"Was Ihr wünschet, ist mir gleichgültig!" unterbrach er mich abermals. "Nicht Eure, sondern meine Wünsche haben in erster Linie beachtet zu werden. Ihr behandelt uns nicht nur als Feinde, sondern auch als niedrig stehende Menschen, während ich doch der Maha-Lama von Dschunubistan bin, der höchste aller Priester, die es gibt!"

"Bist Du fertig mit diesem Deinem Satze, den Du begonnen hast?"

"Ja. Ich pflege überhaupt jeden angefangenen Satz zu beenden. Warum fragst Du so?"

"Weil auch ich gewohnt bin, mich nicht unterbrechen zu lassen. Ich ließ Dich Deinen Satz vollenden, weil ich gelernt habe, höflich zu sein. Du aber hast mich im dritten Teile einer Minute schon zweimal unterbrochen. Wenn Du das so weiter tust, muß ich Dich für den unhöflichsten aller Menschen halten, die es gibt, und komme im Leben nicht dazu, Dir zu sagen, was ich zu sagen habe."

Als er das hörte, wurden seine Augen noch einmal so groß und sein Gesicht drückte den allergrößten Grad des göttlichen Erstaunens aus. Ich aber fuhr fort:

"Soeben hat der oberste Minister des Scheiks von Dschunubistan erwähnt, daß Ihr als Verbündete der Ussul betrachtet worden seid. Ist es denn Eure Absicht gewesen, daß dies geschehe?"

"Natürlich!" antwortete der Minister. "Man hat Dich uns als den Vertrauten des Dschirbani bezeichnet; Du scheinst das aber nicht zu sein, denn wärest Du es, so könntest Du nicht so fragen! Hat er Dir nicht gesagt, daß wir gekommen sind, einen Bund mit den Ussul zu schließen?"

"Einen Bund? Gegen wen?"

"Gegen die Tschoban."

"Warum? Sind die Tschoban Eure Feinde?"

"Sie sind noch niemals unsere Freunde gewesen, seit es überhaupt Tschoban und Dschunub gibt. Und genau ebensolange ist es her, daß sie auch Feinde der Ussul gewesen sind. Darum ist es uns als ebenso natürlich wie notwendig erschienen, daß die Ussul und die Dschunub sich verbinden, um diese ihre gemeinsamen Feinde zu vernichten. Die beste Gelegenheit hierzu ergab sich jetzt, als wir erfuhren, daß die Tschoban über den Engpaß Chatar gehen wollen, um die Ussul zu überfallen. Wir sammelten sofort unsere Krieger, um den Ussul zu Hilfe zu ziehen. Unser Scheik sandte seine beiden höchsten Männer des Landes, den Maha-Lama und mich, zu ihnen, um sie hiervon zu benachrichtigen und einen Bündnisvertrag mit ihnen abzuschließen. Und dann machte sich sogar auch noch der berühmteste Stratege unseres Heeres mit allen seinen Chargen auf den Weg, um den Ussul mitzuteilen, daß wir ihnen die Tschoban auf dem schmalen Engpasse entgegentreiben wollen, wo sie weder nach rechts noch nach links zu entfliehen vermögen und wie zwischen zwei Fäusten zerquetscht, zermalmt und vernichtet werden können!"

"Das, das habt Ihr gewollt? Das, das habt Ihr getan?" fragte ich im Tone der Verwunderung.

"Allerdings!" antwortete er. "Hast Du das nicht gewußt?"

"Ich habe etwas ganz anderes gewußt! Wenn ich Deinen Worten glauben soll, so muß ich bitten, daß der Maha-Lama sie mir bestätige. Es scheint, daß die Ussul in Beziehung auf Eure Ehrlichkeit und auf Euern guten Willen getäuscht werden sollen. Es ist also höchst wünschenswert, daß zwischen Euch (Seite 179A) und ihnen die Wahrheit so klar und bestimmt festgestellt wird, daß jeder bisherige Irrtum schwindet. Darum frage ich hiermit den allerhöchsten Priester von Dschunubistan, ob er bereit ist, zu bestätigen, was der oberste Minister soeben hier behauptet hat."

Es war möglich, daß die drei Lauscher nicht alles deutlich verstanden hatten; darum griff ich zu der List, dem Maha-Lama die wichtigen Punkte nochmals vorzulegen und sie mir von ihm beantworten zu lassen. Ich hatte ihn den >allerhöchsten Priester von Dschunubistan< genannt; das genügte, ihn einigermaßen mit mir auszusöhnen. Sein Gesicht nahm einen weniger finstern Ausdruck an und er antwortete:

"Ich bestätige es!"

"Daß die Tschoban Eure Todfeinde sind?"

Ich legte ihm diese Frage und die hierauf folgenden so langsam und so deutlich vor, daß es gar nicht anders möglich war, sie mußten von den Lauschern verstanden werden.

"Ja", antwortete er.

"Daß Ihr sie vernichten wollt?"

"Ja; mit Hilfe der Ussul."

"Daß Ihr hierher kamt, zu diesem Zwecke ein Bündnis mit den Ussul zu schließen?"

"So ist es. Mit den Ussul gegen die Tschoban."

"Euer Heer ist schon unterwegs?"

"Ja. Dreitausend Mann."

"Die Tschoban sollen hier auf der Landenge zwischen Euch und die Ussul genommen und vollständig zerdrückt und ausgerottet werden?"

"Ja", antwortete er. "Das ist das richtige Wort: Zerdrückt und ausgerottet. Kein einziger darf übrigbleiben! Glaubst Du nun, daß wir als Freunde der Ussul gekommen sind? Siehst Du nun ein, wie unklug und wie undankbar sie handeln, indem sie uns, ihre Befreier und Erlöser, wie Verbrecher einsperren und von Hunden bewachen lassen?"

"Nein", antwortete ich. "Weder glaube ich das eine, noch sehe ich das andere ein. Unklug und undankbar habt nur ihr gehandelt, nicht aber die Ussul!"

"Wir? Beweise es!" fuhr der Minister auf.

"Beweise es!" rief mir der Maha-Lama befehlend zu.

"Beweise es! Beweise es! Beweise es!" wiederholten auch die andern.

