Hierauf folgten sofort die Reiter von Halihm. Auch sie ließen an dem gegenüberliegenden Punkte eine Fanfare erklingen, auf welche die tiefklingenden Hörner der Ussul ihre Antwort gaben. Ich sah, daß Merhameh nach dem Tore galoppierte und, als ihre Heerscharen dort erschienen, sich an ihre Spitze setzte, um sie dem 'Mir selbst vorzuführen. Sie wendete sich mit ihnen nach der Südseite des Platzes, wo auch ich mich befand. Darum konnte ich die Bewegung der Neuangekommenen nicht mit meinen Augen verfolgen und zog es vor, die Plattform zu verlassen und mir unten einen besseren Platz zu suchen. Ich sah nur noch, daß auch die Reiter von Halihm eine ganze Menge von Bagagemaultieren bei sich hatten, die aber draußen rechts abschwenkten, um nach dieser Seite hin die heutige Lagerstätte zu erreichen.

Als ich hinunterkam, hielt der 'Mir mit dem Dschirbani, Abd el Fadl und den andern in der Mitte des Platzes vor den Stufen des Wasserengels. Ich eilte zu meinem Pferde, stieg auf und ritt zu ihnen hin. Auch Halef gesellte sich zu uns. Der ihm anvertraute Offizier befand sich bei ihm, konnte aber jetzt nicht beachtet werden.

(Seite 286B) Es stellte sich heraus, daß die Schar von Halihm genauso groß war wie die von El Hadd. Als ihre beiden Spitzen sich am östlichen Punkte des Platzes berührten, kamen grad die letzten der ersteren Truppe im Westen herein, und nun bildeten die uns zu Hilfe gekommenen Retter zwei aneinanderstoßende, vierfache Halbringe, deren nördlicher aus El Hadd und deren südlicher aus Halihm stammte. In der Mitte hielt mit seinen Freunden der Mann, zu dessen Unterstützung sie herbeigezogen waren, obwohl er es weder verdient noch sie darum gebeten hatte.

Als Merhameh an der Spitze ihrer Truppen die Offiziere von El Hadd erreichte, begrüßte sie sie und galoppierte dann nach dem Engel des Wassers, um sich uns zuzugesellen. Hierbei fiel mir erst auf, daß sie ganz anders gekleidet war als gewöhnlich, nämlich genau in das violettierende Blau ihrer Reiterschar. Was war da natürlicher, als daß ich mich im stillen fragte, wie doch alles so trefflich passen, klappen und zusammenstimmen konnte. Ich faßte den Schech el Beled scharf in das Auge, doch ohne daß es ihm auffallen konnte, und bemerkte da sehr bald, daß er es war, der alles wußte, alles ordnete und nach dem sich alles richtete.

In dem Augenblicke, als die beiden Truppenkörper sich im Westen und Osten vereinigt hatten und der Ring also geschlossen war, sah ich, daß er sein Pferd einige Lancaden machen ließ, zu denen es gar keine Veranlassung gab. Sollte das etwa ein Zeichen sein? Ja, richtig! Nämlich sobald man das sah, erhoben die Posaunen und Trompeten auf beiden Seiten ihre Stimmen, und zu gleicher Zeit erschien das Bläserkorps der Ussul auf den stärksten aller Urgäule und kamen auf uns zugeritten. Ich sah den Dschirbani fragend an. Er antwortete lächelnd:

" Der Schech el Beled bat mich darum; ich sagte ja. Der 'Mir hat unter Musik die Aufstellung abzureiten. "

Auch die beiden andern Chöre kamen herbei, sie vereinigten sich auf der Mitte des Platzes mit den Ussul, und als wir uns mit dem 'Mir in Bewegung gesetzt hatten, um den Rund- und Ehrenritt auszuführen, hörte ich sehr bald, daß es Musikstücke gab, die es ermöglichten, die Ausdrucksweise dieser so verschiedenen Leute und dieser ebenso verschiedenen Instrumente harmonisch auszugleichen. Sie musizierten, bis unser Ritt zu Ende war, und das dauerte eine ziemlich lange Zeit. Dann stellten sie sich am Ausgange auf, um die Truppen, wie Halef sich in drastischer Weise ausdrückte, > wieder hinauszublasen <. Sie ritten in derselben Reihenfolge hinaus, wie sie hereingekommen waren. Dann verschwand der Schech el Beled für uns. Das heißt, er war zwar überall zu sehen, aber nirgends zu fassen. Die vielen, vielen Menschen, die nun vorhanden waren, wurden untergebracht, befriedigt und verpflegt, ohne daß sich jemand von uns hierum zu bekümmern und zu bemühen brauchte.

Während dieses alles geschah, waren die zwei Stunden Frist, die der Oberst bekommen hatte, natürlich längst vorüber. Es war Mittag geworden. Es wurde ein Mittagsmahl bereitet, zu dem der 'Mir alle Personen einladen ließ, die ihm Grund gegeben hatten, sie dazu herbeizuziehen. Da brachte Halef mir seinen Schutzbefohlenen und fragte mich, ob er es wohl wagen dürfe, den 'Mir jetzt zu belästigen. Die ihm angegebene Zeit sei ja längst vorüber.

