"Mein dritter sind die Vulkane von Dschinnistan."

"Die feuerspeienden Berge?"

"Ja."

"Die jetzt allabendlich in Glanz und Flammen stehen?"

"Dieselben."

"Deine Verbündeten? Das begreife ich nicht!"

"Du mußt bedenken, daß sie nicht nur allabendlich in Glanz und Flammen stehen, wie Du sagst, sondern Tag und Nacht, also immerfort, nur daß man es beim Licht des Tages nicht so sehen kann wie während der Dunkelheit der Nacht. Diese vulkanischen Ausbrüche kehren, wie Taldscha und die Priesterin erzählten, in Zwischenräumen von ungefähr hundert Jahren wieder, und jetzt besinne ich mich, in der Bibliothek unserer Marah Durimeh gelesen zu haben, daß Ssul, der Fluß, der ausgetrocknet ist, weil er gezwungen war, nach seiner Quelle zurückzufließen, in jedem Jahrhundert einmal den Versuch macht, aus dem Paradiese zurückzukehren. Es stand da: >Dann wird sein Lauf von Sehnsuchtstränen feucht, und Nachtigallen trinken Morgentau, wo sonst sogar der Stein vor Durst verschmachtet!< Diese beiden Sagen, nämlich daß die Vulkane alle hundert Jahre leuchten und daß Ssul, der Fluß des Friedens, in jedem Jahrhundert einmal seinen Lauf befeuchtet, scheinen meiner Ansicht nach im Zusammenhange miteinander zu stehen. Das eine scheint die Ursache oder die Folge von dem andern zu sein."

"Daß die Vulkane speien, wenn der Fluß feucht wird?" fragte Halef ernst.

"O nein," lachte ich. "Sondern grad umgekehrt. Nämlich, daß der Fluß Wasser bekommt, wenn die Vulkane sich in Tätigkeit befinden. Denke Dir die Massen ewigen Eises, welche da oben in den Bergen aufgestapelt liegen. Dieses Eis, welches man (Seite 126B) mit dem Tode vergleicht, verbirgt eine unendliche Fülle des Lebens; nur muß man das dem kurzsichtigen Menschen erst extra zeigen und sagen. Und denke Dir zu diesem Eise eine wochen- oder gar monatelange Periode vulkanischer Ausbrüche, durch welche eine Glut entwickelt wird, der keine Kälte, und sei sie noch so stark, widerstehen kann. Da schmelzen ganz gewaltige Mengen Eises. Sie werden zu Wasser. Sie rauschen, stürzen und fließen zum Tale. Je größer die Hitze ist und je länger sie dauert, um so mehr wird das tiefere Land vom Wasser getränkt und gesättigt. Die Feuchtigkeit füllt nicht nur Bäche und Flüsse, sie wird auch von der durstigen Erde aufgesaugt wie von einem ausgetrockneten Schwamme und geht in seinen Poren heimlich und ungesehen abwärts bis in die Wüste, wo sie gezwungen ist, in den tiefen Rinnen alter, verschmachteter Wasserläufe zutage zu treten und sich zu offenbaren. Ich halte es für ein großes Glück für uns, daß grad jetzt eine solche Periode begonnen hat. Sie wird unsere Verbündete sein. Sie wird uns selbst in der trockensten Wüste der Tschoban das Wasser geben, welches wir brauchen, um unsere Zwecke zu erreichen. Wir haben weiter gar nichts nötig, als daß wir die Gegend, durch die wir ziehen, nach den Gesichtspunkten der Wasf ul arz oder der Ilmi tabakat-i-arz auswählen. Wenn wir das tun, so - - -"

"Sei still, sei still!" fiel er mir in die Rede. "Wir brauchen Wasser, aber keine Wasf ul arz und auch keine Ilmi tabakat-i-arz. Nimm Rücksicht auf mein Unterbewußtsein, wenn ich oben sitze, und erbarme Dich meines Oberbewußtseins, wenn ich unten liege, aber verschone mich mit diesen Wissenschaften, die man weder in Schläuche füllen noch in der Kaffeekanne wärmen kann!"

"Gut, lieber Halef! Ich wollte Dir nur andeuten, daß es gar nicht schwer ist, eine Gegend daraufhin zu betrachten, welcher Teil von ihr verborgenes Wasser enthält. Wir werden welches finden; ich bin fast überzeugt davon. Und das wird dann wie die Erfüllung einer Verheißung sein, wie die Offenbarung eines großen, seligmachenden Zusammenhanges. Da oben in Dschinnistan öffnen sich in feuersprühender Nacht die Pforten des Paradieses, und die Flammen leuchten die Engelsfrage in alle Welt hinaus, ob endlich Friede sei auf Erden. In der Glut dieser Flammen schmelzen die Gletscher und Firnen und kommen dem Menschen mit ihrer Hilfe sogar bis in die Wüste entgegen, damit es möglich sei, den Frieden, der ihm von aller Welt verweigert wird, mit dem Säbel zu erzwingen!"

Da zuckte ein Strahl des Glückes über das Gesicht meines guten Hadschi und er rief aus:

"Effendi, du weißt, daß ich die Feigheit hasse, die Tapferkeit aber liebe und mich vor keinem Feinde fürchte. Der Kampf ist mir, wenn er gute Gründe hat und ehrlich vor sich geht, eine Wonne. Aber ich sehe ebenso ein wie Du, daß der Friede besser ist als der Krieg. Wir beide, Du und ich, haben kriegerischen Ruhm wohl mehr als genug geerntet; es ist uns erlaubt, nun nach dem Frieden zu trachten, ohne daß man uns für mutlos hält. Wir können heimziehen aus der Welt, die sich niemals verträgt und darum unaufhörlich schlägt. Wir können uns Wohnungen bauen, in die der Haß und Streit nicht dringen können. Ich kehre heim zu meiner Hanneh, der herrlichsten Blume, die auf Erden duftet, und bringe ihr zehn Kamelladungen von Teppichen, Decken, Schals und Leinwanden mit, um ihr das schönste aller Zelte zu bauen, das man jemals gesehen hat. Und auch Du kehrst heim zum harrenden Weibe, welches Du Deine >Seele< nennst. Du bringst ihr - - - ja, Sihdi, was bringst Du ihr denn mit? Ihr wohnt ja nicht in Zelten, die man aus leinenen oder baumwollenen Stoffen macht, sondern in Häusern, die man aus - - - höre, Sihdi, woraus werden diese Häuser gemacht?"

"Aus Mauer- und Ziegelsteinen, aus Holzbalken und Brettern und so weiter."

"Womit werden sie gedeckt?"

"Mit Schiefer, Ziegeln, Schindeln, Dachpappe und so weiter."

"Ist ein Garten drum herum?"

(Seite 127A) "Bei dem meinigen, ja."

"Und wie heißt so ein Haus, welches mitten im Garten steht und nur Vergnügen macht?"

"Man pflegt es eine Villa zu nennen."

"Nun gut, so kannst Du Dich bei Deiner Heimkehr nicht mit Teppichen, Decken, Schals und Leinwanden beladen, welche Dir unnütz sind, sondern Du nimmst aus Ägypten, Arabien oder Persien folgendes mit nach Hause."

Er spreizte, indem wir dabei weiterritten, die fünf Finger der linken Hand weit auseinander und zählte an ihnen mit dem Zeigefinger der rechten Hand die einzelnen Posten ab, die er der Reihe nach aufführte:

"Erstens zehn Kamelladungen Mauersteine und Ziegelsteine und so weiter. Zweitens zehn Kamelladungen hölzerne Balken und Bretter und so weiter. Drittens zehn Kamelladungen Dachschiefer und Dachziegeln und so weiter. Viertens zehn Kamelladungen Dachschindeln und Dachpappe und so weiter. Und fünftens zehn Kamelladungen heilige Erde aus Mekka, Medina, Jerusalem und Kairwan, auf welche Du dem Weibe Deines Herzens eine neue Villa baust. Auch in den Garten, der drumherum liegt, kannst Du von dieser Erde streuen, weil sie die köstliche Eigenschaft besitzt, alle wilden Tiere und alle bösen Menschen von Euch abzuhalten."