"Nichts leichter als das", antwortete ich. "Ihr habt zugegeben, daß die Tschoban Eure Todfeinde sind und daß die Ussul Euch helfen sollten, Euch von ihnen zu befreien. Schon die Dankbarkeit gebot Euch also, ehrlich gegen uns zu sein; Ihr werdet aber gleich hören, daß Ihr das Gegenteil von ehrlich, also undankbar, gewesen seid. Und wie jede Undankbarkeit und Unehrlichkeit zugleich auch unklug ist, so habt auch Ihr jede Spur von Klugheit von Euch geworfen, als Ihr des Abends da unten am Flusse lagertet und, ehe Ihr Euch schlafen legtet, über Dinge redetet, die kein Ussul jemals erfahren durfte. Ich kam desselben Weges, doch Euch entgegen. Ich sah Euer Feuer. Ich stieg vom Pferde und schlich mich ganz zu Euch heran. Ich lag auf der andern Seite des Baumes, an dessen Stamm Ihr nebeneinander saßet. Ich hörte jedes Wort, welches von Euch Besprochen wurde - - -"

"Du hast uns belauscht?" fuhr der Minister auf.

"Belauscht!" rief der noch Höhere. "Belauscht! Mich, den Maha-Lama von Dschunubistan! "

"Ja, belauscht!" antwortete ich. "Ich werde es Euch beweisen, indem ich Euch wiederhole, was ich da alles hörte."

Ich tat es. Ich beschrieb ihnen die ganze damalige Situation und sagte ihnen jedes Wort, welches, während ich in ihrer Nähe lag, von ihnen gesprochen worden war. Sie saßen ganz still und bewegungslos. Es sah aus, als ob sie gar nicht Atem holten. Sie wagten gar nicht, zu leugnen, zu widersprechen, sich zu entschuldigen. Sie waren einfach starr. Und da ließ sich plötzlich eine ganz eigentümlich dumpfe Stimme hören. die so klang, als ob sie aus den höchsten Wolken oder aus dem tiefsten Erdinnern ertönte:

"Effendi, es ist gut; es ist gut! Sprich weiter kein Wort mit diesen Lügnern, mit diesen Verrätern, mit diesen Schurken, Schuften und Halunken! Speie sie an! Spucke ihnen ins Gesicht! Und komm wieder heraus zu ehrlichen Leuten zu uns!"

(Seite 179B) Die Dschunub erschraken auf das heftigste. Sie sprangen auf; sie schrien durcheinander. Da ging ich hinaus, an Halef und seinem Hund vorüber, zu den beiden Ussul, welche den Prinzen vorhin nach seinem jetzigen Verstecke getragen hatten. Ich gab ihnen den Auftrag, ihn wieder zu holen, und sie taten es. Er war es, der mir jene dumpf klingenden Worte zugerufen hatte. Als sie ihn aus der Spalte heraushoben und er mich stehen sah, wartete er gar nicht, bis sie ihn in meine Nähe brachten, sondern rief mir schon von weitem zu:

"Effendi, Du hast gesiegt, vollständig gesiegt! Ich tue alles, was Du willst! Ich bin mit allem, allem einverstanden, was Ihr beschließt und tut; nur erlaube, daß ich mich als Hund da neben Euern Hund setze, um diese elenden Buben zu bewachen!"

Er sagte diese Worte zu mir. Aber nicht ich, sondern der Dschirbani antworte ihm:

"Es sei Dir erlaubt!" Und sich an die beiden Ussul wendend, fügte er hinzu: "Setzt ihn dahin, wo er gewünscht hat, zu sein. Er hat ein Recht, diesen Platz von uns zu fordern."

Sie taten es. Er war von seinem Zorne so beherrscht, daß er jetzt wirklich nur an die dachte, von denen er sich betrogen fühlte, nicht aber daran, daß sich jetzt binnen wenigen Minuten das Schicksal seines Volkes zu entscheiden hatte. Hieraus war zu ersehen: Mochte er noch so begabt sein, ein großer Mann zu werden, war ihm versagt. Das Naturell herrschte wie ein wildes Tier in seinem Innern; es hieß wie er selbst auch - - - Panther! Als ich mit ihm sprach, bevor der Dschirbani mich von ihm wegholte, hatte ich ihm noch nicht alles gesagt, was ich ihm sagen wollte; es gab noch sehr Wichtiges hinzuzufügen. Das fühlte aber nur ich allein, nicht er. War er überhaupt fähig zu wachsen wie ein organisches Wesen, oder wenigstens zu kristallisieren wie ein anorganisches, wie ein edler Stein? Oder wuchs er nur in der Weise, daß er festhielt, was ihm vom Augenblicke angeblasen wurde, es mochte sein, was und wie es wollte?

Es war bezeichnend, daß sein Vater kein einziges Wort fallen ließ, ihn in seinem rachsüchtigen Wunsche zu unterstützen oder zu hindern. Auf ihn hatte das Erlauschte nicht weniger gewirkt als auf seinen Sohn; aber er dachte zunächst nicht an sich und an die Rache, sondern an sein Volk, welches in Gefahr stand, das Beste zu verlieren, was ein Volk besitzt, nämlich seine Selbständigkeit, seine Freiheit, also sich selbst. Er war gewillt, in Verhandlungen einzutreten, aber der Dschirbani ging nicht darauf ein, sondern sagte:

"Jetzt nicht. Du hast noch einen zweiten Sohn, den Du ebenso sehen und sprechen mußt wie diesen hier. Komm mit!"

Wir entfernten uns von der bisherigen Stelle und suchten diejenige auf, an welcher der ältere Prinz untergebracht worden war. Sie war auch zwischen engen Felsen gelegen, wie eine kleine Kabine zwischen vier Wänden. Ein Ussul bewachte sie.

"Geh hinein, und sprich mit ihm!" sagte der Dschirbani zum Scheik. "Ich gebe Dir hierzu zehn Minuten Zeit. Wir warten hier. Sein Begleiter ist bei ihm. Und höre: Ich wünsche, daß Du Deinem Sohne den Verband vom Kopfe nimmst, den ich ihm angelegt habe. Nun geh hinein. Allah erfreue Dich und ihn und uns!"

Der Scheik verschwand hinter den Felsen. Wir setzten uns auf zwei nebeneinanderliegende Steine. Die Augen meines edlen, jungen Schützlings glänzten feucht. Er war voll froher Erwartung, sagte aber nichts. Schon nach kurzer Zeit hörten wir einen lauten Schrei und gleich darauf wieder einen. Nicht der Schmerz, sondern die Freude hatte sie ausgestoßen. Der Dschinnistani holte tief, tief Atem. Ich reichte ihm die Hand, die er mir warm und herzlich drückte.

