesicht nahm je länger desto mehr den Ausdruck großer Spannung an, und als der Kleine geendet hatte, sprang er erregt auf und rief:

»Wenn Ihr Euch nicht irrtet, Sam! Wenn es wirklich die Finders wären! Welch ein Fang!«

Sam blinzelte ihn mit seinen kleinen Aeuglein an und fragte:

»Meint Ihr, daß Sam Hawkens so dumm ist, nicht zu wissen, was er behauptet? Sie sind es, sage ich Euch, sie sind es!«

»Aber warum seid Ihr da von San Xavier del Bac fortgeritten, ohne sie mitzunehmen? Sie waren doch gefesselt und befanden sich in Eurer Gewalt!«

»Kann ich beweisen, daß sie Diebe, Räuber, Mörder, daß sie wirklich die Finders sind? Dieser Beweis muß erst erbracht werden, indem ich ihnen die Gelegenheit gebe, uns zu überfallen. Wenn wir sie dabei ergreifen, sind sie ohne weiteres überführt.«

»Ergreifen! Ihr wollt euch also überfallen lassen?«

»Yes


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»In Wirklichkeit überfallen lassen?«

»Natürlich! Oder meint Ihr, daß ich nur davon träumen soll?«

»Das ist Scherz; mir aber ist es Ernst. Ich könnte mich meinen Vorgesetzten nicht besser empfehlen, als wenn wir gerade jetzt, da ich der Kommandierende bin, diese berüchtigte Bande in die Hand bekämen. Aber wenn ihr warten wollt, bis sie über euch herfallen, begeht ihr euch in die größte Gefahr!«

»Fällt keinem Menschen ein!«

»Und doch! Der Ueberfall wird doch in der Weise stattfinden, daß sie euch niederschießen?«

»Wenn wir uns hinstellen, ja; aber der kleine Sam Hawkens wird mit seinen Leuten verschwunden sein.«

»Dann ist aber von einem Ueberfalle keine Rede!«

»Warum nicht? Die Wagen werden überfallen, und wenn wir nicht bei denselben sind, so bleibt die That doch ein Verbrechen, und wir können getrost behaupten, daß sie uns ermordet hätten, wenn sie uns angetroffen hätten. Wir werden zwar nicht beweisen können, daß sie Mörder sind; aber sie überfallen nächtlicher Weile einen Wagenzug; das ist Raub, und darauf steht hier zu Lande die Todesstrafe.«

»Well! Aber wie wollt ihr sie dabei ergreifen, ohne daß es zum Kampfe kommt und ihr euch also in die Gefahr begebt, euer Leben zu verlieren?«

»Das wird sich finden, wird sich ganz gewiß finden, Sir, wenn Ihr uns dabei unterstützen wollt.«

»Das soll mehr als gern geschehen; nur möchtet Ihr mir sagen, wie Ihr Euch diese Unterstützung denkt.«

»Setzt Euch aufs Pferd und begleitet uns mit einem Trupp Eurer Kavallerie!«

»Ich wäre ganz glücklich, wenn ich das thun dürfte; aber es ist mir nicht gestattet, meinen Posten hier zu verlassen. Und da ich so wenig Leute hier habe, könnte ich höchstens nur zwanzig Mann detachieren.«

»Das genügt vollständig, Sir.«

»Wenn Ihr dies meint, so soll's geschehen, doch muß ich unbedingt vorher wissen, wie Ihr Euch die Sache denkt. Hat Eure Ansicht meinen Beifall, so sollt Ihr zwanzig Mann bekommen. Seid Ihr denn wirklich so sicher, daß die Finders Euch folgen werden?«

»Daß sie kommen werden, das ist so sicher, wie mein alter Filzhut hier, hihihihi! Sie werden freilich nicht wagen, sich in Tucson sehen zu lassen, sondern die Stadt umreiten; dennoch aber ist es möglich, daß sie einen einzelnen von ihnen als Kundschafter in die Stadt senden. Darum darf jetzt niemand als nur wir beide, höchstens noch der Lieutenant, erfahren, was wir vorhaben. Also sie werden einen Bogen um die Stadt schlagen, bis sie wieder auf unsre Wagenspur treffen, und derselben folgen, bis sie bemerken, daß und wo wir für die nächste Nacht Lager machen. Sie bleiben natürlich zurück und ruhen aus, bis es dunkel geworden ist; dann kann und wird der Ueberfall stattfinden, wenn ich mich nicht irre.«

»Nun, und Ihr? Ihr wolltet doch nicht bei den Wagen bleiben, wie Ihr vorhin sagtet.«

»Ja, wir werden uns freilich hüten, uns erschießen zu lassen. Wir gehen fort.«

»Wohin?«

»Das kommt darauf an, wo wir lagern werden. Kennt Ihr die Stelle, an welcher die Guadeloupestraße mit dem Wege von Babasaqui zusammenstößt? Und wird diese Stelle auch dem Lieutenant, den Ihr uns mitgeben wollt, bekannt sein?«

»Wir sind beide mehrere Male dort gewesen, er sowohl wie ich.«

»Well, ist mir lieb. Dort werden wir lagern, denn dort gibt es Wasser, was für unsre Zugtiere die Hauptsache ist. Ihr schickt den Lieutenant mit seinen Leuten voraus dorthin; aber er muß sich seitwärts unsres Weges halten, damit die Finders nicht etwa seine Spur treffen und mißtrauisch werden. Wir folgen später und treffen mit ihm dort zusammen. Sobald es zu dunkeln beginnt, zünden wir ein großes, helles Feuer an, damit die Finders uns leicht bemerken können. Dann lassen wir die Wagen stehen und machen uns zur Seite, um die Kerls, sobald sie sich heimlich nähern, gleich mit den Fäusten zu packen, niederzureißen und gefangen zunehmen.«

Der Kapitän ging eine Weile schweigend, aber mit raschen Schritten im Zimmer hin und her; dann blieb er vor Sam stehen und sagte:

»Wie Ihr das sagt, klingt es so glatt, so leicht, als ob es nur so und gar nicht anders kommen könne. Die Finders werden den Ueberfall aber jedenfalls nicht unternehmen, ohne vorher einen Kundschafter nach eurem Lager gesandt zu haben.«

»Das sollen sie auch, und das werden sie allerdings.«

»Aber dann sieht der Späher doch, daß ihr euch nicht im Lager befindet!«

»Nein, das sieht er nicht, denn wir werden es nicht eher verlassen, als bis er dagewesen ist.«

»Dann müßtet ihr aber doch über sein Kommen und Gehen unterrichtet sein!«

»Das werden wir auch, Sir.«

»Wieso? Auf welche Weise?«

»Hm, Ihr scheint Sam Hawkens für dümmer zu halten, als er ist, hihihihi! Den Finders traut Ihr zu, daß sie einen Kundschafter voraussenden. Können denn dasselbe auch nicht wir thun? Ich sage Euch, Sir, daß ich diese Kerls viel eher belauschen werde, als sie uns.«

Der Offizier schüttelte zweifelnd den Kopf und entgegnete:

»Das dürfte wohl unmöglich sein. Ihr müßtet sie schon am Tage beschleichen. Ich habe viel, sehr viel von Euch und Euern beiden Kameraden erzählen hören; ich weiß also, wie listig und wie verwegen Ihr seid, aber diese Leute am hellen, lichten Tage belauschen, hier, wo es keine Wälder gibt, wo man sich verstecken kann, das dürfte Euch wohl kaum gelingen. Dazu müßt Ihr folgendes bedenken: Ihr brennt ein großes Feuer an: sie hingegen werden sich hüten, dies zu thun; sie können also euern Lagerplatz schon von weitem sehen, während Ihr nicht wißt, wo sie zu finden sind.«

»Meint Ihr? Meint Ihr wirklich? Sam Hawkens soll nicht wissen, wohin sich diese Gentlemen stecken wer-


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den, hihihihi! Das ist gerade so, als wenn mein Kopf nicht wissen sollte, daß er unter seinem Hute steckt! Ich sage Euch, die Finders werden weder nach rechts noch nach links von unsrer Fährte weichen und auch auf derselben halten bleiben, wenn sie unser Feuer sehen. Sam Hawkens aber weiß ganz genau, auf welche Entfernung hin ein Feuer, wie er es anbrennen wird, zu bemerken ist. Habt keine Sorge um mich, und sagt mir rund heraus, ob Ihr Euch mit dieser Sache befassen wollt oder nicht! Wir werden auch allein ganz gut mit ihnen fertig; nur müßten wir ihnen in diesem Falle unsre Kugeln schmecken lassen. Da ich aber lieber kein Blut vergießen will, habe ich mich an Euch gewendet. Wenn Ihr mir zwanzig Mann, also vierzig Hände, zur Verfügung stellt, können wir mit den Fäusten fertig bringen, was sonst nur mit Hilfe von Pulver und Blei zu erreichen wäre.«

»Gut, ich bin einverstanden, möchte aber vorher auch die Meinung des Lieutenants hören.«

»So laßt den Mann kommen, Sir! Denke aber, daß er dem Stocke, den ich schwimmen lassen will (* Trapperausdruck.), keine andre Richtung geben wird.«

Der Kapitän holte den Lieutenant selbst herbei, und es erfolgte eine Unterredung, an deren Schlusse sich diese Ansicht Sams bewahrheitete: es blieb bei dem, was er beschlossen hatte. Die beiden Offiziere waren neugierig, auch Dick Stone und Will Parker zu sehen, doch Hawkens redete ihnen das aus, da ihr Besuch bei den Wagen oder der Besuch der beiden Genannten bei ihnen gewiß Aufsehen erregt hätte. Ein etwaiger Späher der Finders mußte dann davon erfahren, und Buttler konnte dann gar wohl erraten, daß die Garnison zu Hilfe gerufen worden sei. Als noch einige nebensächliche Dinge besprochen und bestimmt worden waren, entfernte sich Sam, sehr zufrieden über das Ergebnis der Verhandlung mit seinem Herrn »Kameraden«.

Als er bei den Wagen ankam, stand die ganze nichtsthuende Bevölkerung von Tucson um dieselben, gerade so, wie hier in Deutschland die Müßiggänger nach einem Zigeunerlager laufen, um sich das Treiben desselben anzusehen. Die Gesellschaft saß, ohne diese große Zuschauerschaft zu beachten, beim Frühstücke, und Sam setzte sich mit nieder, um an dem frugalen Essen teilzunehmen und zu berichten, welches Ergebnis seine Unterredung mit dem Kapitän gehabt habe.

Später kamen einige der Neugierigen näher, um sich mit den Reisenden zu unterhalten, was seitens der Auswanderer nur bei dem Kantor Erfolg hatte, wenn auch nur einen sehr geringen, da dieser sich eine größere Anzahl englischer Brocken angeeignet hatte, als die andern. Unter diesen Leuten befand sich ein junger Mann, welcher sich, von den übrigen unbefriedigt, an den Führer machte und diesen, mit ihm allein stehend, in ein Gespräch verwickelte. Sam beobachtete ihn; er bemerkte, daß derselbe eine militärische Haltung besaß und während des Gespräches besonders forschend auf die drei »Kleeblätter« blickte. Darum stand der Kleine auf und näherte sich ihnen. Als er hinkam, hörte er noch deutlich, daß der Führer auf eine an ihn gerichtete Frage antwortete:

»Ja, es ist das >Kleeblatt<; ich kann es versichern, obgleich ich es erst auch nicht glauben wollte.«

Da nahm Sam den Fremden beim Arme und sagte in einem sehr bestimmten Tone:

»Master, Ihr seid Soldat, nicht? Ihr gehört zur hiesigen Garnison?«

Man sah dem Manne an, daß ihn diese Frage in Verlegenheit brachte. Er stotterte etwas, was als Antwort dienen sollte, aber nicht verstanden werden konnte; darum fuhr der Kleine fort:

»Geniert Euch nicht; ich zürne Euch nicht. ich habe dem Kapitän gesagt, daß ich Sam Hawkens bin; er kennt mich nicht persönlich und muß doch infolge einer Zusicherung, welche er mir gegeben hat, wissen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Darum habt Ihr die Uniform ausziehen und in dieser Kleidung zu uns gehen müssen, um genaue Erkundigung einzuziehen. Gesteht, daß es so ist!«

»Ja, Sir, Ihr täuscht Euch nicht,« lautete jetzt die Antwort. »Da ich nun weiß, daß Ihr zu dem >Kleeblatte< gehört, darf ich es gestehen.«

»So meldet dem Kapitän, was Ihr gehört habt; sprecht aber ja mit keinem andern davon!«

»Kein Wort sage ich, Sir. Ich weiß, um was es sich handelt; ich bin Unteroffizier und gehöre zu den Zwanzig, welche mit dem Lieutenant reiten werden.«

»Wann brecht ihr auf?«

»Schon in einer halben Stunde.«

»So sagt dem Lieutenant, er soll euch einzeln und nach verschiedenen Richtungen aus der Stadt reiten lassen! Dadurch wird vermieden, daß irgend jemand auf den richtigen Gedanken kommt.«

Der Unteroffizier entfernte sich, und nun wendete sich Sam an den Führer:

»Sagt mir doch einmal, wie Ihr dazu kommt, diesem Manne Auskunft über uns zu erteilen!«

»Er fragte mich!« antwortete der Führer kurz.

