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2. Kapitel.

Auf, zum Kampf!

Wenn ich die Ereignisse der letzten Tage überdenke, so stellen sie sich mir derart zwingend und drängend dar, daß es fast zum Verwundern ist. Am Montag war es, als die Ussul meinen Halef ergriffen und ich dafür ihren Scheik gefangen nahm. Am Dienstag waren wir nach Ussulia geritten, und nachts stand ich mit der Priesterin und Taldscha auf dem Tempel. Am Mittwoch, also gestern, wurde der Kriegszug gegen die Tschoban und unsere Beteiligung daran zur fest beschlossenen Sache. Und am Donnerstag, heut, befand ich mich mit Halef schon unterwegs, um nach dem Schauplatz dessen, was geschehen sollte, voranzureiten. Das war doch wohl ein Stringendo, welches zum Nachdenken trieb. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß, wenn die Ereignisse einander so trieben, der Schluß fast immer kein befriedigender war. Warum wohl das? Höchst wahrscheinlich aus dem Grunde, daß der Mensch dabei die innere Ruhe und den scharfen Blick des Auges verliert, die beide unumgänglich nötig sind, wenn man wünscht, Herr der Begebenheiten zu bleiben. Was die Schärfe des Blickes betrifft, so war sie mir wohl nicht verloren gegangen; ich hatte vielmehr Gelegenheit gefunden, sie zu üben. Auch die innere Ruhe war mir geblieben. Nichts hatte mich aus dem Gleichgewicht gebracht, und selbst wenn so etwas geschehen wäre, so hätte mir die tiefe Einsamkeit und Stille des Urwaldes, durch den wir heut während des ganzen Tages geritten waren, die vortrefflichste Gelegenheit gegeben, mich selbst wieder finden zu lassen.

Es waren große, verantwortungsvolle Pflichten vor mir aufgetaucht, aber ich stand ihnen außerordentlich sachlich gegenüber. Ich war plötzlich sozusagen unpersönlich geworden. Ich befand mich in einer mir unbekannten Stimmung und hatte das Gefühl, als ob sich das, was mir bevorstand, gar nicht auf mich beziehe und nur darum von mir miterlebt werden müsse, weil es bestimmt war, nicht nur den Beteiligten, sondern auch mir zum Segen zu gereichen. Es kam mir vor, wie eine Übung in der schweren Kunst, Gottes führende Hand im Leben zu erkennen, um dadurch die Befähigung zu erlangen, dann auch mit eigenen Händen die Zügel der Ereignisse zu führen. Es gibt Menschen, die nicht leben, sondern gelebt werden, weil sie erst lernen müssen, was leben heißt. Einst hatte auch ich zu ihnen gehört. Ich war gelebt worden und hatte dies mit schwerem, bitterem, viele Jahre langem Weh bezahlen müssen. Dann hatte ich mich von denen, die mich lebten, freigemacht. Eine böse, mühe- und enttäuschungsvolle Lehr- und Gesellenzeit war gefolgt. Und heute nun sah ich mich endlich, endlich vor die Notwendigkeit des Beweises gestellt, nicht mehr Knecht, sondern Herr meiner selbst zu sein.

(Seite 118B) Das war es, was ich bei Beginn unseres weiten Rittes über mein Inneres zu sagen habe. Halef mag für sich selbst sprechen. Ich will nur andeuten, daß er sehr ernst gestimmt war, ernst und weich. Er sprach ganz wenig, nur das Allernotwendigste. Infolgedessen, was ich ihm am gestrigen Abend auf der Zinne des Tempels gesagt hatte, schaute er heute tief in sein Inneres hinab und suchte mir dies dadurch zu verbergen, daß er sich äußerlich sehr lebhaft mit Hu und Hi, seinen beiden Hunden, beschäftigte. Er hatte sich vor unserer Abreise über ihre Dressur genau instruiert und versuchte nun zunächst, sie in allen ihren Stücken durchzuprobieren. Es freute mich, daß sie sich als sehr brauchbar erwiesen. Meine beiden Riesen Aacht und Uucht standen aber auch in dieser Beziehung hoch über ihnen. Sie gingen auf Mann und Tier in jeder Lage. Sie rissen den Reiter im Galopp vom Pferde; sie gehorchten in allen Stücken sofort und unbedingt. Aber was sie taten, das taten sie nicht aus Angewöhnung, sondern mit Einsicht und Überlegung. Sie wußten mit beinahe menschlicher Intelligenz sehr wohl zwischen den rechten und den falschen Mitteln zu unterscheiden, und es wird sich im Laufe der Ereignisse wohl oft herausstellen, daß sie richtiger und klüger handelten als ich selbst.

Alle vier Hunde waren mit Riemenzeug und einer Art von Sattel ausgerüstet, auf dem sie ihren eigenen Proviant und einen Wasserschlauch trugen. Der letztere war für Gegenden bestimmt, die jenseits der Tschobangrenze lagen. Die Traglast war so berechnet, daß sie ihnen nicht zu schwer wurde. Sie freuten sich im Gegenteile, so oft sie ihnen angeschnallt wurde. Diese Freude tat sich niemals in lautem, unnützem Bellen kund, sondern nur im Mienenspiele. Einer ihrer größten Vorzüge war die Schweigsamkeit, die sie stets beobachteten. Wir kamen ja sehr oft in Lagen, in denen jeder laute Ton zu vermeiden war. Gelegentlich aber, wenn es ohne Nachteil geschehen konnte, gab ich den braven Tieren dann auch gleich selbst die Veranlassung, sich nach Herzenslust auszubellen.

Was nun unsere eigene Ausrüstung betrifft, so waren wir so vortrefflich beritten als nur immer möglich. Ben Rih, den Halef ritt, ist schon oft beschrieben worden. Wie ich zu meinem Syrr kam, ist in meiner Erzählung >Im Reiche des silbernen Löwen< zu lesen; dort sind auch die hervorragendsten Eigenschaften dieses unvergleichlichen Pferdes beschrieben. Auch unsere Waffen waren vortrefflich, die meinigen sogar unschätzbar, wir selbst dabei kerngesund und frohen Mutes, voller Unternehmungslust und Zukunftsfreude. Mehr kann man von zwei Menschen, von denen der eine der Sohn eines blutarmen, deutschen Leinewebers und der andere der Sprosse einer ebenso armen, nordafrikanischen Beduinenfamilie war, wohl kaum verlangen.

Wir waren von heut früh an fast den ganzen Tag geritten, hatten nur zu Mittag eine Stunde Rast gemacht und sahen uns darum jetzt, wo der Abend nahte, nach einem Platze um, der (Seite 119A) sich zum Nachtlager eignete. Wir befanden uns mitten in einem uralten Cedrelawalde, der sich längs des Wassers, an dem wir ritten, hinzog. Leider aber waren diese Cedrelen von der Gattung Toana, deren Rinde, Blätter und Früchte einen starken, knoblauchartigen Geruch aushauchen. Es war ratsam, eine Rast unter solchen Bäumen zu vermeiden, und so wollten wir nicht eher halten, als bis wir eine andere und weniger duftende Vegetation erreichten. Das geschah erst dann, als es bereits zu dämmern begann. Da ging der Toanabestand in einen fast ganz reinen, lederblättrigen Schoreawald über, der nur dann und wann von einer Gruppe von Sissubäumen unterbrochen wurde. Das Unterholz bestand teils aus immer-, teils aus nur sommergrünen Sträuchern.

Wir hielten an. Auch die Hunde blieben stehen. An Hu und Hi war nichts zu bemerken. Aacht und Uucht aber schauten mich fragend an, als ob sie sagen wollten: "Ihr haltet hier? Warum gehen wir nicht weiter?" Das war jedenfalls nicht ohne Grund. Uucht ging noch einige Schritte vor, hob den rechten Vorderfuß, sog die Luft in die Nasenflügel und richtete, leise mit dem Schwanze wedelnd, die Augen dann wieder auf mich.

"Da vorne gibt es etwas!" sagte Halef.

"Und zwar Menschen!" stimmte ich bei.

"So bleibe ich mit den Hunden und Pferden hier?"

