»Ja.«

»So sage ich noch einmal Pfui Teufel! Ihr Räuber, Ihr Gauner, Ihr Schufte, Ihr Schurken!«

Er spie jetzt wieder aus. Dann fuhr er fort:

»Was seid Ihr denn eigentlich für Menschen? Wie heißt Dein Stamm?«

»Dscherman heißt er.«

»Das wundert mich. Ich habe von diesem Stamm gehört. Die Dschermanen sollen im fernen Westen des Abendlandes wohnen und sehr gute, sehr kluge, sehr tapfere und sehr vernünftige Leute sein.«

»Das sind sie allerdings!«

»Nein, das sind sie nicht, wenn sie so sind, wie Du sagst! Wenn Du als Deutscher hierherkommst, so bin ich also Dein?«

»Ja.«

»Pfui Teufel! Was habt Ihr für eine Religion?«

|28B »Wir sind Christen.«

»Das will ich glauben! Denn wohin die Christen nur kommen, so stehlen sie alles, alles weg, was sie nur finden.«

»Woher weißt Du das?«

»Das weiß doch die ganze Welt! Erst sind die Christen Bettler gewesen, blutarme Leute, haben gar nichts gehabt und ihren Hunger von den Ähren des Getreides gestillt. Isa Ben Marryam, der Stifter ihrer Religion, hat nicht einmal gehabt, wohin er sein Haupt lege. Und heute gehören ihnen die meisten Länder und die meisten Völker der Erde. Das alles haben sie sich zusammengeraubt und zusammengestohlen, teils mit List und teils mit Gewalt. Und sie sind hiermit nicht etwa zufrieden, sondern sie rauben und stehlen weiter, und sie werden mit ihren Listen und Gewalttaten nicht eher aufhören, als bis sie alles besitzen, was es auf Erden gibt! Und zu diesen Räubern, Mördern und Gaunern gehörst auch Du?«

»Ja.«

»Pfui Teufel!«

Er spuckte wieder aus. Dann wollte er mich höchst verächtlich ansehen, brachte es aber nicht fertig, denn er sah das ruhige Lächeln meines Gesichtes, regte sich darüber auf und fuhr also zornig fort:

»Und da bist Du so ruhig dabei, wenn ich Pfui Teufel sage? Und da lächelst Du so freundlich, so gütig und so selbstbewußt, als ob Du einer der vielen Engel seist, von denen das Christentum und der Islam berichten? Hast Du kein Gewissen, keine Scham?«

»Ich habe beides.«

»Unmöglich!«

»Ich bitte Dich, diese Frage nach dem Gewissen und nach der Scham erst Dir selbst vorzulegen, ehe Du sie an mich richtest!«

»Willst Du mich beleidigen?«

»Nein. Ich will nur einmal der Spiegel sein, in dem Du Dich selbst erkennst. Gesetzt, Du hättest recht, daß wir den fremden Leuten, zu denen wir kommen, alles nehmen, was ihnen gehört, so berauben wir eben doch nur fremde Leute. Du aber bestiehlst nicht fremde Leute, sondern die Menschen, die zu Dir kommen und also Deine Gäste sind. Wer ist also der größere Räuber, Gauner, Schuft und Schurke?«

Er machte ein sehr überraschtes Gesicht, gestand aber ehrlich, wenn auch allzu schnell ein:

»Wir, natürlich wir! Denn den Gastfreund berauben, das ist die größte Schlechtigkeit, die es auf Erden gibt. Ich habe nicht gedacht, daß wir so schurkische - - -«

Da hielt er plötzlich im Satz inne, dachte nach und fuhr dann langsamer fort:

»Aber - - - aber - - - da sehe ich plötzlich, daß Du mich mit Deiner Rede überrumpelt hast, deren Wahrheit erst zu prüfen ist, bevor man an sie glaubt! Beraube ich wirklich meine Gäste?«

»Gewiß!«

»Beweise es mir! Bist Du etwa mein Gast? Indem ich nach Deinem Eigentum greife, nehme ich es einem Menschen, der mir vollständig fremd ist. Und sind denn alle die, die Ihr um ihre Länder bringt, Euch fremd, vollständig fremd gewesen? Gibt es keinen einzigen Fall, in dem Ihr ihre Gäste gewesen seid? Ich bitte Dich also, Dich ja nicht etwa zu brüsten. Es ist ein Räuber wie der andere und ein Spitzbube wie der andere! Seien wir ehrlich und lügen wir uns nicht an! Wer in des anderen Hände fällt, der hat unrecht, immer unrecht. So ist es bei Euch und auch bei uns. Und da Du es bist, der in meine Hände fiel, so habe ich recht, Du aber unrecht. Ist das etwa nicht richtig?«

»Nein.«

»Wieso?«

»Zeig mir doch einmal Deine Hände, in die ich gefallen bin!«

»Das kann ich augenblicklich nicht, denn Du hast sie mir ja gebunden.«

»So sieh hier meine Hände! Die sind nicht gebunden, sondern frei.«

|29A Ich stand vom Boden auf, zeigte sie ihm hin, faßte ihn bei beiden Armen und fuhr dann fort:

»Und nun schau und fühle, wer es ist, der mir in diese meine Hände fiel! Sag mir, wen halte ich fest?«

»Mich,« antwortete er, schon wieder erstaunt.

»Befinde ich mich also in Deiner Gewalt? Oder Du Dich in der meinen?«

Das ging ihm über alle Begriffe. Er warf den Kopf hoch und öffnete den Mund, fast ebenso weit, wie sein >Dicker< zu tun pflegte, doch nicht in derselben Absicht, um zu wiehern. Er machte ihn im Gegenteile sehr bald wieder zu, ließ den Kopf wieder sinken und sagte:

»Höre, Fremder, Du sprichst Gedanken aus, denen man unmöglich folgen kann. Ich werde besorgt um Dich. Du bist kein guter, sondern ein gefährlicher Mensch, ein sehr gefährlicher!«

»Und da wirst Du nicht besorgt um Dich, sondern um mich?« lächelte ich.

»Lächle mich nicht in dieser Weise an,« zürnte er mir. »Ich kann es nicht leiden! Weißt Du, man sieht bei diesem Deinem Lächeln ein, daß man unrecht hat. Und das will ich nicht! Und man gewinnt Dich bei diesem Deinen Lächeln lieb. Und das will ich auch nicht! Ich beginne zu ahnen, daß Du mir nicht gehorchen willst. Sei aufrichtig und sag mir: Was hast Du für Gedanken?«

»Das sollst Du gleich erfahren. Zunächst sage ich Dir, daß ich ein freier Mann bin und nicht etwa Dir gehöre. Ich stehe im Begriff, Dir das zu beweisen. Ferner sind auch die Gegenstände, die ich bei mir habe, nicht Dein Eigentum. Darum hole ich mir zurück, was Du mir vorhin genommen hast.«

Ich griff ihm in die Tasche und steckte meine Uhr wieder zu mir.

»So ist sie also nicht mehr mein?« fragte er naiv.

»Nein.«

»Schadet nichts! Ich nehme sie mir wieder!«

»Versuche, es zu tun! Jetzt reite ich nach Eurem Lager, um mit - - -«

»So mach mich los!« unterbrach er mich.

»Geduld, Geduld! Ich reite zunächst allein.«

»So nimmt man Dich gefangen, wie man Deinen Gefährten jedenfalls auch gefangen genommen hat!«

»Pah! Du nahmst mich ja auch gefangen - - und wer ist nun jetzt der Gefangene?«

»Ich war nur eine Person und traute Deiner Rede; sie aber sind ihrer viele und trauen Dir nicht!«

»Ob sie mir trauen oder nicht, das ist mir gleich; ich will nur, daß sie mir gehorchen.«

»Gehorchen? Das werden sie nicht.«

»Sie müssen!«

»Wie wolltest Du sie zwingen?«

»Durch Dich.«

»Durch mich? Ich gebe mich nicht dazu her, sie zum Gehorsam gegen Dich zu verführen!«

»Du sprichst, ohne dabei zu denken! Du hast Dich ja schon dazu hergegeben, nämlich mir! Nun reite ich auf Deinem dicken Smihk nach Eurem Lager und - - -«

»Auf meinem Smihk?« unterbrach mich der Scheik. »Das wirst Du mit dem Leben zu bezahlen haben. Meine Krieger machen Dich tot, sofort tot!«

»Warum?«

»Weil sie glauben, daß Du Dich an mir vergriffen hast!«

»Das ist es ja grad, was ich will! Sie sollen es nicht nur glauben, sondern ich werde es ihnen selbst sagen, selbst mitteilen.«

»So bist Du verloren!«

»Im Gegenteile: Es wird meinen Gefährten retten, falls sie etwas Böses mit ihm vorhaben.«

»Du kennst sie nicht!«

»Das ist auch gar nicht nötig. Ich brauche nur mich zu kennen. Ich sage ihnen, daß ich Dich gefangen genommen und festgebunden habe, und daß Du sterben mußt, wenn man gegen mich oder meinen Gefährten auch nur die geringste Feindseligkeit unternimmt.«

»Sterben?« fragte er erschrocken.

|29B »Ja.«

»Ich?«

»Ja, Du!«

»Welch ein Schreck für Taldscha, meine Frau!«

Taldscha heißt Schneeglöckchen. Sollte dieser Mann eine Frau besitzen, die an Schönheit, Reinheit, Lieblichkeit und Zierlichkeit mit einem Schneeglöckchen zu vergleichen war? Ich wurde neugierig, dieses niedliche Glöckchen zu sehen.

»Du willst also meinen Leuten mit meinem Tode drohen?« fuhr er fort.

»Ja,« antwortete ich.

»Sie können einem solchen Knirps, wie Du bist, ganz unmöglich glauben, daß Du mich überwältigt hast!«

»Darum reite ich auf Deinem >Dicken<. Wenn sie sehen, daß ich Dir den abgenommen habe, werden sie überzeugt sein, daß Du Dich in meiner Gewalt befindest.«

»Fremder, Du bist ein ganz verteufelter, ein ganz pfiffiger Kerl! Wenn man nur nicht so gezwungen wäre, Dich lieb zu haben! Wann wirst Du wiederkommen?«

»Das kann kurze Zeit, das kann auch Stunden dauern, je nachdem Deine Krieger mit sich reden lassen oder nicht.«

»Und während dieser Zeit soll ich hier hängen bleiben?«

»Ja.«

»So rufe ich um Hilfe! Ich brülle! Meine Leute werden mich suchen und es hören, wenn sie in die Nähe kommen! Dann binden sie mich los, und Du bist verloren!«

»Du wirst nicht um Hilfe rufen können, denn ich werde Dir einen Knebel in den Mund stecken.«

»Einen Knebel? Könntest Du wirklich so schlecht sein?«

»Ja. Sogar noch viel schlechter!«

»Dann werde ich wenigstens so laut brummen, daß man es hören muß. Das kann man selbst bei verschlossenem Munde!«

»So binde ich Dir auch die Nase zu!«

»Wirklich? Dann müßte ich doch unbedingt ersticken!«

»Das weiß ich ebenso gut wie Du; aber Du willst es ja nicht anders. Du drohst mir mit Schreien und Brummen und weißt doch, daß ich das verhüten muß. Jammerschade!«

Ich sprach dieses letztere Wort im Tone des Bedauerns aus. Er sah mich prüfend an und fragte dann:

»Schade? Was ist jammerschade?«

»Daß Du mich zwingst, so streng gegen Dich zu sein. Ich quäle Dich nur ungern damit, daß ich Dir Mund und Nase verschließe.«

»Ungern? Wirklich? Ja! Du bist nicht nur ein kluger Mensch, sondern auch ein sehr lieber, guter Kerl. Der Knebel, den Du mir in den Mund stecken willst, tut Deinem Herzen wehe. Aber, warte einmal! Ich will nachdenken. Vielleicht finde ich ein Mittel, den Knebel zu umgehen.«

Er zog seine Stirne in ihre tiefsten Denkerfalten und blinzelte mit den Augen, um mir anzudeuten, daß die angeborene Intelligenz in ihm zu arbeiten beginne; dann rief er plötzlich aus:

»Ich hab's! Was wirst Du tun, wenn ich Dir verspreche, weder um Hilfe zu rufen noch zu brummen?«

»Dann werde ich Dir weder Mund noch Nase verschließen, denn ich weiß, daß Du Dein Versprechen unbedingt halten wirst.«

»Unbedingt!« stimmte er bei. »Habe ich Dir noch nie gesagt, daß die Ussul die Lüge hassen? Ich bliebe still, selbst wenn meine Leute kämen.«

»Aber losbinden ließest Du Dich von ihnen?«

»Auch das nicht, falls Du mir versprichst, ganz sicher zurückzukehren, um mich wieder los zu machen.«

»Und glaubst Du diesem meinem Versprechen?«

Da sah er mich verwundert an und antwortete:

»Warum soll ich Dir nicht glauben? Du glaubst ja doch auch mir! Hältst Du mich etwa für schlechter, als Du bist?«

Welch ein Mensch! Ich fühlte mich innerlich verpflichtet, diese beispiellose Rechtschaffenheit sofort zu belohnen. Darum sagte ich:

»Wie sehr ich Deinem Worte traue, das will ich Dir beweisen. Wenn Du mir versprichst, hier an diesem Baumstamme sitzen zu bleiben und ihn als Dein Gefängnis zu betrachten, bis ich zu Dir zurückkehre, so binde ich Dich los.«

»Ich verspreche es. Genügt Dir das?«

»Ja.«

|30A Ich knüpfte erst den Lasso und dann auch alle Riemen auf. Während ich dies tat, gestand ich ihm aufrichtig:

»Ich bin sogar bereit, Dich vollständig freizugeben und nach Eurem Lager mitzunehmen, wenn Du mir Dein Wort gibst, mich und meinen Begleiter nicht als Feinde zu behandeln.«

Er schüttelte den Kopf und erklärte:

»Aus diesem Vorschlage spricht die Stimme Deines Herzens, aber es ist mir verboten, auf sie zu hören.«

»Von wem?«

»Von der Ehrlichkeit. Wir Ussul geben niemals Versprechen, von denen wir wissen, daß sie höchst wahrscheinlich nicht zu halten sind. Ich weiß ebensowenig wie Du, wo Dein Begleiter steckt und was er getan hat, oder was mit ihm geschehen |30B ist. Falls man ihn ergriffen hat, kommt es darauf an, ob er sich dagegen wehrte. Ein einziger Tropfen Blut kostet ihm das Leben. Und selbst wenn er keinen Widerstand leistete, bin ich nicht der einzige, der über sein Schicksal zu bestimmen hat. Der Sahahr hat auch mit zu bestimmen. Ich kann Dir also kein Versprechen machen und bleibe lieber als rechtschaffener Mann hier im Gefängnis sitzen, als daß ich mir die Freiheit durch Betrug erkaufe!«

Er war inzwischen von seinen Fesseln befreit, setzte sich nieder und lehnte sich an den Pappelstamm mit der Miene eines Mannes, der entschlossen ist, an Ort und Stelle zu bleiben.

|31A »So reite ich denn allein fort,« sagte ich. »Du wirst also hier warten, bis ich zurückkehre?«

»Ja.«

»So werde ich mich beeilen. Leb wohl!«

Ich reichte ihm die Hand. Er schüttelte sie mir in höchst brüderlicher Weise, ließ über sein urwaldbärtiges Gesicht ein freundliches Lächeln gehen und sprach:

»Kehr bald zurück! Ich freue mich schon darauf. Ich habe Dich schon sehr gern, genau so gern wie der Smihk!«

Er bezog sich mit dieser Äußerung auf den Urgaul, der vor Wonne zu trampeln begann, als er sah, daß ich beabsichtigte, mich wieder auf seinen Rücken zu schwingen. Und als ich oben war, stieß er einen Jubelschrei aus, der genau so klang, als ob der tiefste Ton einer Baßposaune mit dem höchsten Ton einer Piccoloflöte im heftigsten Zweikampf liege, und rannte mit solcher Schnelligkeit davon, als ob er den Scheik der Ussul im ganzen Leben nicht wiedersehen wolle.

Ich bin einmal mit einem feschen Tirolerbuben, der am Tage vorher Hochzeit gemacht hatte, auf die Alpe gestiegen. Der konnte sich vor lauter Glück nicht fassen und stieß alle fünfzig oder hundert Schritte einen schallenden Juchzer aus, sonst wäre er vor Seligkeit zerplatzt. Mein >Dicker< schien ähnlich wirkende Seligkeiten im Busen zu tragen, denn er benahm sich fast genau in derselben Weise. Während er spornstreichs dahinrannte, ohne sich nach rechts oder links umzusehen, riß er von Intervall zu Intervall das Maul auf und ließ einen Juchezer hören, welcher so klang, als ob ein Kanonenschuß, ein Ziegenmeckern, ein Hähnekrähen, ein Eselsschrei und das Zischen einer dampfabblasenden Lokomotive zusammengemischt und dann mit aller Gewalt durch einen Klarinettenschnabel hinausgeblasen werde. Und wunderbar war es, daß ich ihn fast nicht zu lenken brauchte. Er schien mein Gespräch mit seinem Herrn genau verstanden zu haben und infolgedessen sehr wohl zu wissen, wohin ich jetzt wollte. Denn er rannte von der Pappel aus direkt nach der Stelle zurück, an der ich seinen Herrn mit dem Lasso festgenommen hatte, und bog dann ohne das geringste Zögern rechts auf die Spuren ein, durch welche die Richtung bezeichnet wurde, aus der wir gekommen waren. Er trug mich also durch die duftenden Papilionaten nach der Stelle zurück, auf welcher unsere Begegnung stattgefunden hatte, und zwingt mich dadurch noch heut zu einem Geständnisse, durch welches ich mich ganz unbedingt blamiere.

Nämlich, wenn meine Reiseerzählungen wirklich nur aus der >reinen Phantasie< geschöpft wären, wie zuweilen behauptet wird, so käme ich jetzt ganz gewiß mit großen, wunderbaren Reiterkünsten, durch die ich den >Dicken< besiege und dazu zwang, nun hier an diesem Orte, wo die Gefahr für mich begann, gehorsam anzuhalten, damit ich die nötige Bedachtsamkeit und Vorsicht üben könne. Aber ich erzähle bekanntlich nur Wahrhaftiges und innerlich wirklich Geschehenes und Erwiesenes. Meine Erzählungen enthalten psychologische Untersuchungen und Feststellungen. Kein wirklicher Psycholog aber würde mir Glauben schenken, wenn ich so töricht wäre, zu behaupten, daß es im fernen und doch so nahen Lande des Menschen-Innern so leicht sei, ein Urpferd bezw¨ Urgeschöpf zu zähmen. Diese Urgefühle gleichen dem dicken Smihk in so auffallender Weise, daß ich unbedingt bei der Wahrheit bleiben und meine Ohnmacht eingestehen muß, ihn mir untertan zu machen. Es ging mir vielmehr ganz genau so, wie vorhin dem Scheik selbst. Ich hatte während des ungemein holperigen Galoppes nur darauf zu achten, nicht herabgeschleudert zu werden. Der >Dicke< ging nicht etwa durch mit mir, o nein. Was er tat, das tat er mit voller Überlegung und aus reiner Liebe. Er wollte mir zeigen, was für ein vortrefflicher Renner er sei. Ich sah dies ein und hoffte, daß er da, wo Hadschi Halef sich von mir getrennt hatte, anhalten werde. Aber das fiel ihm gar nicht ein. Im Gegenteile! Sobald er dort die breiten Spuren der Ussul zu Gesicht bekam, vergrößerte sich sein Eifer. Er hatte zwar fast keinen Atem mehr, aber er lief trotzdem noch schneller als vorher. Ich tat alles, dies zu verhindern, doch vergeblich. Der Zügelstrick wirkte nicht. Schenkeldruck gab es nicht. Dazu war das liebe Tierchen denn doch zu dick! Ich versuchte es mit begütigenden Zurufen. Sie bewirkten grad das Gegenteil: Smihk |31B glaubte, ich wünsche noch größere Schnelligkeit. Ich kannte die Interjektionen noch nicht, durch welche die Ussul ihre Pferde kommandieren. Schließlich wendete ich die Sporen an, um höchst alberner Weise das Pferd dafür zu strafen, daß es mich nicht verstand. Da wurde es noch toller. Es rannte nicht mehr, sondern es flog. Aber was war das für ein Flug! Wie eine Löffelgans mit Sperlingsflügeln! So ging es ächzend, stöhnend, fauchend, schnurrend und knurrend auf den Spuren der Ussul weiter, zwischen den Buschgrenzen dahin, um die linke Ecke, hinter der mein Hadschi verschwunden war, und dann direkt auf das Lager der Ussul zu. Denn der Scheik hatte mir ja gesagt, daß man vom Lager aus grad bis nach dieser Ecke sehen könne. Ich nahm an, daß man mich jetzt dort bemerkte und daß der Dicke, dort angekommen, stehenbleiben werde. Ich hatte mich heimlich anschleichen wollen und kam nun jetzt so gewaltsam öffentlich! Was hatte ich zu erwarten? Mochte es sein, was es wolle, ich besaß keine Macht, es abzuwenden. Ich konnte nur dahintrachten, womöglich nicht bemerken zu lassen, daß nicht ich, sondern das Pferd der Lenker war.

