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Viertes Kapitel. Beim »Vater der Fünfhundert«.

Zwei Menschen, ganz allein in der weiten Wüste! Die Sonne brennt so glühend hernieder, daß man sich wie gebraten fühlt und, um nicht geblendet zu werden, die Kapuze des Haïk weit über das Gesicht ziehen muß. Zu sprechen giebt es nichts; man hat sich ja längst ausgesprochen. Zudem liegt die Zunge zu schwer in dem trockenen Munde, daß man, auch wenn Unterhaltungsstoff vorhanden wäre, doch lieber schweigen würde. Vorn, hinten, rechts und links Sand! Die Kamele gehen ihren Schritt, mechanisch wie aufgezogene Maschinen. Sie besitzen nicht das Temperament des edlen Rosses, welches dem Reiter zeigt, daß es sich mit ihm freut und auch mit ihm leidet. Der Herr kann mit seinem Rosse eins sein, mit dem Kamele aber nie, selbst wenn es das kostbarste Hedschihn wäre. Dies spricht sich schon äußerlich durch die Art und Weise aus, wie er auf dem ersteren und wie auf dem letzteren sitzt.

Der Reisige umarmt den Leib seines Rosses mit den Beinen; er hat »Schluß« und macht dadurch die Sage vom Centauren wahr. Diese Umschlingung bringt die Glieder, die Muskeln und Nerven des Mannes mit denen des Pferdes in innige Berührung. Das Roß fühlt die Absichten des Reiters, noch ehe dieser sie äußerlich zur


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Andeutung bringt. Es gewinnt ihn lieb; es wagt mit ihm; es fliegt mit ihm, und es geht mit vollem Bewußtsein dessen, was es thut, mit ihm in den Tod.

Ganz anders beim Kamele. Auf hohem Höcker im Sattel sitzend, berührt der Reiter das Tier nur, indem er seine Füße über den Hals kreuzt. Es giebt nicht den mindesten »Schluß«, keine äußere und also auch keine innere Vereinigung. So hoch er auf oder über ihm thront, so tief bleibt es im geistigen Verständnisse für ihn zurück. Ist es gutmütig, so gehorcht es ihm wie ein Sklave, ohne die Spur einer eigenen Individualität zu zeigen; ist es aber bösartig und störrisch, wie die meisten sind, so steht es mit ihm in einem immerwährenden Kampfe, welcher ihn ermüden und endlich gar mit Widerwillen erfüllen muß. Wirkliche Liebe für seinen Herrn wird man bei einem Kamele nur äußerst selten beobachten.

Das ist es, was einen einsamen Ritt durch die Wüste noch einsamer macht. Man fühlt ein lebendes Wesen unter sich und kann sich doch nicht mit ihm beschäftigen. Das Pferd giebt durch Wiehern, Schnauben, durch die Bewegung der Ohren und des Schwanzes, durch verschiedene Modulationen des Ganges seine Gefühle zu erkennen; es spricht mit dem Reiter; es teilt sich ihm mit. Das Kamel schreitet gleichmäßig weiter und weiter; es trägt seinen Herrn tage- und wochenlang, lernt ihn aber trotzdem nicht kennen.

Dann wird ein solcher Ritt durch die Einöde zur wahren Pein, und mit Freuden begrüßt man die kleinste Unterbrechung, welche einem ein günstiger Zufall entgegenschickt.

Unsere beiden Hedschihn gehörten zur Klasse der gutwilligen Kamele. Hatten wir uns aufgesetzt, so begannen sie zu laufen »wie die Schneider«, sagt der Deutsche,


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und sie liefen wie die Schneider und immer weiter, immer in einem und demselben Tempo, ohne sich zu weigern, ohne einmal anzuhalten, ohne die leiseste Spur irgend einer selbständigen Willensregung zu zeigen. Das war entsetzlich langweilig; man verlor zuletzt selbst den Willen; man schlief innerlich ein und behielt nichts als nur das öde Bewußtsein, daß man in einer endlosen geraden Linie durch den Sand getragen werde.

Da weckte mich ein scharfer Schrei aus dem Zustande der seelischen Erschlaffung, in welchen ich gesunken war. Auch Ben Nil fuhr auf und blickte empor in die Luft, in welcher der Schrei erklungen war.

»Schahin!« sagte er, mit der Hand nach oben deutend; dann sank er wieder in sich selbst zusammen. Ja, es war ein Schahin, ein Falke, dessen Schrei wir gehört hatten. Er kreiste hoch über uns. Das Erscheinen dieses Vogels schien für Ben Nil gar nicht beachtenswert zu sein; ich aber hatte sofort meine ganze Energie wieder gewonnen.

»Aufpassen! Es kommt jemand!« sagte ich.

Ben Nil richtete sich wieder empor und sah sich um. Als er innerhalb des Gesichtskreises keinen Menschen erblickte, meinte er:

»Hat mir denn die Sonne die Sehkraft geraubt! Ich sehe niemand, Effendi.«

»Ich auch nicht; aber wir werden jedenfalls bald eine Begegnung haben. Ein Falke schlägt nur lebende Beute; er frißt niemals Aas. Wenn er sich hier in der Wüste befindet, welche keine Lebewesen beherbergt, so muß er einer Karawane gefolgt sein.«

»Oder er hat sich verflogen oder befindet sich auf der Reise.«

»Ein Falke, hier, sich verfliegen? Nein. Passen wir auf, wie dieser Vogel sich verhält.«


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Die Blicke auf den Falken gerichtet, beobachteten wir ihn. Er schwebte noch immer über uns, um uns zu beobachten. Da hörten wir wieder einen Schrei, und ein zweiter Falke kam geflogen, von Westen her, und gesellte sich zu dem ersten; sie kreisten miteinander einigemale über uns und flogen dann wieder fort, der Richtung entgegen, aus welcher sie gekommen waren.

»Das war wohl Männchen und Weibchen,« meinte Ben Nil.

»Ja,« antwortete ich, indem ich mein Kamel anhielt und das Fernrohr ergriff, um mit demselben den Flug der Vögel zu verfolgen. »Bleib' auch halten! Es ist immer gut, zu wissen, was geschehen wird.«

»Hier kannst du doch nicht eher etwas wissen, als bis du es siehst.«

»Ich habe es ja schon gesehen, nämlich die Falken. Sie sind in gerade westlicher Richtung fort; ich sehe sie deutlich - - jetzt beginnen sie wieder im Bogen zu fliegen; sie kreisen.« Und nachdem ich die Vögel vielleicht zwei Minuten lang beobachtet hatte, fuhr ich fort: »Sie ziehen noch immer ihre Kreise, bewegen sich aber dabei nach Süden. Daraus ziehe ich den Schluß: Da drüben bewegt sich eine Karawane. Sie kommt von nordwärts her und bewegt sich nach Süden, und zwar so langsam, daß ich fast vermuten möchte, daß Fußgänger dabei sind!«

»Woher weißt du, daß sie sich so langsam bewegt?«

»Die Falken schweben über der Karawane; das Tempo der Vögel ist auch dasjenige der Menschen.«

»Effendi, du weißt wirklich Dinge aus Gedanken hervorzuzaubern! Werden wir auf diese Leute treffen?«

»Ja, wenn wir sie nicht absichtlich vermeiden wollen. Sie sind so weit von uns entfernt, daß ein Fußgänger den Weg in einer Stunde zurücklegen kann.«


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»W'allah! Wie kannst du das denn so genau wissen? Das haben dir die Falken doch jedenfalls nicht gesagt!«

»Wer sonst als sie! Man weiß doch wohl, wie schnell ein Falke fliegt; ich weiß auch, wie lange diese beiden brauchten, um von uns wieder dort hinüberzukommen; aus diesen beiden Zahlen ist die Entfernung sehr leicht zu berechnen.«

»Ist es möglich, sie zu beobachten, ohne daß sie uns sehen können?«

»Durch das Fernrohr allerdings. Wollen einmal hinüber. In einer Viertelstunde werden wir sie erblicken.«

Es war mit unserer geistigen Müdigkeit vorbei. Der Schrei des Falken hatte uns wachgerufen. Wir lenkten nach Südwest, und ich behielt, indem wir dieser Richtung folgten, die Falken scharf im Auge. Dies that ich, um die Entfernung abzuschätzen und der Karawane nicht etwa so nahe zu kommen, daß wir von ihr aus mit dem unbewaffneten Auge gesehen werden konnten. Der Boden war nämlich eben; wir konnten uns nicht verstecken. Der Charakter der Wüste mußte sich erst gegen Abend verändern, um welche Zeit wir an das Nid en Nil zu gelangen dachten, ein langes und stellenweise sehr breites Regenbette, welches um diese Jahreszeit viel Wasser enthielt. Ich hatte von diesem Nid en Nil sagen hören, daß es sogar in der trockensten Jahreszeit Wasser enthalte und, da es eigentlich niemals austrockne, den Aufenthalt von Nilpferden bilde. Daß diese Tiere soweit nördlich vorkommen könnten, hatte ich bisher nicht gedacht.