" Er wird sich wundern, " sagte er, " sehr wundern, wenn er erfährt, was der Oberst mir gesagt hat. Ahnst Du, wo der > Panther < sich jetzt befindet? "

" Nicht mehr in Ard? Oder noch nicht in Ard? " fragte ich.

" Nicht mehr! Er ist hin, um nur einen einzigen Tag dort zu bleiben. Er hatte es dabei weniger auf die Stadt als auf Merhameh abgesehen, die mit ihrem Vater in seine Hände fallen sollte. Die Stadt fällt ihm, sobald er als Sieger heimkehrt, ganz von selbst zu, dachte er. Die Verbindung mit dem Fürstenhause war ihm wichtiger. Der Oberst mußte ihn vom Wüstenbrunnen nach Ard begleiten. Unterwegs erfuhren wir, daß es der Frau des 'Mir gelungen sei, nach der > Stadt der Toten < zu entkommen, und daß Abd el Fadl sich mit seiner Tochter bei ihr befunden habe. Hierauf - - - "

" Ah, nun ahne ich alles! " unterbrach ich Halef.

" Nein, noch nicht alles! " widersprach er mir. " Er erfuhr nämlich zu gleicher Zeit, daß der 'Mir von Dschinnistan auf die (Seite 287A) Kriegserklärung des 'Mir von Ardistan dadurch geantwortet hat, daß er mit seinen Scharen in Ardistan eingebrochen ist und in Eilmärschen versucht, die Hauptstadt Ard zu überrumpeln. Da gilt kein Zaudern. Man muß ihm schleunigst entgegenziehen, um ihn mitten im Marsche, noch ehe er seine Truppen zur Schlacht entwickeln kann, zu schlagen. Darum ist der > Panther < nur für einige Stunden nach Ard, um alle dort noch vorhandenen Krieger schnell zusammenzuraffen und mit ihnen den vorausgesandten Truppen nachzueilen. "

" Und was geschieht mit der Stadt? Glaubt er, sie sei ihm sicher? "

(Seite 287B) " Ja; das glaubt er fest. Er läßt den alten Basch Islami als Kommandanten zurück. Der soll, während der > Panther < sich im Felde befindet, die neue Regierung organisieren und für Truppennachschübe, Lieferungen von Proviant, Munition und alles andere sorgen. "

" Weißt Du das, aus seinem eigenen Munde? "

" Ja, er selbst hat es mir gesagt, und niemand war dabei. "

" Und glaubst Du, daß er bei diesem Plane bleiben und nicht auf einen andern verfallen wird? "

" Ich bin überzeugt davon, vollständig überzeugt. Er hat mir diesen Plan entwickelt, und zwar bis in alle Einzelheiten (Seite 288A) hinein. Der einsame Ritt durch die Wüste zurück gab ihm die nötige Zeit dazu. "

" Weißt Du, wo die vorausgesandten Truppen jetzt stehen und auf welchem Wege von Ard aus er sie erreichen will? "

" Ja. Er will sich auf seinem Zuge nach Norden so fern wie möglich vom Flusse halten, in dessen Nähe nur das Verschmachten lauert. Er ahnt nicht, daß inzwischen genugsam Wasser erschienen ist, um ganze Heere zu tränken. "

" Das ist wichtig, höchst wichtig! Wir müssen schnell zum 'Mir. Es muß sofort eine Beratung gehalten werden, noch vor dem Mittagessen! Ich habe nur noch eine Frage, nämlich die: Was gedenkst Du zu tun? Wem gehört Deine Treue? Dem alten 'Mir oder dem, den Du als den neuen bezeichnest? "

" Dem alten natürlich, dem alten! Ich habe doch offene Augen und ebenso offene Ohren! Die Augen, um zu sehen, daß sich hier in ganz ungeahnter Weise eine neue, hoffnungsreiche Zukunft zu entwickeln beginnt, und die Ohren, um zu hören. was mir Hadschi Halef, der Scheik der Haddedihn, erzählte. Er hat mich umgewandelt. Ich bin bereit, dem 'Mir alles zu erzählen, was ich weiß. Mag er dann mit mir tun, was ihm beliebt. "

" So komm! Es ist keine Zeit zu verlieren. Wir suchen ihn auf. "

Der Herrscher war schnell gefunden. Er schenkte dem, was ihm der Oberst berichtete, die größte Aufmerksamkeit und stimmte mit mir darin überein, daß man sofort beraten müsse. Das Ergebnis dieser Beratung sollte dann während des Mittagessens allen dabei anwesenden Truppenführern mitgeteilt werden. Ich kann über beide, sowohl über die Beratung wie auch über das Mittagessen, hinweggehen; es genügt, daß ich berichte, was beschlossen wurde. Das war folgendes:

Heut war Ruhetag, morgen aber der Tag des Aufbruches aus der > Stadt der Toten <. Unsere strategische Aufgabe war eine zweifache. Erstens hatten wir uns so schnell wie möglich der Hauptstadt zu bemächtigen, um sie dem 'Mir zurückzugewinnen und in ihr einen festen Stützpunkt für unsere ferneren Operationen zu erhalten. Dadurch verlor der > Panther < allen festen Boden und schwebte fortan nur noch in der Luft. Und zweitens galt es, sodann den > Panther < und seinen Anhang derart nach Norden zu treiben, daß er zwischen uns und die Truppen des 'Mir von Dschinnistan geriet und sich ergeben mußte, wenn er nicht aufgerieben werden wollte. Denn daß der 'Mir von Dschinnistan nicht über die Grenze herabgekommen war, um den Empörern zu helfen, das wurde uns von dem Schech el Beled wie auch von Abd el Fadl und Merhameh heilig versichert, und wir glaubten das sofort, weil wir uns sagten, daß diese beiden Männer, der Herr von El Hadd und der Fürst von Halihm, uns wohl nicht zu Hilfe gekommen wären, wenn der 'Mir von Dschinnistan nicht damit einverstanden gewesen wäre. Sie waren viel besser unterrichtet als wir und wußten jedenfalls mehr, viel mehr, als sie uns sagen durften.

