"So nimmt man Dich gefangen, wie man Deinen Gefährten jedenfalls auch gefangen genommen hat!"

"Pah! Du nahmst mich ja auch gefangen - - und wer ist nun jetzt der Gefangene?"

"Ich war nur eine Person und traute Deiner Rede; sie aber sind ihrer viele und trauen Dir nicht!"

"Ob sie mir trauen oder nicht, das ist mir gleich; ich will nur, daß sie mir gehorchen."

"Gehorchen? Das werden sie nicht."

"Sie müssen!"

"Wie wolltest Du sie zwingen?"

"Durch Dich."

"Durch mich? Ich gebe mich nicht dazu her, sie zum Gehorsam gegen Dich zu verführen!"

"Du sprichst, ohne dabei zu denken! Du hast Dich ja schon dazu hergegeben, nämlich mir! Nun reite ich auf Deinem dicken Smihk nach Eurem Lager und - - -"

"Auf meinem Smihk?" unterbrach mich der Scheik. "Das wirst Du mit dem Leben zu bezahlen haben. Meine Krieger machen Dich tot, sofort tot!"

"Warum?"

"Weil sie glauben, daß Du Dich an mir vergriffen hast!"

"Das ist es ja grad, was ich will! Sie sollen es nicht nur glauben, sondern ich werde es ihnen selbst sagen, selbst mitteilen."

"So bist Du verloren!"

"Im Gegenteile: Es wird meinen Gefährten retten, falls sie etwas Böses mit ihm vorhaben."

"Du kennst sie nicht!"

"Das ist auch gar nicht nötig. Ich brauche nur mich zu kennen. Ich sage ihnen, daß ich Dich gefangen genommen und festgebunden habe, und daß Du sterben mußt, wenn man gegen mich oder meinen Gefährten auch nur die geringste Feindseligkeit unternimmt."

"Sterben?" fragte er erschrocken.

(Seite 29B) "Ja."

"Ich?"

"Ja, Du!"

"Welch ein Schreck für Taldscha, meine Frau!"

Taldscha heißt Schneeglöckchen. Sollte dieser Mann eine Frau besitzen, die an Schönheit, Reinheit, Lieblichkeit und Zierlichkeit mit einem Schneeglöckchen zu vergleichen war? Ich wurde neugierig, dieses niedliche Glöckchen zu sehen.

"Du willst also meinen Leuten mit meinem Tode drohen?" fuhr er fort.

"Ja," antwortete ich.

"Sie können einem solchen Knirps, wie Du bist, ganz unmöglich glauben, daß Du mich überwältigt hast!"

"Darum reite ich auf Deinem >Dicken<. Wenn sie sehen, daß ich Dir den abgenommen habe, werden sie überzeugt sein, daß Du Dich in meiner Gewalt befindest."

"Fremder, Du bist ein ganz verteufelter, ein ganz pfiffiger Kerl! Wenn man nur nicht so gezwungen wäre, Dich lieb zu haben! Wann wirst Du wiederkommen?"

"Das kann kurze Zeit, das kann auch Stunden dauern, je nachdem Deine Krieger mit sich reden lassen oder nicht."

"Und während dieser Zeit soll ich hier hängen bleiben?"

"Ja."

"So rufe ich um Hilfe! Ich brülle! Meine Leute werden mich suchen und es hören, wenn sie in die Nähe kommen! Dann binden sie mich los, und Du bist verloren!"

"Du wirst nicht um Hilfe rufen können, denn ich werde Dir einen Knebel in den Mund stecken."

"Einen Knebel? Könntest Du wirklich so schlecht sein?"

"Ja. Sogar noch viel schlechter!"

"Dann werde ich wenigstens so laut brummen, daß man es hören muß. Das kann man selbst bei verschlossenem Munde!"

"So binde ich Dir auch die Nase zu!"

"Wirklich? Dann müßte ich doch unbedingt ersticken!"

"Das weiß ich ebenso gut wie Du; aber Du willst es ja nicht anders. Du drohst mir mit Schreien und Brummen und weißt doch, daß ich das verhüten muß. Jammerschade!"

Ich sprach dieses letztere Wort im Tone des Bedauerns aus. Er sah mich prüfend an und fragte dann:

"Schade? Was ist jammerschade?"

"Daß Du mich zwingst, so streng gegen Dich zu sein. Ich quäle Dich nur ungern damit, daß ich Dir Mund und Nase verschließe."

"Ungern? Wirklich? Ja! Du bist nicht nur ein kluger Mensch, sondern auch ein sehr lieber, guter Kerl. Der Knebel, den Du mir in den Mund stecken willst, tut Deinem Herzen wehe. Aber, warte einmal! Ich will nachdenken. Vielleicht finde ich ein Mittel, den Knebel zu umgehen."

Er zog seine Stirne in ihre tiefsten Denkerfalten und blinzelte mit den Augen, um mir anzudeuten, daß die angeborene Intelligenz in ihm zu arbeiten beginne; dann rief er plötzlich aus:

"Ich hab's! Was wirst Du tun, wenn ich Dir verspreche, weder um Hilfe zu rufen noch zu brummen?"

"Dann werde ich Dir weder Mund noch Nase verschließen, denn ich weiß, daß Du Dein Versprechen unbedingt halten wirst."

"Unbedingt!" stimmte er bei. "Habe ich Dir noch nie gesagt, daß die Ussul die Lüge hassen? Ich bliebe still, selbst wenn meine Leute kämen."

"Aber losbinden ließest Du Dich von ihnen?"

"Auch das nicht, falls Du mir versprichst, ganz sicher zurückzukehren, um mich wieder los zu machen."

"Und glaubst Du diesem meinem Versprechen?"

Da sah er mich verwundert an und antwortete:

"Warum soll ich Dir nicht glauben? Du glaubst ja doch auch mir! Hältst Du mich etwa für schlechter, als Du bist?"

Welch ein Mensch! Ich fühlte mich innerlich verpflichtet, diese beispiellose Rechtschaffenheit sofort zu belohnen. Darum sagte ich:

"Wie sehr ich Deinem Worte traue, das will ich Dir beweisen. Wenn Du mir versprichst, hier an diesem Baumstamme sitzen zu bleiben und ihn als Dein Gefängnis zu betrachten, bis ich zu Dir zurückkehre, so binde ich Dich los."

"Ich verspreche es. Genügt Dir das?"

"Ja."

(Seite 30A) Ich knüpfte erst den Lasso und dann auch alle Riemen auf. Während ich dies tat, gestand ich ihm aufrichtig:

"Ich bin sogar bereit, Dich vollständig freizugeben und nach Eurem Lager mitzunehmen, wenn Du mir Dein Wort gibst, mich und meinen Begleiter nicht als Feinde zu behandeln."

Er schüttelte den Kopf und erklärte:

"Aus diesem Vorschlage spricht die Stimme Deines Herzens, aber es ist mir verboten, auf sie zu hören."

"Von wem?"

"Von der Ehrlichkeit. Wir Ussul geben niemals Versprechen, von denen wir wissen, daß sie höchst wahrscheinlich nicht zu halten sind. Ich weiß ebensowenig wie Du, wo Dein Begleiter steckt und was er getan hat, oder was mit ihm geschehen (Seite 30B) ist. Falls man ihn ergriffen hat, kommt es darauf an, ob er sich dagegen wehrte. Ein einziger Tropfen Blut kostet ihm das Leben. Und selbst wenn er keinen Widerstand leistete, bin ich nicht der einzige, der über sein Schicksal zu bestimmen hat. Der Sahahr hat auch mit zu bestimmen. Ich kann Dir also kein Versprechen machen und bleibe lieber als rechtschaffener Mann hier im Gefängnis sitzen, als daß ich mir die Freiheit durch Betrug erkaufe!"

Er war inzwischen von seinen Fesseln befreit, setzte sich nieder und lehnte sich an den Pappelstamm mit der Miene eines Mannes, der entschlossen ist, an Ort und Stelle zu bleiben.

(Seite 31A) "So reite ich denn allein fort," sagte ich. "Du wirst also hier warten, bis ich zurückkehre?"

"Ja."

"So werde ich mich beeilen. Leb wohl!"