Die zehn Minuten waren noch kaum vorüber, so kehrte der Scheik zu uns zurück. Er führte seinen Sohn Hand in Hand. Der dolmetschende Begleiter folgte hinterher. Alle drei, besonders aber Sohn und Vater, glänzten vor Glück und Freude. Ich unterlasse es, die Szene, die nun folgte, nach Sensationsschriftstellerart zu beschreiben. Heiliges hält man heilig! Der Prinz war nicht eigentlich taub gewesen. Er hatte jedes Geräusch gehört, aber eben nur als Geräusch. Eine Rede, ein Satz, ein (Seite 180A) Wort, ein Lied, ein Musikstück, das war ihm alles nur Geräusch gewesen. Die einzelnen Laute oder Töne hatte er nicht mehr unterscheiden können. Die zärtlichsten Worte seiner Mutter waren ihm nichts anderes mehr gewesen als das Summen einer Fliege, vollständig unartikuliert und seelenlos. Das Geräusch war wohl in sein Ohr gedrungen, durch die Verletzung aber verhindert worden, die Stelle oder die Stellen zu erreichen, wo es für die Seele nach Höhe und Tiefe, Stärke oder Weichheit, Inhalt und Bedeutung zerlegt und zubereitet wird. Dieses Hindernis war jetzt entfernt. Das Geräusch wurde wieder zum Laut, zum Ton, zum Wort, zur Rede, zur - - - Musik! Der Prinz konnte wieder hören. Seine Dankbarkeit, wie ebenso die seines Vaters, war ehrlich gemeint und tief. Der Dschirbani wies sie keineswegs zurück, denn die Dankbarkeit zum Schweigen verdammen, heißt die Wohltat in eine stolze Bettlergabe verwandeln, aber er deutete darauf hin, daß die für persönliche Angelegenheiten bestimmten zehn Minuten längst vorüber seien und man sich nun der Öffentlichkeit wieder zuzuwenden habe. Wir stiegen also, den Prinzen und seinen Begleiter mit uns nehmend, wieder zur Höhe hinauf und folgten dem oben hinlaufenden Pfade, um uns nach der Platte zu begeben und dort den Tschoban ihren Scheik wieder abzuliefern. Dieser fragte unterwegs nach den Bedingungen des Friedens.

"Wähle sie Dir!" antwortete der Dschirbani.

Da blieb der Scheik stehen, sah ihn groß an und fragte:

"Habe ich recht gehört?"

"Ja," lächelte der Gefragte.

"Du willst sie mir nicht stellen, sondern ich soll sie mir wählen?"

"Ja, gewiß! Verwundert Dich das? Wir wollen einander den Frieden schenken, ihn nicht etwa teuer erkaufen und bezahlen. Ich wünsche, daß ich Dein Bruder werde und daß Deine Nation die Schwester der meinigen sei. Für einen erzwungenen, unhaltbaren Frieden ist selbst der kleinste Preis zu hoch. Aber der allerhöchste Preis ist klein, wenn ich mir mit ihm die dauernde (Seite 180B) Liebe und Treue erwerbe, die Deinen und meinen Stamm in Zukunft eng und brüderlich verbinden soll. Ich fordere nichts von Euch; ich will Euch geben. Verstehst Du das?"

Da reichte ihm der Scheik beide Hände und antwortete:

"Ich verstehe es sehr wohl und werde Deinem Hochsinn angemessen denken und auch handeln. Bist Du im Geben groß, so will ich im Nehmen nicht kleiner sein als Du. Wie ich jetzt Deine Hände in den meinigen halte, so seien nunmehr unsere Völker so vereint, als ob sie eines wären! Eure Freunde seien auch unsere Freunde und unsere Feinde auch Euere Feinde. Ist das recht?"

"Ja, es ist recht!" antwortete der Dschirbani. "Von heute an seien die Ussul und die Tschoban ein Geschwisterpaar von zwei einander treu und ehrlich helfenden Völkern. Die Probe werde gleich heut gemacht. Bist Du bereit, Dich mit mir gegen die Dschunub zu vereinigen?"

"Sofort!"

"Und ihnen aber, wenn wir siegen, ebenso zu verzeihen, wie ich jetzt Euch verzeihe?"

Der Scheik wollte überlegen; da bat sein Sohn:

"Sag ja, mein Vater, sag ja! Wir stehen hier auf sturmumheulter Höhe. Wir haben freier und reiner und edler zu handeln als die da unten im Tale. Ich weiß, meine Mutter hat nicht nur mich allein, sondern auch Dich zu Gedanken erhoben, die es wagen, unserer trägen, harten, unvernünftigen Zeit voranzueilen. In der langen Zeit, da mein Gehör versagte, da ich Euch nur noch halb verstand und nur mit meinem eigenen Innern Zwiesprache halten konnte, haben diese Gedanken sich in Gestalten verwandelt, nach denen ich mich sehne und nach denen sich auch andere gleich mir sehnen. Allah hat es in seiner Güte gewollt, daß ich heut wieder hörend werde. Aber noch mehr! Er hat es gewollt, daß das erste, was ich höre, nichts Gewöhnliches ist, sondern wahrhaft Großes, Edles und unendlich Friedliches. Und immer noch mehr! Ich bin nicht nur hörend, sondern auch sehend geworden. Der höchste (Seite 181A) und schönste Gedanke meiner Seele hat aus seiner Tiefe und Verborgenheit hervorsteigen dürfen, um in Gestalt des Dschirbani vor uns hinzutreten. Ich bin so glücklich, so unendlich glücklich darüber und bitte Dich, mein Vater, sag ja, sag ja!"

Da zog der Vater den Sohn an sich, küßte ihn zärtlich auf Wange, Mund und Stirn und sagte:

"Nun wohl, es sei. Wenn Du ihnen verzeihst, so verzeihe ich mit."

Da erwiderte der Dschirbani in sehr ernstem Tone:

"Danke Deinem Weibe und diesem Deinem Sohne! Bis zu diesem Augenblicke stand Deines Schicksals Wage noch unentschieden. Erst jetzt, da Du verzeihen willst, ist nun auch Dir in Wirklichkeit verziehen. Du bist frei; Ihr alle seid frei, vollständig frei, ohne jede Strafe, ohne jedes Opfer, ohne die geringste Sühne. Ich werde mit Dir von der Felsenplatte hinab zu Deiner Dschemma steigen, um im Sinne eines aufrichtigen, dauernden Friedens zu ihr zu reden. Ihr werdet alle Wasser und Speise bekommen, soviel Ihr für Euch und Eure Tiere braucht. Binnen jetzt und einer halben Stunde darf hier kein Tschoban mehr zu sehen sein. Wir müssen den Dschunub, wenn sie kommen, verheimlichen, was hier geschehen ist und daß wir beide uns verbunden haben."

