"Was Du zu sagen hast, läßt sich nicht im voraus bestimmen," erklärte ich ihm. "Man müßte vorauswissen, was der >Panther< vorbringt. Du kennst unsere Lage, und Du kennst unsere Absichten. Der >Panther< ist kein Pfiffikus, sondern ein leicht erregbarer, unvorsichtiger Mensch; auf Deine Klugheit aber können wir uns, denke ich, verlassen."

Er nahm dieses Lob mit einer anerkennenden Handbewegung hin; der 'Mir aber fragte:

"Wozu dieser Scherz? Haben wir nicht alle Veranlassung dazu, ernst zu sein?"

"Es gibt Scherze, die grad nur vom Ernst befohlen werden," antwortete ich. "Ich halte den >Panther< schon längst nicht mehr für einen Menschen, den man ernst zu nehmen hat. Nur dadurch, daß man diesen eigenwilligen, überspannten Hanswurst so hoch überschätzt und als etwas ganz anderes genommen hat, als was er ist, konnte er von dem Basch Islami für den Mann gehalten werden, für den er gehalten wurde. Es würde keine Ehre für uns, sondern ein unverzeihlicher Fehler von uns sein, mit ihm in wirkliche, ernstgemeinte Verhandlungen zu treten. (Seite 300A) Er ist einfach nur als Chodscha von Chorassan zu behandeln. Er muß, wenn wir mit ihm fertig sind, das Gefühl haben, daß er gar nicht weiß, woran er ist. Und er darf grad nur das für richtig halten, was nicht für ihn, sondern für uns von Nutzen ist."

"Du hast recht, vollständig recht," gestand er ein. "Unser Halef mag diese Rolle spielen. So bekommt mich der >Panther< also nicht zu sehen. Aber dabei sein und ihn hören möchte ich doch!"

"Ich auch," sagte der Dschirbani.

"Und ich auch," stimmte ich bei. "Wir gesellen uns also zu den fünfzig Begleitern des Hadschi."

"Da sieht und erkennt uns der Panther," entgegnete der Dschirbani.

"Er wird uns sehen, aber nicht erkennen," erklärte ich. "Bei der Bagage der Lanzenreiter gibt es, wie ich gesehen habe, Reserveanzüge jeder Größe. Wir sind vier Personen. Zwei kleiden sich als Lanzenreiter von El Hadd und zwei als Lanzenreiter von Halihm. Wir legen genauso blaue Schleier um wie der Schech el Beled; da kann man unsere Gesicht nicht erkennen."

"Wieso vier Personen?" fragte der 'Mir. "Wir sind außer unserm Hadschi Halef Omar ja nur drei!"

"Ich nehme den Basch Islami hinzu."

"Warum?"

"Weil ich es für gut halte, daß er seinen Liebling und Verbündeten als den kennen lernt, der er in Wirklichkeit ist. Ich halte es keineswegs für unmöglich, daß in dem Basch Islami noch ein Rest des alten Vertrauens vorhanden ist, der aber hierdurch schnell beseitigt würde."

"Auch in diesem Punkte hast Du recht. Wir werden also derart verfahren, wie Du vorgeschlagen hast. Setzen wir uns sofort zu Pferde, um die Anzüge zu besorgen!"

Der 'Mir ritt mit dem Basch Islami nach der Bagage von Halihm, ich mit dem Dschirbani nach der Bagage von El Hadd. Dort dauerte es ziemlich lange, bis wir einen Anzug für die Gestalt meines Begleiters fanden; es glückte uns aber dennoch, einen zu entdecken. Einer für mich war leicht gefunden. Als wir dann nach unserm Lager zurückgekehrt waren, stellte sich der Parlamentär des >Panther< zum zweiten Male ein, um einige Veränderungen meiner Abmachungen mit ihm zu erwirken. Ich wies seine Zumutungen zurück. Er kam dann noch einmal wieder, um einige Queruleien durchzusetzen, hatte aber genau denselben Mißerfolg. Als er erkannte, daß bei mir nichts zu erreichen sei, bequemte er sich schließlich zu der definitiven Mitteilung, daß der >Panther< kommen werde, und zwar genau in der von mir vorgeschriebenen Weise.

Als nach europäischer Zeitrechnung zwei Uhr vorüber war, kleideten wir uns um. Der 'Mir und der Basch Islami in blaue, der Dschirbani und ich in naturfarbene Lanzenreiteranzüge. Die Gesichter wurden blau verschleiert. Auch die Pferde nahmen wir von den Lanzenreitern, um nicht an den unseren erkannt zu werden. Halef bekam den Prachtschimmel des 'Mir. Er staffierte sich auf das köstlichste heraus, natürlich mit geliehenen Kleidungsstücken, und wand sich einen Turban, der, wie bei den Häuptlingen mancher Kurdenstämme, einen Durchmesser von beinahe zwei Ellen hatte. Einen Schleier hatte er auch. Der war weiß und an seiner unteren Kante mit abwechselnd blauen und roten Fransen verziert Höchstwahrscheinlich stammte er aus dem Harem eines muselmännischen Ardistaners.

Kurz vor drei Uhr brachen wir auf. Voran ritt Halef. Ihm folgten wir vier. Hinter uns kamen sechsundvierzig Ussul und Tschoban.

Als wir die Stelle erreichten, in der die Lanze steckte, war der >Panther< mit seiner Begleitung schon da. Er saß allein. Seine Leute bildeten hinter ihm einen Halbkreis. Halef wäre nicht Halef gewesen, wenn er seine Ankunft so kurz und einfach wie möglich gestaltet hätte. Er hatte uns unterrichtet, wie er es wünschte, und wir taten nach seinem Willen. Wir kamen im Galopp angebraust, stellten uns, als ob wir die Gegner niederreiten wollten, rissen unsere Pferde aber noch im letzten (Seite 300B) Augenblick herum und wiederholten diese Attacke noch zweimal, um dann in der Weise Platz zu nehmen, daß Halef dem >Panther< fünf Schritte weit gegenübersaß. Rechts von ihm ließ sich der 'Mir mit dem Basch Islami, links ich mit dem Dschirbani nieder. Hinter uns bildeten unsere Begleiter einen Halbkreis, der denselben Durchmesser wie der uns gegenüberliegende hatte.

Eine Zeitlang blieb alles still. Die beiden Hauptpersonen hatten sich nicht einmal begrüßt. In dieser Beziehung war mein Halef einzig. Es fiel ihm gar nicht ein, das erste Wort zu sprechen. Er hätte bis morgen früh geschwiegen und wohl auch noch länger, nur um seinem Gegenüber die Reprimande erteilen zu können, nicht so voreilig und sprachselig zu sein. Aber so lange dauerte es gar nicht. Der >Panther< war viel zu ungeduldig, als daß er auch nur fünf Minuten hätte warten können. Es war noch nicht die Hälfte dieser Zeit vergangen, so rief er hastig aus:

"Wie lange soll das Schweigen dauern? Beginnen wir doch! Ich bin der 'Mir von Ardistan."

Halef blieb still.

"Hast Du es gehört?" fragte der >Panther<. "Ich bin der 'Mir von Ardistan."

Halef blieb immer noch stumm.

"Bist Du taub?" fuhr sein Gegenüber fort. "Ich habe Dir gesagt, daß ich der 'Mir von Ardistan bin!"

Da endlich schüttelte Halef langsam, sehr langsam seinen Riesenturban, hob ebenso langsam seine Arme empor und sprach:

"O Allah, Allah, wie lange soll es Leute geben, die nicht schweigen können, sondern es so eilig haben, durch ihre Schwatzhaftigkeit in alle Welt hinauszuposaunen, daß sie verrückt geworden sind. Ich komme mit meinen 163 000 Fußgängern, 290 000 Reitern und 385 000 Kanonen und Haubitzen soeben und direkt aus Ard, der Hauptstadt von Ardistan, um einen armseligen Lügner, Betrüger und Rebellen in die Luft zu blasen. Man hat mich dort zum 'Mir von Ardistan erwählt. Man hat mich auf den Thron gesetzt und mich mit Krone, Zepter und Säbel zum einzigen und alleinigen Herrscher des Reiches erhoben, und hier setzt sich nun so ein Frosch grad vor mich hin und quakt mir in die Ohren, daß ich nicht der 'Mir von Ardistan sei, sondern er!"