»So! Also wenn Euch jemand fragt, so antwortet Ihr, es mag sein, wer es will.«

»Ihr wollt mir doch nicht etwa den Mund verbieten?«

»Ja, das will ich allerdings! Ihr wißt, daß niemand erfahren soll, daß wir das Kleeblatt sind, und doch habt Ihr es diesem Frager sofort auf die Nase gehängt. Ihr wollt ein Scout, ein Westmann sein und habt noch nicht einmal das Abc der Vorsicht inne. Ich möchte mich Eurer Führung nicht anvertrauen.«

»Das habt Ihr auch nicht nötig. Ehe Ihr zu uns kamt, ging alles nach meiner Weisung und nach meinem Willen; nun aber thut Ihr, als ob Ihr unser Gebieter wäret. Ich bin von diesen Leuten engagiert worden und führe sie -«

»Ins Verderben!« fiel Sam ihm in die Rede. »Ihr habt sie zu beschützen. Thut Ihr das? Ohne unser Kommen würden sie heut abend beraubt und ermordet werden!«


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»Pshaw! Ich habe meine Augen auch offen. Laßt Euch sagen, Master Hawkens, daß ich die mir Anvertrauten bis Fort Yuma zu führen habe. Bis dorthin bin ich Herr des Zuges. Wollt Ihr mit, so habt Ihr Euch mir zu fügen. Später dann könnt Ihr befehlen, so viel Ihr wollt! Basta!«

Da klopfte ihm Sam auf die Achsel und sagte mit seinem freundlichsten Lächeln, hinter welchem sich aber stets das Gegenteil verbarg:

»Nicht basta, noch lange nicht! Ich weiß, wohin diese Leute wollen; es ist nicht nötig, daß sie über Fort Yuma ziehen; es gibt einen kürzeren Weg, den Ihr freilich nicht zu kennen scheint. Ihr bleibt bis morgen früh noch bei uns; dann könnt Ihr gehen, wohin es Euch beliebt.«

»Mir recht, wenn ich meinen Lohn bis Fort Yuma bekomme!«

»Den werdet Ihr erhalten, und dann führe ich diese Leute, ohne Lohn von ihnen zu verlangen; sie werden dann nicht wieder durch die Schwatzhaftigkeit ihres Scout in Gefahr geraten.«

Der Führer setzte sich mürrisch auf eine Wagendeichsel; Sam wendete sich von ihm ab und seinen Gefährten zu.

»Hast einen Fehler gemacht, Sam,« meinte Will Parker. »Kann dich nicht begreifen.«

»Fehler gemacht? Welchen?« fragte der Kleine.

»Warum soll er noch bis morgen bei uns bleiben? Hättest ihn gleich fortschicken sollen.«

»Das also, das soll ein Fehler sein! Will Parker, das Greenhorn, untersteht sich Sam Hawkens gute Lehren zu erteilen! Siehst du denn nicht ein, altes Coon, daß ich ihn heut noch nicht fortschicken darf?«

»Nein, das sehe ich nicht ein.«

»O, süßer Will, wie traurig steht's mit dir! Wirst niemals, nie, ein Westmann werden. Wie blamiert es mich, einen solchen Lehrjungen zu haben, der nichts begreifen kann! Du aber kannst dich glücklich schätzen, daß ich dein Meister bin, denn ohne mich und Dick Stone wärest du längst schon ausgelöscht worden. Weißt du, was dieser sogenannte Scout machen würde, wenn ich ihn schon heut davon jagte?«

»Nun, was?«

»Er würde aus Rache zu den Finders gehen und ihnen unser Vorhaben verraten. Aber dein kleines Gehirn reicht gar nicht zu, diesen großen Gedanken in sich aufzunehmen.«

»Yes,« stimmte Parker sehr ernsthaft zu. »Du hast wirklich recht, alter Sam. Es ist eine wahre Sünde und Schande mit mir, daß keine deiner guten Lehren und Ermahnungen wie ein Tintenklex an mir haften bleibt. Ich begreife gar nicht, wie du es nur so mit mir aushalten kannst.«

»Das ist kein Wunder, da du überhaupt gar nichts begreifen kannst. Der Grund liegt darin, daß ich für dich fühle und empfinde wie eine nachsichtige Mutter, die gerade dasjenige Kind, welches ihr die meisten Sorgen macht, am meisten liebt.«

Jetzt sah man einen Kavalleristen vorüberreiten; der Aufbruch des Militärs hatte also begonnen. Der Wagenzug aber blieb noch lange halten und setzte sich erst um die Mittagszeit wieder in Bewegung.

Man hatte bis zu dem Punkte, an welchem für die Nacht gehalten werden sollte, ungefähr neun englische Meilen zurückzulegen und mußte also selbst bei dem langsamen Ochsenschritte noch vor abend dort ankommen. Die Gegend, durch welche der Zug sich bewegte, war eine mit Kies bedeckte Einöde, auf welcher nur hier und da ein hagerer Kaktus oder ein elender Mesquitestrauch zu sehen war. Was man davon dürr fand, wurde mitgenommen, um heut abend ein großes Feuer unterhalten zu können. Ueberhaupt besteht die ganze zwischen Tucson und dem Gila liegende Strecke aus solchem kiesigen Wüstenlande, wo es Wasser für das Vieh nur in einigen Tümpeln gibt und für die Menschen an zwei oder drei Punkten, wo die frühere Ueberlandpostgesellschaft Brunnen graben ließ, welche noch heut bestehen. Man nennt diese Gegend die Neunzigmeilenwüste. Jedenfalls gibt es außer an den angeführten Stellen auch noch an andern Orten Wasser, doch halten die wilden Indianer derartige Punkte verborgen, indem sie die Löcher mit Häuten bedecken, auf welche sie Kies und Sand streuen, gerade so, wie die Nomaden der Sahara es mit ihren verborgenen Brunnen thun.

Sam Hawkens leitete den Wagenzug; der bisherige Führer ritt nicht mehr voran, sondern hinterdrein. Die Blicke, welche er von Zeit zu Zeit auf den Kleinen warf, waren keine guten. Wenn sie bemerkt worden wären, hätte man aus ihnen ersehen können, daß er auf Rache sann.

Als am Nachmittag nur noch zwei englische Meilen zurückzulegen waren, achtete Sam noch weit mehr als vorher auf den Weg und dessen Umgebung. Von einem gebahnten »Wege« war allerdings keine Rede; aber wer diese Gegend passierte, der hielt, ob zu Pferde oder zu Wagen, dieselbe Richtung ein, und so kommt es, daß man hyperbolisch sogar von Straßen spricht, welche die einzelnen Orte dort verbinden.

Diese letzten zwei Meilen führten über wellenförmiges Land, welches so aussah, als ob eine Schar von Giganten riesenhafte Körbe voll Sand, Kies und Steingetrümmer hier nebeneinander ausgeschüttet hätte. Darum kamen die Wagen nur sehr langsam vorwärts. Einer dieser Giganten hatte seinen Korb mit großen, mannshohen und noch höheren Felsenstücken gefüllt gehabt und dieselben so hingeworfen, daß sie wie eine Brustwehr neben-, zwischen- und übereinander lagen. Wer sich dahinter versteckte, konnte sehr weit sehen, ohne selbst gesehen zu werden.

Sam deutete auf diese Felsen und rief seinen beiden andern »Blättern« zu:

»Das ist der Ort, an welchem die Finders halten werden. Oder willst du vielleicht wetten, Will Parker, daß ich unrecht habe?«

»Fällt mir nicht ein, altes Coon,« antwortete der Genannte. »So klein mein Gehirn nach deiner Meinung


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ist, es hat doch diese Felsen sofort als mutmaßliche Haltestelle in sich aufgenommen. Schau, da drüben, links, gibt es noch ähnliche hohe Steine. Vielleicht reiten die Kerls dort hinüber.«

»Nein, denn hier siehst du einige hundert Grashalme, welche sie ihren Pferden gönnen werden. Dort drüben wird sich aber auch jemand befinden.«

»Wer?«

»Kannst du das dir nicht denken?«

»Doch, alter Sam.«

»Nun, wer?«

»Du selbst. Du wirst dich dort verstecken, um ihre Ankunft zu beobachten und sie dann zu belauschen.«

Da schlug Sam seine fetten Hände über dem Kopfe zusammen und rief in gut gespielter Verwunderung:

»Ist so etwas denn möglich! Dieses Greenhorn hat auf einmal einen Gedanken, einen wirklichen Gedanken, und zwar einen ganz richtigen und guten! Entweder geht die Welt bald unter, oder bei diesem alten Will Parker ist der Knoten endlich doch gerissen. Ja, edler Will, ich werde, wenn ich unsern Lagerplatz gesehen habe, nach dort drüben zurückkehren und auf die Finders warten.«

»Nimmst du mich mit?«

»Kann es nicht riskieren, Will. Gehören geschickte und erfahrene Leute zu so etwas. Mußt erst noch länger in die Schule gehen.«

»Hm, ist's nicht etwa so, daß du dich täuschest, alter Sam? Habe einen Jungen gekannt, welcher absolut nichts lernte, obwohl er einen sehr anstelligen Kopf besaß. Die Leute sagten, nicht der Junge, sondern der Lehrer, der nichts verstand, sei schuld daran. Ist wahrscheinlich hier bei uns auch der Fall.«

Nachdem man noch einige niedrige Bodenerhebungen überwunden hatte, wurde das Land wieder eben, und eine gute Viertelstunde später verwandelte sich der sterile Kies in eine Erde, welche eine Gruppe von Mesquite- und Ocochillabüschen trug. Da gab es sogar Wasser. Es war hier nämlich einer jener Brunnen, welche von der Ueberlandpostgesellschaft gegraben worden sind. Der Lagerplatz war erreicht, und man hielt an.

Zunächst erquickten sich die Menschen an dem Wasser; dann wurden die Pferde und Ochsen getränkt, welche alsdann den Versuch machten, sich aus dem stacheligen Gebüsch die wenigen grünen Blätter zu holen. Die Wagen waren, wie Sam gestern geraten hatte, so aufgefahren worden, daß sie die Seiten eines zwischen ihnen liegenden Viereckes bildeten.

Natürlich blickte man nach den Soldaten aus. Sie waren nicht zu sehen. Sam nickte befriedigt vor sich hin und sagte:

»Ist kein übler Kopf, dieser Lieutenant. Hat nicht eher hier erscheinen wollen, als bis wir angekommen sind. Wird sich aber nun bald sehen lassen.«


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Als ob seine Worte von dem Betreffenden gehört worden seien, tauchte jetzt im Norden ein einzelner Reiter auf, welcher rasch näher kam. Es war der Lieutenant. Als er das Lager erreichte, gab er Sam Hawkens die Hand und sagte:

»Wir befinden uns schon seit Stunden in der Nähe, mieden aber diese Stelle, weil, da man hier Wasser findet, leicht jemand kommen und uns dann den Finders verraten könnte. Nun aber müssen unsre Pferde saufen. Dürfen wir her?«

»Ja, Sir,« antwortete der Kleine. »Aber wenn es dunkel werden will, müßt ihr wieder fort. Es werden Späher kommen, welche euch nicht sehen dürfen. Ihr zieht euch dann so weit zurück, daß ihr dann, wenn wir euch brauchen, schnell geholt werden könnt.«

»Einverstanden. Wo aber meint Ihr denn, daß die Finders halten werden, um auf die rechte Zeit zu warten?«

Sam deutete nach Südost zurück, wo man die vorhin erwähnten Felsen von hier aus gerade noch sehen konnte.

»Dort hinter jenen Steinen, Sir. Da sie wahrscheinlich schon am Tage dort ankommen werden, dürfen sie nicht weiter, weil wir sie sonst bemerken würden.«

»Aber werden sie nicht mich und meine Reiter sehen?«

»Nein. Ich habe gestern bei ihnen gesessen und weiß, daß keiner von ihnen ein Fernrohr besitzt; ein Auge aber, und wenn es noch so scharf ist, kann in dieser Weite nur die großen Wagen und später, wenn es dunkel geworden ist, das Feuer erkennen. Ihr könnt also eure Leute getrost holen, Sir.«

Der Offizier ritt fort und kehrte bald darauf mit seinen zwanzig Kavalleristen zurück, welche sich nur so weit entfernt vom Lager befunden hatten, daß sie von demselben aus eben gerade nicht mehr gesehen werden konnten. Es wurde der Ort bestimmt, bis zu welchem sich die Truppen bei der Dämmerung zurückzuziehen hatten; dann schickte sich Sam an, seinen Spähergang anzutreten. Er mußte gehen, da er sich als Reiter nicht so gut und leicht verbergen konnte. Er trat also zu seinem Maultiere, gab demselben einen leichten Klaps und sagte:

»Leg dich nieder, alte Mary, und warte, bis ich wiederkomme!«

Es verstand ihn ganz genau, legte sich nieder, und nun konnte man die höchste Summe darauf wetten, daß es sich nicht eher von der Stelle rührte, als bis es von seinem zurückgekehrten Herrn dazu aufgefordert wurde. Dann wendete er sich an Parker:

»Wie steht es, süßer Will? Wünschtest du nicht, mitgenommen zu werden?«

»Lauf nur allein,« war die Antwort. »Kannst ein Greenhorn, wie ich bin, doch nicht brauchen.«

»Muß dich aber doch mitnehmen, wenn du etwas lernen sollst.«

»Well, ich gehe mit, doch nicht des Lernens halber, sondern damit du nicht ohne Hilfe bist, wenn die Finders dich erwischen und skalpieren wollen.«

»Mögen es immer thun. Können meine Haut bekommen. Werde mir eine andre und schönere kaufen.«

(Fortsetzung folgt.)


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Sam und Parker verließen das Lager. Sie nahmen ihre Waffen mit, da es möglich war, sich derselben bedienen zu müssen. Südöstlich lagen die Steine, hinter welchen, wie Sam annahm, sich die Finders verbergen würden. Mehr nach Süd, also nach rechts, sah man die Felsen, bei denen Sam sich verstecken wollte. Dorthin nahmen sie ihren Weg, doch nicht in gerader Richtung, sondern in einem westwärts geschlagenen Bogen, um, falls die Finders schon angekommen sein sollten, nicht von ihnen gesehen zu werden. Natürlich hatte Sam, ehe er sich aus dem Lager entfernte, für alle möglichen Fälle die nötigen Anweisungen zurückgelassen.

Als die beiden ihr Ziel erreichten, stand die Sonne schon dem Horizonte nahe; in einer halben Stunde mußte die in jenen Gegenden sehr kurze Dämmerung eintreten. Drüben bei den andern Felsen befand sich noch kein Mensch; sie richteten ihre Blicke also dahin, wo die Erwarteten herkommen mußten. Niemand war zu sehen.