Unser Weg, nämlich die Lichtung, führte grad auf den Wald zu und dann in diesen hinein. Er verlief dort nicht eben, sondern er senkte sich; er ging abwärts. Das ermöglichte mir einen sehr willkommenen Überblick. Die eigentliche, vollständig freie Aussicht, die ich hatte, war zwar nicht breit, aber zu beiden Seiten von ihr standen die Riesenbäume so weit auseinander, daß sich mir die Situation zwischen ihren Stämmen hindurch sehr deutlich vor Augen stellte.

|32A Das Lager war am Waldesrand errichtet: Hütten aus Stangen, Zweigen und Laub mit mehreren Feuerstätten. Von da ging es zwischen den Bäumen nach einer Art von See hinunter, in dem eine Insel lag. Auf diese Insel zu schwamm ein Boot, ein riesiger >Einbaum<, aus einem einzigen Stamme durch Feuer ausgehöhlt. Es wurde von zwei Männern gerudert. Zwei andere saßen darin, ohne etwas zu tun. Das sah ich deutlich. Denn die grad auf die glänzende Fläche des Sees verlaufende Lichtung wirkte zwischen dem dunklen Saum der Bäume wie ein Fernrohr, welches das Objekt vergrößert und verdeutlicht. Ich konnte die Kleidung und die Gesichtszüge nicht erkennen, aber der eine von den beiden war bedeutend kleiner als der andere. Im Lager schien sich niemand zu befinden. Die Leute, die ich sah, standen am Ufer des Sees oder waren unterwegs nach dem Lager zurück.

Je mehr ich mich dem letzteren näherte, desto bestimmter wurden die Umrisse dessen, was ich sah. Die Gesichtszüge derer, die mir näher waren, wurden deutlicher, und ich erkannte die Kleidung des kleinen Mannes im Kahne, Halef war es. Ich vermutete, daß man ihn gefangen genommen hatte und nun nach der Insel schaffen wollte. Man hatte mich bis jetzt noch nicht bemerkt, weil die Aufmerksamkeit auf den Kahn gerichtet gewesen war; nun aber sah man mich. Das Pferd des Scheiks, und ein fremder Mensch darauf! Im rasenden Galopp, wie man den >Dicken< noch niemals hatte laufen sehen! Man erhob ein lautes Geschrei und kam von der mir entgegengesetzten Seite auf das Lager zugerannt. Es waren lauter riesige Gestalten, einige von ihnen sogar noch größer als der Scheik. Sie rissen ihre Waffen von den Baumstämmen, an denen sie hingen oder lehnten, und schauten mir drohend entgegen. Natürlich glaubten sie, daß ich am Lager anhalten werde. Der >Dicke< schien allerdings dieses Willens zu sein, denn als wir noch ungefähr dreißig Pferdelängen entfernt waren, minderte er die Schnelligkeit seines Laufes. Da aber kam mir ein Gedanke: War es einmal gelungen, meinen Halef nach der Insel zu schaffen und dort zu isolieren, so bildete er in den Händen der Ussul eine Geisel gegen meinen Geisel, und ich verlor den besten Trumpf, den ich besaß. Der fette, runde >Dicke< war auf alle Fälle ein guter Schwimmer. Er durfte nicht stehen bleiben. Er mußte zum See und mit mir in das Wasser. Ich stieß ihm also die Sporen in die Seiten. Da gab er den Vorsatz, anzuhalten, auf und griff von neuem aus. Ich steckte meine Revolver, um sie gegen die Nässe zu schützen, in das Innere meines ledernen Gürtels und nahm die beiden Gewehre in die Hand, um sie beim Sprunge in das Wasser hochzuhalten. So schossen wir an dem Lager vorüber, in den Wald hinein und auf den See zu. Die dort Stehenden hörten das Geschrei derer, die sich auf dem Wege nach dem Lager |32B befunden hatte. Sie sahen mich und stimmten in das Geschrei mit ein.

Es gab eine hochinteressante, unendlich wilde Szene. Diese mächtigen Urwaldbäume! Dieser schlangengleich sich windende, mir wie ein lauerndes Unglück entgegenschimmernde See! Diese gigantischen Menschengestalten! Tierisch behaart und massig gegliedert wie neu entstandene Wesen, die soeben erst den Übergang aus dem Tierreich in das Menschengeschlecht bewerkstelligt haben! Diese unartikulierten Stimmen! Diese grotesken, ungeschlachten Bewegungen, in die sie ihre Drohungen kleideten! Dazu der ungewöhnliche Anblick, den ich auf dem vor Anstrengung laut stöhnenden >Dicken< bieten mußte! Meine Sporen trieben ihn vorwärts. Er weigerte sich nicht im geringsten. Er schien keine Spur von Furcht vor dem Wasser zu besitzen und das hinter uns und vor uns erdröhnende Geschrei für eine sehr ästhetische Bewegung zu halten, denn als er dem Wasser in nächste Nähe kam, brüllte er laut und ehrlich mit und flog in einem wahren Riesensprunge vom Ufer weg in die tiefe Flut hinein. Wie es geschehen konnte, daß das Wasser mich nicht von seinem breiten Rücken hob, das weiß ich heut noch nicht. Ich hielt im Sprunge die Gewehre hoch, sank aber in Folge der Schwere mit dem >Dicken< so vollständig unter, daß auch die Waffen naß wurden, doch glücklicherweise nur äußerlich, denn wir tauchten sofort wieder auf, und da war ein für mich sehr günstiger Umstand, daß ich noch fest saß und mich von dem >Dicken< tragen lassen konnte, anstatt selbst schwimmen zu müssen.

Das Urpferd benahm sich so, als ob es von den Amphibien stamme, die im Wasser ebenso zu Hause sind wie auf dem Lande. Es schwamm nicht nur gut, sondern auch schnell. Und, was die Hauptsache war, es sah das Boot, welches nach der Insel strebte, und schwamm ihm augenblicklich nach, und zwar mit einem solchen Eifer, als ob es meine Absichten begriffe. Hätte es eine andere Richtung eingeschlagen, so wäre es mir wohl sehr schwer geworden, dem Boote nicht nur zu folgen, sondern gar, es einzuholen. Nun sah ich auch die Züge des kleinen Mannes deutlich, der darin saß: es war Halef. Ganz selbstverständlich erkannte er auch mich.

»Hamd ul Illah, Allah sei Preis und Dank, daß Du kommst!« rief er mir zu. »Man will mich hier auf der Insel einsperren. Ich bin Gefangener!«

Er sprach in seinem heimatlichen, moghrebiner Dialekt, den von den Ussul jedenfalls keiner verstand.

»Bist Du gefesselt?« antwortete ich ihm über die Wasserfläche hinüber.

»Nur die Hände auf den Rücken gebunden. Weiter nichts.«

»Wie sind die Leute im Boote bewaffnet?«

»Sie haben nur Messer. Der Kerl, neben dem ich sitze, ist der Zauberer.«

»Hast Du schon gesagt, wer wir sind?«

|33A »Ist mir nicht eingefallen!«

»Von mir gesprochen?«

»Kein Wort! Ich habe so getan, als ob ich ganz allein sei.«

»Aber sie haben sich nach Deinem Pferd erkundigt?«

»Nein.«

»Du hast doch Sporen! Folglich mußten sie sich sagen, daß Du beritten bist!«

»Hierzu sind sie zu dumm. Willst Du das Boot einholen?«

»Ja.«

»Das werde ich Dir erleichtern.«

Während dieser kurzen Wechselrede wurde ihm das Sprechen von dem Zauberer wiederholt verboten. Ich konnte das zwar nicht deutlich verstehen, aber ich ersah es aus den Gestikulationen. Jetzt wendete sich Halef zu ihm hin, um Fragen, die man an ihn richtete, zu beantworten. In wie pfiffiger Weise er dies tat, war sehr bald zu ersehen. Der Zauberer erteilte den Ruderern einen Befehl, infolgedessen das Boot gewendet wurde und dann gerade Richtung auf mich nahm.

»Sie wollen Dich ergreifen,« rief er mir zu.

»Das ist mir lieb,« antwortete ich. »Bleib fest sitzen, daß Du nicht herausfällst! Das Boot wird sehr ins Schwanken kommen. Ich werfe den Zauberer in das Wasser.«

»Allah, Wallah, Tallah! Nun Du da bist, gibt es doch gleich einen anderen Ton!«

Mein >Dicker< paddelte sich mit großer Energie vorwärts, und auch die beiden Ruderer holten sehr kräftig aus. So kamen wir einander schnell näher, und der Zauberer hielt es für an der Zeit, das Wort an mich zu richten. Er war ein Hühne, hoch bei Jahren, mit weißem Haar und Bart. Auch seine nackte Brust war dicht und weiß behaart. Das gab ihm etwas Eisbärartiges, zumal seine Bewegungen zwar nicht plump, aber ziemlich ungelenk zu nennen waren.

»Wer bist Du?« fragte er mich.

»Das wirst Du bald erfahren,« antwortete ich aus dem Wellenkreise heraus, den mein Urgaul um mich schlug.

»Was willst Du hier?« fuhr er fort.

»Nach der Insel hinüber will ich.«

»Das darfst Du nicht! Du hast hierherzukommen, in mein Boot!«

»Fällt mir nicht ein!«

Natürlich verstellte ich mich bloß, um ihn sicher zu machen.

»Du hast zu gehorchen! Ich zwinge Dich!« drohte er.

»Versuch, ob es Dir gelingt!«

»Wenn Du Dich weigerst, schlagen wir Dich einfach mit den Rudern tot!« drohte er.

Da tat ich, als ob ich erschrecke, und meinte in zaghaftem Tone:

»Das werdet Ihr doch nicht! Oder seid Ihr etwa Mörder?«

»Nein! Wir sind Ussul, und ich bin der Sahahr, der Priester. Wir morden nicht. Aber wer es wagt, uns zu widerstehen, der gefährdet allerdings sein Leben. Paß auf! Ich gebe Dir die Hand und ziehe Dich vom Pferd in das Boot hinein!«

Der gute, alte Mann! Er tat so außerordentlich martialisch und hatte dabei doch das gutmütigste Gesicht, das man sich denken kann! So, wie er aussah, pflegt man sich den heiligen Niklaus, den >Weihnachtsmann<, den Knecht Ruprecht vorzustellen, der kurz vor dem Christfest in Dorf und Stadt herumzugehen pflegt, um böse Kinder zu strafen, gute aber mit Pfefferkuchen, Äpfeln und Nüssen zu beschenken. Er stand aufrecht in der Mitte des Einbaums und ließ ihn so steuern, daß er grad vor mir und dem >Dicken< zu halten kam.

»Komm herein!« befahl er, indem er sich niederbeugte und mir die Hand entgegenhielt. »Greif zu; ich helfe Dir!«

»Nimm erst diese Gewehre, und leg sie in das Boot!« forderte ich ihn auf.

Ich gab sie ihm; der unbefangene Mann nahm sie wirklich und legte sie fürsorglich auf die trockenste Stelle des Fahrzeuges. Dann hielt er mir die Hand wieder hin und wiederholte:

»Faß zu! Ich werde Dich ziehen!«

Da glitt ich vom Pferde, klammerte mich mit der Linken fest an den Bord und griff mit der Rechten zu, um ihn zu fassen, aber nicht an der Hand, sondern am oberen Arme. Ein kräftiger Ruck - - ein Schwung - - und anstatt mich zu |33B sich hineinzuziehen, flog er aus dem Boot heraus in das Wasser, in welchem er für einige Augenblicke so vollständig verschwand, daß gar nichts von ihm zu sehen war. Nur einen kurzen Moment später stand ich im Einbaume, an derselben Stelle, an der er gestanden hatte, zog mein Messer und schnitt den Riemen entzwei, mit welchem Hadschi Halef gebunden worden war. Dieser sprang sofort vergnügt in die Höhe, warf die frei gewordenen Arme in die Luft und rief jubelnd aus:

»Allah sei Lob und Dir sei Dank gesagt, Effendi, daß ich wieder im Besitz meiner Hände bin! Du wirst gleich sehen, was ich tue.«

Er nahm meinen schweren Bärentöter vom Boden auf, richtete ihn auf den Mann, der im Vorderteile ruderte, und rief ihm zu:

»Leg das Ruder herein, und mach Dich von dannen, sonst schieß ich Dich augenblicklich tot!«

Dieser Mann war ein Riese und Halef gegen ihn ein Zwerg. Aber der auf ihn gerichteten Kugelmündung widerstand er nicht. Er zog gehorsam das Ruder ein und sprang über Bord. Der Hadschi richtete den Lauf nun auch auf den Mann, der im Hinterteile saß. Dieser wartete den Befehl des Kleinen gar nicht erst ab. Er riß das Ruder herein, ließ es fallen und sprang hinaus in die Flut.

»Sind das Helden!« lachte Halef, indem er das Gewehr wieder von sich legte.

»Vor allen Dingen weg von ihnen!« warnte ich, indem ich das eine Ruder ergriff und Halef durch einen Wink aufforderte, das andere zu nehmen.

Ich wollte, daß die drei Ussul das Boot nicht wieder betreten, sondern im Wasser bleiben sollten. Das Boot hatte durch den Schwung, mit dem der Zauberer herausbefördert worden war, einen Stoß erhalten, der es von der Stelle trieb. Wir bemühten uns jetzt, diese Entfernung noch zu vergrößern. Die Ussul erwiesen sich als sehr gewandte Schwimmer. Sie wollten außerdem auch noch die Kraft des Pferdes zu Hilfe nehmen. Der Zauberer bemühte sich, ihm auf den Rücken zu steigen, und die beiden Ruderer trachteten danach, die Enden des Zügelstrickes zu fassen. Aber der >Dicke< wehrte sich. Er schlug und biß nach ihnen und strampelte das Wasser derart zu Gischt und Schaum, daß man meinen konnte, ein Okeanidenbild aus der griechischen Mythologie vor sich zu haben.

»Das ist ein großartiges Vieh, dieses Pferd!« ließ sich Halef hören. »Wo hast Du es her, Sihdi? Das möchte ich hören!«

»Zu hören, wie Du in dieses vorweltliche Boot gekommen bist, ist noch viel wichtiger,« anwortete ich.

»Kannst Du mir nicht erlassen, es Dir zu erzählen, Sihdi?« fragte er.

»Nein.«

»So erlaube, daß ich Dich dabei nicht anzusehen brauche! Denn ich schäme mich!«

»Ah? Wirklich?«

»Ja!«

Da draußen auf dem Wasser plagten sich die drei Ussul noch mit dem Pferd herum. Ich saß, das Ruder in der Hand, an dem einen Ende des Kahnes, Halef am andern. Er sah vor sich nieder, warf dann mit einer energischen Bewegung den Kopf nach hinten und sprach:

»Es hilft nichts! Ich kann nicht anders; ich muß es eingestehen! Sihdi, ich bin ein Schaf, ein Ochse, ein Kamel, kurz, ein Dummkopf, wie es gar keinen größeren geben kann!«

Er machte eine Pause, die ich dazu benütze, ihn zu fragen:

»Ist das wirklich Deine Ansicht?«

»Nicht nur meine Ansicht, sondern sogar meine felsenfeste Überzeugung! Sie gefällt Dir wohl nicht?«

»O doch! Sogar sehr! Aber vorher dachtest Du doch wohl anders?«

»Allerdings! Sihdi, mein lieber Sihdi, ich sage Dir: Es gibt Augenblicke, in denen ich mich für den klügsten und vortrefflichsten Menschen halte, den Allah in seiner Güte erschaffen hat. Und es gibt wieder andere Augenblicke, in denen ich darauf schwören kann, daß ich der dümmste Mensch der ganzen Erde bin. Glaubst Du das?«

|34A »Ich glaube es. Denn jeder noch nicht vollständig ausgereifte Mensch hat derartige Augenblicke. Worauf schwörst Du denn wohl jetzt? Etwa auf die Klugheit?«

»Nein, sondern auf die Dummheit.«

»Das freut mich, Halef; das freut mich ungemein!«

»Wie, Effendi? Du freust Dich darüber, daß ich dumm bin?« fragte er in seinem vorwurfsvollsten Tone.

»Nein. Sondern darüber, daß Du einsiehst, es zu sein. Wer seine Fehler erkennt, der befindet sich auf dem Weg der Besserung. Und daß Du jetzt, in diesem Augenblick, an diese Deine Besserung denkst, das versteht sich ganz von selbst!«

»Richtig! Sehr richtig! Ich denke an sie!« gestand er ein. »Später werde ich es Dir noch ausführlicher sagen, denn jetzt habe ich keine Zeit dazu; aber es war im höchsten Grade lächerlich von mir, zu denken, daß ich die Hauptperson sei, Du aber nur die Nebenperson. Ich habe mich betragen wie ein Knabe, dessen Hirn erst Milch und noch nicht Nervenmasse ist. Ich bin wie ein Tapps den Spuren nachgelaufen, ohne auch nur mit einer Silbe daranzudenken, daß man mich schon von weitem sehen muß. Sie haben mich bemerkt, ohne daß ich ahnte, wie nahe ich ihrem Lager sei. Sie versteckten sich zu beiden Seiten hinter die Sträucher und fielen über mich her, sobald ich diese Stelle erreichte. Dann schleppten sie mich zum Lager hin, um über mich zu verhandeln. Sie wollten wissen, wer ich sei, woher ich komme und was ich hier bei ihnen wolle - - -«

»Was hast Du da gesagt?« unterbrach ich da den Fluß seiner Rede.

»Nichts,« antwortete er.