"Gut, ich werde das tun," nickte ich belustigt. "Was soll ich noch mitnehmen?"

"Weiter nichts, denn ich bin doch schon bei Fünftens angelangt und habe keine Finger mehr, um fernere Sachen daran herzuzählen. Begnüge Dich also mit dem, was ich Dir angegeben habe. Es ist genug. Bedenke, das macht schon fünfmal zehn Kamele, also fünfzig! Wenn Du die von Persien, Arabien oder Ägypten bis nach Deutschland führen, in Ordnung halten und ernähren sollst, hast Du unterwegs so viel zu tun, daß Du fast gar nicht fertig wirst. Ich rate Dir also, ja nichts weiter mitzunehmen und Dich mit dem zu bescheiden, was Du hast! Ein wahrhaft kluger Mann verlangt von Allah nie zu viel!"

"Besonders wenn es sich um Balken, Bretter und Dachschindeln handelt!"

"Schweig! Ziehe die Villa nicht ins Lächerliche! Ich habe sie ernst gemeint! Du hast überhaupt die Eigenheit, über mich zu lachen, wenn ich ernstlich rede, und mich nur dann ernst zu nehmen, wenn ich scherze. Das muß ich mir verbitten und - - - schau, Sihdi, hier hat ein Feuer gebrannt."

Er hielt an, ich auch. Wir befanden uns noch immer an dem Flußbette aufwärts, welches aber nun ohne Wasser war. Auch heut hatten wir zu unserer Rechten den Wald, doch war er nicht so dicht wie gestern, weil hier die Feuchtigkeit fehlte. Unten im Flußbette gab es hier eine Wasserlache mit sehr trübem Inhalte, aus welcher, wie wir aus den Spuren ersahen, die Pferde und Kamele getränkt worden waren. Die Reiter hatten am Waldesrande gelagert und gegessen. Das waren natürlich die Dschunub gewesen. Wir stiegen gar nicht von den Pferden. Der Umstand, daß diese Leute hier kurzen Halt gemacht hatten, war mir von keiner Wichtigkeit. Ich überflog den Platz nur oberflächlich mit den Augen und ritt dann weiter. Halef blieb noch kurze Zeit halten und kam mir dann nach. Aber er war unruhig. Er drehte sich wiederholt um und schaute zurück.

"Was hast Du?" fragte ich ihn.

"Eigentlich nichts, gar nichts," antwortete er. "Aber es ist mir so sonderbar."

"Wie?"

"Wie eine Ahnung."

"Was für eine Ahnung?"

"Daß wir dort noch hätten bleiben sollen."

"Etwa wie ein böses Gewissen? Wie eine Angst, als ob wir etwas Gutes unterlassen hätten?"

"Ja, eine Angst! So, genau so ist es."

"Das kenne ich! Wir kehren zurück und werden den Platz genau untersuchen. Ich bin überzeugt, daß wir etwas finden werden, was nichts Gleichgültiges ist."

Wir lenkten also wieder um. An dem Platze angekommen, stiegen wir ab und untersuchten ihn, fanden aber nichts. Wir (Seite 127B) wiederholten das Nachforschen, doch ebenso vergeblich. Die Spuren stammten zwar von gestern, waren aber noch ziemlich deutlich zu sehen, weil die Dschunub keine Veranlassung gekannt hatten, vorsichtiger zu sein. Zwei Diener waren mit den Pferden und Kamelen unten an der Wasserpfütze gewesen. Die andern zwei hatten oben am Rande gesessen und dem Tränken zugeschaut. Die beiden Herren hatten sich abseits davon nebeneinander an einer Stelle niedergelassen, die eine sehr dunkelbraune, sammetweiche Moosdecke hatte. Weggeworfene Haut- und Sehnenstücke des genossenen Fleisches bewiesen, daß gegessen worden war. Aber weiter als das war trotz alles Suchens nicht zu entdecken. Ich ging also zu meinem Pferde zurück und gab das vergebliche Forschen auf. Da warnte mich Halef:

"Effendi, bleibe noch! Es wird mir bang, ganz eigentümlich bang, wenn ich sehe, daß Du fort willst. Es muß etwas hier geben, was wir wissen sollen; es muß, es muß! Ich habe noch nie in meinem Leben eine solche Angst gehabt wie jetzt. Schau mich an!"

Er kam zu mir herbei, damit ich ihn betrachten möge. Ich sah, daß seine Wangen feucht waren. Über seinen Brauen glänzte die Stirn von Schweiß.

"Das ist Angstschweiß!" sagte er, indem er ihn wegwischte. "Ich bin noch nie so voller Unruhe gewesen wie in diesem Augenblick. Mein Herz schlägt so laut, daß ich es innerlich höre. Ich bitte Dich, suchen wir noch einmal!"

"So wird auch mir fast angst! Derartige innere Erregungen pflegen ihren guten Grund zu haben. Verfahren wir also sorgfältiger! Wir haben bis jetzt nur stehend gesucht. Knien wir nun nieder! Wenn etwas Wichtiges zu finden ist, liegt es wahrscheinlich da, wo die beiden Gebieter gesessen haben. Also komm!"

Wir kehrten zu der betreffenden Stelle zurück und knieten nieder, um das Moos nun nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Fingern abzutasten. Kaum war das geschehen, so rief Halef: "Hamdulillah, ich hab's!" und ich sagte zu gleicher Zeit: "Hier ist es, da im Moose!" Und in demselben Augenblicke griff er zu und auch ich. Wir zogen, er mit seiner Rechten und ich mit meiner Rechten, ein Messer heraus, das bis ans Heft im Moose steckte. Dieses Heft war von Metall, aber so gedunkelt, gealtert, verrostet oder vergrünspant, daß es ganz genau die Farbe des Mooses hatte und, von oben betrachtet, nicht von ihm zu unterscheiden gewesen war. Erst als wir niedergekniet waren und unsere Blicke nun von der Seite kamen, hatten wir es bemerkt und zwar sofort. Die Klinge war blank und scharf, als käme sie erst heut vom Messerschmied, war aber doch vom feinsten, besten, altindischen Stahle. Man konnte mit ihrer Schärfe ein frei schwebendes Haar durchschneiden. Bei näherer Betrachtung sah man, daß das Heft eingravierte Linien und Punkte zeigte, doch waren sie nicht deutlich zu erkennen, und wir gaben uns in diesem ersten Augenblicke ganz selbstverständlich nicht gleich die Mühe, diese Figuren zu enträtseln. Unsere Aufmerksamkeit richtete sich vielmehr sofort auf den starken, sonderbaren Rücken der Klinge, welcher rechtwinkelig eingekerbt war, und zwar verschiedentlich breit und tief. Ich kann das nicht deutlicher machen, als indem ich bitte, an unsere neuen, seit einiger Zeit in Mode gekommenen Kofferschlüssel zu denken, die nur aus dem breiten Bart bestehen und deren eingeschnittene Kerben mit den im Schlosse vorhandenen Sicherheitsstiften korrespondieren. Diese eigentümliche Klinge steckte nicht fest und unbeweglich im Hefte, sondern sie war durch ein Scharnier mit ihm verbunden und konnte also eingebogen werden.

"Ein Messer, ein Taschenmesser!" sagte Halef. "Das hat entweder der >erste Minister< oder der >höchste aller Priester, die es gibt<, während des Essens hier in das Moos gesteckt und dann vergessen. Wenn es dem letzteren gehörte, so haben wir das Messer gefunden, mit dem der >Gott< ißt! Hier, nimm es, Sihdi! Und nimm noch etwas dazu!"

