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6.

Der Kys-Kaptschiji.


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1.

Wir kamen von Serdascht und ritten am rechten Ufer des kleinen Zab hin, den wir später verlassen wollten, um Arbil, das von Alexander dem Großen her berühmte Arbela, zu erreichen. Wenn ich sage »wir«, so meine ich damit nur zwei Personen, nämlich mich selbst und meinen kleinen tapfern Hadschi Halef Omar, der früher mein Diener und Reisebegleiter gewesen war, jetzt aber, seit er den Rang eines Scheikes aller Haddedihnaraber einnahm, nicht mehr in einem untergeordneten Verhältnisse zu mir stand und mich nur aus treuer Anhänglichkeit, nicht aber für Lohn begleitete. Die Leser meiner Erzählungen werden das liebe, wackere Männchen gewiß noch kennen. Wir wollten in Arbil einige Tage ausruhen und dann über den Tigris setzen, um auf den Weiden der Dschesireh seinen Stamm aufzusuchen.

Wir waren nur zwei Tage in Serdascht gewesen und hatten den Ort in sehr großer Aufregung gefunden. Schon im letzten Frühjahre waren drei Mädchen von dort spurlos verschwunden gewesen; man hatte erfahren, daß auch an andern Orten plötzlich welche vermißt worden seien, und da die betreffenden die schönsten ihrer Gespielinnen gewesen waren, so mußte man annehmen, daß ihre Schönheit ihnen verhängnisvoll geworden sei und


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es sich nicht um ein zufälliges Verschwinden, sondern um einen Raub handle. Man sprach von einem Kys-Kaptschiji (* Mädchenräuber.) der im Lande herumziehe, um für vornehme Harems hübsche, junge Mädchen zusammenzustehlen, und gab sich alle Mühe, eine Spur von ihm oder seinen Opfern zu entdecken, doch vergeblich. Das war nicht bloß verbotener Handel mit Sklavinnen, sondern Frauenraub, ein Verbrechen, welches mit dem Tode bestraft wird. Der Räuber mußte ein außerordentlich verwegener und ebenso listiger und verschlagener Mensch sein und zahlreiche Helfershelfer zur Seite haben, da es einem einzelnen unmöglich war, sich einer ganzen Anzahl von Mädchen zu bemächtigen und den gefährlichen und mühsamen Transport derselben durchzuführen.

Sein verbrecherisches Geschäft war jedenfalls ein sehr einträgliches, denn seit dem Verbote des Handels mit Sklavinnen war der Preis derselben außerordentlich in die Höhe gegangen und die Nachfrage größer als das Angebot geworden. Gefragt nämlich war die Menschenware trotz des strengen Verbotes, und weil die betreffenden Beamten ihren Bedarf selber heimlich und auf ungesetzlichem Wege deckten, fiel es ihnen nicht ein, die Händler zu verfolgen oder gar zu bestrafen.

Nun waren zwei Tage vor unserm Eintreffen in Serdascht wieder drei Mädchen vollständig spurlos verschwunden und alles Forschen nach ihnen hatte nicht das geringste Resultat ergeben. Wir beiden ahnungslosen und unschuldigen Menschen wurden sofort bei unserer Ankunft überfallen und in das Sindan (* Gefängnis.) geschafft, und wenn ich nicht so vortreffliche Legitimationen besessen hätte, wäre es uns wohl nicht möglich gewesen, den Staub dieses Ortes so bald von unsern Füßen zu schütteln.


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Mein guter Halef war empört über den Verdacht, mit dem man mich und ihn gekränkt hatte; er konnte unsere Verhaftung gar nicht vergessen, fing immer wieder an, von ihr zu sprechen, und sagte auch jetzt, als wir so nebeneinander dahinritten:

»Du bist so still, Sihdi (* Herr.). Gewiß denkst du an das, was wir in Serdascht erleben mußten, und dein Zorn darüber ist so groß, daß er keine Worte findet. Ich aber muß reden, sonst bekommt meine Seele einen Riß, und mein Körper zerplatzt vor Wut. Wir sollen Frauenräuber sein? Ist nicht Hanneh, mein Weib, die allerschönste der Blumen unter den Gemahlinnen? Kann ich eine bessere finden? Werde ich mir ein Weib stehlen, welches ich gar nicht brauche, eine Gattin, die mir vollständig überflüssig ist? Ich, der berühmte Hadschi Halef Omar, der erste und oberste Scheik der Haddedihn, ein Spitzbube, ein Mädchenräuber! Und du, dessen Seele noch unverheiratet ist, dessen Herz keine Ehe kennt und dessen Verstand lebenslänglich ohne Weib bleiben will, du bist auch mit in das Gefängnis gesteckt worden! Maschallah! Es ist wirklich ein Wunder Gottes, daß wir dieses Serdascht nicht so zugerichtet haben, daß kein Stein mehr auf dem andern liegt! Wir haben den Löwen erlegt und den schwarzen Panther erschossen; wir haben mit Hunderten von Feinden gekämpft und sind stets Sieger geblieben. Wir kennen alle Wissenschaften und Vorteile; in uns beiden wohnen die Begriffe sämtlicher Gelehrsamkeiten; die größten Helden haben uns um Verzeihung gebeten, und die höchsten Beamten der Herrscher uns um unsere Freundschaft ersucht, - und kaum sind wir in diese Stadt der Dummheit, in diesen Aufenthalt der gehirnlosen Köpfe eingeritten, so werden wir nach


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dem Sindan gebracht! Ich hätte mich bis zum letzten Tropfen meines Blutes dagegen gewehrt; da aber du es für klug hieltest, ruhig zu bleiben, so habe ich mich bemeistert und die Flut meines Zornes nicht überfließen lassen; doch Allah mag dieses Serdascht aus dem Lande der Lebenden streichen und den Bewohnern allen die Schnurr- und auch die Backenbärte verbrennen lassen, daß jeder, der einen solchen Serdaschti erblickt, ihm zuruft: >Di'eb 'alehk - Schande über dich!< Habe ich nicht recht, Sihdi?«

Halef besaß ein außerordentlich empfindliches Ehrgefühl; er hielt mich für den vortrefflichsten von allen Erdenbewohnern und glaubte im stillen, daß er wenigstens ebenso vortrefflich sei wie ich; daher sein Grimm über das uns zugefügte Ungemach. Hätte ich ihm widersprochen, so wäre mir eine schier endlose Ermahnung aus seinem beredten Munde geworden; darum antwortete ich:

»Ja, du hast recht, mein lieber Hadschi (* Ehrentitel für jeden Mohammedaner, der in Mekka oder Medina gewesen ist.), aber du bist doch ein Anhänger des Glaubens, daß alles, was dem Menschen widerfährt, im Buche des Lebens vorausbestimmt sei; wir konnten also der Arretierung nicht entgehen; sie war uns bestimmt und so handeln wir nur nach deinem Glauben, wenn wir das, was nicht zu ändern war, nun unbesprochen hinter uns liegen lassen.«

»Dein Wort ist wahr, Sihdi, und darum soll meine Zunge dieses Serdascht nicht mehr berühren. Mein Pferd scheint zu dürsten, und die Sonne brennt heiß. Wollen wir nicht Halt machen, um die Stunde des Mittags vorübergehen und unsere Tiere trinken zu lassen?«

»Ich bin einverstanden. Während der Ruhe können


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wir versuchen, für das heutige Abendmahl einige Fische zu fangen, denn ich glaube nicht, daß uns heute eine Ghazahl (* Gazelle.) vor die Gewehre kommt.«

Wir fanden bald eine schattige, für unsern Zweck passende Uferstelle und stiegen ab. Halef schnitt eine lange Rute aus dem Gebüsch, befestigte seine Ssunnara (* Angel.) daran und gab sich dem von ihm leidenschaftlich betriebenen Fischfange hin, bei welchem er heute Glück hatte; denn er brachte es in kurzer Zeit zu einem Vorrate, welcher mehr als ausreichend für heute abend war.

Während wir die ausgenommenen Fische der Hitze wegen in saftige Wildkürbisblätter einschlugen, hörten wir Hufschritte, welche am Flusse aufwärts kamen, und gleich darauf bog ein Reiter, welcher ein Packpferd bei sich führte, um das vorstehende Gesträuch. Er hatte jedenfalls nicht erwartet, in dieser einsamen Gegend auf Menschen zu treffen, und schien über unsern Anblick nicht bloß betroffen, sondern sogar erschrocken zu sein. Er faßte sich aber rasch, hob die rechte Hand bis zur Höhe der Brust und grüßte:

»Sabahüniz hajr ola - guten Tag, meine Herren! Allah schenke euch Ruhe und neue Kräfte der Glieder.«

Wir erwiderten seinen Gruß in türkischer Sprache, deren er sich bedient hatte. Er musterte uns mit scharf forschendem Blicke und fuhr dann fort:

»Mein Herz ist über euern Anblick erfreut. Wie heißt der Ort, von welchem ihr kommt?«

»Serdascht,« antwortete ich.