Ich reichte ihm die Hand. Er schüttelte sie mir in höchst brüderlicher Weise, ließ über sein urwaldbärtiges Gesicht ein freundliches Lächeln gehen und sprach:

"Kehr bald zurück! Ich freue mich schon darauf. Ich habe Dich schon sehr gern, genau so gern wie der Smihk!"

Er bezog sich mit dieser Äußerung auf den Urgaul, der vor Wonne zu trampeln begann, als er sah, daß ich beabsichtigte, mich wieder auf seinen Rücken zu schwingen. Und als ich oben war, stieß er einen Jubelschrei aus, der genau so klang, als ob der tiefste Ton einer Baßposaune mit dem höchsten Ton einer Piccoloflöte im heftigsten Zweikampf liege, und rannte mit solcher Schnelligkeit davon, als ob er den Scheik der Ussul im ganzen Leben nicht wiedersehen wolle.

Ich bin einmal mit einem feschen Tirolerbuben, der am Tage vorher Hochzeit gemacht hatte, auf die Alpe gestiegen. Der konnte sich vor lauter Glück nicht fassen und stieß alle fünfzig oder hundert Schritte einen schallenden Juchzer aus, sonst wäre er vor Seligkeit zerplatzt. Mein >Dicker< schien ähnlich wirkende Seligkeiten im Busen zu tragen, denn er benahm sich fast genau in derselben Weise. Während er spornstreichs dahinrannte, ohne sich nach rechts oder links umzusehen, riß er von Intervall zu Intervall das Maul auf und ließ einen Juchezer hören, welcher so klang, als ob ein Kanonenschuß, ein Ziegenmeckern, ein Hähnekrähen, ein Eselsschrei und das Zischen einer dampfabblasenden Lokomotive zusammengemischt und dann mit aller Gewalt durch einen Klarinettenschnabel hinausgeblasen werde. Und wunderbar war es, daß ich ihn fast nicht zu lenken brauchte. Er schien mein Gespräch mit seinem Herrn genau verstanden zu haben und infolgedessen sehr wohl zu wissen, wohin ich jetzt wollte. Denn er rannte von der Pappel aus direkt nach der Stelle zurück, an der ich seinen Herrn mit dem Lasso festgenommen hatte, und bog dann ohne das geringste Zögern rechts auf die Spuren ein, durch welche die Richtung bezeichnet wurde, aus der wir gekommen waren. Er trug mich also durch die duftenden Papilionaten nach der Stelle zurück, auf welcher unsere Begegnung stattgefunden hatte, und zwingt mich dadurch noch heut zu einem Geständnisse, durch welches ich mich ganz unbedingt blamiere.

Nämlich, wenn meine Reiseerzählungen wirklich nur aus der >reinen Phantasie< geschöpft wären, wie zuweilen behauptet wird, so käme ich jetzt ganz gewiß mit großen, wunderbaren Reiterkünsten, durch die ich den >Dicken< besiege und dazu zwang, nun hier an diesem Orte, wo die Gefahr für mich begann, gehorsam anzuhalten, damit ich die nötige Bedachtsamkeit und Vorsicht üben könne. Aber ich erzähle bekanntlich nur Wahrhaftiges und innerlich wirklich Geschehenes und Erwiesenes. Meine Erzählungen enthalten psychologische Untersuchungen und Feststellungen. Kein wirklicher Psycholog aber würde mir Glauben schenken, wenn ich so töricht wäre, zu behaupten, daß es im fernen und doch so nahen Lande des Menschen-Innern so leicht sei, ein Urpferd bezw. Urgeschöpf zu zähmen. Diese Urgefühle gleichen dem dicken Smihk in so auffallender Weise, daß ich unbedingt bei der Wahrheit bleiben und meine Ohnmacht eingestehen muß, ihn mir untertan zu machen. Es ging mir vielmehr ganz genau so, wie vorhin dem Scheik selbst. Ich hatte während des ungemein holperigen Galoppes nur darauf zu achten, nicht herabgeschleudert zu werden. Der >Dicke< ging nicht etwa durch mit mir, o nein. Was er tat, das tat er mit voller Überlegung und aus reiner Liebe. Er wollte mir zeigen, was für ein vortrefflicher Renner er sei. Ich sah dies ein und hoffte, daß er da, wo Hadschi Halef sich von mir getrennt hatte, anhalten werde. Aber das fiel ihm gar nicht ein. Im Gegenteile! Sobald er dort die breiten Spuren der Ussul zu Gesicht bekam, vergrößerte sich sein Eifer. Er hatte zwar fast keinen Atem mehr, aber er lief trotzdem noch schneller als vorher. Ich tat alles, dies zu verhindern, doch vergeblich. Der Zügelstrick wirkte nicht. Schenkeldruck gab es nicht. Dazu war das liebe Tierchen denn doch zu dick! Ich versuchte es mit begütigenden Zurufen. Sie bewirkten grad das Gegenteil: Smihk (Seite 31B) glaubte, ich wünsche noch größere Schnelligkeit. Ich kannte die Interjektionen noch nicht, durch welche die Ussul ihre Pferde kommandieren. Schließlich wendete ich die Sporen an, um höchst alberner Weise das Pferd dafür zu strafen, daß es mich nicht verstand. Da wurde es noch toller. Es rannte nicht mehr, sondern es flog. Aber was war das für ein Flug! Wie eine Löffelgans mit Sperlingsflügeln! So ging es ächzend, stöhnend, fauchend, schnurrend und knurrend auf den Spuren der Ussul weiter, zwischen den Buschgrenzen dahin, um die linke Ecke, hinter der mein Hadschi verschwunden war, und dann direkt auf das Lager der Ussul zu. Denn der Scheik hatte mir ja gesagt, daß man vom Lager aus grad bis nach dieser Ecke sehen könne. Ich nahm an, daß man mich jetzt dort bemerkte und daß der Dicke, dort angekommen, stehenbleiben werde. Ich hatte mich heimlich anschleichen wollen und kam nun jetzt so gewaltsam öffentlich! Was hatte ich zu erwarten? Mochte es sein, was es wolle, ich besaß keine Macht, es abzuwenden. Ich konnte nur dahintrachten, womöglich nicht bemerken zu lassen, daß nicht ich, sondern das Pferd der Lenker war.

Unser Weg, nämlich die Lichtung, führte grad auf den Wald zu und dann in diesen hinein. Er verlief dort nicht eben, sondern er senkte sich; er ging abwärts. Das ermöglichte mir einen sehr willkommenen Überblick. Die eigentliche, vollständig freie Aussicht, die ich hatte, war zwar nicht breit, aber zu beiden Seiten von ihr standen die Riesenbäume so weit auseinander, daß sich mir die Situation zwischen ihren Stämmen hindurch sehr deutlich vor Augen stellte.

(Seite 32A) Das Lager war am Waldesrand errichtet: Hütten aus Stangen, Zweigen und Laub mit mehreren Feuerstätten. Von da ging es zwischen den Bäumen nach einer Art von See hinunter, in dem eine Insel lag. Auf diese Insel zu schwamm ein Boot, ein riesiger >Einbaum<, aus einem einzigen Stamme durch Feuer ausgehöhlt. Es wurde von zwei Männern gerudert. Zwei andere saßen darin, ohne etwas zu tun. Das sah ich deutlich. Denn die grad auf die glänzende Fläche des Sees verlaufende Lichtung wirkte zwischen dem dunklen Saum der Bäume wie ein Fernrohr, welches das Objekt vergrößert und verdeutlicht. Ich konnte die Kleidung und die Gesichtszüge nicht erkennen, aber der eine von den beiden war bedeutend kleiner als der andere. Im Lager schien sich niemand zu befinden. Die Leute, die ich sah, standen am Ufer des Sees oder waren unterwegs nach dem Lager zurück.