Er gab mir das Messer, welches er festgehalten hatte, und zu gleicher Zeit auch einen Kuß grad auf dem Mund. Auf den fragenden Blick, der ihn deshalb aus meinen Augen traf, entschuldigte er sich:

"Verzeih den Kuß, Sihdi! Ich kann nicht anders, Ich mußte ihn Dir geben. Aus Dankbarkeit, daß Du erlaubt hast, (Seite 128A)

noch einmal zu suchen. Es ist etwas in mir, was ich nicht selbst bin. Dieses Etwas freut sich unendlich darüber, daß wir das Messer gefunden haben. Es ist für uns bestimmt. Sein Eigentümer ist gezwungen worden, es hier in das Moos zu spießen und dann stecken zu lassen. Dieses innerliche Etwas sagt mir, daß dieses Messer von einem Werte für uns ist, den wir noch gar nicht ahnen. Ich bin so froh, so glücklich, daß es von uns entdeckt worden ist! Begreifst Du das? Ich nicht! Die Freude gebot mir, Dich zu küssen. Wozu aber die Einschnitte im Rücken der Klinge? Ich habe das noch bei keinem andern Messer gesehen. Errätst Du ihren Zweck?"

"Ja."

"Welcher ist es?"

"Dieses Messer war einst das Schlachtmesser für kleinere Opfertiere und zugleich der Schlüssel zu dem Tempel, in dem diese Opfer gebracht wurden."

"Ein Schlüssel? In welcher Weise?"

"Schau her! Man schlägt das Einbiegemesser auf und steckt die Klinge in das Schlüsselloch. Dann macht man das Messer halb wieder zu, indem man das Heft nach unten drückt. Ist dies geschehen, so bildet das Heft einen Drehling, also eine Kurbel, und die Klinge den eigentlichen Schlüssel, den man am Heft so lange dreht, bis das Schloß geöffnet ist."

Indem ich das Messer abwechselnd einbog, öffnete, halb wieder zusammenbog und dann am Griffe drehte, zeigte ich dem Hadschi, wie dieser altindische Messerschlüssel zu handhaben war. Er sah mir zu, schüttelte dann langsam den Kopf und sagte:

"Die Sache ist zwar hochinteressant, aber sie erscheint mir nicht als sehr hoffnungsvoll. Wir haben einen Schlüssel, aber kein Schloß dazu. Und wenn wir es hätten, woher nehmen wir den Tempel, zu dem es gehört? Dieser Tempel hat im alten Indien gestanden. Steht er noch? Und wo? Mit diesem Schlüssel ist es ganz dasselbe, als wenn ich zum Beispiel einen Sporen habe, aber kein Pferd dazu. Ja, wir sind sogar noch schlimmer daran, denn ein Pferd läßt sich jedenfalls eher und auch leichter beschaffen als ein alter hindostanischer Götzentempel, der höchstwahrscheinlich längst in Trümmern liegt. Ich freue mich unendlich darüber, daß mein Gefühl mich nicht betrogen, sondern uns dazu geführt hat, diesen Schlüssel zu finden; lieber aber wäre es mir, wenn wir anstatt den Schlüssel den Tempel gefunden und anstatt des Tempels nur noch den Schlüssel zu erwarten hätten!"

"Du verlangst zu viel. Mir genügt das, was ich habe."

"Also der Schlüssel!"

"Nein. Denn wir haben nicht nur ihn, sondern noch viel mehr."

"Möchte wissen, was!"

"Nicht was, sondern wen. Nämlich den, der ihn hierhergebracht und stecken gelassen hat. Ob dies der Maha-Lama oder der Minister ist, das bleibt sich für mich gleich. Ich werde bis zum Beweise des Gegenteiles der Ansicht sein, daß nicht der Minister sondern der Oberpriester das Messer besessen hat. Ich will zwar nicht annehmen, daß er es amtlich überkommen hat, aber der Besitz steht höchstwahrscheinlich mit seiner heiligen Würde in irgend einer Beziehung. Es ist ganz und gar nicht ausgeschlossen, daß er (Seite 128B) weiß, zu welchem Gebäude der Schlüssel gehört. Ist dies der Fall, so erfahren wir es von ihm, denn wir kommen ja wieder mit ihm zusammen. Dann wird sich herausstellen, ob der heutige Fund uns irgend welchen Nutzen bringt oder nicht."

"Wenn es nach dem Gefühle geht, welches mich zwang, wieder umzukehren und nochmals nachzuforschen, so ist er uns von Nutzen, und zwar von einem sehr großen. Ich bitte Dich, Sihdi, das Messer gut aufzuheben. Wenn Du wirklich ahnst, daß wir das finden werden, was dazu gehört, nämlich den Tempel, dessen Schlösser es öffnet, so will ich meinen Ausdruck, daß die Sache nicht sehr hoffnungsvoll sei, hiermit zurücknehmen. Auf alle Fälle habe ich hier etwas gelernt, was ich nicht wußte, nämlich daß es geheimnisvolle Dinge oder gar Personen außer uns gibt, deren Stimmen bis tief in unser Inneres reichen. Denn die Mahnung, zurückzukehren und noch einmal zu suchen, stammte nicht von mir selbst, sondern sie kam von außen; das habe ich deutlich gefühlt. Ich bitte Dich, jetzt nicht mit mir zu sprechen. Die Sache kommt mir außerordentlich wichtig vor. Ich werde über sie nachdenken."

Als er dies sagte, kam mir ein ironischer Hinweis auf seinen >gesunden Menschenverstand< auf die Lippen, ich drängte ihn aber zurück, weil der liebe Kleine hier nur Aufmunterung, nicht aber Spott verdiente. Er verhielt sich, während wir nun weiterritten, vollständig schweigend. Auch ich war still, doch in Gedanken ebenso beschäftigt wie er, wenn auch auf anderem Gebiete. Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Gegend, durch die wir kamen, und auf die Veränderung, welche sie erlitt, je weiter wir vorwärts rückten. Der Boden veränderte sich. Der Humus verschwand. Die Moorerde ging in Sanderde über. Es versteht sich von selbst, daß diese Veränderung sich auch auf die Pflanzenwelt erstreckte. Unser Weg lag zwischen den beiden Extremen des Urwaldes und der Wüste. Er führte von dem einen zu dem andern. Es war im höchsten Grade interessant, nicht nur an den Bäumen, sondern auch an den Büschen, Sträuchern, Stauden, Kräutern und Gräsern zu beobachten, wie sie verschwanden, um von ähnlichen, aber doch ganz anderen ersetzt zu werden. Es war, als ob wir jetzt den Vorzug hätten, den weiten Weg von der hinterindischen Dschungel nach den westafrikanischen Wüstenregionen in der Zeit von wenigen Stunden zurückzulegen. Der Wald verschwand schließlich ganz. Wir ritten durch eine Steppe, die der Kalahari glich. Ich sah Bastard- und Kameldorne stehen, und daß sich da auch sofort die wilde Gurke einstellte, ist selbstverständlich. Nur da, wo der Sand noch Moor enthielt, traten noch einzelne oder weitläufig gruppierte Bäume auf, doch glichen sie den weitästigen Lebbach- und anderen schattenlosen Albizziarten, welche den Ausdruck der Wüste nicht mildern, sondern steigern.

Halef schien von dem allen nichts zu bemerken. Sein Blick irrte zwar überall herum, war aber inhaltslos. Auch die Arm- oder Fußbewegungen, welche die Verbindung mit dem Pferde forderte, waren rein mechanisch. Er sann und sann und ließ zuweilen einen entweder freudigen oder verdrießlichen, kurzen Ausdruck hören, je nachdem er etwas gefunden zu haben glaubte oder nicht. Endlich aber, nach langer, (Seite 129A) langer Zeit, warf er plötzlich beide Arme hoch in die Luft und rief aus:

"Hamdulillah! Ich hab's, ich hab's! Effendi, ich hab's?"

"Was?" fragte ich.

"Das Geheimnis!"

"So! Zwar weiß ich nicht, was für ein Geheimnis Du meinst, aber ich gestatte mir dennoch die Frage, ob Du es lösen kannst."

"Lösen? Nein, lösen kann ich es nicht," antwortete er.

"So behalte es für Dich!"

"Fällt mir gar nicht ein! Ich habe es Dir unbedingt zu sagen!"

"Aber ich mag es nicht hören!"

"Du mußt! Es ist zu wichtig!"