»Und wo wollt ihr hin?«

»Nach Arbil.«

»Das ist ein weiter Weg, und ihr thut wohl, euch auszuruhen. Ich will nach Serdascht, woher ihr kommt,


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und meine Pferde sind ermüdet. Würdet ihr mir erlauben, hier bei euch abzusteigen?«

»Jeder gute Mensch ist uns willkommen.«

»So will ich hoffen, daß ihr mich nicht für einen schlechten haltet.«

Er stieg vom Pferde und setzte sich zu uns. Ich hatte ihm auf seine Frage absichtlich die letztere Antwort erteilt, denn er gefiel mir nicht. Er war ein langer, hagerer, aber starkknochiger Mann, der sich wie lauschend vornübergebeugt hielt. Er trug als Kopfbedeckung nur einen Fez, welcher so weit zurückgeschoben war, daß man die schmale, sehr niedrige Stirn vollständig sehen konnte. Ein sehr dünner, fast ruppiger Bart hing über seine blutleeren Lippen herab; darüber ragte eine starkgebogene, breitflügelige Habichtsnase, zu deren beiden Seiten zwei kleine, listige Augen unter den weit und vorsichtig herabfallenden Lidern nur halb zu sehen waren. Die stark entwickelten Kauwerkzeuge und das breit vortretende Kinn ließen auf Egoismus, Rücksichtslosigkeit und überwiegend tierische Affekte schließen, während die obere Hälfte des Gesichtes eine bedeutende, absichtlich verborgene Verschlagenheit verriet. Wenn dieser Mann nicht ein Armenier war, so gab es überhaupt keine Armenier!

Ein Jude überlistet zehn Christen; ein Yankee betrügt fünfzig Juden; ein Armenier aber ist hundert Yankees über: so sagt man, und ich habe gefunden, daß dies zwar übertrieben ausgedrückt ist, aber doch auf Wahrheit beruht. Man bereise den Orient mit offenen Augen, so wird man mir recht geben. Wo irgend eine Heimtücke, eine Verräterei geplant wird, da ist sicher die Habichtsnase eines Armeniers im Spiele. Wenn selbst der gewissenlose Grieche sich weigert, eine Schurkerei auszuführen, es findet sich ohne allen Zweifel ein Armenier,


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welcher bereit ist, den Sündenlohn zu verdienen. Sind die sogenannten Levantiner überhaupt und im allgemeinen berüchtigt, so ist unter ihnen der Armenier derjenige, der sie alle übertrifft.

Damit soll nicht etwa gesagt sein, daß dieses Urteil für jeden Armenier gelte, o nein! Ich habe ja selbst so manchen Armeni als einen braven, ehrlichen und zuverlässigen Menschen kennen gelernt. Aber wer die Verhältnisse kennt, der weiß, daß sich unter zehn Personen, die gegen Bezahlung für alles zu haben sind, wenigstens sechs oder sieben Armenier befinden. Das Betrübendste dabei ist, daß die Armenier Christen sind. Es ist mir nicht nur einmal oder mehrere Male vorgekommen, sondern sogar sehr oft, daß Mohammedaner mich nur deshalb als Christen verachten zu müssen glaubten, weil sie mit armenischen Schismatikern schlimme Erfahrungen gemacht hatten. Und hier berühre ich einen wichtigen Punkt, indem ich mit Absicht das Wort Schismatiker gebrauche, denn gerade diese sind es, auf welche ich mein Urteil angewendet wissen möchte. -

Ich habe überhaupt keine Vorliebe für den armenischen Typus, und da der Ankömmling dieses Gepräge im Superlativ besaß, fühlte ich wenig Lust, mich mit ihm in Auseinandersetzungen über uns und unsere Verhältnisse und Absichten einzulassen. Dem gesprächigen Halef aber war es unmöglich, bei jemandem zu sitzen, ohne mit ihm zu sprechen; er sah, daß uns der Fremde noch immer forschend anblickte; das mochte ihn ärgern, darum sagte er:

»Du betrachtest uns, wie ein Vogel die Würmer betrachtet, die er fressen will. Dieser mein Sihdi hier ist der berühmte Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi, der alles kann, was er will, und sich vor keinem Löwen fürchtet; er ist der Stärkste unter den Starken, der Klügste


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unter den Klugen und hat noch keinen Gegner gesehen, der ihn zu besiegen vermochte. Ich bin der Scheik der Haddedihn, und mein Name ist Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Wenn du von meinen Thaten hören willst, so gehe an die Lagerfeuer und in die Zelte aller Araber und Kurden; da wirst du erfahren, wen du vor dir hast!«

Der Orientale spricht gern blumenreich und in überschwenglichen Ausdrücken. Halef pflegte sich besonders dann gern dieser Redeweise zu bedienen, wenn von mir und ihm die Rede war. Der andere ließ ein ironisches Lächeln sehen und antwortete:

»Allah 'l Allah! Welche große Ehre ist es für mich, daß ich die Nähe so herrlicher Männer genießen darf! Ich bin ganz entzückt davon, in euerm Schatten sitzen zu können.«

»So öffne deinen Mund und sage uns, wer du bist und woher du kommst! Du hast unsere Namen gehört, und die Höflichkeit erfordert, nicht zu zögern, uns auch mit dem deinigen bekannt zu machen.«

»Ich komme von Diarbekr herüber und bin ein Bazirgan (* Handelsmann.) Namens Dawuhd Soliman (* David Solomo).«

»Ein Moslem?«

»Nein, sondern ein armenischer Christ; aber ich gestehe dir offen, daß mir eure Religion, der Islam, lieber ist als die meinige.«

»Pfui!« rief ich da aus. »Nur ein Halunke kann solche Worte sprechen! Mach dich fort von uns! Ich bin auch Christ und mag von dir nichts wissen.«

»Himmel, auch ein Christ!« antwortete er erschrocken.


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»Verzeihe mir, Effendi! Wir armen Händler werden unsers Glaubens wegen so oft angefochten, daß wir häufig gezwungen sind, ihn zu verleugnen.«

»Du hast das Christentum nicht nur verleugnet, sondern es unter den Islam gestellt. Beides darf ein Christ selbst in der größten Todesgefahr nicht thun. Ich verachte dich!«

»Du wirst mich nicht verachten, wenn du siehst, was ich dir verkaufen kann. Warte nur einen kleinen Augenblick!«

Handelsmann. David Salomo.

Er stand auf, ging zum Packpferde und kam mit einem Kistchen zurück, welches er öffnete, indem er sich wieder niedersetzte. Es enthielt viele winzig kleine Fläschchen; er hielt mir eines hin und forderte mich auf-

»Betrachte dies Fläschchen und errate, was es enthält! Du wirst bereit sein, mir Geld, sehr viel Geld dafür zu geben.«

Ich hatte kein einziges Wort mehr mit ihm wechseln wollen und war überzeugt, daß mit den Fläschchen irgend ein Schwindel verbunden sei; aber es war doch von Interesse, diesem Schwindel auf die Spur zu kommen. Darum nahm ich es. Es enthielt eine ölige Flüssigkeit; auf der geschriebenen Etikette standen die Worte »Iagh kuds« (* Heiliges Oel = Salböl.); der Stöpsel war zugesiegelt. Das Siegel zeigte in Neskhi-, also arabischer Schrift, doch so klein, daß ich es kaum lesen konnte, den Namen Musa (* Moses.) Wardan. Sofort flog mein Blick zu seinen Händen. Er trug an der rechten einen Siegelring, dessen Platte genau die Größe und Gestalt des Siegels auf dem Fläschchen hatte. Die Gravierung konnte ich natürlich nicht erkennen.

»Nun, was ist's?« fragte er.


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»Oel.«

»Aber was für welches?«

»Ganz gewöhnliches.«

»Du irrst. Es ist das heilige Salböl, vom heiligen Katholikos in Etschmiadzin am Berge Ararat eigenhändig bereitet und eingepackt und versiegelt.«

»Von ihm selbst?«

»Ja, sogar mit seinem eigenen Petschaft und Namenszug.«

»Das verkaufst du?«

»Ja. Ich bin sein Liebling und Abgesandter und der allereinzige, dem er erlaubt hat, es zu verkaufen.«

»Kann ich ein Fläschchen haben?«

»Ja.«

»Zu welchem Preise?«

»Es führt jeden Toten, der damit gesalbt wird, sofort in den Himmel und ist darum sehr teuer. Das Fläschchen kostet eigentlich zweihundert Piaster; ich will es dir aber für hundertfünfzig lassen.«

Das waren ungefähr achtundzwanzig Mark für ein bißchen profanes Oel, welches kaum einen Pfennig kostete. Ich gab es ihm mit den Worten zurück.