Nach ungefähr einer Viertelstunde waren mir die Falken im Fernrohre so nahe gekommen, daß ich es für gut fand, anzuhalten und das Rohr nun gegen die Erde zu richten. Ich versuchte es erst mit dem bloßen Auge;


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da war nichts zu sehen. Aber durch das Perspektiv - wirklich, da ritten und da liefen sie, eine lange Reihe von Tieren und Menschen. Ich hatte mich also nicht geirrt. Als ich genug gesehen hatte, gab ich Ben Nil das Rohr. Er mußte lange suchen, ehe er die Karawane fand; dann beobachtete er sie ebenso lange und sagte endlich:

»Effendi, du hattest Recht. Es ist eine Karawane. Ich hätte das nicht erraten und wenn noch so viele Falken gekommen wären. Es sind zwanzig Reiter und fünfundvierzig Fußgänger. Was für eine Karawane mag dies sein? Man geht doch nicht zu Fuß durch die Wüste! Es wird doch nicht etwa eine Sklavenkarawane sein!«

»Beinahe undenkbar! Wo sollen hier die Sklaven herkommen? Und eine Sklavenkarawane am weißen Nile, welche von Nord nach Süd zieht, das wäre jedenfalls höchst sonderbar. Die entgegengesetzte Richtung ist die gewöhnliche: die Sklavenjäger holen ihre Ware aus dem Süden und schaffen sie nordwärts.«

»Was für ein Land liegt denn in der Gegend, aus welcher diese Leute zu kommen scheinen?«

»Das Land der Takaleh. Doch warte! Bei der Nennung dieses Namens fällt mir ein, daß die Takaleh, trotzdem sie Muhammedaner sind, die verwerfliche Gewohnheit haben, ihre Kinder zu verkaufen.«

»Allah! Welch eine Sünde und welch eine Schande! Wer wird seinen Sohn oder seine Tochter um Geld verschachern! Diese Takaleh sind gewiß Neger!«

»Sie sind nicht ganz schwarz, und man darf sie nicht etwa für tiefstehende und unbefähigte Menschen halten. Als Aegypten den Sudan eroberte, haben die Takaleh am längsten widerstanden. Sie sind tapfere Krieger und durch den Kampf mit den Aegyptern sehr berühmt ge-


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worden [geworden]. Das Land Takaleh zeichnet sich aus durch seine reichen Kupferminen und durch die Gastfreundschaft, welche seine Bewohner gegen jeden Fremden, welcher bei ihnen einkehrt, üben. Dies letztere darf aber nicht dazu verleiten, ihnen außerhalb der Gastverhältnisse eine allzu große Freundlichkeit zuzutrauen. Sie stehen unter einem Mek (* Vom arab. Melek - König.), welcher das Recht hat, diejenigen Unterthanen, welche ihm nicht gehorchen oder ihm sonst aus irgend einem Grunde mißliebig geworden sind, als Sklaven zu verkaufen. Kriegsgefangene können auch, wenn sie nicht, wie der alte Gebrauch vorschreibt, alle niedergemetzelt werden, verkauft werden.«

»Dann ist es sehr leicht möglich, daß diese Karawane aus solchen Verkauften besteht. Meinst du, daß wir, wenn wir diesen Leuten begegnen, etwas von ihnen zu befürchten haben?«

»Wohl nicht. Es giebt ja weder bei uns noch bei ihnen ein Interesse, sich an dem andern zu reiben.«

»Wollen wir hinüber zu ihnen?«

»Nein. Wenn wir sie auch nicht zu scheuen haben, so giebt es auch keinen Grund, sie gerade aufzusuchen. Wir wollen noch vor Abend am Nid en Nil sein und machen dort Lager. Treffen sie da auf uns, nun so sind sie eben da; aber geradezu aufzusuchen brauchen wir sie nicht.«

Wir schwenkten wieder nach Süden ein. Die Monotonie des Rittes war glücklich unterbrochen worden, und die Erwartung, ob wir eine Begegnung mit der Karawane haben würden oder nicht, ließ es nicht wieder zu dem Zustande innerlicher Versenktheit kommen, in welchem wir uns vorher befunden hatten.


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Der Nachmittag verging, und gegen Abend bemerkten wir, daß wir uns dem heutigen Ziele näherten. Der südliche Horizont, welcher bis dahin mit dem Himmel verschwommen gewesen war, stach jetzt dunkel gegen denselben ab, und da diese dunkle Linie hier in dieser Gegend unmöglich einen Bergzug bedeuten konnte, mußten wir sie als das Anzeichen eines Waldes nehmen.

Wir erreichten denselben an einer Stelle, wo er nur schmal war, weil das Nid en Nil hier eine so tiefe Einsenkung bildete, daß das Wasser desselben die hohen Ufer fast nie berühren und befruchten konnte. Die Steilung, hüben hinab und drüben wieder hinauf, war so bedeutend, daß wir sie unmöglich mit unsern Kamelen passieren konnten. Darum mußten wir solange am Ufer hinreiten, bis wir eine zum Uebergange geeignete Stelle fanden.

Dieses Nid en Nil ist ein Regenbette, welches im Charif (* Regenzeit.) jedenfalls eine reiche Menge Wassers führt; jetzt aber war die Stelle, an welcher wir auf dieses Bett gestoßen waren, schon vollständig trocken. Nach einer Viertelstunde jedoch verflachten sich die Ufer und bildeten einen Maijeh oder vielmehr eine Art See, dessen Wasser so hell und klar war, daß er nicht wohl ein Sumpf genannt werden konnte. Er war so breit, daß man das andere Ufer nicht sehen konnte. Das unsrige war mit hohen Bäumen besetzt.

Da wir hier nicht hinüber konnten, mußten wir weiter reiten. Der See machte bald eine Krümmung nach links und ging dann in einen schmalen Arm stehenden Gewässers Ueber, welcher ihn mit einem zweiten, noch größern See verband. Das Wasser dieses Armes konnte nicht tief sein, denn es ragten zahlreiche, stark bewipfelte Bäume aus demselben empor; jedenfalls trocknete es noch vor


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der heißen Jahreszeit vollständig aus. Hier war es wohl nicht schwer, hinüberzukommen; darum beschloß ich, an dieser Stelle Halt und Lager zu machen.

Wir stiegen also ab, ließen die Kamele von dem ziemlich reinen Wasser trinken und banden sie dann an die Sträucher, welche am Ufer unter den Bäumen standen. So konnten sie von den saftigen Zweigen derselben fressen. Als wir nachher beschäftigt waren, dürres Geäst für ein Feuer zu suchen, um uns gegen die am Wasser stets vorhandenen Stechmücken zu schützen, sahen wir die Karawane kommen, welche wir vorhin beobachtet hatten. Die voranreitenden Männer, bei denen sich ein wahrer Goliath befand, hielten an und betrachteten uns von weitem. Dann kam der Riese auf uns zu, musterte uns aufmerksam und mit finstern Blicken, ritt auch an die Sträucher, um zwischen dieselben hinein- und über sie hinwegzublicken, und fragte dann, ohne vorher zu grüßen:

»Was thut ihr hier an der Mahada ed Dill?«

Dieser Name bedeutet Furt des Schattens, schattige Furt; wir hatten also richtig eine Stelle getroffen, an welcher man über das Nid en Nil kommen konnte. Wenn im Oriente jemand bei irgend einer Begegnung nicht grüßt, so ist das stets ein schlechtes Zeichen. Dieser Mann machte überhaupt keinen Vertrauen erweckenden Eindruck. Darum antwortete ich kurz:

»Wir ruhen aus, wie du siehst.«

»Werdet ihr des Nachts hier bleiben?«

»Das kommt darauf an, ob es uns hier gefällt und ob wir ungestört sein werden.«

»Seid ihr allein?«

»Frage nicht uns, sondern deine Augen!«

»Dir scheint man die Vorzüge der Höflichkeit nicht beigebracht zu haben!«


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»Ich besitze sie; aber ich pflege sie nur dann zu zeigen, wenn man auch gegen mich höflich ist. Du hast uns den Gruß versagt.«

»Ich kenne euch nicht; sage, wer du bist!«

»Erst dann, wenn ich deinen Namen und Stand erfahren habe.«

»Ich stehe höher als du, folglich mußt du mir zuerst Auskunft geben. Wisse, ich bin Schedid, der tapferste Krieger des Königs der Takaleh!«

»Und ich bin der Mudir von Dscharabub. Hoffentlich kennst du diesen Ort!«

Wie mir dieser Name auf die Zunge kam, das hätte ich damals ebensowenig sagen können, wie ich es heute sagen kann.

Der Ort ist bekannt, weil der berühmteste muhammedanische Orden der Neuzeit dort gegründet wurde; aber einen Mudir giebt es da nicht und hat es nie gegeben. Ich legte mir diesen Rang bei, um dem Takaleh zu imponieren. Wer und was ich war, wollte und durfte ich ihm aus naheliegenden Gründen nicht sagen. Eine Unwahrheit ist wohl ein geringeres Verbrechen als eine Aufrichtigkeit, durch welche man nicht nur zum Selbstmörder wird, sondern auch das Wohl oder gar das Leben Anderer auf das Spiel setzt.

»Ich habe von diesem Orte noch nie etwas gehört,« antwortete er in wegwerfendem Tone. »Deine Mudirieh wird wohl eine von den Termiten zernagte sein!«

»Allah verzeihe dir diese Unwissenheit! Hast du denn noch nie von Sihdi Senussi gehört?«

»Allah durchbohre dich! Wie kannst du einen frommen Gläubigen mit dieser Frage beleidigen! Alles, was auf der Erde lebt, weiß, daß Sihdi Senussi der größte Prophet ist, welcher das Wort des Islam predigt. Kennst du die Orte Siwah und Farafrah?«


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»Natürlich!«

»Sie leuchten wie die Sterne vor allen Orten der Erde, denn dort befinden sich die Universitäten, in denen die Schüler und jünger von Sihdi Senussi gebildet werden.«

»Das weißt du und kennst doch Dscharabub nicht, welches noch viel heller leuchtet? Ja, in Dscharabub residiert Sihdi Senussi; in Siwah und Farafrah befinden sich nur seine Schulen. Alle drei Orte aber gehören zu meiner Mudirieh. Von ihnen geht das reinste Licht des Islam aus, vor welchem die Schatten aller Irrlehrer weichen müssen. Mein Haus und dasienige des Sihdi haben miteinander ein einziges Thor; wir leben unter einem Dache und trinken aus demselben Schlauche. Nun sage mir, wer höher steht, du oder ich? Wehe dem, der mir den Gruß verweigert! Es wird ihm ergehen wie dem Lästerer, von welchem die hundertvierte Sure spricht: >Er wird hinabgeworfen in Hutama (* Beiname der Hölle.). El Hutama aber ist das angezündete Feuer Allahs, welches über die Frevler zusammenschlägt!< Jetzt brüste dich weiter, o Schedid, der du nichts als nur der Diener eines Menschen bist!«

Da ließ er sein Kamel vor mir niederknieen, stieg ab, verneigte sich tief und sagte:

»Laß die Sonne deiner Verzeihung über mir aufgehen, o Mudir! Ich konnte doch nicht ahnen, daß du der Freund und Gefährte dieses heiligen Senussi bist. Euer Orden wird die ganze Welt umfassen, und vor eurer Macht werden sich beugen alle Menschen, welche leben und noch leben werden. Wie soll ich deinen jungen Gefährten nennen?«

»Die Zahl seiner Jahre beträgt nicht viel, aber die Vorzüge seines Geistes haben ihn schon berühmt gemacht.