"Gib Dir mit ihnen keine große Mühe", sagte der Scheik in sehr geringschätzendem, ja fast verächtlichem Tone. "Die Dschunub sind keine Männer, sondern Puppen zu den Schattenspielen des 'Mir von Ardistan. Er macht ihnen weiß, daß sie sich selbst regieren, in Wahrheit aber sind sie seine Sklaven. Er bewaffnet sie, als ob sie Helden seien, und doch sind sie die größten Memmen, die es gibt. Das Leben ist für sie ein Kef, ein Mittagsschlaf. Sie sind sogar zu faul, zu Gott zu beten; sie spannen ihre Gebete in Mühlen, die sich im Wind und Wasser drehen, und halten Allah wirklich für so dumm, daß er sich darüber freut. Wenn sie kommen, werden sie zwar voller Waffen hängen und gute Pferde haben, aber große Taten von ihnen zu sehen, darauf mußt Du verzichten."

Es war nicht das erstemal, daß ich die Dschunub in dieser Weise charakterisieren hörte, und was der Scheik da sagte, war ganz richtig. Ihr Land war, mit der Wüste der Tschoban verglichen, von ungeheurer Fruchtbarkeit. Sie brauchten kaum die Hand zu rühren, so fiel ihnen alles, was sie nötig hatten, in den Schoß. Das hatte sie entnervt, entkräftet und hochmütig gemacht und, wie wir bald sehen werden, feig, verächtlich feig.

Als wir die Platte erreichten, hatten sich die Tschoban an dieser Stelle eng zusammengezogen. Ihr Scheik war mit uns gegangen, und so erwarteten sie, daß nach seiner Rückkehr hier die Entscheidung fallen werde. Von hier oben aus konnte man weiter gesehen und gehört werden als von unten. Darum wartete der Scheik gar nicht, bis er zu ihnen hinunterkam, sondern trat bis an den Rand der Platte vor und sprach gleich von hier aus hinab zu ihnen.

Wie lauschten sie! Was sie da hörten, das hatten sie nicht erwartet! Es kam ihnen so überrascht, daß, als er schwieg, kein lauter Ruf erfolgte. Nur ein frohes, aber im Winde schwer vernehmliches Summen ging von Mund zu Mund. Da ergriff der Dschirbani das Wort. Er war ein besserer Redner als der Scheik und besaß die Gabe, zu überzeugen und zu begeistern. Er zählte in kurzen Zügen alle Vorteile des abgeschlossenen Bündnisses auf, deutete darauf hin, daß sie diese Vorteile erfassen könnten, ohne sie eigentlich verdient zu haben; er zeigte ihnen ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart, ihr hartes, entsagungsreiches Leben in der Wüste. Und er entrollte ihnen das Bild ihrer Zukunft, wie es sich infolge des Bündnisses mit den Ussul entwickeln müsse. Da wurden sie warm; da stellte sich der Glaube, das Vertrauen bei ihnen ein. Die Freude drang in lauten Zurufen durch, und als er geendet hatte, er schallte ein Beifall, dessen Stimme von dem Felsentore bis hinunter zum Felsenloche reichte.

Und da trat nun auch der Prinz vor und begann zu sprechen. Er wurde, als man ihn sah, mit Jubel empfangen. Man hörte an diesem nicht enden wollenden Frohlocken, daß nicht sein Bruder, sondern er der Liebling seines Stammes war. Als er die Hand emporhob zum Zeichen, daß er reden wolle, gehorchte man sofort; es trat augenblickliche Stille ein. (Seite 181B) Auch die Natur nahm teil an dieser Stille. Ein kurzer, scharfer, rasender Windstoß fuhr durch das Tal, um es von jedem störenden Geräusch zu befreien, und dann schwiegen für kurze Zeit alle Lüfte, um zu hören, was aus diesem für das Menschheitswohl und den Menschheitsfrieden begeisterten Munde kam. Er knüpfte an das an, was der Dschirbani gesagt hatte, und begründete es. Er teilte mit, daß er von ihm operiert worden sei und nun wieder hören könne. Hier wurde er von Freudenrufen unterbrochen, die kein Ende nehmen wollten. Dann führte er aus, daß auch Völker taub sein und hörend werden können; nur müßten sie nicht nur hören können, sondern auch hören wollen. Ihm sei das Gehör heut nacht zurückgekehrt; auf sein Volk aber solle es sich jetzt vom Himmel niedersenken. Darum schweige sogar der Sturm, um diese heiligen Augenblicke nicht zu stören. Es solle von nun an Friede sein zwischen denen, die sich bisher unausgesetzt befehdeten. Aber nicht jener lügnerische Friede, der schon im Entstehen heimlich nach der nächsten Feindseligkeit hinüberschielt, sondern der wahre, edle, heilige Friede, nach dem die Engel rufen, wenn sie aus dem geöffneten Paradiese hervortreten und die Glut der Berge leuchten sehen. Dieser Friede steige jetzt von diesen Bergen nieder. Er sei da. Er stehe in Gestalt des Dschirbani vor ihnen und reiche ihnen seine Hand, die es wahrhaft und ehrlich meine mit einem jeden, der auch wahrhaft und treu und ehrlich ist. Er selbst habe nach dieser Hand gegriffen und halte sie fest - - - bei diesen Worten nahm er die Hand des Dschirbani in die seinige und umarmte ihn. Da konnte er nicht weiter sprechen. Es brach ein Jubel, ein Beifall los, der nicht nur die Menschen, sondern auch die Lüfte zu ergreifen schien, denn diese erhoben im Augenblick ihre Stimmen plötzlich wieder und trugen den Enthusiasmus dieser frohlockenden Menschenkinder aus dem schmalen, engen Felsentale hoch empor und hinaus in die unbegrenzte Weite. Man drängte sich ganz nahe an unsern Felsen heran. Man hob die Hände empor, als ob man nach dem Prinzen fassen wolle, der doch nicht zu erreichen war. Man rief ihm zu, herabzukommen. Als er kopfschüttelnd andeutete, daß er viel zu hoch stehe, um hinunterspringen zu können, warf man Leinen und Stricke herauf, die ich zusammenband, um ihn mit ihrer Hilfe hinunterzulassen. Als er unten ankam, verschwand er unter ihren Freudenbezeugungen und Liebeserweisungen sofort wie ein Tropfen im Wasser. Hierauf verlangte man auch nach dem Scheik, dann nach dem Dschirbani, die ich beide hinunterließ. Aber als nun auch ich hinabkommen sollte, winkte ich ab, trat von der Platte zurück und stieg zu Abd el Fadl und Merhameh hinauf, um bei ihnen die weiteren Geschehnisse abzuwarten.