»Da nimm es wieder! Ich mag es nicht.«

»Warum? Ist es dir zu teuer? Was bietest du?«

»Nichts, gar nichts.«

»Nichts? Gott! Für ein Oel, welches den damit Gesalbten direkt in den Himmel führt!«

»Doch nicht etwa dieses Oel?«

»Natürlich dieses!«

»Schwindel!«

»Das wagst du zu behaupten?«

»Ja. Ich war viermal in Etschmiadzin und habe während meines Aufenthaltes dort in dem Dorfe Wag-


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harschabad [Wagharschabad] gewohnt. Ich kenne den Namen des Katholikos; mich betrügst du nicht.«

»Das ist doch sein Name hier auf dem Siegel.«

»Du scheinst anzunehmen, daß ich nicht lesen oder die Schrift nicht erkennen kann, Der Name auf dem Fläschchen heißt Musa Wardan und scheint der deinige zu sein.«

»Bist du toll? Der meinige?«

»Ja, zeig her!«

Ich faßte seine Hand, zog sie nahe zu mir heran, warf einen Blick auf den Ring und fügte dann hinzu:

»Dieser Ring gehört dir?«

»Ja.«

»Er trägt denselben Namen. Du bist ein Schwindler und Betrüger, und ich habe nichts mit dir zu schaffen.«

»Effendi, geh ja nicht zu weit!« rief er drohend, indem er mit der Hand nach dem Gürtel fuhr. »Ihr habt euch als berühmte und tapfere Leute gebrüstet; ich fürchte euch aber nicht!«

»Pah! Laß dein Messer stecken, sonst schlage ich dir deine Habichtsnase so breit, daß man sie für eine Boghatscha (* Maiskuchen.) hält. Du nennst dich Dawuhd Soliman und heißest doch Musa Wardan; ist das nicht Schwindel? Der Katholikos selbst soll dein Siegel aufgedrückt haben; ist das nicht Lüge? Deine schismatische Kirche erlaubt nur, daß die Leichen der Priester, nicht aber diejenigen der Laien gesalbt werden, und du willst dieses sogenannte lagh kuds an alle Menschen verkaufen; ist das nicht Betrug oder etwas noch viel Schlimmeres? Du hörst, daß mir die Lehren und Gebräuche eures Schismas wohlbekannt sind, obgleich sie mich nichts angehen; mich täuschest du nicht.«


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»Wie? Sie gehen dich nichts an? Du bist also kein Aiyrmaki (* Abgesonderter = Schismatiker.) wie ich?«

»Nein.«

»So hole dich der Teufel, du Hund von einem Rafys (* Ketzer.)! Ich werde mich dreimal waschen müssen, weil dein Anblick mich verunreinigt hat.«

Er stand auf; aber in demselben Augenblick stand ich neben ihm und gab ihm eine so kräftige Ohrfeige, daß er wieder zum Sitzen kam. Er schnellte empor und zog das Messer; da aber hielt ihm Halef auch schon die gespannte Pistole entgegen und drohte-.

»Weg mit dem Messer, Schurke, sonst schieße ich dir zwei Kugeln in den Leib, daß sie mitten in der Seele stecken bleiben! Wenn du denkst, daß wir Dummköpfe seien, die sich von dir salben lassen, so irrst du dich gewaltig. Ja, wasche dich dreimal oder dreißigmal oder hundertmal; den Schmutz jedoch hast du mitgebracht; dein Inneres steckt so voll davon, daß er dir aus allen Poren quillt!«

Der Armenier steckte sein Messer wieder ein; er wollte etwas dazu sagen, kam indes nicht dazu, denn wieder hörten wir den Hufschritt von Pferden, aber jetzt von der andern Seite, woher wir gekommen waren, und wir sahen acht Reiter in persischer Tracht kommen, welche sichtlich auch überrascht waren, uns zu sehen, und bei uns halten blieben. Ihr Anführer war ein wohlgebauter, vollbärtiger Mann im Alter zwischen vierzig und fünfzig Jahren; er betrachtete uns mit finstrem Blicke und fragte dann, ohne zu grüßen:

»Wer seid ihr, Männer, und was thut und treibt ihr hier?«


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Er sagte das in einem Tone, der mir nicht gefiel, noch weniger aber meinem kleinen, leicht erregbaren Hadschi Halef, der auch gar nicht säumte, ihm zu antworten:

»Wer bist du, daß du es wagest, Auskunft von uns zu verlangen? Wer ist dein Vater und wer der Vater deines Vaters? Hast du nicht gelernt, mit Achtung zu Leuten zu sprechen, welche gewöhnt sind, Höflichkeit und Ehrerbietung zu fordern?«

Da rief der Fremde belustigt aus:

»Seht diesen kleinen Kerl an! Er gebärdet sich wie ein Riese und reicht mir doch kaum bis über die Ellbogen, wenn ich mich neben ihn stelle! Wollen wir ihm nicht das lose Maul stopfen?«

Halef war überhaupt sehr leicht zu erzürnen, nichts aber konnte ihn so sehr in Harnisch bringen, als wenn man sich über seine geringe Länge lustig machte. Er zog auch sofort sein Messer und forderte den Perser auf:

»Mir das Maul stopfen? Dazu gehören ganz andere Leute, als ihr seid. Komm doch herab von deinem Ziegenbocke, den du für ein Pferd hältst, und versuche es! Wenn du Mut hast, so ziehe dein Messer und kämpfe mit mir! Dann wirst du gleich erfahren, wer den andern zum Schweigen bringt.«

»Ja, ich komme schon. Ihr seid mir verdächtig und gehört wahrscheinlich zu den Halunken, welche wir suchen. Wenn ihr euch nicht ausweisen könnt, so werde ich euer Leben von euch fordern.«

Er sprang vom Pferde; seine Leute folgten diesem Beispiele, und im nächsten Augenblicke waren wir von ihnen umringt. Er legte mir die Hand fest um den Arm, versuchte, mich zu schütteln, und befahl mir in stolzem Tone:


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»Jetzt nennst du mir sofort eure Namen. Ich muß wissen, wer ihr seid und was ihr hier zu suchen habt.«

Ich ließ meinen Arm in seiner Hand und antwortete ruhig:

»Du scheinst ein Perser zu sein. Die Bewohner deines Landes besitzen den Ruhm der Höflichkeit. Willst du diesen Ruhm zu Schanden machen?«

Wohl weniger diese Worte als meine furchtlose Haltung und der feste Blick, den ich ihm in das Gesicht warf, hatten zur Folge, daß er seine Hand von meinem Arme nahm, und mir weniger gebieterisch entgegnete:

»Ich suche Männer, die ich fangen will; ich bin auf ihrer Spur, und da ich euch auf derselben treffe, so mußt du mir sagen, wer ihr seid!«

»Mußt? Ich muß? Du irrst dich. Ich habe noch keinen Menschen gekannt, der mich zu etwas hat zwingen können.«

»So wirst du jetzt einen kennen lernen!«

»Etwa dich?«

»Ja.«

»Versuche es!«

Ich griff nicht zu den Waffen, ich machte nicht die geringste drohende Bewegung; aber ich blickte ihm noch immer so ruhig und scharf in die Augen, daß er unwillkürlich zwei Schritte zurücktrat und mehr verwundert als zornig ausrief:

»Du thust, als ob kein Mensch dir etwas anhaben könnte!«

»Weil es auch wirklich keinen giebt, vor dem ich mich zu scheuen habe. Du ließest mich Ausdrücke der Grobheit hören; ich habe dir höflich geantwortet, und ich wünsche, bei diesem Tone bleiben zu können. Das wünsche ich nicht meinet-, sondern deinetwegen. Ich war


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eher hier als du; du bist später gekommen. Wenn jemand das Recht hat, den andern nach seinem Namen zu fragen, so bin ich es, der es besitzt. Uebrigens hast du die persische Grenze hinter dir; wir befinden uns auf türkischem Boden. Von wem hast du die Bevollmächtigung des Großherrn, mich, der ich seinen Firman, sein Teskereh und sein Bujeruldu besitze, nach meinem Namen zu fragen?«

»Ich bin Mirza Muzaffar, der Merd adalet (* Polizeibeamter.) von Yaltemir!«

Die wichtige Miene, welche er bei diesen Worten zeigte, ließ vermuten, daß er mir jetzt sehr zu imponieren glaubte; ich aber machte eine gleichgültig abweisende Bewegung mit der Hand und antwortete:

»Und wenn du der Vezir adalet (* Justizminister.) des persischen Reiches in höchsteigener Person wärest, würdest du keinen Eindruck auf mich machen. Selbst dein Schah hat hier auf türkischem Boden weniger zu befehlen, als ich, der ich im Schatten des Großherrn stehe. Aber weil du mir jetzt deinen Namen genannt hast, sollst du die unsrigen auch erfahren. Der Mann hier an meiner Seite, der zuerst mit dir gesprochen hat, ist Hadschi Halef Omar, der tapfere und unbesiegte Oberscheik aller Haddedihnaraber. Allah gab ihm eine kleine Gestalt, damit sein Geist und sein Mut desto erhabener hervortreten könnten. Ich heiße Kara Ben Nemsi Effendi und - -«

»Kara Ben Nemsi Effendi?« unterbrach er mich schnell. »Du bist jetzt in Serdascht gewesen?«

»Ja.«

»Man sagte es mir dort. Hast du nicht den Kampf geleitet, als die Haddedihn vernichtet werden sollten, aber im >Thale der Stufen< alle ihre Feinde gefangen nahmen?«


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»Ja.«

»So verzeihe mir, Emir, wenn ich dich beleidigt habe! Du wirst das gern thun, wenn du erfährst, warum der Zorn mein Herz erfüllt. Und Allah hat es gegeben, daß ich dir begegne, denn du bist der richtige Mann, dessen Rat mir Hilfe bringen wird. Ich muß dir nämlich sagen, daß der Kys-Kaptschiji, der Mädchenräuber, bei uns gewesen ist und mir meine Tochter, das Licht und die Freude meiner Augen, geraubt hat. Einer meiner Diener hat dabei einige Worte vernommen, welche darauf schließen ließen, daß er von uns aus über Serdascht hierher nach dem Flusse gehen werde, und darum haben wir, um ihn zu verfolgen, diese Richtung eingeschlagen. In Serdascht hörten wir, daß er dort auch drei Mädchen geraubt und daß man den Irrtum begangen habe, dich zu belästigen. Erlaubst du, daß wir uns bei dir niedersetzen, um diesen traurigen Fall mit dir zu besprechen?«

»Ich bitte euch darum.«

»So sage mir vorher, wer der andere Mann ist, der da an seinem Pferde lehnt, und dessen Namen du mir noch nicht genannt hast.«

»Er gehört nicht zu mir und kam, um bei uns auszuruhen; da er uns aber belogen hat und mir einen falschen Namen nannte, habe ich ihn fortgewiesen. Er ist ein armenischer Handelsmann, der nach Serdascht will und vorgab, aus Diarbekr zu kommen.«

»Ein Armeni, also ein Giaur, ein Christenhund? Allah verdamme ihn! Er mag sich schleunigst von dannen machen, sonst zeigen wir ihm mit der Peitsche den Weg! Diese Christen stinken uns an, und wenn ein gläubiger Bekenner des Propheten in die Nähe eines solchen Hundes kommt, so ist er verunreinigt und


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hat sich zu waschen, ohne daß er von ihm berührt worden ist.«

Der Armenier hatte bei seinem Pferde gestanden und die Perser mit einer mir auffälligen Schärfe betrachtet. Jetzt stieg er in den Sattel, nahm das Packpferd am Leitzügel und sagte in höhnischem Tone:

»Wenn ihr wirklich glaubt, von einem Christen verunreinigt zu werden, so will ich mich schnell entfernen; aber reinigen und waschen mußt du dich doch, o Mirza Muzaffar, denn dieser Kara Ben Nemsi ist auch ein Giaur, und du hast nicht nur in seiner Nähe gestanden, sondern sogar seinen Arm in deiner Hand gehabt. Allah gestatte dir, den Kys-Kaptschiji zu fangen, wenn - - du nicht selbst von ihm gefangen wirst!«

Diese letzten Worte, bei denen der Händler schnell fortritt, klangen wie eine Drohung. Der Perser achtete aber nicht darauf, sondern wendete sich erstaunt und mit der Frage an mich:

»Ist das nicht eine Verleumdung von diesem Menschen, Emir? Die Haddedihn sind zwar keine Schiiten wie wir; aber sie bekennen sich doch zu Mohammed, dem Propheten, und der, dem sie ihren großen Sieg und ihre Rettung zu verdanken haben, kann unmöglich ein Christenhund sein!«

»Ein Hund freilich nicht, aber doch ein Christ,« antwortete ich lächelnd.

Er fuhr sofort mehrere Schritte zurück und rief:

»Ist's wirklich wahr? Du scherzest!«

»Es ist die Wahrheit; ich bin ein Christ.«

»Afghan - o Jammer! Ich habe dich angegriffen und bin also noch mehr verunreinigt, als wenn ich in eine Hufra el harah (* Düngerhaufen.) gefallen wäre! Warum hast du


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das geschehen lassen? Warum hast du mich nicht gewarnt?«

»Habe ich dich aufgefordert, mich zu berühren? Meinst du wirklich, ich solle auch denken, daß du durch mich verunreinigt werden könnest? Merkst du nicht, welch eine Beleidigung in deinen Worten, in deiner Frage liegt? Wenn es überhaupt der Fall ist, daß einer von uns beiden durch den andern verunreinigt werden kann, so bist du es, vor dem ich mich zu hüten habe.«

»Allah! welch eine Frechheit! Wir werden - -«

Da unterbrach ihn Halef, indem er seine beiden Pistolen zog und drohend auf ihn zutrat:

»Nichts werdet ihr - - sondern wir werden - - verstanden! Hältst du uns etwa für solche Jammergestalten, wie der Armenier war, der sofort vor euch Reißaus genommen hat? Mein Sihdi ist kein feiger, hinterlistiger Armenier, sondern ein tapferer Almani (* Deutscher.), der noch niemals einem Feinde den Rücken gezeigt hat. Wenn du von ihm gehört hast, so wirst du wissen, daß er Zaubergewehre besitzt, vor denen hundert und noch mehr Gegner fliehen müssen; er schießt zehntausendmal, ohne laden zu müssen. Wenn er will, so liegen im zehnten Teile einer Minute eure acht Leichen hier im Grase. Wir sind nur zwei Mann, aber wir fürchten euch nicht. Es darf nur ein einziger von euch nach seiner Waffe greifen, so krachen unsere Schüsse; es braucht nur ein einziger von euch ein Wort zu sagen, welches uns nicht gefällt, so öffnen wir ihm augenblicklich die Pforte zu esch Schiret, der Brücke, weiche nach dem Abgrunde des Todes führt!«


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Ich hatte während dieser seiner Rede meine beiden Revolver gezogen und gespannt. Von diesen zwei kleinen Waffen und dem Repetiergewehre, welches alle meine Bekannten bewunderten, waren gerade hier, an der persischen Grenze und zwischen den kurdischen Bergen, die abenteuerlichsten Gerüchte im Umlaufe. Halef hatte recht. da diese Perser von mir gehört hatten, mußte man auch von meinen Gewehren erzählt haben. Daß dem so war, zeigte sich sofort, als Halef ausgesprochen hatte. Mirza Muzaffar wich noch weiter als bisher von uns zurück und sagte-

»Du brauchst nicht zu drohen. Wir fürchten uns nicht; aber wir wollen nichts mit euch zu thun haben. Steigt auf euere Pferde und reitet fort! Wir werden Gnade walten lassen und eurer Entfernung nichts in den Weg legen.«

»Gnade?« lachte Halef. »Glaubst du etwa, Allah habe dir ein so großes Maul verliehen, nur daß du es so voll nehmen sollst? Wir sind es, die Gnade walten lassen. Wir sind eher hier gewesen als ihr und werden so lange hier bleiben, wie es uns gefällt. Ihr aber habt euch augenblicklich zu entfernen. Wir geben euch nur eine Minute Zeit; wenn ihr dann noch da seid, werden unsere Kugeln mit euch reden, und ihr werdet dann erfahren, ob ein so berühmter Almani wie mein Sihdi ein Christenhund ist, dessen Nähe euch verunreinigt!«

Er trat mit einigen raschen Schritten aus dem Kreise, den sie um uns geschlossen hatten, und ich folgte diesem klugen Beispiele. Die Perser sahen unsere vier Läufe auf sich gerichtet und waren überzeugt, daß wir augenblicklich schießen würden, sobald sie nach ihren Waffen griffen; ihr Anführer wagte nicht, Widerstand


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zu leisten. Er ging zu seinem Pferde und forderte seine Leute auf:

»Kommt; reiten wir fort! Es braucht nicht gerade hier zu sein, wo wir ausruhen.«

Sie stiegen auf und ritten davon, halblaute Flüche murmelnd und giftige Blicke auf uns werfend. Kaum waren sie hinter dem Gebüsch verschwunden, so kehrte Mirza Muzaffar zurück und rief uns zu:

»Dieses Mal hattet ihr die Waffen eher in der Hand als wir, und wir mußten uns also fügen; beim nächsten Male wird es anders sein. Allah verfluche euch und alle räudigen Christenhunde!«

Dann war er aus Angst vor unsern Kugeln schnell wieder hinter dem Gesträuch verschwunden.