"Ja. Und ich gehe, um zu sehen, wer es ist. Sorge dafür, das alles still bleibt!"

Wir stiegen ab und ließen die Pferde sich legen. Die wußten nun, daß sie nicht schnauben und überhaupt nicht laut werden durften. Die Hunde mußten sich zu ihnen setzen und bekamen das Zeichen, sitzen zu bleiben und sich ruhig zu verhalten. Dann legte ich die beiden Gewehre ab, die mich im Anschleichen gehindert hätten und ging zunächst, um mich unsichtbar zu machen, vom Flusse weg, etwas tiefer in den Wald hinein, worauf ich die Richtung einschlug, die ich eigentlich beabsichtigte. Am Flusse, über dem der freie Himmel lag, war es noch hell gewesen; hier unter den Bäumen aber, deren Kronen ein dichtes Dach bildeten, war es fast schon ganz dunkel. Dennoch versäumte ich nicht die gebotene Vorsicht, von Baum zu Baum hinter den starken Stämmen Deckung zu suchen, um nicht etwa eher entdeckt zu werden, als bis ich entdeckt sein wollte. Ich legte mehrere hundert Meter zurück, ohne etwas zu spüren. Indem ich parallel mit dem Flusse ging und den Wasserstreifen, der zwischen den Büschen und Baumstämmen schimmerte, nicht aus den Augen ließ, mußte ich alles entdecken, was nicht in diesen Teil des Waldes gehörte. Kein Lüftchen regte sich. Kein Geräusch war zu vernehmen. Aber der Geruch, der bekanntlich der schärfste aller Sinne ist, sagte mir, was Gesicht und Gehör mir jetzt noch nicht sagen konnten: ich roch Feuer. Erst leise, ganz leise, dann aber, je weiter ich ging, immer stärker und stärker. Zunächst roch es nur ein klein wenig nach Kien, dann nach schwälendem Harz, hierauf nach Holz und rußendem Harz und endlich nach bratendem Fleisch. Der Schoreabaum liefert bekanntlich ein sehr reichliches, wertvolles Harz, welches sogar bis nach Europa durch den Handel vertrieben wird. Aber Fleisch an harzigem Holze zu braten, dessen Geruch und Geschmack es annimmt, das fällt doch keinem Menschen ein, der auch nur einigermaßen vertraut ist mit dem Leben im freien Feld und im freien Walde und so wurde mir durch diesen einzigen Umstand schon verraten, daß die Personen, welche da ihr Abendessen bereiteten, weder Ussul noch Tschoban sein konnten. Sie waren auf alle Fälle Leute, welche die Pfahlbauten-, Jäger-, Fischer- und Nomadenzeit überstanden hatten und nun schon nicht mehr wußten, wie ein saftiger, reinschmeckender Braten unter freiem Himmel zubereitet werden muß.

Endlich, nachdem ich fast einen Kilometer weit gegangen war, sah ich das Feuer. Man denke sich, wie glücklich ich mich fühlte, zwei Hunde mit so scharfen Sinnen zu besitzen! Um so weniger bewunderte ich die Leute, die so unvorsichtig gewesen waren, dicht am Flußufer ein so großes Feuer anzuzünden, daß man einen Ochsen daran hätte braten können. Der Fluß bildete eine sehr breite, für das Auge völlig freiliegende Strecke. Ein an seinen Ufern brennendes Feuer mußte weithin gesehen werden. Es war gewiß nur Zufall, daß er hier eine (Seite 119B) Biegung machte, sonst hätten wir die Flamme sicher schon vor einer Stunde entdeckt. Vielleicht hatten diese Leute es nicht nötig, sich zu verbergen, um so geratener aber war es für mich, nicht offen hinzugehen, sondern mich heimlich anzuschleichen, um zunächst zu sehen, wer sie waren. Ich hatte mich also dem Flusse nun wieder zu nähern.

Es war inzwischen Nacht geworden. Das Feuer blendete, und so kam es, daß ich auch den Fluß nicht mehr von weitem sah. Als ich mich genug genähert hatte und hinter einem der letzten Bäume stand, war es mir möglich, den Lagerplatz zu übersehen. Hier herrschte die Zahl Sechs. Ich zählte sechs Männer, sechs Pferde und sechs Kamele. Man schien bereits seit Stunden hier zu lagern. Das Feuer wurde wirklich mit kienigem Schoreaholz genährt. Es stammte von alten, abgefallenen Ästen, die in der hiesigen Feuchtigkeit sehr schnell vermodert waren, so daß der unzerstörbare Rückstand harzige Knorren bildete, die zwar leicht brannten, im übrigen aber nicht nur wertlos, sondern schädlich waren. Die Kamele waren schwere Lastkamele. Man hatte ihnen die Lasten abgenommen. Sie lagen frei und ungefesselt und kauten wieder. Sie hatten eine ziemliche Anzahl von Wasserschläuchen und einige wenige Pakete zu tragen gehabt. Die lagern jetzt neben ihnen, zu einem Haufen aufgestapelt. Die Pferde waren nicht übel; sie gefielen mir sogar sehr. Eine persisch-indische Kreuzung, bei der aber nur der persische, nicht auch der indische Teil von wirklichem Adel war. Wer weithin leuchtende Schimmel zu reiten wagt, darf keine bösen Absichten haben, oder er ist ein dummer, unerfahrener Mensch! Vier von den Männern waren Untergebene; das sah man ihnen mit dem ersten Blicke an. Sie beschäftigten sich teils mit den Tieren, teils auch mit dem Fleisch, das über dem Feuer hing. Es schien von einer Tschikara zu sein und war durch den Qualm des Harzes schon ganz verdorben. Die beiden übrigen Männer waren die Herren. Sie saßen abseits, an den dicken Stamm eines uralten Sissubaumes gelehnt, von Feuer, Mensch und Tier so weit entfernt, als ob sie fürchteten, durch die Berührung mit ihnen verunreinigt zu werden. Solche Absonderung kommt doch nur bei den Kastengenossenschaften Indiens vor! Wer waren also diese beiden? Sie trugen krumme Säbel in ledernen Scheiden; aber die Ringe, Schnallen und andere Metallteile dieser Scheiden und Wehrgehenke waren aus purem Golde. Ihre Gürtel und ihre Pistolengriffe funkelten von Halbedelsteinen. An ihren Händen blitzten schwere Diamanten, Rubine und Smaragde. Ihre Turbane, nach indischer Art gewunden, waren mit Perlenschnüren verziert, und der eine von ihnen, der Augengläser trug, hatte es sogar fertig gebracht, in die Scharniere seiner Brille rechts und links einen Diamanten von der doppelten Größe einer ausgewachsenen Linse einsetzen zu lassen. Er schien der Vornehmere von ihnen zu sein. Wozu im Urwalde solche Pracht? Diese beiden Männer trugen Anzüge aus jenem unendlich feinen, gelblichweiß glänzenden Dholeragespinste, welches in hindostanischen Gedichten als >gewebte Luft< gepriesen wird! Was sollte man hierzu sagen?

Ich bitte meine Leser, mich nicht falsch zu verstehen, wenn ich eine solche Frage ausspreche. Ich war zu ihr nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Diese sechs Männer kamen von Norden, nicht von den Tschoban, sondern noch weiter her. Sie ritten nach Süden, also zu den Ussul. Wer waren sie und was wollten sie? Hinter den Weidegebieten der Tschoban liegt Dschunubistan und dann das eigentliche Ardistan. Konnte von dorther etwas Gutes kommen? Zumal in jetziger Zeit, wo die Tschoban hier hereinbrechen wollten? Hing die Absicht dieser Leute etwa mit diesem Einbruch zusammen? Warum kleidete man sich in dieser sumpfigen, dunstigen Niederung genau so köstlich wie auf der offenen Straße oder dem sonnenbeleuchteten Tempelvorplatze von Delhi oder Benares? Doch nicht nur, um zu prunken! Vor wem denn wohl? Natürlich nur, um auf den einfachen, bescheidenen Ussul gleich beim ersten Zusammentreffen solchen Eindruck zu machen und sie derart zu blenden, daß man das, was man wollte, ebenso schnell wie sicher erreichte. Aber was wollte man? Ich hoffte, etwas hierüber zu erfahren, falls es mir gelang, zu hören, was man sprach.