"Das bezweifle ich sehr stark! Jeder, der ein Geheimnis hat, pflegt es für wichtig zu halten; wenn aber dann die Lösung kommt, ist es mit der Wichtigkeit meist vorüber. Behalte das Deinige für Dich. Ich bin so von allerlei Geheimnissen überfüllt, die ich nicht lösen kann, daß ich mich dagegen verwahren muß, auch noch mit an den Deinigen zu schleppen!"

"Du brauchst es doch nicht zu behalten!" wendete er ein. "Wenn es Dir nicht gefällt, so gibst Du mir es wieder!"

"Du wirst Dich hüten, es wieder zu nehmen," lachte ich."Du bist froh, wenn Du es los bist!"

"Nein, wirklich nicht, Sihdi," beteuerte er. "Es ist keine Last, die ich Dir aufladen will. Sondern es ist etwas Unsichtbares, was ich Dir zeigen will, um zu erfahren, ob Du es vielleicht sichtbar machen kannst. Ich kann es nämlich nicht."

"So sage es! Hängt es mit unserm Messerfunde zusammen?"

"Ja. Freilich, mit dem Messer eigentlich nicht, sondern mit der inneren Stimme, der ich gehorchte, als ich Dich veranlaßte, wieder umzukehren. Kennst auch Du solche Stimmen?"

"Ja."

"Wo kommen sie her?"

"Doch wohl aus dem Innern!"

"Wieso?"

"Das liegt in dem Ausdruck, den Du gebrauchst. Würdest Du wohl von innern Stimmen sprechen, wenn sie nicht aus dem Innern kämen?"

"Hm! Diese Frage ist richtig, und doch ist sie falsch. Ich nenne diese Stimme innerlich, weil wir sie nur innerlich hören. Damit ist aber doch noch nicht gesagt, daß sie auch nur von innen kommen. Kann ihr Ursprung nicht von außen sein?"

"Mein lieber Halef, ich bitte Dich, auf meine Antwort zu verzichten."

"Warum?"

"Weil Du mir verboten hast, Dir Dein Ober- und Dein Unterbewußtsein zu verwirren. Deine Frage kann nämlich nur von der Müdschewwedet beantwortet werden, und daß Dir diese nicht imponiert, das hast Du mir ja schon wiederholt beteuert."

"Ganz richtig!" nickte er. "Deine Müdschewwedet taugt nichts. Sie ist im höchsten Grade unwissend und behauptet doch, alles zu wissen. Und wer das tut, der macht sich nicht nur lächerlich, sondern der ist sogar als schädlich zu bezeichnen!"

"Wie willst Du wissen, daß die Wissenschaft unwissend ist?"

"Sag: Ist der ein Schlosser, der nicht weiß, was ein Schloß ist?"

"Nein."

"Oder ist der ein Schuhmacher, der den Schuh einen Stiefel, den Stiefel einen Pantoffel und den Pantoffel einen Schuh nennt? Der Dir also den Unterschied zwischen dem Schuh, dem Stiefel und dem Pantoffel weder zeigen noch erklären kann?"

"Nein."

"Nun, Deine >Seelenlehre< gleicht diesem Schlosser, der nicht sagen kann, was ein Schloß ist, denn sie hat mir nicht einmal zu sagen vermocht, was eine Seele ist. Und Deine Seelenlehre gleicht diesem Schuhmacher, der noch nicht einmal Pantoffeln, Schuhe und Stiefeln voneinanderkennt, denn sie weiß noch nicht einmal zwischen Anima, Geist und Seele zu unterscheiden; (Seite 129B) sie spricht von diesen drei Dingen, ohne zu wissen, wer und was sie sind; sie verwechselt eines mit dem andern; heut sagt sie, das sei alles eins, und morgen behauptet sie, daß es gar keine größeren Unterschiede geben könne als die, die hier zu machen seien. Kurz und gut, wenn ich mir Deine berühmte Müdschewwedet genau betrachte, so kommt sie mir wie Dein ebenso berühmter Hadschi Halef vor, als er vom Pferde auf die Erde gesetzt worden war und nicht mehr wußte, ob er das Oberbewußtsein unten und das Unterbewußtsein oben habe oder nicht! An diese sonderbare Wissenschaft werde ich niemals eine Frage richten, auf die ich eine Antwort erwarte, denn sie kann mir keine geben. Die Frage, die ich aussprach, hat nicht ihr, sondern Dir gegolten, und ich hoffe, daß Du Dich nicht plötzlich und ohne allen Grund in eine Wissenschaft verwandelt hast, die sich Müdschewwedet nennen läßt, ohne Müdschewwedet zu sein! Ich sage Dir, Effendi, ich habe nun volle zwei Stunden lang in einem einzigen Atem über meine Frage nachgedacht. Der Kopf tut mir vor Anstrengung weh; der Hals ist mir vor lauter Gedanken vollständig steif geworden, und über den Hüften fühle ich die heftigen Schmerzen des Kreuzes, weil ich mein Gehirn überlastet und meinen Scharfsinn überbürdet habe. Und nun ich die Frucht dieser meiner geistigen Anstrengung in Deine Hände lege, um Auskunft zu erhalten, was tust Du da? Du verlangst von mir, auf Antwort zu verzichten! Das hättest Du mir sagen sollen, ehe ich anfing, nachzudenken; da hätte ich diese Arbeit unterlassen! Aber mich diese schwere, saure Plackerei zu Ende bringen lassen und mir dann den wohlverdienten Erfolg versagen, das ist hinterlistig, das ist heimtückisch, das ist schlecht von Dir! Das brauche ich nicht zu dulden!"

"So dulde es nicht!"

"Werde ja nicht auch noch höhnisch! Ich werde es allerdings nicht dulden, sondern ich verlange von Dir, daß Du gescheidter bist als Deine Psychologie, die schon Millionen Bücher über den Geist und über die Seele geschrieben hat, ohne zu wissen, wer diese beiden eigentlich sind, woher sie stammen, wo sie stecken, was sie hier bei uns sollen und wohin sie wieder gehen, wenn ihr Werkzeug, der Leib, nicht mehr existiert. Ich frage Dich also zum letzten Male, ob Du mir antworten willst oder nicht!"

"Was tust Du denn, wenn ich nicht will?"

"Ich - - ich - - - hm! Sihdi, Du bist ein fürchterlicher Mensch! Fühlst Du denn nicht, daß Du durch diese Deine Frage die Sache gleich auf die höchste Spitze treibst?"

"Du aber wohl nicht?"

"Ich? Hm! Das ist etwas ganz anderes! Ich habe das Recht, von Dir belehrt zu werden, weil Du der Klügere von uns beiden bist. Wenn Du mir diese Belehrung verweigerst, machst Du Dich einer Unterlassung schuldig, vor der ich Dich bewahren will. Wenn ich jetzt dringlich gewesen bin, ist es also nur zu Deinem Heil geschehen. Wirst Du mir nun antworten?"

"Ja. Und zwar nur deshalb, weil Du zugegeben hast, daß ich der Klügere von uns beiden bin."

"Höre, Sihdi, fang ja nicht wieder an! Ich habe nicht behauptet, daß Du stets und in allen Dingen der Klügere seist, sondern ich meinte nur in Beziehung auf grad den Fall, den wir besprechen. Es handelt sich da um die Stimmen, die wir in unserm Innern erklingen hören. Ich fragte Dich, ob es nicht möglich sei, daß sie von außen stammen. Ich will diese Frage nicht von Deiner unwissenden Müdschewwedet beantwortet haben, sondern von Dir selbst. Ich bitte Dich, mir aufrichtig zu sagen, ob es auch in Deinem Innern solche Stimmen gibt."

"Das weiß ich nicht."

"Wie? Was? Du weißt es nicht? Aber Du mußt es doch wissen!"

"Nein."

"So bist Du dümmer, als ich dachte! O, Sihdi, wie habe ich mich in Dir geirrt! Ich habe Deine Müdschewwedet unwissend genannt, und jetzt stellt es sich heraus, daß Du noch viel weniger weißt als sie, nämlich nichts! Wer hätte das gedacht! Ich nicht!"

"Ich auch nicht! Aber tröste Dich, lieber Halef! Die Dummheit liegt nicht auf meiner Seite, sondern auf der Deinigen."

"Oho!"