»Sihdi, soll ich ihm schnell nacheilen und ihn erschießen?« fragte mich Halef.

»Nein.«

»Aber er hat dich wieder gelästert!«

»Laß ihn nur! Solche Lästerungen fallen gewöhnlich auf den zurück, der sie ausgesprochen hat. Der Christ rächt sich nicht, denn die Strafe steht in Gottes Hand.«

Dem Perser eine Kugel nachsenden, das wäre Mord gewesen; ihm aber durften wir eine so humane Gesinnung nicht zutrauen. Es giebt Schiiten, welche gegen das Christentum und die Christen noch viel feindlicher gesinnt sind als die Sunniten. Darum entfernten wir uns so weit von dem Ufer des Flusses, bis wir die acht Reiter sehen und uns überzeugen konnten, daß sie wirklich fort waren und nicht etwa die Absicht hegten, sich an uns zu rächen. Während wir das thaten, sagte Halef:

»Sihdi, mir ist etwas aufgefallen, und da nichts deinem Auge entgeht, wirst du es auch gesehen haben.«


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»Was?«

»Die Augen, mit denen der Armeni die Perser beobachtete.«

»Ich habe seinen Blick bemerkt und auch die Drohung gehört, welche er beim Fortreiten gegen sie aussprach.«

»Was sagst du dazu?«

»Er kommt mir sehr verdächtig vor.«

»Sollte, hm, sollte er zu dem Kys-Kaptschiji in irgend einer Beziehung stehen?«

»Möglich, sogar sehr wahrscheinlich, denn sonst hätte er nicht in dieser Weise drohen können.«

»Sollte er es vielleicht gar selber sein?«

»Wenn nicht er selbst, so doch sein Späher.«

»Wieso sein Späher?«

»Er war ein Lügner, ein religions- und gewissenloser Mensch, und so einer Person ist alles zuzutrauen. Der Kys-Kaptschiji braucht Leute, welche auskundschaften, wo schöne Mädchen sind und wie man sich ihrer bemächtigen kann. Dazu paßt so ein Händler am besten.«

»Aber dieser Armeni wollte doch nach Serdascht; dort haben die Mädchenräuber doch nichts mehr zu thun. Es wäre sogar gefährlich für einen von ihnen, nach einem Orte zurückzukehren, wo sie einen Raub ausgeführt haben.«

»Weißt du gewiß, daß er nach Serdascht wollte? Hat er uns nicht vielleicht auch damit belogen?«

»Aber er hat sich in dieser Richtung entfernt!«

»Um uns zu täuschen. Wenn es sich so verhält, wie ich denke, so ist er nur eine Strecke nach Osten geritten und dann auf einem Umwege zurückgekehrt.«

»Wie denkst du? Warum denn?«

»Er wurde von dem Kys-Kaptschiji zurückgeschickt,


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um zu erkundschaften, ob die Mädchenräuber verfolgt werden. Nun hat er die Perser getroffen und wird zurückeilen, um seine Kumpane zu warnen.«

»Da müssen wir fort, sogleich fort!«

»Wohin?«

»Den Persern nach.«

»Wozu?«

»Um sie auch zu warnen.«

»Liebster Halef, wie du doch so gern den Retter spielst!«

»Das habe ich von dir gelernt, Sihdi.«

»Verdienen sie es denn, daß wir uns um sie bemühen?«

»Nein, denn sie haben uns beleidigt und gekränkt. Aber man soll seinen Feinden vergeben und ihnen Gutes erweisen.«

»So denken und handeln die Christen; du aber bist doch kein Christ!«

»Ach, schweig doch, mein guter Sihdi! Du weißt ja, welche Gedanken und Gefühle in dem Herzen deines treuen Halef wohnen. Ja, es gab eine Zeit, damals als ich in der Sahara dein Diener wurde, in welcher ich mir außerordentliche Mühe gegeben habe, dich zum Islam zu bekehren. Ich glaubte damals wirklich, daß kein Christ in den Himmel kommen könne; ich hatte dich so sehr, so unendlich lieb und wollte dich also neben mir im Himmel sehen; darum redete ich dir so viel von Mohammed und seinen Lehren vor. Du hast stets darüber gelächelt, so freundlich still, wie nur du lächeln kannst; du hast niemals mit mir über deine und meine Religion gestritten und gezankt; aber du hast mir nach und nach durch deine Gesinnungen und deine Thaten immer klarer und deutlicher bewiesen, daß das Christentum in gar


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vielen Dingen höher steht als der Islam. Du wirst daher gewiß meine Bitte erfüllen, den Persern nachzureiten, Sihdi?«

»Gern, zumal ihr Weg am Flusse hin ja auch der unserige ist; aber ich bin überzeugt, daß unsere Warnung kein Gehör finden wird. Sie werden uns vielleicht gar verlachen.«

»Mögen sie! Dann haben wir unsere Pflicht gethan und können uns mit gutem Gewissen weiter wenden. Wollen wir fort?«

»Ja, sogleich.«

Wir stiegen auf unsere Pferde und folgten der Spur der Perser, welche nahe am Ufer westwärts führte. Da wir sehr schnell ritten und die acht Schiiten uns erst vor kurzer Zeit verlassen hatten, dauerte es gar nicht lange, bis wir sie vor uns sahen. Wir kamen ihnen ganz nahe, denn sie blickten sich nicht eher um, als bis sie das Schnauben unserer Pferde hörten. Da hielten sie an und richteten auf das Kommando ihres Anführers ihre Gewehre schnell auf uns.

»Bleibet halten, sonst schießen wir!« rief Mirza Muzaffar uns entgegen. »Ihr wißt, daß wir einen solch räudigen Hund nicht in unsere Nähe lassen und jetzt haben wir die Gewehre zuerst in den Händen. Sobald ihr nach einer Waffe greift, schießen wir!«

Da hatte er freilich recht. Wir befanden uns in ihren Händen, aber nur deshalb, weil unsere Absicht eine friedliche war. Ich überhörte die neue Beleidigung und antwortete ruhig-

»Eben weil ich ein Christ bin und daher Böses mit Gutem vergelte, kommen wir. Wir wollen euch warnen.«

»Vor wem?«


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»Vor dem Armeni, welcher bei uns war.«

»Warum?«

»Wir haben über ihn nachgedacht. Er scheint ein Kundschafter des Kys-Kaptschiji zu sein.«

»Das lügt ihr!«

»Wir lügen nicht, doch ist es immerhin möglich, daß wir uns irren. Denke an seine letzten Worte: er drohte dir.«

»Das ist mir sehr gleichgültig.«

»Wer so droht, der muß wissen, daß er seine Drohung ausführen kann; da er sich nun als einzelner Mann unmöglich an euch wagen darf, ist anzunehmen, daß er Helfer hat.«

»Wir lachen über sie!«

»Auch über den Kys-Kaptschiji?«

»Ja, auch über ihn. Wir werden ihn einholen und ihn mit allen Leuten, die bei ihm sind, in die Dschehenna (* Hölle.) senden. Ihr aber macht euch augenblicklich fort von uns, sonst schießen wir euch nieder!«

»Sei nicht so übermütig, o Mirza Muzaffar! Der Kys-Kaptschiji ist jedenfalls ein Mann, dem ihr nicht gewachsen seid, und wenn der Armeni ihn vor euch gewarnt hat, so könnt ihr ihn nicht überraschen, sondern er wird euch im Gegenteile ---«

»Schweig, Hund!« unterbrach er mich. »Wie darf ein Giaur es wagen, uns gute Lehren zu erteilen! Siehst du den Lauf meines Gewehres gerade auf deine Brust gerichtet? Wenn ihr euch nicht sofort von dannen macht, so drücke ich los!«

»Gut, du sollst deinen Willen haben. Ueber den >Hund<, den du mir wiederholt zugerufen hast, sprechen wir wahrscheinlich weiter!«


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Wir gaben unsern Pferden die Sporen, ritten in einem der Vorsicht halber weiten Bogen um die Perser herum und folgten dann wieder wie vorher dem Ufer des Flusses.