Als Halef zu sprechen begann, hatte der >Panther< aufgehorcht, denn der Hadschi gab sich keine Mühe, seine Stimme zu verstellen. Jetzt aber fuhr der erstere mit der Hand nach dem Gürtel, in dem er aber jetzt keine Waffen mehr hatte, und fragte:

"Wen meinst Du mit dem Frosche?"

"Dich!" antwortete Halef sehr ruhig und sehr aufrichtig.

Da sprang der >Panther< von seinem Sitze empor, streckte ihm die geballten Fäuste entgegen und schrie:

"Hund! Sei froh, daß wir ohne Waffen sind. Denn wäre das nicht der Fall, so würde ich Dich niederschießen wie einen räudigen Schakal oder eine stinkende Hyäne. Du bist mir überhaupt ein widerwärtiger Kerl. Du hast die Gestalt und Stimme eines Bekannten von mir, welcher von allen Dummen und Dümmsten der Erde der Allerdümmste ist. Hüte Dich! Sonst ergeht es Dir genauso, wie es ihm ergangen ist!"

"Und wie erging es ihm?" fragte Halef.

"Ich ließ ihn einsperren. Er ist verhungert und verdurstet. Er ist verschmachtet unter tausend Qualen. Willst Du etwa dasselbe Schicksal erleiden, welches er erlitten hat?"

"Ja, das will ich allerdings! Ich kann überhaupt kein anderes Schicksal erleiden als das seinige. Und ich bin mit diesem seinem und meinem Schicksal ganz ebenso zufrieden wie er. Denn erstens sieht er gar nicht so verhungert und verdurstet aus, wie Du denkst, und zweitens ist er 'Mir von Ardistan geworden und wird Dir zeigen, wer und was Du bist. Da, schau her!"

Er hob den Schleier empor und warf ihn nach hinten über den Turban, so daß sein Gesicht frei wurde. Der >Panther< stand im Begriff, sich wieder niederzusetzen, schnellte aber sofort nochmals empor und rief aus:

"Der Haddedihn, der verdammte, neunmal verdammte Hadd - - -"

(Seite 301A) Er brach mitten im Worte ab. Der Schreck, der ihn ergriffen hatte, ließ ihn nicht weitersprechen. Er ließ sich langsam, langsam, wie einer, der in sich zusammenbricht, auf die Erde nieder, senkte den Kopf, legte die Hände vor das Gesicht und blieb still. Halef hatte kein Verständnis für so tief innerliche, gewaltige Erregungen; er wandte sich zu uns und sagte:

"Hatte ich nicht recht, als ich ihn einen Frosch nannte? Bald springt er auf, bald springt er nieder; bald bläst er sich auf, bald fällt er wieder zusammen. Und das ist so frech, sich auch einen 'Mir von Ardistan zu nennen!"

Ich gab ihm einen stillen Wink mit der Hand; da sprach er nicht weiter. Der >Panther< tat, als habe er die Worte des Hadschi gar nicht gehört. Vielleicht waren sie auch wirklich an seinem innern Ohr vorübergegangen, ohne vernommen zu werden. Aber nach einiger Zeit ließ er die Hände sinken, richtete den Kopf empor, sah uns einen nach dem anderen an und blieb dann mit seinem Blicke an Hadschi Halef hängen. Sein Gesicht war bleich geworden; das sah man trotz der von der Sonne verbrannten Haut. Aber der Schreck war vorüber, war vollständig überwunden. Die Züge veränderten sich zusehends. Sie nahmen nach und nach einen lauernden Ausdruck an, etwas gewiß und wirklich Panthermäßiges. Und als er sodann sprach, verriet seine Stimme nicht die geringste Spur von Erregung, sondern eine derartige, unheimliche Selbstbeherrschung, daß es mir vorkam, er ziehe sich nur deshalb so tief in sich zurück, um sich dann desto kräftiger und verderblicher auf uns zu stürzen.

"Der Haddedihn lebt!" sagte er. "Der Narr, der Faselhans! Und wenn er lebt, leben auch die andern! Sie sind entkommen! Der 'Mir hat Glück gehabt, unmenschliches Glück! Er ist wieder nach Ard zurückgekehrt! Er hat sich mit dem Dschirbani vereinigt! Das sehe ich an diesen Reitern hier, die nicht zur alten Ussulgarde in Ard, sondern zu den Truppen des Dschirbani gehören. Dieser letztere ist also auch aus der >Stadt der Toten< entkommen! Wahrscheinlich mit Hilfe jenes niederträchtigen Menschen aus Dschermanistan, den ich zwischen meinen Fäusten zerreiben werden, so - - - so - - - so!"

Er rieb die Fäuste aneinander, um uns das, was er sagte, zu verdeutlichen. Hierauf fuhr er fort:

"Dann ist er hinter mir her, der 'Mir, der alte 'Mir! Der 'Mir von Dschinnistan hat sich seiner erbarmt und ihm Hilfe geschickt! Pfui! Und der Schech el Beled von El Hadd ist zu ihm gestoßen! Ebenso der Fürst von Halihm - - - "

"Dessen Tochter Du zum Weibe begehrtest," fiel Halef schnell ein.

"Woher weißt Du das?" fuhr ihn der >Panther< an.

"Ich las Deinen Brief," antwortete der Hadschi.

"Welchen Brief?"

"Den Du durch Deinen Oberst an Abd el Fadl sandtest."

"Lügner! Der Fürst von Halihm würde Dir solche Briefe nie zu lesen geben!"

"Willst Du etwa leugnen?" rief es da auf Halefs anderer Seite, wo der Basch Islami saß, der seine Erbitterung nicht zu zügeln verstand.

"Wer bist Du? Was hast Du hier hereinzureden?" fragte der >Panther<.

"Wer ich bin? Schau her! Wir alle haben Deinen Brief gelesen, wir alle! Auch ich, ich, ich!"

Er entfernte den Schleier von seinem Gesicht, doch hatte das keineswegs den von ihm erwarteten Erfolg. Der >Panther< stutzte zwar einen Augenblick, aber eben nur einen Augenblick, und rief dann unter höhnischem Lachen aus:

"Dummköpfe, die Ihr seid! Armselige, elende Dummköpfe, alle, alle, mögt Ihr sein, wer Ihr wollt! Theater habt Ihr mit mir spielen wollen, Theater! Der verrückte Haddedihn hatte den 'Mir vorzustellen, den Herrscher! Damit ist offenbar, welche lächerliche Vorstellung Ihr von dem Manne habt, dem die Aufgabe geworden ist, Ardistan in Zucht und Ordnung zu halten! Hahahahaha!"

Er lachte aus vollem Halse, und weil er sich dabei nach seinen Begleitern umdrehte, lachten diese mit. Dann fuhr er fort:

"Ja, Theater, Betrug und Schwindel! Wir glaubten wirklich, Lanzenreiter von El Hadd und Halihm vor uns zu sehen. Ja, wir waren sogar überzeugt, daß Eure Verhüllung (Seite 301B) den >Schwur von Dschinnistan< bedeutete. Nun aber dieser alte Mann, der sich einbildete, der Vater der zukünftigen Herrscherin zu sein, Eure Maskerade verraten hat, weiß ich, woran ich bin. Ich gehe auf diese Maskerade ein, aber ich mache es kurz mit Euch, viel kürzer, als Ihr denkt."

Er erhob sich wieder von seinem Sitze, verschränkte die Arme über die Brust, um sich eine imponierende Feldherrnstellung zu geben und richtete dann die Frage an Halef:

"Also Du bist der 'Mir von Ardistan?"