(Seite 120A) Die Erfüllung dieses Wunsches war nicht nur möglich, sondern sogar sehr leicht. Der Sissustamm, an dem die beiden Herren saßen, wurde rechts und links von so fetten und so dicht stehenden Farrenkräutern flankiert, daß man bis zur anderen Seite des Stammes kriechen und sich dort unter den schützenden Wedeln verbergen konnte, ohne gesehen zu werden. Es fiel mir gar nicht schwer, dies zu tun. Ich erreichte den Stamm des Sissu, ohne bemerkt zu werden, und lag dann, auf der weichen Modererde lang ausgestreckt, so bequem wie auf einem Kanapee. Nur der Baum trennte mich von den beiden Männern. Sie sprachen nicht laut, sondern mit halber Stimme, aber doch so, daß ich alles hörte, was sie sagten. Eben als ich diese meine Stellung eingenommen hatte, schnitt einer der Diener zwei Stücke Fleisch von dem Braten und legte sie auf eine funkelnde Metallplatte, die gewiß aus Gold war. Er tat zwei kleine Kuchen dazu, die schon vorher gebacken worden waren, und trug die Platte dann den beiden Herren zu. Der eine von ihnen schien Hunger zu haben. Er zog sein Messer aus dem Gürtel, um sofort mit dem Essen zu beginnen. Der andere aber, der die Diamantenbrille trug, hielt ihm die Hand und sagte:

"Nicht so! Ich verbiete es Dir! Vergiß nicht, daß Du der oberste Minister des Scheiks von Dschunubistan bist und zur höchsten Klasse der Menschheit gehörst! Du darfst keine Speise genießen, die von der Hand einer niederen Kaste berührt worden ist, außer sie wird vorher von Priesterhand gesegnet und geheiligt!"

"Das weiß ich wohl," antwortete der Gescholtene. "Aber auf der Reise ist es doch erlaubt!"

"Nur dann, wenn kein Priester vorhanden ist. Ich aber bin nicht nur Priester, sondern sogar der höchste aller Priester, die es gibt. Ich bin der Maha-Lama von Dschunubistan! Ich bin sogar noch mehr! Ich bin Gott! ich werde, wenn ich in dem einen Leibe sterbe, in dem andern immer wieder von neuem als Gott geboren! Es würde also nicht nur zehnfache, sondern hundert- und tausendfache Sünde von Dir sein, in meiner himmlischen Gegenwart eine Speise zu genießen, die aus der Hand eines Menschen kommt, der niedriger steht als Du! Halte sie mir her! Ich werde sie von der Sünde befreien und für uns genießbar machen."

Der >Minister< hielt ihm die goldene Platte hin; der >Maha-Lama< machte mit beiden Händen die Bewegung des Segnens darüber, und dann begannen sie zu essen, und zwar in jener lauten, schmatzenden Weise, die bei gewissen Leuten für vornehm gilt. Diese beiden hohen oder gar allerhöchsten Personen aßen wie die Ferkel. Sie verschlangen das Fleisch und das Gebäck fast ungekaut und ließen sich noch zweimal neue Portionen geben, die ebenso wie die erste gesegnet wurden. Während des Essens fiel kein einziges Wort. Es wurde dabei soviel geschnalzt, geschmatzt, geschnauft und gerülpst, daß weder Zeit noch Raum für eine gesprochene Silbe blieb. Auch die Dienerschaft aß nun, also die Niedrigstehenden, die Verachteten, deren Berührung den Vornehmen verunreinigt; aber sie taten es in stiller, anständiger Weise und machten darum einen viel besseren Eindruck auf mich als ihre Herren.

Meine Leser wissen, daß es für mich keinen Zufall gibt. Darum kann ich auch nicht sagen, es sei ein günstiger Zufall für mich gewesen, daß ich gleich bei den ersten Worten dieser Leute erfuhr, wer sie waren. Der eine bezeichnete sich selbst als den Maha-Lama von Dschunubistan. Maha-Lama heißt so viel wie >Großpriester<. Aber damit nicht genug. Er nannte sich sogar >den höchsten aller Priester, die es gibt<. Es ist möglich, daß sich hier oder da irgend jemand findet, der dies für unbescheiden hält. Der andere war der >oberste Minister des Scheiks von Dschunubistan<. So hohe Personen waren wohl noch nie von auswärts her nach dem Lande der Ussul gekommen. Was wollten sie da? Offiziell war ihre Reise wohl nicht, denn ihr Stand hätte in diesem Falle eine viel größere, prunkende Begleitung verlangt. Sie kamen vielmehr in ganz auffällig heimlicher Weise, wie es schien. Aber heimlich für wen? Für die Ussul oder für die Tschoban? Jedenfalls für die letzteren. Aber diese Karawane von sechs Reitern, sechs Pferden und sechs Kamelen hatte doch durch das Gebiet der Tschoban gemußt! War es gelungen, es unbemerkt zu passieren? Die Bewohner von Dschunubistan werden Dschunub genannt; (Seite 120B) ein einzelner ist ein Dschunubi. Sie leben mit den Tschoban in Feindschaft. Wenn der Scheik der Dschunub eine Botschaft zu den Ussul sendet, die sich heimlich durch das Land der Tschoban zu schleichen hat, so muß der Grund wohl ein wichtiger sein. Und wenn er mit dieser Botschaft nur seinen höchsten Geistlichen und seinen höchsten Minister betraut, so hat man sich diese Wichtigkeit als eine ganz außergewöhnliche zu denken. Ich muß gestehen, daß ich gespannt war, etwas hierüber zu erlauschen; aber es hatte nicht den Anschein, als ob die hohen Herren gesonnen seien, sich hierüber zu äußern. Sie verhielten sich auch nach dem Essen noch eine ganze Weile still. Dann sprachen sie sehr einsilbig über gewöhnliche Dinge, die mich gar nicht interessierten. Aber die Diener, die jetzt mit ihrer Arbeit und auch mit dem Essen fertig waren und nur tabakrauchend beieinandersaßen, führten ein Gespräch, welches zwar leise begonnen hatte, aber nach und nach lauter wurde, so daß ich wenigstens einen guten Teil von dem zu hören bekam, was sie sagten. Sie unterhielten sich über den Verlauf ihrer bisherigen Reise. Den eigentlichen Zweck derselben schienen sie nicht zu kennen, aber daß er den Tschoban verschwiegen zu bleiben hatte, das wußten sie. Ebenso wußten sie, daß die Tschoban einen Kriegszug planten, um in das Land der Ussul einzufallen. Die Tschoban hatten aus diesem Grunde ihre Krieger in der Mitte ihres Landes zusammengezogen und die Seiten von ihnen entblößt. Darum war es den Dschunub gelungen, ihre heimliche Reise durch den westlichen Teil längs der Meeresküste auszuführen, ohne auch nur ein einzigesmal bemerkt zu werden. Dieses gute Gelingen war besonders dem Umstande zuzuschreiben gewesen, daß sie sich, wie bereits erwähnt, sehr reichlich mit gefüllten Wasserschläuchen versehen hatten und also nicht gezwungen gewesen waren, im Lande nach Wasser herumzusuchen und sich dabei erwischen zu lassen. Vorgestern hatten sie den Engpaß von Chatar erreicht und dort übernachtet. Gestern früh waren sie von dort aufgebrochen und dem Flusse bis hierher gefolgt, um nach einem zweiten und dem heutigen dritten Nachtlager morgen früh nach Ussulia weiterzureiten.

Als das Gespräch der Dienerschaft bis hierher gelangt war, fühlten sich nun endlich auch die beiden Herren angeregt, ein Wort dazu zu sagen, aber nur unter sich, ohne daß die Untergebenen es hörten. Ich aber lag nahe genug bei ihnen, um die halblaut gesprochenen Sätze zu vernehmen, die sie miteinander wechselten. Der >Minister< begann zuerst. Er sagte:

"Nur weiter solches Glück, wie bisher! Die Tschoban sahen uns nicht. Ob wohl die Ussul uns zu sehen bekommen?"