»Ob sie überhaupt kommen werden?« fragte Parker. »Wir sind nur von einer Vermutung, nicht aber von einer Gewißheit ausgegangen.«

»Was du Vermutung nennst, ist für mich Gewiß-


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heit,« antwortete Sam. »Soll mich wundern, wenn ich mich irrte.«

»Die Lust kann ihnen vergangen sein; haben ihnen nicht gut mitgespielt.«

»Desto kräftiger wird ihr Durst nach Rache sein. Schau! Bewegt sich nicht etwas dort zwischen den beiden vorletzten Bodenwellen?«

Parker strengte seine Augen an und antwortete dann hastig:

»Reiter! Sie sind's!«

»Ja, sie sind's; sie kommen aus der Einsenkung hervor. Man kann sie noch nicht zählen, aber mehr als zwölf sind es nicht.«

»Und wohl auch nicht weniger. Sie sind's gewiß. Alter Sam, du hast recht gehabt!«

»Habe immer recht, süßer Will, immer, und das ist gar nicht schwer. Weißt du, wie man es machen muß, um niemals unrecht zu haben?«

»Yes; ist sehr leicht.«

»Nun, wie?«

»Man muß gar nichts behaupten.«

»Auch richtig; aber das meine ich nicht. Man darf nicht eher etwas sagen, als bis man gewiß weiß, daß es richtig ist.«

»Ist keine Kunst!«

»Nicht? Nun, dann muß man immer das Gegenteil von dem behaupten, was ein Greenhorn sagt.«

»Schön, lieber Sam! Werde also von jetzt an dir niemals beistimmen, dann habe ich immer recht. Schau, sie bleiben halten! Sie besprechen sich. Sie werden doch nicht herüber zu uns wollen!«

»Fällt ihnen nicht ein! Jetzt setzen sie sich wieder in Bewegung. Sie weichen rechts von unsrer Fährte ab. Sie kennen diese Gegend und wissen, daß sie dort hinauf zu den Felsen müssen, wenn sie unser Lager sehen wollen.«

»Du meinst, sie nehmen als sicher an, daß wir dort am Wasserlagern?«

»Natürlich! Kein Mensch wird, wenn er Wasser haben kann, in die Wüste gehen. Welch eine Frage wieder! Will Parker, Will Parker, was werde ich noch an dir erleben müssen! Ich kann mit dir keine Ehre einlegen und darf mich also in deiner Gesellschaft vor niemand sehen lassen. Du betrübst und grämst mich noch in den blassen Tod hinein, wenn ich mich nicht irre. Schau, sie reiten hinauf, und ich hatte wieder recht: sie kommen nicht hierher.«

Man sah, daß sie sich nach den jenseitigen Felsen bewegten. Je näher sie denselben kamen, desto vorsichtiger bewegten sie sich, indem sie jeden Stein zur Deckung nahmen, um vom Wasser aus nicht gesehen zu werden. Sie stiegen schließlich von den Pferden und führten dieselben hinter sich her, weil sie im hohen Sattel mehr in die Augen fallen mußten. Endlich hatten sie die Felsen erreicht und lauschten hinter denselben hervor. Man sah ihren Bewegungen an, daß sie sich freuten, den Wagenzug zu erblicken. Die Pferde wurden etwas rückwärts angepflockt, und dann nahmen die Reiter die verschiedensten Stellungen ein, in denen sie das Lager bequem beobachten konnten.

»Sie sind's,« nickte Sam. »Zwölf; man kann sie jetzt zählen.«

»Gehen wir hinüber?« fragte Will.

»Ja, sobald es dunkel geworden ist.«

Da brauchten sie nicht lange zu warten. Die Sonne hatte schon den Horizont berührt; sie verschwand; der immer tiefer werdende Schatten der Dämmerung flog von Osten herbei, und draußen am Wasser leuchtete nun ein hohes, helles Feuer auf. Man konnte die Finders schon nicht mehr erkennen.

»Komm,« forderte Sam seinen Kameraden auf. »Wir wollen keine Zeit verlieren.«

Sie verließen ihr Versteck und schritten demjenigen ihrer Gegner zu. Je näher sie demselben kamen, desto leiser, zuletzt vollständig unhörbar, wurden ihre Schritte. Daß Sam Hawkens mit seinen Riesenstiefeln so geräuschlos auftrat wie ein Sperling im Grase, das war geradezu unbegreiflich. Und Will Parker benahm sich mit einem Geschick, welches bewies, daß er kein Greenhorn war, wenn er von Sam auch oft so genannt wurde.

Als sie an den Fuß der kleinen Anhöhe gelangten, gab Sam seinem Begleiter das Gewehr und flüsterte ihm zu:

»Bleib hier zurück und halte meine Liddy! Ich will allein hinauf.«

»Well; aber wenn du in Gefahr gerätst, komme ich nach.«

»Pshaw, wüßte nicht, welche Gefahr dies sein könnte! Spitz die Ohren, Will, damit du nicht etwa ertappt wirst!«

»Von wem?«

»Von dem Kundschafter, den sie gewiß nun bald fortschicken werden. Es ist zwar nicht wahrscheinlich, aber doch möglich, daß er hier vorüberkommt.«

Er legte sich auf den Boden nieder und kroch weiter. Es war jetzt die beste Zeit zum Anschleichen, weil so kurz nach der Dämmerung die wenigen Sterne, welche zu sehen waren, noch matt schimmerten. Bekanntlich wächst der Glanz der Sterne von der Dämmerung an.

Wie bereits bemerkt, bestand die Bodenwelle, auf welcher die Felsenstücke lagen, aus lauter Geröll, welches demjenigen, welcher im Anschleichen keine sehr große Gewandtheit besaß, unter den Füßen und Händen fortrollen mußte. Sam aber schob sich Zoll um Zoll vorwärts, ohne daß ein Steinchen aus seiner Lage geriet. Es ergab sich dabei wirklich die absoluteste Unhörbarkeit. So erreichte er die Höhe und hielt an. Seine scharfen an die Dunkelheit gewöhnten, weil in derselben geübten Augen sahen die Gegner vor sich; er hätte sie ebensogut bemerkt, wenn er sie nicht gesehen hätte, denn sie sprachen miteinander. Er wagte es, sich ihnen noch mehr zu nähern, und hielt endlich bei einem großen Steinbrocken an, hinter welchem er sich niederkauerte. Zwei oder drei der Finders standen aufgerichtet an den Felsen, um über dieselben hinweg das ferne Lagerfeuer zu beobachten; die übrigen hatten es sich bequem gemacht; sie saßen auf der


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Erde. Zwei waren es, welche miteinander sprachen, Buttler und ein andrer. Eben als Sam es sich hinter seinem Steine bequem gemacht hatte, hörte er den letzteren sagen:

»Hätten wir nur mehr Munition bekommen können! Wir müssen außerordentlich sparsam sein.«

»Nur einstweilen,« antwortete Buttler. »Wir werden uns alles wiedernehmen und noch weit mehr dazu. Poston, jetzt ist's Zeit, dunkel genug. Mache dich fort! Aber laß dich ja nicht erwischen oder auch nur hören oder sehen, sonst hast du es mit mir zu thun!«

»Werde mich hüten, mich sehen zu lassen,« antwortete der Angeredete. »Es ist nicht zum erstenmal, daß ich lauschen gehe.«

»Darum eben schicke ich dich und keinen andern. Du brauchst dich nicht in Gefahr zu begeben, brauchst nichts zu wagen und dich ihnen nicht allzuweit zu nähern, das wäre unnötig.«

»Aber ich möchte doch gern wissen, was sie reden!«

»Ist von keinem Nutzen für uns. Ich will nur wissen, ob sie allein am Wasser sind oder noch andre sich mit dort befinden.«

»Aber wenn ich sie reden hören könnte, würde ich erfahren, ob sie vielleicht Verdacht haben!«

»Verdacht? Woher soll ihnen dieser kommen?«

»Sie können doch denken, daß wir ihnen folgen werden?«

»Dazu sind sie zu dumm. Die Deutschen sind gar nicht zu rechnen, und der Scout schien nicht der Mann zu sein, der sein Leben wagt, um andre zu retten. Also bleiben nur die drei Schufte, welche gestern trotz ihrer Dummheit ein solches Glück gegen uns gehabt haben. Ihr Verstand reicht sicher nicht so weit, zu denken, daß wir ihnen nachgeritten sind. Am Gila in Fallen Bären und Biber fangen! Hat man jemals eine solche Verrücktheit gehört? Also geh, Poston, und spute dich! In einer halben Stunde kannst du wieder hier sein.«

Der Späher entfernte sich, und der allererste Sprecher nahm nun wieder das Wort:

»Wann denkst du, daß wir uns auf sie werfen, Buttler? Heut abend noch oder morgen früh?«

»Morgen erst? So lange mag ich nicht warten. Ich brenne vor Begierde, ihnen, und vor allen Dingen dem kleinen, dicken Kerl, die Rechnung heimzuzahlen. Nein, heut abend noch.«

»Wenn sie schlafen und das Feuer ausgegangen ist?«

»Nein. Wir werden sie mit einer einzigen Salve niederschießen; dazu gehört Licht.«

»Aber das Feuer ist groß und leuchtet so weithin, daß sie uns sehen müssen, wenn wir kommen.«

»Dadurch, daß sie einen solchen Höllenbrand angefacht haben, beweisen sie, daß sie nicht den geringsten Verdacht hegen. Es ist freilich unangenehm, daß die Riesenflamme gar so weit leuchtet; wir müssen also warten, bis sie niedrig brennt. Dann aber wird keinen Augenblick länger gezögert. Ich sage euch, auf den Kleinen, Dicken darf mir niemand schießen, denn der soll von meiner Kugel sterben.«

Er erging sich weiter in zornigen Ausdrücken und in überkräftigen Redensarten über das gestrige Erlebnis, die dabei gegen ihn aufgetretenen Personen und die Uebertölpelung, welcher er mit seinen Gefährten verfallen war. Sam erwartete, noch weiteres Wichtiges zu hören; darum blieb er wohl noch eine gute Viertelstunde liegen, sah sich aber getäuscht und verließ darum nun seinen Ort ebenso leise und vorsichtig, wie er gekommen war. Als er unten bei Will Parker anlangte, gab dieser ihm sein Gewehr zurück und sagte:

»Hier hast du die Liddy. Gab es etwas zu hören?«

»Wenig.«

»Aber wichtig?«

»Nur daß der Ueberfall dann geschehen soll, wenn unser Feuer nicht mehr so hell brennt wie vorher. Wir müssen uns darauf einrichten. Hast du den Kundschafter gesehen?«

»Ja. Er ging ziemlich nahe an mir vorüber, hat mich aber nicht bemerkt.«

»So komm! Wir müssen zu den Unsrigen.«

Sie entfernten sich, erst mit gedämpften Schritten, dann aber mit weniger Vorsicht, denn sie schritten nicht direkt auf das Lager zu, sondern machten einen Umweg, um nicht auf den zurückkehrenden Späher zu treffen. Sie hatten noch nicht ganz die Hälfte des Weges zurückgelegt, so hörten sie einen lauten englischen Ausruf, dem ein zweiter deutscher folgte.

»Tempest!« rief die erste Stimme.

»Herr Jemineh!« schrie die zweite. »Wer fällt denn da über mich weg?«

»Das ist der Kantor,« raunte Sam seinem Kameraden zu. »Der Mann macht mir da wohl eine Dummheit. Komm schnell näher, aber leise, damit man uns nicht eher bemerkt, als bis wir uns bemerken lassen wollen!«

Sie huschten der Gegend zu, aus welcher die Stimmen jetzt weiter erklangen. Als sie nahe genug gekommen waren, blieben sie halten und lauschten.

»Wer Ihr seid, habe ich gefragt!« sagte der englisch Sprechende.

»Ich ersticke!« wurde ihm deutsch geantwortet.

Ja, es war die Stimme des Emeritus. Sie klang so, als ob ihn jemand an der Kehle habe.

»Den Namen will ich wissen!« erklang es wieder englisch.

»Dort vom Lager.«

»Ich verstehe Euch nicht. Redet doch englisch!«

»Ich komponiere!«

»Gehört Ihr zu den Leuten, welche dort am Feuer sitzen?«

»Eine Heldenoper, welche drei ganze Abende füllen soll!«

»Mensch, wenn Ihr nicht verständlich redet, kommt Ihr nicht los! Also Antwort! Wer seid Ihr?«

»Zwölf Akte, auf jeden Abend vier.«

»Den Namen, den Namen!«

»Ich suche den Hobble-Frank!«

»Ah endlich! Frank heißt Ihr? Was treibt Ihr denn hier, so allein und nächtlicher Weile?«


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»Aus Klotzsche bei Dresden bin ich. Laßt mich doch los -o, o, endlich! Gott sei Dank!«

Die Stimme klang freier; der Kantor hatte sich losgerissen und eilte fort. Man hörte seine Schritte.

»Nun ist er doch fort!« stieß der andre zornig hervor. »Soll ich - nein; ich muß weiter.«

Er verfolgte den Fliehenden nicht, sondern nahm seinen Weg mit schnellen Schritten zu den Finders.

»Es ist der Kundschafter,« flüsterte Sam. »Das ist eine fatale Geschichte. Kann uns alles verderben. Ich muß wieder nach den Felsen zurück, um zu hören, was der Mann dort meldet. Bleib hier stehen! Ich muß noch eher dort sein als er.«

Er rannte fort. Will Parker wartete. Es verging wohl eine halbe Stunde, ehe Sam zurückkehrte. Als er kam, meldete er:

»Es ist besser abgelaufen, als ich dachte. Diese Begegnung konnte dem Kantor das Leben kosten oder, wenn wir ihm beisprangen, wenigstens unsern Plan zu Schanden machen.«

»Für wen halten die Finders diesen Unglücksemeritus?« erkundigte sich Parker.

»Es ist gar nicht von ihm gesprochen worden.«

»Nicht? Das ist unmöglich.«

»Es ist wirklich so. Der Kundschafter hat nämlich die Begegnung gar nicht erwähnt.«

»Wirklich nicht? Unbegreiflich! Sie ist doch so wichtig, daß er sie unbedingt melden muß!«

»Das begreift dieser Mann vielleicht nicht. Er hat sie höchst wahrscheinlich aus Angst verschwiegen.«

»Aus Angst? Wieso?«

»Aus Angst vor den Vorwürfen. Ehe er ging, drohte ihm Buttler, sich ja nicht sehen zu lassen; nun ist er gar über jemand weggefallen. Wenn er dies sagt, hat er nichts Gutes zu erwarten; darum zog er vor, lieber zu schweigen. Das kann uns nur lieb sein. Komm nun jetzt zum Lager!«

Sie gingen weiter, hatten aber noch nicht viele Schritte gethan, als sie schon wieder stehen blieben, da sie ein Geräusch vor sich hörten. Als es näher kam, erkannten sie, daß es Hufschläge waren.