Je mehr ich mich dem letzteren näherte, desto bestimmter wurden die Umrisse dessen, was ich sah. Die Gesichtszüge derer, die mir näher waren, wurden deutlicher, und ich erkannte die Kleidung des kleinen Mannes im Kahne, Halef war es. Ich vermutete, daß man ihn gefangen genommen hatte und nun nach der Insel schaffen wollte. Man hatte mich bis jetzt noch nicht bemerkt, weil die Aufmerksamkeit auf den Kahn gerichtet gewesen war; nun aber sah man mich. Das Pferd des Scheiks, und ein fremder Mensch darauf! Im rasenden Galopp, wie man den >Dicken< noch niemals hatte laufen sehen! Man erhob ein lautes Geschrei und kam von der mir entgegengesetzten Seite auf das Lager zugerannt. Es waren lauter riesige Gestalten, einige von ihnen sogar noch größer als der Scheik. Sie rissen ihre Waffen von den Baumstämmen, an denen sie hingen oder lehnten, und schauten mir drohend entgegen. Natürlich glaubten sie, daß ich am Lager anhalten werde. Der >Dicke< schien allerdings dieses Willens zu sein, denn als wir noch ungefähr dreißig Pferdelängen entfernt waren, minderte er die Schnelligkeit seines Laufes. Da aber kam mir ein Gedanke: War es einmal gelungen, meinen Halef nach der Insel zu schaffen und dort zu isolieren, so bildete er in den Händen der Ussul eine Geisel gegen meinen Geisel, und ich verlor den besten Trumpf, den ich besaß. Der fette, runde >Dicke< war auf alle Fälle ein guter Schwimmer. Er durfte nicht stehen bleiben. Er mußte zum See und mit mir in das Wasser. Ich stieß ihm also die Sporen in die Seiten. Da gab er den Vorsatz, anzuhalten, auf und griff von neuem aus. Ich steckte meine Revolver, um sie gegen die Nässe zu schützen, in das Innere meines ledernen Gürtels und nahm die beiden Gewehre in die Hand, um sie beim Sprunge in das Wasser hochzuhalten. So schossen wir an dem Lager vorüber, in den Wald hinein und auf den See zu. Die dort Stehenden hörten das Geschrei derer, die sich auf dem Wege nach dem Lager (Seite 32B) befunden hatte. Sie sahen mich und stimmten in das Geschrei mit ein.

Es gab eine hochinteressante, unendlich wilde Szene. Diese mächtigen Urwaldbäume! Dieser schlangengleich sich windende, mir wie ein lauerndes Unglück entgegenschimmernde See! Diese gigantischen Menschengestalten! Tierisch behaart und massig gegliedert wie neu entstandene Wesen, die soeben erst den Übergang aus dem Tierreich in das Menschengeschlecht bewerkstelligt haben! Diese unartikulierten Stimmen! Diese grotesken, ungeschlachten Bewegungen, in die sie ihre Drohungen kleideten! Dazu der ungewöhnliche Anblick, den ich auf dem vor Anstrengung laut stöhnenden >Dicken< bieten mußte! Meine Sporen trieben ihn vorwärts. Er weigerte sich nicht im geringsten. Er schien keine Spur von Furcht vor dem Wasser zu besitzen und das hinter uns und vor uns erdröhnende Geschrei für eine sehr ästhetische Bewegung zu halten, denn als er dem Wasser in nächste Nähe kam, brüllte er laut und ehrlich mit und flog in einem wahren Riesensprunge vom Ufer weg in die tiefe Flut hinein. Wie es geschehen konnte, daß das Wasser mich nicht von seinem breiten Rücken hob, das weiß ich heut noch nicht. Ich hielt im Sprunge die Gewehre hoch, sank aber in Folge der Schwere mit dem >Dicken< so vollständig unter, daß auch die Waffen naß wurden, doch glücklicherweise nur äußerlich, denn wir tauchten sofort wieder auf, und da war ein für mich sehr günstiger Umstand, daß ich noch fest saß und mich von dem >Dicken< tragen lassen konnte, anstatt selbst schwimmen zu müssen.

Das Urpferd benahm sich so, als ob es von den Amphibien stamme, die im Wasser ebenso zu Hause sind wie auf dem Lande. Es schwamm nicht nur gut, sondern auch schnell. Und, was die Hauptsache war, es sah das Boot, welches nach der Insel strebte, und schwamm ihm augenblicklich nach, und zwar mit einem solchen Eifer, als ob es meine Absichten begriffe. Hätte es eine andere Richtung eingeschlagen, so wäre es mir wohl sehr schwer geworden, dem Boote nicht nur zu folgen, sondern gar, es einzuholen. Nun sah ich auch die Züge des kleinen Mannes deutlich, der darin saß: es war Halef. Ganz selbstverständlich erkannte er auch mich.

"Hamd ul Illah, Allah sei Preis und Dank, daß Du kommst!" rief er mir zu. "Man will mich hier auf der Insel einsperren. Ich bin Gefangener!"

Er sprach in seinem heimatlichen, moghrebiner Dialekt, den von den Ussul jedenfalls keiner verstand.

"Bist Du gefesselt?" antwortete ich ihm über die Wasserfläche hinüber.

"Nur die Hände auf den Rücken gebunden. Weiter nichts."

"Wie sind die Leute im Boote bewaffnet?"

"Sie haben nur Messer. Der Kerl, neben dem ich sitze, ist der Zauberer."

"Hast Du schon gesagt, wer wir sind?"

(Seite 33A) "Ist mir nicht eingefallen!"

"Von mir gesprochen?"

"Kein Wort! Ich habe so getan, als ob ich ganz allein sei."

"Aber sie haben sich nach Deinem Pferd erkundigt?"

"Nein."

"Du hast doch Sporen! Folglich mußten sie sich sagen, daß Du beritten bist!"

"Hierzu sind sie zu dumm. Willst Du das Boot einholen?"

"Ja."

"Das werde ich Dir erleichtern."

Während dieser kurzen Wechselrede wurde ihm das Sprechen von dem Zauberer wiederholt verboten. Ich konnte das zwar nicht deutlich verstehen, aber ich ersah es aus den Gestikulationen. Jetzt wendete sich Halef zu ihm hin, um Fragen, die man an ihn richtete, zu beantworten. In wie pfiffiger Weise er dies tat, war sehr bald zu ersehen. Der Zauberer erteilte den Ruderern einen Befehl, infolgedessen das Boot gewendet wurde und dann gerade Richtung auf mich nahm.

"Sie wollen Dich ergreifen," rief er mir zu.

"Das ist mir lieb," antwortete ich. "Bleib fest sitzen, daß Du nicht herausfällst! Das Boot wird sehr ins Schwanken kommen. Ich werfe den Zauberer in das Wasser."

"Allah, Wallah, Tallah! Nun Du da bist, gibt es doch gleich einen anderen Ton!"

Mein >Dicker< paddelte sich mit großer Energie vorwärts, und auch die beiden Ruderer holten sehr kräftig aus. So kamen wir einander schnell näher, und der Zauberer hielt es für an der Zeit, das Wort an mich zu richten. Er war ein Hühne, hoch bei Jahren, mit weißem Haar und Bart. Auch seine nackte Brust war dicht und weiß behaart. Das gab ihm etwas Eisbärartiges, zumal seine Bewegungen zwar nicht plump, aber ziemlich ungelenk zu nennen waren.

"Wer bist Du?" fragte er mich.

"Das wirst Du bald erfahren," antwortete ich aus dem Wellenkreise heraus, den mein Urgaul um mich schlug.

"Was willst Du hier?" fuhr er fort.

"Nach der Insel hinüber will ich."

"Das darfst Du nicht! Du hast hierherzukommen, in mein Boot!"

"Fällt mir nicht ein!"

Natürlich verstellte ich mich bloß, um ihn sicher zu machen.

"Du hast zu gehorchen! Ich zwinge Dich!" drohte er.

"Versuch, ob es Dir gelingt!"

"Wenn Du Dich weigerst, schlagen wir Dich einfach mit den Rudern tot!" drohte er.

Da tat ich, als ob ich erschrecke, und meinte in zaghaftem Tone:

"Das werdet Ihr doch nicht! Oder seid Ihr etwa Mörder?"

"Nein! Wir sind Ussul, und ich bin der Sahahr, der Priester. Wir morden nicht. Aber wer es wagt, uns zu widerstehen, der gefährdet allerdings sein Leben. Paß auf! Ich gebe Dir die Hand und ziehe Dich vom Pferd in das Boot hinein!"