"Körperlich jedenfalls, denn das wollen wir ja, doch geistig aber nicht!" antwortete der Maha-Lama.

"Du meinst, sie dürfen uns sehen, aber nicht durchschauen?"

"Ja, das meine ich."

"Nichts leichter als das! Der Scheik ist ein Dummkopf. Seine Frau ist klüger, aber arglos. Sie glaubt alles. Sie wird auch glauben, daß wir nur das Glück ihres Volkes wollen. Wie aber steht es mit der Priesterin? Sie soll großen Einfluß haben."

"Das glaube ich nicht," entgegnete der Lama in geringschätzigem Tone. "Wie kann ein Weib als Priesterin von Einfluß sein!"

"Dann aber wohl ihr Mann, der Zauberer, der Sahahr?"

"Auch dieser nicht. Er ist ja nur der Abglanz oder vielmehr der Schatten seines Weibes! Und was für eine Religion ist das! Ein Gott, der geistig verborgen bleibt! Der nie sich zeigt, niemals geboren wird, wie ich geboren bin und immer von neuem geboren werde! Wer mich sieht, der sieht Gott. Wer mit mir spricht, der spricht mit Gott! Also, wer mich hat, der hat Gott! Wen aber haben die Ussul? Ein Nichts, eine Null, einen Dunst, ein Schemen, das sie als Gott bezeichnen. Der Sahahr ist der einzige Mann dieses unwissenden Volkes, von dem zu glauben ist, daß man mit ihm sprechen kann. Was aber ist er gegen mich, der ich als wahrer, wirklicher Gott und Herr der Welt in menschlicher Gestalt erschienen bin! Wenn er den Mund zu öffnen wagt, schmettere ich ihn mit zwei, drei Worten derart nieder, daß er ihn für immer schließt und niemals wieder öffnet! Ich bin vom Himmel herniedergestiegen, um so lange immer wieder von neuem geboren (Seite 121A) zu werden, bis ich die Menschheit von den Leiden des irdischen Kreislaufes befreit habe. Dies geschieht, indem alles, was auf Erden lebt, in das Nirwana sinkt. Ist dies geschehen, so ist mein irdisches Werk vollbracht und ich steige zu andern Sternen auf, um es dort fortzusetzen. In dieser meiner Erlösungstat bin ich jetzt bis Dschunubistan gelangt und beabsichtige nun, die Gebiete der Tschoban und der Ussul hinzuzufügen. Unser Scheik hat mich begriffen. Er vereint seine weltliche Macht mit meiner geistigen und geistlichen. Indem er das tut, wird er alles Land, welches südlich von uns liegt, erobern. Wir schließen einen Bund mit den Ussul. Wir sagen ihnen, daß wir ihnen die Tschoban zugetrieben bringen. Indem wir die Tschoban zwischen uns und den Ussul zerquetschen, zermalmen und vernichten, ziehen wir in das Land der Ussul ein, darauf Bedacht nehmend, daß auch sie durch die Tschoban aufgerieben werden. Dieser Einzug wird eine Besitzergreifung sein, denn wir werden das Land der Ussul nie wieder verlassen - - -"

"Vorausgesetzt, daß es uns gelingt, jetzt Glauben dort zu finden!" fiel der Minister ihm hier in die Rede.

Da warf der Maha-Lama einen Blick so unendlichen Erstaunens und so unendlicher Entrüstung auf ihn, als ob er ihn damit vernichten wolle, beobachtete ein minutenlanges, empörtes Schweigen und antwortete dann mit ganz besonderer Betonung:

"Als ob es überhaupt einen Menschen geben könnte, der mir keinen Glauben schenkt, sobald ich persönlich mit ihm spreche! Ich bin der Maha-Lama von Dschunubistan, der höchste aller Priester, die es gibt! Das merke Dir! Wie der Glanz unserer äußeren Personen die Ussul augenblicklich für uns gewinnen wird, so werden sie sich auch innerlich sofort beugen, sobald ich nur erscheine und meine Stimme erschallen lasse. Bedenke die Ehre, die ungeheure Ehre, die ihnen widerfährt, indem wir zu ihnen kommen und sie mit unserer Gegenwart beglücken!"

"Kämen wir mit großem, glänzendem Gefolge, würde es mehr Eindruck machen!"

"Sehr richtig! Man stehe innerlich noch so hoch, so darf man doch das Äußere nicht versäumen. Selbst Gott, der Geist, braucht die Körperwelt, um angebetet zu werden. Aber wir mußten für diesesmal verzichten. Die Tschoban durften nichts erfahren. Es war die strengste Heimlichkeit geboten. Aber auch das hat Vorteile, die von hohem Werte sind, wenn wir sie nur zu benutzen wissen. Was uns an Prunk und Pomp verloren geht, gewinnen wir an Vertraulichkeit und Wohlwollen zehnfach wieder. Diese niedrig stehende Menschheit mag an Liebe glauben, an Humanität, Barmherzigkeit und Frieden auf der Erde. Sie ist nicht reif. Sie würde sich entsetzen, wenn sie die Wahrheit hörte. Die Liebe ist die größte Lüge, die es gibt; nur der Haß allein ist wahr. Jedes lebende Wesen trachtet nach sich selbst, ist Egoist. Auch Gott! Je größer ein Wesen ist, desto gewaltiger ist seine Selbstsucht. Gott ist der Größte, der Höchste; darum ist sein Egoismus ohnegleichen. Es ist ein Wahnsinn, ihn als >Vater< zu beschreiben. Er ist nur der Verderber, weiter nichts. Er gibt nicht das Leben, sondern nur den Tod, nicht den Frieden, sondern nur den Kampf, den Streit, die Vernichtung. Als er das All schuf, vernichtete er sich selbst. Der Geist verwandelte sich in Stoff; der Schöpfer wurde Geschöpf. Um sich als Gott wiederherzustellen, muß er den Stoff in Geist zurückverwandeln, muß er die Schöpfung wieder vernichten, Schritt um Schritt, in umgekehrter Reihenfolge, wie sie entstanden ist. Das ist nicht Liebe und Leben, sondern Haß und Tod, Zerstörung, ewiger, endloser Weltenmord! Je höher Gott wächst, um so kleiner wird das Geschöpf. In dem Augenblicke, an dem der letzte Rest des Alls verschwindet, wird Gott am größten sein. Darum klug und selig der Mensch, der nicht nach Erdenglück und Menschenwohl, sondern nur nach Gottes Größe trachtet! Er wird immer unwägbarer, immer kleiner und kleiner werden, bis seine Existenz vollständig zu Ende ist und er ganz in Gott verschwindet. Dieses Aufhören alles eigenen Seins, dieses völlige, restlose Aufgehen in Gott, so daß es nicht mehr die geringste Spur von Erinnerung gibt, ist unsere Seligkeit, ist unser einziges und höchstes Ziel, ist - - Nirwana!"