»Ein galoppierendes Pferd, welches gerade auf uns zukommt!« sagte Parker.

»Ja, so ist es,« stimmte Sam bei. »Was ist das nun wieder, wenn ich mich nicht irre! Schnell zur Seite!«

Das Pferd war schnell näher gekommen; sie wichen gerade noch zu rechter Zeit aus; als es vorüberschoß, sahen sie trotz der Dunkelheit, daß zwei Gestalten auf demselben saßen. Die eine von ihnen stöhnte laut.

»Wir das einer von uns, Sam?« fragte Parker.

»Weiß nicht. Waren überhaupt zwei, altes Greenhorn.«

»Aber Feinde. Der eine saß richtig im Sattel; der andre kniete hinter ihm und hatte ihn beim Halse.«

»So genau habe ich es nicht unterscheiden können. Hast du dich nicht etwa geirrt?«

»Nein. Ich stand näher als du und konnte es also deutlicher sehen. Einer von ihnen gehörte wohl zu uns; wer aber mag der zweite sein?«

Dieser zweite gehörte ebenso wie der erste zur Gesellschaft. Daß sie miteinander an Sam und Will vorüberritten, und zwar auf einem Pferde, beruhte auf folgender Ursache:

Schi-So, der Häuptlingssohn, hatte sich stets nur zu Adolf Wolf, seinem gleichalterigen einstigen Studiengenossen und jetzigen Gefährten gehalten, war nach Indianerweise gegen Sam, Will und Dick nicht aufdringlich gewesen, hatte aber alle Vorkommnisse, Reden und Gespräche mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Er hatte in Tucson gehört, wie Sam den Führer zurechtwies und ihm sagte, daß er morgen entlassen werde. Später war ihm das stille, brütende Wesen dieses Mannes aufgefallen; er hatte Verdacht gefaßt und ihn von nun an sehr aufmerksam beobachtet. Jetzt, am Lager, hatte der Scout mit den deutschen Auswanderern nach Sams und Will Parkers Entfernung einen Streit vom Zaune gebrochen, und Frau Rosalie ihrem lebhaften Temperament zufolge an demselben teilgenommen. Was der eigentliche Grund oder Gegenstand des Zankes war, wußte Schi-So nicht; er hörte nur, daß die Frau schließlich zornig ausrief:

»Denken Se nich etwa, daß wir Ihre Unterthanen und Schklaven sind! Ich, Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllerin habe hier gerade so viel zu befehlen wie Sie. Verschtehn Se mich! Sie zeigen uns den Weg und kriegen Ihr Geld dervor. So is die Sache. Und morgen gehn Se ab. Der Herr Sam Hawkens wird uns weiter führen; der verschteht seine Sache besser als Sie und macht's noch derzu ganz umsonst.«

»Besser wie ich?« fragte zornig der Scout. »Darüber haben Sie als Fremde und als Frau gar kein Urteil. Weiber haben überhaupt zu schweigen!«

»Zu schweigen? I, was Se nich sagen! Schweigen sollen wir Damen? Wozu haben wir denn den Mund bekommen? Etwa bloß zum Nüsseknacken und Oppedeldoc trinken? Hörn Se, da sind Se uff dem Holzwege! Schweigen lieber Sie, denn alles, was Se sagen, is schlechte Leinewand und imitiertes Meublemang! Wir werden froh sein, wenn Se morgen fort sein werden. Uff Ihre lockere Amtsführung als Wegweiser und Schkuut dürfen Se sich wahrhaftig nich viel einbilden!«

»Ich kann dieses Amt ja schon heut niederlegen!«

»So? Das is uns lieb; das is uns recht; das wird oogenblicklich angenommen. Also treten Se ab! Sie sind hiermit aus Amt und Schtand und Brot entlassen!«

»Nicht eher, als bis ich meine Bezahlung bekommen habe!«

»Die sollen Se haben, oogenblicklich haben. Wegen den paar Pfennigen lassen wir uns nich beim Land- und Kreisgericht verklagen. Julius, haste Geld bei der Hand?«

Julius hieß ihr Mann, welcher neben ihr stand. Er bejahte ihre Frage.

»So bezahl den Mann; mir kommt er nich wieder ins Haus. Dem will ich's zeigen, ob wir Damen schweigen müssen oder nich! Ich bin nur deshalb mit nach


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Amerika, weil da die Damen feiner als drüben behandelt werden, und gleich dieser erste Yängki, der mir in den Weg gekommen is, will mir die Schprachwerkzeuge verbieten! Das muß eenen ja aus allen seinen sieben Himmeln reißen! Also zahl ihn aus, und dann hau du ju du!« (* How do you do.)

Der Scout erhielt wirklich seinen Lohn so ausgezahlt, als ob er mit bis nach Fort Yuma geritten wäre. Er schob es mit pfiffigem Lächeln in die Tasche. Jedenfalls hatte er den Streit nur deshalb vom Zaune gebrochen, um das Geld zu bekommen und sich noch während der Abwesenheit Sams entfernen zu können. Er sattelte sein Pferd, nahm sein Gewehr und stieg auf. Da trat Dick Stone zu ihm und fragte:

»Wollt Ihr mir wohl sagen, Sir, was es zu bedeuten hat, daß Ihr da Euern Gaul so plötzlich zwischen die Beine nehmt? Wie es scheint, wollt Ihr fort?«

»Yes. Habt Ihr etwas dagegen?« antwortete der Führer impertinent.

»Sehr viel sogar.«

»Darnach werde ich nicht fragen.«

»Oho! Dick Stone ist ganz genau der Mann, nach dessen Wort man fragt. Wir sollen überfallen werden; es heißt entweder hie Freund oder hie Feind; wer uns in diesem Augenblick verläßt, ist unser Feind.«

»Ich bin entlassen worden.«

»Als Führer, ja, aber nicht fortgejagt. Niemand hindert Euch, bis morgen zu bleiben. Wenn Ihr trotzdem fort wollt, so kennen wir den Grund!«

»Kennt Ihr ihn? Ah, wirklich?« höhnte der Scout. »Wollt Ihr vielleicht die Güte haben, ihn mir zu sagen?«

»Ja. Ihr wollt zu den Finders, um sie zu warnen.«

»Ich glaube, Ihr seid verrückt geworden, Master!«

»Schwerlich. Dieser Gedanke liegt so nahe, daß ihn jedes Kind haben muß.«

»Da will ich Euch doch sagen, wohin ich will. Ich bin von diesen Deutschen entlassen worden und kann also nicht hier bei ihnen bleiben; meine Ehre verbietet mir das. Darum will ich hinaus zu den Soldaten, um bei ihnen bis zum Tagesanbruch zu bleiben. So, das ist meine Absicht, und nun laßt mich fort!«

Dick Stone ließ sich, durch diese Lüge für einen Augenblick getäuscht, die Zügel, welche er ergriffen hatte, aus der Hand zerren; der Scout gab seinem Pferde einen Hieb und ritt davon, der Richtung zu, in welcher sich der Lieutenant nach Sams und Parkers Entfernung mit seinen zwanzig Mann zurückgezogen hatte. Aber schon eine Sekunde später war Dick Stone wieder klar. Er sprang nach der Stelle, an welcher sein Gewehr lag, und rief:

»Der Schuft hat mich belogen; er will uns doch verraten; ich schicke ihm eine Kugel nach!«

Da schnellte Schi-So zu ihm hin und sagte:

»Schießt nicht, Sir! Es ist dunkel; die Kugel würde fehlgehen. Ich bringe Euch den Mann zurück.«

Nach diesen Worten schoß der Jüngling fort, in die dunkle Nacht hinaus.

»Ihn zurückbringen? Dieser Knabe?« fragte Dick. »Sollte ihm schwer fallen. Ich muß ihm selbst nachreiten.«

Er wollte zu seinem Pferde; da ergriff ihn Adolf Wolf am Arme und bat:

»Bleibt hier! Er holt ihn wirklich.«

»Ist unmöglich!«

»Er holt ihn! Ihr könnt es glauben. Schi-So bringt, obgleich er noch so jung ist, noch ganz andre Dinge fertig.«

Der bestimmte Ton und die überzeugungsvolle Miene Wolfs blieben nicht ohne Wirkung.

»Hm,« brummte Dick, »würde wohl zu nichts führen, wenn ich ihm nachritte. Kann doch nicht sehen, wohin er ist. Will er wirklich zu den Finders, so wird er wahrscheinlich auf Sam und Will stoßen, die ihn nicht weiterlassen werden. Bleib also hier. Aber eine verteufelte Geschichte ist es doch, wenn er entkommt. Was wird Sam dazu sagen!«

Dieser sagte gar nichts, sondern er stand gerade in diesem Augenblicke noch neben Parker und horchte mit diesem nach der Richtung, in welcher das Pferd an ihnen vorüber verschwunden war. Man hörte es noch deutlich schnauben, aber keine Huftritte mehr. Doch nach einiger Zeit waren sie wieder zu vernehmen; sie kamen wieder zurück, näher und näher und viel langsamer als vorher.

»Sonderbar!« brummte Sam. »Die beiden Reiter kommen retour, und zwar im Schritt. Wir legen uns nieder, weil wir dann besser sehen können, wer es ist.«

Sie duckten sich auf den Boden. Jetzt kam das Pferd; es saß nur ein Reiter darauf, aber es zog einen dunklen Gegenstand hinter sich her. Jetzt erkannten die beiden den Reiter.

»Schi-So!« rief Sam. »Ihr seid es, Ihr? Wie kommt Ihr hierher?«


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Der Gefragte hielt das Pferd an und antwortete in bittendem Tone:

»Sagt du zu mir, Sir! Ich habe Euch schon einmal darum ersucht. Der Scout ließ sich sein Geld geben und ritt gegen unsern Willen fort. Er wollte uns den Finders verraten; da sprang ich ihm nach, ereilte ihn und schwang mich hinter ihm auf das Pferd. Als ich ihn mit dem Revolverkolben betäubt hatte, hielt ich das Tier an und warf ihn herunter; nun zieht es ihn an meinem Lasso hinter sich her.«

»Tausend Donner! Nacheilen, aufs Pferd springen, betäuben, herunterwerfen! Du bist ja der reine, richtige Old Shatterhand geworden! Braver Bursche! Werde es deinem Vater erzählen. Du hast den Verräter vielleicht gar erschlagen?«

»Nein; er ist nur betäubt.«

»Wahrhaftig, der wirkliche Old Shatterhand! Und das alles so ruhig, ohne einen Schuß oder sonstigen Lärm, wenn ich mich nicht irre!«

Der Jüngling antwortete einfach und bescheiden:

»Lärm durfte doch nicht sein, weil die Feinde sich in der Nähe befinden.«

»All right; hast deine Sache so brav gemacht, daß jedes Lob überflüssig ist, Komm jetzt mit nach dem Lager! Wir wollen uns beeilen, mit den Finders fertig zu werden. Es ist besser, sie nicht lange warten zu lassen.«

(Fortsetzung folgt.)


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Es ging wieder dem Feuer entgegen. Dem Scout kehrte infolge der Schmerzen, welche das auf der Erde schleifen verursachte, die Besinnung zurück. Er begann zu wimmern, doch wurde nicht darauf geachtet, bis das Lager erreicht worden war. Dort raffte er sich langsam auf. Der Lasso war ihm um die Hände gebunden, unter den Armen hindurchgeschlungen und dann an den Sattel befestigt worden. Es läßt sich leicht denken, wie er empfangen wurde. Er starrte finster vor sich nieder und beantwortete kein an ihn gerichtetes Wort. Ebenso schweigsam verhielt sich Schi-So zu dem Lobe, welches ihm von allen Seiten gebracht wurde. Er ging ganz still davon, konnte es aber doch nicht verhindern, daß Frau Rosalie ihn sehr fest beim Arme ergriff und fragte:

»Herr Schi-So, haben Se vielleicht eenmal die Geschichte von der verzauberten Prinzessin gelesen?«

»Welche?« antwortete er. »Es gibt sehr viele Geschichten, welche diesen Titel haben.«

»Ich meene nämlich diejenigte Prinzessin, die in eenen Kirchturmknopf hineingezaubert war.«

»Die kenne ich nicht.«

»Der Kirchturm war hundertundelf Ellen hoch; darum mußte derjenige, der die Prinzessin erlösen wollte, hundertundelf Heldenthaten verrichten, uff jede Elle eene. Viele tausend Jahre hat das arme Wurm im Knopfe geschteckt, ohne daß es jemand nur bis zur dritten oder vierten Heldenthat gebracht hat, bis endlich een junger Rittersmann aus Schleswig-Holschteen kam und alle hundertundelf Heldenthaten, eene nach der andern, mit dem Schwerte um das Leben brachte. Da schprang der Kirchturmknopf uff und entzwee und die erlöste Prinzessin trat holdselig heraus, reichte dem Erretter die rechte Hand und führte ihn hinunter in die Sankristei.«

»So!« lächelte Schi-So. »Und die Nutzanwendung dieser ebenso schönen wie rührenden Geschichte?«

»Nutzanwendung? Was meenen Sie damit? Was soll das heeßen? Wenden Se den Nutzenwenigstens nich zu Ihrem Schaden an! Ich habe Ihnen von diesem Turmknopf erzählt, weil ich sehe, daß Sie ooch so een tapferer Schleswig-Holschteener sind.