Der gute, alte Mann! Er tat so außerordentlich martialisch und hatte dabei doch das gutmütigste Gesicht, das man sich denken kann! So, wie er aussah, pflegt man sich den heiligen Niklaus, den >Weihnachtsmann<, den Knecht Ruprecht vorzustellen, der kurz vor dem Christfest in Dorf und Stadt herumzugehen pflegt, um böse Kinder zu strafen, gute aber mit Pfefferkuchen, Äpfeln und Nüssen zu beschenken. Er stand aufrecht in der Mitte des Einbaums und ließ ihn so steuern, daß er grad vor mir und dem >Dicken< zu halten kam.

"Komm herein!" befahl er, indem er sich niederbeugte und mir die Hand entgegenhielt. "Greif zu; ich helfe Dir!"

"Nimm erst diese Gewehre, und leg sie in das Boot!" forderte ich ihn auf.

Ich gab sie ihm; der unbefangene Mann nahm sie wirklich und legte sie fürsorglich auf die trockenste Stelle des Fahrzeuges. Dann hielt er mir die Hand wieder hin und wiederholte:

"Faß zu! Ich werde Dich ziehen!"

Da glitt ich vom Pferde, klammerte mich mit der Linken fest an den Bord und griff mit der Rechten zu, um ihn zu fassen, aber nicht an der Hand, sondern am oberen Arme. Ein kräftiger Ruck - - ein Schwung - - und anstatt mich zu (Seite 33B) sich hineinzuziehen, flog er aus dem Boot heraus in das Wasser, in welchem er für einige Augenblicke so vollständig verschwand, daß gar nichts von ihm zu sehen war. Nur einen kurzen Moment später stand ich im Einbaume, an derselben Stelle, an der er gestanden hatte, zog mein Messer und schnitt den Riemen entzwei, mit welchem Hadschi Halef gebunden worden war. Dieser sprang sofort vergnügt in die Höhe, warf die frei gewordenen Arme in die Luft und rief jubelnd aus:

"Allah sei Lob und Dir sei Dank gesagt, Effendi, daß ich wieder im Besitz meiner Hände bin! Du wirst gleich sehen, was ich tue."

Er nahm meinen schweren Bärentöter vom Boden auf, richtete ihn auf den Mann, der im Vorderteile ruderte, und rief ihm zu:

"Leg das Ruder herein, und mach Dich von dannen, sonst schieß ich Dich augenblicklich tot!"

Dieser Mann war ein Riese und Halef gegen ihn ein Zwerg. Aber der auf ihn gerichteten Kugelmündung widerstand er nicht. Er zog gehorsam das Ruder ein und sprang über Bord. Der Hadschi richtete den Lauf nun auch auf den Mann, der im Hinterteile saß. Dieser wartete den Befehl des Kleinen gar nicht erst ab. Er riß das Ruder herein, ließ es fallen und sprang hinaus in die Flut.

"Sind das Helden!" lachte Halef, indem er das Gewehr wieder von sich legte.

"Vor allen Dingen weg von ihnen!" warnte ich, indem ich das eine Ruder ergriff und Halef durch einen Wink aufforderte, das andere zu nehmen.

Ich wollte, daß die drei Ussul das Boot nicht wieder betreten, sondern im Wasser bleiben sollten. Das Boot hatte durch den Schwung, mit dem der Zauberer herausbefördert worden war, einen Stoß erhalten, der es von der Stelle trieb. Wir bemühten uns jetzt, diese Entfernung noch zu vergrößern. Die Ussul erwiesen sich als sehr gewandte Schwimmer. Sie wollten außerdem auch noch die Kraft des Pferdes zu Hilfe nehmen. Der Zauberer bemühte sich, ihm auf den Rücken zu steigen, und die beiden Ruderer trachteten danach, die Enden des Zügelstrickes zu fassen. Aber der >Dicke< wehrte sich. Er schlug und biß nach ihnen und strampelte das Wasser derart zu Gischt und Schaum, daß man meinen konnte, ein Okeanidenbild aus der griechischen Mythologie vor sich zu haben.

"Das ist ein großartiges Vieh, dieses Pferd!" ließ sich Halef hören. "Wo hast Du es her, Sihdi? Das möchte ich hören!"

"Zu hören, wie Du in dieses vorweltliche Boot gekommen bist, ist noch viel wichtiger," anwortete ich.

"Kannst Du mir nicht erlassen, es Dir zu erzählen, Sihdi?" fragte er.

"Nein."

"So erlaube, daß ich Dich dabei nicht anzusehen brauche! Denn ich schäme mich!"

"Ah? Wirklich?"

"Ja!"

Da draußen auf dem Wasser plagten sich die drei Ussul noch mit dem Pferd herum. Ich saß, das Ruder in der Hand, an dem einen Ende des Kahnes, Halef am andern. Er sah vor sich nieder, warf dann mit einer energischen Bewegung den Kopf nach hinten und sprach:

"Es hilft nichts! Ich kann nicht anders; ich muß es eingestehen! Sihdi, ich bin ein Schaf, ein Ochse, ein Kamel, kurz, ein Dummkopf, wie es gar keinen größeren geben kann!"

Er machte eine Pause, die ich dazu benütze, ihn zu fragen:

"Ist das wirklich Deine Ansicht?"

"Nicht nur meine Ansicht, sondern sogar meine felsenfeste Überzeugung! Sie gefällt Dir wohl nicht?"

"O doch! Sogar sehr! Aber vorher dachtest Du doch wohl anders?"

"Allerdings! Sihdi, mein lieber Sihdi, ich sage Dir: Es gibt Augenblicke, in denen ich mich für den klügsten und vortrefflichsten Menschen halte, den Allah in seiner Güte erschaffen hat. Und es gibt wieder andere Augenblicke, in denen ich darauf schwören kann, daß ich der dümmste Mensch der ganzen Erde bin. Glaubst Du das?"

(Seite 34A) "Ich glaube es. Denn jeder noch nicht vollständig ausgereifte Mensch hat derartige Augenblicke. Worauf schwörst Du denn wohl jetzt? Etwa auf die Klugheit?"

"Nein, sondern auf die Dummheit."

"Das freut mich, Halef; das freut mich ungemein!"

"Wie, Effendi? Du freust Dich darüber, daß ich dumm bin?" fragte er in seinem vorwurfsvollsten Tone.

"Nein. Sondern darüber, daß Du einsiehst, es zu sein. Wer seine Fehler erkennt, der befindet sich auf dem Weg der Besserung. Und daß Du jetzt, in diesem Augenblick, an diese Deine Besserung denkst, das versteht sich ganz von selbst!"

"Richtig! Sehr richtig! Ich denke an sie!" gestand er ein. "Später werde ich es Dir noch ausführlicher sagen, denn jetzt habe ich keine Zeit dazu; aber es war im höchsten Grade lächerlich von mir, zu denken, daß ich die Hauptperson sei, Du aber nur die Nebenperson. Ich habe mich betragen wie ein Knabe, dessen Hirn erst Milch und noch nicht Nervenmasse ist. Ich bin wie ein Tapps den Spuren nachgelaufen, ohne auch nur mit einer Silbe daranzudenken, daß man mich schon von weitem sehen muß. Sie haben mich bemerkt, ohne daß ich ahnte, wie nahe ich ihrem Lager sei. Sie versteckten sich zu beiden Seiten hinter die Sträucher und fielen über mich her, sobald ich diese Stelle erreichte. Dann schleppten sie mich zum Lager hin, um über mich zu verhandeln. Sie wollten wissen, wer ich sei, woher ich komme und was ich hier bei ihnen wolle - - -"

"Was hast Du da gesagt?" unterbrach ich da den Fluß seiner Rede.

"Nichts," antwortete er.

"Nichts? Unmöglich! Du hast doch eine Antwort geben müssen!"

"Nein! Ich habe keine gegeben. Es fiel mir nichts ein, was ich hätte sagen können, gar nichts."

"Das ist geradezu unglaublich! Dir nichts einfallen? Meinem Hadschi Halef nichts einfallen? Das ist Dir doch wohl in Deinem ganzen Leben nicht ein einzigesmal geschehen!"