Er hatte, während er sprach, seinen Sitz verändert, war mehr nach der Seite gerückt. Darum sah ich jetzt sein Gesicht, (Seite 121B) zwar im Halbprofil, aber wenn er es dem Minister zuwendete, hatte ich es beinahe en face vor mir. Es war ein schönes, beinahe ehrwürdiges, geistreiches Männergesicht mit silberglänzendem Vollbart; aber es hatte einen Fehler, der ihm alle seine Schönheit und Würde wieder benahm; er schielte nämlich, und zwar so stark, daß es jedermann gleich beim ersten Blicke auffallen mußte, sogar solchen Leuten, die nicht gewohnt sind, auf die Fehler ihrer Mitmenschen aufzupassen. Ließ schon dieses sein Äußeres erraten, daß er kein gewöhnlicher Mensch sei, so zeigten auch seine Worte, daß er ebenso auf intellektuellem Gebiete auf Wegen wandelte, die der Fuß alltäglich denkender Menschen nicht betritt. Er schien sich sogar über die Grenzen, welche den Gedanken der Sterblichen gezogen sind, hinausgewagt zu haben. Ich bin überzeugt, daß gar mancher andere an meiner Stelle das, was ich gehört hatte, für puren Wahnsinn erklären würde; ich aber war geneigt, es einstweilen als die allerdings höchst seltsame Übertreibung einer an sich ganz gesunden Idee zu betrachten, der man im geistigen Leben der Völker auf Schritt und Tritt zu begegnen pflegt, ohne sie sonderlich zu beachten. Während diese Idee dem gebildeten Europäer nur als nebensächlich erscheint, lieferte sie dem Maha-Lama das Milieu, in dem er aufgewachsen und unterrichtet worden war. Aus ihr bestand seine ganze Atmosphäre. Er atmete in ihr. Sie verursachte die religiöse Überspanntheit, an der er litt. Darum fiel es mir nicht ein, mich über das, was er gesagt hatte, zu wundern oder gar darüber zu lächeln. Ich sah ihn in diesem Augenblicke nicht als das Oberhaupt einer zahlreichen Glaubenssekte vor mir, sondern als einen mächtigen, hoch interessanten Gegner meiner Freunde, der gekommen war, sie zu überlisten und um ihre Selbständigkeit zu betrügen. Grad jetzt, in diesem Augenblicke, wo sie einem raffinierten Feinde so viele und so gefährliche Angriffspunkte boten! Ich konnte über das, was ich zu tun hatte, nicht im Zweifel sein. Ich hatte erreicht, was ich erreichen wollte. Ich wußte, wen ich vor mir hatte. Ich kannte sogar die Absichten, welche diese beiden Männer verfolgten. Nun fragte es sich, ob ich mich wieder zurückziehen oder ob ich bleiben sollte, um vielleicht noch mehr zu erfahren. Da wendete sich der Lama den Dienern zu und sagte in befehlendem Tone:

"Die Zeit des Nachtgebetes ist gekommen!"

Einer von ihnen stand auf und holte einen Gong, der bei den Gepäckstücken lag. Dann beiseite tretend, verbeugte er sich nach den vier Himmelsrichtungen und ließ bei jeder dieser Verbeugungen das Metallbecken dreimal erklingen. Dann kniete er nieder und betete. Auch die andern falteten die Hände und murmelten die vorgeschriebenen Worte. Nur der Maha-Lama betete nicht. Er war ja Gott selbst. Zu sich selbst zu beten, hielt er für unsinnig; aber sich für Gott selbst zu halten, das dünkte ihm kein Wahnsinn! Es waren nur wenige Augenblicke, aber sie ergriffen mich doch sehr tief. Vor mir hatte ich das langsam sich bewegende Wasser des Flusses, der mit phosphoreszierendem Schein aus dem Dunkel des Urwaldes trat und dann quer durch den farbigen Glanz des brennenden Feuers flutete; die phantastisch beleuchteten Gestalten der Pferde und Kamele; die fünf am Boden knienden Beter; den einzigen Sechsten, der nicht betete, sondern hoch und stolz erhobenen Angesichtes hinauf zu den Sternen sah, als ob er die emporsteigenden Gebete da oben in Empfang zu nehmen habe. Die zwölf Schläge des Gong hatten jenseits des Flusses an der dichten Wand des Urforstes ein zwölffaches Echo erweckt, welches abwärts bis an die Krümmung des Wassers schallte und von dort wieder zurückgeworfen wurde. Das gab in die bisherige Stille hinein ein plötzliches, schmetterndes Rasseln, Donnern und Dröhnen, als ob alle die Kämpfe, die man in das friedliche Land der Ussul schleppen wollte, schon ausgebrochen seien. ich sah unwillkürlich hinter mich. Es überkam mich eine Art von Angst. Nicht daß ich mich etwa um mich selbst sorgte; o nein! Aber es ergriff mich eine Art von Grauen um den vor mir sitzenden, immer wieder von neuem geborenen Gott, in dessen Gefolge dieses Getöse entstand, ohne daß er davon berührt zu werden schien. Es gehört zur Eigenart solcher überspannter Wesen, daß sie bei allem Unheil, welches sie anzurichten pflegen, so ruhig bleiben, als ob sie völlig unschuldig daran seien. So saß auch der (Seite 122A) Maha-Lama da. Sein Bart glänzte; sein Angesicht leuchtete im Scheine der flackernden Flammen. Er schien tief in seine persönliche Gottheit versunken und ganz entzückt zu sein. Da war nicht daran zu denken, noch etwas weiteres zu erfahren. Ich gab meinen Lauscherposten auf und zog mich so leise und so vorsichtig zurück, wie ich gekommen war.

Mittlerweile war es nicht nur unter den Bäumen, sondern auch draußen am freien Flusse Nacht geworden. Ich hatte also nicht nötig, mich, um nicht gesehen zu werden, im tiefen Schutze des Waldes zu halten, wie es beim Herbeischleichen notwendig gewesen war. Ich blieb nur so lange unter den Bäumen, bis ich den Schein des Feuers hinter mir hatte; dann aber trat ich heraus auf den baumlosen Uferstreifen und konnte nun den Rückweg verfolgen, ohne auf Schritt und Tritt gegen die Bäume zu stoßen.

Als ich bei Halef ankam, fand ich ihn genau so, wie ich ihn verlassen hatte. Ich setzte mich an seine Seite und erstattete ihm Bericht. Früher hätte er in seiner bekannten Lebhaftigkeit meine Erzählung gewiß zehn- und zwanzigmal unterbrochen. Aber seit er sich als >Schutzengel< fühlte, gab er sich redliche Mühe, ein anderer zu sein, als bisher. Er hörte mich ruhig an. Als ich geendet hatte, ließ er ein kurzes, vergnügtes Lachen hören und sagte:

"Also Gott ist da! Allah, der allmächtige und allweise Herr und Schöpfer des Himmels und der Erde! Und den nehmen wir gefangen! Dem fesseln wir die Hände und die Füße! Den binden wir auf sein Pferd, damit es ihm nicht einfallen kann, uns auszureißen! Welcher Mensch hat wohl schon so etwas fertig gebracht!"

"Du wohl nicht!" antwortete ich.

"Nein, noch nicht! Allah war noch nicht so dumm, mir in die Hände zu laufen. Jetzt aber kommt er doch! Er sitzt schon da! Bei seinen Kamelen und Pferden! Und ich gehe hin, um ihm zu zeigen, daß Hadschi Halef Omar, der Scheik (Seite 122B) der Haddedihn, sogar den Schöpfer und Regierer aller Welt beim Kragen nimmt!"

"Das wirst Du bleiben lassen!"

"Bleiben lassen? Ich? Fällt mir gar nicht ein! Ich bin ein Freund der Ussul! Ich bin sogar ihr Schutzengel! Ich habe sie zu behüten und bewahren! Und das werde ich tun, denn es ist meine Pflicht! Ich würde sie gegen den Teufel verteidigen, wenn er käme, um sie zu bekämpfen! Und ich werde mich ihrer auch gegen den falschen Allah annehmen, der da am Fluß herabgeritten kommt, um sie zu überlisten! ich halte ihn fest und zwinge ihn, auf die Fortsetzung seiner Reise zu verzichten!" Er sagte das in sehr energischem Tone; ich aber wiederholte meine Worte:

"Das wirst Du bleiben lassen!" und fügte dann hinzu: "Du kommst ja gar nicht dorthin, wo er jetzt lagert. Du bekommst ihn gar nicht zu sehen, wirst gar nicht mit ihm sprechen."

"Nicht sehen? Nicht sprechen?" fragte er erstaunt. "Aber wir müssen doch unbedingt hin, um ihn gefangen zu nehmen!"

"Nein, das müssen wir nicht, und das werden wir nicht. Unsere Aufgabe ist, so schnell wie möglich nach dem Engpaß Chatar zu reiten, um dort die Einleitung für spätere Ereignisse zu treffen. Meinst Du, daß wir uns da mit Gefangenen herumschleppen können?"

"Hm!" brummte er. "Freilich! Sie zählen sechs Personen; wir aber sind nur zwei! Aber laufen lassen können wir sie doch auch nicht!"