"Ja," antwortete dieser.

"Schön! Da ich dasselbe auch von mir behaupte, so muß einer von uns fallen, entweder Du oder ich. Das siehst Du doch wohl ein?"

"Also Kampf?" fragte Halef schnell.

"Ja."

"Zwischen Dir und mir?"

"Ja."

"Ich bin bereit! Sofort, sofort! Lassen wir uns Waffen kommen! Oder nehmen wir nur die Fäuste? Auch das ist mir recht, sehr recht!"

Es fiel dem kleinen Hadschi nicht ein, sich zu fürchten. Er wußte, daß er dem >Panther< in jeder Beziehung gewachsen war. Es versetzte ihn ganz im Gegenteile in Entzücken, diesen Menschen in einem regelrechten, offiziellen Zweikampf niederringen zu können. Dieser aber fiel ebenso rasch ein:

"Nicht so, nicht so! Fällt mir gar nicht ein, mich mit einem Menschen, wie Du bist, in solcher Weise herumzubalgen. Bist Du wirklich der 'Mir, so steht da Dein Heer und dort das meinige. Ich meine den Kampf zwischen den beiden Heeren, nicht aber zwischen mir und Dir. Mit Zwergen kämpft man nicht! Ich lade Dich zur Schlacht, zur Schlacht für morgen früh. Sie beginnt, sobald es tagt. Bist Du einverstanden?"

Es war ein außerordentlich geringschätziger Blick, den er bei dieser Frage auf den Hadschi warf. Dieser antwortete nicht sofort. Er fühlte sich durch den Hinweis auf die Kleinheit seiner Gestalt in so hohem Grade beleidigt, daß er nicht gleich Worte fand, die ihm kräftig genug erschienen. Außerdem wurde seine Aufmerksamkeit ganz ebenso wie die unserige dadurch abgelenkt, daß der Himmel sich plötzlich verfinsterte, obgleich wir keine Wolke sahen, die unter der Sonne vorüberging. In demselben Augenblick erhob sich ein scharfer Wind, der keine bestimmte, feste Richtung zu haben schien und den Sand und Staub nach allen Seiten trieb.

"Zu den Pferden!" rief ich aus. "Schnell zu den Pferden! Nehmt die Zügel kurz an den Mäulern, und haltet sie fest, sehr fest! Weit auseinander mit ihnen, damit sie einander nicht schlagen! Mir scheint, die Erde will beben!"

Unsere Leute sprangen sofort auf und taten, wie ich gesagt hatte; die Begleiter des >Panther< aber blieben an ihren Plätzen. Er lachte höhnisch auf und rief:

"Erdbeben! Ja, wenn man Memmen und Feiglingen eine Schlacht, eine wirkliche Schlacht anbietet, so machen sie nicht mit, indem sie vorgeben, die Erde wolle beben! Schande über Euch, dreifache Schande, Schande!"

Jetzt, nach dieser noch größeren Beleidigung, wollte Halef dreinfahren; da aber rief ihm der wirkliche 'Mir zu:

"Ich bitte Dich, schweig! Das Wort >Schlacht< ist gefallen, dadurch wird alles anders, als wir dachten und als wir wollten. Von nun an spreche ich selbst!"

Er entfernte den Schleier von seinem Gesichte, trat vor den >Panther< hin und fragte:

"War das Dein Ernst? Bist Du bereit zur Schlacht?"

Der Gefragte wich einige Schritte zurück. Mochte er geahnt haben oder nicht, wer wir waren, in diesem Augenblicke erschrak er doch. Auch wir anderen nahmen die Verhüllungen weg, so daß er sah, wer wir waren.

"Alle sind entkommen, alle!" knirschte er.

Er wich noch einige weitere Schritte zurück, betrachtete uns aus haßerfüllten Augen, zog sich zusammen wie eine Katze, die zum Sprunge ausholt, und richtete dann die Worte an den 'Mir:

"Wirst Du mir die Wahrheit sagen, wenn ich Dich frage?"

"Leute Deiner Art belügt man nicht," antwortete der Herrscher stolz.

(Seite 302A) In diesem Augenblicke begann es zu donnern. Ob unter oder über der Erde, das wußte man nicht.

"Sind wirklich die Lanzenreiter von El Hadd bei Euch?" erkundigte sich der >Panther<.

"Ja," nickte der 'Mir.

"Wie viele?"

"Zähle sie in der Schlacht!"

"Und die Lanzenreiter von Halihm?"

"Ja."

"Habt Ihr Wasser für so viele?"

"Für noch viel mehr!"

"Allah verdamme Euch! Mich aber wollt Ihr durch den Hunger und vor allen Dingen durch den Durst besiegen?"

"Ja."

"Ich bin von aller Zufuhr abgeschnitten! Ich habe kein Wasser! Ich muß elend verschmachten, ganz so, wie ich Euch verschmachten lassen wollte in der >Stadt der Toten

"Ja," antwortete der 'Mir.

"Morgen?"

"Ja."

"Wo?"

"Wo ich Dich treffe."

Da donnerte es abermals. Das klang, als sei es nicht nur oben am Himmel, sondern auch unter der Erde. Die Pferde unserer Gegner begannen zu schnauben und unruhig zu werden. Da zeigte der >Panther< nach Norden, wo die drei Kuppen des Dschebel Allah hoch emporragten, und fuhr fort:

"Diese Schlacht, die zwischen Dir und mir entscheidet, sei dort, am Fuße des Dschebel Allah. Morgen früh, beim Beginn des Tages. Ist es Dir recht?"

"Ja."

Da ging, so schnell wie ein Blitz, ein dünnes, scharfes Geräusch unter uns hinweg, wie wenn eine Eisfläche, auf der man steht, einen jähen, sich weit fortpflanzenden Riß bekommt, und zugleich war es, als ob wir in einer Schaukel ständen, welche anfangen wolle, sich zu bewegen. Die Pferde wurden ängstlicher.

"So ist es denn als abgemacht betrachtet!" setzte der >Panther< seine Rede fort. "Morgen früh, sobald es hell genug geworden ist, den Freund vom Feind zu unterscheiden." Und mit einem Hohne sondergleichen fügte er hinzu: "Ich hoffe, daß Du kommst! Denn das war wohl nicht sehr heldenhaft von Euch, mich durch Hunger und Durst besiegen zu wollen. Nicht Euer Wasser soll entscheiden, sondern das Schwert!"

"Nein, weder das Wasser noch das Schwert, weder Du noch ich soll entscheiden, sondern ein Höherer!" rief der 'Mir.

"Ein Höherer? Wer?"

"Gott!"

"Gott!" lachte der >Panther<. Es war so geringschätzig, dieses Lachen. "Nur Menschen fünften oder gar sechsten Wertes verlassen sich auf den, den sie als Gott, als Allah oder mit sonstwie ähnlichen Namen bezeichnen. Ich aber, der neue 'Mir von Ardistan, kann mich ganz unmöglich dem Range nach so tief hinunterstellen. Ich brauche diese Hilfe nicht, nach der nur Schwache und Unfähige lechzen. Ich siege durch mich selbst, durch meine eigene Kraft, nicht aber durch - - -"

Er hielt inne. Er konnte den angefangenen Satz nicht vollenden. Es tat in diesem Augenblick einen Krach, als müsse Himmel und Erde zugrunde gehen, und die letztere begann, zu wanken. Der >Panther< stürzte zu Boden. Er wollte sich zwar schnell aufraffen, aber es folgten noch weitere Erdstöße, die ihn immer wieder niederwarfen. Die Pferde seiner Truppe wieherten vor Schreck laut auf und jagten davon. Seine Leute brüllten und rannten hinter ihnen her. Da schrie auch er:

"Fort, fort! Hier ist der Scheitan los! Er hole Euch alle miteinander! Fort, nur fort!"