»Nichts? Unmöglich! Du hast doch eine Antwort geben müssen!«

»Nein! Ich habe keine gegeben. Es fiel mir nichts ein, was ich hätte sagen können, gar nichts.«

»Das ist geradezu unglaublich! Dir nichts einfallen? Meinem Hadschi Halef nichts einfallen? Das ist Dir doch wohl in Deinem ganzen Leben nicht ein einzigesmal geschehen!«

»Allerdings nicht. Heut aber geschah es zum ersten Male.«

»Vor Schreck etwa?«

»Nein, sondern vor Erstaunen.«

»Über die Größe dieser Leute?«

»Das nicht. Du weißt ja, Sihdi, daß körperliche Größe mich nicht verblüfft. Auch hier nicht, obwohl diese Ussul fast ohne Ausnahme alle Riesen sind. Aber ihre Behaarung! Allah 'l Allah! Was sind das für Menschen! Schon die Männer! Diese Köpfe und diese Bärte! Ich mußte mir Mühe geben, nicht laut aufzulachen. Aber dann die Frauen, die Mädchen, die Weiber, die - die - - die - - - Sihdi, wie heißen in Deiner Heimat die vornehmen Frauen? Wie nennt man sie?«

»Damen.«

»Richtig! Die Damen, die Damen der Ussul! Besonders die Frau des Scheiks, der jetzt nicht anwesend ist. Sie heißt Taldscha und ist im ganzen Gesicht behaart, auch an den Wangen und an der Stirn. Man sieht nur die Nasenspitze und die beiden kleinen Augen. Und diese Haare sind blond, ganz hellblond, und reichen bis auf die Lenden herab. Ich sage Dir, ich war derart erstaunt, daß mir die Stimme versagte, daß ich die Sprache verlor. Und dumm sind sie, diese Menschen, geradezu blitz- und hageldumm. Denke Dir nur: Sie hielten mich für einen entsprungenen Hofnarren, für den Zwerg und Possenreißer irgend eines Herrschers. Und später kam der Zauberer gar auf die wahnsinnige Idee, daß ich sehr wahrscheinlich der Leibzwerg des 'Mir von Dschinnistan sei, aber nicht ihm entsprungen, sondern von ihm als Spion gesandt, das Gebiet von Ardistan auszukundschaften! Ich und ein Zwerg! Ein Kundschafter und Späher! Aber die andern glaubten es ihm. Wäre der Scheik zugegen gewesen, so hätte man mich auf der Stelle umgebracht. Da man mit diesem Urteile und seinem Vollzuge aber bis zu seiner Rückkehr warten muß, so beschloß man, mich inzwischen auf die Insel hinüberzuschaffen, von der aus ich nicht entfliehen könne.«

»Hast Du Dich gewehrt?«

»Nein. Ich konnte nicht. Als man mich ganz unerwartet ergriff, nahm man mir sofort das Messer, die Pistolen und |34B alles andere, was ich im Gürtel trug. Womit hätte ich mich da wohl wehren können? Etwa mit den Händen, wo die ihren viermal größer sind als die meinen? Nun ist es ein Glück, daß Du gekommen bist! Wie gedenkst Du uns zu befreien?«

»Uns zu befreien? Welch eine Frage! Wir sind ja frei!«

Er sah mich an, schaute rundum, lachte dann fröhlich auf und rief:

»Das ist allerdings richtig, ganz außerordentlich richtig! Es gibt hier nur dieses einzige Boot. Wir brauchen doch nicht zu ihnen zurückzukehren, sondern einfach nur quer über den See zu rudern. Wir kommen viel eher dort an als sie, die den weiten Umweg längs des Ufers machen müssen. Aber, weißt Du, Effendi, das, was sie mir abgenommen haben, möchte ich ihnen nicht gern lassen!«

»Das sollst Du auch nicht. Wir haben gar keine Veranlassung, zu fliehen. Sie haben uns zu gehorchen. Ich werde sie zum Frieden zwingen. Ihr Scheik befindet sich nämlich in meiner Gewalt.«

»Du hast ihn gesehen?« fragte er rasch.

»Gesehen und gefangen genommen!«

»Hamdulillah! Nun sind wir wieder groß!«

Er stand von seinem Sitze auf, tat einen Freudensprung, daß der Kahn ganz gefährlich zu schaukeln und zu rollen begann, und fuhr dann fort:

»Unser Gefangener, unser Gefangener ist er! Was können diese Giganten uns nun tun? Nichts! Wenn sie uns nicht gehorchen, so schlachten wir ihn ab und fressen ihn auf mit Haut und Haar und Knochen! Sihdi, das müssen wir ihnen sagen, sofort sagen! Greif zum Ruder! Wir fahren hinüber zu ihnen. An das Ufer! Sofort, sofort!«

Er setzte sich wieder an seinen Platz, um seine Wort auszuführen. Ich hatte nichts dagegen und fragte nur, wo die Sachen, die ihm abgenommen worden waren, zu suchen seien. Er antwortete:

»Die Dame Taldscha hat alles zu sich gesteckt. Sie sagte, daß es dem Scheik gehöre und also sie es in Verwahrung zu nehmen habe. Mir scheint, daß sie es ist, die den Stamm regiert, nicht er. Sogar der Zauberer wagte nicht, zu widersprechen. Er ist sehr höflich zu ihr. Sie hat einen Ledersack an ihrer Seite hängen; da hinein hat man alles getan.«

Diese kurze, sehr notwendige Unterredung erforderte zwischen Halef und mir natürlich nicht so viel Zeit, wie man braucht, um sie zu lesen. Dennoch hatten sich die drei von uns aus dem Boot getriebenen Ussul schon ziemlich weit von uns entfernt. Sie schwammen dem Ufer zu, an dem ihre Leute standen und durch alle möglichen Arten von Geschrei und Lärm kundgaben, wie unverständlich ihnen das sei, was sich ereignete. Auch wir ruderten ihm zu, aber langsam und bequem, denn wir hatten keinen Grund, eine sonderliche Eile zu entwickeln. Darum stieg der Zauberer mit seinen beiden Ruderern viel eher an das Land, als wir es erreichten. Der Urgaul, welcher ursprünglich Nazik und dann Smihk geheißen worden war und also höchst wahrscheinlich beide Namen führte, bekümmerte sich jetzt weder um sie noch um mich. Er schwamm bald hierhin, bald dorthin, und stieß dabei von Zeit zu Zeit ein äußerst behagliches Grunzen aus. Es schien, als ob ihm dieses Reinigungsbad eine Wonne sei, doch kaum hatte er das Ufer erreicht, so begann er sofort, sich in dem dortigen, tiefen Schlamm zu wälzen, um den von der Haut heruntergespülten Überzug zu erneuern.

Unsere Aufmerksamkeit war ganz selbstverständlich auf die hochinteressanten Menschen gerichtet, die ihr Geschrei eingestellt hatten und unserer Annäherung nun still entgegensahen. Ich zählte sie. Es waren neunzehn Männer und nur eine Frau. Von den ersteren fehlte also nur der Scheik, und von den letzteren war es höchst wahrscheinlich nur seiner Frau gestattet, an so wichtigen Vorkommnissen teilzunehmen. Als wir so weit an sie herangekommen waren, daß es nur noch zweier Ruderschläge bedurfte, uns an das Land zu treiben, gab ich Halef das Zeichen, anzuhalten. Es war unter ihnen nicht eine einzige gewöhnliche Gestalt; sie alle waren Riesen. Und sie alle waren ungewöhnlich behaart, doch nicht in gleicher Weise. Am wenigsten bebartet war der Zauberer. Sonst aber sah man alle möglichen |35A Abstufungen der Haaresfülle, entweder wellig, wollig oder schlicht, doch konnte man nur fünf von ihnen als eigentliche, wirkliche >Haarmenschen< bezeichnen, bei denen vom Gesicht nur die Nasenspitze und die Augen zu sehen waren. Zu diesen fünf gehörte die Herrin des Stammes, von ihrem Manne >Schneeglöckchen< genannt. Als er mir diesen Kosenamen sagte, hatte ich erwartet, daß ich später über ihn lachen werde; aber sonderbar, nun ich diese Frau vor mir stehen sah, fand ich nicht den geringsten Grund zur Ironie. Im Gegenteile! Die Frau machte Eindruck auf mich, und zwar in einer Weise, die mir anfänglich als ein Rätsel erschien und erst nach und nach begreiflich wurde.

Sie war ganz in Leder gekleidet, aber in so feines und weiches, wie ich es noch nie gesehen hatte. Und man denke sich: dieses Leder war blau und wie mit einem überaus feinen Blumen- oder Schmetterlingsstaub bedeckt, der metallisch silbern glänzte. Etwas stärker war das Leder der naturfarbenen Schuhe. Diese, in höchst kunstvoller Weise aus einem einzigen Stück geschnitten, erhielten durch Zug und Riemen die Form der wohlgestalteten Füße, welche in ihrem Verhältnisse zur Körpergröße als klein und niedlich zu bezeichnen waren. Verhältnismäßig noch kleiner waren die Hände. Ich hatte später noch oft Gelegenheit, zu sehen, wie sorgfältig gepflegt, wie blüteweiß und rosig überhaupt sie waren. Das Haar der Frau war fein, dünn und goldig blond, weder aschfarben noch rötlich, sondern von jenem mittelfarbigen, lebenden Gold, welches echt und edel ist. Es hing hinten und vorn bis über den Gürtel herab, in leisen Wellen rieselnd, die vermuten ließen, daß es häufig in Zöpfe geflochten wurde. Und diese goldig schimmernde Flut war mit den Federn des Paradiesvogels geschmückt, so einfach, so natürlich, so ungesucht, daß ich mit dem Worte Schmuck nicht eigentlich das treffe, was ich bezeichnen will. Obgleich wir uns mitten in der Wildnis befanden, sah man an der hohen Gestalt dieses Weibes nicht das kleinste Fleckchen und nicht die geringste Spur von Schmutz und Unsauberkeit. Frisch, rein, unbefleckt, natürlich, lauter, so war der Eindruck, den ich gleich beim ersten Blick auf sie von ihr erhielt, und da kam mir der Vergleich, der in ihrem Namen lag, gar nicht unpassend vor. Ihr Auge erschien nur infolge der Behaarung klein. In Wahrheit war es groß und von einem Blau, welches für diese so weit entlegene Gegend des Orients eine große Seltenheit zu nennen war. Später bemerkte ich, daß ein leiser, feiner, wohltuender Duft von dieser Frau ausging, ein Duft der Gesundheit, der Lebenskraft, der immerwährenden Verjüngung, ein seelischer Zwang, in ihrer Gegenwart alles, was nicht gut ist, zu vermeiden. Es war, als ob ich diesen Duft schon jetzt, aus der Entfernung, mit den Augen spüre, denn es tat mir wohl, sie vor mir stehen zu sehen, ganz abgesehen davon, daß die Fremdartigkeit ihrer Erscheinung meine Augen und mein Interesse auf sich zog.

Sie war nach der Stelle des Ufers geschritten, wohin der Lauf unsers Bootes gerichtet gewesen war. Da stand sie jetzt, nur der Zauberer neben ihr, einige Schritte hinter ihnen die fünf Männer, die ich als eigentliche, wirkliche Haarmenschen bezeichnet habe, und die übrigen noch weiter seitwärts oder zurück. Hierin lag für mich der Beweis, daß die Frau, wenigstens in Abwesenheit des Scheiks, die Gebieterin war, wenn auch unter Beihilfe des Zauberpriesters. Später erfuhr ich, daß sie auch den Scheik zu beherrschen wußte und daß dieser nichts tat, ohne sich vorher mit ihr besprochen zu haben. Sie war geliebt und verehrt als eine Art höheres und besseres Wesen und genoß den Ruf, nur das Gute zu wollen und nie etwas Böses getan zu haben. Die fünf Haarmänner aber gehörten den berühmtesten Familien des Stammes an, in denen diese vollständige Hypertrichosis universalis erblich war, und bildeten das, was man bei uns daheim >die Großen des Reiches< nennen würde. Es hat auch in Europa derartige Haarmenschen gegeben und gibt sie noch. Ich erinnere an Felix Platter am Hofe Heinrichs II¨ von Frankreich, an die Mexikanerin Pastrana, welche durch Europa reiste und in Rußland starb, an Adrian Feodor Jestichew, an die Familie Ambras und an die Böhmin Marietta Schöbl. Besonders berühmt sind die Siamesin Krao und der Lao-the Schwe Maong mit seiner Tochter und ihren beiden Söhnen. Aber diese Haarmenschen, die man auch als |35B Hunde- oder Bärenmenschen zu bezeichnen pflegte, waren Ausnahmen, während die Ussul, die ich hier vor mir stehen sah, die Regel zu bilden schienen. Ich war im hohen Grade gespannt darauf, wie unser Zusammentreffen mit ihnen sich entwickeln werde.

Als wir unser Boot anhielten, wechselten der Sahahr und Taldscha einige leise und unverständliche Worte miteinander. Wahrscheinlich hatte sie die Unterredung oder Untersuchung nicht beginnen wollen, sondern ihn aufgefordert, es zu tun, denn er tat einen kleinen Schritt vor und fragte zu uns herüber:

»Warum zögert Ihr? Ihr habt vollends heranzukommen und auszusteigen!«

»Warum?«

»Weil ich es Euch befehle!« antwortete er.

»Es gibt keinen einzigen Menschen, der uns etwas zu befehlen hat! Wer bist Du?«

»Ich bin der Zauberpriester des Riesenvolkes der Ussul. Und hier, neben mir, steht Taldscha, die Frau unsers Scheiks!«

»Und der Scheik selbst? Wo befindet er sich?«

»Er ist nicht hier, wird aber bald kommen. Also, ich befehle Euch, jetzt auszusteigen! Ich habe Euch zu verhören.«

»Ich sagte Dir bereits, daß wir keinem Menschen Gehorsam schuldig sind; da seid auch Ihr mit inbegriffen. Aber ich bin gewohnt, jeder Person, die man mir als Priester bezeichnet, mit Achtung zu begegnen, und in dem fernen Lande, wo ich geboren bin, ist es Sitte aller guten Menschen, die Frauen zu ehren und allen ihren Wünschen, wenn sie vernünftig sind, entgegenzukommen. Ich bin also mit dem Verhöre, das Du wünschest, vollständig einverstanden, muß aber, bevor es beginnt, einen Irrtum berichtigen, in dem Du Dich befindest.«

»Eine Irrtum? Ich weiß keinen!«

»Wenn Du ihn wüßtest, wäre es kein Irrtum, sondern Betrug oder Lüge!«

»Dann weiß ich ihn sicherlich nicht,« fuhr er auf; »denn bei den Ussul gibt es keine Lüge. Sage ihn mir!«

»Du hältst Dich für den, der das Verhör vorzunehmen hat. Das ist falsch. Ich bin es! Ich habe Euch zu verhören, nicht aber Du uns.«

Da lachte er, und die anderen lachten mit.

»Er ist verrückt!« rief er aus, und: »Er ist verrückt, er ist verrückt!« riefen auch die übrigen, indem sie ihr Lachen zum schallenden Gelächter steigerten.

Da wendete Taldscha sich halb nach ihnen um und hob die Hand. Das Gelächter verstummte sofort.

»Dieser Fremde ist nicht verrückt,« sagte sie. »Seht ihm in das Gesicht, und seht ihm in die Augen! Der weiß sehr wohl, was er sagt und was er will. Sprich weiter mit ihm, doch ohne ihn zu beleidigen!«

Dieser Befehl galt dem Zauberer. Taldschas Stimme klang wohllautend und kräftig. Sie hatte etwas von jenem bestimmten und zugleich milden Klange an sich, den man beim Kirchengeläut an der Alt- oder Mittelglocke zu beobachten pflegt. Der Klang einer Menschenstimme ist auch psychologisch von großer Wichtigkeit. Der Zauberer fuhr, wieder ernst geworden, zu uns gewendet fort:

»Also Du willst uns verhören? Wer gibt Dir das Recht dazu?«

»Euer Scheik.«

»Unser Scheik?« fragte er erstaunt. »Kennst Du ihn?«

»Ja.«

»Seit wann?«

»Seit einer Stunde.«

»Nicht länger? Und da gibt er Dir schon das Recht, uns zu verhören? Ich würde jetzt wieder lachen und Dich für verrückt halten; aber Taldscha hat uns dies verboten, und so muß ich ernst und höflich bleiben. Du hast ihn also gesehen? Du hast mit ihm gesprochen? Warum ist er nicht da? Warum kam er nicht mit Dir? Wo befindet er sich?«

»Er ist mein Gefangener.«

»Dein - - Dein - - Dein Gefangener!« wiederholte er meine Worte in einem Tone, als ob er seinen Ohren nicht traue. »Habe ich recht gehört?«

»Du hörtest ganz richtig. Amihn, der Scheik der Ussul, ist mein Gefangener.«

|36A Ich sah, daß er wieder mit dem Lachen kämpfte; aber er beherrschte sich und fragte:

»Wie soll er denn in Deine Gefangenschaft gekommen sein?«

»Ich habe ihn vom Pferd gerissen und gebunden.«

»Gebunden? Womit?«

»Mit seinen eigenen Riemen.«

»Mit - - - eigenen - - -? Und vorher vom Pferd gerissen? Du - - -?«

Er kämpfte schon wieder mit dem Lachen, und diesmal wollte ihm der Sieg nicht gelingen. Er warf einen Blick auf mich, auf den ich ganz und gar nicht stolz zu sein brauchte, drehte sich dann nach seinen Leuten um und fragte:

»Glaubt Ihr das? Er - er - - er - - - dieser Knabe von Gestalt, will unsern Scheik vom Pferd gerissen haben und mit seinen eigenen - - -«

Er kam nicht weiter; es brach ein brausendes Gelächter los. Da hob die Frau zum zweiten Male die Hand empor, und wieder wurde es augenblicklich still.

»Schweigt!« befahl sie. »Dieser Fremde hat unsern Zauberpriester aus dem Boot geschleudert und dann auch die Ruderer verjagen lassen. Da ist es möglich, daß sich auch der Scheik von ihm hat überraschen lassen! Ich verbiete Euch, ihn auszulachen! Jetzt weiter!«

Diese beiden letzteren Worte galten dem Sahahr. Er gehorchte und wendete sich wieder an mich:

»Du mußt verzeihen, Fremder! Was Du sagst, klingt wie die größte Lüge, die es gibt, und - - -«

»So schau Dich um!« unterbrach ich ihn, indem ich nach dem Urgaul deutete, der das Wasser soeben verlassen hatte und sich nun im tiefen Schlamme wälzte. »Sieh dort sein Pferd! Du hast es schon gesehen, denn ich wurde von ihm bis an Dein Boot getragen. Daß ich auf diesem, seinem eigenen Pferd geritten komme, muß Dir doch sagen, daß er von mir überwältigt worden ist! Und daß ich mich nicht gefürchtet habe, meinen Kameraden zu befreien, Dich aus dem Boot zu werfen und, ohne zu fliehen, hierher zu Euch ruderte, gibt doch wohl den Beweis, daß ich ihn sicher habe und daß es ihm unmöglich ist, mir zu entkommen!«

»Das Pferd! Ja, das Pferd!« antwortet er verlegen. »An das habe ich gar nicht gedacht! Da Du auf seinem Rücken zu uns gekommen bist, muß man wohl überzeugt sein, daß Du ihn auf irgend eine Weise überwältigt und festgenommen hast. Aber sag, warum hast Du das getan?«

|36B »Um eine Geisel zu haben. Ihr hattet meinen Gefährten gefangen genommen; darum nahm ich Euern Scheik gefangen, um Euch zu zwingen, meinen Begleiter freizugeben.«

»Aber wie konntest Du Dich an diesen Mann, an diesen Giganten, an diesen Helden wagen, der noch nie im Leben besiegt wurde?«

»Das will ich Dir sofort zeigen,« antwortete ich.