"Warum nicht?"

"Weil, weil - - - hm, ja! Wenn man wüßte, daß sie dem Dschirbani in die Hände fallen und daß der sie genau so behandelt, wie wir sie behandeln würden."

"Ich bin überzeugt, daß er das tut."

"Ich nicht."

"So können wir es auch nicht ändern. Er ist sein eigener Herr und tut, was ihm beliebt."

(Seite 123A) "Oho!" fuhr er auf. "Du willst sagen, was uns beliebt, nicht aber ihm!"

"O nein!"

"So begreife ich Dich nicht. Der Mensch hat doch wohl zu tun, was sein Schutzgeist und sein Schutzengel wollen!"

"Nein, sondern er hat zu tun, was er selbst will. Der Mensch ist kein Sklave, sondern ein freier Herr. Er kann zwischen gut und bös, zwischen falsch und richtig wählen. Die Folgen fallen dann auf ihn."

"Aber ich als sein Schutzengel habe dafür zu sorgen, daß er das Richtige wählt, nicht aber das Falsche!"

"Kannst Du das?"

"Ja!"

"Nein! Selbst wenn Du Schutzengel bist, bist Du eben nur Schutzengel, nicht aber Gott. Denke Dir die Wesen, die wir als Engel bezeichnen, ja nicht so allmächtig und allwissend wie Gott selbst! Bilde Dir zum Beispiel einmal ein, daß der alte Oberst, dem Du fünfmalhunderttausend Piaster Gehalt versprochen hast, Dein Schutzengel sei. Würdest Du alles tun, was er von Dir verlangt?"

"Fällt mir gar nicht ein! Der ist ja noch viel dümmer als ich selbst!"

"Oder stelle Dir einmal vor, daß Du mein Schutzengel seist! Kannst Du Dir denken, daß ich mich in jedem Falle nach Deinem Willen richten würde?"

"Nein, gewiß nicht! Du würdest ja hundertmal gescheidter als Dein Schutzengel sein!"

"Ich danke Dir für diese Deine Aufrichtigkeit, mein lieber Hadschi Halef! Und ich bitte Dich, aus dieser Deiner Offenheit genau denselben Schluß zu ziehen, den ich aus ihr ziehe! Nämlich der Dschirbani steht mir an Intelligenz wenigstens gleich. Es gibt sogar gewisse Punkte, in denen er mich bedeutend übertrifft. Folglich ist auch er wenigstens hundertmal gescheidter, als Du bist. Und nun denke Dir, was daraus entstehen würde, wenn er alles nur so tun dürfte, wie Du als sein Schutzengel von ihm verlangst! Begreifst Du, was ich meine?"

"Ha! ich begreife nur, daß es sich eigentlich gar nicht sehr verlohnt, der Schutzengel eines Menschen zu sein, der gescheidter ist als ich selbst!"

"Allerdings! Es soll Leute geben, welche nur befähigt sind, die Engel von Dummköpfen zu sein!"

"Werde nicht anzüglich, Effendi! Ich habe als Schutzengel das Recht, Achtung von Dir zu verlangen, ganz gleich, ob ich intelligent bin oder albern. Das merke Dir! Wie es unter hunderttausend dummen Teufeln auch einmal einen gescheidten gibt, so kann es unter dreißig Millionen gescheidten Engeln auch einmal einen weniger gescheidten geben. Das sehe ich gar wohl ein. Aber daß grad ich dieser einzige unter so vielen bin, das mußt Du erst beweisen! kannst Du das?"

"Nein!"

"Das ist Dein Glück! Sonst wäre ich grob geworden! Und weil Du mir eine so vernünftige Antwort gibst, will ich auch vernünftig sein und nicht darauf bestehen, daß der Maha-Lama von Dschunubistan nicht weiterreiten darf. Ich hoffe, daß er dem Dschirbani in die Hände fällt und dieser ihn mit nach dem Engpaß bringt, wo wir ihn zwischen die Fäuste nehmen werden, um ihm zu zeigen, daß wir ihn sofort in sein Nirwana sperren, wenn er uns nicht gehorcht. Aber sehen werde ich ihn doch, denn wir müssen ja morgen früh aneinander vorüber."

"Nein. Wir tun das schon heut."

"In dieser Dunkelheit?"

"Ja. Und zwar nicht am Flusse hin, sondern in einem Bogen durch den Wald, um sie herum."

"Das ist in hohem Grade unbequem. Wir rennen an die Bäume!"

"Ja, das würde allerdings geschehen, wenn wir diesen Umweg zu Fuß machen und unsern Pferden vorangehen wollten. Aber wir reiten. Du weißt, daß die Pferde des Nachts besser sehen als wir. Der Wald hat nur am Rande Unterholz. In der Tiefe sind die Zwischenräume frei. Es wird also besser gehen, als Du denkst. Übrigens gibt es hier viel langes, dünnes Stangenholz am Wasser. Wenn wir uns jeder eine solche Stange herausschneiden und sie so, wie die Schnecken ihre (Seite 123B) Fühler, voraushalten, bewahren wir uns vor solchen Zusammenstößen, wie Du fürchtest."

"Sehr richtig, Effendi! Der Emir Kara Ben Nemsi und der Scheik der Haddedihn sind zwei Schnecken, jede mit einem hölzernen Fühlhorn vorn am Pferdekopf! Sihdi, das wird gemacht, und zwar gleich! Je länger wir hier bleiben, desto mehr drücken wir das Gras nieder, und das muß doch morgen früh wieder aufgestanden sein, damit die Leute aus Dschunubistan, wenn sie hier vorüberkommen, nicht sehen, daß jemand hier gewesen ist. Ich werde die Fühlhörner schneiden, ich selbst, weil ich es als meine Aufgabe betrachte, Dir die kluge Vorsicht und die zarte Empfindlichkeit der hiesigen großen, schwarzen Waldschnecken beizubringen. Du siehst, wie entzückt ich darüber bin, daß Du, wie überall so auch hier, Dich bemühst, nur edlen Vorbildern nachzustreben."

Er wählte zwei lange Schößlinge aus, schnitt sie ab und gab mir einen davon. Dann stiegen wir auf die Pferde und begannen, um die Stelle, an der sich die Fremden befanden, langsam einen Halbkreis zu reiten, dessen Halbmesser so groß war, daß wir von ihnen nicht gehört werden konnten. Für unsere Pferde ebensowohl wie auch für unsere Hunde genügte das einfache Wort >uskut<, sie zu veranlassen, jeden Laut und jedes Geräusch zu vermeiden. Indem wir die Stangen wie Lanzen vor uns hielten, war es uns nicht schwer, jedem Baumstamm, der uns im Wege stand, auszuweichen. Übrigens waren die Augen unserer Pferde so gut, daß wir auf diese >Fühlhörner< füglich hätten verzichten können. Trotzdem dauerte es eine ziemlich lange Zeit, bis wir den Bogen geschlagen hatten und weit oberhalb der Dschunub das Ufer des Flusses wieder erreichten. Wir stiegen da noch nicht ab, sondern wir ritten noch einige Kilometer weiter, um ganz sicher zu sein, auf keinen Fall bemerkt werden zu können. Dann machten wir Halt und lagerten zur Ruhe für die Nacht, ohne ein Feuer anzuzünden.

(Seite 124A) Ich habe nicht die Topographie des Landes, durch welches wir ritten, zu behandeln, sondern meine Leser wünschen, daß ich ihnen soviel wie möglich Ereignisse bringe, für die sie sich interessieren. Da wir von jetzt an unterwegs nichts erlebten, überschlage ich die Zeit, bis wir unser Ziel erreichten, und beginne da von neuem, wo das allmähliche Versiegen des Wassers uns darauf aufmerksam machte, daß wir uns der Landesgrenze näherten. Der Fluß wurde immer seichter und seichter. Seine Breite blieb, denn die war von alters her, als er noch aus dem hochgelegenen Norden kam, fest in das Land gegraben, aber der Inhalt schwand und verlor sich in dem porösen, schwammig weichen Boden. Der Grund trat zutage, erst stellenweise, so daß sich Inseln bildeten, die nach und nach immer größer und immer häufiger wurden. Dann bildete er längere, zusammenhängende Bänke, die durch schmale Wasserstreifen, später nur durch Pfützen voneinander getrennt wurden. Und endlich verliefen diese Streifen und Pfützen in ganz vereinzelte Tümpel, deren Wasser immer schlechter schmeckte und zuletzt gar nicht mehr zu genießen war. Da machte Halef ein sehr bedenkliches Gesicht und sagte:

"Sihdi, Du hast einen großen Fehler begangen!"