"Allerdings nicht. Heut aber geschah es zum ersten Male."

"Vor Schreck etwa?"

"Nein, sondern vor Erstaunen."

"Über die Größe dieser Leute?"

"Das nicht. Du weißt ja, Sihdi, daß körperliche Größe mich nicht verblüfft. Auch hier nicht, obwohl diese Ussul fast ohne Ausnahme alle Riesen sind. Aber ihre Behaarung! Allah 'l Allah! Was sind das für Menschen! Schon die Männer! Diese Köpfe und diese Bärte! Ich mußte mir Mühe geben, nicht laut aufzulachen. Aber dann die Frauen, die Mädchen, die Weiber, die - die - - die - - - Sihdi, wie heißen in Deiner Heimat die vornehmen Frauen? Wie nennt man sie?"

"Damen."

"Richtig! Die Damen, die Damen der Ussul! Besonders die Frau des Scheiks, der jetzt nicht anwesend ist. Sie heißt Taldscha und ist im ganzen Gesicht behaart, auch an den Wangen und an der Stirn. Man sieht nur die Nasenspitze und die beiden kleinen Augen. Und diese Haare sind blond, ganz hellblond, und reichen bis auf die Lenden herab. Ich sage Dir, ich war derart erstaunt, daß mir die Stimme versagte, daß ich die Sprache verlor. Und dumm sind sie, diese Menschen, geradezu blitz- und hageldumm. Denke Dir nur: Sie hielten mich für einen entsprungenen Hofnarren, für den Zwerg und Possenreißer irgend eines Herrschers. Und später kam der Zauberer gar auf die wahnsinnige Idee, daß ich sehr wahrscheinlich der Leibzwerg des 'Mir von Dschinnistan sei, aber nicht ihm entsprungen, sondern von ihm als Spion gesandt, das Gebiet von Ardistan auszukundschaften! Ich und ein Zwerg! Ein Kundschafter und Späher! Aber die andern glaubten es ihm. Wäre der Scheik zugegen gewesen, so hätte man mich auf der Stelle umgebracht. Da man mit diesem Urteile und seinem Vollzuge aber bis zu seiner Rückkehr warten muß, so beschloß man, mich inzwischen auf die Insel hinüberzuschaffen, von der aus ich nicht entfliehen könne."

"Hast Du Dich gewehrt?"

"Nein. Ich konnte nicht. Als man mich ganz unerwartet ergriff, nahm man mir sofort das Messer, die Pistolen und (Seite 34B) alles andere, was ich im Gürtel trug. Womit hätte ich mich da wohl wehren können? Etwa mit den Händen, wo die ihren viermal größer sind als die meinen? Nun ist es ein Glück, daß Du gekommen bist! Wie gedenkst Du uns zu befreien?"

"Uns zu befreien? Welch eine Frage! Wir sind ja frei!"

Er sah mich an, schaute rundum, lachte dann fröhlich auf und rief:

"Das ist allerdings richtig, ganz außerordentlich richtig! Es gibt hier nur dieses einzige Boot. Wir brauchen doch nicht zu ihnen zurückzukehren, sondern einfach nur quer über den See zu rudern. Wir kommen viel eher dort an als sie, die den weiten Umweg längs des Ufers machen müssen. Aber, weißt Du, Effendi, das, was sie mir abgenommen haben, möchte ich ihnen nicht gern lassen!"

"Das sollst Du auch nicht. Wir haben gar keine Veranlassung, zu fliehen. Sie haben uns zu gehorchen. Ich werde sie zum Frieden zwingen. Ihr Scheik befindet sich nämlich in meiner Gewalt."

"Du hast ihn gesehen?" fragte er rasch.

"Gesehen und gefangen genommen!"

"Hamdulillah! Nun sind wir wieder groß!"

Er stand von seinem Sitze auf, tat einen Freudensprung, daß der Kahn ganz gefährlich zu schaukeln und zu rollen begann, und fuhr dann fort:

"Unser Gefangener, unser Gefangener ist er! Was können diese Giganten uns nun tun? Nichts! Wenn sie uns nicht gehorchen, so schlachten wir ihn ab und fressen ihn auf mit Haut und Haar und Knochen! Sihdi, das müssen wir ihnen sagen, sofort sagen! Greif zum Ruder! Wir fahren hinüber zu ihnen. An das Ufer! Sofort, sofort!"

Er setzte sich wieder an seinen Platz, um seine Wort auszuführen. Ich hatte nichts dagegen und fragte nur, wo die Sachen, die ihm abgenommen worden waren, zu suchen seien. Er antwortete:

"Die Dame Taldscha hat alles zu sich gesteckt. Sie sagte, daß es dem Scheik gehöre und also sie es in Verwahrung zu nehmen habe. Mir scheint, daß sie es ist, die den Stamm regiert, nicht er. Sogar der Zauberer wagte nicht, zu widersprechen. Er ist sehr höflich zu ihr. Sie hat einen Ledersack an ihrer Seite hängen; da hinein hat man alles getan."

Diese kurze, sehr notwendige Unterredung erforderte zwischen Halef und mir natürlich nicht so viel Zeit, wie man braucht, um sie zu lesen. Dennoch hatten sich die drei von uns aus dem Boot getriebenen Ussul schon ziemlich weit von uns entfernt. Sie schwammen dem Ufer zu, an dem ihre Leute standen und durch alle möglichen Arten von Geschrei und Lärm kundgaben, wie unverständlich ihnen das sei, was sich ereignete. Auch wir ruderten ihm zu, aber langsam und bequem, denn wir hatten keinen Grund, eine sonderliche Eile zu entwickeln. Darum stieg der Zauberer mit seinen beiden Ruderern viel eher an das Land, als wir es erreichten. Der Urgaul, welcher ursprünglich Nazik und dann Smihk geheißen worden war und also höchst wahrscheinlich beide Namen führte, bekümmerte sich jetzt weder um sie noch um mich. Er schwamm bald hierhin, bald dorthin, und stieß dabei von Zeit zu Zeit ein äußerst behagliches Grunzen aus. Es schien, als ob ihm dieses Reinigungsbad eine Wonne sei, doch kaum hatte er das Ufer erreicht, so begann er sofort, sich in dem dortigen, tiefen Schlamm zu wälzen, um den von der Haut heruntergespülten Überzug zu erneuern.

Unsere Aufmerksamkeit war ganz selbstverständlich auf die hochinteressanten Menschen gerichtet, die ihr Geschrei eingestellt hatten und unserer Annäherung nun still entgegensahen. Ich zählte sie. Es waren neunzehn Männer und nur eine Frau. Von den ersteren fehlte also nur der Scheik, und von den letzteren war es höchst wahrscheinlich nur seiner Frau gestattet, an so wichtigen Vorkommnissen teilzunehmen. Als wir so weit an sie herangekommen waren, daß es nur noch zweier Ruderschläge bedurfte, uns an das Land zu treiben, gab ich Halef das Zeichen, anzuhalten. Es war unter ihnen nicht eine einzige gewöhnliche Gestalt; sie alle waren Riesen. Und sie alle waren ungewöhnlich behaart, doch nicht in gleicher Weise. Am wenigsten bebartet war der Zauberer. Sonst aber sah man alle möglichen (Seite 35A) Abstufungen der Haaresfülle, entweder wellig, wollig oder schlicht, doch konnte man nur fünf von ihnen als eigentliche, wirkliche >Haarmenschen< bezeichnen, bei denen vom Gesicht nur die Nasenspitze und die Augen zu sehen waren. Zu diesen fünf gehörte die Herrin des Stammes, von ihrem Manne >Schneeglöckchen< genannt. Als er mir diesen Kosenamen sagte, hatte ich erwartet, daß ich später über ihn lachen werde; aber sonderbar, nun ich diese Frau vor mir stehen sah, fand ich nicht den geringsten Grund zur Ironie. Im Gegenteile! Die Frau machte Eindruck auf mich, und zwar in einer Weise, die mir anfänglich als ein Rätsel erschien und erst nach und nach begreiflich wurde.