Sie entwickelten sich schneller, als man gedacht hatte. Die Dschemma verzichtete auf jede Beratung. Die allgemeine Begeisterung beschleunigte das, was zu geschehen hatte, in wunderbarer Weise. Das Feuer am Felsenloche wurde ausgelöscht und der glühende Boden mit Wasser aus dem Flusse gekühlt, damit die Tschoban durch diese Öffnung abziehen könnten. Nachdem dies geschehen war, stellte man, um den Durchgang zu verschließen, den Brand wieder her. Das am Felsentore brennende Feuer aber hatte man ganz und vollständig zu beseitigen. Doch war dafür zu sorgen, daß es sofort, nachdem die Dschunub das offene Tor passiert hatten, wieder angebrannt werden konnte. Da ein jeder sich beeilte, zu tun, was er zu tun hatte, so dauerte es nur ganz kurze Zeit, bis die Falle genau wieder in der Weise bereit und offen stand wie vor dem Erscheinen der Tschoban. Es läßt sich denken, daß diese letzteren noch neugieriger als die Ussul waren, ob die Dschunub ebenso vertrauensselig, wie sie selbst es getan hatten, sich überlisten lassen würden.

(Seite 182A) Bisher war der Sturm, um mich so ausdrücken zu dürfen, ein trockener gewesen; jetzt aber begann es, dünn, ganz dünn zu sprühen. Abd el Fadl kannte das. Er sagte, daß dies ein schlimmes Vorzeichen sei. Vorhin, als der Prinz sprach und es so still in den Lüften wurde, habe der Sturm nur Atem geholt, um dann von neuem, und zwar mit Wasserfluten, einzusetzen. Er hielt es sehr für nötig, uns auf diese Fluten vorzubereiten. Wir taten das, indem wir uns aus dem Lager Decken holen ließen und uns mit Felsenstücken derart verbarrikadierten, daß selbst der stärkste Regen uns nicht erreichen konnte. Wir waren hiermit gerade an dem Augenblicke fertig, an dem die ersten Dschunub diesseits des Felsentores erschienen.

Irahd, der dort, wie bereits erwähnt, kommandierte, verhielt sich zu ihnen anders, als er sich zu den Tschoban verhalten hatte. Vor den letzteren hatte er sich versteckt; vor den Dschunub aber zeigte er sich. Er bewillkommnete sie und sagte ihnen, sie sollten nur weiter reiten, bis hinab zum Felsentore, wo ein warmes Feuer brenne. Ihr Oberlama, ihr Minister und ihre Offiziere seien schon da. Nur weiter reiten, nur weiter! Es sei für alles gesorgt!

So kamen sie denn hereingeritten, ein Haufe eng hinter dem andern. Langsam, erschöpft, auf ganz ermüdeten, vor Schwäche strauchelnden Pferden. Sie waren gut beritten und ebensogut bewaffnet, durchweg und gleichartig mit Gewehren. Auch ihre Kleidung war von einer Gleichmäßigkeit, daß man fast von Uniformierung sprechen konnte. Es war, wie man sah, für diese Truppe sehr >wohlhabend< gesorgt. Aber der Eindruck, den sie in diesem Augenblick machte, war ein trauriger. Ich sah kein einziges emporgerichtetes Gesicht. Die Köpfe hingen alle tief herab; die Körper schlotterten. Überall, wohin man schaute, zuckte irgendeiner wie im Schlafe erschrocken zusammen. Es sah nicht aus, als ob diese Leute vorwärtsritten, sondern als ob ein jeder von dem, der ihm folgte, vorwärtsgeschoben werde. Der Flugsand, der auf ihnen lastete und sogar in ihren Bärten hing, gab ihnen das Aussehen aus Gräbern gestiegener Leichen, die sich über >es Ssireth<, die Brücke des Todes, schleppen, um dann dem Wahrspruche des Gerichtes zu verfallen. Da erklangen neben uns die Worte:

"Hier ist der Platz, an dem man alles sieht. Setzt ihn nieder und errichtet eine Hütte von Steinen über ihn, damit er Schutz vor dem Regen findet, der, wie ich hörte, wohl während der ganzen Nacht vom Himmel gießen wird."

Der so sprach, war Halef. Und die, zu denen er es sagte, waren mehrere Dschunub, die den >Panther< hierhergetragen hatten und sofort begannen, den Befehl des Hadschi auszuführen. Seine beiden Hunde waren bei ihm. Darum fragte ich ihn:

"Wo sind die gefangenen Dschunub? Brauchen sie keine Wächter mehr?"

"Nein", antwortete er mit jenem Lächeln, welches er stets dann zeigte, wenn ihm das bekannte >Schadenfreude ist die reinste Freude< durch die Seele ging. "Sie werden jetzt da oben den Pfad entlanggeführt und hinunter nach dem Felsentore geschafft, um, wenn die Dschunub ganz in der Falle sind, ihnen nachgeschoben zu werden."

"Sehr gut, sehr gut!" sagte ich. "Das erspart uns vieles Reden und vieles Verhandeln. Wer ist auf diesen klugen Gedanken gekommen?"

"Natürlich einer unserer gescheidtesten Leute; nämlich dieser hier!" Er deutete auf sich selbst und fuhr dann fort: "Aber ich habe mir gar nichts Diplomatisches dabei gedacht, sondern nur etwas höchst Fröhliches und Behagliches. Nämlich als ich hörte, daß wir während der ganzen Nacht wahre Wolkenbrüche zu erwarten haben, welche die Dschunub da unten über sich ergehen lassen müssen, dachte ich, daß dem Maha-Lama, dem obersten Minister, dem Strategen mit dem langen Namen und allen ihren berühmten Chargen wohl ganz dasselbe Vergnügen zu gönnen sei, wie ihren armen, halb verschmachteten Leuten. (Seite 182B) Ich beeilte mich, dies dem Dschirbani zu sagen, und da bekanntlich zwei gleich gescheidte Leute auch stets die gleiche Meinung haben, so stimmte er mir bei und gab den betreffenden Befehl. So sind die Wächter frei geworden, und ich lud den Prinzen, der die Gefangennahme der Dschunub gern vom Anfang bis zum Ende beobachten wollte, ein, sich hierhertragen zu lassen, wo es im ganzen Tale die beste und weiteste Aussicht gibt. Mein Platz wird bei ihm sein, nicht bei Dir, Effendi, denn es ist notwendig, es uns bis morgen früh so bequem wie möglich zu machen."