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Gibt es bei den Indianern ooch verzauberte Prinzessinnen?«

»Nein.«

»Jammerschade! Ich gloob, Sie brächten's ooch bis hundertundelf. Rechnen Sie uff meine Hochachtung und uff meine Dankbarkeet!«

Sie wollte noch weiter sprechen, wurde aber von jemand fortgeschoben, der sich zwischen sie und ihn drängte. Es war der Kantor, welcher, seine Hand ergreifend, sagte:

»Teurer Freund und junger Mann, Sie wissen, daß ich im Begriffe stehe, eine große Heldenoper zu komponieren?«

»Ja; Sie haben uns das oft und wiederholt gesagt.«

»Und daß diese Oper zwölf Akte haben wird?«

»Ich glaube allerdings, daß es zwölf waren, von denen Sie sprachen.«

»Schön! In welchem Akte wollen Sie erscheinen?«

»Warum ich?«

»Weil Sie ein Held sind, wie ich ihn für meine Komposition brauche. Sie werden auftreten, indem Sie den Verräter zu Pferde am Lasso über die Bühne schleppen. Also bitte, in welchem Akte?«

Ueber das sonst so ernste Gesicht des Mestizen glitt ein fröhliches Lächeln, als er antwortete:

»Sagen wir im neunten.«

»Schön! Und wollen Sie ihn in Dur oder in Moll über die Bühne schleppen?«

»In Moll

»Gut; da werde ich C-moll wählen, denn dies hat den Dominantsextaccord von G und ist im ersten Grade mit dem herrlichen Es-dur verwandt. Und als Taktart wählen wir nicht Dreiviertel- oder Sechsachtel-, sondern den Viervierteltakt, weil das Pferd, auf welchem Sie auf der Bühne erscheinen werden, gerade vier Beine hat. Sie sehen, daß alles stimmen wird. Ich werde mir das alles gleich notieren.«

Er zog sein Merkbuch aus der Tasche. Da erklang hinter ihm eine Stimme:

»Ich habe Ihnen auch etwas zu notieren, Herr Kantor.«

Er drehte sich um und sah Sam vor sich stehen. In höflichem Tone antwortete er:

»Bitte, bitte, Kantor emeritus! Es ist nur der Vollständigkeit halber. Da ich nicht mehr im Amte bin -«

»So treiben Sie sich da draußen vordem Lager herum!« unterbrach ihn Sam. »Wer hat Ihnen denn geheißen, das Lager zu verlassen?«

»Geheißen? Die Kunstbegeisterung trieb mich hinaus, erst lento, dann vivace und endlich gar allegrissimo. Sie wissen, wenn die Muse befiehlt, dann muß ihr Jünger gehorchen.«

»Da bitte ich Sie, Ihrer Muse den Abschied zu geben, denn sie meint es nichts weniger als gut mit Ihnen.«

»Wieso?«

»Weil sie Sie auf Wege treibt, wo Sie leicht verunglücken können.«

»Daß ich nicht wüßte, werter Herr. Ich brauchte für meine Oper einen Doppeltriller; da ich denselben nicht hier im Lager finden konnte, so verließ ich dasselbe, um mir draußen in der Einsamkeit, wo mich niemand stört, einen auszusinnen.«

»Da setzten Sie sich auf die Erde nieder?«

»Ja.«

»Und warteten, ob der Triller kommen würde? Aber statt seiner kam ein fremder Mann, der Sie nicht sah, und stolperte über Sie weg!«

»O, er stolperte nicht nur, sondern er stürzte wirklich hin, lang über mich hinweg. Im nächsten Augenblicke hatte er mich beim Halse, gerade so, wie man eine Violine bei dem Halse faßt.«

»Dann gab es ein Duett!«

»Eigentlich kein Duett; wir sprachen nur ein wenig mit einander.«

»Sie deutsch, er englisch, und keiner verstand den andern!«

»Das ist kein Wunder. Wer mich verstehen will, darf mir doch nicht den Hals zusammenpressen. Das konnte er sich denken! Uebrigens benutzte ich die Gelegenheit, als er mich einmal locker ließ, ihn und den Ort zu verlassen.«

»Wohl auch allegro oder allegrissimo

»Es war schon mehr con fretta, denn ich hatte ihn in dem Verdachte, mich abermals fesseln zu wollen.«

»Das wollte er allerdings, und noch viel mehr als das! Wissen Sie, wer er war?«

»Nein; es gab im Laufe der kurzen Unterredung keine Gelegenheit, uns einander vorzustellen.«

»Das glaube ich wohl. Es war überhaupt nicht auf solche Höflichkeiten, sondern auf Ihr Leben abgesehen.«

»Auf mein Leben?« fragte der Kantor sehr erstaunt.

»Allerdings. Der Mann, welcher über Sie hinwegtrillerte, gehörte zu den Finders, welche uns überfallen und ermorden wollen.«

»Sollte man dies glauben!«

»Viel leichter zu glauben, als zu bezweifeln. Sie wußten, daß die Feinde sich da drüben befinden und liefen trotzdem hinaus und nach dieser Richtung hin. Sie scheinen nicht recht bei Sinnen gewesen zu sein, wenn ich mich nicht irre. Welcher vernünftige Mensch begibt sich in eine so offen drohende Gefahr!«

»Gefahr? Sie irren. Ich hatte schon wiederholt das Vergnügen, Ihnen zu erklären, daß es für einen Sohn der Musen keine Gefahr gibt außer der einzigen, daß seine Werke nicht anerkannt werden. Andre Fährlichkeiten existieren nicht.«

»Also, wenn ein offenbarer Mörder geradezu über Sie wegstolpert und Sie bei der Gurgel faßt, um Sie zu erdrosseln, so ist das keine Gefahr für Sie?«

»Nein. Sie haben ja den Beweis, lieber Herr; er hat mich gehen lassen und ist auch selbst gegangen. Ueber mir schwebt eben ein Genius, welcher über mich wacht und mich vor jedem Unglücke bewahrt.«

»Wenn dieser Glaube Sie glücklich macht, so mögen Sie ihn meinetwegen behalten, bis Sie einmal erschossen,


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erschlagen, erstochen und skalpiert werden. Aber aus Rücksicht auf uns sollten Sie vorsichtig sein. Ihre sehnsüchtige Erwartung eines Trillers hat auch uns in Gefahr gebracht. Wir werden in Zukunft nicht nur Ihr Pferd anbinden dürfen.«

»Etwa mich auch?«

»Allerdings.«

»Herr, dagegen muß ich protestieren! Das Genie kennt keine Banden, und wenn man es dennoch schnürt, zerreißt es alle Fesseln. Wie wollen Sie die Töne einer Trompete unterdrücken, wenn sie einmal am Munde sitzt?«

»Indem ich sie einfach vom Munde wegnehme, wenn ich mich nicht irre. Für jetzt nun verlange ich, daß Sie sich unbedingt ruhig verhalten und da bleiben, wohin ich Sie stelle. Es hängt unser aller Leben davon ab, daß niemand einen Fehler macht.«

»Wenn dies der Fall ist, werde ich Ihren Anordnungen folgen; Sie können sich darauf verlassen. Sollte es aber doch zum Kampfe kommen und jemand dabei sterben, so bin ich gern erbötig, für ihn schnell eine Missa pro defunctis auf beliebigem Text zu komponieren. Ich werde augenblicklich über ein schönes und ergreifendes Thema dazu nachdenken.«

Das Feuer war bis jetzt noch immer hoch geschürt worden. Nun sollte das Lager verlassen werden. Sam bestimmte, daß nur er, Stone, Parker und die Soldaten sich bei der Ueberrumpelung der Finders zu beteiligen hätten; die andern sollten der dabei doch drohenden Gefahr nicht ausgesetzt werden. Schmidt, Strauch, Ebersbach und Uhlmann waren damit einverstanden. Frau Rosalie aber erklärte beherzt:

»Was, ich soll die Hände in den Schoß legen, wenn andre für mich ihr Leben wagen? Das kann ich nich zugeben, ganz gewiß nich. Wenn keene Flinte für mich übrig is, da nehme ich eene Hacke oder Schaufel, und wehe dem Urian, der mir zu nahe kommt! In dem Herrn Emeritus seiner Heldenoper müssen doch ooch Damen ufftreten, und ich will die erschte sein, die erscheint. Also sagt mir nur den Ort, wo ich mich hinzuschtellen hab'. Ich werde meine Sache machen; ausreißen thu ich sicher nich!«

Es kostete nicht wenig Mühe, ihr begreiflich zu machen, daß ihre Beteiligung nicht nur nichts nützen, sondern sogar nur schaden könne, und sie ergab sich nur ungern darein, sich den Unthätigen zugesellen zu müssen. Die vier deutschen Auswanderer zogen mit ihren Frauen, Kindern und Zugtieren nach der Stelle, an welcher die Soldaten warteten. Der Kantor war natürlich auch bei ihnen, und Sam schärfte ihnen ein, ja streng acht auf ihn zu geben, damit es ihm nicht möglich sei, sich zu entfernen und Unheil anzustiften. Die Pferde wurden auch dorthin in Sicherheit gebracht. Eigentlich sollten Schi-So und Adolf Wolf, da sie noch so jung waren, auch von der Beteiligung ausgeschlossen sein; aber der erstere erklärte so bestimmt, daß dies eine große Beleidigung für ihn sei, daß Sam ihm seinen Wunsch erfüllte und infolgedessen auch Adolf nicht mehr zurückweisen konnte. Der gefangene Scout wurde selbstverständlich auch mit in Sicherheit gebracht. Nun konnten alle Soldaten sich beteiligen; es brauchte keiner von ihnen als Pferdewache zurückzubleiben, da ihre Tiere von den Deutschen unter Aufsicht genommen wurden; sie kamen jetzt herbei, und eben wollte Sam Hawkens ihren Offizier über die Art und Weise der Abwehr gegen die Finders unterrichten, als der junge Häuptlingssohn in bescheidenem Tone zu ihm sagte:

»Werden Sie es mir verzeihen, wenn ich es wage, Sie auf etwas sehr Notwendiges aufmerksam zu machen?«

Er hatte deutsch gesprochen, um von dem Lieutenant nicht verstanden zu werden. Sam erkannte diese Rücksichtsnahme an und antwortete.

»Wie könnte ich dem Sohne meines Freundes, des >großen Donners<, zürnen. Sprich, wie du es auf der Zunge hast!«

Der Jüngling folgte dieser Aufforderung, indem er fortfuhr:

»Wer den Feind in der Nähe weiß, der sucht ihn zu beschleichen; das weiß der berühmte Sam Hawkens viel besser, als ich es ihm zu sagen vermag. Wir haben die Finders beschlichen und belauscht. Werden sie dasselbe nicht auch mit uns thun?«

Ueber Sams Bartwald ging eine Bewegung, wie wenn der Wind über die Wipfel der Bäume streicht. Seine kleinen, listigen Aeuglein schlossen sich für einen Augenblick; dann, als sie sich wieder geöffnet hatten, zwinkerte er wie in halber Verlegenheit mit den Lidern und antwortete:

»Behold, das ist wirklich kein übler Gedanke! Du hast recht, vollständig recht, und ich bin ein Esel sonder gleichen gewesen, daß ich nicht daran gedacht habe. Wenn es den Kerls eingefallen ist, uns zu belauschen, so wissen sie, daß wir auf ihren Ueberfall vorbereitet sind und sogar Soldaten bei uns haben, wenn ich mich nicht irre. Ich werde also sofort einmal um das Lager schleichen, um zu erfahren, ob die Luft rein ist.«

»Und soll ich nicht vielleicht nach der Richtung gehen, aus welcher die Finders kommen werden? Ich könnte Euch schnell von ihrer Annäherung benachrichtigen.«

»Ja, thue das, mein Sohn, thue das sogleich! Ich habe eine Unterlassungssünde begangen, welche uns aber hoffentlich keinen Schaden bringen wird. Sie wissen, wo wir uns befinden, denn sie können unser Feuer sehen, und so denke ich, daß sie es nicht für notwendig gehalten haben, noch extra einen Späher auszusenden.«

Schi-So huschte in die finstere Nacht hinaus, und der kleine Jäger fuhr fort:

»Ein ganz tüchtiger junger Mann! Wird es zu 'was bringen! Hat mir eine Lehre gegeben, eine Lehre, daß ich altes Coon mich schämen möchte wie ein Sonntagsschütze, der von Hasen erschossen worden ist, wenn ich mich nicht irre. Ist mir auch noch nicht passiert, zu vergessen, daß man unter solchen Umständen einen Kundschafter aussendet, sogar einen zweiten und auch dritten, wenn der erste nichts erfahren hat oder mit der Rückkehr zögert! Bleibt hier stehen, Mesch'schurs, ich werde euch nicht lange auf mich warten lassen.«

Er ging. Sein Unternehmen war nicht ganz ungefährlich. Befand sich einer der Finders in der Nähe und er wurde von demselben bemerkt, ehe er selbst ihn sah, so konnte er leicht eine scharfe, spitze Messerklinge in den


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Leib bekommen. Darum durfte er nicht unvorsichtig sein, sondern mußte alle Finessen eines erfahrenen Westmannes in Anwendung bringen. Er ging nicht etwa schnell und aufrecht um das Lager, sondern er kroch langsam auf Händen und Füßen um dasselbe und strengte dabei Augen und Ohren auf das äußerste an, um einen etwa anwesenden Feind rechtzeitig zu gewahren. Daher kam es, daß über eine halbe Stunde verging, bis er zu dem Punkte zurückkehrte, von welchem er ausgegangen war.

Unterdessen hatte Schi-So ganz genau die gerade Linie eingehalten, welche nach dem Aufenthaltsorte der Finders führte. Als er ungefähr zehn Minuten gegangen war, natürlich ganz ebenso vorsichtig, wie Sam seine Runde gemacht hatte, hielt er an und setzte sich nieder. Um ihn her herrschte die tiefste Stille; er kannte die Schärfe seines Gehöres und wußte, daß er die Annäherung der Feinde gewiß gewahren würde. Hinter ihm brannte das Lagerfeuer tiefer und immer tiefer, bis es nur noch glimmte und dann ganz erlosch. Das war der Zeitpunkt, an welchem die Finders aufbrechen wollten. Er durfte nun jeden Augenblick ihres Nahens gewärtig sein. Und wirklich, er hörte jetzt etwas wie ein leises Wehen von der betreffenden Seite her. Ein andrer hätte gemeint, daß ein Lufthauch über die Gräser gehe; Schi-So aber wußte, daß es das kaum wahrnehmbare Geräusch schleichender Schritte sei. Er richtete sich halb auf und lauschte noch angestrengter als bisher; er erkannte, daß er sich nicht getäuscht habe. Seine guten Ohren sagten ihm, daß die Nahenden in einer Entfernung von zwanzig bis dreißig Schritten von ihm vorüberkommen würden; darum huschte er schnell fünfzehn Schritte vor und legte sich dann platt auf die Erde nieder.