Sie war ganz in Leder gekleidet, aber in so feines und weiches, wie ich es noch nie gesehen hatte. Und man denke sich: dieses Leder war blau und wie mit einem überaus feinen Blumen- oder Schmetterlingsstaub bedeckt, der metallisch silbern glänzte. Etwas stärker war das Leder der naturfarbenen Schuhe. Diese, in höchst kunstvoller Weise aus einem einzigen Stück geschnitten, erhielten durch Zug und Riemen die Form der wohlgestalteten Füße, welche in ihrem Verhältnisse zur Körpergröße als klein und niedlich zu bezeichnen waren. Verhältnismäßig noch kleiner waren die Hände. Ich hatte später noch oft Gelegenheit, zu sehen, wie sorgfältig gepflegt, wie blüteweiß und rosig überhaupt sie waren. Das Haar der Frau war fein, dünn und goldig blond, weder aschfarben noch rötlich, sondern von jenem mittelfarbigen, lebenden Gold, welches echt und edel ist. Es hing hinten und vorn bis über den Gürtel herab, in leisen Wellen rieselnd, die vermuten ließen, daß es häufig in Zöpfe geflochten wurde. Und diese goldig schimmernde Flut war mit den Federn des Paradiesvogels geschmückt, so einfach, so natürlich, so ungesucht, daß ich mit dem Worte Schmuck nicht eigentlich das treffe, was ich bezeichnen will. Obgleich wir uns mitten in der Wildnis befanden, sah man an der hohen Gestalt dieses Weibes nicht das kleinste Fleckchen und nicht die geringste Spur von Schmutz und Unsauberkeit. Frisch, rein, unbefleckt, natürlich, lauter, so war der Eindruck, den ich gleich beim ersten Blick auf sie von ihr erhielt, und da kam mir der Vergleich, der in ihrem Namen lag, gar nicht unpassend vor. Ihr Auge erschien nur infolge der Behaarung klein. In Wahrheit war es groß und von einem Blau, welches für diese so weit entlegene Gegend des Orients eine große Seltenheit zu nennen war. Später bemerkte ich, daß ein leiser, feiner, wohltuender Duft von dieser Frau ausging, ein Duft der Gesundheit, der Lebenskraft, der immerwährenden Verjüngung, ein seelischer Zwang, in ihrer Gegenwart alles, was nicht gut ist, zu vermeiden. Es war, als ob ich diesen Duft schon jetzt, aus der Entfernung, mit den Augen spüre, denn es tat mir wohl, sie vor mir stehen zu sehen, ganz abgesehen davon, daß die Fremdartigkeit ihrer Erscheinung meine Augen und mein Interesse auf sich zog.

Sie war nach der Stelle des Ufers geschritten, wohin der Lauf unsers Bootes gerichtet gewesen war. Da stand sie jetzt, nur der Zauberer neben ihr, einige Schritte hinter ihnen die fünf Männer, die ich als eigentliche, wirkliche Haarmenschen bezeichnet habe, und die übrigen noch weiter seitwärts oder zurück. Hierin lag für mich der Beweis, daß die Frau, wenigstens in Abwesenheit des Scheiks, die Gebieterin war, wenn auch unter Beihilfe des Zauberpriesters. Später erfuhr ich, daß sie auch den Scheik zu beherrschen wußte und daß dieser nichts tat, ohne sich vorher mit ihr besprochen zu haben. Sie war geliebt und verehrt als eine Art höheres und besseres Wesen und genoß den Ruf, nur das Gute zu wollen und nie etwas Böses getan zu haben. Die fünf Haarmänner aber gehörten den berühmtesten Familien des Stammes an, in denen diese vollständige Hypertrichosis universalis erblich war, und bildeten das, was man bei uns daheim >die Großen des Reiches< nennen würde. Es hat auch in Europa derartige Haarmenschen gegeben und gibt sie noch. Ich erinnere an Felix Platter am Hofe Heinrichs II. von Frankreich, an die Mexikanerin Pastrana, welche durch Europa reiste und in Rußland starb, an Adrian Feodor Jestichew, an die Familie Ambras und an die Böhmin Marietta Schöbl. Besonders berühmt sind die Siamesin Krao und der Lao-the Schwe Maong mit seiner Tochter und ihren beiden Söhnen. Aber diese Haarmenschen, die man auch als (Seite 35B) Hunde- oder Bärenmenschen zu bezeichnen pflegte, waren Ausnahmen, während die Ussul, die ich hier vor mir stehen sah, die Regel zu bilden schienen. Ich war im hohen Grade gespannt darauf, wie unser Zusammentreffen mit ihnen sich entwickeln werde.

Als wir unser Boot anhielten, wechselten der Sahahr und Taldscha einige leise und unverständliche Worte miteinander. Wahrscheinlich hatte sie die Unterredung oder Untersuchung nicht beginnen wollen, sondern ihn aufgefordert, es zu tun, denn er tat einen kleinen Schritt vor und fragte zu uns herüber:

"Warum zögert Ihr? Ihr habt vollends heranzukommen und auszusteigen!"

"Warum?"

"Weil ich es Euch befehle!" antwortete er.

"Es gibt keinen einzigen Menschen, der uns etwas zu befehlen hat! Wer bist Du?"

"Ich bin der Zauberpriester des Riesenvolkes der Ussul. Und hier, neben mir, steht Taldscha, die Frau unsers Scheiks!"

"Und der Scheik selbst? Wo befindet er sich?"

"Er ist nicht hier, wird aber bald kommen. Also, ich befehle Euch, jetzt auszusteigen! Ich habe Euch zu verhören."

"Ich sagte Dir bereits, daß wir keinem Menschen Gehorsam schuldig sind; da seid auch Ihr mit inbegriffen. Aber ich bin gewohnt, jeder Person, die man mir als Priester bezeichnet, mit Achtung zu begegnen, und in dem fernen Lande, wo ich geboren bin, ist es Sitte aller guten Menschen, die Frauen zu ehren und allen ihren Wünschen, wenn sie vernünftig sind, entgegenzukommen. Ich bin also mit dem Verhöre, das Du wünschest, vollständig einverstanden, muß aber, bevor es beginnt, einen Irrtum berichtigen, in dem Du Dich befindest."

"Eine Irrtum? Ich weiß keinen!"

"Wenn Du ihn wüßtest, wäre es kein Irrtum, sondern Betrug oder Lüge!"

"Dann weiß ich ihn sicherlich nicht," fuhr er auf; "denn bei den Ussul gibt es keine Lüge. Sage ihn mir!"

"Du hältst Dich für den, der das Verhör vorzunehmen hat. Das ist falsch. Ich bin es! Ich habe Euch zu verhören, nicht aber Du uns."

Da lachte er, und die anderen lachten mit.

"Er ist verrückt!" rief er aus, und: "Er ist verrückt, er ist verrückt!" riefen auch die übrigen, indem sie ihr Lachen zum schallenden Gelächter steigerten.

Da wendete Taldscha sich halb nach ihnen um und hob die Hand. Das Gelächter verstummte sofort.

"Dieser Fremde ist nicht verrückt," sagte sie. "Seht ihm in das Gesicht, und seht ihm in die Augen! Der weiß sehr wohl, was er sagt und was er will. Sprich weiter mit ihm, doch ohne ihn zu beleidigen!"

Dieser Befehl galt dem Zauberer. Taldschas Stimme klang wohllautend und kräftig. Sie hatte etwas von jenem bestimmten und zugleich milden Klange an sich, den man beim Kirchengeläut an der Alt- oder Mittelglocke zu beobachten pflegt. Der Klang einer Menschenstimme ist auch psychologisch von großer Wichtigkeit. Der Zauberer fuhr, wieder ernst geworden, zu uns gewendet fort:

"Also Du willst uns verhören? Wer gibt Dir das Recht dazu?"

"Euer Scheik."

"Unser Scheik?" fragte er erstaunt. "Kennst Du ihn?"

"Ja."

"Seit wann?"

"Seit einer Stunde."

"Nicht länger? Und da gibt er Dir schon das Recht, uns zu verhören? Ich würde jetzt wieder lachen und Dich für verrückt halten; aber Taldscha hat uns dies verboten, und so muß ich ernst und höflich bleiben. Du hast ihn also gesehen? Du hast mit ihm gesprochen? Warum ist er nicht da? Warum kam er nicht mit Dir? Wo befindet er sich?"