Vorhin, als der Scheik von mir vom Baume losgebunden worden war, hatte ich den Lasso wieder in Schlingen gelegt und mir um die Schulter gehängt. Jetzt nahm ich ihn wieder, behielt das eine Ende in der linken Hand und schleuderte das andere hinüber nach dem Zauberer. Ein kräftiger Ruck - - seine Arme wurden ihm an den Leib gezogen - - ich hatte ihn fest und riß ihn von seinem Orte hinweg, zu mir herüber. Er stürzte zunächst in das Wasser, doch griff Halef schnell mit zu, und so lag er schon im nächsten Augenblick bei uns im Boote und wurde mit dem Lasso derart fest umwunden, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Nun nahm ich das Messer aus dem Gürtel und schwang es drohend über ihm. Da schrien die Ussul vor Angst laut auf. Er aber rief:

»Halt ein, halt ein! Willst Du mich ermorden? Ich habe Dir doch nichts getan!«

Ich steckte das Messer in den Gürtel zurück, erhob mich aus meiner gebeugten Stellung und antwortete:

»Dich zu töten fällt mir nicht ein, denn ich bin Euer Freund, aber nicht Euer Feind. Ich wollte Dir nur zeigen, wie leicht es ist, einen Ussul gefangen zu nehmen.«

»So gib mich frei, und laß mich fort!« bat er in ziemlich verzagtem Tone.

»Jetzt nicht wieder! Ich habe Dich schon einmal aus der Hand entkommen lassen. Anstatt Dich dankbar zu erweisen, hast Du mich als Gefangenen behandeln und ein Verhör mit mir anstellen wollen. So leicht kommst Du jetzt nicht weg. Du bleibst hier liegen, bis ich sicher bin, daß Ihr mich als Gast und Freund betrachtet.«

»Und wenn wir das nicht tun?« fragte er.

»So stoß ich Dir das Messer bis an den Griff in das Herz!« erwiderte ich, worauf Hadschi Halef mit ganz gewaltigem Augenrollen hinzufügte:

»Und wenn Du davon nicht ganz sterben solltest, so schlage ich Dich sogar noch eigens tot! Darauf kannst Du Dich verlassen, denn ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, der berühmte Scheik der Haddedihn vom |37A großen Stamme der Schammar!« Der lange Name schien die beabsichtigte Wirkung nicht zu verfehlen, denn der Zauberer meinte ziemlich schüchtern:

»Ein berühmter Scheik bist Du? Das hast Du uns gar nicht gesagt! Und wer ist denn der andere?«

»Er ist der größte Held und Gelehrte des Abendlandes. Sein in der ganzen Welt bekannter Name lautet Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Ben Emir Hadschi Kara Ben Dschermani Ibn Emir Hadschi Kara Ben Alemani. Sein Säbel ist scharf und spitz, seine Kugeln gehen nie daneben, und wenn er eine lange Rede hält, so bringt er sie stets an das richtige Ende. Er hat in seinem ganzen Leben noch niemals eine Schlacht verloren. Kein Feind kann ihn im Kampfe niederringen. Und wenn er seine Gelehrsamkeit erscheinen läßt, so ist sie wie ein Wirbelsturm, der, ohne still zu stehen, rund um die ganze Erde geht und alles niederreißt, was ihm zu widerstehen wagt!«

»Ich habe weder Deinen noch seinen Namen jemals gehört,« entschuldigte sich der Zauberer. »Und ich kenne Dein Land und Deinen Stamm eben so wenig wie sein Volk und seine Gegend, in der er geboren wurde. Ich bin der Zauberpriester der Ussul. Ich wirke nur für die Religion und habe keine Zeit, mich mit der Politik und Geographie und Weltgeschichte abzugeben. Ihr müßt also verzeihen, daß ich in diesen Dingen nicht bewandert bin und meinen Ruhm nur darin suche, daß unsere Nation an ihren Gott und Schöpfer glaubt. Wenn wir bestimmen, was mit Euch geschehen soll, so habe ich nur in Beziehung auf Eure Religion mit zu beraten, sonst aber nicht. Glaubt Ihr an Gott?«

»Ja.«

»So bin ich beruhigt. Denn wer einen Gott hat, der schlägt keinen Menschen tot!«

»Ihr aber habt mir doch damit gedroht!« warf Halef ein.

»Gedroht? Ja! Aber haben wir es getan?«

»Bis jetzt allerdings noch nicht.«

»So wartet also ab, ob es geschieht!«

»Abwarten?« lachte Halef. »Ja, das werden wir, und zwar mit größtem Vergnügen! Es hat nämlich bisher noch keinen gegeben, dem es gelungen ist, uns tot zu schlagen, und so soll es mich verlangen, zu erfahren, wie Ihr es anfangen werdet, dies zu tun!«

Da kam Taldscha von der Höhe des Ufers langsam zu uns herabgestiegen, blieb am Wasser stehen und gab der Verhandlung folgenden, für beide Teile günstigen Verlauf:

»Ist der, der sich Hadschi Halef Omar nannte, ein Araber?«

»Ja,« nickte dieser.

»Wirklich ein Scheik?«

»Ja.«

»Und aus welchem Lande ist Emir Kara Ben Nemsi?«

Halef hatte vorhin in seiner bekannten Art und Weise über mich und seine Person geflunkert, um zu imponieren. Ich brauchte mich dieser Aufschneiderei allerdings nicht etwa in mich selbst hinein zu schämen, denn was er tat, ist orientalischer Gebrauch oder vielmehr morgenländische Ausdrucksweise. Ihn zu verbessern, hätte nichts nützen können, aber sicherlich geschadet. Dennoch war ich entschlossen, seine Angaben jetzt, falls Taldscha mich fragen würde, auf die reine, nackte Wahrheit zurückzuführen. Es kam aber nicht so weit. Die Ussul waren zu naiv und selbst viel zu wahrheitsliebend, als daß es ihnen eingefallen wäre, an den Worten des Hadschi herumzumäkeln.

»Ich bin aus Dschermanistan,« antwortete ich.

»Das kenne ich nicht. Folglich kann es nicht in unserem Erdteile liegen,« erklärte sie.

»Es liegt allerdings nicht im Morgen-, sondern im Abendlande.«

Es war mir nahegelegt worden, zu verschweigen, daß ich ein Abendländer sei; aber diesen hellen, klaren, außerordentlich ehrlich blickenden blauen Augen gegenüber, die jetzt auf mich gerichtet waren, fühlte ich mich nicht imstande, etwas anderes als die Wahrheit zu sagen. Ich ersah aus einer schnellen Bewegung ihres Kopfes, daß sie sich nicht unangenehm überrascht fühlt. Sie fuhr fort:

»Im Abendlande? Und wo wolltest Du jetzt hin?«

»Durch das ganze Ardistan.«

|37B »Dann bist Du entweder ein sehr unvorsichtiger oder ein sehr kühner Mann. Denn der 'Mir von Ardistan würde Dich höchst wahrscheinlich töten lassen, sobald er erführe, daß Du ein Abendländer bist. Glücklicherweise aber wirst Du diesem Tode entgehen, weil Du gar nicht zu ihm kommst, sondern für immer bei uns bleibst. Nach den Gesetzen unseres Landes bist Du unser Eigentum.«

»Nach den Gesetzen meines Landes aber bin ich es nicht,« entgegnete ich.

»Wir haben den Gesetzen unseres Landes zu gehorchen, nicht aber den Gesetzes des Deinigen!«

»Das begreife ich. Und Du wirst ebenso begreifen, daß ich den Gesetzen meines Landes zu gehorchen habe, nicht aber den Gesetzen des Eurigen!«

»Du willst Dich gegen uns wehren?«

»Ja.«

»Es wird vergeblich sein!«

»Du irrst. Bisher war es sehr von Erfolg. Wir befinden uns keineswegs in Eurer Gewalt. Wir sind frei. Dagegen ist Euer Scheik und Euer Priester in unsere Hände geraten. Wenn wir mit diesem Boote grad quer über den See rudern, kommen wir viel eher an das jenseitige Ufer als Ihr. Wer will uns hindern, erst den Priester und dann auch den Scheik zu töten, falls wir davon überzeugt sind, daß Ihr nicht Frieden halten wollt?«

Sie antwortete nicht gleich; sie überlegte. Und sie musterte uns dabei mit prüfenden Augen. Dann sagte sie:

»Ich bin ungewiß und unzufrieden. Ihr gefällt mir sehr, ja, wirklich sehr. Ich möchte gern recht viel über das Abendland erfahren. Und es wäre wohl schön, wenn Du als freier Mann, nicht aber als Knecht und Sklave von ihm erzähltest. Es würde mich freuen, wenn ich zu Dir sagen dürfte: Du bist mein Gast, bist nicht mein Eigentum! Aber ich habe den Gesetzen meines Landes zu gehorchen, nicht meinen Wünschen. Es gäbe zwar einen Weg, ein Mittel - - -«

Sie sprach nicht weiter. Sie machte eine Handbewegung, als wie um anzudeuten, daß sie das, woran sie dachte, für unmöglich halte.

»Welchen Weg? Und welches Mittel?« erkundigte ich mich.

»Es ist für Euch überflüssig, hiernach zu fragen,« antwortete sie, indem sie die Handbewegung wiederholte.

»Weißt Du das so genau? Ich wiederhole meine Frage und bitte Dich, mir Auskunft zu erteilen, damit auch ich mich darüber aussprechen kann, ob es so überflüssig ist, wie Du meinst!«

Wieder dachte sie nach, und wieder musterte sie uns mit zwar wohlwollenden aber unbefriedigten Augen. Hierauf sprach sie:

»Es gibt ein Mittel, Euch von der Knechtschaft, die Euch droht, zu befreien. Das Gesetz liefert Euch in unsere Hände; dasselbe Gesetz aber macht Euch wieder frei, indem es Euch gestattet, Euch von uns loszukämpfen.«

Als Halef diese Worte hörte, warf er beide Arme hoch empor und rief aus:

»Sihdi, wir kämpfen uns los!«

Ich aber beachtete ihn und seinen Ausruf nicht. Grad er hatte während der letzten zwei Stunden bewiesen, daß er nicht der Mann war, einen solchen Kampf aus eigener Kraft zu bestehen. Ich faßte die rätselhafte Frau, die vor uns stand, nun ebenso scharf in die Augen, wie sie uns, und entgegnete:

»So hattest Du allerdings recht. Die Auskunft, die Du uns erteilst, ist überflüssig, völlig überflüssig. Du glaubtest, uns etwas mitzuteilen, wovon wir keine Ahnung haben. Du eröffnest uns, daß Euer Gesetz uns die Möglichkeit biete, uns durch einen siegreichen Kampf von Euch zu befreien. Hierbei sagt uns der Blick Deines Auges, daß Du einen Sieg von unserer Seite für ausgeschlossen hältst - - -«

Da fiel sie mir in die Rede:

»Daß Ihr auf alle Fälle gegen uns unterliegen würdet, das kannst Du doch nicht leugnen!«

»Unterliegen?« fragte ich, indem ich auf den gefesselten Zauberpriester deutete. »Nennst Du das unterliegen? Du zeigst uns den Kampf, durch den wir uns von Euch befreien können, als eine entfernte Möglichkeit, um die wir Euch wohl gar zu |38A bitten haben. Siehst Du wirklich die Größe der Täuschung nicht, in der Du Dich befindest? Dieser Kampf ist nicht mehr bloß möglich, sondern er ist bereits zur Wirklichkeit geworden. Er liegt nicht mehr in der Ferne, sondern er ist schon hier; wir stehen mitten drin. Und der Sieg hat bisher nur auf unserer, nicht aber auf Eurer Seite gelegen!«

Wäre ihr Gesicht nicht vollständig behaart gewesen, so hätte ich wohl das tiefste Erstaunen gesehen, das sich nur durch einen langsamen, schweren Atemzug verraten konnte.

»Das klingt so seltsam, und doch hast Du recht,« gab sie zu. »Ihr seid noch frei und habt schon zwei Gefangene von uns.«

»Und was für Gefangene! Bedenke das!« warnte ich sie. »Der Scheik vertritt bei Euch die weltliche und der Sahahr die geistliche Gewalt. Diese beiden Gewalten befinden sich augenblicklich in unserer Macht. Nicht Ihr, sondern wir sind jetzt Herren über Wohl und Wehe, über Leben und Tod. Siehst Du das ein?«

Sie drehte sich nach ihren Leuten um und fragte:

»Hört Ihr es?«

Man antwortete ihr mit einem unbestimmten Murmeln und Brummen, dessen Bedeutung sie aber wohl verstand, denn sie wendete sich mir wieder zu und sprach:

»Ihr scheint ganz andere Menschen zu sein als wir. Wir verstehen Euch nicht, und doch zwingt Ihr uns, Euch zu begreifen! Wo ist der Scheik?«

»An einem Orte, wo ich ihn sicher habe.«

»Gebunden und gefesselt?«

»Ja.«

»Womit?«

»Mit seinem Worte.«

Da machte sie eine Bewegung der Überraschung und fragte:

»Du hast ihm Vertrauen geschenkt?«

»Ja. Erst war er gefesselt, so daß er sich nicht rühren konnte. Ich wollte ihn sogar noch knebeln. Da versprach er mir, an der Stelle zu bleiben, selbst wenn alle seine Ussul kämen, um ihn wegzuholen. ich band ihn los.«

»So hast Du ihm geglaubt?«

»Warum sollte ich es nicht?«

»Er könnte den Ort sofort verlassen, wenn er sein Wort brechen wollte?«

»Ja.«

Da wendete sie sich wieder nach ihren Leuten um:

»Habt Ihr es gehört? Dieser Fremdling liebt die Wahrheit ebenso wie wir. Er hat dem Worte Eures Scheiks geglaubt. Ist das die Gesinnung eines Knechtes, eines Sklaven?«

»Nein!« antworteten die fünf in der Nähe Stehenden, und »Nein, nein, nein!« antworteten auch die anderen.

»Das tun nur freie Männer!« fuhr sie fort.

»Nur freie Männer!« erklang es hinter ihr im Chor.

»Diese beiden Fremden sind es also wert, daß wir ihren Widerstand als Kampf betrachten, sich von uns zu befreien!«

»Sie sind es wert, sie sind es wert!« stimmten alle ohne Ausnahme ihr bei.

Dann fuhr sie, sich uns wieder zuwendend, fort:

»Ich bitte Dich, Emir, mich zu meinem Manne, unserem Scheik, zu führen. Bist Du bereit dazu?«

»Sehr gern. Doch muß ich fragen, was Du bei ihm willst!«

»Ich will mit ihm beraten über Euch.«

»Wer noch?«

»Weiter niemand als der Sahahr.«

»So müßte ich ihn hierzu freigeben?«

»Ja. Ich bitte Dich darum!«

»Weißt Du, was Du da von mir verlangst?«

»Ich weiß es. Du sollst Dich der Vorteile begeben, die Du über uns errungen hast. Aber nur einstweilen.«

»Wirklich?«

»Wirklich! Du bindest den Sahahr hier los, damit er mit uns gehen kann. Wenn ich beim Scheik keinen Frieden erreiche, führe ich Euch in dieses Boot zurück, wo der Sahahr genau so wieder gefesselt wird, wie er hier vor uns liegt. Glaubst Du, daß dies geschieht?«

|38B »Ich glaube Dir. Aber es gehen nur vier Personen zum Scheik, nämlich Du, Euer Zauberpriester und ich mit meinem Begleiter?«

»Ja.«

»Die andern Ussul bleiben hier zurück, um auf unsere Wiederkehr zu warten?«

»Ja.«

»So gebe ich ihn frei. Wir können gehen.«

Ich löste den Sahahr aus den Umschlingungen des Lasso, den ich mir wieder um die Schultern warf, und sprang mit ihm aus dem Boot an das Ufer. Halef folgte, trat vor Taldscha hin und sagte, auf die wunderbar gearbeitete Ledertasche deutend, die an ihrem Gürtel hing:

»Du hast in diesem Sack mein Eigentum. Wann bekomme ich es wieder?«

»Wenn beschlossen worden ist, daß es Dir wieder gehört.«

»Das muß aber sicher sein! Ausreden dulde ich nicht! Und betrügen lasse ich mich auch nicht!«

»Ausreden? Betrügen?« fragte sie verwundert. »Taldscha, die Herrin der Ussul, kennt weder Ausrede noch Betrug! Nimm hin, was Dir jetzt noch gar nicht wiedergehört! Daß Kara Ben Nemsi ein Emir ist, das glaube ich, denn er hat sich als Emir betragen. Aber daß Hadschi Halef Omar ein Scheik ist, das muß ich nun bezweifeln, bis er mir Beweise gibt, denen ich besser glauben kann als seinen Worten!«

Er nahm sein Eigentum zurück, ohne die Größe des Vorwurfes, den sie gegen ihn erhob, völlig zu ermessen. Er fühlte zwar, daß sie unzufrieden mit ihm war, machte sich aber nichts daraus. Wie schwer er da gefehlt hatte, ahnte er gar nicht.

»Können wir gehen? Oder ist es so weit, daß wir reiten müssen?« erkundigte sich die Frau.

»Es ist zwar nicht sehr nahe, doch bitte ich, daß wir gehen,« antwortete ich, denn es lag mir daran, den Weg zu der Stelle, an der sich Amihn befand, gehörig auszunützen, um die Seele seines Weibes kennen zu lernen.

|39A Wir brachen unverweilt auf. Ich hielt mich zu Taldscha, Halef zu dem Zauberpriester. Die andern folgten uns nur bis an das Lager. Da blieben sie alle zurück, ohne daß Taldscha es ihnen befahl, und keiner machte Miene, uns zu folgen.

Wir hielten uns genau auf derselben Fährte, die mich hergeführt hatte. Sie wurde von Taldscha und dem Sahahr zwar beachtet, aber nur so nebenbei und keineswegs in der eingehenden Weise, wie es bei den Indianern oder Beduinen geschieht. Ich glaubte daraus schließen zu dürfen, daß die Ussul nicht von so großen Gefahren bedroht seien, wie die Völker der Wüsten und Savannen.

Halef ging mit dem Zauberer hinter uns. Ihr Gespräch kam so rasch in Guß und Fluß, daß sie auf gar nichts anderes achteten. Sie hielten von Zeit zu Zeit ihre Schritte an, wie man es bei interessanten Stellen der Unterhaltung zu tun pflegt, und blieben darum immer weiter und weiter zurück. Es ging dem Hadschi hier wie überall und immer: er nahm die Menschen sehr schnell für sich ein. Wir beiden andern aber gingen ernst, ganz still auf den Spuren hin. Da bemerkte ich zum erstenmal den feinen, unerklärlichen Duft, der von Taldscha ausging. Es war Blumenduft, aber von welcher Blumenart, das konnte ich trotz alles Nachdenkens nicht entdecken, nicht unterscheiden. Ein uraltes, orientalisches Märchen sagt, daß die Schwingen der Engel aus Blumenduft gebildet seien und daß die menschliche Seele nur im Blumenduft ihren Körper verlassen und zu ihm wiederkehren könne. Und indem ich an dieses Märchen dachte, mußte ich mich an Sitara erinnern und an das Tal der Sternenblumen, durch welches ich an der Seite von Marah Durimeh so oft gegangen war. Als ich mich an dem unendlich lieben, reinen, keuschen Duft dieser Blumen entzückte, hatte meine alte Freundin und Beschützerin gesagt: »Es gibt unendlich wenig Seelen, die es verstehen, diesen Duft im Körper festzuhalten. Wenn Du einen solchen Körper triffst, mag er noch so häßlich sein, so traue seiner Seele, denn sie stammt aus dem Licht, nicht aus der Finsternis und wird Dich niemals täuschen!« Und nun fiel es mir mit einem Male ein, daß dieser Duft, der die Frau des Scheiks umfloß, der Duft der Sternenblumen war, und es kam ein wohltuendes Gefühl der Freude, des Vertrauens und der Sicherheit über mich.