Und da kamen sie, leise und langsam, einen dichten Trupp bildend und nicht einer hinter dem andern, wie Indianer oder erfahrene Westmänner gegangen wären. Sie passierten vorüber, und Schi-So erhob sich, um ihnen auf dem Fuße zu folgen. Er wußte, daß sie an irgend einer Stelle stehen bleiben würden. Dann sprach der Anführer jedenfalls einige Worte, und vielleicht gelang es ihm, dieselben zu vernehmen.

So ging es weiter und weiter, sie voran und er wie ein unhörbarer Schatten hinter ihnen her. Ja, sie hielten an, aber nicht eher, als bis sie fast in der unmittelbaren Nähe des Lagers angekommen waren. Wenn der Häuptlingssohn jetzt etwas hören wollte, so mußte er verwegen sein. Er legte sich also wieder auf die Erde nieder und kroch so nahe zu ihnen hin, daß er die Füße des Nächsten hätte mit der Hand erreichen können. Dieses kühne Experiment wurde belohnt, denn er hörte Buttler sprechen, zwar leise, aber doch so, daß er die Worte noch so leidlich verstehen konnte:

»Da sind wir angekommen. Seht Ihr nun das Lager?«

»Ja,« entgegnete einer, und die andern stimmten ihm bei.

Die hohen, massig gebauten Wagen waren nämlich trotz der Dunkelheit gegen den helleren Himmel zu sehen. Der Anführer fuhr fort:

»Das Feuer ist vollständig ausgegangen, und ich denke, daß sie schlafen werden. Dennoch werden wir noch einige Zeit warten, bevor wir über sie herfallen. Sicher ist sicher. Aber umzingeln müssen wir sie schon jetzt. Wenn jeder von uns sich dreißig Schritte von dem andern entfernt, reicht unsre Zahl aus, einen Kreis um die Wagen zu bilden. Ist das geschehen, so wartet ihr, bis ich euch das Zeichen gebe.«

»Welches Zeichen?« wurde gefragt.

»Ich ahme mit einem Grashalme das Zirpen eines Heimchens nach. Auf dieses Zeichen kriecht jeder von euch auf die Wagen zu, hinter denen sie schlafen werden. Wenn ich vor den Wagen angekommen bin, zirpe ich zum zweitenmal und warte ein wenig, um euch Zeit zu geben,


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auch dort anzulangen. Wenn ich dann zum drittenmal zirpe, ist das für euch der Befehl, unter den Wagen und Deichseln und zwischen den Rädern hindurchzukriechen und den Kerls eure Messer zu geben. Zu schießen vermeiden wir wo möglich.«

»Was geschieht mit den Weibern und Kindern?«

»Sie werden auch ausgelöscht. Es darf keine Seele leben bleiben, welche uns später verraten könnte. Die Beute teilen wir, und die Wagen werden dann verbrannt, die Leichen auch. Also vorwärts jetzt! Die eine Hälfte von euch geht nach rechts und die andre nach links; ich bleibe hier. Nehmt euch aber in acht und vermeidet jedes Geräusch, damit wir nicht verraten werden!«

Da fragte einer noch:

»Wenn wir nun auf einen Wächter treffen? Vielleicht haben sie einen ausgestellt.«

»Das glaube ich nicht. Diese unerfahrenen Menschen sind viel zu dumm, als daß sie auf einen solchen Gedanken kämen.«

»Aber wenn es dennoch wäre?«

»So wird er erstochen. Geschossen darf nicht werden. Der Messerstoß muß gut sitzen und ihn auf der Stelle töten. Also ans Werk jetzt, und paßt auf mein Zirpen auf!«

Die Finders entfernten sich nach zwei Seiten, um die Wagen zu umzingeln; Buttler aber blieb stehen. Schi-So überlegte einen Augenblick. Sollte er jetzt schnell fort, um Sam Hawkens Meldung zu machen? Nein. - Er hatte den Anführer so schön vor sich; wenn er ihn unschädlich machte, waren die übrigen dann viel leichter zu bewältigen. Er wartete also eine Minute, richtete sich dann hinter Buttler auf und versetzte ihm einen so kräftigen Kolbenhieb, daß der Getroffene lautlos zusammenbrach. Er hätte ihn erstechen können, wollte aber kein Menschenleben vernichten. Der Aufenthalt in Europa und unter Christen war nicht ohne Wirkung auf ihn gewesen.

Er hing das Gewehr über und schlich davon, den Betäubten am Kragen hinter sich herschleifend. Er wußte genau die Stelle, an welcher sich Sam Hawkens mit den Soldaten befand. Es war ein Glück, daß dieser sich mit ihnen eine Strecke von dem Lager entfernt gehabt hatte; so konnten die Finders dieses einschließen, ohne auf die Verteidiger zu treffen.

Sam hatte Stone, Parker und dem Offizier einen Plan klar gemacht, bei dessen Ausführung alles Blutvergießen vermieden wurde und jede eigene Fährlichkeit ausgeschlossen war. In Beziehung auf die Ausführung desselben wurde nur noch auf die Rückkehr des Häuptlingssohnes gewartet. Da endlich kam dieser. Er zog einen dunklen Gegenstand hinter sich her und ließ ihn auf die Erde fallen. Als Sam dies sah, bückte er sich nieder, um den Gegenstand zu betrachten, und meinte erstaunt:

»Ein Mensch! Wie kommst du dazu? Ist er tot?«

»Nein, sondern nur betäubt,« antwortete Schi-So.

»Wer ist es?«

»Buttler.«

»Alle Teufel! Auf welche Weise ist er denn um die Besinnung gekommen?«

»Durch einen Kolbenhieb von mir.«

»Von dir? Da hast du einen großen Fehler begangen und meinen ganzen schönen Plan zu schanden gemacht! Wo befinden sich seine Leute?«

»Sie liegen rund um die Wagen.«

»Zounds! Hast du sie kommen sehen?«

»Ja.«

»Und es mir nicht gemeldet!«

»Es gab keine Zeit dazu. Ich konnte nicht hierher, sondern mußte ihnen folgen, um zu hören, was sie vorhatten.«

»Und hast du es gehört?«

»Ich habe es erfahren und dann Buttler niedergeschlagen.«

»Das hättest du nicht thun sollen! Mein Plan war so gut, ganz vortrefflich, und kann nun wahrscheinlich nicht ausgeführt werden. Erzähle schnell, wie das gekommen ist!«

Schi-So kam dieser Aufforderung in kurzen Worten


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nach. Als er geendet hatte, sagte Sam, und zwar in einem ganz andern Tone als bisher:

»Alle Wetter, hast du das gut gemacht! Ja, wenn es so steht, dann kann ich dich unmöglich tadeln; ich muß dich vielmehr loben. Nun werde ich, nämlich ich und nicht ihr Buttler, diesen Finders etwas vorzirpen, was sie in unsre Hände bringen wird. Bindet den Kerl an den Armen und Beinen und gebt ihm einen Knebel in den Mund, damit er nicht etwa laut werden kann, wenn er erwacht!«

(Fortsetzung folgt.)


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Die Soldaten waren sofort bereit, dem Befehle Folge zu leisten. Während dies geschah, fragte der Lieutenant:

»Also Ihr wollt an Buttlers Stelle das Zeichen geben, Sir? Könnt Ihr denn so zirpen wie ein Heimchen, wie eine Grille?«

»Haltet Ihr das für so schwer?« gegenfragte Sam.

»Nein; aber ich könnte es nicht. Wie wird es gemacht?«

»Sehr einfach, mit Hilfe eines Grashalmes. Man legt die beiden Hände so zusammen, daß sie eine hohle Faust bilden, auf welche die Daumen nebeneinander zu liegen kommen. Klemmt man nun zwischen den Daumen einen Halm straff und bläst auf den letztem, so entsteht ein Ton, der ganz dem Zirpen eines Heimchens gleicht.«

»Das muß ich doch versuchen!«

»Habe nichts dagegen, Sir; nur bitte ich, diesen Versuch morgen oder nach zehn Jahren, nicht aber schon heut und hier zu machen, denn Ihr würdet uns die Burschen vertreiben, die wir fangen wollen.«

»Wieso?«

»Weil das richtige Zirpen nicht gleich beim erstenmal gelingt. Ihr würdet sehr wahrscheinlich einen Ton hervorbringen, ähnlich demjenigen, wenn man Buttermilch oder Syrup durch eine Klarinette bläst. Es will eben alles, selbst das Kleinste und Einfachste, gelernt sein.«

»Hm, es ist möglich! Aber was meint Ihr, was wir nun thun werden, da wir ganz anders zu handeln haben, als vorhin bestimmt worden ist?«

»Ich trete an Buttlers Stelle.«

»Das habt Ihr bereits gesagt. Aber wir?«

»Ihr macht euch hinter die Finders, je zwei von


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uns hinter einen von ihnen. Unsre Leute reichen dazu aus. Das muß aber äußerst vorsichtig geschehen, damit sie ja nichts davon merken. Wenn ich zirpe, avancieren sie, und ihr hinter ihnen her. Wenn ich dann das dritte Zeichen gebe, werden sie unter den Wagen hindurchkriechen wollen, aber dann von euch gepackt. Zwei gegen einen, das ist eigentlich gar nicht ehrenvoll; dennoch rate ich, sich nicht der Hände, sondern lieber der Gewehrkolben zu bedienen. Sie rasch niederschlagen, das ist das Einfachste und Sicherste; dabei wird keinem von uns ein Haar gekrümmt.«

»Es gibt etwas noch viel Einfacheres.«

»Was?«

»Nicht jeder Kolbenhieb ist tödlich. Darum denke ich, daß wir uns lieber unsrer Messer bedienen. Ein Stich, gut getroffen, ist allem andern vorzuziehen.«

»Fällt mir nicht ein, ist zu gefährlich! Wer hat Euch denn gesagt, daß den Kerls das Leben genommen werden soll? Eben deshalb und um sie nur zu betäuben, will ich nichts vom Schießen und vom Stechen wissen. Ich habe mich hundertmal meiner Haut zu wehren gehabt, wobei es mir sehr ernstlich an das Leben gegangen ist, wenn ich mich nicht irre, aber dabei doch nie vergessen, daß Menschenblut der kostbarste Saft ist, den es auf Erden gibt. Ich töte einen Menschen nur dann, wenn es keinen andern Ausweg gibt, also wenn es unbedingt notwendig ist.«

»Aber diese Halunken haben ihr Leben schon längst verwirkt!«

»Mag sein.«

»Sie müssen zertreten werden wie giftige Reptilien, gegen welche man sich nicht anders wehren kann!«

»Das ist Eure Ansicht, vielleicht die ganz richtige; ich aber bin weder ihr Richter noch ihr Henker.«

»Aber, Sir, wie könnt Ihr als Westmann so zartfühlend sein! Ihr habt doch gesagt, daß Ihr die Finders uns übergeben wollt?«

»Allerdings.«

»Wir werden sie also nach der Hauptstadt transportieren?«

»Natürlich.«

»Und was meint Ihr wohl, was dort mit ihnen geschehen wird?«

»Man wird ihnen Stricke um die Hälse binden und sie an denselben in die Höhe ziehen.«

»Das ist richtig; man wird sie hängen. Sie werden also sterben. Da ist es doch höchst gleichgültig, ob wir sie hier erstechen oder ob sie dort hingerichtet werden!«

»Mag sein. Aber Ihr rechnet das eine nicht, daß dort das Gesetz waltet, während sie hier noch nicht verurteilt sind. Nein, nein, wir fangen sie lebendig. Was dann in der Hauptstadt mit ihnen geschieht, das ist Eure Sache.«

»Hm, so will ich mich Euch fügen; also ganz wie Ihr wollt. Doch behaupte ich, daß diese Schurken eine solche Rücksicht nicht verdienen.«

Es wurde nun zur That geschritten. Die Soldaten teilten sich zu zweien; Stone, Parker und der Lieutenant übernahmen ihre Führung. Sie entfernten sich, um paarweise die Finders einzuschließen. Adolf Wolf blieb bei Buttler zurück, um ihn zu bewachen; Schi-So mußte Sam Hawkens nach der Stelle führen, an welcher er Buttler überwältigt hatte. Diese beiden letzteren bildeten also ein Glied im Ringe der Finders, während die Soldaten um denselben einen Kreis geschlossen hatten.

Als Sam sich sagte, daß diese Umschließung vollendet sei, klemmte er einen Grashalm zwischen die Daumen und ließ auf demselben das verabredete Zirpen hören. Hierauf avancierte er mit dem Häuptlingssohne nach der Mitte des Kreises und gab, an dem Wagen angekommen, das zweite Zeichen, worauf er eine Weile wartete. Da kam es zu beiden Seiten leise, leise herangekrochen. Lang ausgestreckt im Grase liegend, sahen die beiden die Finders sich wie Schlangen näher windend. Der Kreis hatte sich so verengt, daß man von einem Gliede desselben aus das andre leidlich erkennen konnte.

»Buttler, ich bin da,« flüsterte es von rechts herüber.

»Es geht alles gut,« raunte der andre links. »Verlier doch nicht die Zeit, sondern gib das Zeichen, denn wir sind alle da.«

Sam wendete sich rückwärts. Seine scharfen Augen sahen Dick Stone mit einem Soldaten hinter dem ersten Sprecher liegen; hinter dem zweiten warteten auch bereits zwei Militärs. Da zirpte er zum drittenmal und warf sich dann nach links auf den Finder, um diese beiden letzteren zu unterstützen, während der Häuptlingssohn nach rechts hin sprang; aber Schi-So brauchte gar nicht zu helfen, denn Dick Stone hatte den betreffenden Finder schon fest beim Kragen.

Man hörte Kolbenschläge und einige unterdrückte Schreie; dann war es rundum still.