Hierzu war eine Dreigliederung unseres Heeres nötig, nämlich in das Zentrum, den rechten Flügel und den linken Flügel. Das von dem Dschirbani zu kommandierende Zentrum sollte aus den Ussul und Tschoban bestehen, eine feste, schwere, kompakte Masse, der die Aufgabe zufiel, nur allein durch ihre Schwere den > Panther < vorwärtszuschieben. Den rechten Flügel sollten die Lanzenreiter aus Halihm bilden. Sie hatten unter dem Befehle ihres Fürsten Abd el Fadl zu verhindern, daß der > Panther < von seiner genau nördlichen Richtung abwich, um nach dem fruchtbaren und wohlbewässerten östlichen Gelände auszubrechen und sich dort zu erholen und neu zu verproviantieren. Der linke Flügel wurde den Lanzenreitern von El Hadd unter ihrem unvergleichlichen Schech el Beled angewiesen. Sie hatten das Heer der Empörer vom Flusse fern zu halten und immer auf sich selbst zurückzudrängen. Dann die Hauptwaffen, mit denen wir den Feind zu schlagen hatten, waren der Hunger und vor allen Dingen der Durst. Oberfeldherr dieser drei Gliederungen war natürlich der 'Mir von Ardistan, um dessen Land, Volk und Herrschaft, um dessen Wohl und Wehe es sich ja handelte.

Zur Ausführung des ersten Teiles unseres Planes mußten die beiden Flügel unseres Heeres vorausgesandt werden. Sie waren schneller beweglich als das schwerberittene Zentrum, (Seite 288B) und es handelte sich um größte Eile. Sie sollten also morgen früh zuerst aufbrechen, schon gleich bei Tagesgrauen. Der Dschirbani hatte ihnen dann sofort zu folgen. Es wurde gerechnet, daß er Ard einen vollen Tag später erreichen würde, was aber keineswegs ein Fehler war, weil wir wenigstens so viel Zeit brauchten, um uns die Hauptstadt zu sichern. Ihm wurden auch die Frau und die Kinder des 'Mir anvertraut, denen man die Beschwerden eines Eilrittes nicht zumuten durfte. Merhameh aber, welche von der ersteren gebeten wurde, bei ihr zu bleiben, erklärte, daß es ihr unmöglich sei, diesen Wunsch zu erfüllen; die Pflicht halte sie bei ihrem Vater und seinen Truppen fest.

Am Abend dieses Tages gab es für mich ein kurzes, aber so eigenartiges Erlebnis. daß ich nicht darauf verzichten möchte, es mit zu erzählen. Es war wegen des morgenfrühen Aufbruches der Befehl gegeben worden, zeitig schlafen zu gehen und sich möglichst ruhig zu verhalten. Darum war es schon gleich nach dem Abendessen sehr still auf dem weiten Platze des Maha-Lama-Sees. Ich legte mich zeitig zur Ruhe. Halef auch. Wir schliefen schnell ein, denn die Ereignisse waren heut ja förmlich auf uns eingestürmt und hatten uns ermüdet. Grad als der Muezzin die Mitternachtsstunde abrief, wachte ich wieder auf. Mir war, als ob ich völlig ausgeschlafen habe. Ich schloß zwar die Augen, blieb aber wach. Da stand ich auf und ging hinaus. Das erste Viertel des Mondes hatte sich während der letzten Tage vergrößert. Es warf einen klaren und doch geheimnisvollen Schimmer über den Riesenengel, der sich da drüben vor mir erhob und die Hand wie zum Abschiede zu bewegen schien. Um seine Gestalt meinem Gedächtnisse noch einmal einzuprägen, tat ich einige Schritte zu meiner offenen Tür hinaus, grad als jemand an ihr vorüber wollte, ganz leise, huschend, wie ein Rätsel, welches sich nicht lösen lassen will. Hätte ich nicht schnell einen halben Schritt zurückgetan, so wäre die Gestalt mit mir zusammengestoßen. Sie ließ einen halblauten Ruf des Schreckens hören und huschte nach der nächsten Säule, um sich hinter ihr zu verbergen. Ich verspürte einen feinen, süßen Duft, ähnlich dem Hauche der Kätzchenblüten zur Osterzeit, denselben, den ich in der > Dschemmah der Toten < bemerkt hatte, als sie an mir vorüberkam. Schon hob ich den Fuß, um ihr nach der Säule zu folgen, ließ ihn aber wieder sinken, denn ich sagte mir, daß es ein weibliches Wesen sei, welches ich da vor mir hatte, und daß ich es nicht vornehm nennen dürfe, mich in ihre Geheimnisse einzuweihen. Darum wendete ich mich nach meinem Raum zurück, war aber noch nicht hinein, so erklang die Aufforderung:

" Halt! Bleib noch stehen! "

Ich drehte mich also wieder um. Da hörte ich:

" Ich kann Dich nicht erkennen; aber Du scheinst der Fremde aus Dschermanistan zu sein? "

" Ja, der bin ich, " antwortete ich.