(Seite 130A) "Ja, auf der Deinigen!"

"Wieso?"

"Du hast Dich falsch ausgedrückt. Du hast mich gefragt, ob es in meinem Innern solche Stimmen gebe, und doch ist, wo es sie gibt, grad das, was wir nicht wissen! Du wolltest jedenfalls fragen, ob auch ich solche Stimmen in meinem Innern höre, und da antworte ich bejahend. Ich habe von jeher auf diese Stimmen geachtet. Ich höre sie in mir; aber wo sie entstehen oder woher sie kommen, das ist eine Frage, die ich offen lassen muß!"

"Schön! Das freut mich! Denn wenn Du sie offen lässest, so schlüpfe ich hinein. Ich sage Dir, Sihdi, diese Stimmen erklingen in uns, aber sie entstehen nicht in uns, sondern sie kommen von außen hinein."

"Beweis!"

"Sofort! Warte nur, bis ich meine Gedanken alle wieder beisammen habe! Du hast sie mir ganz wirr gemacht! Nämlich daß diese Stimmen nicht von mir kommen, sondern von außen, das ist es, worüber ich in den letzten zwei Stunden nachgedacht habe. Ich konnte lange, lange nichts finden, bis mir endlich die heilige Fatha einfiel, die erste Sure des Koran, die ich täglich des Morgens und des Abends bete und auch tagesüber bei jeder passenden Gelegenheit. Dabei fiel es mir ein, daß ich sie niemals genau so beten kann, wie ich will."

"Wieso?"

"Ich meine ohne Störung. Ohne daß mir etwas anderes dazwischen kommt. Ich nehme mir vor, und zwar ganz fest und bestimmt, nur ganz allein dieses mein Gebet zu sprechen und dabei an ganz und gar nichts anderes zu denken. Aber kaum habe ich begonnen >Lob und Preis sei dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichtes - - <, so kommt irgend ein anderes Wort oder ein vollständig falscher, fremder Gegenstand geflogen, nämlich in meinem Innern, und fällt mitten in mein Gebet hinein, um mir die Andacht zu verderben. Du ahnst gar nicht, wie viele tausend Male mich das schon geärgert hat."

"Ist es vielleicht die Umgebung, die Dich so stört?" fragte ich mit Vorbedacht.

"Nein."

"Wahrscheinlich das, was Du hörst, was Du siehst, während Du betest?"

"Auch nicht. Ich habe genug Kraft in mir, das alles auszuschließen und mich so zu sammeln, daß es mich nicht stören kann. Diese fremden Dinge, die mir das Gebet verderben, kommen weder durch die Augen noch durch die Ohren in mein Inneres hinein, sondern auf einem andern Wege, den ich aber nicht kenne. Es sind Dinge, die mir gar nicht vor den Augen und Ohren liegen, während ich bete. Ich lege mich zum Beispiel im dichten Urwalde zur Ruhe. Es ist völlig finster. Ich sehe und höre nichts, gar nichts. Da bete ich die dreiundfünfzigste Sure, von dem Stern, der da untergeht. Und während ich mich bemühe, an gar nichts anderes als nur an den Wortlaut dieser Sure zu denken, kommen mir mitten in meinen frömmsten Gedanken allerlei Personen gelaufen oder allerlei Gegenstände geflogen, die gar nicht in diese Sure gehören. Obgleich ich gar nicht darandenken will, denke ich da plötzlich mitten in den Zeilen des Gebetes an den Pantoffel meiner Hanneh, an den Schnupfen, den ich vor drei Jahren hatte, an die Prügel, die ich als Kind bekommen habe, oder gar an eine der vielen Dummheiten, die ich auch noch später, in reiferen Jahren, beging. Nun frage ich Dich, Sihdi: Bin etwa ich es, der an diese Sachen denkt?"

"Wohl kaum!"

"Nein! Ganz gewiß nicht! Denn ich will ja nur allein an die Sure denken! Ich gebe mir sogar die größte Mühe, keinen einzigen Augenblick von ihr abzuweichen. Es ist also ein anderer, der mir diese Gedanken zuwirft, um mich zu stören und zu ärgern. Wer aber ist dieser Schurke?"

"Denke nach! Vielleicht findest Du ihn!"

"Denke nach! Das ist sehr leicht gesagt! Aber indem ich nachdenke, um ihn zu erwischen, fährt er in seiner Bosheit fort und wirft mir Dinge herein, die ihn mir so verbergen, daß ich ihn ganz unmöglich entdecken kann. Sihdi, Du hast gar keine Ahnung, wie das ist!"

(Seite 130B) "Irre Dich nicht!"

"Nicht irren? Hm! Also auch Du?"

"Ja, auch ich, mein lieber Halef! Und nicht nur Du und ich, sondern auch jeder andere Mensch, der über sich selbst nachdenkt und dabei nach innen schaut. Das Beispiel von der Fatha, welches Du bringst, ist ebenso drastisch wie überzeugend. Ganz dasselbe ist mir unzählige Male beim Beten des Vaterunsers geschehen. Millionen beten es, und allen diesen Millionen ergeht es genau wie Dir und mir, aber leider sind nur wenige unter ihnen, die es beachten und betrachten, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen."

"Also auch Du! Also auch Du!" wiederholte er. "Und Du hast natürlich viel eher und viel richtiger darüber nachgedacht als ich! Aber weißt Du, Effendi, es ist nicht bloß beim Gebete, sondern auch bei andern Gelegenheiten! Fast immer, wenn es etwas Ernstes oder Wichtiges zu tun und zu überlegen gibt, kommen diese Unterbrechungen geflogen. Es ist genau so, als ob, während ich in meinem Garten arbeite und pflanze, ein böser Nachbar draußen stehe und mir allerlei Steine und Unkrautsamen hereinwerfe, um mich zu schädigen!"

"Darum nanntest Du ihn einen Schurken!"

"Das ist er auch! Ein Schurke, ein Schuft, ein Betrüger und Fälscher, der mir meine besten Gedanken verdirbt, um mir das Gute, das ich will, in Böses zu verwandeln. Sihdi, ich glaube, dieser Kerl ist an allen Dummheiten schuld, die ich gemacht habe und - Allah sei es geklagt - wahrscheinlich auch noch machen werde!"

"Dieser Verdacht hat guten Grund."

"Aber wer ist dieser Kerl? Sag es mir, damit ich ihn finde und ihn fassen kann! Ist er in mir? Oder ist er draußen? Bin ich in mir? Oder bin ich draußen? Sind wir alle beide in mir? Oder sind wir alle beide draußen? Ich bin der, der das Gute will, und er ist der, der das Böse will. Ich kann also nicht er, und er kann also nicht ich sein. Wir sind zwei ganz verschiedene Personen. Meinst Du nicht auch, Effendi?"

"Wer Ihr beide seid, das interessiert mich in diesem Augenblicke weniger," antwortete ich. "Viel lieber möchte ich wissen, woher die Gegenstände geflogen kommen, mit denen er Deine Gedanken unterbricht."

"Woher? Hm! Du meinst, ob sie von außen oder von innen kommen? Aus mir selbst oder wo anders her?"

"Ja. Bitte, denke darüber nach! Aber recht sorgfältig und genau!"

Er sann längere Zeit und gewissenhaft nach und antwortete dann:

"Nein. Es sind immer Dinge gewesen, die ich schon kannte."

"Also der, den Du einen Schuft und Schurken nennst, wirft Dir Deine eigenen Steine und Dein eigenes Unkraut in den Garten zurück. Ich sage mit Absicht: >zurück<. Wo befindet er sich also?"

"Draußen."

"Und die Steine?"

"Auch draußen."

"Wo aber haben sie sich erst befunden, da sie ja Deine eigenen sind?"