»Du hattest recht, Sihdi,« sagte Halef. »Sie haben nicht auf uns gehört, sondern uns von neuem verhöhnt. Nun haben wir unsere Pflicht gethan, und ihre Dummheit mag über sie kommen.«

Es war noch keine halbe Stunde vergangen, so sahen wir eine Spur, welche von rechts her vor uns nach dem Flusse führte. Natürlich hielten wir an, um sie zu betrachten.

»Sie ist ganz neu,« meinte Halef. »Wer mag es gewesen sein?«

»Der Armeni,« antwortete ich.

»Maschallah! Denkst du wirklich, daß dieser es war, Sihdi?«

»Ja, ich sehe es deutlich.«

»Du verstehst die Darb und Ethar (* Spuren und Fährten.) besser zu lesen als ich und wirst dich wahrscheinlich nicht täuschen.«

»Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Siehst du die Stapfen zweier Pferde, welche sehr nahe nebeneinander gelaufen sind? Wenn zwei Reiter nebeneinander reiten, so weicht doch einmal einer von ihnen mehr oder weniger zur Seite ab; diese Pferde aber haben stets genau die gleiche Entfernung voneinander eingehalten; ihre beiden Fährten bilden eine ununterbrochene Parallele; es handelt sich also um einen Reiter, der ein Lastpferd am Leitzügel führt. Das eine Tier hat die Vorder- und das andere die Hinterhufe tiefer eingedrückt, was mit Sicherheit auf ein Lastpferd schließen läßt. Der Armeni ist es gewesen.«


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»So hat er gethan, was du vermutetest. er ist nur eine kurze Strecke ostwärts und dann in einem Bogen zurückgeritten, bis er hier den Fluß wieder erreichte.«

»Was ist daraus zu schließen, Halef?«

»Daß er wirklich ein Kundschafter des Kys-Kaptschiji war.«

»Ja, und noch etwas.«

»Was?«

»Daß der Kys-Kaptschiji sich an dem Flusse oder in dessen Nähe befindet.«

»Allah! Da müssen wir vorsichtig sein. Meinst du nicht auch?«

»Allerdings.«

»Ich glaube, die Kerle würden, wenn wir auf sie stießen, auch uns nicht vorüberlassen, obgleich wir keine Mädchen sind.«

»Natürlich droht uns ebensoviel Gefahr wie den Persern. Der Armenier dürstet nach Rache, und er weiß, daß unser Weg am Flusse abwärts führt.«

»Was ist da zu thun?«

»Jetzt nichts.«

»Hm! Wollen wir nicht lieber von unserer jetzigen Richtung abweichen?«

»Wegen solcher Menschen nicht!«

»Du hast recht. Soll der oberste Scheik der berühmten Haddedihn sein Pferd wegen einiger Menschenräuber zur Seite lenken? Nein! Aber vorsichtig müssen wir sein, außerordentlich vorsichtig. Wenn wir nur wüßten, wo die Halunken ihr Lager haben!«

»Das brauchen wir jetzt nicht zu wissen.«

»Nicht? Warum?«

»Weil es sich jetzt für uns nur darum handelt, ihrem Angriffe auszuweichen.«


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»Aber gerade darum möchten wir wissen, wo sie stecken!«

»Wo sie stecken, ja, aber nicht, wo sie ihr Lager haben.«

»Ist das zweierlei?«

»Gewiß.«

»Wieso?«

»Weil sie sich hüten werden, uns oder die Perser da anzugreifen, wo sie die gefangenen Mädchen untergebracht haben. So nahe lassen sie uns nicht heran.«

»Du denkst, daß sie uns entgegenkommen?«

»Ja.«

»So können wir doch jeden Augenblick auf sie stoßen?«

»Allerdings, hier gehen die Büsche sehr weit vom Flusse in die Steppe hinein; sie verlegen uns die Aussicht. Aber siehst du die weit vorragende grüne Ecke da draußen? Wenn wir die erreicht haben, werden wir eine bessere und freiere Fernsicht haben. Dann nehme ich mein Fernrohr zur Hand, und wenn ich das habe, soll es ihnen schwer werden, uns zu überraschen.«

»Ich habe eine Frage, Sihdi. Erlaubst du mir, sie auszusprechen?«

»Gewiß. Welche ist es?«

»Um die Perser brauchen wir uns nicht zu kümmern; die haben uns schnöde abgewiesen. Aber die armen gefangenen Mädchen thun mir leid.«

»Mir auch.«

»Denke, wenn Hanneh, mein Weib, die schönste unter den lieblichsten Blumen der Erde, mir geraubt worden wäre, wie unendlich groß würde ihr Jammer sein! Ich würde von einem Ende der Welt zum andern suchen, um sie zu befreien.«

»So willst du hier wohl auch den Retter spielen?«


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»Ja.«

»Hm! Was einen nichts angeht, davon soll man lassen, lieber Halef!«

»So willst du dich dieser unglücklichen Geschöpfe nicht erbarmen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Erstens, weil sie mich nichts angehen und doch nur Töchter schiitischer Väter und Mütter sind, und zweitens, weil die Sache viel zu gefährlich für uns sein würde. Du kannst dir doch denken, daß dieser Kys-Kaptschiji ein höchst verwegener Mensch ist und jedenfalls Leute bei sich hat, die sich vor dem Teufel nicht fürchten.«

Da hielt er sein Pferd an und fragte in aufwallendem Zorne:

»So sagst du und willst ein Christ sein? Pfui, Sihdi, seit wann hat Hadschi Kara Ben Nemsi vor irgend einer Person Furcht oder Angst zu empfinden? Ist dir dein Herz plötzlich so tief in die Bantaluhn (* Pantalons, Hose.) gefallen, daß es dir unmöglich ist, einige ...«

Er sah mein Lächeln und hielt mitten in seiner Strafpredigt inne. Dann schlug er mit der Hand an die Stirn und fuhr fröhlich fort:

»Allah 'l Allah! Was bin ich doch für ein dummer Mensch! Werde ich meinen Sihdi nicht kennen! Der thut ja nur, als ob er nicht wollte, heimlich aber brennt er darauf, den geraubten Mädchen Hilfe zu bringen! Töchter von schiitischen Eltern! Danach fragst du doch nicht! Fragt der Christ nach der Religion eines Menschen, dem er Gutes zu erweisen hat? Weil sie dich nichts angehen! Unsinn! Dein Herz schlägt für alle Menschen,


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die deiner Dienste bedürfen, und niemals hast du gefragt, ob ein Hilfesuchender deiner Unterstützung auch würdig sei. Gefährlich! Als ob es eine Gefahr gäbe, der wir beide nicht gewachsen wären! Der Kys-Kaptschiji ist ein verwegener Mensch! Haben wir nicht noch ganz andere Dinge ausgeführt, als so ein paar Mädchen ihren Vätern und Müttern wiederzugeben? Und Leute bei ihm, die sich vor dem Teufel nicht fürchten! Fürchten wir uns denn vor ihm? Haben wir jemals die Feinde gezählt, mit denen wir es zu thun hatten? Ist nicht sehr oft ein wenig List und Verschlagenheit besser und erfolgreicher als hundert bewaffnete Hände und als die Tapferkeit von tausend Kriegern, die kein Hirn im Kopfe haben? Geh, Sihdi, du hast dich verstellt! Nicht wahr, dein gutes Herz hat auch Mitleid mit den Töchtern, die ihren Eltern so gewaltsam entrissen worden sind?«

»Ja.«

»Und du bist gern bereit, ihnen zu helfen?«

»Wenn es möglich ist, ja.«

»Es muß möglich sein! Und wenn es nicht möglich sein sollte, so wird es möglich gemacht! Man soll dir und mir nicht nachsagen, daß wir jemand in der Not stecken gelassen haben, ohne wenigstens zu versuchen, ihm Hilfe zu bringen.«

»Aber wer sich unnötigerweise in Gefahr begiebt, der kommt sehr leicht darin um, lieber Halef!«

»Sprich nicht so, Sihdi; ich kann es nicht anhören! Ist es unnötig, diese Mädchen zu befreien? Nein! Und sind wir jemals in einer Gefahr umgekommen? Nein! Ich möchte überhaupt die Gefahr sehen, die das Geschick hätte, uns umzubringen! Wenn sie nur wagte, das zu versuchen, würde ich ihr den Hals umdrehen! Wir sind durchs Feuer gelaufen und nicht verbrannt; wir sind ins Wasser


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geraten und glücklich hindurchgeschwommen; wir sind dem Löwen und gar dem schwarzen Panther begegnet und haben beide erlegt; wir sind gefangen gewesen und glücklich wieder ausgerissen, wir haben - - schuf - - sieh!« unterbrach er sich, indem er nach vorn deutete. »Dort kommen Reiter. Wer mag das sein?«

»Die Leute des Kys-Kaptschiji,« antwortete ich.