Daß diese Frau eigentlich kein Gesicht und daher auch keine Gesichtszüge hatte, das machte sie zur Sphinx, zum Rätsel, welches man nur lösen kann, wenn man es geistig betrachtet. Der Ausdruck dieses Gesichtes lag im Verborgenen, von der goldig seidenen Flut ihres Haares umhüllt. Man konnte nicht mit ihr sprechen wie mit andern Menschen, deren Züge zu sehen sind und deren innere Regungen durch sie ausgesprochen werden. Die Stimme, die man hörte, war nicht vom Spiel der Mienen begleitet. Man sah die Worte nicht auf dem Gesicht; man |39B mußte sie sich deuten. Das lieh ihnen etwas Fremdes, Unbegreifliches, etwas Undurchdringliches und Mystisches. Hierzu kam die ungewöhnliche Art und Weise, wie Taldscha sprach. Es gab bei ihr keine Neugierde, keine Spur von Sucht, Gewöhnliches zu erfahren. Und man hörte jedem einzelnen ihrer Worte an, daß es wohlüberlegt worden war. Sie erkundigte sich nach dem Abendlande und gestand, daß dies das Land ihrer Sehnsucht sei. Sie hatte viel Böses und viel Seltsames von ihm gehört, glaubte aber nicht an diese Berichte. Sie äußerte sich hierüber:

»Wäre alles wahr, was man mir über Euch berichtet hat, so beständen Eure Völker nur aus Dieben, Lügnern, Betrügern und bösen Zauberern, von denen man sich in acht zu nehmen hat. Gäbe es solche Völker, so gäbe es keinen Gott! Und ich sehe ja Dich, der Du ehrlich bist und uns nicht belogen und betrogen hast, obwohl Du Veranlassung dazu hattest. Ich freue mich, daß ich nun endlich die Wahrheit über jene fernen Länder hören kann, und es werden schöne Abende werden, an denen wir rund um das große Feuer sitzen und Deinen Berichten lauschen.«

»Wie Dir mit uns, so ergeht es mir mit Euch,« antwortete ich. »Man hat mir so viel Unglaubliches und Fabelhaftes über Euch erzählt, daß ich mich unbedingt vor Euch fürchten müßte, wenn es mir überhaupt möglich wäre, Angst vor Menschen zu haben. Und nun sehe ich Dich! Du bist das helle, klare Gegenteil von dem, was ich erfuhr!«

»Und ich Dich!« gab sie mir mit einem kurzen, schalkhaften Lachen zurück. »Ihr wurdet bei uns, und wir wurden bei Euch verleumdet. Und nun wir so nahe beieinander stehen, ergibt es sich, daß wir uns erlauben dürfen, einander zu achten. So soll es sein, so weit die Erde reicht; das ist Gesetz! Wo Völker und Menschen sich nähern, soll es nie im Haß, sondern nur in Liebe geschehen. Gott will es so! Du kennst doch Gott?«

»Ja. Ich bin Christ.«

»Christ? Also Heide!«

»Heide?« fragte ich.

»Ja. Die Christen sind doch Heiden!«

»Wieso?«

»Weil jeder Mensch, der sich nicht zu unserer Religion bekennt, ein Heide ist.«

»So sagen wir auch, indem wir jeden, der nicht an den Gott der Christen glaubt, als Heiden bezeichnen.«

»Das ist wohl recht und billig. Ihr haltet Eure Religion ebenso für richtig, wie wir die unserige. Ihr habt also genau dasselbe Recht, uns Heiden zu nennen, wie wir Euch.«

»So erlaube mir, Dich nach dem Glauben zu fragen, wie Du mich nach dem unsern gefragt hast!«

»Nach unserm Glauben? Wir haben keinen!«

»Unmöglich!«

|40A »O doch! Wir haben Gott. Wozu brauchen wir da noch einen eigenen Glauben an ihn? Wir glauben nicht an ihn, sondern wir haben ihn. Wenn Dein Vater noch lebt, wenn er wirklich und persönlich bei Dir wohnt, so glaubst Du doch nicht nur, daß Du einen Vater habest, sondern Du weißt es so genau, daß das Wort Glaube völlig ausgeschlossen ist. Die Ussul haben eine Religion, aber keinen Glauben! Sie haben Gott! Das ist das Höchste, was es gibt. Das geht noch über jede Art des Glaubens!«

Das klang so sonderbar, so stolz, so felsenfest und unerschütterlich! Es konnte mir nicht einfallen, mich jetzt, heut, da wir uns noch gar nicht kannten, in einen religiösen Streit mit ihr einzulassen. Wer Frauen überzeugen will, der hat sich an ihr Herz und an die Logik der Tatsachen zu wenden und sich zu hüten, irgend etwas zu verletzen, was ihnen heilig ist. Darum hob ich mir das, was ich jetzt von ihr gehört hatte, zur späteren Beantwortung auf und sorgte dafür, daß unser Gespräch diesen doch immerhin heiklen Gegenstand nicht wieder berührte.

Endlich sah ich die Stelle vor mir liegen, wo ich unsere Pferde angepflockt hatte. Ich führte Taldscha nicht dorthin, sondern nach links, durch das Gebüsch und zu dem Stamm, an dem der Scheik noch ganz genau so saß, wie ich ihn verlassen hatte. Sie blieb hoch aufgerichtet vor ihm stehen und fragte:

»Du bist Gefangener?«

»Ja,« antwortete er, ohne einen Versuch zu machen, aufzustehen.

»Wie ist das möglich?«

»Er überlistete mich.«

»Weißt Du, was das heißt?«

Der Ton, in dem sie das sagte, klang vorwurfsvoll. Er senkte die Augen. Ich hatte den Eindruck, als ob er hierbei errötete, konnte es aber wegen der Gesichtsbehaarung nicht sehen. Dann hob er den Blick wieder zu ihr empor und antwortete in geradezu rührender Wahrheitsliebe:

»Das heißt, daß er klüger und vorsichtiger gewesen ist als ich. Verzeihe mir; Du hast auch diesmal recht!«

Und sich nun an mich wendend, fuhr er fort:

»Sie warnt mich nämlich immer, doch ich gehorche nicht. Ich verlasse mich auf meine Fäuste, sie aber behauptet, daß das kleinste Stückchen Geist viel stärker und viel mächtiger sei als ein meilenlanger und bergeshoher Körper. Ich weiß zwar sehr genau, daß dies richtig ist, aber wenn dann der Augenblick erscheint, an dem ich glaube, meinen Geist zu zeigen, dann bringe ich nichts fertig als nur Knabenstreiche. Du hast es ja gesehen!«

»Du scheinst während meiner Abwesenheit nachgedacht zu haben?« antwortete ich.

»Allerdings! Und was ich da gefunden habe, sieht nicht so aus, als ob ich darauf stolz sein könne. Ich bekam Angst. Du scheinst ganz so einer zu sein, wie meine Frau wünscht, daß ich werden soll. So ein kleines Stückchen Geist! Verstehst Du mich? Als Du mich verlassen hattest, fragte ich mich, was daraus werden könne, wenn dieser Geist jetzt plötzlich in meine guten, ahnungslosen Ussul fahren würde - - -«

»Das hat er auch getan,« unterbrach sie ihn, »und Du kannst nur froh sein, daß es nicht ein böser, sondern ein guter Geist gewesen ist, den er mit sich brachte. Er kam auf Deinem Pferde wie ein Sturmwind dahergebraust, an dem Lager vorüber und gerade in den See hinein, wo der Sahahr mit zwei Männern im Boote saß, um den Gefangenen, den wir gemacht hatten, nach der Insel zu bringen. Er schwamm auf dem Pferde zum Boote hin, warf den Sahahr heraus, stieg selbst hinein, schnitt die Fesseln des Gefangenen durch und trieb dann auch die Ruderer in das Wasser. Dann kam er nach dem Ufer und nahm den Zauberpriester mit dem Riemen gefangen, um uns zu zeigen, auf welche Weise er Dich überwältigt hat. Was konnten wir nun tun, nachdem er erst den weltlichen und dann auch noch den geistlichen Anführer der Ussul in seine Gewalt gebracht hatte? Ihn etwa töten?«

»Ja! Das dachte ich!« antwortete er.

»Niemals! Man tötet nur Ungeziefer, nicht aber ehrliche Menschen!«

|40B »Aber wenn er tot war, brauchte ich mein Wort nicht mehr zu halten! Ich hätte diese Stelle verlassen und zu Euch zurückkehren können!«

»Er hätte sich gewehrt. Wenigstens der Sahahr wäre verloren gewesen.«

»Aber bedenke: Du hattest neunzehn Jäger bei Dir! Riesenstarke Männer mit Spießen, Messern und Pfeilen!«

»Neunzehn Männer mit Spießen, Messern und Pfeilen!« fiel ich da lächelnd ein, indem ich den Henrystutzen in die Hand nahm. »Schau diese kleine, dünne Flinte! Sie ist mehr wert als alle Eure Lanzen, Pfeile und sonstigen Waffen. Hast Du den Quittenbaum gesehen, an dem wir unweit von hier vorübergekommen sind? Steh auf, und folge mir! Ich will Euch etwas zeigen.«

»Ich darf aufstehen?« fragte er.

»Ja,« nickte ich.

»Bin also nicht mehr gefangen?«

»Doch! Ich gebe Dich erst dann frei, wenn Du mein Freund geworden bist.«

»Gut! Du bringst mich wieder hierher, sobald Du willst.«

Ich schritt voran, und die beiden kamen hinterdrein. Wir gingen bis an die Stelle zurück, wo die Quitte stand. Das war ganz in der Nähe der Hauptrichtung, aus der wir links eingebogen waren. Grad als wir den Baum erreichten, der ganz voll von noch sehr kleinen, flaumigen, silbern schimmernden Früchten hing, kamen Halef und der Sahahr daher. Sie befanden sich in einer sehr lebhaften Unterhaltung und schienen sich unterwegs ganz leidlich einander angefreundet zu haben. Der gute Verlauf unsers bisherigen Abenteuers stand für mich fest. Ich deutete auf einen Außenzweig der Quitte und fragte den Scheik:

»Wieviel Quitten trägt dieser Zweig?«

»Zusammen zwölf,« antwortete er, nachdem er gezählt hatte.

»Ich will Dir zeigen, was aus Deinen Jägern geworden wäre, wenn sie es gewagt hätten, sich an mir oder meinem Hadschi zu vergreifen. Ich werde nur sechs von diesen Früchten herabschießen, dann aber auch den ganzen Zweig mit den sechs übrigen.«

Ich entfernte mich, um eine möglichst imponierende Distanz zu nehmen. Diese Pause benutzte Halef, der die Situation sofort begriff, um die Sache möglichst wichtig aufzubauschen. Er rief aus:

»Es kommt ein Meisterstück, ein ungeheures Meisterstück! Sechs Quitten, eine nach der anderen! Und dann der ganze Zweig! Und zwar ohne auch nur ein einzigesmal zu laden! Mit diesem Zaubergewehr kann man nämlich, wenn man es zu behandeln versteht, in alle Ewigkeit weiterschießen, ohne laden zu müssen! Ihr werdet Eure Wunder sehen; ich sage Euch, Eure Wunder!«

Als ich mich in der gewünschten Entfernung befand, drehte ich mich um und legte das Gewehr an.

»Jetzt, jetzt!« schrie Halef. »Es beginnt!«

Ich zielte sehr genau, denn wenn ich die beabsichtigte Wirkung erreichen wollte, durfte es keinen Fehlschuß geben. Es gelang. Sechs Schüsse schnell hintereinander für die Früchte, und dann noch zwei, um den Zweig herabzubrechen, denn mit nur einem der kleinen Projektile gab es keine Garantie. Als ich den Zweig fallen sah, setzte ich das Gewehr ab. Halef jubilierte in seiner lauten Art und Weise. Die drei Ussul standen ganz erstaunt. Sie fanden keine Worte. Aber es sollte noch weit besser kommen. Die Schüsse hatten einen Raubvogel aufgescheucht, der höchst wahrscheinlich beim Fraß gesessen hatte, und zwar so in der Nähe von uns, daß wir seine Stimme noch eher hörten, als wir ihn sahen. Er stieg, weit ausholend, in die Höhe, und zwar nicht etwa in schräger Richtung uns entfliehend, sondern in einer erst weiten und dann immer enger werdenden Schneckenlinie, beständig über uns bleibend.

»Ein Nisr el Afrit!« rief der Scheik, für den Augenblick meine Schüsse ganz vergessend.

»Ein Nisr el Afrit!« rief auch der Zauberpriester, und der Ton, in dem dies geschah, sagte deutlich, daß dieser Vogel hier zu den seltensten und wertvollsten Jagdbeuten gehört.

|41A »Ein Nisr el Afrit!« rief ebenso die Scheikin, indem sie die Arme verlangend emporstreckte. »Wenn man die Steuerfedern hätte, die Steuerfedern nur!«

»Willst Du sie haben?« fragte ich, indem ich den Stutzen wegwarf und nach dem weit- und hochtragenden Bärentöter griff.

Sie sah mich verwundert an und antwortete nicht. Halef rief ihr zu:

»Sag ja, sag ja! Dann holt er ihn Dir herab!«

Ich hob das Gewehr empor und zielte. Der Schuß krachte. Der Vogel zuckte zusammen, als ob er über den lauten Knall erschrocken sei. Aber es war die Kugel, unter der er zusammenzuckte. Der Körper hing einen Augenblick vollständig unbeweglich in der Luft; dann begannen die Schwingen konvulsivisch zu schlagen. Der Körper drehte sich um sich selbst und fing an zu sinken, erst langsam, dann schnell und immer schneller. Den einen Flügel fest an den Leib gezogen, den andern weit ausgestreckt, kam das Tier, zu Tode getroffen, zur Erde nieder, und zwar gar nicht sehr weit von uns, auf dem von Bäumen freien, schmalen Strich, auf dem das Wettrennen zwischen dem Scheik und mir stattgefunden hatte. Halef rannte spornstreichs hin, um ihn zu holen, und der Zauberer vergaß seine priesterliche Würde so ganz und gar, daß er ihm nacheilte, um ihm tragen zu helfen. Als sie den Adler brachten, sah ich, daß es ein außerordentlich schönes und großes Weibchen war, hellbraungolden, mit reinem, fleckenlosen Flügelspiel, die Länge einen ganzen Meter, die Breite aber weit über zwei Meter betragend. Ich trug ihn zur Frau des Scheiks, legte ihn vor ihr hin, breitete die Schwingen und Steuerfedern aus, die bei den Ussul sehr hoch im Werte stehen, und sagte:

»Du hast diese Federn gewünscht. Ich bitte Dich, sie von mir anzunehmen!«

»Du willst sie mir schenken?« fragte sie.

»Ja, wenn Du es mir erlaubst.«

»Kennst Du ihren Wert?«

»Sie haben nur dann einen Wert für mich, wenn sie Dir Freude machen.«

»Sie werden hier in Ardistan als Zeichen hoher Würde getragen und sind bei uns von großer Seltenheit, weil unsere Kugeln und Pfeile nicht den Adler in den Lüften zu ereilen vermögen. So reiche Geschenke darf man nur von einem Freunde annehmen, nicht aber von einem Fremden, den man zum Knecht und Sklaven machen will. Ich bitte Dich, mir Deine Gewehre zu zeigen!«

Ich gab ihr erst die Doppelbüchse, deren Schwere sie zu überraschen schien, denn sie reichte sie dem Scheik mit den Worten hin:

»Diese Fremden sind stärker als man denkt. Es ist gewiß nicht leicht, mit solchen Gewehren zu schießen.«

»Ich habe diese Flinte schon in der Hand gehabt,« antwortete er. »Aber ich ahnte nicht, daß sie ihre Kugeln nach so außerordentlichen Höhen sendet.«

Dann griff sie nach dem Stutzen. Sie betrachtete ihn genau, wendete ihn hin und her, hielt ihn an das Ohr, schüttelte ihn, um vielleicht etwas zu hören, und sagte dann:

»Das ist allerdings ein richtiges und wirkliches Zaubergewehr, denn so sehr man sich auch Mühe gibt, kann man doch unmöglich entdecken, wie es möglich ist, mit ihm immerfort zu schießen, ohne zu laden. Zu einem solchen Gewehr gehört aber auch ein Schütze wie Du!«

So sagte sie zu mir. Zum Scheik aber sprach sie:

»Ich bin überzeugt, daß dieser Emir Kara Ben Nemsi Effendi imstande ist, Dich und Deine neunzehn Ussul in Zeit von zwei Minuten zu erschießen. Du nicht auch?«

»In Zeit von nicht zwei, sondern nur einer!« warf Halef ein.

Der Scheik kratzte sich den Untergrund seines Bartes und antwortete:

»Daran ist fast kein Zweifel. Hoffentlich aber tut er es nicht! Und da habe ich einen großen, schönen, köstlichen Gedanken. Darf ich ihn Dir sagen?«

»Sprich!« forderte sie ihn auf.

»Solche Gewehre und so einen Schützen müßte man auf der Jagd haben!«

Sie nickte.

|41B »Und im Kampfe gegen die Tschoban!«

»Grad jetzt!« fiel da der Zauberer ein. »Wir wissen ja, daß sie sich rüsten, uns zu überfallen.«

Um mich zu unterrichten, fügte Taldscha in erklärendem Ton hinzu:

»Wir schicken alle unsere Leute auf die Jagd, um Mundvorrat für diesen Kampf zu sammeln, der lange währen kann und stets sehr blutig ist.«

»Wer sind diese Tschoban?« erkundigte ich mich.

»Ein wildes Reitervolk, welches draußen auf der Steppe und in der Wüste lebt. Die Tschoban züchten Pferde, Kamele, Rinder und Schafe. Sie haben keine bleibende Stätte. Sie sind Nomaden; sie beten einen Gott an, den sie Allah nennen, und sie haben die Blutrache. Immer, wenn ein böses, hungriges Jahr ihre Herden weggefressen hat, fallen sie bei uns ein, um uns die unserigen wegzunehmen. Wir erwarten für nächste Zeit einen derartigen Einbruch in unser Gebiet und nun machen wir Fleisch, um uns für die Belagerungen vorzubereiten, die wir auszuhalten haben werden.«

»Belagerungen?« fragte ich. »Kämpft Ihr nicht auf offenem Felde?«

»Nein. Dazu sind sie zu zahlreich, und wir haben vor allen Dingen unsere Tiere zu schützen. Wir ziehen uns mit ihnen hinter das Wasser zurück und lassen uns da von den Tschoban belagern. Wer es am längsten aushält, der hat gesiegt. Deine Gewehre tragen außerordentlich weit. Ob sie verzaubert sind, darüber frage ich Dich noch. Von höchstem Werte ist es, daß Du so genau zu treffen verstehst.«

Bei diesen Worten bückte sie sich, hob den herabgeschossenen Quittenzweig von der Erde auf, betrachtete ihn genau und fragte mich dann:

»Würdest Du uns gegen diese Feinde beistehen, Emir?«

»Beistand zu leisten, ist man nur Freunden schuldig,« antwortete ich.

»Du bist doch unser Freund!«

»Noch nicht!«

»O doch!«

»Beweise es!«

»Ich habe es beschlossen!«

Sie sagte das in sehr bestimmtem Tone und sah dabei den Scheik und den Zauberer an. Der Erstere beeilte sich, mir zu erklären:

»Ja, wenn sie es beschlossen hat, so kann es nicht anders sein. Ich stimme bei.«

Und der Letztere sagte zu mir:

»Wenn unsere Scheikin beschließt, ist keine Beratung nötig. Sie trifft stets das Richtige. Ich gebe ihr meine Zustimmung gern. Wenn es Dir recht ist, Emir, kannst Du schon morgen, wenn wir nach unserer Stadt zurückgekehrt sind, Ussul werden. Das ist eine heilige Zeremonie, die ich als Priester vorzunehmen habe, nachdem Du vorher bewiesen hast, daß Du es wert bist, ein Ussul zu sein.«

»Wie habe ich das zu beweisen?«

»Durch den Kampf mit einem unserer Leute. Besiegt er Dich, so kannst Du nicht aufgenommen werden.«

»Und besiege ich ihn, so trete ich wohl an seine Stelle und er wird ausgestoßen?«

Diese Frage verwirrte ihn. Es dauerte eine kleine Weile, bevor er die Antwort gab:

»Nein. Das kannst Du nicht verlangen. Es geschieht dem größten Helden, daß ein Zufall ihn besiegt. Das ist eben Zufall, keine Schande. Warum ihn also ausstoßen?«

»Wir kämpfen, Sihdi, wir kämpfen!« rief Halef begeistert aus. »Wer wird mein Gegner sein?«

»Du hast das Recht, ihn Dir zu wählen,« unterrichtete ihn der Zauberer.