"Drin! Im Garten! In meinem Innern! Sihdi, halt ein, halt ein! Ich sehe ein, wie töricht es vorhin von mir war, über Dich zornig zu werden. Du hattest ganz recht, mich auf die Gefährlichkeit der Müdschewwedet zu verweisen. Ich zwang Dich trotzdem, mir zu antworten, und habe nun die schweren Folgen zu tragen. Bis heut hatte ich mich nur über das Oberbewußtsein und das Unterbewußtsein zu ärgern. Von heute an habe ich nun bei Tage und bei Nacht nur immer aufzupassen, ob der Schurke mit seinen Steinen und seinem Unkraut drinnen oder draußen ist. Mir tut vor lauter Nachdenken schon alles weh, mein Kopf, mein Hals, mein Kreuz und meine Hüften, und wenn sich das - - -"

Er unterbrach sich mitten in der Rede, hielt sein Pferd an und warf einen langen, beinahe verwunderten Blick rundum.

(Seite 131A) Endlich schien mein Halef genug gesehen zu haben, und nun rief er:

"Maschallah - Wunder Gottes! Seit ich mich nur immer von innen betrachtet und gar nicht mehr nach außen geschaut habe, ist ja die Gegend ganz anders geworden! Ganz anders und viel schöner, viel schöner!"

"Schöner? Wirklich?" fragte ich.

"Ja, wirklich schöner!" antwortete er. "Der Wald ist weg! Der Fluß ist weg! Die Bäume, Sträucher und Gräser sind weg! Die fruchtbare Erde ist weg! Es ist nichts mehr zu sehen als Sand, nur immer Sand, weiter nichts als Sand!"

"Und das nennst Du schöner?"

"Natürlich! Genau so wie hier, war es da, wo ich geboren wurde! In den Wüsten des Moghreb, wo ich geboren wurde! Der Mensch findet alles schön, was ihn an seine Heimat, an seine Jugend, an das Glück seiner Kinderzeit erinnert. Schau, wie unsere Pferde hier ganz anders atmen! Wie ihre Muskeln schwellen, ihre Schweife wehen und ihre Hufe spielen! Das kommt vom Sonnenschein, vom Licht und von der freien Luft. Kein stehendes Gewässer dunstet mehr; kein Moderholz, kein giftiger Schwamm hemmt unsern Weg! Der reinste Sand rundum, wie durch ein feines Sieb herabgeweht, im Lichte bläulich wie Perlmutter schimmernd. Das ist die Wüste, die ich liebe! Komm, machen wir den Pferden diese Freude! Laß uns einmal jagen! Galopp, Galopp, Galopp!"

Er ließ sein Pferd ausgreifen, und ich war ihm ganz und gern zu Willen. Wir flogen über die vollständig vegetationslose Ebene wie im Sturme dahin. Ben Rih schnaubte vor Wonne. Die Hunde bellten jauchzend. Mein edler Syrr war still, aber jeder Schritt oder Sprung, den er tat, war ein ebenso schöner wie beredter Ausdruck des Entzückens, welches in ihm wohnte und seinen herrlichen Gliedern heut einen ganz besonderen Bewegungsausdruck gab.

Wir ritten so, daß wir eng nebeneinander blieben.

"Schau, Sihdi!" sagte Halef, indem er nach vorn deutete. "Siehst Du es?"

"Ja," antwortete ich.

"Wie herrlich! Was mag es sein?"

Es gab da vor uns ein Leuchten, Blitzen, Sprühen und Glühen, wie aus einem mitten aus der Wüstenebene hoch emporragenden Leuchtturme, der aber nicht nur oben auf seiner Zinne leuchtete, sondern in seinem ganzen Bau aus Flammen bestand. Aber dieses Feuer loderte nicht. Es blitzte in kurzen, durcheinander gezückten Strahlen, wie aus lauter eng aneinander liegenden, geschliffenen Fazetten. Es war, als rage dort ein riesiger Diamant empor, an dem Millionen von Edelsteinschleifern jahrhundertelang gearbeitet hätten, um seiner ganzen, (Seite 131B) ungeheuren Fläche die Fähigkeit zu erteilen, das große, ewiggewaltige Unisono des Sonnenlichtes in unzählbare, zeitlichkurze Minuten und Sekunden zu differenzieren. Nach langem, schwerem Urwalddunkel bot dieser Strahlenjubel auf unbegrenzter, offener Erdenfläche einen Anblick, den kein Mensch, der ihn gehabt hat, in seinem Leben jemals vergessen kann.

"Was mag das sein?" fragte der Hadschi, indem er sein Pferd zügelte, um wieder langsam zu reiten und so das Schauspiel länger zu genießen.

"Das läßt sich wissenschaftlich leicht erklären. Was wir das vor uns sehen, ist ein aus dem Boden ragendes, glimmerreiches Felsenstück, dessen glasähnliche Partikelchen im Sonnenstrahle funkeln."

"So! Das ist eine wissenschaftliche Erklärung?"

"Ja."

"So sage dieser Deiner Wissenschaft, daß ich ihr nicht erlaube, mir das Wunder, welches ich vor mir sehe, zu verkleinern. Was Glimmer ist, weiß ich nicht. Ob dieses Zeug in das Reich der Pflanzen oder der Elefanten gehört, ist mir gleichgültig; ich mag es gar nicht wissen. Ich sehe nur, daß es funkelt, viel schöner und viel entzückender als Deine ganze, dunkle Wissenschaft, und daß nicht der Glimmer, sondern dieses Funkeln für mich ein Wunder und eine Wonne ist, das darfst Du mir wohl glauben! Schon eher möchte ich fragen, wie dieser hohe Stein hier mitten in die niedrige Wüste kommt?"

"Wahrscheinlich befinden wir uns eben nicht mitten drin. Wir nähern uns der Landenge, von der wir wissen, daß sie aus Felsblöcken besteht, welche die Überreste eines gewalttätigen Naturereignisses sind. Wahrscheinlich ist dieser Glimmerfelsen der am weitesten vorgeschobene Block aus jener Periode und - - - ah, schau! Jetzt wird er dunkel. Siehst Du die Gestalt?"

Von dem feuchten Lande, welches hinter uns lag, war eine Wolke aufgestiegen und so vor die Sonnen getreten, daß ihr Schatten zu uns her nach Norden fiel. Er verdunkelte den Felsen für eine kurze Zeit, so daß seine Konturen hervortraten und die Figur, die er bildete, in ihrer ganzen Schärfe zu sehen war.

"Ein Melek, ein Melek! Wahrhaftig, ein Melek!" rief Halef aus. "Mit einem Friedenszweige in der Hand! Er hat zwei Flügel und steht auf einem Postament von mehreren Felsentrümmern!"

Es war so, wie Halef sagte; der Steinkoloß besaß die von ihm beschriebene Gestalt. Als ich das sah, hielt ich mein Pferd ganz an und griff in die Tasche, um die Karte hervorzuziehen, welche mir der Dschirbani gegeben hatte.

"Was willst Du? Warum hältst Du an?" fragte Halef.

(Seite 132A) "Um die Landkarte zu befragen. Ich sagte Dir, ob sie uns täusche, das werde sich heut noch vor Abend finden. Diese Zeit ist nun gekommen."

"Es handelte sich da aber nicht um das Funkeln dieses Steines, sondern um das Vorhandensein von Wasser!"

"Ich werde mich auch nicht um das Funkeln, sondern nur um das Wasser bekümmern."

Ich trieb mein Pferd ganz eng an das seinige hin, schlug die Karte auf, zeigte sie ihm vor und fuhr dann fort:

"Hier ist der Engpaß, die Grenze zwischen dem Lande der Ussul und dem Gebiete der Tschoban. Das letztere ist zum großen Teile wüst. In diese Wüste siehst Du hier eine Reihe von Punkten gezeichnet, welche sich von Süd nach Nord ziehen und allem mit einem Mim und einem Hah bezeichnet sind. Erkennst Du sie?"

"Ja," nickte er. "Was sind das für Punkte, für Orte?"

"Ich weiß es nicht."

"Aber Du scheinst etwas zu vermuten?"

"Allerdings. Diese Punkte, welche mitten durch die Wüste führen, haben unbedingt etwas zu bezeichnen, was für die Wüste wichtig ist. Und was ist da wohl als das Wichtigste zu nennen?"

"Wasser?"

"Ja, freilich! Ich nehme also an, daß wir es hier mit Stellen zu tun haben, an denen Wasser gefunden wird, und zwar kein salziges oder überhaupt ungenießbares, sondern trinkbares."