»Meinst du?«

»Ja, du siehst, daß es so ist, wie ich sagte; sie erwarten uns nicht in ihrem Lager, sondern sie kommen uns entgegen.«

»Was machen wir? Weichen wir zur Seite?«

»Nein; ich habe mich schon vorhin geweigert, dies zu thun. Wenn wir ihnen auch auswichen, würden sie uns dennoch den Weg verlegen.«

»So reiten wir ruhig weiter?«

»Wir steigen ab, nehmen unsere Gewehre zur Hand und stellen uns hinter die Pferde, welche uns Deckung gewähren. Was dann folgt, das wird sich zeigen. Nur keine Angst, Halef!«

»Angst! Willst du mich beleidigen, Sihdi? Ich wünsche sogar, daß sie nicht in Frieden vorüberziehen, sondern uns ihre Zähne zeigen, die ich ihnen alle einzeln aus den Mäulern schießen werde!«

Der kleine Hadschi drückte sich zwar in der überschwenglichen morgenländischen Art aus, aber es war sicher, daß er keine Spur von Angst fühlte.

Wir befanden uns vielleicht noch tausend Schritte von der grünen Buschecke entfernt, von der ich vorhin gesprochen hatte, als wir die Reiter um dieselbe kommen sahen. Ich zählte fünfundzwanzig Mann. Acht oder zehn von ihnen waren in gewöhnliche Tracht gekleidet. Die übrigen trugen riesig breite Turbane von fast zwei Ellen


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Durchmesser; das mußten unbedingt Kurden sein. Als sie uns erblickten, hielten sie an, trieben dann aber ihre Pferde weiter, doch nicht so schnell, wie sie vorher geritten waren. Wir standen, sie erwartend, hinter unsern Pferden. Es war keine angenehme Situation, und ich würde lügen, wenn ich nicht eingestände, daß wir uns in ungewöhnlicher Spannung befanden. Bald konnten wir ihre Gesichter erkennen. Da rief Halef:

»Maschallah! Das sind Kurden und Armenier. Der Armeni ist auch dabei. Er reitet mit dem alten, graubärtigen Kurden, welcher der Anführer zu sein scheint, voran.«

»Maschallah!« rief auch ich. »Erkennst du den alten Graubart?«

»Nein, noch nicht.«

»Es ist Melef, der verräterische Scheik der Schirwanikurden, der uns damals nach dem Leben trachtete.«

»Wahrhaftig, er ist's! Die Zeit der Strafe ist gekommen. Wenn er nicht Frieden hält, wird meine erste Kugel sich eine Wohnung hinter seiner Stirn suchen.«

»Gerade weil er dabei ist, hoffe ich, daß es zu keinem Blutvergießen kommt. Er kennt die Ueberlegenheit meines Henrystutzens und die außerordentliche Tragweite meines Bärentöters. Er weiß, daß meine Kugeln viel weiter gehen als die ihrigen und daß ich zwischen den einzelnen Schüssen nicht zu laden brauche. Das sind allerdings nur fünfundzwanzig Patronen; er aber ist der Ueberzeugung, daß ich in alle Ewigkeit schießen könnte, ohne zu laden. Wollen versuchen, ob uns das zum Nutzen wird.«

Ich trat hinter dem Pferde hervor, winkte mit den beiden Gewehren und rief:

»Halt! Keinen Schritt weiter, sonst schieße ich!«


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Zu meiner Freude zeigte sich die gehoffte Wirkung augenblicklich. Der alte Kurdenscheik hatte mich erkannt, er hob nach seinen Leuten hin warnend die Hand und schrie:

»Katera peghamber - um des Propheten willen, haltet an, haltet an! Er ist's wirklich! Wer hätte das gedacht! Seine Gewehre tragen so weit, daß die Kugeln durch alle Berge und über alle Thäler gehen. Er braucht nicht zu laden, und ehe wir ihn zu erreichen vermögen, hat er uns alle von den Pferden geschossen. Haltet an; haltet an!«

Als Halef das hörte, sagte er, leise lachend:

»Hamdulillah - Preis sei Gott! Der Kerl hat noch Angst von damals her. Es wird uns also gelingen, der Gefahr zu entgehen.«

Ich legte den Stutzen auf die Reiter an und rief ihnen zu:

»Wer nur einen Schritt weiter reitet, wird erschossen. Aber meine Seele wünscht den Frieden: es mögen zwei von euch unbewaffnet herbeikommen, mit denen ich sprechen werde; es soll ihnen nichts geschehen, und sie können frei und unbeschädigt zurückkehren.«

Die Kerls verhandelten eine kurze Zeit miteinander, dann stiegen der Kurdenscheik und der Armeni von ihren Pferden, legten ihre Waffen ab, und zwar so, daß wir dies sahen, und kamen dann langsam herbeigeschritten. Als sie uns fast erreicht hatten, blieben sie stehen, doch ohne einen Gruß auszusprechen.

»Warum hältst du uns mitten auf unserm Wege an?« fragte der Scheik, indem er mich mit finsterem Blicke musterte.

»Es steht euch frei, augenblicklich weiter zu reiten,« antwortete ich.


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»Du hast uns aber doch gedroht, zu schießen, sobald wir nur einen Schritt noch machen!«

»Nur unserer Sicherheit wegen. Reitet ihr in einem so weiten Bogen um uns herum, daß eure Gestalten für unsere Augen halb so groß sind wie jetzt, so werden wir unsern Weg ruhig fortsetzen und unsere Kugeln in den Läufen behalten.«

»Wo kommt ihr her?«

»Aus Persien.«

»Wo wollt ihr hin?«

»Hinunter an den Tigris.«

»Habt ihr noch Freunde und Begleiter hinter euch?«

»Nein.«

»Ihr seid ganz allein?«

»Ja.«

»Chodieh (* Kurdisch: Herr.), ich weiß, daß nie eine Lüge über deine Lippen kommt; ich kenne dich. Sagst du auch jetzt, was wahr ist?«

»Ja.«

Er drehte sich um und sprach lange und leise auf seinen Begleiter ein. Wir konnten nichts verstehen; darum beobachtete ich das Mienenspiel der beiden scharf, um daraus auf den Inhalt des Gespräches zu schließen. Der Armeni hätte sich gar zu gerne an uns gerächt; er warf die feindseligsten Blicke auf uns und schien den Vorstellungen des Alten keinen Glauben zu schenken. Ihre Augen fielen sehr oft auf meine beiden Gewehre; diese waren es, vor denen sich der Scheik so fürchtete. Er schien endlich mit seiner Ansicht durchgedrungen zu sein, denn er wendete sich mit den Worten zu mir:

»Chodieh, du bist auf deine Sicherheit bedacht; aber gerade diese verbietet dir, weiterzureiten.«


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»Warum?«

»Da hinter uns lagert ein ganzer Stamm von Schirwanikurden, und du weißt, daß meine Krieger deine Feinde sind.«

»Ich fürchte mich nicht vor ihnen; das habe ich dir ja bewiesen.«

»Ich weiß es; aber wenn du weiterreitest, wird unbedingt Blut fließen. Kannst du deinen Weg nicht auf der anderen Seite des Flusses fortsetzen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil wir nach Arbil wollen.«

»Müßt ihr denn unbedingt dorthin?«

»Ja, unbedingt.«

»Er dachte einige Augenblicke nach und fuhr dann fort:

»So will ich dir, um Unfrieden zu vermeiden, einen Vorschlag machen. Wenn du auf denselben eingehst, ist alles gut.«

»So sprich; ich höre.«

»Geht hier über den Fluß und reitet einen und einen halben Kuladsch (* Meile.) auf der andern Seite desselben; dann könnt ihr wieder herüber und den Weg nach Arbil fortsetzen. Aber ihr dürft ja nicht zurückkehren, sondern müßt von da aus, wo ihr wieder an dieses Ufer herüberkommt, westlich oder nördlich, aber ja nicht östlich reiten.«

»Hm! Wir fürchten uns nicht vor euch und haben gar nicht nötig, unsere Füße naß zu machen; aber damit du Siehst, daß wir gern Frieden halten, sind wir bereit, auf deinen Vorschlag einzugehen.«

»Also hier gleich über den Fluß hinüber?«

»Ja.«


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»Dann anderthalb Kuladsch weiter?«

»Ja,«

»Dann wieder herüber und ja nicht östlich?«

»Einverstanden!«

»Ich weiß, daß du dein Wort stets so hältst, als ob es ein teurer Schwur sei. Giebst du mir dein Wort, daß du dich nach meinem Verlangen halten wirst?«

»Ich gebe es.«

»So sind wir fertig, und wir werden zu unsern Leuten zurückkehren.«

Er drehte sich um und schritt ohne einen Gruß von dannen; der Armeni jedoch fauchte mich wie eine wütende Katze an:

»Jetzt bist du mir wieder entgangen; aber du hast mich einen Lügner und Betrüger genannt, und falls du dich je wieder vor mir sehen lässest, wird es dich das Leben kosten!«

Darauf ging auch er.