Er hatte recht. Es gab für ihn und den Prinzen bei mir, Abd el Fadl und Merhameh keinen Platz, zumal er seine beiden großen Hunde bei sich hatte wie ich die meinen. Was diese Hunde betrifft, so will ich schon jetzt gleich sagen, daß sie uns während der fürchterlich nassen Nacht sehr zu statten kamen. Sie verbreiteten eine wohltätige Wärme in unserem Zufluchtsort. Merhameh schlief zwischen Aacht und Uucht wie eine Prinzessin, die sie auch wirklich war, auf schwellenden Daunen, und ich, in meine Decke gehüllt, lag ganz vorn an der Wetterseite, um die etwa doch hereinsprühende Feuchtigkeit von ihrem Vater abzuhalten.

Freilich jetzt, wo es noch nicht dunkel, sondern noch eine kleine Stunde bis zum Abend war, hatte der Regen noch nicht begonnen. Es siebte und sprühte nur zunächst, und wir hatten ebenso wie die unten an uns vorüberziehenden Dschunub keine Ahnung von den Fluten, die sich über uns ergießen würden. Der Fluß war beständig gestiegen. Das Wasser erreichte fast schon das Ufer und schien noch immer nicht abfließen zu können. Während sich uns zu Füßen nach und nach die Falle füllte, wurden über uns auf dem Felsenpfade bedeutende Holzvorräte von dem Felsenloche nach dem Felsentore geschafft. Da der Regen drohte, reichte das dortige Quantum nicht, die Flammen so mächtig emporlodern zu lassen, daß sie von der aus den Wolken kommenden Flut nicht ausgelöscht werden konnten, und es war also sehr gut, daß der Dschirbani grad auf das Herbeischaffen des nötigen Brennmaterials ein so großes Gewicht gelegt hatte.

Während die von Halef mitgebrachten Ussul für ihn und den Prinzen >Panther< eine steinerne Hütte errichteten, beobachtete dieser letztere das Felsentor, durch welches die Dschunub förmlich hereingequollen kamen, um dem draußen wütenden Orkane möglichst schnell zu entgehen. Hierbei lag auf seinem Gesicht der Ausdruck einer Gehässigkeit, der ganz und gar nicht geeignet war, es zu verschönern. Merhameh sah das auch und wendete ihren Blick, so oft er auf ihn fiel, schleunigst wieder von ihm ab. Sein Auge aber wurde wieder und immer wieder von dem schönen Mädchen angezogen, und er gab sich leider auch gar keine Mühe, ihr dies zu verbergen. Wer sie war, das wußte er; er hatte es sofort bei der Ankunft der Ussul hier erfahren; aber daß sich auch sein älterer Bruder hier befand, das wußte er noch nicht. Niemand hatte es ihm gesagt, sogar sein Vater nicht, und zwar aus Gründen, die in der Feindschaft lagen, welche der eine jüngere gegen den anderen Prinzen hegte.

Die Dschunub hatten unten am Felsentore nicht weiter gekonnt; sie waren gezwungen gewesen, zu halten. Von oben aber rückten sie immer nach, und so kam die Stauung durch ihre Reihen von unten heraufgelaufen und hatte uns schon überholt, als endlich ihre letzten Nachzügler durch das Tor geritten kamen. Hierauf vergingen einige Minuten, während welcher, wie wir wohl wußten, von unserer Seite der verschwundene Holzstoß wieder instand gerichtet wurde. Dann fielen da oben einige Schüsse, welche aller Augen nach dorthin zogen. Man schaute hinauf nach dem Tore. Da kam noch ein Trupp herein, aber nicht zu Pferde, sondern zu Fuß. Das waren unsere bereits gefangenen Dschunub, die Irahd noch zu guter Letzt hereingeschoben hatte; dann brannte er hinter ihnen den schnell errichteten Scheiterhaufen an. Voran schritt der Maha-Lama mit dem obersten Minister. Als der kam, welcher hinter diesen beiden ging, rieb sich Halef fröhlich die Hände und sagte:

(Seite 183A) "Das ist mein Tertib We Tabrik Kuwweti Harbie Feminde Mahir Kimesne, der mich und überhaupt uns alle in sein Herz geschlossen hat. Allah gebe ihm für morgen recht viel Sonnenschein, für heute Nacht aber einen Regenschirm, der keinen Stiel, dafür aber hunderttausend Löcher hat, die alle tropfen!"

Indem er dies sagte, trieb der Wind auch schon den Rauch des angebrannten Feuers zum Tore herein, und wir wußten nun, daß die Falle wieder geschlossen und aus ihr kein Entkommen war.

"Sie sind da! Sie sind alle da, vom ersten bis zum letzten!" jubelte der >Panther<, indem seine Augen funkelten. "Kein einziger kann entkommen! Allah verdamme sie, die mich betrogen haben, bis in die allertiefste seiner Höllen!"

Noch war dieser Fluch nicht ganz verklungen, so ertönte neben mir die laute liebe Stimme Merhamehs:

"Allah erbarme sich ihrer, daß sie nicht in die Hände eines Siegers geraten, der nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Panther denkt!"

Das brachte eine ganz eigenartige Wirkung auf ihn hervor. Zunächst machte er eine Bewegung, als ob er die Hände ballen und aufspringen wolle; aber er brachte das infolge seines verletzten Fußes nicht fertig. Dann starrte er sie an, mit fletschenden Zähnen und weit geöffneten Raubtieraugen. Plötzlich, wie mit einem Schlage, verschwand dies alles; sein Gesicht begann eine fast naive, kindliche Gutmütigkeit zu zeigen, und im möglichsten Wohlklange seiner Stimme antwortete er:

"Ganz richtig; ja, ganz richtig! Allah erbarme sich über diese lieben Kerle! Er geleite sie aus dieser verfluchten und verdammten Falle in sein bestes Himmelreich!"