"Und was sollen da diese beiden Buchstaben m.h. bedeuten?"

"Moje hilwe; es ist fast gar nicht anders möglich. Meinst Du nicht, Halef?"

"Ja; das meine ich auch. Diese Punkte liegen jedenfalls auf dem Wege, den der Dschinnistani jedesmal eingeschlagen hat, wenn er nach seiner Heimat reiste. Für sich brauchte er diese Aufzeichnung nicht, aber wohl für seinen Sohn, dem die Karte gewidmet war."

"Wenn das stimmt, so ist uns der Sieg fast nach allen Richtungen hin gewiß, denn wir haben die Hauptsache, nämlich Wasser."

"Was aber hat das mit dem heutigen Tage zu tun? Daß wir noch vor Abend sehen werden, ob die Karte stimmt?"

"Schau her! Hier liegt der Engpaß. Ganz nahe, südlich davon, ist ein Punkt, der als >El Melek< bezeichnet wird, also, der Engel, den wir da vor uns sehen. Und darunter stehen dabei dieselben Buchstaben m.h., die wir als >Wasser< deuten. Wenn wir jetzt bei dem Engel Wasser finden, so ist es für mich gewiß, daß es auch in der Wüste der Tschoban an allen den Punkten Wasser gibt, die mit m.h. bezeichnet sind. Begreifst Du nun, wie wichtig dieser Felsen hier für uns ist?"

"Gewiß! Aber, Effendi, erlaube mir, ein wenig zu zweifeln. Ich frage Dich, wo hier das Wasser herkommen soll? Betrachte diesen Sand! Es ist Flugsand, fast wie Mehl so fein! Von dem Winde aus der Wüste der Tschoban über die Landenge herübergetragen. Und er ist tief, sehr tief. Kein einziger Grashalm läßt sich hier sehen! Ich glaube, hier wird kein einziger Tropfen Wasser zu finden sein."

"Warten wir es ab. Wer nach Wasser sucht, der darf nicht nach dem Sande der Oberfläche urteilen. Die darunter liegende Formation hat das entscheidende Wort zu sprechen."

"Aha! Jetzt kommt wieder Deine berühmte Ilmi tabakat-i-arz! Laß sie sein; laß sie sein! Ich mag nichts von ihr hören! Wenn wir Wasser finden, bin ich zufriedengestellt, denn nicht die Ilmi, sondern das Wasser will ich haben!"

"So komm! Ich hoffe, wir werden es finden!"

Wir ritten weiter. Die Wolke war inzwischen fortgegangen; darum funkelte der Engel nun wieder, doch nicht für lange Zeit, denn je mehr wir uns dem Felsen näherten, um so mehr veränderte sich sein Sonnenwinkel zu uns, und endlich waren alle die strahlenden Reflexe verschwunden, obgleich die Sonne noch immer schien. Und nun sahen wir etwas, was mich mit Freude erfüllte. Nämlich der Felsen des Engels war, obgleich er mitten in unfruchtbarem Flugsande lag, von Sträuchern umgeben, über welche sogar die kräftigen Wipfel einiger Bäume emporragten. (Seite 132B) Und ringsum wuchs Gras, welches um so gesünder und saftiger war, je näher es dem Engel stand.

"Sihdi, du hattest doch recht. Es gibt hier wirklich Wasser," sagte Halef, indem er sein Pferd traben ließ, um die letzte Strecke schnell zurückzulegen. Ich aber blieb bei dem bisherigen Tempo. Ich wußte wohl, was er beabsichtigte. Er wollte vor mir am Felsen sein, um des Ruhmes willen, das Wasser entdeckt zu haben. Er pflegte dann aber fast stets das Gegenteil von dem zu erreichen, was er erreichen wollte. So auch diesesmal. Als ich bei dem Engel ankam, war Halef schon längst vom Pferd gestiegen und kroch hin und her rund um den Felsen herum, ohne aber eine Spur von Wasser zu finden. Ich wartete geduldig, bis er schließlich eingestand:

"Ich finde nichts, Sihdi, gar nichts! Wir haben uns getäuscht."

"Das glaube ich nicht," antwortete ich.

"O doch! Wäre Wasser hier, so müßte ich es doch finden!"

"Warum grad Du? Bist Du klug genug dazu?"

"Ich denke doch!" fuhr er auf.

"Wirklich? So hast Du also nachgedacht, ehe Du suchtest?"

"Nein. Ich habe eben gesucht. Ist das nicht genug?"

"Ja, es ist allerdings genug, nämlich um nichts zu finden! Schau, ich bin noch nicht einmal vom Pferde gestiegen. Vielleicht suche ich gar nicht, sondern ich bleibe im Sattel sitzen und finde das Wasser doch. Und warum? Weil ich überlege, anstatt blind daraufloszusuchen."

"Erlaubst Du mir, mit zu überlegen?"

"Ja. Zwei bringen immer mehr fertig als nur einer."

"So laß uns anfangen, nachzudenken! Wer soll beginnen? Ich oder Du."

"Du natürlich, denn Du bist eher dagewesen, als ich."

"Ich danke Dir, Sihdi! Aber beim Nachdenken ist es immer besser, daß Du den ersten machst, und ich komm später dazu, um die Sache zu bestätigen. Denn, weißt Du, in der Bestätigung liegt ja alles!"

"Sehr richtig! Fangen wir also an! Du wirst gleich sehen, wie schnell wir auf das Wasser kommen, ohne daß wir lange suchen. Sag mir vor allen Dingen, wo es zu finden ist!"

"Sonderbare Frage!" antwortete er verwundert. "Natürlich da unten, in der Erde! Hoffentlich suchst Du es nicht da oben in jener Wolke, die übrigens nun vorüber ist."

"Spotte nicht, sondern denke nach! Was nützt es uns da unten? Wir brauchen es hier oben!"

"Das weiß ich ebensogut wie Du! Es wird wohl eine Stelle geben, die da hinunterführt!"

"Aber wo?"

"Das weiß ich nicht."

"So such nach ihr!"

"Suchen? Ich? Höre, Effendi, ich begreife Dich nicht! Erst lachst Du mich aus, daß ich gesucht habe, ohne vorher nachzudenken, und nun störst Du mich im tiefsten Nachdenken, damit ich suchen soll! Ich sage Dir, mein Nachdenken ging so tief, daß ich beinahe schon unten beim Wasser war! Warum hast Du mich gestört? Wenn ich nun nichts finde, bist nur Du daran schuld!"

"Ich habe nicht gemeint, daß Du ausschließlich nur denken und sinnen sollst. Du sollst auch sehen! Schau Dir den Engel an! Meinst Du, daß seine Gestalt eine rein natürliche, nur zufällige ist? Je länger ich ihn betrachte, desto wahrscheinlicher kommt es mir vor, daß Menschenhände nachgeholfen haben. Das Wasser in der Wüste gleicht einem Rettungsengel. Dieser Stein inmitten der Wüste hatte eine Form, aus der sich leicht ein Engel hauen ließ. Man tat dies, allerdings nur in der rohen, kunstlosen Weise, die Du vor Dir siehst. Wir stehen wahrscheinlich an einem uralten Brunnen, der aber nur für Freunde war; der Weg zum Wasser wurde verborgen gehalten."

"Und Du willst ihn finden? So schnell? Nach so langer, langer Zeit?"

"Vielleicht habe ich ihn schon!"

"Oho!"

"Jawohl! Der Eingang zum Wasser kann nicht in der Ferne, sondern muß hier in der Nähe sein. Er ist nicht offen, sondern verborgen, verdeckt. Es gibt ein Loch, welches hinabführt, (Seite 133A) mit einem Deckel darauf. Wenn dieses Loch im Sande oder im Grase läge, würde sich seine Form und seine Stelle trotz des Deckels abzeichnen, infolge der Feuchtigkeit, welche den Deckel von unten herauf direkt berührt. Siehst Du eine solche Stelle?"

"Nein."

"Ich auch nicht."

"So liegt diese Stelle nicht im Sande und nicht im Grase, sondern im Gesträuch."