(Seite 302B) Er sprang den Voranfliehenden in großen Sätzen nach, und zwar ohne daß er wieder niederstürzte, weil die Stöße nun vorüber waren und sich nicht wiederholten. Seine Pferde verschwanden schnell am Horizonte. Was die unsrigen betrifft, so verhielten sie sich nicht alle gleich. Die Schimmel der Lanzenreiter hatten sich nicht gerührt. Sie waren von ihrer Heimat her diese Unzuverlässigkeit des sogenannten >festen< Erdbodens gewohnt. Die dicken Gäule der Ussul waren zwar auch erschrocken, aber ihr angestammtes, in diesem Falle höchst vortreffliches Phlegma half ihnen schnell und leicht über diesen Schreck hinweg. Sie blieben einfach stehen und sahen sich nur verwundert nach der Ursache dieses Lärmes um, ohne sich aber von ihm aus der Fassung bringen zu lassen. Der Schimmel des 'Mir war ein wahrhaft edles Tier. Zwar erregten die Erdstöße sein Entsetzen, doch bewirkten die guten Worte Halefs und des 'Mir, die beide zu ihm hingeeilt waren, daß er nicht ausbrach, sondern sich beruhigte. Anders aber die Pferde der Tschoban, die mit aller Gewalt festgehalten werden mußten und nach allen Seiten mit den Hufen um sich schlugen. Darum war es gut, daß man sie infolge meines Rates sogleich und so weit auseinandergezogen hatte, daß sie einander nicht verletzen konnten. Ebenso wie hier an dieser Stelle hatten sich auch die Pferde unseres Lagers und unserer ganzen Linie verhalten. Die Schimmel der El Hadd und Halihm waren ruhig geblieben, die Urgäule der Ussul auch. Syrr und Assil Ben Rih waren angepflockt gewesen. Sie hatten zwar ihre Mähnen gesträubt und einige Sprünge gemacht, sich aber nicht losgerissen. Mit den Pferden der Tschoban aber hatte man viel Mühe und Arbeit gehabt, die durch ihre Angst entstandene Unordnung zu beseitigen. Am allerschlimmsten aber war es, wie wir später erfuhren, im Heere des >Panthers< zugegangen. Es hatte da eine geradezu unbeschreibliche Verwirrung mit vielfältigen Verletzungen von Pferden und Menschen gegeben. Ich kann jetzt hierüber weggehen, weil ich später Gelegenheit haben werde, ganz Ähnliches zu berichten.

So schnell wie die Verfinsterung des Himmels gekommen war, so schnell war sie auch wieder gegangen. Kaum hatten wir den stracks auf seinen eigenen Beinen davongaloppierenden >Panther< verschwinden sehen, so war der Himmel wieder rein und frei, und die Sonne strahlte in der alten Weise auf uns hernieder. Die Erdstöße hatten nicht nur auf den >Panther< und seine Leute, sondern auch auf uns und unsere Stimmung gewirkt, natürlich aber in anderer Weise als bei ihm. Wir alle hatten das Gefühl, daß ein Höherer, Unsichtbarer uns zur Seite stehe, der uns durch das Beben der Erde hatte zeigen wollen, daß nur allein Verlaß auf ihn und seine Hilfe, nicht aber auf menschliche Pläne sei. Wie schnell war mein Vorhaben, den >Panther< zu ironisieren, zusammengefallen! Und wie prompt hatte der 'Mir auf seine Absicht, sich nicht zu erkennen zu geben, verzichten müssen! Nun standen wir, die wir hatten >schauspielern< wollen, da und schauten einander an. Was hatten wir erreicht?

"Effendi, ich spiele niemals wieder den 'Mir!" sagte Halef. "Ich habe meine Sache so ungeheuer schlecht gemacht, daß sogar die Erde vor Ärger unter mir zitterte! Ich bleibe Scheik der Haddedihn vom Stamme der Schammar. Wer sich für mehr ausgibt, als er ist und kann, dem schwindet der Boden unter den Füßen weg, und so etwas will ich nicht wieder erleben! Der >Panther< hat uns die Schlacht angetragen, ganz so, wie in früherer Zeit die großen Helden taten. Wir werden also später von einer >Schlacht am Dschebel Allah< erzählen können. Aber glaubst Du, daß er Wort hält?"

"Nein," antwortete ich.

"Nicht? Hast Du Gründe hierzu?"

"Sehr triftige."

"Ob Du Dich da nicht irrst? Er ist doch gezwungen, mit uns zu kämpfen. Er muß doch verdursten, wenn er kein Wasser bekommt. Und das kann er sich nur bei uns holen. Er selbst hat es gesagt."

"Grad weil er es gesagt hat, glaube ich es nicht. Es gibt Wasser, und zwar gar nicht weit von hier."

"Wo?"

(Seite 303A) "Gleich jenseits des Dschebel Allah. Alle diese Berge, die uns als kahl erscheinen, auch der Dschebel Allah, sind nur nach Süden kahl, also nach der Seite, von welcher die Einflüsse von Ardistan zerstörend wirken konnten. Das habe ich in den Büchern Marah Durimehs gelesen und auch aus ihrem eigenen Munde gehört. In den Schluchten jenseits des Dschebel Allah gibt es fließendes Wasser; nur kann es nicht hier herüber in dieses vertrocknete und verschmachtete Land. Es sollte mich wundern, wenn der >Panther< das nicht ebenso gut und noch besser wüßte als ich, der Fremde."

"Er weiß es," fiel der Basch Islami ein. "Ich selbst habe mit ihm darüber gesprochen und ihn darauf aufmerksam gemacht."

"So will er hinüber! Zunächst nur, um zu Wasser zu kommen, um sich das Leben zu retten. Sodann aber auch aus andern, sehr triftigen Gründen. Er glaubt, die Scharen des 'Mir von Dschinnistan fliehen vor ihm. Er muß ihnen nach, um sie zu strafen. Er weiß, daß die Lanzenreiter von El Hadd und Halihm bei uns sind; er glaubt also, daß ihr Land von Verteidigern entblößt sei; er meint, es mit einem schnellen Streiche in seine Gewalt bringen und besitzen zu können - "

"Richtig, sehr richtig!" stimmte der Dschirbani mir bei. "Bekommt er El Hadd, so sitzt er im warmen Neste; wir aber halten hier am kahlen Dschebel Allah und können nicht hinüber. Denn den einzigen Weg, der nach seiner Meinung hinüberführt, wird er mit Geschützen besetzen. Darum erkundigte er sich besonders und angelegentlich, ob die Lanzenreiter bei uns seien. Auch ich bin der Ansicht, daß er von der Schlacht nur gesprochen hat, um sie zu vermeiden. Kehren wir nach dem Lager zurück, und lassen wir den Schech el Beled und Abd el Fadl kommen, um mit ihnen zu beraten!"

Dieser Vorschlag wurde ausgeführt. Die beiden Genannten trafen gegen Abend ein. Als wir ihnen Bericht erstattet hatten, zeigte es sich, daß sie derselben Ansicht waren, wie der Dschirbani und ich. Wir besprachen uns auf das ausführlichste mit ihnen, und als sie dann wieder fortritten, wußte ein jeder von uns, wie er sich auf alle Fälle, sie mochten kommen, wie sie wollten, zu verhalten hatten.

Die Erdstöße hatten in mir ein ganz eigenartiges Gefühl hinterlassen. Man denke sich einen hohlen, leichten Gummiball, der auf leise bewegtem Wasser schaukelt, auf diesem Balle sitzt eine Fliege, die das Schaukeln spürt, weil sie es mitzumachen hat. Den Ball als Erde gedacht, war ich die Fliege. Ich hatte die Empfindung, als ob an jedem Augenblicke etwas unter mir umkippen und zerplatzen könne. Und, eigentümlich, meinem kleinen Hadschi erging es genau ebenso wie mir. Er kam, es mir zu beschreiben.