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Er wurde auf der Universität von Farafrah gebildet und ist mit mir ausgezogen, um den Glanz unsers Ordens auch in diesem Lande hier leuchten zu lassen. Er ist Chatib (* Muhammedanischer Prediger.). Nenne ihn so!«

Das wäre etwas für Selim, den Aufschneider, gewesen! Dieser hätte gewiß sofort eine fulminante Rede gehalten, welche von Eigenlob übergeflossen wäre. Ben Nil aber sagte nur, und zwar im würdevollsten Tone, der ihm möglich war:

»Du hast dich gegen uns vergangen, weil du uns nicht kanntest. Wir verzeihen dir.«

Daß er als Muhammedaner die Unwahrheiten, deren ich mich schuldig gemacht hatte, bestätigte, war ein Zeichen, wie lieb er mich hatte. Der Takaleh befand sich in einer sichtbaren Verlegenheit. Ich sah es ihm an, daß er gern in unserer Nähe lagern wollte, dies aber mit der Hochachtung, welche er uns schuldig zu sein glaubte, nicht für vereinbarlich hielt. Er blickte nach seiner Karawane, welche halten geblieben war, zurück und sagte:

»Wir wollten bis morgen hier an dieser Stelle bleiben; nun aber werden wir uns wohl einen andern Ort suchen müssen, weil wir es doch nicht wagen können, in der Nähe so heiliger Männer zu lagern.«

»Vor Allah sind alle Menschen gleich. Ich erlaube euch also, hier bei uns Platz zu nehmen,« antwortete ich.

»Ich danke dir, o Mudir, und gebe dir die Versicherung, daß meine Leute sehr andachtsvolle Zuhörer eurer Reden sein werden.«

»Glaube nicht, daß wir euch Predigten halten. Alles zu seiner Zeit und am rechten Orte. Das Wort darf nur dann vom Munde fließen, wenn der Geist im Innern mächtig wird.«


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Es konnte mir natürlich nicht einfallen, hier als muhammedanischer Missionar aufzutreten. Ich hatte imponieren wollen und weiter nichts, und das war mir gelungen, wie das völlig veränderte Benehmen dieses Takaleh bewies. Aber trotz seiner gezeigten tiefen Ehrerbietung stieß er mich in einer Weise ab, daß ich ihn am liebsten weit von mir fort gewünscht hätte. Seine Züge waren regelmäßig, und seine Stimme hatte einen kräftigen, wohllautenden Klang; daß er mir trotzdem so sehr unsympathisch war, hatte keine äußeren, sondern innere Gründe, über welche ich mir freilich selbst keine Rechenschaft zu geben vermochte.

Er winkte seinen Leuten, herbeizukommen. Wir hatten uns nicht geirrt; es waren gerade so viele Personen, wie wir gezählt hatten. Jetzt konnten wir, was vorhin durch das Rohr nicht möglich gewesen war, auch die beiden Geschlechter unterscheiden. Die Hälfte der Fußgänger waren nämlich eigentlich Fußgängerinnen; allen aber waren, was wir erst jetzt bemerkten, die gefesselten Hände an einem langen Seile befestigt; sie waren also Gefangene.

Die Reiter brachten sie getrieben. Schedid rief ihnen einige Worte zu, auf welche hin man uns mit großer Demut grüßte. Nachdem die ersteren abgestiegen waren, versorgten sie erst ihre Tiere und führten dann die Gefangenen zum Wasser, damit auch sie trinken sollten. Dann mußten die letzteren, welche gar nicht losgebunden wurden, sich in unserer unmittelbaren Nähe niederlegen. Sie gehorchten in einer Weise, daß man sah, sie hatten sich in ihr Schicksal vollständig ergeben.

Was mir auffiel, war, daß zwischen den Gefangenen und ihren Begleitern nicht der geringste Unterschied im Typus zu entdecken war; sie schienen zu demselben Volke


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und Stamme zu gehören. Ihre Farbe war nicht schwarz, sondern schwärzlich braun, ihr Bart schwach und ihr Haar nicht gekräuselt, sondern starr. Der Anführer erteilte fünf von seinen Leuten die besondere Aufgabe, auf die Gefangenen zu achten, und sagte zu den übrigen:

»Oeffnet eure Augen, ihr Leute, und seht hier zwei Männer, deren Gebete euch den Himmel zu öffnen vermögen! Hier sitzt der berühmte und heilige Mudir von Dscharabub, welcher ein Oberster der Senussi ist und mit Sihdi Senussi in einem Hause wohnt, und neben ihm erblickt ihr einen frommen Jüngling, dem trotz seiner Jugend die Gabe gegeben ist, die reinen Lehren des Kuran zu verkündigen. Beugt euch vor ihnen, und laßt es euch nicht einfallen, ihnen durch unbedachte Worte lästig zu werden!«

Diese letztere Mahnung konnte auch in andern Worten lauten: »Seid klug und vorsichtig, und verratet nicht durch unbedachte Reden, daß wir schlechte Kerle sind!« Sie verschlangen die Arme über der Brust und beugten sich dann fast bis zur Erde nieder. Nachher setzten sie sich so nahe zu uns, daß sie uns zwar nicht lästig fielen, aber alles, was wir sprachen, hören konnten. Sie nahmen ihre Speisevorräte aus den Säcken, um einen Imbiß zu halten, aber die Gefangenen bekamen nichts. Darum fragte ich Schedid:

»Meinst du nicht, daß die andern auch Hunger haben?«

»Was geht es mich an, wenn sie hungern?« antwortete er. »Sie bekommen täglich einmal zu essen und zu trinken. Wenn sie jetzt Hunger haben, so mögen sie schlafen. Sie sind Requiq und haben übrigens heute schon mehr erhalten, als sie erwarten können, denn sie haben hier getrunken.«


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»Wasser aus dem See, während ihr aus den Schläuchen nahmt!«

»Für Requiq ist Wasser Wasser. Wenn es ihnen nicht schmeckt, so kann ich es nicht ändern.«

»Sie sind also Sklaven. Wo hast du sie gekauft?«

»Gekauft? O Mudir, wie sind die Heiligen, welche alle Himmel kennen, doch so unerfahren auf der Erde! Ein Takaleh kauft niemals Requiq, sondern er macht sie sich.«

»So sind diese Sklaven deine Stammesgenossen?«

»Natürlich!«

»Was haben sie gethan, daß man sie zu Requiq gemacht hat?«

»Gethan? Eigentlich nichts. Der Mek braucht Geld; darum verkauft er sie.«

»Kann er alle seine Unterthanen verkaufen?«

»Alle, welche ihm ungehorsam sind oder ihm aus sonst einem Grunde nicht mehr gefallen. Jeder Vater kann seine Kinder, jeder Mann seine Weiber und jeder Mächtige diejenigen verkaufen, über welche er zu gebieten hat.«

»Was würdest du dazu sagen, wenn der Mek auch dich verkaufte?«

»Ich müßte mich fügen.« Aber so leise, daß nur ich es hörte, fügte er hinzu: »Ich würde es nicht dulden, sondern ihn erwürgen!«

Der Umstand, daß er mich für einen Heiligen hielt, hinderte ihn gar nicht, mir diese Wahrheit anzuvertrauen. Entweder galt ihm selbst ein Oberster der Senussi weniger, als er sich vorhin den Anschein gegeben hatte, oder es war ihm überhaupt nichts heilig. Daß dieses letztere der Fall war, zeigte sich Sofort, als ich ihn fragte:

»Hast du auch schon Requiq verkauft?«


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»Schon oft. Auch bei diesen hier sind ein Weib und zwei Töchter von mir.«

»Warum verkaufst du sie?«

»Weil ich mir ein anderes Weib genommen habe, und weil es besser ist, man bekommt die Töchter bezahlt, als daß man sie ernähren muß.«

Er sagte das mit einer vollständig unbegreiflichen Gefühllosigkeit und in einem Tone, als ob er mit seinen Worten ganz selbstverständlich nicht nur seine eigene, sondern die Ansicht aller Menschen überhaupt ausgesprochen habe.

»Haben sie sich gutwillig gefügt?« erkundigte ich mich.

»Was wollten sie dagegen thun? Sie haben gefleht und geweint; aber was bedeutet die Thräne einer Frau? Das Weib hat keine Seele und kann also auch nicht in den Himmel kommen.«

»Wohin führst du diese Sklaven?«

»Nach Faschodah zu einem Manne, weicher mir meine Requiq regelmäßig abnimmt.«

Er hatte mir eine andere Antwort, vielleicht eine genaue Auskunft geben wollen, sich aber unterbrochen. Er traute mir also doch nicht ganz.

»Warst du schon oft in Faschodah?« fragte ich weiter.

»Ich ziehe nach jedem sechsten Monate hin, um Requiq zu verkaufen. Wohin wird denn dich deine jetzige Reise führen, o Mudir?«

»Zunächst nach Makhadat el Kelb, wo ich über den weißen Nil setzen werde, um das Volk der Fungi, dem ich predigen will, aufzusuchen.«

»Wirst du auch nach Faschodah kommen?«

»Jetzt nicht, vielleicht aber später.«

Nun hatte die Sonne scheinbar den Horizont berührt, und also war die Zeit des Mogreb-Gebetes gekommen.