"Nein. So sehr viele Büsche gibt es hier nicht, daß man ein Wasserloch zwischen ihnen verbergen könnte. Und zu denken, daß man es mit Erde bedeckt und auf diese Erde dann Sträucher gepflanzt habe, wäre ganz und gar verfehlt, weil jeder Gang zum Wasser diese Sträucher töten würde, und dann wäre das Geheimnis verraten. Bleibt also nur noch der Stein selbst."

"Wie? Du meinst, im Felsen selbst sei der Weg zum Wasser hinab?"

"Ja, ganz unbedingt."

"So muß ich gleich suchen!"

"Unten herum?"

"Natürlich!"

"Würde vergeblich sein. Das Loch ist oben."

"Maschallah! Bist Du allwissend?"

"Nein. Aber ich öffne die Augen und denke nach. Wäre das Loch in die Seiten des Felsens gehauen, so würde sich die Decke desselben gewiß auf irgend eine Weise verraten. Man hat es also da angebracht, wohin das Auge nicht dringt, und das ist oben auf der Höhe des Blockes, auf dem der Engel steht. Es scheint, man kann nicht hinauf; aber in die hintere, linke Kante sind Vertiefungen gehauen, von denen ich annehme, daß sie für die Fußspitzen und Finger bestimmt worden sind. Traust Du Dir es zu, da hinaufzuklettern?"

"Aber gewiß! Paß auf, wie schnell das geht!"

Er ging nach der angegebenen Stelle, griff sich sehr leicht an der Kante empor, sah sich oben um und sagte dann:

"Auch da ist nichts zu sehen, am allerwenigsten aber ein Loch!"

"Das habe ich gar nicht anders erwartet. Oder meinst Du, daß man so töricht gewesen sei, das Loch zu einem verborgenen Brunnen offen zu lassen?"

"Aber ich sehe auch keinen Deckel!"

"Wenn der Deckel so dumm gearbeitet wäre, daß man ihn sofort sieht, so hätte man das Loch doch lieber gleich offen lassen können! Wahrscheinlich ist die Fläche da oben, auf der Du stehst, mit Flugsand überweht?"

"Ja, das ist sie."

"Sehr hoch?"

Halef bückte sich, um zu probieren, und antwortete dann:

"Fast einen ganzen Finger hoch."

"Und ist dieser Flugsand unberührt?"

"Ja. Es gibt einige Spuren von Vogelfüßen, weiter nichts."

"So ist höchstwahrscheinlich niemand da oben gewesen, seit der Dschinnistani seine Frau holte und sich hier mit Wasser versorgte. Es steht zu erwarten, daß die Brunnenöffnung sich an einer der Seiten des Steines befindet, nicht aber in der Mitte, also entweder rechts oder links."

"Warum nicht in der Mitte? Ich hätte grad das gedacht!"

"Weil es sich hier ganz unmöglich um einen Ziehbrunnen, sondern einzig nur um einen Steigbrunnen handeln kann. Es führen also Stufen hinab. Stufen aber brauchen Platz. Sie gehen nicht senkrecht, sondern schief nach unten. Führen sie von rechts nach links, so ist das Loch auf der rechten Seite des Felsens zu suchen. Führen sie von links nach rechts hinab, so liegt es auf der linken Seite. In der Mitte würde es nur dann sein, wenn die Stufen gerade und senkrecht nach unten gingen, was ich aber für ausgeschlossen halte. In diesem Falle würde es sich nicht um eine Treppe mit Stufen, sondern um eine sogenannte >Fahrt<, also um eine Leiter mit Sprossen handeln, und das wäre ganz und gar gegen die Gewohnheiten derer, von denen vor vielen Jahrhunderten dieser Brunnen angelegt worden ist."

"Du meinst also, daß ich zunächst nur an den Seiten suche?"

"Ja."

(Seite 133B) "Gut! Also zunächst hier links."

Halef war an der linken Seite des Felsens emporgeklettert. Er stand noch dort. Jetzt band er sich seinen Schal von den Hüften, legte ihn mehrfach zusammen und begann an der Stelle, wo er sich befand, den Flugsand fortzustäuben. Nachdem er eine ziemliche Stelle freigelegt hatte, erklärte er:

"Hier ist nichts. Ich werde es also drüben auf der rechten Seite versuchen."

Er ging hinüber. Der Engel stand nicht, wie der Hadschi von weitem gemeint hatte, auf einem Postament von mehreren Felsentrümmern, sondern auf einem einzigen, kompakten, riesigen Block. Nur infolge der Bäume hatte es aus der Entfernung den Anschein gehabt, als ob dieser Block geteilt sei. Die Figur des Engels war nicht etwa nach ihrer Anfertigung auf den Felsen gestellt worden, sondern sie gehörte zu ihm; sie war sein oberster Teil; sie bildete mit ihm ein Ganzes. Der untere Teil, das Postament, war breiter als der obere. Als ich dann selbst hinaufstieg, sah ich, daß hier künstlich nachgeholfen und mittels Werkzeugen eine ebene Fläche gebildet worden war, auf die sich das breite, faltige Gewand des Engels stützte, ohne daß die Füße aus demselben hervortraten. Kaum hatte Halef angefangen, in der Nähe der äußersten rechten Falte des Gewandes die Sanddecke zu entfernen, so hielt er wieder inne, bückte sich zum Boden nieder, betrachtete ihn und rief:

"Hier ist etwas, Sihdi! Etwas, was von Menschen stammt, nicht von der Natur."

"Was?" fragte ich.

"Eine Figur mit drei Spitzen."

"Was für eine Figur und was für Spitzen?"

"Frag doch nicht so unklug, Sihdi! Es ist eine Figur mit drei Spitzen! Anders kann ich es doch nicht sagen!"

"Aber die Figur muß doch eine Gestalt haben!"

"Nein. Sie hat keine Gestalt, sondern nur die drei Spitzen!"

"Sonderbar! Warte! Ich komme selbst hinauf!"

"So komm! Aber Du wirst es auch nicht anders finden, als ich es gefunden habe!"

Ich sprang aus dem Sattel und stieg in derselben Weise hinauf, wie Halef hinaufgestiegen war. Als ich zu ihm getreten war und die Stelle sah, die er meinte, mußte ich lachen.

"Da sagt man doch nicht, das ist eine Figur mit drei Spitzen!" verbesserte ich ihn.

"Wie denn?" fragte er.

"Man sagt sehr einfach, das ist ein Dreieck!"

"So! Ein Dreieck! Ich ahne schon! Da willst Du mir wieder einmal mit irgendeiner Wissenschaft kommen! Wie heißt sie? Sprich!"

"Ilm el mesacha."

"So? Also Ilm el mesacha? Bilde Dir ja nicht ein, daß Du stolz auf diese Deine Mesacha sein darfst! Es geht Dir mit ihr nicht besser, als mit allen Deinen andern Wissenschaften, die gar keine Wissenschaften sind, sondern denen, die sich mit ihnen befassen, nur die Köpfe und den Verstand verdrehen. Schau Dir den Stein hier an! Ist das, was Du da siehst, eine Figur oder keine?"

"Es ist eine," antwortete ich, innerlich belustigt.

"Also habe ich recht! Ferner: Wie viel Ecken hat sie? Etwa vier oder fünf?"

"Nur drei."

"Also habe ich recht! Ferner: Sind diese Ecken etwa rund?"

"Nein."

"Sondern wie?"

"Spitz."

"Also habe ich recht! Ich wiederhole infolgedessen mit allergrößter Feierlichkeit: Eine Figur mit drei Spitzen! Du siehst also, wie schlimm es um Deine Wissenschaften steht. Sie sind mir vollständig gleichgültig! Auch diese lächerliche Ilm el mesacha, die nicht einmal weiß, daß jede Ecke spitz verläuft! Aber der Klügere ist immer auch der Noblere. Ich will mich also zu Deiner Ausdrucksweise herablassen und mich so stellen, als ob (Seite 134A) wir hier nicht eine Figur mit drei Spitzen, sondern ein Dreieck vor uns hätten, und frage Dich, von wem dieses Dreieck stammt."


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