»So wähle ich Dich,« sagte der kleine Hadschi, indem er ihm eine sehr tiefe, höfliche Verbeugung machte.

»Mich - - -? Warum grad mich - - -?«

Er dehnte diese Frage sehr lang und unlustig heraus. Es schien ihm gar keine große Freude zu machen, daß Halef seine Wahl auf ihn gelenkt hatte.

|42A »Weil Du mir gefällst,« antwortete dieser. »Weil ich Dich liebgewonnen habe. Und auch darum, weil ich noch nie Gelegenheit hatte, mit einem Sahahr zu kämpfen. Es wird die Größe meines Ruhmes vermehren, wenn ich daheim erzählen kann. daß ich Dich im Kampfe überwunden und getötet habe.«

»Getötet? Du tötest auch in einem solchen Probekampfe?«

»Natürlich! Der Sieg ist doch nur dann vollständig errungen, wenn der Gegner tot am Boden liegt. Wer hat die Waffen zu bestimmen?«

»Der Fremde, der aufgenommen werden soll.«

»Also ich? Gut, so schießen wir uns!«

»Schießen?« fuhr der Zauberpriester auf. »Das wäre ja mein sicherer Tod, obgleich ich gegen Dich ein Riese bin!«

»Das ist es ja eben, was ich will!« lachte Halef. »Riesen totzuschießen, ist mir eine wahre Wonne! Nur um ihnen zu zeigen, daß es nicht auf den Körper ankommt. Was für Waffen wählst Du denn, Effendi?«

»Dieselben,« antwortete ich, auf seine heitere Absicht eingehend.

»Und mit wem wirst Du kämpfen?«

»Mit dem Scheik.«

Da rief dieser erschrocken aus:

»Mit mir? Warum grad mit mir?«

»Weil Du mir gefällst; weil ich Dich liebgewonnen habe. Du hörst, daß ich ganz genau dieselben Gründe habe wie mein Hadschi Halef. Er ist Scheik, und ich bin Emir. Wir können ganz unmöglich mit gewöhnlichen Kriegern kämpfen. Darum wählen wir Euch, und wir sind überzeugt, daß Ihr diese unsere Wahl als das betrachtet, was sie ist, nämlich als eine Ehre für Euch beide!«

Das sagte ich zum Scheik. Mich von ihm an seine Frau wendend, fügte ich hinzu:

»Also, wir sind bereit, Ussul zu werden. Dies kann, wie ich gehört habe, erst morgen geschehen. Was sind wir bis dahin? Freunde oder Feinde?«

»Freunde,« antwortete sie. »Du kannst den Scheik und den Sahahr getrost aus ihrer Gefangenschaft entlassen. Ihr seid frei.«

»Nur für jetzt oder für immer?«

»Für immer. Hier meine Hand darauf!«

Sie reichte mir ihre Hand, die ich freundschaftlich drückte. Auch die beiden Männer gaben mir ihre Hände, ebenso dem Hadschi. Taldscha aber tat das letztere nicht. Sie schaute über Halef hinweg, als ob er für sie nicht vorhanden wäre. Er hatte es verdient, obgleich er als Moslem keine Übung besaß, mit Frauen zu verkehren.

Nun der Scheik sich frei wußte, drängte er, nach dem Lager zurückzukehren. Er nahm den Adler auf, um ihn zu tragen. Seine Frau behielt den Quittenzweig, um ihn ihren Kriegern vorzuzeigen. Wir gingen zu unsern Pferden, die wir genau so fanden, wie ich sie verlassen hatte. Als sie aufsprangen, stieß Taldscha einen Ruf der Verwunderung aus. Sie besaß ein besseres Auge als der Scheik.

»Was für schöne, herrliche Tiere!« rief sie, die Hände vor Freude zusammenschlagend. »Viel kleiner als die unsern! Aber unendlich herzig, anmutig und wohlgestaltet! Man muß sie küssen!«

Sie umschlang den Hals Ben Rihs und küßte ihn auf die Stirn. Er ließ sich dies gefallen, ohne sich zu regen. Aber als sie es auch bei Syrr tat, öffnete dieser die Nüstern weit, sog den Duft ihrer Atmosphäre ein und ließ dann ein frohes Wiehern hören, so zart, gedämpft und eigenartig, wie ich es noch nie von ihm gehört hatte. Da trat sie rasch zwei oder drei Schritte von ihm zurück, sah mich seltsam prüfend an und fragte:

»Effendi, knistern die Haare dieses Pferdes?«

»Ja,« antwortete ich.

»Immer?«

»Nein, sondern nur, wenn ich selbst sie kämme und streiche.«

»Wie heißt dieses Pferd?«

»Syrr.«

»Syrr? Also Geheimnis, Rätsel! Als ich seinen Hals berührte, fühlte ich etwas durch meine Hände gehen. Das war |42B genau dasselbe Gefühl wie damals, als mir der Mann, der aus Sitara kam, seine Hände reichte.«

»Was ist Sitara?« fragte ich, indem ich so tat, als ob ich es nicht wüßte.

»Ein Land in weiter Ferne, von dem man hier fast nur den Namen kennt, weiter nichts. Darf ich einmal versuchen?«

Sie deutete auf Syrr. Ich wußte zwar nicht, was sie meinte, antwortete aber mit einem zustimmenden Nicken. Da trat sie wieder an das Pferd heran und begann, seine Mähne zu streichen. Sie horchte und winkte mir dann, näher zu kommen. Ich tat es und horchte mit. Ich vernahm jenes charakteristische, elektrische Knacken und Knistern, das ich im letzten Bande von >Im Reiche des silbernen Löwen< ausführlich beschrieben habe.

»Hörst Du es?« fragte sie.

»Ja. Wenn es nachts und dunkel wäre, würdest Du es sogar sehen.«

»Kleine, helle Funken, bläulich gelb, die zwischen Haar und Hand herüber- und hinüberspringen. Nicht wahr, Emir?« antwortete sie.

»Du kennst es also schon?«

»Ja.«

»Woher?«

»Von Aacht und Uucht.«

Aacht und Uucht heißt Bruder und Schwester. Sie sah mir an, daß ich zu wissen begehrte, was für ein Geschwisterpaar das sei, und erklärte mir also:

»Aacht und Uucht sind zwei Hunde, wie es ganz gewiß keine mehr gibt. Die Ussul sind berühmt durch die Größe, Schönheit und Stärke ihrer Bärenhunde, die sie ziehen. Wir schickten vor einigen Jahren dem 'Mir von Dschinnistan ein Paar. Solch ein Verkehr mit ihm ist hier in Ardistan verboten; aber er hatte uns eine große Liebe erwiesen, für die wir ihm durch diese Gabe danken wollten. Das mußte natürlich heimlich geschehen. Ebenso heimlich kam dann später ein fremder Mann zu uns, der aus Sitara stammte und im Begriff stand, dorthin zurückzukehren. Er war beim 'Mir von Dschinnistan gewesen und brachte dessen Gegengabe, auch zwei Hunde, schöner und schneller und klüger noch als die unserigen, aber nicht so stark. Der Mann aus Sitara war derselbe, von dem ich soeben sprach. Er teilte uns die Bedingungen mit, die der 'Mir von Dschinnistan an seine Gabe knüpfte. Sie war seltsam. Nämlich die Nachkommen einer Kreuzung seiner und unserer Rasse sollen alle uns gehören, ein einziges Paar ausgenommen, Bruder und Schwester, die einem Gaste auszuhändigen seien, der mit einem verborgenen Schilde auf der Brust zu uns kommen und uns von großem Nutzen sein werde. Dieses Paar wurde geboren und Aacht und Uucht genannt. Ich behaupte, daß es keine schöneren, stärkeren, klügeren und schnelleren Hunde gibt, als diese beiden. Und sonderbarer Weise sehe und höre ich kleine Funken knistern, wenn ich sie liebkose, ganz genau wie bei Syrr, Deinem Pferde. Sitzt auf! Wir kehren nach dem Lager zurück.«

»Ich reite mit!« sagte der Scheik. »Ich setze mich auf das Pferd Deines Begleiters.«

Er ging zu Ben Rih und griff nach seinem Zügel. Halef wollte sich das nicht gefallen lassen; ich gab ihm aber einen heimlichen Wink, Amihn nicht zu beleidigen. Er gehorchte mir, doch nur scheinbar, denn ich sah, daß er seinem Pferde jenes andressierte Zeichen gab, von dem ich bei früheren Gelegenheiten wiederholt gesprochen habe. Ben Rih wußte sofort, was er zu tun hatte. Als der Scheik die Hand nach dem Sattel hob, warnte ihn Halef:

»Ich an Deiner Stelle würde nicht reiten, o Scheik!«

»Warum nicht?« fragte dieser.

»Dieses Pferd wirft jeden ab, der nicht darauf gehört.«

»Auch mich?« lachte der Ussul.

»Auch Dich!« nickte der Hadschi mit jenem Lächeln, das mir nur zu bekannt an ihm war.

»Das wollen wir doch versuchen! Wehe dem Rappen, wenn er glaubt, einen Mann wie mich herunterzubringen!«

Er schwang sich hinauf, oder vielmehr, er kletterte hinauf, wie er es bei seinem >Dicken< zu tun gewohnt war. Noch aber hatte er das rechte Bein nicht ganz hinüber, so tat das Pferd, steifbeinig wie ein Bock, einen Satz zur Seite, augenblicklich |43A hierauf einen zweiten nach vorn, und blieb dann stehen; der Reiter aber saß hinter ihm tief in den duftenden Blüten. Taldscha wollte sich beherrschen, um das Lachen zu verbergen; es gelang ihr nicht. Auch der Zauberer lachte. Ich dagegen blieb ernst und Halef ebenso. Daß der Riese von seiner Frau ausgelacht wurde, das war wohl kein allzu seltenes Ereignis; aber daß es in unserer Gegenwart geschah, das regte ihn auf und ärgerte ihn derart, daß er beschloß, die erlittene Niederlage augenblicklich wett zu machen. Er sprang also schnell wieder in die Höhe, faßte die Zügel des Rappen von neuem und hob den Fuß, um ihn in den Bügel zu setzen.

»Hüte Dich!« warnte der Hadschi.

»Schweig!« donnerte der Scheik. »Die Bestie muß gehorchen, sage ich Dir. Sie muß!«

Er glaubte, den Trick des Pferdes jetzt zu kennen und darum gegen ihn geschützt zu sein. Aber er sah nicht, daß Halef jetzt ein anderes Zeichen gab, und daß der Hengst sich also auch anders zu verhalten hatte. Der Scheik stieg sehr langsam im Bügel empor, um gleich wieder abspringen zu können, falls das Pferd mit seinem >Mätzchen< zu schnell beginnen würde. Als dies nicht geschah, warf er das rechte Bein schnell hinüber auf die andere Seite und faßte rasch den dortigen Bügel, um gleich fest zu sitzen und sich nicht bereits im Aufsteigen überraschen zu lassen. Das gelang ihm vollständig. Das Pferd |43B rührte sich nicht, selbst dann nicht, als er schon vollständig festen Sitz genommen hatte.

»Nun, kann ich es, oder kann ich es nicht?« triumphierte er.

»Du kannst es nicht!« behauptete Halef.

»Du siehst es aber doch, daß - - -«

Er konnte den Satz nicht aussprechen, als Ben Rih plötzlich ganz kerzengerade emporstieg, im Niedersenken zur Seite abbockte und dann die Hinterbeine so hoch in die Luft warf, daß der Scheik aus dem Sattel und über den Kopf des Pferdes zur Erde flog.

»- - - daß Du wieder herunter mußt!« vollendete Halef den angefangenen Satz des Scheik. »Ich werde Dir zeigen, wie man es machen muß, fest sitzen zu bleiben!«

Er schwang sich auf das Pferd, um dem Scheik jede Gelegenheit zu nehmen, sich wieder in den Sattel zu wünschen. Der Scheik sprang auf, im höchsten Grade darüber wütend, daß er sich abermals lächerlich gemacht hatte. Es fiel ihm gar nicht ein, den zweimal mißlungenen Versuch zu wiederholen.

»Dein Vieh ist verrückt!« rief er. »Kein Mensch kann es reiten!«

»Auch ich nicht?« fragte Halef.

»Auch Du nicht! Paß auf, wie schnell auch Du herunter mußt!«

Er ballte die gewaltigen Hände, holte aus und schmetterte sie dem Pferde derart zwischen die Augen, daß es klang, als |44A ob die Stirn zersplittere. Ben Rih stand einen Augenblick lang ganz bewegungslos; er war wie betäubt. Halef saß noch nicht fest.

»Um Gottes willen! Nimm Sitz und Zügel!« rief ich ihm zu. »Das Pferd bricht aus!«

Er raffte sich sofort zusammen, und zwar grad noch zur rechten Zeit. Ben Rih begann zu zittern und zu zucken. Er tat einen gewaltigen Satz nach vorn, einen nach rechts und einen nach links, warf sich dann weiter herum und jagte davon, als ob die Hölle hinter ihm sei, um ihn zu fangen.

»Pfui!« rief ich dem Scheik zu. »Ein so edles Tier mit der gemeinen Faust zu schlagen! Das war nicht recht von Dir! Das bringt Dir keine Ehre!«

Ich warf meine Gewehre über und schwang mich auf Syrr.

»Wo willst Du hin?« fragte Taldscha.

»Ihm nach! Wenn der Huf des Pferdes in einer dieser festen Schmetterlingsschlingen hängen bleibt, können beide die Hälse brechen!«

»Wann kommst Du zurück?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht nie! Wir sehnen uns nicht nach rohen Quälereien!«

»Aber wenn nun ich Dich bitte - - -«

Mehr hörte ich nicht. Syrr flog davon, den flüchtigen Ben Rih einzuholen, den ich schon nicht mehr sah, weil er hinter einer der schon beschriebenen Krümmungen verschwunden war. Es war wirklich so, wie ich der Frau gesagt hatte. Ich brauchte um Halef eigentlich keine Angst zu haben. Er hatte mir jahrelang bewiesen, welch ein vortrefflicher Reiter er war und daß er mit einem durchgehenden Pferde auch ganz gut ohne meine Hilfe fertig werden könne. Auch war der Rappe, den er jetzt ritt, ein zu edles Tier, als daß der Schreck über den Schlag, den er erhalten hatte, länger als nur kurze Zeit anhalten konnte. Aber die dichten, mannigfach gelegenen und zusammengewirrten Zweige der Schmetterlingsblütler, durch welche der sausende Ritt ging, boten tausendfältige Gelegenheit, mit dem Fuße hängen zu bleiben, und wenn dies geschah, so konnte der unvermeidliche Sturz bei der Schnelligkeit, welche das Pferd entwickelte, sehr leicht ein tödlicher sein. Es stellte sich auch bald genug heraus, daß meine Befürchtung nicht nur sehr wohlbegründet, sondern auch in Erfüllung gegangen war, denn als ich eine ziemlich bedeutende Strecke im schnellsten Galopp zurückgelegt und mehrere Krümmungen des Weges hinter mir hatte, sah ich Ben Rih stehen, weit draußen von mir, mitten in den Papilionaten, den Kopf zur Erde gesenkt - - - seinen Reiter aber sah ich nicht. Er lag jedenfalls am Boden, an der Stelle, nach welcher sich der Kopf des Pferdes richtete.

Es war so, wie ich dachte. Als ich hinkam, sah ich Halef liegen, steif und unbeweglich, mit geschlossenen Augen, wie einen Toten. Aus den Spuren ersah ich sofort beim ersten Blicke, daß das Pferd hängen geblieben und gestürzt war. Die zähe, feste Pflanzenschlinge hing noch an seinem Fuße. Wäre sie nicht abgerissen, so hätte Ben Rih unbedingt das Bein gebrochen und es wäre mir nichts übrig geblieben, als ihn zu töten. Halef lebte noch. Er war nur ohnmächtig. Auch verletzt hatte er sich nicht, denn ich konnte seinen Körper und alle seine Glieder bewegen, ohne daß der Schmerz ihn aufweckte. Das beruhigte mich so sehr, daß ich mich gemütlich neben ihn hinsetzte, um sein Erwachen zu erwarten. Selbstverständlich untersuchte ich vorher Ben Rih. Auch er hatte nicht den geringsten innern oder äußern Schaden genommen.

Es dauerte eine geraume Zeit, ehe Halef sich zu regen begann. Er öffnete die Augen, sah mich an, machte sie wieder zu und sagte:

»Da sitzt er - - - ganz, ganz ruhig - - - aber ich, ich muß reiten - - -!«

Das sogenannte >Ich< in seinem Innern befand sich also noch mitten im Galopp! Nach einiger Zeit fuhr er fort, doch ohne die Augen aufzuschlagen:

»Wenn er im Gesträuch hängen bleibt - - - und ich stürze - - - so breche ich den Hals!«

Sein Körper lag ruhig. Auch seine Mienen waren unbewegt. Aber plötzlich nahmen sie den Ausdruck der äußersten Spannung an, und er schrie:

|44B »Es hält ihn fest - - -! Er stürzt - - -! Er überschlägt sich mit mir - - -! Auf, schnell auf - - - sonst drückt er mich tot!«

Bis zu diesem Worte hielt er die Augen geschlossen. Nun aber sprang er in die Höhe und rief im Tone der Freude:

»Ich kann auf - - -! Ich bin auf - - -! Und ich sehe, daß ich - - -«

Hier hielt er mitten in der Rede inne, denn als er jetzt die Augen öffnete, sah er Ben Rih vor sich stehen. Da fuhr er verwundert fort:

»Er ist auch schon aufgesprungen! Gleich mit mir! Soeben jetzt! Und er steht so ruhig, als ob - - -«

Er unterbrach sich abermals, denn in diesem Augenblick sah er auch mich. Da fragte er, im höchsten Grad erstaunt:

»Auch Du bist hier, Sihdi? Auch Du? Ich bin doch soeben erst an Dir vorübergejagt! Du saßest still und schautest mich erwartungsvoll an, ob ich bei Dir anhalten werde oder nicht. Der Rappe lief aber weiter, weit, weit, und stürzte, ich mit ihm. Ich schlug mit dem Kopfe auf. Er tut mir weh, und - - - und - - - Du lächelst?«

»Ja,« nickte ich.