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Die Leute, welche gesessen hatten, selbst auch die aneinander gebundenen Gefangenen, erhoben sich auf die Kniee, und aller Augen richteten sich auf mich. Der Vornehmste hat nämlich stets das Gebet zu sprechen, und die andern fallen nur an gewissen Stellen ein. Das war ein kritischer Augenblick für mich. Ich hatte schon sehr oft mit Muhammedanern gebetet, aber natürlich nicht laut und nicht zu Allah und den Propheten; aber jetzt so vielen Leuten die verschiedenen Verbeugungen vorschreiben und die Fathha, die vorgeschriebenen Kuranverse, den Gruß an Muhammed und den Erzengel vorbeten, das war unmöglich; das wäre eine große, große Sünde gewesen. Aus dieser Verlegenheit zog mich Ben Nil, indem er sagte:

»Mudir, du hast stets nur die drei Tagesgebete gesprochen und mir die beiden Gebete des Abends überlassen. Erlaubst du, daß es auch heute so geschieht?«

»Ja, bete vor, o Chatib, du Liebling des Propheten,« antwortete ich. »Deine Worte gehen denselben Weg wie die meinigen und werden das Ziel, nach welchem jedes Gebet gerichtet ist, ebenso erreichen, als ob sie aus meinem eigenen Munde kämen.«

Als das Mogreb gesprochen war, aß ich mit Ben Nil. Die Takaleh wendeten dabei ihre Gesichter zur Seite, um mich nicht essen zu sehen, wie es einem vornehmen oder frommen Manne gegenüber die Höflichkeit vorschreibt. Da ich mich darauf schweigsam verhielt, wagte Schedid es nicht, zu sprechen; auch die andern waren vollständig still, denn sie hielten mich und meinen jungen »Prediger« für in fromme Gedanken versunken, in denen man uns nicht stören dürfe.

Dann ging der Mond auf und warf die Schatten der Baumwipfel über uns. Zu meiner Rechten lag die sterile, erbarmungslose Wüste, und zu meiner Linken


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glänzten wie winzige Elfenleiber die Blüten jener ewig ruhelosen Pflanze auf dem Wasser, welche nicht im Boden wurzelt und deshalb immerwährend ihren Standort ändert. Sie kommt besonders im Tsadsee in großen Mengen vor, und die Bewohner von Bornu und Baghirmi singen ein Ruderlied, eine allerliebste Gondeliera von ihr, welche deutlich beweist, daß auch jene Völker poesiereich sind. Das Lied würde, frei ins Deutsche übersetzt, lauten:

»Es treibt die Fanna heimatlos
Auf der bewegten Flut,
Wenn auf dem See gigantisch groß
Der Talha Schatten ruht.
Er breitete die Netze aus
Im klaren Mondesschein,
Sang in die stille Nacht hinaus
Und träumte sich allein.
Da rauscht es aus den Fluten auf,
So geisterbleich und schön;
Er hielt den Kahn in seinem Lauf
Und ward nicht mehr gesehn.
Nun treibt die Fanna heimatlos
Auf der bewegten Flut,
Wenn auf dem See gigantisch groß
Der Talha Schatten ruht.«

Anstatt in die Tiefe des Islam versunken zu sein, dachte ich beim Anblicke der hellen Blüten der »heimatlosen Fanna« an dieses Lied und den Schauplatz desselben, wo nächtlicherweile Löwen, Elefanten, Nashörner und Nilpferde, die Riesen der Tierwelt, friedlich einander am Ufer begegnen; friedlich, aber nur aus Furcht, dem gewaltigen Gegner unterliegen zu müssen. Da unterbrach einer der Takaleh die Stille, indem er, hinaus in die Wüste deutend, rief:


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»Ein Mann, ein Reiter; wer mag er sein?«

Es kam wirklich jemand geritten, und zwar gerade auf die »Furt des Schattens« zu. Er mußte sie genau kennen. Er schien aus Nordost, also vom Nile herzukommen, während unsere Richtung eine nordwestliche gewesen war. Sein heller Burnus glänzte im Mondesscheine. Unser Feuer brannte; er mußte es sehen. Daraus, daß er trotzdem so unbedenklich näher kam, ließ sich vieles schließen. Erst als er sich ganz nahe befand, hielt er sein Kamel an und grüßte:

»Allah gebe euch hunderttausend solche Nächte! Erlaubt ihr mir, meine Ruhe bei euch zu halten?«

Da ich schwieg und Ben Nil ebenso, antwortete Schedid, der Anführer der Takaleh:

»Steig ab und setze dich! Du bist willkommen.«

Der Mann sprang aus dem Sattel, ließ sein Kamel ans Wasser laufen und trat an unser Feuer, um sich zwischen Schedid und Ben Nil niederzusetzen. Da die Gefangenen nicht so nahe am Feuer, sondern mehr im Schatten lagen, hatte er sie nicht deutlich erkennen können; jetzt aber sah er, daß diese Personen an ein Seil gebunden waren. Sein Gesicht nahm sofort einen merklich befriedigten Ausdruck an, und sein Ton klang wie erleichtert, als er sagte:

»Allah hat mich gerade zur richtigen Zeit nach der Furt des Schattens geführt, denn ich vermute, daß diese Gefangenen zum Volke der Takaleh gehören. Habe ich richtig geraten?«

»Ja,« antwortete der Anführer.

»So muß sich auch Schedid, der oberste Diener des Königs, hier befinden. Welcher von euch ist es?«

»Ich selbst bin es. Wer aber bist du, daß du meinen Namen kennst?«


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»Ich bin ein Ben Baqquara und wohne an der Mischrah Omm Oschrin. Ich bin der Freund eines Mannes, den auch du kennst, Ibn Asl.«

»Hat deine Bekanntschaft mit ihm etwas mit deinem jetzigen Ritte zu thun?«

»Ja, denn ich bin als sein Bote an dich gesandt.«

»Er sendet dich zu mir? Nicht dahin, wo ich wohne, sondern hierher an diese Stelle, wo es so sehr zweifelhaft ist, ob und wann ich da angetroffen werden kann? Das muß einen ganz außerordentlichen Grund haben!«

»Den hat es auch. Er war aber gar nicht ungewiß darüber, daß ich dich hier finden würde. Er sagte, daß du jährlich zweimal dein Land verließest, um nach Faschodah zu gehen, und daß diese Reisen zu ganz bestimmten Zeiten von dir unternommen werden.«

»Das ist wahr.«

»Er kennt die Tage deiner Abreise und deiner Ankunft genau und kann also ziemlich leicht berechnen, wo du dich an einem gewissen Tage befindest. Er sagte, daß ich dich ganz sicher morgen oder übermorgen hier an der Furt treffen würde.«

»Er hat sich um einen Tag geirrt, weil ich diesmal um einen Tag eher aufgebrochen bin. Welche Botschaft ist es, die du mir bringen sollst?«

»Es ist eine Warnung. Du sollst dich während des Marsches nicht dem Nile zu weit nähern und die Requiq diesmal nicht direkt nach Faschodah bringen, sondern die Leute in der Nähe verstecken und dann zu Ibn Mulei, dem Sangak der Arnauten, gehen, um ihm zu sagen, wo sie zu finden sind.«

»Wozu diese Umstände?«

»Weil es einen fremden Effendi giebt, welcher sich


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in dieser Gegend umhertreibt, um die Sklavenhändler zu fangen und an den Reïs Effendina abzuliefern.«

»Allah vernichte diesen Hund!«

»Er ist noch dazu ein Christ!«

»So möge Allah ihn nicht vernichten, sondern ihn in alle Ewigkeit im schrecklichsten Winkel der Hölle aufbewahren! Was hat dieser Christenhund sich um die Sklavenhändler zu kümmern!«

»Ich soll dir sagen, daß er sich jetzt höchst wahrscheinlich mit dem Reïs Effendina auf der Nilfahrt nach Faschodah befinden wird. Da diese Leute öfters an das Land steigen, könnten sie dich leicht entdecken und ergreifen, falls du dich dem Strome zu nahe hältst. Aus diesem Grunde sendet mich Ibn Asl, um dich zu warnen.«

»Das war nicht nötig. Was gehen mich die Gesetze des Vicekönigs an! Ich diene meinem Könige. Unser Gesetz erlaubt es, Menschen zu verkaufen. Wenn ich darnach handle, kann kein Mensch mir etwas thun. Zudem haben wir einen mächtigen Beschützer in Ali Effendi el Kurdi, dem Mudir von Faschodah, welcher dem Reïs Effendina schon manchen Fang vor der Nase weggeschnappt hat. Was hätten wir also zu fürchten? Ich werde meinen gewöhnlichen Weg nicht ändern, eines verfluchten Christen wegen erst recht nicht. Es sollte mich im Gegenteile freuen, auf ihn zu treffen; ich würde ihn hier zwischen meinen Fäusten zermalmen!«

Er rieb die gewaltigen Hände gegeneinander, wobei der Ausdruck seiner sonst nicht unangenehmen Züge ein ganz anderer geworden war. Man kann sich leicht denken, mit welchem Interesse ich Zeuge dieses Gespräches war. Dabei freute es mich, zu hören, daß weder Schedid noch der Bote etwas von der kürzlichen Absetzung des Mudirs Ali Effendi el Kurdi zu wissen schien; ebenso froh war


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ich, zu erfahren, daß der Sangak der Arnauten wirklich derjenige war, als welchen ihn uns der Oberlieutenant des Sklavenjägers bezeichnet hatte. Ich wußte nun mit Sicherheit, an welche Person ich mich wenden mußte. Die Worte Schedids bewiesen ein großes Selbstvertrauen; dies konnte mir nur lieb sein, denn je sicherer er sich fühlte, desto mehr arbeitete er mir in die Hände. Und doch ahnte ich jetzt noch nicht, was ich alles noch hören würde! Der Bote eiferte gegen dieses Selbstvertrauen, indem er warnte:

»Fühle dich da nicht so sicher! Meinst du, daß Ibn Asl mich zu dir gesandt hätte, wenn er nicht vollständig überzeugt wäre, daß dies notwendig sei? Jener christliche Effendi soll viel gefährlicher sein, als der Reïs Effendina selbst!«

Da stand Schedid auf, reckte seine mächtige Gestalt in die Länge und Breite und rief:

»Schweig lieber davon, und schau mich einmal an! Sehe ich aus, als ob ich mich vor einem Menschen, noch dazu vor einem Christen zu fürchten hätte? Ich schlage fünf oder zehn solche Hunde auf einmal nieder!«

»Ja, du bist stark; das sagte mir Ibn Asl; aber er meinte dennoch, daß dieser Christ ebenso stark, vielleicht noch stärker sei als du.«

»Als ich?! Wie kann Ibn Asl mich auf diese Weise beleidigen wollen! Ich bin noch von keinem Menschen besiegt worden!«

»Er hat dich nicht beleidigen wollen, denn er meinte wohl nicht nur die Körperkraft, sondern auch diejenige Stärke oder denjenigen Vorteil, welchen ein listiger Mann vor seinem Gegner besitzt. Dieser Giaur soll nämlich ein Ausbund von Verschlagenheit sein. Er vermag alles, selbst das Geheimnisvollste, zu erraten, und stets ist der-


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jenige [derjenige], der ihm eine Falle stellte, selbst hineingefallen. Ibn Asl hat mir einiges erzählt. Er hatte nicht viel Zeit; aber das wenige, was er mir über den Christen berichtete, müßte dich zur größten Vorsicht bewegen.«

»So erzähle einmal! Ich möchte mit meinen eigenen Ohren hören, warum ein gläubiger Moslem sich vor einem ungläubigen Hunde fürchten soll.«

Er setzte sich wieder nieder, und der Bote erzählte unsere Abenteuer. Obgleich dies nur in kurzen Umrissen geschah, meinte, als er geendet hatte, doch der Takaleh:

»Dieser Hund scheint wirklich äußerst gefährlich zu sein. Man hat sich vor ihm in acht zu nehmen. Da er mich aber nicht kennt und auch ganz und gar nichts von mir weiß, so habe ich ihn nicht zu fürchten.«

»Kannst du behaupten, daß er nichts von dir weiß? Er hat die Leute Ibn Asls gefangen. Wenn es ihm nun gelungen ist, einen dieser Leute zum Sprechen zu bewegen!«

»Das ist wahr!«

»Und selbst wenn er nichts von dir erfahren hätte, er würde dich doch anhalten, wenn du ihm mit deinen Requiq begegnetest.«

»Ich würde ihn besiegen!«

»Vielleicht, ja, wenn es ihm einfiele, dich offen anzugreifen; aber du hast ja gehört, wie vorsichtig und listig er ist. Weiche ihm also aus, so sehr du kannst!«

»Gut, ich werde dies thun, aber nicht, weil ich mich fürchte, sondern weil Ibn Asl es wünscht. Wo befindet sich dieser jetzt?«

»Es war gestern mittag, als er auf seiner Kamelstute nach der Mischrah Omm Oschrin kam. Ich bin dann sofort aufgebrochen und jetzt hier angekommen. Da kannst du rechnen, daß er heute abend schon weit über Makhadat el Kelb hinaus ist.«


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»Will er ganz bis Faschodah reiten?«

»Ja.«

»Und, da alle seine Leute gefangen sind, wo will er neue Männer für den Sklavenfang hernehmen?«

»Er will Schilluks und Nuehrs anwerben, vielleicht auch Dinkas, ganz wie er die Gelegenheit findet. Das muß aber bald geschehen, denn der Reïs Effendina ist hinter ihm her. Er muß sich in Faschodah verstecken, weil er auf dich warten will. Und da fällt mir ein, daß er mich beauftragt hat, dir besonders einen dieser Sklaven an das Herz zu legen. Ich soll dir sagen, es sei derjenige, den er vor sechs Monaten bei deiner letzten Reise bestellt hat.«

»Also Hafid Sichar! Dort liegt er. Er ist der erste am Seile.«

»Es war Ibn Asl ganz besonders darum zu thun, diesen Mann wieder zu bekommen. Du sollst ihn auf das strengste beaufsichtigen lassen.«

»Ich werde auf ihn achten und nicht unvorsichtig sein. Aber gerade die Hauptsache hat Ibn Asl vergessen. Das, worauf es am meisten ankommt, hat er mir nicht sagen lassen. Wie nun, wenn ich diesem christlichen Effendi begegne?! Ich kenne ihn nicht und kann also sehr leicht, wenn nicht seiner Stärke, so doch seiner List verfallen. Ibn Asl hat ihn gesehen und sogar mit ihm gesprochen. Wie konnte er vergessen, mir durch dich eine Beschreibung dieses Hundes zu senden!«

»Allah! Was bin ich für ein Bote!« rief der Mann, indem er sich mit der Hand gegen die Stirn schlug. »Nicht er hat, sondern ich habe es vergessen. Er gab mir sogar eine sehr genaue Beschreibung und fügte auch noch einen Namen bei, welcher Ben Nil lautet.«

O wehe! Ich griff unwillkürlich mit der Hand nach


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dem Revolver, denn das Gespräch begann eine für mich unerquickliche Wendung zu nehmen. Wenn dieser Mann unser Signalement genau behalten hatte, so war ich verraten. Ben Nil hatte ganz denselben Gedanken und warf mir einen besorgt forschenden Blick zu.

»Ben Nil?« fragte Schedid. »Wer ist das?«

»Ein junger Mensch, welcher, obgleich er Moslem ist, sich stets an der Seite dieses Effendi befindet. Allah zerreiße ihn! Nie ist der eine ohne den andern zu sehen. Darum hat Ibn Asl mir eine Beschreibung von beiden gegeben.«

»So gieb sie nun mir!«

»Dieser Ben Nil ist ungefähr achtzehn Jahre alt und ohne Bart, von schmächtiger Gestalt, besitzt aber bedeutende Körperkraft. Haare und Augen sind dunkel, die Wangen voll. Die Kleidung, welche er zuletzt trug, bestand aus - -«

Er hielt inne, musterte Ben Nil mit erstaunten Augen und rief dann aus:

»Welch ein Wunder! Die Beschreibung, welche ich von diesem abtrünnigen jungen Moslem erhalten habe, paßt ganz und genau auf diesen Jüngling, welcher da an meiner Seite sitzt!«

»Du irrst, oder es ist ein Zufall.«

»Ich sage dir aber, es stimmt genau, sehr genau.«

»Das ist möglich, da du jenen Ben Nil nicht gesehen hast. Dunkle Haare und Augen, schmächtige Gestalt und volle Wangen besitzen tausend junge Leute. Dieser Jüngling aber ist über jeden Zweifel erhaben, denn er ist ein berühmter Chatib, vom heiligen Orden des Sihdi Senussi.«

Der Bote kreuzte die Arme über die Brust, verneigte sich gegen Ben Nil und sagte:


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»Dann irre ich mich allerdings; aber ich habe diesen frommen Chatib, den Allah segnen wird, nicht beleidigen wollen.«

Gott sei Dank! Die kleinere Hälfte der Gefahr war überstanden! Wie würde es aber mit der anderen, größeren Hälfte werden! Um dies zu erfahren, hatte ich gar nicht lange zu warten, denn Schedid sagte:

»Dieser Ben Nil ist überhaupt eine Nebenperson für mich. Die Hauptsache ist doch die Beschreibung des Effendi. Du wirst sie mir so genau wie möglich geben.«

Ich wünschte im stillen, daß sie so ungenau wie möglich ausfallen möge; aber leider war dies keineswegs der Fall. Ibn Asl hatte seinem Boten meinen »Steckbrief« auf das sorgfältigste eingeprägt. Kaum war meine Gestalt, mein Gesicht und ein Teil meiner Kleidung beschrieben, so erging es dem Sprecher wie vorhin bei der Beschreibung Ben Nils: Er hielt inne, fixierte mich betroffen und fuhr dann fort:

»Allah ist groß! Sollte man es für möglich halten! Da sitzt ja derjenige, den ich beschreiben soll, in eigener Person! Er ist's, er ist's! Da ist gar kein Zweifel möglich!« - Man kann sich denken, welches Aufsehen diese Worte erregten. Alle blickten auf mich; sogar die Gefangenen erhoben ihre Köpfe, und einer von ihnen rief.

»Hamdulillah! Vielleicht bin ich nun gerettet!«

Glücklicherweise schenkte niemand diesen Worten Aufmerksamkeit, weil die letztere ausschließlich auf mich gerichtet war. Nur ich allein achtete auf sie, weil ich mich mit dem, der sie gesprochen hatte, schon seit einiger Zeit eingehend beschäftigt hatte. Er war nämlich von Schedid Hafid Sichar genannt worden, und so hieß der, den ich eifrig suchte, nämlich der verschollene Bruder des Führers von Maabdah. Sollte es dieser sein? Ibn Asl hatte


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durch seinen Boten sagen lassen, daß man auf ihn ganz besonders aufmerksam sein sollte. Er mußte ihm also wichtig sein. Ich neigte mich sehr der Ansicht zu, daß ich, so vieles auch dagegen sprach, den Gesuchten hier gefunden hatte. Und in dieser Ansicht wurde ich durch den Ausruf bestärkt, den ich jetzt von ihm gehört hatte. Die Erzählung des Boten war von ihm verstanden worden; er mußte mich für einen unternehmenden und unerschrockenen Menschen halten; er glaubte, wenn ich der gefürchtete fremde Effendi sei, könne mich nur die Absicht, die Gefangenen zu befreien, hierher geführt haben, und darum entführen seinen unvorsichtigen Lippen die Worte, daß er nun vielleicht gerettet sei. Ich hatte jetzt natürlich nicht mehr Zeit, auf ihn zu achten, sondern ich mußte meinen äußern und innern Menschen ausschließlich der Gefahr widmen, in welche ich selbst geraten war.