»Sihdi, soll ich ihm die peitsche über das Gesicht hauen?« fragte mich Halef.

»Nein. Wir müssen jetzt schnell, ehe sie kommen, über den Fluß, denn wenn sie hier eintreffen, und wir befinden uns noch im Wasser, sind wir ihren Kugeln fast wehrlos ausgesetzt. Also rasch vorwärts!«

Der Zab war hier breit, aber nicht tief. Wir trieben unsere Pferde hinein. Das kühle Bad bekam ihnen bei der jetzt herrschenden Hitze ganz wohl, und sie regten sich so munter, daß wir uns dem jenseitigen Ufer schnell näherten. Dennoch saß ich in Viertelwendung im Sattel und behielt, den Stutzen schußbereit in der Hand, das rückwärtige Ufer scharf im Auge, um einem hinterlistigen Attentate mit der Kugel vorzubeugen. Es geschah aber nichts derartiges, und eben als wir uns wieder auf dem


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Trockenen befanden, sahen wir die Reiter jenseits ankommen. Sie blieben halten und schrieen zornige Worte herüber; dann ritten sie fort, ohne zu ahnen, daß ich sie zählte. Wir drangen durch das Gebüsch, welches das linke Ufer besäumte, und sahen sie nicht mehr, konnten aber auch von ihnen nicht mehr gesehen werden. Da hielt Halef sein Pferd an und sagte kopfschüttelnd:

»Sihdi, ich begreife dich nicht. Wie kann ein Mann, wie du bist, auf solche Forderungen eingehen? Nun ist alles, alles aus!«

»Was ist aus?«

»Meine ganze, ganze Freude auf die Rettung der armen Gefangenen.«

»Wieso?«

»Wieso? Das fragst du noch? Allah scheint dir ganz plötzlich den Verstand verfinstert zu haben!«

»Nicht den meinigen, sondern den deinigen.«

»O, der meinige ist noch ebenso hell und scharf wie vorher!«

»Davon merke ich nichts, Halef; glaubst du denn wirklich, daß ich mich von diesem alten Scheich der Schirwani überlisten lasse?«

»Ich bin ja gezwungen, es zu glauben, denn er hat dich überlistet.«

»Inwiefern?«

»Wir mußten über das Wasser; gut; dadurch sind wir dem Kampfe entgangen. Aber wir müssen anderthalb Kuladsch weiter; das heißt doch, daß sich. inzwischen da drüben das Lager mit den Gefangenen befindet, die wir retten wollen. Nicht?«

»Ja.«

»Nach anderthalb Kuladsch dürfen wir wieder hinüber, aber nicht zurück; wir werden dann weit, weit über das


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Lager hinaus sein, und da es uns verboten ist, umzukehren, so giebt es für uns keine Möglichkeit, auch nur eine einzige von diesen bedauernswerten Töchtern des Unglücks aus der Gefangenschaft zu erlösen. Allah sei es geklagt!«

»Ja, es sei Allah geklagt, daß du, der du mich doch genau kennen solltest, nicht mehr Vertrauen zu mir hast. Ich will ja versuchen, sie zu befreien!«

»Nach unserer Ankunft am jenseitigen Ufer?«

»Ja.«

»Wir dürfen doch nicht zurück!«

»Das haben wir freilich versprochen.«

»Willst du dein Wort nicht halten?«

»Ich halte jedes Versprechen!«

»So begreife ich dich nicht!«

»Leider! Wir werden ja gar nicht weit von hier an das rechte Ufer zurückkehren!«

»Aber wir müssen doch einen und einen halben Kuladsch abwärts reiten!«

»Wer hat das gesagt?«

»Der Scheich! Und du bist darauf eingegangen!«

»Ist mir gar nicht eingefallen. Zu einem solchen Verlangen hätte ich nun und nimmer ja gesagt, denn da hätte ich allerdings vollständig darauf verzichtet, für die Gefangenen auch nur das Geringste zu versuchen.«

»Sihdi, darf ich dir etwas sagen?«

»Nun?«

»Es ist etwas, was du nicht glauben wirst.«

»Was?«

»Mir steht der Verstand still!«

»Du siehst in diesem Augenblicke allerdings ganz so aus, wie ein Mensch, dem der Verstand durch das Thor des Mundes davongefahren ist. Dein Mund steht so


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weit offen, daß ich beinahe mit dem Pferd hineinreiten kann!«

»Ist das ein Wunder? Du leugnest etwas, was ich ganz genau mit meinen eigenen Ohren gehört habe.«

»Du hast es ganz und gar nicht genau gehört. Es ist keine Rede davon gewesen, daß wir soweit am Ufer abwärts reiten sollen. Der genaue Wortlaut der Bedingung ist, höre darauf: hier über den Fluß zu reiten und dann anderthalb Kuladsch weiter. Wenn du mich nun noch nicht begreifst, so ist ganz plötzlich ein ganz anderer Mensch aus dir geworden, als du bisher gewesen bist. Denke nach, Halef!«

Er verstand mich noch immer nicht und wiederholte langsam, indem er die einzelnen Worte auseinanderhielt:

»Hier - über - den Fluß reiten - und - dann - andert -halb - Kuladsch - weiter - - -.« Dann aber ging ein helles Lächeln des Verständnisses über sein Gesicht, und er rief aus: »Sihdi, ich hab's, ich hab's! 0, daß ich an dir zweifeln konnte! Wie hast du den Alten überlistet! Wir brauchen uns nicht nach ihm zu richten und werden trotzdem unser Wort ganz genau halten. >Wir reiten über den Fluß und dann einen und einen halben Kuladsch weiter,< so lautet unser Versprechen. Der Scheich hat freilich flußabwärts gemeint, wir aber werden es mit unserm Gewissen vereinbaren können, daß -«

»Vereinbaren?« unterbrach ich ihn. »Es giebt da gar nichts zu vereinbaren. Mein Gewissen gebietet mir, genau nach dem Wortlaute zu gehen, und der ist: über den Fluß und weiter. Wir dürfen also gar nicht abwärts reiten, selbst wenn wir wollten, sondern wir sind gezwungen, die Linie über den Fluß in gerader Richtung fortzusetzen. Wir reiten also anderthalb Kuladsch vom


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Flusse fort nach Süden und haben dann unser Versprechen Wort für Wort erfüllt. Von dem Punkte an, wo wir uns dann befinden, dürfen wir wieder an das andere Ufer. Dieser Punkt liegt anderthalb Kuladsch vom Flusse entfernt, allerdings keine kurze Strecke, und wenn wir sie zurückgelegt haben, befinden wir uns wieder hier an derselben Stelle, wo wir jetzt sind. Nun, ist denn dein Kara Ben Nemsi ein so dummer Kerl, wie du vorhin sagtest?«

»O, Sihdi, es gab freilich einen dummen Kerl, einen kamelsatteldummen Kerl, und der war ich! Meinen Effendi für dumm zu halten! Sihdi, erhebe deine Hand und gieb mir einen Keff (* Starke Ohrfeige.), daß ich aus dem Sattel fliege, ich werde dir sehr dankbar dafür sein!«

»Fällt mir gar nicht ein, meinen braven Halef zu schlagen. Was den alten Scheich betrifft, so führt er eine wirkliche Verräterei im Schilde. Ich zählte die Leute, als sie kamen, und dann wieder, als sie drüben vorüberritten. Es fehlte einer. Der ist in das Lager zurückgeschickt worden, um zu melden, daß wir am linken Ufer abwärts kommen. Die Kurden werden also dort übersetzen und auf uns warten, um uns meuchlings zu überfallen.«

»Der Schurke! Warum aber hast du mit dem Armeni kein Wort gesprochen?«

»Ein christlicher Schurke steht so tief unter einem mohammedanischen Schufte, daß ich ihm nur dann ein Wort schenken mag, wenn ich absolut dazu gezwungen bin. Jetzt weiß ich, wie es ihm möglich geworden ist, seine Verbrechen auszuführen. Er ist der Anführer einer Armenierbande und hat sich mit den berüchtigten


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Schirwanikurden verbunden. Er hat mir für das nächste Wiedersehen den Tod angedroht und dabei nicht geahnt, daß dieses Wiedersehen in ganz anderer Weise stattfinden wird, als er denkt. Aber nun komm; wir müssen weiter, um unser Wort zu halten!«


Kapitel 2


Einführung zu "Auf fremden Pfaden"


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