»Warum?«

»Vor Vergnügen darüber, daß Du mir eine sehr wichtige, wissenschaftliche Frage beantwortest.«

»Ich? Eine wissenschaftliche Frage? Das wäre das erstemal in meinem ganzen Leben! Wie lautet diese Frage?«

»Es ist die Frage, was im Innern eines Menschen vorgeht, der in Ohnmacht gefallen ist.«

»Ohnmacht? Willst Du behaupten, daß ich bewußtlos gewesen bin?«

»Ja.«

»Warum?«

»Infolge des Sturzes.«

»Aber ich bin doch sofort wieder aufgesprungen!«

»So schnell, wie Du denkst, wohl nicht. Ich bin Dir nachgeritten und habe, nachdem ich Dich hier liegen fand, mich zu Dir hergesetzt und eine ziemlich lange Zeit gewartet, bis Dir das Bewußtsein zurückkehrte und Du wieder aufstehen konntest.«

»Das Bewußtsein? Sihdi, sei aufrichtig! Behauptest Du wirklich, daß mir das Bewußtsein zurückgekehrt ist?«

»Allerdings. Es war doch weg, und jetzt ist es wieder da!«

»Nein! Das ist falsch! Es war nicht weg! Du hast es nur nicht sehen können! Es war da! Aber nur bei mir! Nämlich nicht hier außen, sondern drin, im Innern! Da hat es sich das, was außen geschehen ist, noch einmal innerlich betrachtet!«

»Aha! Oberbewußtsein und Unterbewußtsein!« nickte ich mit wichtiger Miene.

Da sah er mich mit bedenklichem Gesichtsausdrucke an und fragte:

»Ober und Unter? Also ein Bewußtsein, das oben und ein Bewußtsein, das unten ist? Was soll das sein?«

»Das sind wissenschaftliche Ausdrücke aus der Müdschewwedet, die Du nicht begreifen kannst.«

Da lachte er laut auf und antwortete:

»Nicht begreifen? Ich? Bilde Dir das ja nicht ein, Sihdi! Wann hätte ich denn einmal etwas nicht begriffen! Ich bin Hadschi Halef Omar, der hochberühmte Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar, und begreife alles, unbedingt alles! Über Eure sogenannte Müdschewwedet lache ich! Und ebenso über Eure ganze Wissenschaft! Hörst Du?«

»Ja,« nickte ich.

»Soll ich es Dir erklären?«

»Ich bitte darum.«

»So höre: Mein Bewußtsein, das bist doch nicht Du, sondern das bin ich. Wenn ich mit meinem Bewußtsein hoch oben auf dem Pferde sitze, so ist dies mein Oberbewußtsein. Und wann das Pferd mich mit samt meinem Bewußtsein herunterwirft, so daß ich die Besinnung, den Verstand und alles Höhere verliere, so stürze ich in das Unterbewußtsein, wohin mir kein Pferd, kein Sihdi, kein Effendi, kein Gelehrter und |45A keine Müdschewwedet zu folgen vermag. Wo ich da bin, und was ich da tue, das weiß keiner von Euch, denn niemand hat es bisher entdecken können. Aber wenn es Dir Vergnügen macht, es zu erfahren, so will ich gern mein Möglichstes für Dich und Deine Wissenschaften tun. Ich brauche nur zu warten, bis ich wieder einmal mit einem durchgehenden Pferde aus dem Oberbewußtsein in das Unterbewußtsein stürze und - - - Allah w' Allah! Schau, Sihdi! Siehst Du es?«

Indem er seine Rede unterbrach, deutete er nach drei Reitern, die plötzlich in einiger Entfernung auftauchten und jetzt anhielten. Es ist nötig, einen Blick auf die Örtlichkeit zu werfen, wo der Vorgang, den ich erzähle, sich abspielte.

|46A Wir befanden uns noch immer auf dem schmalen, von Schmetterlingspflanzen bewachsenen Strich, auf dem ich den Scheik der Ussul gejagt und gefangen genommen hatte. Dieser Strich glich einer früher künstlich angelegten, dann aber verwilderten Schneuße, welche zu beiden Seiten sehr dicht von Bäumen eingefaßt wurde. Hinter uns hatten wir das Lager der Ussul, aber so weit entfernt, daß ein guter Fußgänger wohl über eine Stunde gebraucht hätte, um es zu erreichen, denn unser Ritt war zwar nur ein kurzer, aber außerordentlich schneller gewesen. Vor uns ging dieser schmale Weg nur noch eine Strecke fort, um sich dann, wie es den Anschein hatte, in eine freie Lichtung zu verlaufen. Er wirkte für unsere Augen fast wie ein Fernrohr. Seine Richtung war hier schnurgerade. Das Dunkel der Baumreihen hüben und drüben hielt die Lichtstrahlen fest und klar zusammen. Die Perspektive ließ dieses Rohr scheinbar immer enger werden. Und grad an dem Punkte, wo es da draußen auf die freie Lichtung führte, hielten die drei Reiter wie vor einer Linse, welche ihre Gestalten, ihre Umrisse und Bewegungen außerordentlich bestimmt und deutlich erscheinen ließ. Sie waren aus der Lichtung nach dem schmalen Weg gekommen, sahen in diesen langen Weg hinein und berieten, ob sie ihm folgen sollten oder nicht. Das merkte man aus ihren Bewegungen. Sie kannten also diese Gegend nicht, es waren demnach wahrscheinlich Ussul, die noch nie Gelegenheit gehabt hatten, in diese Gegend zu kommen. Doch durfte ich auch den Fall nicht ausschließen, daß sie überhaupt keine Ussul waren.

Als ihre Beratungen zu Ende waren, setzten sie sich in Bewegung, und zwar auf uns zu. Dies geschah in einer auffälligen Weise. Sie vermieden nämlich die Mitte des Weges, wo sie weit gesehen werden konnten, und hielten sich vielmehr, zwei hüben und der dritte drüben, so nahe an die Bäume des Waldes, daß sie für den Fernblick ganz verschwanden.

»Das sind keine Ussul!« behauptete Halef, als er das sah.

»Auch keine Freunde von ihnen,« fügte ich hinzu. »Sie wollen nicht gesehen werden, kommen also in feindlicher Absicht.«

»Verstecken wir uns?« fragte er.

»Nein. Es ist zu spät dazu. Sie sind zwar noch ziemlich fern, aber sie würden doch wahrscheinlich sehen, daß jemand sich hier bewegt. Setze Dich her zu mir, und unsere Pferde mögen sich legen!«

Er nahm an meiner Seite Platz. Für die zwei wohlgeschulten Rappen bedurfte es nur eines kurzen Befehles, so legten sie sich grad da, wo sie standen, mitten ins Gesträuch. Diese ginsterhohen und ginsterfarbigen Pflanzen verdeckten uns so, daß wir nur aus der nächsten Nähe entdeckt werden konnten.

Die Fremden näherten sich langsam. Wir hatten also genug Zeit, sie genau zu betrachten, noch ehe sie uns erreichten. Es waren zwei bärtige Männer im höheren Alter, doch noch |46B nicht weißhaarig, und ein Jüngling, oder vielmehr ein junger Mann von ungefähr fünfundzwanzig Jahren. Ihre Pferde waren nicht so massig wie der famose Smihk oder Nazik, aber doch von einem so schweren, hohen und knochigen Schlage, daß man sie in Deutschland selbst für die Artillerie noch zu ungelenk befunden hätte. Sattel und Zaumzeug waren sehr einfach, von ungefärbtem Naturleder. Von Waffen sah ich Pfeil und Bogen und Messer. Jeder führte Lanze und Flinte, letztere, wie es schien, nach alter, unvorsichtiger Beduinenart, nämlich in ihren Eisenteilen leicht, dünn und unzuverlässig und dabei für so rohes Pulver, daß ein Schuß dem Schützen leicht gefährlicher werden konnte als dem Wilde oder Feinde. Gekleidet waren sie in schreiend gefärbte Stoffe, wie Steppenbewohner sie gern zu tragen pflegen, Hose, Weste, Jacke, einen mantelähnlichen Umhang, Turban, lederne Halbstiefel mit fürchterlichen Sporen, deren blutige Spuren die armen Pferde an ihren Flanken trugen. Die beiden älteren Männer sahen sehr ernst und grämlich aus. Der jüngere, dessen Bart seine ersten Kräuselversuche zu machen schien, hatte ein offeneres Gesicht, in dem ich leider aber später auch die Spuren der Grausamkeit und Hinterlist entdeckte. Seine Begleiter schienen geschorene Köpfe zu haben, unter seinem Turban aber hingen zwei wohlgeflochtene Zöpfe hervor, die mit goldenen und silbernen Münzen geschmückt waren. Es gibt ja wilde und halbwilde Stämme, bei denen derartige Zöpfe das Zeichen besonderen Standes oder auch besonderer Verdienste sind. Halef, der ihn mit großem Interesse in Augenschein nahm, sagte zu mir:

»Sihdi, mir ist, als hätte ich eine Vision. Dieser Jüngling ist ein verzauberter Märchenprinz, und sein plumper, großer Gaul ist der Hexenmeister, der ihn verzaubert hat. Beide reiten miteinander aus, um sich durch irgend eine Tat, die wir noch erfahren werden, vom Zauber zu befreien. Meinst Du nicht auch?«

»Hm!« antwortete ich. »Ein ganz gewöhnlicher Mensch scheint er allerdings nicht zu sein, wenn auch kein Prinz oder Fürst. Aber wenn er einer wäre, so gehörte er unbedingt zu denjenigen Herrschern, bei denen es nur an einem kurzen, entscheidenden Augenblicke liegt, ob sie die Engel oder die Teufel ihrer Völker werden. Paß auf! Nun sind sie da!«

Sie waren uns schon ganz nahe gekommen, ohne uns zu sehen. Da erhob ich mich. Alle drei parierten ihre Pferde. Halef sprang auch empor. Anstatt zu warten, bis ich sprach, rief er ihnen drohend zu:

»Was wollt Ihr hier?«

Der eine, der sich drüben befand, ritt schnell herüber zu den beiden andern. Sie wechselten einige Worte, und dann antwortete er:

»Nichts wollen wir. Wir reiten hier nur durch. Das Meer ist unser Ziel.«

»Wer seid Ihr?«

»Reisende.«

|47A »Von woher?«

»Aus dem Innern des Landes.«

»Von welchem Volke?«

Der Fremde warf den Arm in die Luft, lachte laut auf und sprach:

»Das fragt Euch selbst, nicht uns!«

Er griff nach seinem Gewehre. Die beiden andern folgten seinem Beispiele. Drei Schüsse krachte, ohne daß einer traf; dann jagten sie davon, in der Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Es ist gar nicht schwer, dem Schuß so ungeübter und unbedachter Leute auszuweichen; aber das war gar nicht nötig gewesen, denn sie hatten vergessen, zu zielen.

»Was für unsinnige Menschen!« rief Halef. »Auf! Ihnen nach!«

Er sprang zu seinem Pferde.

»Vorsicht!« warnte ich ihn.

»Wohl wegen des Sturzes in das Unterbewußtsein?« lachte er.

»Ja.«

»Das lasse ich Eurer gelehrten Müdschewwedet über. Ich stürze nicht wieder. Ich bin gewarnt.«

»Also vorwärts! Aber schone Mensch und Tier. Nur lebendig nützen sie uns!«

Wir ritten ihnen nach, und zwar so, daß wir sie nicht ganz einholten, sondern ihnen nur so nahe kamen, daß sie keine Zeit fanden, sich etwa zu trennen und im Waldesdickicht Schutz zu suchen. Die eigentliche Aktion sollte draußen auf der Lichtung stattfinden, wo es mehr Platz gab, sich mit den Pferden auszutummeln. Schon gleich, als wir sie zuerst erblickten, war in mir der Gedanke aufgestiegen, daß sie vielleicht zu den Tschoban, den Feinden der Ussul, gehörten und zeitweilig kamen, um sie zu überfallen und auszurauben. In diesem Gedanken wurde ich durch das Verhalten der drei Männer bestärkt.

Als sie sich das erstemal nach uns umschauten, stiegen wir eben erst zu Pferde. Als es zum zweiten Male geschah, lagen wir bereits im scharfen Trabe. Sie machten höhnische Armbewegungen und lachten uns aus. Bald aber bemerkten sie, daß wir uns ihnen näherten. Da stießen sie ihren armen Tieren die gewaltigen Sporen derart in die blutigwunden Weichen, daß die Pferde vor Schmerz laut aufwiehernd, oder vielmehr laut aufbrüllend, ihre Schnelligkeit zu vermehren suchten. Das gelang ihnen aber nur für kurze Zeit, denn sie ließen bald wieder nach. Sie ermüdeten rasch, und der Atem ging ihnen aus. Die Reiter gebrauchten ihre Sporen in geradezu unmenschlicher Weise, jedoch vergeblich. Als sie aus der schmalen Schneuße in die weite Lichtung kamen, waren wir kaum noch zwanzig Sprünge hinter ihnen. Ich rief ihnen befehlend zu, anzuhalten. Sie gehorchten nicht, antworteten aber dadurch, daß sie ihre Bogen spannten und, sich im Reiten nach uns umdrehend, uns mehrere Pfeile sandten. Im Gebrauche dieser Art von Geschossen waren sie jedenfalls geübter als in der Führung von Schießgewehren. Die Pfeile waren außerordentlich gut gezielt.

Die Lichtung war vielleicht eine halbe Wegsstunde breit und hatte eine solche Länge, daß wir ihre uns entgegengesetzte Grenze nicht sehen konnten. Sie bestand aus einer durchaus sandigen Anlagerung, mitten in den dunklen Moorgrund hinein, und war nur von spärlichem Grün bedeckt, aus dem hier und da ein armer Busch den Versuch machte, der unfruchtbaren Erde sein dürftiges Leben abzuringen. In Deutschland hätte man beim Anblick dieses weiten, ebenen Planes sofort gesagt: »Ein ganz vortrefflicher Exerzierplatz für einige Reiterregimenter,« und später erfuhren wir allerdings, daß dieser Platz den Namen Marahka führte, weil fast alle Kämpfe, zu denen die Ussul von den Tschoban gezwungen worden waren, an dieser Stelle stattgefunden hatten.

Ich hatte natürlich vermutet, daß die drei Reiter hier auf diesem Terrain auseinandergehen würden, um auch uns zur Trennung zu zwingen. Dies geschah aber nicht. Sie blieben beisammen, und der Grund hierzu war bald zu ersehen. Die beiden Älteren ließen nämlich den Jungen immer voran. Sie |47B hielten sich so viel wie möglich hinter ihm, um ihn gegen uns zu decken. Er war also jedenfalls eine vornehme, wichtige Person, die sie zu beschützen hatten und nicht verlassen durften. Darum nahm ich mir vor, mich vor allen Dingen seiner zu versichern. Ich sann auf einen guten Trick, sie von ihm zu trennen; es wollte mir aber kein brauchbarer Gedanke einfallen. Doch stellte sich glücklicherweise heraus, daß ich gar nichts Derartiges brauchte, denn die Fremden kamen meinem Wunsche ahnungslos ganz von selbst entgegen. Sie riefen einander einige Worte zu, die ich nicht verstehen konnte, jedenfalls enthielten diese einen Plan, der jetzt befolgt werden sollte, denn der Jüngere ritt in unveränderter Eile geradeaus weiter, die beiden andern dagegen parierten ihre Pferde, kehrten sich gegen uns um und nahmen ihre Lanzen in die Fäuste.

»Sihdi, ihm nach!« rief Halef mir zu. »Diese beiden unvorsichtigen Knaben nehme ich auf mich!«

Er zügelte sein Pferd, zog seine Pistolen und ritt dann langsam auf sie zu. Ich aber flog an ihnen vorüber und hinter dem Jüngeren her, der uns entkommen sollte. Als sie dies sahen, ließen sie von Halef ab, warfen ihre Rosse herum und folgten mir. Nun war Hadschi als der Letzte hinter ihnen her.

Es gab keine Möglichkeit für sie, mich einzuholen. So kurz die Zeit gewesen war, die sie gebraucht hatten, sich von ihrem Gefährten zu trennen und gegen uns zu wenden, sie hatte für diesen doch genügt, um einen ziemlichen Vorsprung zu gewinnen. Ihn einzuholen, das war wohl mir, nicht aber ihnen möglich. Ich sah mich nach ihnen um und bemerkte, daß sie wieder gewendet hatten. Um Halef brauchte ich also keine Sorge zu haben. Ich konnte mich ruhig mit dem jungen Manne befassen, den ich vor mir hatte. Er sah mich hinter sich und trieb sein Pferd derart mit Peitsche und Sporen an, daß es zum Erbarmen war. Ich machte also kurzen Prozeß und beschloß, ihn nicht, wie ich anfangs beabsichtigt hatte, mit dem Lasso, sondern lieber gleich mit der Hand festzunehmen. Ich gab für Syrr einen kurzen, scharfen Pfiff. Da beschleunigte er seinen Lauf. Wir kamen dem Flüchtigen von Sekunde zu Sekunde näher. Er sah das, denn er schaute sich öfters um. Da griff er wieder zum Bogen und sandte mir, nach rückwärts schießend, einen Pfeil zu, der so gut gezielt war, daß er mich getroffen hätte, wenn ich mich nicht hurtig im Sattel niedergebeugt hätte. Um so schneller war ich dann aber bei ihm, Pferd an Pferd, Seite an Seite. Ich erfaßte ihn beim Gürtel - ein leiser Sporenstoß für Syrr, der sofort einen weit ausgreifenden Satz in schräger Richtung tat - und der Reiter wurde durch diesen Sprung meines Pferdes von seinem Tiere herabgerissen. Ich hielt ihn fest, gab ihm einen Schwung und ließ dann los, worauf er in einem weiten Bogen aus meiner Hand zur Erde niederflog. Syrr blieb stehen. Ich sprang ab und trat zu dem Besiegten. Er wollte schnell wieder auf, konnte aber nicht, sondern brach wieder zusammen.

»Bleib! Rühre Dich nicht von der Stelle!« gebot ich ihm. »Du bist mein Gefangener!«

»Dein Gefangener?« lachte er. »Siehst Du nicht, daß sie kommen?«

Er deute auf seine Gefährten, die eben heranjagten.

»Die tun mir nichts,« antwortete ich. »Weg mit den Waffen!«

Lanze und Flinte waren ihm schon entfallen, als ich ihn vom Pferde zog. Jetzt entriß ich ihm auch den Köcher samt den Pfeilen, die vergiftet sein mochten, und auch das Messer, nach welchem er griff, um nach mir zu stoßen. Ich schleuderte beides ein Stück weit fort, wo es sicher lag, weil es ihm unmöglich war, sich aufzurichten, um es zu holen. Zu untersuchen, ob er irgendwie Schaden gelitten hatte, dazu war jetzt keine Zeit, denn die beiden andern kamen jetzt heran. Ihre Gewehre während des Rittes zu laden, dazu fehlte es ihnen höchst wahrscheinlich am Geschick. Auch von Pfeil und Bogen konnten sie unter den gegenwärtigen Umständen keinen Gebrauch machen. Darum drangen sie mit den Lanzen auf mich ein. Ich parierte den Stoß des Vordersten von ihnen leicht mit meinem Bärentöter. Der Angreifer schoß dabei an mir vorüber und zügelte dann sein Pferd, um es zu wenden; aber mit zwei, drei schnellen Sprüngen war ich ihm nach, griff ihm in die Zügel |48A und riß sein Pferd auf die Hinterfüße. Es wollte augenblicklich wieder in die Höhe, aber ich drängte ihm den Kopf tief nieder. Es schnellte die Hinterhand hoch empor. Der Reiter verlor dadurch den Halt und flog aus dem Sattel. Zwar sprang er rasch wieder auf, aber noch stand er nicht fest, so traf ich ihn mit dem Kolben des Bärentöters derart auf die Schulter, daß er mit einem Schmerzensschrei zusammenbrach. Im Nu war er entwaffnet. In diesem Augenblick nahte sein Gefährte heran, der nur nach vorn, nicht aber hinter sich schaute, wo Halef ihm hart auf der Ferse war. Der zweite Angreifer hatte nur den einen Gedanken, an mich zu kommen. Die Lanze zum Stoße einlegend, spornte er sein Pferd auf mich zu. Er kam aber gar nicht zum Stoße, denn Halef trieb, das Gewehr in der Luft wirbelnd, seinen Rappen zum entscheidenden Sprunge an und schlug den Gegner mit dem Kolben an den Kopf, daß der Getroffene die Lanze und Zügel fallen ließ und mit beiden Händen nach dem turbanbedeckten Schädel fuhr. Sein Pferd tat einen Satz zur Seite und er taumelte herab. Da warf sich Halef schnell von seinem Tiere herunter und nahm den Besiegten beim Genick.