Ein kurzer Blick auf Ben Nil beruhigte mich. Dieser zeigte sich keineswegs erschrocken, sondern auf seinem Gesichte lag ein so überlegen lächelndes Staunen, als sei er ganz gewiß und sicher derjenige, für den ich ihn ausgegeben hatte, und wundere sich nun über die Möglichkeit, für einen andern gehalten zu werden. Ich konnte mich auf ihn verlassen und in Beziehung auf sein Verhalten vollständig ruhig sein.

Was nun mich selbst betraf, so blickte ich dem Boten wie fragend in sein erregtes Gesicht und sagte kein Wort. Ich that so, als ob ich nicht imstande sei, das, was er gesagt hatte, zu verstehen. Schedid sah bald ihn und bald mich an. Er war überzeugt worden, daß meine Person genau mit dem Signalement stimme; aber die würdevolle Ruhe, welche ich bewahrte, machte ihn irre.

»Was sagst du?« fragte er den Boten. »Dieser


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Mann, welcher hier an meiner rechten Seite sitzt, soll jener ungläubige Effendi sein?«

»Ja, er ist's! Er kann kein anderer sein.«

»Du irrst dich abermals. Dieser heilige Mann ist der Mudir von Dscharabub, der Vertraute und beste Freund des Sihdi Senussi.«

»Ist das wahr? Kannst du das beweisen?« fragte der Bote.

»Ich weiß es von ihm selbst.«

»Von ihm selbst, von ihm selbst!« lachte der Baqquara-Araber. »Wenn du es von keinem andern, von keinem sicherern Manne weißt, so ist es um deinen Beweis sehr schlecht bestellt. Habe ich dir nicht erzählt, daß der Giaur sich schon öfters einen falschen Namen gegeben hat?«

»Allah! Ich habe es gehört. Sollte - -!«

Er sah mich mit Augen an, in denen das Vertrauen mit dem Mißtrauen um den Sieg rang. Ich antwortete mit einem festen, verwunderten Blicke und fragte:

»Was sagt dieser Mann? Spricht er von mir?«

»Natürlich meint er dich!« antwortete Schedid. »Hast du denn nicht verstanden?«

»Hätte ich ihn verstanden, so müßte ich ihn für toll halten; lieber will ich annehmen, daß ich falsch gehört habe.«

»Er behauptet, du seist der christliche Effendi, von welchem er gesprochen hat.«

»Allah sei ihm gnädig! Also hat er es wirklich gesagt! Sein Geist ist krank. Er mag Tücher ins Wasser tauchen und sie sich um die Stirne legen, dann wird ihn das Fieber verlassen.«

»Ich bin nicht krank; ich weiß, was ich sage!« rief der Baqquara. »In einer einzelnen Person mag man


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sich irren, aber in zwei Menschen zugleich, das ist unmöglich. Der junge Mann stimmt ganz genau auf Ben Nil und der andere genau auf den Effendi. Sie sind es! Was haben sie für Kamele? Ihn Asl sagte, daß sie auf grauen Hedschihn reiten.«

»Das ist richtig,« antwortete Schedid.

»Richtig? Also ein neuer Beweis, daß ich mich nicht irre! Laß dich nicht betrügen, o Schedid! Untersuche den Fall genau!«

Schedid war jetzt doppelt bedenklich geworden. Er meinte zu mir:

»Du hörst, was er sagt. Ich hege alle Ehrerbietung für deine Heiligkeit; aber ich habe keinen Beweis, daß sie richtig ist. Also bitte ich dich, mir dazu zu verhelfen, daß ich dir vertrauen kann.«

»Also du mißtraust mir wirklich?« fragte ich in scheinbar maßlosem Erstaunen. »Ich soll beweisen, daß ich der bin, der ich bin! Sage mir doch, wo wir uns befinden!«

»Nun, hier an der Machada ed Dill.«

»Und wo ist jener Effendi, wie Ibn Asl selbst gesagt hat?«

»Unterwegs auf dem Nil.«

»Kann ich also er sein?«

»Das, was Ibn Asl gesagt hat, ist ja nur eine Vermutung. Wenn nur einer von euch mit der Beschreibung übereinstimmte, so wäre ein Irrtum denkbar, da aber euere beiden Personen stimmen, so steht es sehr schlimm um dich. Wenn du jener Effendi bist, muß ich dich töten.«

»Aber ich bin es nicht!«

»Das ist nicht erwiesen. Hast du einen Beweis bei dir, daß du die Wahrheit sagst?«


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»Der einzige und beste Beweis bin ich selbst.«

»Dann muß ich dich festnehmen und bei mir behalten, um dich Ibn Asl zu zeigen!«

»Das wirst du nicht thun, denn dadurch würde unser heiliges Werk gestört werden.«

»Wenn du mich nicht in den Stand setzest, an dieses heilige Werk glauben zu können, kann ich es nicht berücksichtigen.«

»Du wirst es berücksichtigen, denn ich bin überzeugt, daß du weißt, im Besitze welcher Mächte und Geheimnisse mein Orden sich befindet. Ich würde dieselben gegen dich in Anwendung bringen.«

In der Bevölkerung jener Gegend herrscht der finsterste Aberglaube; darum riefen diese Worte den heilsamen Schreck hervor, den ich beabsichtigt hatte. Schedid befand sich in einer schlimmen Lage. War ich der Effendi, so mußte er mich töten oder wenigstens festnehmen; war ich aber wirklich der Senussi, für den ich mich ausgab, so war ich nicht nur ein heiliger Mann, sondern auch ein Zauberer, welcher, um sich zu rächen, alle guten und alle bösen Geister auf die Beine bringen konnte. Vor diesen meinen Zauberkräften hatte er eine heillose Angst, doch hetzte ihn der Bote durch weitere Bemerkungen immer mehr gegen mich auf, daß er endlich zu mir sagte:

»Ich weiß nicht, was ich thun soll. Ich möchte dir nicht Mißtrauen, und du kannst dich doch nicht legitimieren. Aber du kannst auf zweierlei Art meine Zweifel beseitigen. Wirst du darauf eingehen?«

»Sprich zuerst!«

»Du hast gehört, daß dieser Effendi ein sehr starker Mann sein soll. Kämpfe mit mir, damit ich erfahre, ob du die Kraft besitzest, welche er haben soll.«

Das war nun freilich eine Pfiffigkeit und Findigkeit


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von ihm, die ihm keine Prämie eintragen konnte. Der gute Mann schien es gar nicht für möglich zu halten, daß ein Starker sich verstellen könne. Ich wäre sofort auf seine Forderung eingegangen, wenn ich nicht die Ehre meines angenommenen geistlichen Standes zu wahren gehabt hätte; darum antwortete ich:

»Du sagst, ich könne mich doppelt legitimieren, zunächst durch den Zweikampf mit dir. Wir sind ausgezogen, um zu predigen, nicht aber um zu kämpfen. Vergleiche deine Gestalt mit der meinigen! Wollte ich mit dir kämpfen, so müßte ich unterliegen; das ist sicher.«

»Es kommt nicht immer nur auf die Gestalt an.«

»Ja,« stimmte der Bote des Sklavenjägers bei. »Der fremde Effendi besitzt, wie ich von Ibn Asl vernommen habe, auch nicht die Figur eines Riesen, und doch hat er eine Körperkraft, welcher kein anderer, kein einzelner gewachsen ist. Bist du dieser Giaur, so kannst du Schedid hier wohl überwinden. Besiegst du ihn nicht, so ist dies dann ein Beweis, daß du der Effendi nicht bist.«

»So ist es,« nickte Schedid. »Hast du ein gutes Gewissen, so ringe mit mir. Thust du dies nicht, so nehme ich an, daß du befürchtest, dich durch deine Körperstärke zu verraten. Also entscheide dich!«

Der Rolle, welche ich spielen mußte, getreu, stand ich zwar auf, als ob ich bereit sei, sagte aber in bedenklichem Tone:

»Wenn man in Dscharabub erführe, daß ich mit dir gerungen habe und besiegt worden sei, würde die Achtung, welche ich zu fordern habe, zum größten Teile verloren sein.«

Da kam mir mein pfiffiger Ben Nil sehr klug zu Hilfe, indem er meinte:

»Wer soll es verraten, o Mudir? Von diesen


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Männern hier wird wohl keiner jemals in unsere Heimat kommen, und meiner Verschwiegenheit kannst du, wie du weißt, vollständig sicher sein.«

»Du hörst es,« sagte jetzt Schedid. »Falls ich dich überwinde, wird deine Würde keinen Schaden nehmen. Dieses dein Bedenken ist also gegenstandslos geworden, und ich fordere dich noch einmal auf, dich zu entscheiden.«

»Nun wohl, es mag geschehen. Unter welchen Bedingungen soll der Kampf vor sich gehen?«

»Wir legen die Oberkleider ab und umarmen uns. Derjenige, welcher den andern in dieser Stellung emporhebt und dann niederwirft, ist der Sieger. Bist du einverstanden?«

»Ja, ich habe nichts dagegen,« antwortete ich, indem ich ebenso wie er den seinigen, meinen Haïk auszog.

Natürlich nahm ich mir vor, mich von ihm werfen zu lassen. Doch durfte ich ihm auch nicht zu wenig Widerstand entgegensetzen, da dies seinen Verdacht hätte erregen müssen. Aufrichtig gestanden, hätte ich mich sehr gern im Ernste mit diesem Goliath gemessen, um zu erfahren, ob es mir möglich sei, ihn niederzuringen; leider aber durfte ich nicht.