»Hallo,« rief Sam mit lauter Stimme, »ist alles gut gegangen?«

»Alles,« antwortete Will Parker auf der andern Seite. »Wir haben sie.«

»So bringt sie hierher und brennt das Feuer wieder an, damit wir, wie es die Höflichkeit erfordert, ihnen unsre Gesichter zeigen können!«

Einige Minuten später lagen die gefangenen und gefesselten Finders innerhalb der Wagenburg; um sie herum saßen Sam, Dick, Will, der Lieutenant, Schi-So und Adolf Wolf, während die Soldaten fortgegangen waren, um ihre Pferde zu holen und mit diesen alle Personen, welche sich mit bei denselben befanden. Das Feuer loderte hell und hoch auf, so daß das Lager fast tageshell erleuchtet war.

Die Finders lagen nebeneinander und zwar jetzt mit offenen Augen. Es war keiner von ihnen erschlagen worden; sie hatten ihre Besinnung wieder; sie sahen und hörten also alles, was um sie her vorging, aber keiner von ihnen schien Lust zu haben, ein Wort zu sprechen, doch konnte man ihre Gefühle leicht aus den wütenden Blicken erraten, welche sie um sich warfen. Es hatte bisher noch niemand eine Frage an sie gerichtet. Sam


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Hawkens wollte damit bis zur Rückkehr der Auswanderer warten, da diese es ja waren, gegen welche der beabsichtigte Ueberfall hatte unternommen werden sollen. Da hörte man von weitem eine jubillerende, weibliche Stimme rufen:

»We have them, we have them

Es war eine weibliche Stimme, die Ruferin kam näher, erreichte das Lager, kroch unter einer Deichsel hindurch, schoß auf Sam los und schrie ihn an:

»We have them, we have them! Heeßt das nicht: Wir haben sie, wir haben sie, Herr Hawkens?«

Es war die liebe Frau Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern, verwitwete Leiermüller. Sie war allen andern vorausgeeilt.

»Ja,« antwortete Sam. »So heißen diese englischen Worte, wenn man sie ins Deutsche übersetzt.«

»Also we have them, we have them, wir haben sie! Gott sei Dank. Was für eine Angst habe ich ausgestanden und was für eine Sorge habe ich gehabt! Ich wäre beinahe ausgerissen und wieder herzugekommen, um mit kämpfen, fechten und schtreiten zu helfen. Da aber kamen die Soldaten und sagten:

»We have them!« Was das in unsrer Mutterschprache zu bedeuten hat, das weeß ich ungefähr und bin offs schleunigste fortgerannt, um sie ooch mit zu haben. Das sind sie wohl, die dahier liegen?«

Sie deutete auf die Gefesselten.

»Ja, das sind sie,« antwortete der Gefragte.

»Aber, was is denn das? Die leben ja noch! Ich dachte, es würden nur ihre toten Leichen zu erblicken sein. Das will mir nich in den Kopp. Is das vielleicht mit Fleiß geschehen?«

»Allerdings.«

»Na, da is Ostern heuer off eenen Donnerschtag gefallen, anschtatt off eenen Sonntag, wie sich's von Rechtswegen ganz von selbst verschteht! Wissen Sie denn nich, Herr Hawkens, daß uns diese Raubmörder und Wildschützen haben um unser Leben bringen wollen?«

»Das weiß ich allerdings.«

»Und Sie haben dieselben dennoch nich erschossen? Das is eene Edelmütigkeet, der ich unmöglich meine Billigung zu erteilen vermag. Wer umbringt, der muß wieder umgebracht werden; Ooge um Ooge, Backzahn um Backzahn; so schteht es in der Bibel und in allen Gesetzbüchern geschrieben!«

»Sind Sie denn wirklich ermordet worden, Frau Ebersbach?«

»Nee. Wie können Sie nur so fragen! Wenn ich umgebracht wäre, so schtände ich jetzt doch als Geist oder als Geschpenst vor ihnen, und ich hoffe, daß Sie mich nich für so etwas halten.«

»O nein, als Geist kommen Sie mir gar nicht vor. Also Auge um Auge, Zahn um Zahn. Sie sind nicht umgebracht worden; darum haben wir die Finders auch nicht umgebracht.«

»Aber sie wollten uns doch ermorden! Das is doch ganz dasselbe, als ob sie uns wirklich ermordet hätten!«

»Und ich wollte sie dafür erschießen lassen; das ist also ganz genau so, als ob sie wirklich erschossen worden wären.«

Sie sah ihn in komisch wirkender Betroffenheit an, schlug sich gegen die Stirn und bekannte offenherzig:

»Was für eene dumme Rosalie ich da gewesen bin! Laß mich da mit meinen eegenen Worten schlagen! Das is mir jetzt zum erschtenmale in meinem Leben vorgekommen, denn Sie können es mir off mein Ehrenwort glooben, daß ich gar nich so leicht zu schlagen bin, wie Sie zu denken scheinen. Wer es in Redensarten und Spitzfindigkeiten mit mir offnehmen will, der muß sehr schpät zu Bette gehen und morgens früh halb dreie wieder munter sein. Aber sagen Sie mir doch wenigstens, was nun mit dieser Rasselbande geschehen soll. Da Sie so schonungsvoll mit den Halunken verfahren sind, so möchte ich mir mit gutem Grunde die Frage erlooben, ob sie vielleicht gar eene Belohnung, eene Prämie oder so eene goldene Medallche bekommen sollen!«

»Was wir zu thun beabsichtigen, das werden Sie sehr bald erfahren.«

»Das hoffe ich. Bedenken Sie, daß ich zu den Persönlichkeeten gehöre, off die es abgesehen war! Wenn der Ueberfall gelungen wäre, so läge ich jetzt als ermordete und abgeschiedene Leiche off dem Schlachtfelde, und das Morgenrot thäte mir zum frühen Tode leuchten. Das erfordert Schtrafe; verschtehen Sie mich?«

»Die Strafe wird nicht ausbleiben, Frau Ebersbach; darauf können Sie sich verlassen. Damit aber soll nicht gesagt sein, daß wir die Schuldigen umbringen müssen. Wir sind Christen, und Sie gar sind eine Dame, eine Frau. Sie gehören zum zarten, schönen Geschlechte, welches auf Haß und Zorn verzichtet und in Liebe und Güte die Welt beherrscht. Ich bin überzeugt, daß auch in Ihrem Herzen die Milde wohnt, ohne welche selbst die schönste Frau ein häßliches Wesen ist.«

Der spaßhafte kleine Jäger hatte sich, indem er in dieser Weise sprach, nicht verrechnet. Frau Rosalie warf sich in die Brust und antwortete:

»Die Milde wohnt? Natürlich wohnt sie da! Ich habe noch een Herz, und was für eens. Es schmilzt wie Butter an der Sonne. Ich gehöre ooch zu dem schönen, zarten Geschlechte, von dem Sie reden, und will mit meiner Güte die Welt beherrschen. Es kommt zwar vor, daß der Mensch verkannt wird, und es hat schon oft Oogenblicke gegeben, wo meine Milde und Güte nich tief genug erforscht worden is, aber hier bei dieser Gelegenheit will ich öffentlich beweisen, daß mein schwaches Geschlecht schtark in der Verzeihung is. Sie sollen sich nich in mir geirrt haben, Herr Hawkens. Ich mag nischt von eener Beschtrafung dieser Mörderbande wissen; lassen Sie sie loofen?«

Sie hätte vielleicht noch länger gesprochen; da aber kamen die Soldaten mit ihren Pferden, um sich draußen vor den Wagen zu lagern, und mit ihnen die Auswanderer, welche den gefangenen Scout mitbrachten.

Nun ging es zunächst an ein sehr reges Fragen und Antworten, welches nicht eher aufhörte, als bis die Deutschen


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alles, was während ihrer Abwesenheit geschehen war, auf das genaueste erfahren hatten. Auch der Kantor hörte sehr aufmerksam zu, doch nicht, indem er still am Feuer saß wie die andern, sondern er befand sich dabei in fortwährender Bewegung. Er machte sich mit den Gefesselten zu schaffen, deren Lage ihm nicht zu passen schien. Er schob und zerrte bald an dem einen, bald an dem andern herum, zerrte und schob wieder und immer wieder, so daß Sam ihn endlich fragte:

»Was thun Sie denn da? Liegen diese Leute nicht richtig, Herr Kantor?«

Der Gefragte drehte sich zu ihm und antwortete in wichtigem Tone:

»Kantor emeritus, wenn ich bitten darf, Herr Hawkens! Es ist das nur der Vollständigkeit halber und damit keine Verwechselung vorkomme. Ja, Sie haben es erraten: die Gefangenen müssen ganz anders liegen.«

»Warum?«

»Ihre Gruppierung macht nicht den richtigen Effekt.«

»Effekt? Was haben wir hier mit Effekt zu schaffen?«

»Mehr als Sie denken. Es scheint Ihnen entweder noch nicht bekannt oder schon wieder entfallen zu sein, womit ich umgehe?«

Ohne augenblicklich an die sonderbare Manie des Kantors zu denken, fragte Sam unvorsichtig:

»Was könnte das sein?«

»Nichts andres als meine Oper. Ich gehe damit um, eine große Heldenoper von zwölf Akten zu komponieren und reise nur deshalb in dieser Gegend, um mir den Stoff zu derselben zu suchen. Eine Scene dazu, eine ganz vortreffliche Scene, habe ich hier gefunden, nämlich den >Chor der Mörder<. Sie liegen am Boden und singen ein doppeltes Sextett. Dazu ist aber eine ganz andre Gruppierung notwendig, als diejenige, welche Sie ihnen gegeben haben. Ich studiere dieselbe jetzt und werde sie mir notieren, sobald ich sie gefunden habe. Sie dürfen versichert sein, daß ich mich in acht nehme, den Leuten dabei nicht wehe zu thun!«

»Was das betrifft, so stoßen Sie nur immer herzhaft zu. Kerls, wie diese sind, braucht man nicht mit seidenen Handschuhen anzugreifen.«

Daraufhin fuhr der Heldenkomponist in seiner Beschäftigung fort und zwar so energisch und nachhaltig, daß Buttler endlich das bisher beobachtete Schweigen brach und zornig zu Sam hinüberrief:

»Sir, was hat nur dieser Mann immer und fortwährend mit uns zu schaffen? Sorgt doch endlich dafür, daß er uns in Ruhe läßt! Wir sind keine Spielpuppen, an denen man nach Belieben zerren und ziehen kann!«

Sam hielt es nicht der Mühe wert, zu antworten, darum fuhr Buttler nach einer Weile fort:

»Ich muß überhaupt fragen, mit welchem Rechte ihr uns überfallen und niedergeschlagen habt!«

»Fragen?« lachte der Kleine. »Ich denke, ihr braucht da keine Auskunft und könnt euch die Antwort selbst erteilen.«

»Wieso? Wir haben keine Ahnung eines Grundes, in dieser Weise behandelt zu werden. Wir sind als friedliche Reisende gekommen und haben euer Feuer gesehen. Da wir nicht wußten, wer an demselben lagerte, schlichen wir uns, wie sich das ganz von selbst versteht, heimlich heran, um uns zu unterrichten. Dabei sind wir heimtückisch niedergeschlagen worden. Wir verlangen, sofort freigelassen zu werden!«

»Verlangt das immerhin; ich habe nichts dagegen. Wünsche haben kann jeder Mensch; aber ob dieselben in Erfüllung gehen, das ist eine ganz andre Sache. Frei werdet ihr sein oder vielmehr hängen, nämlich morgen in Tucson, an einem schönen starken Pfahle.«

»Wenn ihr Witze machen wollt, so macht bessere als dieser ist! Es ist kein Spaß, sich an ehrlichen Leuten zu vergreifen, und da ihr von Tucson redet, so könnte es sehr leicht geschehen, daß ihr selber es seid, die dort aufgehängt werden. Oder ist es euch vielleicht unbekannt, wie hierzulande Menschen behandelt werden, welche nachts über andre, ehrliche Leute herfallen?«

»Ehrlich? Hihihihi! Eure Ehrlichkeit haben wir in San Xavier del Bac kennen gelernt!«

»Was dort geschah, gehört nicht hierher. Ich meine, die Sache liegt heute klar: wir wollten sehen, wer hier lagert, und sind dabei überfallen worden.«


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»Hm! Ihr wußtet also nicht, wen ihr hier treffen würdet?«

»Nein.«

»Und seid uns doch seit San Xavier auf Schritt und Tritt gefolgt!«

»Das ist Lüge!«

»Und habt bis vorhin da hinten in den Felsen gesteckt, um nur zu warten, bis unser Feuer verlöschen würde!«

»Wozu?«

»Um uns zu überfallen.«

»Wieder Lüge, ganz gemeine, erbärmliche Lüge!«

Da erhob sich Sam vom Feuer, trat zu ihm hin, fuhr ihn an:

»Sprecht ja nicht von erbärmlich und gemein, sonst laß ich Euch den Rücken bläuen, daß es Euch schwarz vor allen Augen wird! Ich heiße Sam Hawkens; versteht Ihr mich: da sitzen Dick Stone und Will Parker. Man pflegt uns das >Kleeblatt< zu nennen. Abermals verstanden? Meint ihr, daß ihr die Kerls dazu seid, solchen Westmännern etwas weiß zu machen? Und wer uns gar mit >gemein< und >erbärmlich< kommt, den werfen wir in die Luft, daß er droben in den Wolken hängen bleibt!«

(Fortsetzung folgt.)