"Paß auf, Effendi," sagte er, "hier am Dschebel Allah geschieht etwas, wir erleben etwas! Und wenn der >Panther< sich alle mögliche Mühe gibt, uns zu überlisten und uns zu (Seite 303B) entkommen, so gibt es doch einen, den er nicht überlistet und dem er nicht entkommt. Dieser eine ist der Emir es Salsale, der nicht mit sich spotten läßt. Mag der >Panther< es mit der >Schlacht am Dschebel Allah< ernst oder hinterlistig gemeint haben, er hat es gewagt, sie anzurufen, und wird sie haben, wenn auch anders, ganz anders, als er denkt!"

Es war, als ob in diesen Worten des Hadschi etwas Prophetisches gelegen habe. Von diesem Augenblicke an spitzten sich die Ereignisse derart zu, als ob die Vorsehung, die hoch über allem menschlichen Ermessen steht, beschlossen habe: Der >Panther< hat die Schlacht herbeigerufen; er soll sie haben!

Man vergegenwärtige sich die Aufstellung der beiden Heere, die an der Grenze von El Hadd einander gegenüberlagen. Diese Grenze wurde durch einen hohen, schroffen Gebirgszug gebildet, der genau von Ost nach West verlief und, außer am Dschebel Allah, vollständig unübersteigbar war. Es gab absolut keinen anderen Paß und keinen andern Weg hinüber, als den von mir bereits beschriebenen breiten, der sich oben spaltete, und die beiden geheimen Saumpfade, die an den beiden äußeren Seiten (Seite 304A) der Dschebelgruppe hinauf- und drüben wieder hinunterstiegen und den breiten Weg zu seinen beiden Seiten weit in das Bergland hinein begleiteten, ohne von ihm aus bemerkt zu werden. Unten, am Fuße des Dschebel Allah, hatten bis heute früh die >Schwarzgepanzerten< des 'Mir von Dschinnistan gelegen, waren aber bergaufwärts zurückgewichen, als sie das Heer des >Panther< herankommen sahen. Nun jetzt, da die Sonne ihren Tagesbogen fast beendet hatte, lag dieses Heer an derselben Stelle, und zwar nicht in weit auseinander liegenden Intervallen, sondern eng zusammengedrängt, so daß schon hieraus zu schließen war, daß der >Panther< beabsichtigte, den Übergang über die Grenze zu unternehmen. Durch diese seine Richtungsschärfe nach dem breiten Passe zu gab er die Seiten des mehrere Reitstunden breiten Dschebel Allah vollständig frei, so daß es unseren beiden Flügeln leicht wurde, ihn gänzlich zu umfassen. Wir rückten nach diesen beiden Seiten zwar langsam, aber stetig und unbemerkt vor, unterließen aber im Zentrum einstweilen noch jede Bewegung, weil wir uns da beobachtet wußten. Die Mitte unserer Aufstellung war über eine gute Reitstunde von dem Feinde entfernt; unsere Vorposten lagen ihm aber selbstverständlich viel näher. Die Spitzen unserer beiden Flügel hatten den Fuß des Gebirges und die Saumpfade erreicht, auf die sie angewiesen waren. Der >Panther< war also im Süden von unserm Halbkreise und im Norden von dem Gebirgszuge derart umschlossen, daß ihm zum einstweiligen Entkommen nur die eine Lücke blieb, welche von dem Passe des Dschebel Allah gebildet wurde. Dort hatten die Lanzenreiter von El Hadd und Halihm Fühlung mit den >Schwarzgepanzerten< des 'Mir von Dschinnistan bekommen, und diese Fühlung wurde auch, während die letzteren sich vor dem >Panther< zurückzogen, derart aufrecht erhalten, daß wir von allem, was da oben geschah, durch Meldungen unterrichtet werden konnten. Auf diese Weise kam es, daß alle Bemühungen des Feindes, uns das, was er tat, zu verbergen, vereitelt wurden.

Nämlich, kurz nachdem es dunkel geworden war, wurde uns ein Bote des >Panther< zugeführt, der uns einen Zettel brachte, auf dem die Worte standen: >Aufforderung zur Schlacht am Dschebel Allah<. Und kaum war dieser Mann von den ihn begleitenden Posten fortgeführt worden, so traf von seiten unserer Lanzenreiter die Meldung ein, daß der Feind alle Veranstaltungen treffe, im Schutze der Dunkelheit den Übergang über den Paß zu bewerkstelligen; die >Schwarzgepanzerten< würden ihn nicht hindern, hinauf auf die Platte zu kommen. Ob es aber geraten sei, ihn jenseits dann hinunter zu lassen, das habe sich erst noch herauszustellen. Nach zwei Stunden stellte sich abermals ein Bote ein, der wieder einen Zettel mit genau denselben Worten brachte. Der >Panther< wußte wahrscheinlich gar nicht, wie kindisch er da handelte. Seine Gründe zu dieser Spielerei lagen klar zutage. Wir sollten erstens gar nicht auf den Gedanken kommen, daß er beabsichtige, uns zu entgehen. Er wollte zweitens durch diese seine Boten erfahren, ob er uns noch an derselben Stelle getroffen habe oder ob wir vielleicht auch in Bewegung seien. Und er freute sich schon im voraus darauf, uns, falls wir uns von ihm täuschen ließen, dann gründlich auslachen zu können.

Es kamen von zwei Stunden zu zwei Stunden noch zwei Boten mit ganz demselben Zettel. Aber ganz ebenso kamen auch weitere Meldungen von seiten der El Hadd und Halihm. Wir erfuhren, daß der Übergang begonnen hatte. Der >Panther< hatte ein ansehnliches Detachement Reiterei vorausgeschickt, um sich über die Beschaffenheit des Weges aufzuklären, und dann nach eingetroffenen guten Resultaten sogleich die Artillerie folgen lassen. Es kam ihm darauf an, zunächst sie in Sicherheit zu bringen und den Paß derart mit Geschützen zu besetzen, daß es nur einiger Schüsse bedurfte, um ein Nachdrängen von unserer Seite leicht zurückweisen zu können. Ihr folgten dann die andern Truppenteile, und zwar in solcher Eile, daß, als er uns seinen letzten Boten schickte, die Räumung seines Lagers als vollendet betrachtet werden konnte. Dieser Bote hatte nach seiner Rückkehr dem vorangegangenen Heere als letzter einzeln nachzureiten.

Das war nach europäischer Zeitrechnung zwischen zwei und drei Uhr in der Nacht. Wir lagen noch da, wo wir am Tage gelegen hatten. Es fiel uns gar nicht ein, in der Dunkelheit (Seite 304B) etwas zu unternehmen, was wir bei Tageslicht viel sicherer und besser ausführen konnten. Es gab aber auch noch einen zweiten Grund, uns vorsichtig und abwartend zu verhalten. Dieser Grund lag nicht in der kriegerischen Situation, in der wir uns befanden, sondern in der uns umgebenden Natur.

Wir hatten jetzt abnehmenden Mond, der sich dem Neumond näherte. Dieses >letzte Viertel< stand beim Beginn des Abends klar und deutlich am Himmel, und auch die Sterne waren so leicht erkennbar, daß man sie bis auf eine bestimmte Größe zählen konnte. Dies änderte sich nach und nach. Die Sterne verschwanden, oder vielmehr, sie waren noch da, aber man konnte sie nicht mehr unterscheiden; sie flossen ineinander über. Auch der Mond wurde immer unklarer und verlor die Schärfe seiner Umrisse. Diese Undeutlichkeit nahm derart zu, daß man ihn um Mitternacht nicht mehr sah, obgleich man sagen konnte, wo er stand.