" Du hast mich jetzt gesehen und wolltest mich dennoch passieren lassen, ohne mich festzuhalten? "

" Ja. "

" Warum? "

" Ich bin Dein Freund. "

" Mein Freund! "

Sie sagte das langsam und wie fragend. Und sie trat dabei wieder hinter der Säule hervor und kam ebenso langsam auf mich zu.

" Kennst Du mich denn? " fragte sie.

" Nein, sicher nicht; aber ich ahne. "

" Was ahnst Du? "

" Daß ich an Deinem leeren Grabe stand. "

" Was noch? "

" Daß der Schech el Beled der Vater Deines Sohnes ist. "

Nun stand sie vor mir, hob die Hände abwehrend empor und sagte:

" Halt ein! Ahne nicht weiter! Deine Ahnung sagt Dir Wahrheiten, die noch nicht sprechen dürfen. Ich muß schweigen und ich weiß, daß auch Du schweigen kannst. Darum rief ich Dich jetzt, obgleich mich niemand sehen soll. "

" Ich sah Dich schon! "

" Wo? "

" In der > Dschemmah der Toten <, als Du den 'Mir unterwiesest. "

(Seite 289A) " Wem hast Du davon erzählt? "

" Noch keinem. "

" Du tatest recht. Ich kenne Dich. Marah Durimeh hat Dich uns empfohlen. Du wirst sie wiedersehen, viel eher, als Du denkst. Und nun muß ich gehen, doch nicht, ohne Dir zu danken. "

Sie ergriff meine Hand, hob sie an ihr Gesicht empor, legte ihre Wange hinein, hielt sie eine kurze Zeit da fest, so daß ich ihre Wärme deutlich spürte, und sprach:

" Ich fühle Deinen Puls. So sollen wir die Herzensschläge aller Sterblichen und der ganzen Menschheit fühlen. Ich liebe Dich, denn Du bist ein Mensch, ein wirklicher, wirklicher Mensch. Und ich liebe Dich, denn Du hast ihn lieb, ihn, den ich meine. Leb wohl! Doch nicht für lange. Wir sehen uns wieder! "

Sie entließ meine Hand und entfernte sich. Ich schaute ihr nach, bis sie im Dunkel der Säulenhalle, wohin ihr der Strahl des Mondes nicht folgen konnte, verschwand. Dann kehrte ich in mein Zimmer zurück, legte mich nieder und schlief sofort ein. Es war, als ob ich nur aufgewacht sei, um diese vermeintlich Tote zu sehen und zu sprechen.

Kurz vor Tagesanbruch wurde ich von Halef geweckt. Wir fütterten und tränkten unsere Pferde und Hunde, frühstückten auch selbst und füllten dann unsere Satteltaschen mit allem, was wir mitzunehmen hatten. Inzwischen ertönte der Weckruf auch für die andern. Die Zeit des Abschieds von diesem geheimnisvollen, unvergeßlichen Orte war gekommen. Wir hatten uns auch von den beiden Prinzen der Ussul und von den beiden Tschoban zu trennen, weil sie sich den Truppen des Dschirbani anschlossen. Von der Frau des 'Mir und seinen Kindern verabschiedeten wir uns ganz besonders. Als wir dann mit ihm den Maha-Lama-See durch das bekannte Tor verließen, fanden wir, daß die Lanzenreiter von El Hadd und Halihm schon aufgebrochen waren. Wir eilten ihnen über die Brücke nach und ritten, als wir sie erreichten, an ihnen vorüber, um an ihre Spitze zu kommen, wo sich der Schech el Beled, Abd el Fadl und Merhameh befanden. Wir hatten den Oberst bei uns, der mit dem Brief des > Panther < gekommen war. Er wurde nicht als Gefangener, sondern als freier Mann betrachtet, doch hing sein Leben und sein Schicksal natürlich nur von der Entscheidung des 'Mir ab, die noch nicht getroffen worden war. Er hatte ein anderes, besseres Pferd bekommen und hinderte uns also nicht an der Schnelligkeit, die zu entwickeln war, wenn wir unsern Zweck erreichen wollten.

Ich lasse die Einzelheiten dieses Eilrittes unberührt. Die Pferde der Lanzenreiter bewährten sich in geradezu erstaunlicher Weise. Ebenso auch die Maultiere, welche neben dem Gepäck auch noch so viel Wasser, als die Truppe brauchte, zu tragen hatten. Freilich, etwas mußte unsere Schnelligkeit hierdurch vermindert werden, aber wir legten den Weg bis zum Brunnen, zu dem die Kamele bekanntlich zwei Tage brauchten, in genau vierundzwanzig Stunden zurück, so daß es eben Tag zu werden begann, als wir ihn erreichten.