Er nickte ihr mit einem strahlenden Lächeln zu und richtete hierauf sein Auge wieder nach dem Flusse hinab und auf das, was dort weiter geschah. In diesem Augenblicke zuckte ein Blitz quer über den Horizont; ein Donnerschlag folgte, als ob alle Felsen des Engpasses im Einstürzen seien, und dann öffneten sich in einem einzigen Nu die Schleusen des Himmels und gossen keine Tropfen, keinen Regen, sondern eine ganze, kompakte, fest geschlossene See von Wasser hernieder, durch die kein menschlicher Blick zu dringen vermochte. Alles, was bisher vor unserm Gesicht gelegen hatte, war verschwunden. Unser Auge reichte nicht einmal bis auf die naheliegende Platte hinab. Wir sahen nur die immerfort stürzende Flut, die uns umklatschte, umbrüllte, umbrandete und in gieriger Wut an uns vorüber in die Tiefe sprang. Das ging so fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde, eine halbe, ja eine ganze Stunde. Da zuckte wieder ein Blitz, noch einer und noch viele hintereinander. Die Donner brüllten und krachten, daß mir die Ohren zu schmerzen begannen; aber die zuckenden Funken ließen bald hier und bald da eine Stelle des Tales oder des Flusses erkennen, und so bemerkten wir, daß Fluß und Tal nicht mehr zweierlei waren, sondern daß der erstere seine Ufer überflutete und ganz bis herüber an den Felsen reichte. Und als ob mit diesem eng zusammengedrängten Blitz- und Donnerschwall der aus dem offenen Himmel stürzende See sich (Seite 183B) erschöpft und das weitere nun den Wolken überlassen habe, trat plötzlich eine Pause ein, in der kein einziger Tropfen fiel. Sie währte aber höchstens nur eine halbe Minute; dann setzte ein regelrechter Regen, wenn auch nicht allerersten aber doch gleich zweiten Grades ein, der den ganzen Abend und die ganze Nacht bis zum frühen Morgen dauerte und auch so völlig undurchsichtig war, daß wir nur einige Schritte weit sehen konnten, und das auch nur, solange der Tag noch dauerte. Dann war alles um uns her ein einziges fließendes Wasser und eine einzige feste, dicke, stehende Finsternis. Aber jene kurze Pause zwischen Wolkenbruch und Regen hatte uns gezeigt, daß Pferde und Menschen mitten im strömenden Wasser lagen und saßen und also imstande waren, ihren Durst weit gründlicher zu stillen, als ihnen lieb und heilsam war.

Glücklicherweise war die Steinhütte für Halef und den Prinzen bei dem Beginn des Wassergusses schon fertig gewesen. Beide saßen also, grad so wie wir, im Trocknen. Aber unterhalten konnte ich mich mit dem guten Hadschi nicht, denn wir waren und blieben einander völlig unsichtbar, und um uns hörbar zu machen, hätten wir uns mehr anstrengen müssen, als das, was wir einander zu sagen hatten, wert gewesen wäre.

So verging der Abend und auch die Nacht, ich kann sagen, für mich ganz leidlich. Ich schlief mich einmal recht gründlich aus. Wenn ich hier und da aufwachte, so schläferte mich der ununterbrochene, monotone >Klatsch< des Regens sehr bald wieder ein. In diesen kurzen Pausen dachte ich an die armen Dschunub da unten am Flusse oder vielmehr im Flusse, denn das ganze Tal hatte sich wohl in einen einzigen, strömenden Kanal verwandelt. Auch gedachte ich der Tschoban und Ussul, die nicht so gut und trocken lagen wie ich. Aber die letzteren waren ja geborene Wasserratten, denen selbst so ein Guß gewiß nichts schadete und - - klang das nicht, als ob jemand um Hilfe rufe? Nicht nur jemand, sondern viele? Solche Hilferufe erklangen noch oft - - - bald scheinbar nahe, bald scheinbar fern. Aber ich glaubte, es sei im Schlafe, und schlief also weiter, bis ich die bekannte Stimme meines Hadschi Halef hörte:

"Sihdi, Du hörst ja nicht! Bist Du denn tot, oder schläfst Du wirklich nur?"

Ich wachte auf, rieb mir die Augen und schaute mich um. Ich lag nur noch allein in unserm improvisierten Steinpalast. Draußen war heller Sonnenschein. Da stand Halef mit seinen und meinen Hunden. Ich trat überrascht hinaus. Keine Spur von Wind, kein einziger Regentropfen mehr! Der Fluß war noch voll, doch ging er nicht mehr über die Ufer. Die Falle war leer, vollständig leer. Kein einziger Mensch, den ich sah! Da lachte Halef:

"So klug wie jetzt, hast Du noch niemals ausgesehen, Sihdi!"

"Ich glaube es", antwortete ich. "Ich bin mehr als erstaunt; ich bin geradezu verblüfft. Was habe ich da alles verschlafen!"

"Nicht viel mehr als ich. Auch ich bin erst vor kurzem aufgewacht, als der Prinz sich wieder fortschaffen ließ, um zu seinem Vater zu kommen. Dieser seltsame Regen und diese wunderbare Luft hat auf Dich und mich gewirkt wie ein Schlaftrunk."

(Seite 184A) "Aber wo sind sie alle, die hier waren?"

"Unten, weiter unten. Komm! Ich erzähle Dir unterwegs!"

Was ich nun erfuhr, wenn auch nur andeutungsweise, denn Halef wußte selbst fast nichts genau, war mehr als überraschend und warf alle Berechnungen um, die ich mir in Beziehung auf die Dschunub gemacht hatte. Der Dschirbani hatte mit seinem Stabe eine entsetzlich anstrengende Nacht verbracht. Er hätte Halef und mich recht wohl brauchen können, war aber nicht imstande gewesen, uns das zuzumuten, was er nur sich selbst zumuten durfte. Ich hatte die Hilferufe nicht im Schlafe gehört, sondern in den Pausen, in denen ich wachte. Das Wasser des Flusses hatte eine solche Höhe erreicht, daß es den Pferden auf dem Wege schließlich bis an den Leib und den Menschen bis an die Brust gegangen war. Die Dschunub standen in Todesangst. Sie schrien bis weit nach Mitternacht fast immerwährend um Hilfe. Einer solchen Wassermasse hatten die beiden Feuer kaum widerstehen können. Sie brannten nur noch an der Spitze der Scheiterhaufen, deren unterer Teil im Wasser stand. Und sie brannten auch nicht mehr im Freien, weil sie da vom Regen ausgelöscht worden wären, sondern im Innern der beiden Toröffnungen, wo kein Regen sie traf. Das hatte ihrer Größe und ihrer Wirkung so viel Eintrag getan, daß die Dschunub es wagen konnten, bis heranzukommen und die Wachen zu bitten, daß der Dschirbani kommen möge, um mit ihnen zu verhandeln. Diese Angst und Not hatte sich der Dschirbani zunutze gemacht. Er war bald am Felsenloch und bald am Felsentor mitten im Wasser erschienen, um hier mit dem Maha-Lama, dort mit dem Strategen zu reden. Auch der Minister und die Generäle waren gekommen, aber nicht zusammen, sondern einzeln. Denn ein jeder von ihnen hatte irgend etwas für sich allein erreichen wollen und zu diesem Zwecke ein Bekenntnis oder Geständnis gemacht, welches ihn entlastete, aber zugleich ein Verrat an den andern war. Diese einzelnen Mitteilungen vereinigt, hatten ein ganzes Bild ergeben, welches der Dschirbani dadurch vervollständigte, daß er diese Herren alle zusammenkommen ließ und sie verhörte, mitten im strömenden Regen, bis an die Brust im Wasser stehend und von hundert Speerspitzen der riesigen Ussul bedroht. Sie waren überzeugt, dem sichern Tode zu verfallen, wenn sie sich weigerten, zu gestehen. Darum erzählten sie alle, was sie wußten. Keiner schwieg, keiner nahm sich aus.