"Er ist mein Gefangener."

"Dein - - Dein - - Dein Gefangener!" wiederholte er meine Worte in einem Tone, als ob er seinen Ohren nicht traue. "Habe ich recht gehört?"

"Du hörtest ganz richtig. Amihn, der Scheik der Ussul, ist mein Gefangener."

(Seite 36A) Ich sah, daß er wieder mit dem Lachen kämpfte; aber er beherrschte sich und fragte:

"Wie soll er denn in Deine Gefangenschaft gekommen sein?"

"Ich habe ihn vom Pferd gerissen und gebunden."

"Gebunden? Womit?"

"Mit seinen eigenen Riemen."

"Mit - - - eigenen - - -? Und vorher vom Pferd gerissen? Du - - -?"

Er kämpfte schon wieder mit dem Lachen, und diesmal wollte ihm der Sieg nicht gelingen. Er warf einen Blick auf mich, auf den ich ganz und gar nicht stolz zu sein brauchte, drehte sich dann nach seinen Leuten um und fragte:

"Glaubt Ihr das? Er - er - - er - - - dieser Knabe von Gestalt, will unsern Scheik vom Pferd gerissen haben und mit seinen eigenen - - -"

Er kam nicht weiter; es brach ein brausendes Gelächter los. Da hob die Frau zum zweiten Male die Hand empor, und wieder wurde es augenblicklich still.

"Schweigt!" befahl sie. "Dieser Fremde hat unsern Zauberpriester aus dem Boot geschleudert und dann auch die Ruderer verjagen lassen. Da ist es möglich, daß sich auch der Scheik von ihm hat überraschen lassen! Ich verbiete Euch, ihn auszulachen! Jetzt weiter!"

Diese beiden letzteren Worte galten dem Sahahr. Er gehorchte und wendete sich wieder an mich:

"Du mußt verzeihen, Fremder! Was Du sagst, klingt wie die größte Lüge, die es gibt, und - - -"

"So schau Dich um!" unterbrach ich ihn, indem ich nach dem Urgaul deutete, der das Wasser soeben verlassen hatte und sich nun im tiefen Schlamme wälzte. "Sieh dort sein Pferd! Du hast es schon gesehen, denn ich wurde von ihm bis an Dein Boot getragen. Daß ich auf diesem, seinem eigenen Pferd geritten komme, muß Dir doch sagen, daß er von mir überwältigt worden ist! Und daß ich mich nicht gefürchtet habe, meinen Kameraden zu befreien, Dich aus dem Boot zu werfen und, ohne zu fliehen, hierher zu Euch ruderte, gibt doch wohl den Beweis, daß ich ihn sicher habe und daß es ihm unmöglich ist, mir zu entkommen!"

"Das Pferd! Ja, das Pferd!" antwortet er verlegen. "An das habe ich gar nicht gedacht! Da Du auf seinem Rücken zu uns gekommen bist, muß man wohl überzeugt sein, daß Du ihn auf irgend eine Weise überwältigt und festgenommen hast. Aber sag, warum hast Du das getan?"

(Seite 36B) "Um eine Geisel zu haben. Ihr hattet meinen Gefährten gefangen genommen; darum nahm ich Euern Scheik gefangen, um Euch zu zwingen, meinen Begleiter freizugeben."

"Aber wie konntest Du Dich an diesen Mann, an diesen Giganten, an diesen Helden wagen, der noch nie im Leben besiegt wurde?"

"Das will ich Dir sofort zeigen," antwortete ich.

Vorhin, als der Scheik von mir vom Baume losgebunden worden war, hatte ich den Lasso wieder in Schlingen gelegt und mir um die Schulter gehängt. Jetzt nahm ich ihn wieder, behielt das eine Ende in der linken Hand und schleuderte das andere hinüber nach dem Zauberer. Ein kräftiger Ruck - - seine Arme wurden ihm an den Leib gezogen - - ich hatte ihn fest und riß ihn von seinem Orte hinweg, zu mir herüber. Er stürzte zunächst in das Wasser, doch griff Halef schnell mit zu, und so lag er schon im nächsten Augenblick bei uns im Boote und wurde mit dem Lasso derart fest umwunden, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Nun nahm ich das Messer aus dem Gürtel und schwang es drohend über ihm. Da schrien die Ussul vor Angst laut auf. Er aber rief:

"Halt ein, halt ein! Willst Du mich ermorden? Ich habe Dir doch nichts getan!"

Ich steckte das Messer in den Gürtel zurück, erhob mich aus meiner gebeugten Stellung und antwortete:

"Dich zu töten fällt mir nicht ein, denn ich bin Euer Freund, aber nicht Euer Feind. Ich wollte Dir nur zeigen, wie leicht es ist, einen Ussul gefangen zu nehmen."

"So gib mich frei, und laß mich fort!" bat er in ziemlich verzagtem Tone.

"Jetzt nicht wieder! Ich habe Dich schon einmal aus der Hand entkommen lassen. Anstatt Dich dankbar zu erweisen, hast Du mich als Gefangenen behandeln und ein Verhör mit mir anstellen wollen. So leicht kommst Du jetzt nicht weg. Du bleibst hier liegen, bis ich sicher bin, daß Ihr mich als Gast und Freund betrachtet."

"Und wenn wir das nicht tun?" fragte er.

"So stoß ich Dir das Messer bis an den Griff in das Herz!" erwiderte ich, worauf Hadschi Halef mit ganz gewaltigem Augenrollen hinzufügte:

"Und wenn Du davon nicht ganz sterben solltest, so schlage ich Dich sogar noch eigens tot! Darauf kannst Du Dich verlassen, denn ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, der berühmte Scheik der Haddedihn vom (Seite 37A) großen Stamme der Schammar!" Der lange Name schien die beabsichtigte Wirkung nicht zu verfehlen, denn der Zauberer meinte ziemlich schüchtern:

"Ein berühmter Scheik bist Du? Das hast Du uns gar nicht gesagt! Und wer ist denn der andere?"

"Er ist der größte Held und Gelehrte des Abendlandes. Sein in der ganzen Welt bekannter Name lautet Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Ben Emir Hadschi Kara Ben Dschermani Ibn Emir Hadschi Kara Ben Alemani. Sein Säbel ist scharf und spitz, seine Kugeln gehen nie daneben, und wenn er eine lange Rede hält, so bringt er sie stets an das richtige Ende. Er hat in seinem ganzen Leben noch niemals eine Schlacht verloren. Kein Feind kann ihn im Kampfe niederringen. Und wenn er seine Gelehrsamkeit erscheinen läßt, so ist sie wie ein Wirbelsturm, der, ohne still zu stehen, rund um die ganze Erde geht und alles niederreißt, was ihm zu widerstehen wagt!"

"Ich habe weder Deinen noch seinen Namen jemals gehört," entschuldigte sich der Zauberer. "Und ich kenne Dein Land und Deinen Stamm eben so wenig wie sein Volk und seine Gegend, in der er geboren wurde. Ich bin der Zauberpriester der Ussul. Ich wirke nur für die Religion und habe keine Zeit, mich mit der Politik und Geographie und Weltgeschichte abzugeben. Ihr müßt also verzeihen, daß ich in diesen Dingen nicht bewandert bin und meinen Ruhm nur darin suche, daß unsere Nation an ihren Gott und Schöpfer glaubt. Wenn wir bestimmen, was mit Euch geschehen soll, so habe ich nur in Beziehung auf Eure Religion mit zu beraten, sonst aber nicht. Glaubt Ihr an Gott?"

"Ja."

"So bin ich beruhigt. Denn wer einen Gott hat, der schlägt keinen Menschen tot!"

"Ihr aber habt mir doch damit gedroht!" warf Halef ein.

"Gedroht? Ja! Aber haben wir es getan?"

"Bis jetzt allerdings noch nicht."

"So wartet also ab, ob es geschieht!"

"Abwarten?" lachte Halef. "Ja, das werden wir, und zwar mit größtem Vergnügen! Es hat nämlich bisher noch keinen gegeben, dem es gelungen ist, uns tot zu schlagen, und so soll es mich verlangen, zu erfahren, wie Ihr es anfangen werdet, dies zu tun!"