Wir trafen da eine kleine Schar von Reitern, welche schliefen. Sie gehörten zu den Leuten des > Panther <, welchen befohlen war, den Weg nach der > Stadt der Toten < zu versperren. Wir nahmen sie einfach gefangen und ließen sie von einer kleinen Abteilung von El Hadd bewachen, die sie dem Dschirbani zu übergeben und uns dann nachzufolgen hatte.

Hier wurde natürlich alles getränkt, was Durst hatte. Dabei ruhten wir uns und unsere Tiere so weit aus, daß wir ihnen zumuten durften, dann bis heute abend wieder auf den Beinen zu sein. Von hier an führte der Weg zunächst durch Steppenland, in dem sich nur selten eine menschliche Wohnung zeigte. Dann aber, als die Steppe zur grasigen Weide wurde, an die sich nach und nach immer mehr Felder schlossen, mehrten sich die Hütten und Häuser. Wir trafen sogar schon auf geschlossene Ortschaften, und da war es natürlich unmöglich, vereint weiterzumarschieren; wir mußten uns trennen. Es lag ja überhaupt im Plane, die Stadt nicht von einer Seite, sondern von zwei entgegengesetzten Seiten anzugreifen, nämlich von Süden und Norden zu gleicher Zeit. Wir teilten uns also. Der Schech el Beled von El Hadd schlug mit seinen Reitern eine nördlichere Richtung ein, um dort vor allen Dingen die Verbindung (Seite 289B) des > Panther < mit der Stadt zu durchschneiden und dann zu einer Stunde, welche fest bestimmt wurde, von Norden her in die Straßen einzudringen und am Schloß mit uns, die wir von Süden kamen, zusammenzutreffen.

Von jetzt an mehrten sich die Wohnstätten, die Dörfer. Wo man uns sah, war man erstaunt oder gar erschrocken. Im letzteren Falle ergriff man sogar die Flucht. Je weiter von der Hauptstadt entfernt, desto weniger hatte man sich um die Politik gekümmert und an dem Aufstande direkt beteiligt. Aber je näher wir kamen, desto unsicherer fühlte man sich, sobald man uns sah, und um so häufiger beeilte man sich, vor unsern Augen zu verschwinden. Ein Grund hierzu lag wohl auch in dem Umstande, daß Reiter wie die von Halihm hier eine vollständig unbekannte Erscheinung waren. Ihre enganliegenden, rhomboidisch geflochtenen Lederanzüge schienen blaustählerne Panzer zu sein. Helme, wie sie trugen, gab es hier noch nie, und auch Pferde von der Rasse und Farbe, die sie ritten, waren in Ardistan noch nicht gesehen worden.

Einmal aber geschah es doch, daß man nicht vor uns floh, sondern ganz im Gegenteile uns entgegenkam. Das war am zweiten Spätnachmittag, ungefähr sechs Reitstunden von der Stadt entfernt, auf einer Ebene, die von einem einzelnen, hohen, turmähnlichen Felsen beherrscht wurde, von welchem aus man uns sogar erwartet zu haben schien. Denn da oben gab es Leute, die, sobald sie uns kommen sahen, schnell herunterstiegen und uns entgegeneilten. Als uns der erste von ihnen erreichte, erkannte ich in ihm den Ministranten unseres alten, guten, ehrwürdigen Basch Nasrani, des christlichen Oberpriesters. Die andern waren Handwerker, welche zu Weihnacht mit an unserm Christbaumschmuck gearbeitet hatten. Der erstere rief uns, noch ehe er uns erreichte, freudig zu:

" Gott sei gepriesen, daß Ihr grad diesen Weg geritten seid, an dem wir warten! Freilich unbemerkt konntet Ihr wohl nicht bleiben, weil auch die andern Wege besetzt worden sind. "

" Von Freunden? " fragte der 'Mir.

" Ja, nur von Freunden. Die Feinde wissen nichts davon, weil wir es heimlich tun. "

" Wer hat das angeordnet? "

" Mein frommer, ehrwürdiger Herr, der Basch Nasrani. Er wußte, daß Ihr kommen würdet. Und er wünschte, daß Ihr, noch ehe Ihr die Stadt erreicht, erfahrt, wie es in Ihr steht. Darum stellte er Wachen aus. Ich bitte Euch, abzusteigen und auszuruhen. Der Platz ist dazu geeignet wie kein anderer. Er ist abgelegen und niemand wird Euch beobachten. "

" Warum absteigen und bleiben? Wir wollten weiter. "

" Das sollt Ihr auch, doch nicht jetzt. Gewiß wolltet Ihr noch reiten, bis es dunkel geworden ist, und dann Lager zu machen bis morgen früh? "

" Allerdings. "

" Das geht nicht; das wäre falsch. Da würdet Ihr erst zur Mittagszeit dort eintreffen, die richtige Zeit aber ist gleich früh, wenn es Tag geworden ist. "

" Warum? "

" Weil die Verschwörung es so beschlossen hat. "

" Welche Verschwörung? "