"Was sie wußten? Von wem?" fragte ich Halef.

"Von ihrem Scheik. Vom 'Mir von Ardistan aber ganz besonders."

"Und dann?"

"Der Erfolg war ganz anders, als sie dachten. Der Dschirbani ging von ihnen, ohne ein Wort zu sagen. Aber kurze Zeit darauf wurde das Felsenloch geöffnet. Die Dschunub (Seite 184B) durften heraus, immer einer nach dem andern. Ein jeder hatte sein Pferd und seine Waffen abzuliefern. Jetzt lagern sie, alle dreitausend Mann, im Süden der Landenge im Sande und werden mit ihren eigenen Waffen von uns in Schach gehalten."

"Also kriegsgefangen?"

"Nein, noch schlimmer, Effendi."

"Was sonst?"

"Gefangen wie die Kinder Israel in Babel. Der Dschirbani gibt sie nicht wieder frei. Er läßt sie in die Urwaldungen der Ussul verteilen, wo ihre Aufgabe ist, die Wildnis in fruchtbares Land zu verwandeln."

"Ist das wirklich?" rief ich aus.

"Ja, Effendi."

"Sie alle, alle?"

"Alle! Auch der mit dem langen Namen, der Maha-Lama und der oberste Minister. Sag, was machst Du für ein Gesicht?"

"Komm, komm! Ich muß hinunter; ich muß zum Dschirbani!"

Ich eilte den Höhenweg dahin und dann zum Felsenloche hinab. Bis dahin war kein Mensch zu sehen, wohl aber die Spuren des gestrigen Unwetters. Von hier an aber gab es Leute, erst einzelne, dann mehr und mehr. Es waren lauter Ussul und Tschoban. Ich wurde von ihnen gegrüßt, dankte aber kaum, so sehr war ich innerlich beschäftigt. Ein Dschunubi war nicht zu sehen. Am Ende des Engpasses angelangt, sah ich rechts, weit draußen, Tausende von Pferden stehen. Links, auch weit draußen, lagerten ebenso viele Menschen - - - die Gefangenen. Sonst wimmelte es überall von Ussul und Tschoban. Grad vor mir wurde soeben das Zelt des Scheiks der Ussul wieder errichtet, welches des Sturmes wegen abgebrochen worden war. Vor ihm gab es einen eng gezogenen Kreis von Leuten, in dem irgend etwas Wichtiges zu geschehen schien. Ich drängte mich mit Halef durch. Da standen in einer Gruppe beisammen Amihn und Taldscha, der Dschirbani, der Scheik der Tschoban mit Sadik, seinem ältesten Sohne, ferner Abd el Fadl und Merhameh. Ihnen gegenüber hielten auf drei Pferden, zu einem langen Ritte vollständig ausgerüstet, trotz seines kranken Fußes der >Panther< und seine beiden Freunde und Berater, >die Feder und das Schwert des Prinzen<.

Als dieser mich sah, hielt er mitten in einem Satze inne, den er soeben sprach, und rief, indem er auf mich deutete:

"Da kommt er ja. Fragt ihn! Er ist der Horcher. Er weiß alles zu erlauschen, zu erfragen, zu erforschen, zu erfahren! Er hat uns gelehrt, die Offiziere der Dschunub zu belauschen. In ganz demselben Raume saß ich vorher mit meinen beiden Gefährten. Es ist gewiß, daß er auch uns belauschte. So fragt ihn doch! Er wird Euch sagen, weshalb ich sofort gehen muß, nachdem ich diesem hier begegnet bin!"

(Seite 185A) Das >Schwert des Prinzen< hob die Hand und zeigte auf seinen Bruder. Dann ritt er bis nahe an Abd el Fadl heran und fragte:

"Du bist Abd el Fadl, der Fürst von Halihm?"

"Ja", antwortete der Angeredete.

"Und das ist Merhameh, Deine Tochter?"

"Ja."

"So warne ich Dich! Gib sie niemals einem Manne zum Weibe, außer mir! Sie wagte gestern zu segnen, wo ich fluchte, und sie ist schön!"

Er ließ sein Pferd einen engen Kreis beschreiben, um allen rundum Stehenden in das Gesicht zu sehen, und rief sodann mit lauter Stimme:

"Hört, Ihr Tschoban! Und hört auch, Ihr Ussul! Dort seht Ihr Merhameh, das Kind von Abd el Fadl, des Fürsten von Halihm! Und hier bin ich, bis jetzt nur Prinz des Scheiks der Tschoban, bald aber mehr, viel mehr! Ich erkläre Merhameh für meine Braut. Wehe ihrem Vater, wenn er es wagt, mir einen andern vorzuziehen! Wehe ihr, wenn sie sich mir nicht treu und heilig hält! Und wehe dem Unglücklichen, den ich an ihrer Seite finde, wenn ich komme! Er stirbt einen Tod, der schwerer wiegt, als tausend andere Tode! Lebt wohl! Allah beschütze Euch! Ihr habt es nötig!"

Er ritt davon, begleitet von seinen Gefährten. Ich stand da und schaute ihm nach, ohne das, was er tat, zu begreifen. Da kam der Dschirbani, nahm mich bei der Hand und sagte:

"Komm mit, Effendi, komm! Es ist sehr Wichtiges geschehen! Ich muß es Dir erzählen. Der Weg, den wir soeben erst betraten, führt schneller aufwärts, als wir denken konnten!" -


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