"Welchen?" fragte ich.

"Du hättest da, wo das Wasser noch schmeckte, anhalten sollen, um unsere Schläuche zu füllen."

"Wer? Ich?"

"Ja, Du!"

"Du nicht auch?"

"Nein, ich nicht! Was gehen denn grad mich die Fehler an, die gemacht werden? Ich bin doch nicht verpflichtet, mir welche auszusinnen. Das überlasse ich Dir."

"Schön!" lachte ich. "So denke wenigstens darüber nach, in welcher Weise es möglich ist, diesen Fehler wieder gutzumachen!"

"Ja, Sihdi, das werde ich. Und ich bin überzeugt, daß es gar nicht lange dauern wird, so habe ich es gefunden."

Von jetzt an zeigte sein Gesicht einen sehr tiefsinnigen Ausdruck. Ich sollte hieraus ersehen, wie angestrengt er nachdachte. Zuweilen tat er einen tiefen Atemzug, oder es erklang ein schwerer Seufzer. Die Trinkwasserversorgung hat schon manchem Oberbürgermeister von London, Paris, Peking, Berlin und ähnlichen Orten viel Kopfschmerzen bereitet. Mein guter Hadschi Halef war jetzt von ähnlichen Sorgen erfüllt. Seine Brauen zogen sich immer mehr zusammen; seine Mundwinkel hingen abwärts, und seine Augen bekamen einen sehr finstern, verhängnisvollen Blick. Endlich, nach fast einer Stunde, stieß er einen Jubelruf aus, schnalzte mit der Zunge und rief mir zu:

"Hamdulillah! Ich hab's! Komm, Sihdi, komm!"

Er drehte seine Pferd herum und machte Miene, dahinzureiten, woher wir soeben kamen.

(Seite 124B) "Wohin?" fragte ich.

"Zurück! Selbstverständlich zurück! Das ist das Einzige, das unbedingt Richtige!"

"Beweise es!"

"Beweise? Wozu? Das sagt doch schon der gesunde Menschenverstand!"

"Was?"

"Daß wir umkehren und zurückreiten müssen bis dahin, wo das Wasser noch trinkbar war. Dort füllen wir unsere Schläuche!"

"Hm! Dieser Gedanke kommt Dir erst jetzt?"

"Ja, erst jetzt! Und ich bin ganz glücklich darüber, daß er mir überhaupt gekommen ist. Du nicht auch? Ohne ihn würden wir für heut kein Wasser haben."

"Also dauert es bei Dir eine volle Stunde, ehe Dir das kommt, was Du als den gesunden Menschenverstand bezeichnest! Was hattest Du denn vorher für eine Art von Verstand?"

"Deinen jedenfalls nicht, Effendi! Denn der wäre wohl nicht auf den einzig richtigen Gedanken gekommen, wieder umzukehren!"

"Allerdings nicht!"

"So komm, und folge mir zurück! Ich führe Dich dorthin, wo wir heut früh getrunken haben. Dort war das Wasser noch gut."

"Also über sechs Stunden weit rückwärts, denn jetzt ist es Mittagszeit! Ich danke!"

"Du willst nicht mit?"

"Nein."

"So reite ich allein!"

"Tue es! Leb wohl, Halef! Laß Deinen gesunden Menschenverstand ja nicht in das Trinkwasser fallen. Du wirst ihn nötig haben, um mich im Laufe dieses Jahres wieder einzuholen!"

Ich ritt weiter; er aber blieb halten. Er schickte mir verschiedene Rufe und Ermahnungen nach. Ich antwortete nicht; ich sah mich gar nicht einmal um. Nach einiger Zeit wurde es hinter mir still. Dann hörte ich die Sprünge und lauten Atemzüge seiner Hunde, die bei ihm geblieben waren, mir aber jetzt nachkamen. Und als hierauf wieder eine Weile vergangen war, ertönte hinter meinem Rücken der scharfe Trab seines Pferdes. Er holte mich ein, kam an meine Seite und klagte in seinem vorwurfsvollsten Tone:

"Sihdi, es ist nicht auszuhalten mit Dir! Willst Du es denn mit Gewalt herbeiführen, daß wir verschmachten und verdursten?"

"Willst Du ewig im Sumpf und Moor der Ussul bleiben?" antwortete ich.

"Wie kommst Du zu dieser Frage? ich begreife sie nicht!"

"So sag, wo wollen wir hin?"

(Seite 125A) "Zunächst nach dem Engpaß Chatar und dann in das Land der Tschoban."

"Kennst Du dort Wasserquellen?"

"Nein!"

"Willst Du alle Tage zurückreiten, um hier Wasser zu holen?"

"Gewiß nicht! Da kämen wir ja gar keinen Schritt vorwärts!"

"Aber Wasser brauchen wir dort doch auch!"

"Wir werden schon welches finden!"

"Wo?"

"Das weiß ich freilich nicht. Ich verlasse mich da ganz auf Dich."

"Ah, so! Also ganz auf mich! Warum denn nicht auf Deinen gesunden Menschenverstand?"

"Allah w' Allah! Das ist Hohn! Das ist Spott! Das ist nicht schön von Dir! Sihdi, Du willst mich höhnen! Bedenke, daß Du als Schutzgeist verpflichtet bist, stets edelmütig zu handeln!"

"Und Du als Schutzengel hast immer vorwärts, nie aber rückwärts zu trachten! Merke Dir das! Wer in seinem Leben so glücklich ist, das Land des Sumpfes hinter sich zu haben, der soll lieber verschmachten, als sich vom ordinären Durst verleiten lassen, in den Sumpf zurückzukehren! Wasser gibt es überall, sogar auch in der ödesten, trockensten Wüste; man muß es nur zu finden wissen. Und daß es im Sande der Wüste reiner und bekömmlicher ist als im Moderboden des Schwemmlandes, das weißt Du, der Du aus der Wüste stammst, doch ebenso gut wie ich."

"Ja freilich!" nickte er. "Aber was Du da sagst, das klingt, als ob Du auf solches reines, lauteres Sandwasser rechnetest?"

"Das tue ich allerdings. Der Fluß kann doch unmöglich aus dem Gebiete der Tschoban gekommen sein, ohne den dortigen Sand mit herüber zu schwemmen. Je mehr wir uns dem Engpasse nähern, desto größer wird für uns die Wahrscheinlichkeit, auf sandige Stellen zu stoßen - - - "

"Aber nicht auf Wasser," unterbrach er mich.

"O doch! Nach den Dir allerdings vollständig unbekannten Gesetzen der Fenni mizani mejah und nach den Regeln der - - - "

"Schweig!" fiel er mir in die Rede, indem er sich für einige Augenblicke mit den Händen beide Ohren zuhielt. "Ich mag von dieser Deiner Fenni mizani mejah ebensowenig wissen wie von allen Deinen anderen Wissenschaften! Es kommt dabei doch weiter nichts heraus, als daß man aus dem Unterbewußtsein in das Oberbewußtsein klettert und aus diesem schmählich wieder herunterstürzt! Ich habe das erlebt! Nein, wenn ich Durst habe, will ich keine Fenni mizani mejah, sondern Wasser trinken, und ich bitte Dich also - - -"

Er hielt mitten in der Rede inne. Er sah etwas, was ihn verstummen ließ. Das war eine helle Stelle im alten, dunkeln Moorboden des Flußlaufes. ich sagte nichts, sondern lächelte nur. Als er mich wieder anblickte, und dieses Lächeln bemerkte, senkte er den Blick und gestand mir in seiner lieben, aufrichtigsten Weise unumwunden zu:

"Sihdi, ich bin ein Ochse, ein Esel, ein Schaf, kurz und gut, ein jämmerlicher Kerl, bei dem der gesunde Menschenverstand eine ganze, volle Stunde braucht, um sich auf sich selbst zu besinnen. Und selbst dann, wenn er das getan hat, kommt nichts Gutes heraus, sondern immer nur etwas Dummes! Nicht wahr, diese lichte Stelle da drüben ist Sand?"