" Du brauchst nicht zu erschrecken; ich meine nicht die mohammedanische Verschwörung, sondern die christliche. Die Mohammedaner und Lamaisten haben sich gegen Dich verschwört, um Dich abzusetzen; da haben sich nun sämtliche Christen gegen den > Panther < verschwört, um Dich wieder einzusetzen. Alle Christen der Stadt und alle Christen des weiten Landes sind bereit, auf ein bestimmtes Zeichen wie mit einem einzigen Schlag für Dich aufzutreten, doch ohne Blutvergießen und andere Taten, die verboten sind. Wir haben es so geheim gehalten, daß kein Mensch es ahnt, dem wir nicht trauen. Aber wir wissen, daß eigentlich nur der Pöbel zu dem > Panther < hält, sowohl der niedrige als auch der vornehme Pöbel, der sich durch den Aufruhr gegen Dich bereichern will. Und wir sind überzeugt, daß alle Mohammedaner und Lamagläubigen, die nicht zu diesem Pöbel gehören, sich uns beigesellen werden, sobald wir unser Werk beginnen. Das Weihnachtsfest hat Dir nicht nur alle christlichen, sondern auch viele tausend andere Herzen erobert. Und als man hörte, daß Du nach der > Stadt der (Seite 290A) Toten < gelockt worden seiest, um dort elend zu verschmachten, trat auch das Mitleid aller unverdorbenen Menschen für Dich ein. Dann verbreitete sich die Kunde, daß die Herrscherin mit ihren Kindern zu Dir geflohen sei, um dort mit Dir zu sterben; auch das hat viele Deiner Feinde in Freunde verwandelt. Ich darf Dir also wohl sagen, daß Du Unzähligen willkommen bist, wenn Du morgen früh in Ard Deinen Einzug hältst. "

Der Mann sprach mit Begeisterung; er ging ganz in seiner Sache auf. Die Lippen des 'Mir zuckten; seine Augen füllten sich mit Tränen, die er nicht zurückhalten konnte. Er mußte diese Rührung erst niederkämpfen, ehe es ihm möglich war, zu antworten.

" Also morgen früh? " fragte er. " Wie konntet Ihr das so fest und genau bestimmen? Wenn Ihr auch glaubtet, daß ich dem Untergange in der > Stadt der Toten < entgehen werde, so war es Euch doch unmöglich, meine Wiederkehr auf die Stunde zu bestimmen! "

" Auf die Stunde, ja doch, wenn auch nicht auf den Tag! Ob Du heut oder morgen oder übermorgen kommst, ist gleich, aber Deinen Einzug hältst Du auf alle Fälle früh, unter Glockengeläut, wenn die Sonne sich über die östlichen Berge hebt, um unsern angestammten 'Mir, den wir nicht hergeben wollen, zu begrüßen. "

Wieder kämpfte der Herrscher mit seiner Rührung, und darum fragte ich an seiner Stelle:

" Wer hat das angeordnet? "

" Der 'Mir von Dschinnistan, " antwortete der Ministrant.

Da rief der Herrscher trotz der Rührung schnell und laut:

" Wie? Wer? Der 'Mir von Dschinnistan? Woher weißt Du das? "

" Vom Basch Nasrani. "

" Steht der denn in Beziehung zu ihm? "

" Oh, schon seit langer, langer Zeit! Er liebt und verehrt ihn sondergleichen. Er tut nichts Wichtiges, ohne sich vorher an diesen Herrn zu wenden, der Dein bester Freund ist, den Du hast, so weit Dein Land und so weit die Erde reiche. Ist doch der Gedanke der Verschwörung gegen den > Panther < auch nicht eigentlich von uns, sondern nur von dem 'Mir von Dschinnistan ausgegangen! Er sagte, er wolle keinen andern Herrscher über Ardistan als nur Dich allein; Du seist der richtige! "

Es kämpfte im Gesicht des 'Mir. Er richtete seinen Blick in die Ferne, starr und scheinbar ausdruckslos. In Wirklichkeit aber schaute er in sich hinein. Dann wich die Starrheit. Ein mattes, fast verlegenes Lächeln erschien, und er richtete an Abd el Fadl, Merhameh, mich und Halef die Worte:

" Habt Ihr es gehört? Mein oberster Priester gehorcht nicht mir, sondern dem, den ich für meinen größten und unerbittlichsten Feind gehalten habe! Und er tut recht daran, ganz recht! Denn dieser vermeintliche Feind hat nie etwas anderes als nur mein Glück und das Glück meines Volkes gewollt. Ich war ein Tor, ein sinn- und gedankenloses Ungetüm, und werde nun durch seinen Edelmut viel strenger und viel schwerer bestraft, als wenn er und meine Heere durch seine Scharen gewaltsam niederschlüge. Das soll mir eine Lehre sein, so lange ich leben werde! "

" Sie ist nicht nur für Dich, sondern ebenso auch für alle, die nach Dir kommen, " mahnte der sonst gern stille Fürst von Halihm in fast bittendem Tone. " Denk an die > Dschemmah der Toten und der Lebenden <. Und denke an das, was Du für Dich und alle Zukünftigen Deines Hauses versprochen hast! "

" Ich denke daran, zu aller Zeit, an jedem Augenblick, den ich mit offenen Augen lebe. Nie werde ich jene Szene und jenes Versprechen vergessen, nie, niemals, nie! "

Er stieg vom Pferde und fuhr fort:

" Gehorchen wir also dem 'Mir von Dschinnistan! Bleiben wir hier und machen wir Lager! Wir wollen gehorsam sein! "