Die Pferde der Tschoban begannen unruhig zu werden. Auch die Menschen wurden von einem ganz eigenartigen Gefühle der Unsicherheit ergriffen. Die Luft atmete sich ganz anders ein als vorher. Nicht etwa, daß uns das Atmen schwer geworden wäre, o nein, aber man schien mit der Luft zugleich eine seelische Beklemmung einzuatmen, die nicht wieder weichen wollte und sich von Stunde zu Stunde vergrößerte. Wir befanden uns, wie schon einmal gesagt, nun im Gebiete der Vulkane, deren Ausbrüche wir früher aus der Ferne beobachtet hatten. Während unsers ganzen Rittes vom Lande der Ussul bis hierher war allabendlich ihr Leuchten und Glühen zu sehen gewesen, bald mehr, bald weniger deutlich und infolgedessen eindrucksvoll. Alle Anhänger der alten Fluß- und Friedenssage, mit denen wir gesprochen hatten, waren der Ansicht gewesen, daß das gegenwärtige Jahr das bekannte hundertste sei, in dem das Paradies sich öffne, um seine Erzengelfrage über die ganze Erde und über die ganze Menschheit erklingen zu lassen. Oft, sehr oft hatte es uns während dieser Zeit geschienen, daß die Erde bebe, aber leise und, ich möchte sagen, versuchsweise oder zagend, daß man es gar nicht weiter beobachtet hatte. In letzter Zeit war an Stelle dieser leisen, einzelnen Versuche der schon beschriebene Zustand jenes Schwimmens, Schwingens und Schwebens getreten, bei dem man das Vorgefühl hatte, als ob irgend etwas unter den Füßen entweder kentern oder zerplatzen werde. Und am heutigen Abende wurden wir von dieser Vorahnung derart gefangen genommen, daß ich das seelische Resultat als Beengung, wenn nicht gar als Beängstigung bezeichnen möchte.

Auch heut sahen wir die Glut der Berge steigen, besonders der ferneren, im höchsten Dschinnistan. Die näheren schienen zu ruhen. Ganz ungewöhnlich verhielt sich der, welcher uns am nächsten lag, also der Dschebel Allah. Seine mittlere Kuppe, also der >Sohn<, ragte still, stumm und schwarz zum Himmel auf, als ob er tot sei, starr und erstorben, von den Gluten des Erdinnern nicht mehr zu erreichen und zu beleben. Die beiden andern Kegel aber, der >Vater< und die >Mutter<, atmeten, doch nicht voll und kräftig, sondern wie in einem Krankheitsanfalle, wie im Ersticken. Das begann mit leisem Rollen. Wenn man sich lang ausstreckte und das Ohr auf die Erde legte, konnte man es deutlicher hören. Ich hatte es erst für das Rollen der Kanonenräder gehalten, dann aber bald bemerkt, daß es mit der Bewegung der Geschütze nicht im Zusammenhange stand. Auf dieses Rollen folgte von seiten eines der beiden Kegel eine Ausatmung, welche durch die Lüfte strich wie der Angsthauch, der sich pfeifend durch die Stimmritze eines Sterbenden preßt. Das war von einem Dämmerschein begleitet, der mit diesem Pfiff dem betreffenden Krater entstieg. Das Rollen vorher wurde von Stunde zu Stunde lauter und vernehmlicher, sogar auch fühlbarer. Es war, als ob sich im Innern der Erde Kräfte gesammelt hatten, die sich befreien wollten und doch nicht konnten. Dieser Ansicht waren alle, bei denen ich mich befand. Mir speziell aber wollte es scheinen, als ob diese Kräfte nicht auf die Befreiung durch den >Vater< oder die >Mutter<, also durch den rechten oder linken Kegel, sondern durch den >Sohn<, also den mittleren Kegel, gerichtet seien. Beweisen konnte ich das freilich nicht; ich fühlte es.

Ungefähr um drei Uhr nach europäischer Zeit kam ein Reiter. Als wir ihn hörten, glaubten wir, daß es wieder ein (Seite 305A) Bote sei. Es war aber keiner, sondern der Schech el Beled selbst. Es mußte also etwas sehr Wichtiges sein, um das es sich handelte. Als er vom Pferde gestiegen war, fragte er zunächst, ob sich irgend etwas bei uns ereignet habe. Wir zeigten ihm die Zettel, die uns der >Panther< geschickt hatte. Er las sie.

"Unvorsichtiger! Lästerer!" sagte er dann. "Hat er denn noch immer nicht eingesehen, daß der Mensch beim Wort gehalten wird? Der gewöhnliche Sterbliche, der den zwölften Teil eines Dutzends oder den sechzigsten Teil eines Schockes gilt, mag sich gestatten dürfen, das, was er sagt und spricht, für unwichtig zu halten; wer es aber wagt, sich auf weithin sichtbare und weithin wirksame Punkte zu stellen, der muß sich vor allen Dingen sagen, daß ein jedes Wort, welches er spricht, in der Verantwortung vor Gott tausend Zentner wiegt und so lange vor den Füßen des Richters liegen bleibt, bis es durch seine innere Wahrheit, also durch die Tat, eingelöst worden ist. Auch der >Panther< wird das Gewicht seiner Worte fühlen. Was er in Worten verspricht, hat er in Taten zu bezahlen. Hat er uns die >Schlacht am Dschebel Allah< versprochen, so wird er sie uns liefern, unbedingt! Uns oder dem, für den wir alle kämpfen und gegen den er sich empört! Das ist ja auch der Grund, weshalb ich zu Euch komme, jetzt, in dieser entsetzlichen, großen, wahrheitsvollen Nacht. Ich will bei Euch sein. Meine Reiter sind solche Nächte und solche Wahrheiten gewöhnt. Euch aber schaudert, wenn der Ewige an die Stelle des Sterblichen tritt und die Gesetze des Himmels gelten, weil die Gesetze der Erde nicht ausreichen, Gerechtigkeit zu schaffen."

"Was willst Du sagen?" fragte der 'Mir. "Du deutest Ungewöhnliches an!"

"Ich will sagen, daß der Dschebel Allah das Werk vollenden wird, welches der >Panther< begonnen hat."

"Welches Werk? Und wann?"

"Jetzt? Heut nacht! Sobald der Morgen beginnt. Der >Panther< hat es gesagt."

"Noch verstehe ich Dich nicht!"

"Es steht ein Ausbruch des Dschebel Allah bevor. Schaut hinauf zu ihm und hört, wie es unter Euren Füßen arbeitet! Euch ist das fremd; ich aber kenne es. Ich kenne jeden dieser wundersamen Berge, nicht nur nach seinem Namen, sondern auch nach seinem Charakter, seinem Naturell und seinem Temperament. Ich kenne vor allen Dingen auch den Dschebel Allah. Der >Vater< atmet, und die >Mutter< atmet, wenn auch schwer, aber sie atmen doch. Von ihnen ist nichts zu fürchten. Doch seht den >Sohn

Er hob den Arm und deutete zu den Höhen hinauf, von denen er sprach. In der Erde klirrte und rollte es, als ob eherne Sichelwagen, unter uns hinratternd, ihre metallenen Waffen aneinander wetzten; ein scharfer Wind pfiff plötzlich um uns her, und im nächsten Augenblick stieg aus dem Krater sowohl des >Vaters< als auch der >Mutter< eine glühende Garbe auf, und dabei erklangen Töne, wie wenn Milliarden von Feilen über Stahl und Eisen strichen. Der Schech el Beled stand vor uns, im wehenden Mantel und flatternden Schleier, den Arm nach dem Berge gehoben, im Lichte der flammenden Krater uns wie ein Wesen erscheinend, von dem man nicht weiß, ob es noch irdisch oder schon überirdisch ist. Sein Gesicht war verhüllt; wir konnten es nicht sehen; aber aus seiner Stimme klang der tiefe, heilige Ernst, der in ihm wohnte und auch uns ergriff.