"Ich vermute es. Laß uns nachsehen! Wir nähern uns dem Engpaß. Ich hoffe, daß wir ihn schon lange vor Abend erreichen."

Wir stiegen von den Pferden und gingen nach der betreffenden Stelle. Ja, sie bestand aus Sand, der nur wenige Zentimeter tief trocken war, dann aber feucht zu werden begann. Diese Feuchtigkeit wuchs mit der Tiefe. Halef pflegte jeden Fehler oder Irrtum, den er eingesehen hatte, mit wahrer Begeisterung wieder gutzumachen; so auch hier. Er eilte zu den (Seite 125B) Pferden zurück und schnallte seine beiden metallenen, arabischen Steigbügelschuhe aus den Riemen. Ihrer Gestalt nach waren sie zu Handscharren vortrefflich geeignet. Er nahm einen und ich einen. Wir gruben in kürzester Zeit ein Loch, in welchem sich ein klares, wohlschmeckendes Wasser sammelte. Es war durch den Sand filtriert. Wir tranken uns beide satt. Auch die Hunde bekamen genug. Wir erweiterten die Grube und tränkten auch die Pferde. Dann sickerte das Wasser so rasch nach, daß wir es abklären lassen und die Schläuche füllen konnten. Als wir damit fertig waren, hatten wir zu alledem nicht viel über eine halbe Stunde gebraucht. Nun stiegen wir wieder auf und ritten weiter. Halef fühlte sich beschämt. Er sagte:

"Wie rasch und bequem das gegangen ist! Ich aber hätte über zwölf Stunden gebraucht, um Wasser zu finden und Dich wieder einzuholen!"

"Falls ich gewartet hätte, ja! Ich aber wäre weitergeritten, und so hättest Du mich in zwölf Stunden nicht erreicht. Zudem mußt Du bedenken, daß wir jetzt gutes, gereinigtes Sandwasser haben, während Du nur gewöhnliches Moorwasser hättest bringen können."

"Meinst Du, daß wir auch jenseits des Engpasses immer Wasser haben werden?"

"Ich hoffe es."

"Aber die dortige Wüste ist berüchtigt. Sie soll die trockenste sein, die es gibt."

"Das glaube ich nicht. Ich bin überzeugt, daß sie besser ist als ihr Ruf. Sie ist im Norden von Bergen umkränzt, hinter und über denen sich die Gebirgsmassen von Dschinnistan erheben. Das erzielt einen Wasserdruck, der jedenfalls auch bis in das Land der Tschoban reicht. Übrigens habe ich auf der Landkarte, welche der Dschirbani mir gegeben hat, Ortszeichen gefunden, welche jedenfalls Wasserstellen bedeuten. Sie stammten von seinem Vater, der die Wüste oft durchquerte und sie darum sehr gut kannte. Man sagt, er habe das Gelingen dieser seiner Reisen nur dem Spürsinn seiner Hunde zu verdanken. Ich will das nicht in Abrede stellen, füge aber hinzu, daß seine eigene Kenntnis der Wasserstellen noch wichtiger gewesen ist als die Nasen seiner vierfüßigen Begleiter. Ich glaube nicht, daß Du ahnst, wie groß diese Wichtigkeit auch für uns werden kann."

"Für uns? Wieso?"

"Wir wollen doch die Tschoban besiegen. Nicht?"

"Ja. Aber wir wollen nicht nur das, sondern wir wollen sie unterwerfen, wollen von ihrem Land Besitz ergreifen."

"Ganz recht! Was aber gehört zu einem solchen Siege?"

"Tapferkeit."

"Weiter nichts?"

"Freilich noch viel mehr. Mut, List, Klugheit, Übung, Ausdauer, Geschicklichkeit und noch vieles andere. Sihdi, Du lächelst! Du machst Dich lustig über mich. Gestehe es!"

"Ein wenig allerdings. Deine Aufzählung paßt ebenso gut auf jede Prügelei unter zweien. Wie wir seit gestern abend wissen, wird es nicht nur einen Kampf zwischen den Ussul und Tschoban geben, sondern auch die Dschunub werden sich beteiligen. Den Sieger kenne ich schon heut."

"Der sind natürlich wir!"

"Oho! Der wirkliche Sieger heißt ganz anders als wir."

"Kenne ich ihn?"

"Ja."

"Wie heißt er?"

"Wasserschlauch."

"Was - - -!"

Das Wort blieb ihm im Munde stecken Er sah mir ganz verständnislos in das Gesicht. Dann aber schien ihm die Einsicht zu kommen. Er schloß den Mund, der ihm offen geblieben war, nickte mir zu, machte ein pfiffiges Gesicht und fuhr fort:

"- - - serschlauch! Ganz richtig! Der Wasserschlauch! Wer genug Wasser hat, der hält es am längsten aus. Wer aber keines hat, der muß verschmachten, und sei er noch so stark oder noch so klug. Daher also die Tausende von Wasserschläuchen, die Du bestellt hast! Du, Sihdi, ich glaube, der Hinweis auf diese Schläuche war Schutzengelei. Nicht?"

"Vielleicht hast Du nicht ganz unrecht, wenn Du es so nennst."

(Seite 126A) "Aber woher das Wasser nehmen für eine solche Menge von Gefäßen?"

"Du meinst, für eine solche Menge von Tieren und Menschen. Denn diese sind doch die Hauptsache, die Gefäße aber Nebensache."

"Mir wird angst, wenn ich daran denke!"

"Mir nicht."

"Aber grad von Dir wird man es fordern! Auf Dich wird die Verantwortung fallen! Wirst Du sie tragen können?"

"Wahrscheinlich. Ich habe da drei Verbündete, die mich nicht im Stiche lassen werden."

"Höre, Sihdi, was machst Du für ein Gesicht, indem Du das sagst! Diese Deine Miene kenne ich! Wenn Du die vorsteckst, so hast Du immer einen guten, pfiffigen Gedanken! Bin etwa ich einer von diesen Deinen drei Verbündeten?"

"Nein, mein lieber Halef, Du leider nicht, So viel Wasser, wie ich brauche, wirst Du mir wohl nicht schaffen können."

"Ganz sicher nicht! Aber auch Du hast doch nicht, wie einst Musa, einen Stock, mit dem Du nur an den Felsen zu schlagen brauchst, damit Wasser aus ihm springe!"

"Ich habe sogar drei solche Stöcke."

"Wo? Wieso? Du meinst das natürlich nur bildlich?"

"Allerdings. Ich meine unsere drei Verbündeten. Der erste von ihnen ist die Landkarte des Dschirbani, die ich hier in meiner Tasche habe. Ich glaube, daß sie sich außerordentlich gut bewähren wird."

"Wenn Du Dich nicht täuschest!"

"Ob ich mich täusche, wird sich noch heut vor Abend zeigen. Täusche ich mich aber nicht, so ist diese Karte von einem Werte, den man gar nicht taxieren kann."

"Weiß das der Dschirbani?"

"Nein. Es handelt sich um ein geheimnisvolles Zeichen des Dschinnistani auf der Karte. Wenn ich es richtig deute, werden wir wohl nie zu dürsten brauchen."

"Und der zweite Verbündete?"

"Ist eben mein Zweifel daran, daß die Wüste der Tschoban so ganz und gar wasserlos ist. Wie ich Dir bereits andeutete, weisen die Gesetze der Fenni mizani mejah darauf hin, daß - - "

"Allah sei mir gnädig!" fiel er mir da schnell in die Rede. "Laß mich mit dieser Deiner Fenni mizani mejah in Ruhe, und sage mir lieber, wer Dein dritter Verbündeter ist!"


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