Das war nicht etwa Ironie, oder Sarkasmus, oder gar Hohn, sondern aufrichtige Selbstüberwältigung. Er ahnte nicht, wie sehr er uns durch diese Demut, die für uns aber Seelengröße war, imponierte! Halef, der sich mehr für naheliegende praktische als für psychologische Erwägungen eignete, erkundigte sich, sobald er aus dem Sattel gesprungen war, sofort bei dem Ministranten:

(Seite 290B) " Nun sag einmal, warum sollen wir grad hier lagern und grad hier warten? Warum nicht an einer andern Stelle? "

" Weil sie abgelegen ist und Ihr also hier verborgener seid als anderswo, " lautete die Antwort. " Und weil dies die festgesetzte Stelle ist, die von der Stadt und den andern Stationen aus immerfort beobachtet wird. "

" Was für Stationen? "

" Zum Sprechen in die Ferne. Sobald es dunkel geworden ist, melden wir dem Oberpriester nach der Stadt, daß Ihr hier eingetroffen seid. Er wünscht, daß Ihr bis gegen Mitternacht wartet, um seine Antwort zu bekommen. Nämlich in dem Augenblick, an welchem er unser Zeichen erhält, wird unsere Revolution beginnen, die nur darin besteht, daß wir alle wichtigen Personen und Beamten, die es mit dem > Panther < halten, einfach einsperren. Die Polizei, die Ihr vor Weihnacht gründetet, besteht noch heut und wurde bedeutend vermehrt. Sie ist es, welche die Vorbereitungen in aller Stille getroffen hat. Die Stadt wird als angebliche Residenz des neuen 'Mir einschlafen und morgen früh als wirkliche Residenz des alten 'Mir erwachen. Sie wird sich zwar die Augen reiben, so hoffen wir, dieser ebenso schnellen wie friedlichen Änderung ihre mehr oder weniger ruhige oder freudige Zustimmung geben. "

" Und der Basch Islami? Ist er wirklich der Oberkommandant der Stadt? "

" Ja. Aber er wird der erste sein, den man arretiert. "

" Wie steht es im Schlosse? "

" Genau so, wie vorher. Der > Panther < hat nicht gewagt, es zu betreten oder da irgend etwas zu ändern. Die treue Ussulgarde hielt es bis heut besetzt und hätte jeden Eingriff mit den Waffen zurückgewiesen. Der > Panther < hatte keine Zeit, sie mit Gewalt zu entfernen. Wahrscheinlich ist nun der Basch Islami beauftragt, dies mit List zu tun. "

" Diese Menschen sind von einer geradezu wahnsinnigen Unvorsichtigkeit! " rief der 'Mir aus. " Was ich erst für blutig ernst, für eine wirkliche Revolution, für eine durchgreifende Umwälzung alles Bestehenden hielt, kommt mir jetzt fast wie eine Faxe, wie die Luftspringerei einer Affengesellschaft vor. Ich fürchte, es wird uns morgen ekeln! Der erste, mit dem ich zu sprechen habe, wird der Basch Islami sein. Der Brief, in dem der > Panther < die Prinzessin von Halihm begehrt, wird schneller, sicherer und tiefer auf ihn wirken als alles andere. Befindet sich die Station, von der aus Ihr Eure Zeichen gebt, da oben auf dem Felsen? "

" Ja, " antwortete der Ministrant, an den diese Frage gerichtet worden war. " Wünschest Du, daß ich sie Dir zeige? "

" Später. Einstweilen danke ich Dir! "

Er reichte ihm die Hand. Das war für den bescheidenen, treuen Mann ein größerer Lohn als jede andere, gewöhnliche Gabe.

Der Platz, auf dem wir hielten, war groß und mit frischem, nahrhaftem Gras bestanden. Ein schmales aber vollfließendes Wasser schlängelte sich über ihn hin. Das gab eine gute Weide- und Lagerstelle für unsere Pferde. Wir gönnten ihnen diese Ruhe und Erholung gern, weil wir, um die Stadt in einer Tour zu erreichen, noch sechs volle Stunden zu reiten hatten.

Als es zu dunkeln begann, ließen wir uns auf die Höhe des Felsens führen, den der Ministrant als Telegraphenstation bezeichnet hatte. Man genoß von da oben aus einen weiten Rundblick. Der Apparat, den er uns zeigte, bestand aus einem in die Erde geschlagenen Pfahl und einer Anzahl von Raketen, welche, je nach dem, was mit ihnen gesagt werden sollte, verschiedene Füllung hatten. Die Dämmerung ist in jenen Gegenden eine sehr kurze. So brauchten wir also nicht lange zu warten, bis es vollständig dunkel geworden war. Da ließ man die erste Rakete steigen. Es bedurfte keiner zweiten. Ard lag von uns genau nach Osten. Indem wir nach dieser Richtung schauten, sahen wir schon nach kaum einer Minute einen ganz gleichen Feuerstrahl sich erheben. Man hatte sehr gut aufgepaßt. Nach wieder einer Minute bemerkten wir eine weitere Feuergarbe, aber in so großer Entfernung, daß sie uns sehr klein erschien und nur deshalb erkannte werden konnte, weil wir die genaue Richtung scharf im Auge hielten. Die Botschaft ging also weiter.