Da kam Taldscha von der Höhe des Ufers langsam zu uns herabgestiegen, blieb am Wasser stehen und gab der Verhandlung folgenden, für beide Teile günstigen Verlauf:

"Ist der, der sich Hadschi Halef Omar nannte, ein Araber?"

"Ja," nickte dieser.

"Wirklich ein Scheik?"

"Ja."

"Und aus welchem Lande ist Emir Kara Ben Nemsi?"

Halef hatte vorhin in seiner bekannten Art und Weise über mich und seine Person geflunkert, um zu imponieren. Ich brauchte mich dieser Aufschneiderei allerdings nicht etwa in mich selbst hinein zu schämen, denn was er tat, ist orientalischer Gebrauch oder vielmehr morgenländische Ausdrucksweise. Ihn zu verbessern, hätte nichts nützen können, aber sicherlich geschadet. Dennoch war ich entschlossen, seine Angaben jetzt, falls Taldscha mich fragen würde, auf die reine, nackte Wahrheit zurückzuführen. Es kam aber nicht so weit. Die Ussul waren zu naiv und selbst viel zu wahrheitsliebend, als daß es ihnen eingefallen wäre, an den Worten des Hadschi herumzumäkeln.

"Ich bin aus Dschermanistan," antwortete ich.

"Das kenne ich nicht. Folglich kann es nicht in unserem Erdteile liegen," erklärte sie.

"Es liegt allerdings nicht im Morgen-, sondern im Abendlande."

Es war mir nahegelegt worden, zu verschweigen, daß ich ein Abendländer sei; aber diesen hellen, klaren, außerordentlich ehrlich blickenden blauen Augen gegenüber, die jetzt auf mich gerichtet waren, fühlte ich mich nicht imstande, etwas anderes als die Wahrheit zu sagen. Ich ersah aus einer schnellen Bewegung ihres Kopfes, daß sie sich nicht unangenehm überrascht fühlt. Sie fuhr fort:

"Im Abendlande? Und wo wolltest Du jetzt hin?"

"Durch das ganze Ardistan."

(Seite 37B) "Dann bist Du entweder ein sehr unvorsichtiger oder ein sehr kühner Mann. Denn der 'Mir von Ardistan würde Dich höchst wahrscheinlich töten lassen, sobald er erführe, daß Du ein Abendländer bist. Glücklicherweise aber wirst Du diesem Tode entgehen, weil Du gar nicht zu ihm kommst, sondern für immer bei uns bleibst. Nach den Gesetzen unseres Landes bist Du unser Eigentum."

"Nach den Gesetzen meines Landes aber bin ich es nicht," entgegnete ich.

"Wir haben den Gesetzen unseres Landes zu gehorchen, nicht aber den Gesetzes des Deinigen!"

"Das begreife ich. Und Du wirst ebenso begreifen, daß ich den Gesetzen meines Landes zu gehorchen habe, nicht aber den Gesetzen des Eurigen!"

"Du willst Dich gegen uns wehren?"

"Ja."

"Es wird vergeblich sein!"

"Du irrst. Bisher war es sehr von Erfolg. Wir befinden uns keineswegs in Eurer Gewalt. Wir sind frei. Dagegen ist Euer Scheik und Euer Priester in unsere Hände geraten. Wenn wir mit diesem Boote grad quer über den See rudern, kommen wir viel eher an das jenseitige Ufer als Ihr. Wer will uns hindern, erst den Priester und dann auch den Scheik zu töten, falls wir davon überzeugt sind, daß Ihr nicht Frieden halten wollt?"

Sie antwortete nicht gleich; sie überlegte. Und sie musterte uns dabei mit prüfenden Augen. Dann sagte sie:

"Ich bin ungewiß und unzufrieden. Ihr gefällt mir sehr, ja, wirklich sehr. Ich möchte gern recht viel über das Abendland erfahren. Und es wäre wohl schön, wenn Du als freier Mann, nicht aber als Knecht und Sklave von ihm erzähltest. Es würde mich freuen, wenn ich zu Dir sagen dürfte: Du bist mein Gast, bist nicht mein Eigentum! Aber ich habe den Gesetzen meines Landes zu gehorchen, nicht meinen Wünschen. Es gäbe zwar einen Weg, ein Mittel - - -"

Sie sprach nicht weiter. Sie machte eine Handbewegung, als wie um anzudeuten, daß sie das, woran sie dachte, für unmöglich halte.

"Welchen Weg? Und welches Mittel?" erkundigte ich mich.

"Es ist für Euch überflüssig, hiernach zu fragen," antwortete sie, indem sie die Handbewegung wiederholte.

"Weißt Du das so genau? Ich wiederhole meine Frage und bitte Dich, mir Auskunft zu erteilen, damit auch ich mich darüber aussprechen kann, ob es so überflüssig ist, wie Du meinst!"

Wieder dachte sie nach, und wieder musterte sie uns mit zwar wohlwollenden aber unbefriedigten Augen. Hierauf sprach sie:

"Es gibt ein Mittel, Euch von der Knechtschaft, die Euch droht, zu befreien. Das Gesetz liefert Euch in unsere Hände; dasselbe Gesetz aber macht Euch wieder frei, indem es Euch gestattet, Euch von uns loszukämpfen."

Als Halef diese Worte hörte, warf er beide Arme hoch empor und rief aus:

"Sihdi, wir kämpfen uns los!"

Ich aber beachtete ihn und seinen Ausruf nicht. Grad er hatte während der letzten zwei Stunden bewiesen, daß er nicht der Mann war, einen solchen Kampf aus eigener Kraft zu bestehen. Ich faßte die rätselhafte Frau, die vor uns stand, nun ebenso scharf in die Augen, wie sie uns, und entgegnete:

"So hattest Du allerdings recht. Die Auskunft, die Du uns erteilst, ist überflüssig, völlig überflüssig. Du glaubtest, uns etwas mitzuteilen, wovon wir keine Ahnung haben. Du eröffnest uns, daß Euer Gesetz uns die Möglichkeit biete, uns durch einen siegreichen Kampf von Euch zu befreien. Hierbei sagt uns der Blick Deines Auges, daß Du einen Sieg von unserer Seite für ausgeschlossen hältst - - -"

Da fiel sie mir in die Rede:

"Daß Ihr auf alle Fälle gegen uns unterliegen würdet, das kannst Du doch nicht leugnen!"

"Unterliegen?" fragte ich, indem ich auf den gefesselten Zauberpriester deutete. "Nennst Du das unterliegen? Du zeigst uns den Kampf, durch den wir uns von Euch befreien können, als eine entfernte Möglichkeit, um die wir Euch wohl gar zu (Seite 38A) bitten haben. Siehst Du wirklich die Größe der Täuschung nicht, in der Du Dich befindest? Dieser Kampf ist nicht mehr bloß möglich, sondern er ist bereits zur Wirklichkeit geworden. Er liegt nicht mehr in der Ferne, sondern er ist schon hier; wir stehen mitten drin. Und der Sieg hat bisher nur auf unserer, nicht aber auf Eurer Seite gelegen!"

Wäre ihr Gesicht nicht vollständig behaart gewesen, so hätte ich wohl das tiefste Erstaunen gesehen, das sich nur durch einen langsamen, schweren Atemzug verraten konnte.

"Das klingt so seltsam, und doch hast Du recht," gab sie zu. "Ihr seid noch frei und habt schon zwei Gefangene von uns."

"Und was für Gefangene! Bedenke das!" warnte ich sie. "Der Scheik vertritt bei Euch die weltliche und der Sahahr die geistliche Gewalt. Diese beiden Gewalten befinden sich augenblicklich in unserer Macht. Nicht Ihr, sondern wir sind jetzt Herren über Wohl und Wehe, über Leben und Tod. Siehst Du das ein?"

Sie drehte sich nach ihren Leuten um und fragte:

"Hört Ihr es?"

Man antwortete ihr mit einem unbestimmten Murmeln und Brummen, dessen Bedeutung sie aber wohl verstand, denn sie wendete sich mir wieder zu und sprach:


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