»Hamdullillah!« rief er fröhlich aus. »Nun sitzen sie alle unten! Wollen wir sie zusammentragen?«

»Ja; komm!«

Der von ihm Besiegte war stark betäubt. Halef zog ihn vom Boden auf, stieß ihn vor sich her und brachte ihn zu dem jungen Manne, der noch immer nicht von der Stelle konnte. Ich holte den andern herbei, dem mein Kolbenhieb so gut bekommen war, daß er keinen Versuch des Widerstandes machte. Als nun alle drei beisammen saßen und ihre Waffen in der Nähe auf einem Haufen lagen, setzte sich Halef mit jener wohlbekannten Miene zu ihnen hin, die er stets zu zeigen pflegte, wenn ihm der Schalk im Nacken saß. Er sah sich einen nach dem andern an, sehr lange, sehr genau und sehr freundlich. Dann sagte er:

»Es freut mich unendlich, daß wir einander wieder haben. Ich bitte, mir zu sagen, womit wir Euch so sehr gekränkt haben, daß es Euch nicht mehr bei uns gefiel!«

»Wer bist Du?« fragte der Jüngere in kurzem, bestimmtem Tone, ohne sich von der Freundlichkeit des kleinen Hadschi betören zu lassen.

»Wie kommst Du zu dieser Frage?« antwortete Halef. »Wie kommt es überhaupt, daß Du das Wort ergreifst? Deine Gefährten sind älter und also wohl auch erfahrener als Du.«

»Ich bin der Vornehmere!« fuhr der andere auf.

»Vornehmer?« fragte Halef. »Was nennst Du vornehmer?«

»Ich bin der Ilkewlad!«

Er sprach dieses Wort so aus, daß man es nicht nur im gewöhnlichen Sinne, sondern auch als Titel nehmen mußte, also in der Bedeutung, die bei uns das Wort Kronprinz hat. Darum fragte Halef:

»Also der Erstgeborene des Herrschers?«

»Ja.«

»Welches Herrschers?«

»Das geht Dich nichts an!«

»Ich will es aber wissen!«

»Du wirst es nicht erfahren!«

»Du irrst. Erfahren werde ich es jedenfalls, wenn nicht von Dir, so doch von den andern. Es wäre für Dich aber jedenfalls vorteilhafter, wenn Du aufrichtig mit uns redetest.«

»Mit Leuten, wie Ihr seid, spricht man nicht vertraulich. Ihr seid unsere Feinde. Ihr seid Ussul!«

»Ussul? Wir?« fragte Halef, indem er ein lautes Gelächter aufschlug. »Sihdi, wir sind Ussul! Wer das behauptet, der muß blind und taub und alles andere sein, aber nur nicht bei Sinnen!«

»Wollt Ihr es etwa leugnen?« fragte der >Erstgeborene< in verweisendem Tone.

Da nahm der eine seiner Begleiter das Wort, und zwar in sehr höflichem Tone:

»Sie sind kleiner als die Ussul; das haben wir bisher außer acht gelassen. Und der eine wird von dem andern Sihdi |48B genannt. Dieses Wort ist bei den Ussul nicht gebräuchlich. Man findet es nur bei den türkischen und persischen Arabern.«

»So seid Ihr wohl Türken?« fragte der Jüngere.

»Nein,« antwortete Halef.

»Oder Perser?«

»Nein.«

»Was sonst?«

»Das geht Dich nichts an! Wer uns keine Auskunft gibt, der hat auch von uns keine zu erwarten. Ich will aber hier eine Ausnahme machen und meine Gnade über Dir leuchten lassen, indem ich Dir sage, wer wir sind. Wir sind nämlich auch >Erstgeborene<, er der meinige und ich der seinige. Ich bin also sein Vater, und er ist mein Vater. Folglich sind wir beide noch viel eher als nur erstgeboren, und Du reichst mit Deiner einfachen Erstgeburt in keiner Weise an unsere doppelte heran!«

»Narr!« rief der jungen Mann beleidigend aus. »Der Witzbold ist überall der niedrigste Mensch des ganzen Stammes. Ich verachte Dich! Ich mag gar nicht wissen, wer und was Ihr seid. Packt Euch von dannen!«

»Das werden wir allerdings tun. Euch aber packen wir zusammen und nehmen Euch mit!«

»Wohin?«

»Auch das geht Euch nichts an!«

»Wagt es, Euch nochmals an uns zu vergreifen! Wir sind keine Ungläubigen, wie die Ussul. Wir sind Moslemin!«

»Meinst Du, daß Du Dir hierauf etwas einbilden kannst? Ich sage Dir: Auch ich bin Moslem; ich bin sogar mehr Moslemer als Du; ja, ich bin hundertmal und tausendmal mehr Moslemer als Ihr alle drei, als Euer Stamm, als Euer ganzes Volk! Du scheinst wundergroß von Dir zu denken, bist aber in Wahrheit nichts als ein beispiellos dummer, unerfahrener Bursche, dem ich zeigen werde, wie solche Leute, wie Ihr seid, zu behandeln sind.«

Halef sprang auf, zog seine geliebte Kurbatsch aus dem Gürtel, schwippte sie hin und her und fuhr fort:

»Seht Euch zunächst Eure armen Pferde an! Die Sporenlöcher zu beiden Seiten! Voller Blut und Eiter! Seid Ihr Menschen? Auch das Pferd ist Allahs Geschöpf, tausendmal schöner, vornehmer und edler als Ihr! Bildet Euch ja nicht ein, daß wir Euch gefühlvoll, zart und sanft behandeln werden? Das beste Wort für Euch ist nur die Peitsche!«

»Hund!« schrie der junge Fremdling. »Du wagst es, mir mit der Peitsche zu drohen? Dafür verlange ich Dein Blut und Leben! Ich werde - - -«

Er sprach nicht weiter. Er hatte versucht, aufzuspringen, sank aber mit einem Schmerzensruf wieder zurück.

»Mein Blut und Leben?« lachte Halef. »Kamelmilchknabe, der Du bist! Betrachtet Euch doch, wie jammervoll wir Euch hier vor uns haben! Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich die dreifache Dummheit so nahe bei mir gesehen wie jetzt! Wie dumm kamt Ihr zur Stelle geritten, an der wir Euch überraschten! Wie dumm war Eure Flucht! Wie unendlich dumm war es von Euch, beisammen zu bleiben! Wie beispiellos dumm fingt Ihr es an, diesem einen von Euch zur Flucht zu verhelfen! Wie entsetzlich dumm seid Ihr uns in die Hände gelaufen! Und wie ganz unsagbar dumm ist es von Euch, Euch trotz alledem stolz aufzublasen und uns, die wir doch Herren Eures Schicksals sind, zu beleidigen! Wir werden Euch - - -!«

»Nichts werdet Ihr!« unterbrach ihn der Ilkewlad mit brüllender Stimme. »Schweig!«

»Ja, schweig!« forderte auch ich jetzt Halef auf. »Diese Männer kehren jetzt mit uns zurück.«

»Wohin?« fragte der Erstgeborene, indem er mich mit blitzenden Augen maß.

»Wohin es uns beliebt,« antwortete ich ruhig.

Ich war bis jetzt still gewesen und hatte zwischen ihnen und ihren Waffen gestanden, damit es den beiden, die gehen konnten, nicht einfallen möge, unvermutet aufzuspringen und sich zu bewaffnen. Dem Dritten war dies unmöglich, weil er sich verletzt hatte. Ich trat jetzt zu ihm und fragte:

|49A »Wo hast Du Schmerzen? Ich will nachschauen, ob etwas gebrochen ist. Wir müssen es verbinden.«

Da herrschte er mich wütend an:

»Fort von hier, Schakal, räudiger! Weißt Du, wer wir sind?«

»Nein,« antwortete ich, ganz ohne Zorn.

»Bei uns ist es das größte Verbrechen, sich an dem Scheik oder seinen Söhnen zu vergreifen. Das habt Ihr getan, Ihr seid dem Tode verfallen. Ließe ich mich von Euch berühren, so brächte Euch das nach unsern Gesetzen das Recht, begnadigt zu werden.«

»Ich danke Dir für diese Warnung, denn nach Gnade trachte ich allerdings nicht. Aber ich sage Dir eins: Wenn Du Dich so vor der Berührung durch unsere Hände scheust, so scheue Dich auch vor der Berührung durch unsere Peitsche!«

Er sah mich an, ich ihn auch. Es kochte in ihm. Er wollte losbrechen, doch gab mein Blick dies nicht zu. Er bezwang sich und fragte:

»Auch Du wagst es, von der Peitsche zu sprechen?«

»Wagen? Pah! Wenn ich Dich peitschen will, so peitsche ich Dich; gewagt ist nichts dabei. Und nun paß auf, was Du hörst! Ihr werdet jetzt unbedingt tun, was ich befehle, augenblicklich, ohne Weigerung. Zögert Ihr, zu gehorchen, so bekommt Ihr allerdings die Peitsche, und zwar alle drei. Und wer von Euch es jetzt noch wagt, zu sprechen, ohne daß ich ihn dazu auffordere, der bekommt für jedes Wort einen Hieb. Merkt Euch das! Ich scherze nicht!«

»Allah verfluche Euch!« rief einer der beiden andern, indem er Miene machte, sich zu erheben. Da aber sauste schon die Peitsche Halefs auf ihn nieder. Ich zog meine beiden Revolver, hielt sie ihnen hin, ließ, um ihnen die Ladung zu zeigen, die Walzen spielen und sagte:

»Seht diese Pistolen! Wie Ihr Euch überzeugen könnt, ist jede sechsmal geladen. Ich kann Euch also zwölf Kugeln geben, ohne daß ich zu laden brauche. Nehmt Euch in acht! Erst die Peitsche und, wenn diese nicht hilft, dann die Kugel!«

Das wirkte. Sie verstanden die Mechanik der Revolver nicht, aber sie sahen die Kugellöcher und fühlten sich von dem Geheimnisse, welches dabei waltete, gebannt. Keiner sagte mehr ein Wort, doch in ihren Gesichtern stand mit größter Deutlichkeit zu lesen, was wir zu erwarten hätten, falls sie einmal das Glück haben würden, uns in ihre Hände zu bekommen. Ich blieb mit gespannten Pistolen bei ihnen stehen, während Halef ihre Pferde zusammenbinden mußte, und zwar eines hinter das andere. Dann mußten die beiden Älteren ihren jüngeren Gefährten, der nicht von uns berührt werden durfte, nach dem vorderen Gaul schaffen, in dessen Sattel sie ihm emporhalfen. Hierauf wurden ihnen selbst die Hände nach hinten gebunden und wir halfen ihnen auf ihre Pferde. Und nun setzten wir uns in Bewegung, Halef voran und ich hinterdrein. Ihre Waffen wurden selbstverständlich mitgenommen.

Es war ein ganz eigentümliches Erlebnis. Ich hatte das Gefühl, als ob durch die Gefangennahme dieser drei Männer dem Stamme der Ussul ein großer Dienst erwiesen sei, wir aber für uns beide damit auch den Grund zu späteren Verdrießlichkeiten oder gar Gefahren gelegt hätten. Mochte dies nun sein, wie es wollte - wir trugen an der Entwicklung der Dinge keine Schuld. Hätten sich die drei Fremden anders verhalten, wären sie nicht so ohne allen sichtbaren Grund geflohen, ja, wären sie wenigstens später nicht so schroff und feindselig gewesen, so hätte sich diese Begegnung gewiß ganz anders gestaltet. Und selbst im schlimmsten Falle, daß sie nämlich zu den Todfeinden der Ussul, zu den Tschoban, gehörten, hätte sich gewiß ein Weg finden lassen, um wenigsten Feindseligkeiten zu vermeiden. Ich war gespannt darauf, ob man bei den Ussul einen von ihnen oder vielleicht gar alle drei kennen werde.

Auf demselben Wege, auf dem wir gekommen waren, kehrten wir zurück. Wir kamen da ein sehr gutes Stück über die Stelle hinaus, wo Halef mit Ben Rih gestürzt war. Noch aber hatten wir das Gefängnis Amihns nicht erreicht, so sahen wir ein halbes Dutzend Reiter uns entgegenkommen, lauter hohe, breitschulterige Gestalten auf massigen, urpferdartigen Rossen. Als sie sich genügend genähert hatten, erkannten wir sie. Es |49B war Amihn, Taldscha und der Sahahr mit noch drei anderen Ussul. Sie wunderten sich, daß sie nicht zwei, sondern fünf Reiter sahen, und zwar im Gänsemarsche hintereinander. Sie erkannten Halef, den Vordersten von uns, sogleich und hielten an, um uns herankommen zu lassen. Natürlich war Halef es, der das erste Wort haben mußte. Er rief ihnen, noch lange bevor wir sie erreichten, zu:

»Heil, Heil und Heil! Den Mutigen ist es gelungen! Die Tapferen haben gesiegt! Der Kampf ist zu Ende! Triumph, Triumph, Heil, Heil!«

»Gekämpft habt Ihr?« fragte Amihn von weitem.

»Ja, gekämpft.« antwortete Halef.

»Mit wem?«

»Mit drei Fremden. Wir kennen sie nicht. Sie sind unserer Macht erlegen und vor unserer Faust in den Staub gefallen. Hier sind sie! Schaut sie an!«

Er wich mit seinem Pferde etwas zur Seite, so daß die Ussul nun den Vordersten unserer Gefangenen sahen.

»Allahi, wallahi!« rief Amihn aus »Das ist Palang, der älteste Sohn des Scheiks der Tschoban!«

»Palang, der Ilkewlad!« fügte der Zauberpriester hinzu.

»Der Blutgierige! Der Mörder der Ussul!« beteiligte sich auch Taldscha an den Ausrufungen.

»Wo habt Ihr ihn gefunden?« erkundigte sich der Scheik.

Halef öffnete schon den Mund, um eine seiner berühmten Lobreden loszulassen, ich ließ es aber nicht dazu kommen, sondern fiel ein:

»Wir sahen sie eine Strecke weit da hinten. Als sie uns erblickten, rißen sie aus. Wir eilten ihnen nach, sie zu ergreifen und zu Dir zu bringen. Du siehst, daß es uns gelungen ist.«

»Heil Euch! Ihr habt ein schweres und gefährliches Werk vollbracht. Kein Zweifel, es ist der Panther der Tschoban. Ich habe ihn wiederholt gesehen. Die beiden andern, die bei ihm sind, kenne ich nicht. Als wessen Gefangene sind sie zu betrachten?«

»Als die meinigen.«

»Wie lange sollen sie es bleiben?«

»So lange es mir beliebt.«

»Herr, wenn Du sie an uns abtreten wolltest!«

Die andern Ussul stimmten diesem Wunsche sofort und lebhaft zu. Ich hatte die Gefangenen hierher gebracht, um sie ihnen auszuliefern, hielt es aber für besser, hiermit noch zurückzuhalten. Darum antwortete ich:

»Es ist nicht unmöglich, daß ich sie Euch überlasse, doch würde ich meine Bedingungen stellen.«

»Welche?« fragte die Frau. »Sag es schnell!«

»Ihr dürftet sie nicht ohne meine Erlaubnis wieder freigeben.«

»Einverstanden! Völlig einverstanden! Dürfen wir sie uns nehmen?«

Ihre Begleiter schickten sich schon an, sich an die Gefangenen heranzudrängen. Diese hatten sich bis jetzt ganz schweigsam verhalten, aus Angst vor Halefs Peitsche. Jetzt aber fragte mich Palang, der Panther:

»Darf ich jetzt wieder reden?«

»Ja,« nickte ich.

Da wendete er sich an den Scheik und dessen Frau und sagte:

»Wenn dieser Fremdling uns Euch auslieferte, würdet Ihr gezwungen sein, uns freizugeben.«

»Warum?« fragte Taldscha, der die Männer das Wort sehr gern zu überlassen schienen.

»Weil man nur Feinde gefangen nimmt, nicht aber Freunde.«

»Du bist doch Feind!«

»Nein! Jetzt nicht, heut nicht! Ich kam als Freund hierher. Mein Vater sendet mich mit einer Friedensbotschaft zu Euch. Der Überbringer solcher Botschaften ist heilig, so weit die Erde reicht. Ihr wißt, was folgen würde, wenn es Euch einfiele, mich als Feind zu behandeln. Er würde Euer Land mit Krieg überziehen und jeden Ussul töten, der in seine Hände fällt.«

»Ja, das würde er,« bestätigte die Frau. »Wir dürfen Dich nur dann als Feind betrachten, wenn Du in feindlicher Absicht kommst. Das ist aber sicher der Fall!«

|50A »Wie willst Du das beweisen?«

»Kein Tschoban kommt als Freund zu uns!«

»Diesmal doch! Ich bin sogar gesandt, ein Bündnis mit Euch abzuschließen, ein Bündnis für lange Zeit, wenn möglich für immer.«

»So rufe nun ich Dir zu: Wie willst Du das beweisen?«

»Indem ich es abschließe. Das kann ich aber doch wohl nicht hier und auch nicht heut und morgen. Dazu gehören lange Tage und lange Verhandlungen. Und selbst wenn diese Verhandlungen nicht zum Ziele führten, dürftet Ihr Euch nicht an mir vergreifen und müßtet mich ruhig wieder ziehen lassen, denn ich komme als Friedensbote und Freund!«

»Und hast als Friedensbote auf uns geschossen!« fiel ich ein.

»Auf Euch?« fragte er wegwerfend. »Seid Ihr Ussul?«

»Nein!«

»So schweig! Zu Dir wurde ich nicht gesandt!«

»Das ist richtig. Darum aber habe ich auch nicht nötig, Dich als Freund zu behandeln. Du bist mein Gefangener.«

»Das wird mich aber nicht hindern, mit den Ussul zu verhandeln, und ich sage Dir: Sie werden mich von Dir fordern. Wehe Dir, wenn Du mich ihnen verweigerst.!«

In diesem ernsten Augenblick geschah etwas unendlich Drolliges. Der Scheik ritt natürlich seinen dicken Smihk oder Nazik. Dieser hatte sich, so lange die andern sprachen, sehr ruhig verhalten; als aber ich das Wort ergriff, hielt er nicht mehr still. Er strampelte von einem Beine auf das andere, schlug sich mit den Ohren um den Kopf, er wirbelte den Schwanz: kurz, er tat alles, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und als ich mich gleichwohl nicht um ihn bekümmerte, kam er trotz aller Gegenwehr seines Reiters herbei, stellte sich grad vor mich hin, riß das Maul auf und ließ eine so jammervolle Klage über meine Hartherzigkeit los, daß alle Anwesenden, |50B die Gefangenen ausgenommen, in ein lautes Gelächter ausbrachen. Dann begann er, mir die Stiefel abzulecken, eine Liebkosung, die eigentlich meiner Hand gewidmet war. Ich mußte Syrr beruhigen, der den Urgaul nicht leiden zu können schien, was auch gar kein Wunder war, wenn man sich erinnert, daß dieser sich erst kurz vorher im tiefen Schlamm gewälzt hatte, um seine geliebte Kruste zu erneuern.

Ich war durch den Urgaul verhindert, dem Panther die ihm gebührende Antwort zu erteilen. Darum wurde ich von Taldscha gefragt:

»Wie entscheidest Du Dich, Herr? Überlässest Du ihn uns oder nicht?«