(Seite 291A) " In einer Viertelstunde weiß der Basch Nasrani, daß Ihr hier angekommen seid, " sagte der Ministrant. " Eine Viertelstunde später ist der Basch Islami schon gefangen. Bis eine Stunde vor Mitternacht wird man uns sagen, ob Ihr weiter reiten könnt oder nicht. "

" Weiterreiten? Oder nicht? " fragte der 'Mir. " Wir werden auf alle Fälle weiterreiten. Öffnet sich mir die Stadt nicht in Eurer Weise, so werden wir sie zwingen, sich in der unserigen zu öffnen! Ihr paßt also hier oben sehr scharf auf? "

" Ja. Es kann uns kein Zeichen entgehen, welches uns gegeben wird. "

" So können wir ruhig schlafen? "

" Ja. Wir werden wecken, sobald die Zeit gekommen ist. "

Wir stiegen also wieder hinab, verzehrten unser Abendbrot und legten uns dann nieder. Ob der 'Mir so > ruhig < schlief, wie er gesagt hatte, das weiß ich nicht; daß aber ich es tat, das weiß ich ganz genau. Ich fühlte ein sehr großes Vertrauen zu der eigenartigen, mich fast kindlich anmutenden > Gegenrevolution < des wackeren Oberpriesters, und selbst wenn sie nicht zum Ziele geführt hätte, besaßen wir doch unser zahlreiches Heer, also Leute genug, um den Gegnern unsern Willen aufzuzwingen. Es gab also gar keine Sorge, die mir den Schlaf hätte rauben können, und ich wachte erst auf, als ich von Halef, der neben mir gelegen hatte, geweckt wurde.

" Steh auf, Sihdi! " sagte er. " Das Zeichen ist da. "

" Welches? " fragte ich.

" Das weiß ich noch nicht. Aber die Leute da oben auf dem Felsen jubilierten, als es kam. Es muß also ein gutes sein. Schau, da antworten sie schon! "

Der Ministrant ließ gleich drei Raketen hintereinander steigen und rief dann zu uns herab:

" Wacht auf! Steht auf! Wir haben gesiegt! Es ist alles gut, sehr gut gegangen, ja, wohl besser, als wir dachten. "

Wir folgten seinem Rufe, tränkten die Pferde und brachen dann auf. Er bekam ein Reservepferd, um als Führer mit uns zu reiten. Seine Gefährten aber wendeten sich auf näheren Richtwegen der Stadt entgegen, deren Nähe wir erreichten, als die steigende Helle des Morgens das Nahen der Sonne verkündete.

Als ich mit Halef Ard zum ersten Male vor uns liegen sah, waren wir aus Süden gekommen. Heut kamen wir aus (Seite 291B) Westen. Wir befanden uns also auf einer andern Seite der Stadt, doch war das Terrain ganz dasselbe. Wir ritten eine Höhe hinauf und hatten dann die Stadt ganz ebenso, wie damals vor uns liegen. Aber etwas war doch anders, ganz anders. Nämlich auf dieser Höhe war eine große, fast lückenlose Menschenmenge versammelt, welche den 'Mir mit lautem Jubel bewillkommnete. Doch trotz dieser Menge stand die breite Hauptstraße, welche von da hinabführte, vollständig frei und offen, wenn auch zu beiden Seiten eingefaßt von dem Publikum, welches sich da Kopf an Kopf zusammengefunden hatte. Und auf diesem freien Straßeneingange hielten die Offiziere der Schloßwache und die hervorragenden christlichen Beamten und Abgeordneten der Residenzgemeinde, an ihrer Spitze der ehrwürdige Basch Nasrani auf einem weißen, köstlich aufgeschirrten Maultiere, um sich an die Spitze des Zuges zu setzen. Der Oberpriester ritt, als wir an dieser Stelle erschienen, zu dem 'Mir heran und hieß ihn mit lauten, frohen, weithinschallenden Worten willkommen. Der Herrscher senkte demütig das Haupt, um die Hand des Geistlichen ein-, zwei-, ja dreimal zu küssen. In diesem Augenblicke stieg die Sonne ganz plötzlich, wie mit einem schnellen, freudigen Sprunge, hinter den jenseitigen Bergen empor; Millionen und aber Millionen goldener Strahlen überfluteten die Stadt; das Volk brach in weiter und weiter klingenden Jubel aus, und von dem hohen Dome herab erklang das Geläute der Glocken. Der 'Mir weinte; Abd el Fadl weinte; Merhameh weinte; Halef weinte, und ich, na, ich - - - weinte auch! Auch in den Augen des Oberpriesters standen Tränen, aber auf seinem milden, schönen Angesichte glänzte ein sonniges, wonniges Leuchten, der erste aber zuversichtliche, prophetische Schimmer einer neuen, glücklichen Zeit.

Der Zug setzte sich in Bewegung. Voran ging ihm das Frohlocken der von frohen Hoffnungen erfüllten Menschenherzen. Über ihm schwebte, wogte und wallte der ehernklingende Segen des Gottesglaubens. Und hinter den weiß und goldig schimmernden Scharen der Panzerreiter reichten Tausende und aber Tausende sich die Hände, ohne einander zu fragen, welcher politischen Farbe sie noch vorgestern und gestern angehört hatten, und wie es gekommen sei, daß dem noch vor kurzem so sehr Gehaßten und Gefürchteten heut eine so allgemeine und herzliche Liebe entgegenflute. Man begnügte sich mit dem einen Gedanken, der aber alle, alle erfüllte Er war wieder da, wieder da! - - -


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