Wir standen bereit. Er trat auf mich zu und legte seine gewaltigen Arme um mich, ich die meinigen um ihn. Nun versuchte er, mich emporzuheben. Ich setzte ihm den Widerstand eines kräftigen Mannes entgegen. Zweimal hob er mir die Füße aus, doch wurde es mir nicht schwer, den Boden wieder zu gewinnen. Beim drittenmale aber nahm er alle seine Kraft zusammen, hob mich empor, griff, während er den linken Arm an meinem Oberkörper ließ, mit der Rechten nach meinen Schenkeln, so daß er mich nun wagrecht an sich hatte, und legte mich dann auf die Erde nieder. Indem ich dies geschehen ließ,


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hegte ich die Ueberzeugung, daß ich, wenn ich nur wollte, ganz dasselbe mit ihm thun konnte.

»Er ist nicht schwach,« sagte er; »sondern er hat ganz gute Kräfte; aber außergewöhnlich sind sie nicht.«

»Ich wußte, daß ich besiegt werden würde,« meinte ich, indem ich aufstand. »Einem Manne wie dir kann ich unmöglich gewachsen sein. Ich habe verspielt.«

Dabei that ich, als ob ich vor Anstrengung außer Atem sei.

»Ja, zweimal gelang es dir, die Erde wieder zu erreichen; aber dafür geht nun auch deine Brust auf und nieder, als ob du lange Zeit Galopp gelaufen seist. Du bist kein Riese. Die erste Probe hast du bestanden. Jetzt werden wir die zweite vornehmen.«

»Welche?«

»Es soll Christen geben, welche den Kuran kennen, so vollständig auswendig aber wie ein Moslem kann kein Giaur ihn lernen. Ich bin überzeugt, daß wenn man einem Ungläubigen die Sure EI Kuiffar vorbetet, er sie nicht richtig nachsprechen kann. Kennst du sie?«

»Ja.«

»Kannst du sie auch ohne Fehler hersagen?«

»Vielleicht, wenn du sie mir richtig und deutlich vorsprichst.«

Ich brauchte sie mir nicht vorsagen zu lassen, denn ich konnte und kann sie auswendig. Sie ist die hundertneunte Sure und soll Muhammed geoffenbart worden sein, als einige Araber von ihm verlangten, er solle ein Jahr lang ihre Götter verehren, dann wollten sie ebensolang seinen Gott anbeten. Sie ist sehr kurz, nur einige Zeilen lang, aber ihrer eigenartigen Wortstellung wegen selbst für einen Araber nicht leicht fehlerfrei zu recitieren. Darum wird sie besonders dann angewendet, wenn man


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einen im Verdacht hat, betrunken zu sein, da es einem Betrunkenen geradezu unmöglich ist, sie ohne Anstoß zu Ende zu bringen. Ganz dasselbe setzte Schedid auch bei einem Christen voraus.

»Wollen sehen!« meinte er mit einem überlegenen Lächeln. »Ich werde sie dir also vorbeten. Uebrigens hast du dich schon verraten, indem du verlangst, daß ich sie vorsagen soll. Ein guter Senussi, und noch dazu ein Mudir, ein hervorragendes Glied dieser heiligen Bruderschaft, muß diese Sure unbedingt, ohne sie vorher zu hören, aufsagen können.«

Er stellte sich in Positur, neigte den Kopf, faltete die Hände und begann:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Sprich: O ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehret, und ihr verehret nicht, was ich nicht verehre, und ich werde auch nie verehren das, was ihr nicht verehret, und ihr werdet verehren - - nicht verehren das, was ich nicht - - was ich verehre, denn ihr habt meine Religion, und ich - ich - ich habe - - ich habe nicht - nicht - - nicht ---«

Er hielt inne, denn er sah jetzt ein, daß er sich verfahren hatte. Die falsche Satzstellung abgerechnet, hatte er schon zweimal das Wort »nicht« und einmal das Wort »meine« gebraucht, ohne daß sie in der Sure enthalten sind.

»Nun!« lächelte ich. »Bist du kein Moslem oder bist du betrunken?«

»Keins von beiden!« rief er ärgerlich. »Diese Sure ist wirklich die schwierigste, welche es giebt. Du aber als Senussi mußt sie unbedingt ohne Anstoß sagen können!«

»Wenn ich mich nur ein einziges Mal verspreche, sollst du alles erhalten, was ich besitze!«


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»Wirklich? Ich nehme dich beim Wort. Uebrigens brauchst du mir dieses Versprechen gar nicht zu machen, denn wenn du nur den geringsten Fehler begehst, nehme ich an, daß du ein Christ oder gar jener Effendi bist. Dann hast du das Leben verwirkt, und alles, was du bei dir hast, ist mein Eigentum.«

»Wirst du denn beurteilen können, ob ich Fehler mache oder nicht? Du hast es ja selbst nicht fertig gebracht, und was man begutachten will, muß man doch wohl auch selbst können und verstehen.«

»Ich kenne die Sure, wenn ich sie auch nicht ohne Anstoß aufsagen konnte. Also sprich!«

Ich kam dieser Aufforderung nach, indem ich so schnell, daß sein Ohr wohl kaum zu folgen vermochte, recitierte:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Sprich: O ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehret, und ihr verehret nicht, was ich verehre, und ich werde auch nie verehren das, was ihr verehret, und ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe die meinige.«

In der deutschen Uebersetzung klingt diese Sure nur schwülstig; im Arabischen aber ist es noch ganz anders. Die Beugung des Wortes »ihtaram« = verehren, ist da eine so eigenartige, daß es wirklich schwierig ist, die Affirmation nicht mit der Negation und die erste Person der Einzahl nicht mit der zweiten Person der Mehrzahl zu verwechseln. Als ich geendet hatte, sagte Schedid:

»Wahrhaftig, er kann es, so schnell und ohne den geringsten Anstoß! Er kann kein Ungläubiger sein!«

»Aber,« fiel der Bote ein, »ich erinnere mich, von Ibn Asl gehört zu haben, daß der ungläubige Effendi die arabische Sprache und den Kuran so genau kennt, als


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ob er hier bei uns geboren sei und beim besten Muderri (* Professor an einer muhammedanischen Universität.) in Kahira studiert habe. Nimm dich in acht! Fälle dein Urteil nicht zu früh, denn du könntest dich leicht irren!«

»Meinst du? Wie sollte ich ihn denn noch auf die Probe stellen?«

Das klang für mich gefährlich. Dieser Bote war wirklich der festen Meinung, daß ich der Effendi sei; unter seinem Einflusse konnte die gute Ansicht, welche Schedid jetzt von mir zu haben schien, sich leicht in ihr Gegenteil verwandeln.

Es war geraten, dies nicht abzuwarten; darum sagte ich, indem ich mich stellte, als ob ich zornig sei:

»Noch mehr auf Probe? Das fällt mir nicht ein! Weißt du, was ein Mudir von Dscharabub zu bedeuten hat? Dennoch habe ich mich herbeigelassen, nicht nur mit dir zu ringen, sondern auch die Sure EI Kuiffar herzusagen. Das war mehr als genug. Soll ich mich noch weiter vor euch demütigen? Nein! Wer einen Mudir der Senussi und einen Chatib dieser frommen Brüderschaft in solcher Weise beleidigt, der darf nicht erwarten, längere Zeit in die Angesichter solcher Leute schauen zu dürfen. Wir sind gastfreundlich gegen euch gewesen und haben euch erlaubt, in unserer Nähe zu sein; nun aber verlassen wir diesen Ort und kehren euch den Rücken, um - -«

»Nein, das dürft ihr nicht!« rief der Bote, indem er mich unterbrach. »Wir lassen euch nicht fort!«

»Nicht?« fragte ich, indem ich ihn stolz und von oben herab fixierte. »Wie willst du uns hindern, von hier zu gehen?«

»Ich halte euch mit Gewalt zurück!«


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»Du willst dich an uns, an den Männern Allahs vergreifen?«

»Ja; setze dich!«

Er streckte die Hand nach mir aus, um mich niederzudrücken; ich trat einen Schritt zurück und donnerte ihn an:

»Halt, Unvorsichtiger! Soll ich dir den Fluch entgegenschleudern, unter welchem dein Körper vertrocknen und deine Seele verschmachten würde? Wenn du versuchen willst, ob der Lani Allah (* Allahs Fluch.) in unsere Hände gegeben ist oder nicht, so habe ich nichts dagegen; aber ich sage dir, daß dein Leben dann ein entsetzliches und dein Ende voller Schrecken sein wird. Wer uns zurückhalten will, der halte uns! Wessen Hand wagt es, uns zu berühren?!«

Ich blickte rundum. Alle schwiegen; sie standen oder saßen unbeweglich, erschrocken nicht nur über meine Worte, sondern wohl noch mehr über den Ton, in welchem ich sie gesprochen hatte. Ich ging an das Gesträuch und band mein Kamel los. Ben Nil that dasselbe mit dem seinigen. Wir stiegen auf und trieben die Tiere in das Wasser, ohne daß es nur einem einfiel, uns zu hindern oder auch in gutem zu bitten, dazubleiben. Kein Wort wurde gesprochen; kein Ruf des Abschiedes scholl hinter uns her. Ich war froh darüber.

Das Wasser war, wie ich vermutet hatte, an dieser Stelle nicht tief, es reichte den Kamelen noch nicht einmal an den Leib. Drüben am andern Ufer gab es zunächst einiges Gesträuch, dann folgte Graswuchs, jedenfalls soweit, wie die Feuchtigkeit des Nid en Nil zu dringen vermochte.