"Habt Ihr es gesehen und gehört?" fragte er. "Fühlt Ihr den Wind, den kalten, den es mit unwiderstehlicher Gewalt (Seite 305B) hinauf zur Wärme reißt? So zeigt uns Gott in seiner gewaltig predigenden Natur die Vorbilder dessen, was im Leben und in den Seelen der Völker und der Einzelmenschen zu geschehen hat, wenn die Ratschlüsse des Himmels in Erfüllung gehen sollen! Ich kenne den >Sohn< und seine Weise. Schon beginnt die Kraft unter seinem Fuße zu wirken. Bald kommt ein Augenblick, an dem alle Kuppen, die jetzt glühen, wie mit einem einzigen Hauche ausgeblasen werden. Das ist seine Zeit! Dann beginnt er allein! Er, der Segensreiche, der die Wasser von Dschinnistan unter seinem Throne sammelt, um sie tief unter der Erde zu den Engeln der >Stadt der Toten< und des Engpasses von Chatar zu leiten."

"Von hier aus kam das Wasser, welches uns rettete?" fragte ich.

"Ja, von hier aus, vom Dschebel Allah aus," antwortete er.

"Und Du bist überzeugt, daß wir einen Ausbruch dieses Berges zu erwarten haben?"

"Ja."

"Heut? Jetzt?"

"Vielleicht schon in wenigen Minuten."

Da rief Halef erschrocken aus:

"So ist der >Panther< mit seinem ganzen Heere verloren! Allah sei ihm und ihnen gnädig und uns auch! Wir müssen hin, sie zu retten!"

"Ja, wir müssen retten, müssen wenigstens warnen!" stimmte ich bei. "Unsere beiden Pferde sind die schnellsten. Wir werden sofort miteinander - - -"

"Halt! Keine Torheit!" unterbrach mich der Schech el Beled, und der Dschirbani hielt den Hadschi fest, der schon forteilen wollte, ohne erst noch auf mich zu warten. "Es ist bereits zu spät. Ihr würdet nur in Euer eigenes Verderben jagen. Fühlt Ihr es? Kein Mensch kann jetzt mehr nach jenem Berge reiten!"

Die Erde zitterte unter uns. Dennoch rief Halef:

"Ich reite aber trotzdem! Sihdi, hilf mir! Ich will los. Ich will fort!"

Er rang mit dem Dschirbani, der ihn mit seiner Riesenkraft festhielt.

"Laß ihn los!" bat ich diesen. "Wir müssen fort; wir müssen hinauf, um zu warnen! Es ist Menschenpflicht!"

"Menschenpflicht?" fragte er. "Ssahib, ich achte Dich, und ich liebe Dich, hier aber muß ich Dir widersprechen, hier bist Du schwach und kurzsichtig. Wenn Gott das Gericht in seine eigenen Hände nimmt, ist es da wirklich Menschenpflicht, ihm zu widerstehen und den Schuldigen zu retten?"

"Sie sind nicht alle schuldig, denen jetzt das Verderben droht," warf ich ein.

"Alle sind schuldig, alle!" behauptete er. "Denke an die >Stadt der TotenPanther< dem sicheren Tode entgegengehen, so tut es; ich aber bleibe hier!"

Er gab Halef frei und trat an die Seite des Schech el Beled. Dieser drückte ihm die Hand, zog ihn näher zu sich heran und rief:

"So war es recht! So höre ich Dich gern, grad Dich! Nie soll die Menschenliebe zur Herzensschwäche werden. Je edler der Mensch denkt, desto unerbittlicher sei er gegen alles Schädliche und Gemeine. Paßt auf, paßt auf! Es naht! Schon beginnen die höchsten Kuppen zu verlöschen!"

Er ließ die Hand des Dschirbani, die er ergriffen hatte, nicht wieder los. Sie standen nebeneinander, vollständig gleich gekleidet, denn wir hatten die Gewänder der Lanzenreiter von El Hadd im Drange der Umstände noch nicht wieder abgelegt. Der Schech el Beled war etwas weniger hoch und etwas weniger breit als die Gestalt des Dschirbani, und doch wollte es scheinen, als ob diese beiden nicht nur in Beziehung auf Ihre Meinungen, sondern auch körperlich zusammengehörten. Ich hatte keine Zeit, diesen Gedanken weiter auszuspinnen, und ich hatte auch gar keine Zeit, mit Halef meine Absicht, die Feinde zu warnen, auszuführen, denn es zeigte sich jetzt, daß der Schech el Beled ganz richtig gesagt hatte, daß es zu spät, viel zu spät dazu sei. Die Stimme des Herzens mußte schweigen, weil andere Stimmen (Seite 306A) zu sprechen begannen, und zwar Stimmen, gegen welche unsere schwachen Menschen- und Herzensstimmen unmöglich aufkommen können.

Die Säulen, Kuppen und Zinnen des Nordens hatten bisher ununterbrochen geglüht; jetzt verlöschten sie, eine nach der andern. Es wurde dunkel da oben. Der Wind, welcher sich vorhin erhoben hatte, war wieder eingeschlafen. Tiefe, unheimliche Stille herrschte ringsumher.

"Sind die Tschoban ihrer Pferde sicher?" fragte der Schech el Beled.

"Ja," antwortete der 'Mir. "Ich habe strenge Weisungen erteilt, die man befolgen wird. Horcht! Was war das?"

Es war in der Ferne ein Schuß gefallen.

"Eine Kanone!" rief der Dschirbani, halb fragend, halb erstaunt.

Wieder hörten wir einen Schuß, noch einen und noch einen. Da wendete sich der Schech el Beled, der aufmerksam in die Nacht hinausgehorcht hatte, mit den Worten zu uns:

"Ja, es sind Kanonen! Die Triumphschüsse des >PantherSchwarzgewappneter< des 'Mir von Dschinnistan meinen Vorposten überbrachte. Nämlich als der reitende Vortrab des >Panther< den Berg erstieg, um der nachfolgenden Artillerie den Weg zu bereiten, wichen die Schwarzen nur langsam zurück, um so viel wie möglich zu sehen und zu hören. Diese Absicht gelang ihnen gut. Sie erlauschten viele laute Zurufe, auch Reden und kurze Gespräche. So hörte man auch, daß der >Panther< den Befehl erteilt hatte, sobald der Rückzug gelungen ist, dreimal zehn Kanonenschüsse abzugeben."

"Zu welchem Zweck?" fragte der 'Mir.

"Wahrscheinlich uns zu verhöhnen," antwortete Halef.

"Oder um uns glauben zu machen, daß er noch unten sei und die Schlacht beginne. Also, um uns zu verwirren," meinte der Dschirbani.

"Das ist das Richtige," stimmte der Schech el Beled bei. "Dieser Augenblick fällt in die Zeit des Morgengrauens, für welche der Anfang des Kampfes vorausgesagt und vereinbart worden ist. Und die, welche belauscht wurden, haben es deutlich gesagt und sich darüber lustig gemacht, daß wir uns durch diese Schüsse täuschen lassen und denken werden, die Schlacht habe begonnen. Wir sollen Dummheiten machen und uns dann schämen und ärgern. Tor, dieser Mensch! Dreimal zehnmal Tor! Es gibt weder hier unten noch dort oben einen, der sich von ihm irre machen läßt; das wird er bald erfahren! Seien wir jetzt still, bis die dreißig Schüsse gefallen sind! Ich glaube nicht, daß dann wir zu antworten brauchen!"

Während wir nun warteten, wurde es da oben gegen Dschinnistan vollständig finster. Über uns hatte der Himmel eine bleierne Farbe gehabt. Das sah so schwer, so lastend aus, als ob er zusammenbrechen wolle. Nun aber wurde er dunkel und immer dunkler. Bald wurde dieses Dunkel so dicht, daß man es nur noch als Schwärze bezeichnen konnte. Ich hielt mir die Hand in einem Abstand von vielleicht zwanzig Zentimetern vor die Augen und konnte sie nicht sehen. Das war unnatürlich. Mein und Halefs Pferd wieherten leise. Sie baten uns dadurch, sie doch zu uns zu lassen. Wir erfüllten ihren Wunsch und holten sie. Da legten sie sich bei uns nieder und blieben in der nächstfolgenden, schrecklichen Stunde im Vertrauen auf ihre Herren so ruhig liegen, daß es nur eines freundlichen Wortes oder Streichelns bedurfte, sie zu beschwichtigen, wenn die Angst sie erfassen wollte.