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Buttler schien auf einmal die Sprache verloren zu haben. Sam Hawkens fügte hinzu:

»Ich selbst war heute bei euch, habe euch dort bei den Steinen belauscht und jedes Wort gehört. Ihr seid die Finders, doch brauchte ich das nicht erst heute zu erfahren, denn ich habe es schon in San Xavier gewußt.«

Da stieß Buttler erschrocken hervor:

»Heavens! Die Finders! Welch ein Gedanke, uns mit diesen zu verwechseln! Wer hat Euch das weiß gemacht, Sir?«

»Ihr selbst. Ich habe gute Ohren.«

»O, selbst die schärfsten Ohren können sich irren und falsch verstehen!«

»Meint Ihr? War es vielleicht auch falsch verstanden, als Ihr vorhin gefragt wurdet, was aus den Frauen und Kindern werden solle, die sich bei uns befinden?«

»Ich weiß nichts davon.«

»Daß sie auch ausgelöscht werden sollten, um euch nicht etwa später verraten zu können?«

»Habe keine Ahnung davon!«

»Auch nicht davon, daß ihr die Beute teilen und die Wagen dann verbrennen wolltet?«

»Nein.«

»So besitzt Ihr ein außerordentlich schwaches Gedächtnis, dem man aber in Tucson nachhelfen wird.«

Da ergriff auch der Offizier, und zwar zum erstenmal, das Wort, indem er Sam aufforderte:

»Verschwendet Eure Worte nicht an diesen Menschen, Sir! Er mag leugnen, wie er will, es wird ihm doch nichts nützen. Es ist er-


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wiesen, daß sie die Finders sind, und so werden sie morgen baumeln.«

»Wird dazu nicht unser Zeugnis nötig sein?« erkundigte sich Dick Stone.

»Nein. Ihr gedenkt mit den Wagen weiter zu fahren, und ich will Euch nicht aufhalten, oder gar wieder nach Tucson zurückschleppen. Ihr habt mir gesagt, was zu sagen war; das ist grad so gut, als ob es vor Gericht geschehen sei. Beweise haben wir mehr als genug, und so ist gar kein Zweifel darüber möglich, daß diese Gegend endlich einmal von dieser Bande, der wir so lange vergeblich nachgestellt haben, gesäubert wird. Ich gebe Euch mein Wort, daß sie alle hängen werden.«

Auf weiteres Reden wurde verzichtet. Man stellte die für nötig gehaltenen Wachen aus und legte sich dann schlafen. Einer der Soldaten hatte bei den Gefangenen zu sitzen, um dieselben nicht aus den Augen zu lassen.

Der gefesselte Scout war zu den Finders gesellt worden und ganz zufälligerweise neben Buttler zu liegen gekommen. Diese beiden hatten bisher kein Wort mit einander gewechselt, obgleich es gar nicht schwer war heimlich zu sprechen, da diese Leute sehr eng zusammenlagen. Später, als alles schlief und der Scout bemerkte, daß der Wächter wahrscheinlich nur darauf zu sehen hatte, daß keiner der Gefangenen sich von den Banden befreie, stieß er Buttler mit dem Ellbogen an und flüsterte ihm zu:

»Schlaft Ihr, Sir?«

»Nein,« lautete die Antwort. »Wer soll unter solchen Umständen schlafen können?«

»So dreht Euch zu mir herum! Ich habe mit Euch zu sprechen.«

Buttler folgte dieser Aufforderung und erkundigte sich sodann:

»Ihr waret doch der Führer dieser Halunken. Wie kommt es, daß man Euch Euren Lohn in dieser Weise gegeben hat?«

»Weil man mich in dem Verdacht hatte, gemeinschaftliche Sache mit euch machen zu wollen.«

»Das war aber doch nicht wahr?«

»Erst allerdings nicht; die Absicht kam mir dann später. Ich heiße Poller, Sir, und möchte, daß Ihr Vertrauen zu mir habt. Es steht hundert gegen eins zu wetten, daß Ihr verloren seid; ich aber möchte Euch gern retten.«

»Ist das Euer Ernst?«

»Ja; ich schwöre es Euch zu. Diese Kerls haben mich schwer beleidigt und ich bin nicht der Mann, dies ungerächt hingehen zu lassen. Allein kann ich nichts machen. Wenn Ihr mir aber helfen wollt, so sollen sie sicher und gewiß ihren Lohn haben.«

»Helfen? Hier kann niemand helfen, weder Ihr mir, noch ich Euch.«

»Denkt das nicht! Ich bin überzeugt, daß sie mich morgen freigeben. Man wird euch auf die Pferde binden und nach Tucson transportieren. Ich werde euch folgen; darauf gebe ich Euch mein Wort!«

»Bin Euch dankbar, Sir! Kann mir aber nichts nützen. Es wird mir unmöglich sein, fortzukommen.«

»Pshaw! Habe da einen guten Gedanken. Steht Ihr etwa so fest zu Euren Leuten, daß ihr nicht frei sein wollt, ohne daß auch sie loskommen?«

»Unsinn! Jeder ist sich selbst der Nächste. Wenn ich nur mich rette, so mögen sie immerhin baumeln.«

»Well, dann sind wir eins. Sagt ihnen, daß sie sich während des Rittes so stellen sollen, als ob der Kolbenhieb, den jeder bekommen hat, schlimme Nachwehen habe. Taumelt auf dem Pferde hin und her; stellt Euch so schwach wie möglich. Es sollte mich wundern, wenn dieser Lieutenant nicht einmal halten ließe, damit Ihr Euch erholen könnt. Da muß man Euch die Fesseln von den Füßen nehmen. Dann könnt Ihr Euch, selbst wenn die Hände dann zusammengebunden bleiben, rasch des schnellsten Pferdes bemächtigen und davon reiten, natürlich zurück, wo ich Euch erwarte. Man wird überrascht sein und Euch nicht gleich folgen; dadurch bekommt Ihr Vorsprung. Kommt uns dann später einer nahe, so habe ich meine gute Büchse und schieß ihn vom Pferde herunter.«

Buttler antwortete nicht gleich; er überlegte und sagte erst nach einer längeren Weile:

»Euer Vorschlag ist der einzige, welcher helfen kann; ich werde ihn befolgen. Komme ich wirklich frei, dann dreimal wehe diesem >Kleeblatte< und allen diesen Deutschen! Wir wollen zusammenhalten, Master Poller.«

Hiermit war das heimlich geführte Gespräch, von welchem der Wächter nichts bemerkt hatte, beendet. Buttler fühlte sich einigermaßen beruhigt und schlief dann sogar ein.

Zu erwähnen wäre noch, daß Sam einige Soldaten unter der Führung des Häuptlingssohnes nach dem Lagerplatze der Finders gesandt hatte, um sich der dort zurückgebliebenen Pferde und ihres Wächters zu bemächtigen, was auch gelungen war.

Kaum graute der Morgen, so stand man vom Lager auf. Erst wurde von den Vorräten, welche die Kavalleristen mitgebracht hatten, ein kurzes Frühstück gehalten, und dann erklärte der Lieutenant, mit seinen Gefangenen aufbrechen zu wollen. Er ließ sie auf ihre Pferde binden; die gefesselten Hände blieben ihnen vorn, damit sie die Zügel zu führen vermochten. Während dies geschah, rief der Scout Sam Hawkens an:

»Und was soll mit mir geschehen? Soll ich etwa als Gefangener hier gefesselt liegen bleiben?«

»Nein,« antwortete Sam. »Ich wollte Euch bloß für diese Nacht sicher halten; nun es Tag geworden ist, könnt Ihr reiten, wohin Ihr wollt.«

»Well; so gebt mich frei!«

»Nur keine Ueberstürzung, mein sehr verehrtester Master Poller! Ich kalkuliere, daß Ihr Euch an uns rächen wollt und uns vielleicht zu diesem Zwecke folgen werdet; ich werde Euch also dadurch unschädlich machen, daß ich Eure Waffen zurückbehalte.«

»Ich protestiere! Das wäre Diebstahl, Raub!«

»Pshaw! Nennt es, wir Ihr wollt; es wird durchaus nicht anders.«

Poller wurde von seinen Banden befreit, setzte sich


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wetternd und schimpfend auf sein Pferd und ritt westwärts davon, um später unbemerkt in die Richtung nach Tucson umzulenken. Dann, nachdem der Lieutenant Abschied genommen hatte, machte er sich mit seinen Soldaten und Gefangenen ostwärts auf den Weg. Nun, da die vielen Menschen fort waren und man wieder an den Einzelnen denken konnte, bemerkte Sam Hawkens, daß der Kantor fehlte. Schon sollten Boten nach ihm ausgesandt werden, da sah man ihn kommen, langsam und wie zornig gestikulierend, von Westen her. Als er das Lager erreichte, fuhr Sam ihn heftig an:

»Wo laufen Sie schon wieder herum? Was haben Sie da draußen zu suchen?«

»Einen Triumphmarsch,« antwortete der Musikenthusiast, welcher ziemlich echauffiert aussah.

»Triumphmarsch? Sind Sie toll?«

»Toll? Wie kommen Sie zu einer so beleidigenden Frage, werter Herr? Wir haben ja gesiegt; wir haben die Feinde gefangen genommen, und darum bin ich fortgegangen, um in der Einsamkeit das Motiv zu einem Sieges- und Einzugsmarsch zu finden.«

»Dummheit! Sie sollen sich nicht so da draußen herumtreiben; es ist das ein Fehler, den ich nicht dulden darf!«

»Fehler? Erlauben Sie gütigst! Ein jünger der Kunst begeht keinen Fehler; den hat vielmehr der Scout begangen.«

»Der Scout? Wieso?«

»Ich war eben im schönsten Komponieren, da kam er auf mich zugeritten und nahm mir alle meine Waffen ab; nur den Säbel hier hat er mir gelassen; er könne ihn nicht brauchen.«

»Donnerwetter!« fuhr da Sam Hawkens auf. »Dachte es mir doch! Ich schicke den Burschen ohne Waffen fort und Sie laufen extra hinaus ins Weite, um ihm dafür die Ihrigen zu überlassen!«

»Ueberlassen! Ist mir nicht eingefallen. Genommen hat er sie mir und und mir als Bezahlung zwei - zwei - ich darf es gar nicht sagen, gegeben.«

»Sagen Sie es nur! Ich muß es wissen.«

»Deutsch bring ich es nicht heraus. Lateinisch wird es Colaphus genannt.«

»Colaphus ist Ohrfeige. Also zwei Ohrfeigen haben Sie von ihm bekommen?«

»Ja, und was für welche! Fortissimo

»Das war die beste That, die dieser Mensch in seinem Leben begangen hat!«

»Bitte, bitte, wertester Herr Hawkens! Ein Komponist und Musenjünger, dem man zwei so gewaltige Maulschellen gibt, der - -«

»Der hat sie verdient, und auch noch einige dazu!« fiel Sam ihm in die Rede. »Ich werde Sie viel, viel schärfer im Auge behalten als bisher. Machen Sie sich jetzt zum Aufbruche fertig; wir fahren weiter!«

Eine Stunde später setzte sich der Wagenzug in Bewegung. Voran ritt Sam Hawkens, welcher an die Stelle des bisherigen Führers getreten war. -

Buttler war fest entschlossen, den Rat des Scouts zu befolgen; er kannte sonst keinen andern Weg, der zur Rettung führen konnte.

Also Unwohlsein heucheln! Er hatte dies heute gleich nach seinem Erwachen seinen Leuten mitgeteilt, sie aber gewarnt, damit nicht etwa zu früh zu beginnen, da dies Verdacht erregt hätte. Darum stellte er sich erst dann, als ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt worden war, angegriffen, fuhr sich mit den gefesselten Händen nach dem Kopfe und stöhnte dabei. Dem Lieutenant mußte dies auffallen; er erkundigte sich nach der Ursache und erhielt zur Antwort, daß der gestrige Kolbenhieb das Gehirn erschüttert haben müsse. Buttler wurde schwächer und schwächer; er begann im Sattel zu wanken, so daß er rechts und links je einen Kavalleristen bekam, die ihn stützen mußten. Als dieselbe Schwäche sich dann auch noch bei einigen andern Gefangenen zeigte, wurde der Offizier besorgt und gab den Befehl zu halten und abzusitzen. Natürlich stiegen die Soldaten zuerst ab, um dann den Finders die Riemen, mit denen sie an die Pferde befestigt waren, von den Beinen zu nehmen. Buttler war der erste, mit dem dies geschah; er wurde vom Pferde gehoben und sank sofort auf die Erde nieder. Infolge dieser sehr großen Schwäche glaubte man, für ihn keine besondere Aufmerksamkeit nötig zu haben, und wendete diese vielmehr seinen Leuten zu. Das beabsichtigte er. Er hatte gesehen, daß das Pferd des Lieutenants das beste von allen war; es stand abseits ledig, denn der Offizier war natürlich auch abgestiegen. Während die Kavalleristen also für Buttler keinen Blick der Beobachtung hatten, sprang er plötzlich auf, schnellte zu dem Pferde hin, warf sich trotz seiner zusammengebundenen Hände in den Sattel, ergriff die Zügel und jagte davon - westwärts, weil er dort von dem Scout erwartet wurde.

Das war so schnell geschehen, und der Schreck lähmte die Glieder der Kavalleristen in der Weise, daß der Flüchtling einen ganz bedeutenden Vorsprung erreicht hatte, ehe hinter ihm der erste Schrei des Zornes und der Ueberraschung erscholl.

»Schießen, schießen! Schießt ihn aus dem Sattel; aber trefft das Pferd nicht etwa!« rief der Offizier.

Alle eilten nach den Pferden, an deren Sätteln die Gewehre hingen. Darüber verging viele Zeit, und da das Pferd nicht getroffen werden sollte, war das Zielen schwer. Endlich krachten einige Schüsse, aber weil zu hoch gezielt, gingen die Kugeln über den Flüchtling weg; dann befand er sich außerhalb des Schußbereiches.

Indessen hatten die andern Gefangenen diese Verwirrung benützt, teils davonzulaufen, teils auf ihren Pferden, von denen sie noch nicht gestiegen waren, davonzureiten. Das gab ein wütendes Geschrei und heilloses Durcheinander. Die Kavalleristen mußten sich zerstreuen, um jedem einzelnen Entrinnenden nachzujagen, und so gab es nur vier oder fünf, welche sich hinter Buttler hermachten - ganz vergeblich; sein Vorsprung war zu groß und sein Pferd das schnellere; sie verloren ihn aus


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den Augen und kehrten schimpfend wieder um. Er aber jagte unaufhaltsam weiter, bis er vor sich einen Reiter erblickte; es war der Scout, sein neuer Verbündeter, der ihn froh bewillkommte. Beide suchten zunächst ein sicheres Versteck gegen die Verfolger auf und folgten dann am nächsten Morgen, um sich zu rächen, den Spuren des Wagenzuges, welcher ihnen nur eine Tagereise voraus war. - - -


Kapitel 2


Einführung zu "Der Oelprinz"


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