Kaum hatten wir diese unsere köstlichen, unersetzlichen Tiere bei uns in Sicherheit, so brach die Katastrophe los. Mit andern Worten: Die vermessene, mehrmalige >Aufforderung zur Schlacht am Dschebel Allah< trat in das Stadium ihrer Konsequenzen. Ein dröhnendes Rollen kam aus der Ferne, nicht schnell, sondern langsam, wie das Nahen eines sichern, wohlüberlegten Schicksals. Es ging unter uns hindurch. Es war, als ob eine meilenlange Riesenschildkröte unter unsern Füßen hindurchkröche. Sie hob uns, als sie uns erreichte empor, schob ihren unerbittlich harten Leib immer weiter und ließ uns hinter sich dann wieder fallen. Ich fühlte das sehr deutlich, denn ich hatte mich, als diese vernichtende (Seite 306B) Erdwelle kam, schnell neben meinen Syrr niedergelegt, um ihm das Gefühl zu geben, daß er nichts zu befürchten habe. Halef tat dasselbe mit seinem Assil Ben Rih. Der 'Mir und der Basch Islami fielen nieder. Der Schech el Beled aber stand aufrecht, die Hand des Dschirbani noch immer haltend, und rief:

"Hört Ihr die Schüsse noch? Nein! Sie haben plötzlich aufgehört, obgleich es noch nicht volle dreißig waren. Wenn der spricht, dessen Stimme wir nun hören werden, hat jeder andere zu schweigen. Dieser eine erste Stoß hat genügt, die Artillerie des >Panther< zu vernichten, vielleicht sein ganzes Heer. Hört Ihr es krachen und stürzen?"

Wir vernahmen trotz der weiten Entfernung, in der wir uns befanden, das Getöse sich loslösender, niederschmetternder und zerberstender Felsenstücke. Hierauf war es, als ob Tausende von Tier- und Menschenstimmen sich zu einem einzigen, großen, entsetzlichen Todesschrei vereinigten, der geradeauf zum Himmel stieg und uns also nur mit seinen äußersten Schwingungen berührte.

"Schrecklich, schrecklich!" rief der 'Mir. "Sie sind tot, alle tot! Sie sind - - -"

Was er weiter sagen wollte, wurde von einem Schuß, einem Krach verschlungen, der so stark war, daß es schien, als ob er mir mein Innenohr vollständig zerrissen, zerstört und vernichtet habe. Ich konnte für einige Minuten nicht mehr hören. Ich sah, daß der Schech el Beled nach dem Berge deutete und etwas sagte, verstand es aber nicht. Dieser Schuß war aus dem Krater des >Sohnes< gekommen; er hatte das Innere desselben geöffnet. Aber die Trümmer, die es da gab, flogen nicht nach außen, sondern stürzten und rollten nach innen. Man fühlte das. Hierauf war es, als ob jene Riesenschildkröte sich umgewendet habe und zurückkehre. Sie näherte sich uns wieder und kroch abermals unter uns hindurch, nur in entgegengesetzter Richtung, nämlich nach dem Berge zu. Was sie vorhin nicht zermahlen und zermalmt hatte, daß mußte nun jetzt verloren sein; das war gewiß. Es folgte ein Schlag, als ob eine Gigantenfaust gegen das Innere der Erdrinde schmettere, so daß alles, was sich auf ihr befand, haltlos in sich zusammensinken müsse, und im nächsten Augenblicke stieg etwas - - nicht etwa Furchtbares und Entsetzliches, o nein, sondern etwas so unbeschreiblich Schönes aus dem Krater des >Sohnes< empor, daß keine Sprache der Menschen die Worte besitzt, welche nötig wären, es zu schildern.

Das kam so schnell und so plötzlich, daß es vor unseren Augen stand, ohne daß wir es hatten erscheinen und sich entwickeln sehen. Es glich einem hellen, tadellos geschliffenen Kelchglase, mit perlendem Champagner gefüllt, der oben überläuft. Dieses Glas hatte unten einen Durchmesser von vielleicht nur zwanzig, oben aber einen solchen von gewiß hundert Metern und zeigte eine Höhe, die gar nicht abzuschätzen war. Der Champagner, der in diesem kristallenen Gefäße nach oben schäumte, war unten hell goldig, sodann hell silbern, hierauf sehr hellgrün und ganz oben unendlich fein blau gefärbt. Diese verschiedenen Farben hatten einen metallischen Glanz. Sie waren nicht scharf voneinander geschieden, sondern sie gingen allmählich ineinander über und schienen einander so verwandt, daß das Gold zuweilen bis ganz nach oben und das Blau zuweilen bis ganz nach unten zuckte. Der überfließende Schaum hatte die Farbe der Pfirsichblüte, durch eilt von goldsilbernen Blitzen und Funken. Man denke sich die auf uns liegende Nacht, deren absolute Dunkelheit ich als >Schwärze< bezeichnet habe, und mitten in dieser Finsternis die, fast möchte ich sagen überirdische Erscheinung dieser Kelchfontäne, die alle Eigenschaften und Effekte des Wunderbaren in sich vereinigte! Der Schaum, der sie krönte, lief nicht über. Er floß nicht an ihr herab. Man sah, daß er sich verflüchtigte. Die Blitze und Funken trugen ihn nach allen Seiten in die Nacht hinaus, sogar auch her zu uns. Wir fühlten ihn. Er war warm. Er senkte sich wie ein unendlich feiner und unendlich leiser Regen auf uns nieder. Er hüllte uns in einen Schleier, der sich nach und nach verdichtete, bis er uns den Anblick seines Ursprunges mehr und mehr verhüllte und schließlich ganz entzog. Die Erscheinung, die irdisch herrlichste, die ich je gesehen habe, verschwand, ohne vor unsern Augen zerstört worden zu sein und aufgehört zu haben.

(Seite 307A) "Wasser, Wasser spendet er, der >Sohn<, das kostbare, lang ersehnte Wasser!" rief der Schech el Beled. "Und was er uns gibt, das nimmt er uns nicht wieder. Wir dürfen es behalten!"

Ich hörte diese Worte; ich war also, Gott sei Dank, nicht taub geworden! Der Schech fuhr fort:

"Für uns wird es zum Segen sein; dem Feinde aber brachte es Verderben. Hier ist es warm; bei ihm aber war es heiß, brennend heiß. Wer möchte an seiner Stelle sein und mit ihm - - -"

Er wurde von einem Donnerschlag unterbrochen, von einem wirklichen Donnerschlag, der nicht etwa ein unterirdisches Rollen war. Blitze zuckten. Neue Donnerschläge folgten. Der feuchte Schleier, der uns verhüllte, verdichtete seine Bestandteile zu fallenden Tropfen. Es begann zu regnen; aber es hörte nicht auf zu donnern und zu blitzen. Es gab ein Gewitter. Man denke, ein Gewitter, hier, wo es seit vielen Jahrhunderten nie geregnet hatte! Das war etwas hier so Seltenes, daß es die Pferde mehr erschreckte, als sie vorher von dem Erdbeben geängstigt worden waren. Wir hörten, daß sie hinter uns im Lager laut wurden und daß man sich dort Mühe gab, sie zu beruhigen. Bei mehreren aber gelang dies nicht. Sie gingen durch. Sie flüchteten sich nach unserer Richtung. Sie rannten auf uns zu und an uns vorüber. Eines von ihnen schoß sogar zwischen uns hindurch. Es wieherte und schnaubte nicht etwa, sondern es brüllte, heulte und zeterte wenigstens ebenso laut, wie der Donner rollte, und riß, indem es quer durch unsere Linie stürmte, den 'Mir und den Basch Islami über den Haufen.


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