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Sobald ich annehmen konnte, daß man uns nicht mehr zu sehen vermochte, wendete ich mich nach links nach dem See. Ben Nil war bis jetzt still gewesen, nun aber sagte er:

»Du reitest ja nach Osten, Effendi! Unser Weg führt uns ja nach Süden! Warum weichest du von ihm ab?«

»Aus zwei Gründen. Erstens sollen die Takaleh unsere Fährte nicht sehen. Wären wir weiter geritten bis dahin, wo das Gras aufhört und der Sand wieder beginnt, so würden in dem letzteren unsere Spuren morgen früh zu finden sein, im Grase aber nicht, denn dieses wird sich bis zum Morgen wieder aufgerichtet haben. Es giebt Wasser in der Nähe, auch wird Tau fallen, und infolge dieser Feuchtigkeit richtet sich das von unsern Kamelen niedergetretene Gras schon nach einigen Stunden auf.«

»Hast du die Takaleh im Verdachte, daß sie uns verfolgen wollen.«

»Nicht nur im Verdachte, sondern ich weiß es ganz genau. Sie werden uns Hafid Sichar wieder abnehmen wollen.«

»Hafid Sichar? Ja, dieser Name wurde genannt. Er fiel mir auf. Er ist der Name des Bruders des Führers in der Höhle von Maabdah. Denkst du etwa, daß er sich hier bei den Takaleh befindet?«

»Ich bin fast überzeugt davon.«

»Und du willst ihn befreien?«

»Ja. Und das ist der zweite Grund, weshalb ich jetzt ostwärts nach dem See einbiege.«

»Allah! Das giebt wieder ein Abenteuer! Effendi, wer mit dir reitet, darf um Ereignisse, Unterbrechungen und sogar Gefahren keine Sorge tragen. Fast wurde es


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mir angst um uns, als man vorhin erriet, wer wir sind. Warum hast du dich erniedrigt und dich prüfen lassen!«

»Weil dies das klügste war. Wüßte Schedid bestimmt, daß ich der christliche Effendi bin, so würde er nicht nach Faschodah gehen und überdies einen Eilboten dorthin senden, Ibn Asl und auch den Sangak der Arnauten warnen zu lassen. Unser Ritt nach Faschodah würde dann umsonst und erfolglos sein. Wir haben ja soviel gehört; das weiß und das überlegt sich Schedid ebensogut wie wir.«

»Das ist wahr, Effendi. Also wir reiten jetzt ostwärts, um die Takaleh irre zu führen, und biegen dann aber nach Süden ein?«

»Nein. Wir reiten am diesseitigen Ufer des Sees zurück, bis wir an die schmale und steile Vertiefung kommen, über welche wir vorhin die Kamele nicht hätten bringen können. Dann bleibst du hüben bei den Tieren zurück, und ich klettere hinüber, um Hafid Sichar zu holen.«

»Was willst du mit ihm anfangen?«

»Er muß natürlich mit nach Faschodah.«

»Dazu bedarf er eines Kameles!«

»Ich werde den Takaleh eines abnehmen.«

»Hm! Hafid Sichar vom Seile losmachen, ohne daß jemand es bemerkt, und dann auch noch die kostbare Zeit auf die Habhaftwerdung eines Kamels verwenden, das ist zu viel für eine Person.«

»Ich hätte nichts dagegen, dich bei mir zu haben, wenn nicht der wilden Tiere wegen jemand bei den Kamelen bleiben müßte.«

»Glaubst du, daß es hier welche giebt?«

»Wo Wasser ist, da giebt es Leben, und wo es hier Leben giebt, findet man auch sicher reißende Tiere.«


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»Glaubst du, daß ich die Kamele gegen Löwen zu verteidigen vermag? Wenn du mit ja antwortest, werde ich dir sehr dankbar für das Vertrauen sein, welches du mir dadurch erweisest; aber ich glaube nicht, daß ich demselben entsprechen könnte. Daß ich mich nicht fürchte, daß weißt du ja; aber einen Löwen zu erlegen, dazu gehört mehr als bloße Furchtlosigkeit. Du würdest bei deiner Rückkehr mich und auch die Tiere zerrissen vorfinden. Darum ist es auf alle Fälle besser, du nimmst mich mit.«

Er hatte recht, und darum zeigte ich mich bereit, seinen Wunsch zu erfüllen. Es war ja richtig, daß ich in die Lage kommen konnte, einen Gehilfen zu brauchen.

Wie schon bereits beschrieben, hatte das Nid en Nil an der Stelle, an welcher wir es erreicht hatten, aus einer schmalen, wasserleeren Schlucht bestanden. Dann hatten wir uns rechts gewendet und waren an zwei seeartigen Erweiterungen des Nid vorübergekommen, worauf wir erst dann die Furt erreicht hatten. Wir waren da an der Nordseite hingeritten. Jetzt aber ritten wir an der Südseite des einen Sees zurück, kamen dann an den zweiten und langten nachher an der trockenen Schlucht an, gerade gegenüber der Stelle, an welcher wir auf das Nid en Nil gestoßen waren. Der Weg war gar nicht schwierig, denn es schien der Mond. Dennoch wäre es mir lieber gewesen, wenn wir Finsternis gehabt hätten. Mein Vorhaben war derart, daß der Mondschein mir gefährlich werden konnte.

Wir hielten an, stiegen ab und banden die Kamele an Baumstämme fest. Die Gewehre hätte ich gern zurückgelassen; aber wir konnten leicht einem größeren Raubtiere begegnen, gegen welches mit Messern und Revolvern nichts zu machen war; darum nahmen wir sie mit.


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Nun kletterten wir diesseits in die Schlucht hinab und jenseits wieder hinauf. Dann verfolgten wir denselben Weg, auf welchem wir bei unserem Kommen die Furt erreicht hatten. Natürlich ging dies jetzt langsamer als vorher, wo wir zu Kamele gesessen hatten.

In der Nähe der Furt bemerkten wir, daß dort kein Feuer mehr brannte. Das war mir lieb, denn es bewies, daß die Takaleh nun schliefen. Ich ließ Ben Nil unter einem Baume zurück und schlich nun allein weiter. Ungefähr hundert Schritte vom Lagerplatz entfernt, legte ich mich nieder, um zu kriechen.

Der Mond stand schon tief und ließ die Schatten der Bäume auf den Platz fallen, was mir außerordentlich nützlich war. Die Takaleh hatten aber einen Wächter ausgestellt, wohl nur ihrer Sklaven wegen, denn er schritt da, wo diese lagen, langsam auf und ab. Ich sah ihn zwar nicht, aber ich hörte seine leisen Schritte. Bevor ich etwas Direktes unternehmen konnte, mußte ich mich ganz genau orientieren; darum umkroch ich das ganze Lager in einem Bogen. Ich fand alles so, wie ich es verlassen hatte. Die Gefangenen lagen da, wo sie vorher lagen; die andern ebenso. Um zu demjenigen zu kommen, den ich für Hafid Sichar hielt, mußte ich den Wächter unschädlich machen. Die Sättel lagen in zwei Haufen nebeneinander. Die Kamele lagen teils an der Erde, teils standen sie mit gefesselten Vorderbeinen am Wasser hin bei den Büschen oder im Grase, um zu fressen. Nach dieser Lage der Dinge galt es zu handeln. Ich kehrte also zunächst zu Ben Nil zurück, um diesen zu holen. Er schlich sich dann mit mir so nahe heran, wie es bei seinem Mangel an Uebung geraten war; dann mußte er das Lager umgehen, um jenseits desselben, wo sich die Kamele befanden, auf mich zu


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warten. Ich bezeichnete ihm einen Baum, hinter dessen Stamm er sich zu verstecken hatte. Dann kroch ich wieder zu den Gefangenen hin.

Als mich höchstens noch zehn Schritte von denselben trennten, hielt ich an und lauschte. Sie schienen alle zu schlafen, was freilich kein Wunder war, da sie, schlecht genährt und schlecht getränkt, während des ganzen Tages im Sonnenbrande marschiert waren. Nichts regte sich, und nichts bewegte sich; nur der Wachtposten schritt noch immer hin und her. Er bewegte sich immer auf einer und derselben Linie. Ich näherte mich derselben soweit wie möglich, ließ ihn an mir vorüber, sprang dann auf, packte seine Kehle von hinten mit der linken und gab ihm mit der rechten Faust einen Hieb auf den Kopf. Er breitete die Arme aus und sank nieder. Auffälliges Geräusch war dabei nicht zu hören gewesen. Ich ließ die Linke vorsichtig locker. Er blieb still; er war besinnungslos. Ich hob ihn auf und trug ihn zu Ben Nil, der ihn bewachen sollte. Als ich dabei über eine vom Monde beschienene Stelle kam, fiel das Licht für einen Augenblick auf sein Gesicht, und ich sah zu meiner Verwunderung, daß es kein Takaleh, sondern der Baqquara-Araber war, der Bote, den Ibn Asl an Schedid gesandt hatte. Das war mir aus mehreren Gründen außerordentlich lieb.

»Wen bringst du da?« fragte Ben Nil leise, als ich zu ihm kam. »Ist es Hafid Sichar?«

»Noch nicht. Es ist der Baqquara, welchen die Takaleh als Wächter zu den Gefangenen gestellt haben.«

»Er war schlimm gegen uns und muß zum Schweigen gezwungen werden. Soll ich ihn erstechen?«

»Nein. Wir nehmen ihn mit. Er ist ein Verbündeter


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Ibn Asls. Indem wir ihn an den Reïs Effendina ausliefern, erfüllen wir unsere Pflicht.«

»Wenn wir ihn erstechen, erfüllen wir sie noch weit besser.«

»Dann aber kann Schedid sich leicht sagen, wer hier gewesen ist. Nehmen wir ihn aber mit, so kommt er in den Verdacht, Hafid Sichar befreit und mit sich fortgenommen zu haben.«

»Das ist sehr wahr, Effendi. Aber dann müssen wir auch gerade seinen Sattel und gerade sein Kamel haben!«

»Das ist nicht nötig. Je besser die Kamele und die Sättel sind, welche wir mitnehmen, desto größer ist gegen ihn der Verdacht, sein geringes Eigentum mit Absicht gegen besseres vertauscht zu haben. Laß mich nur machen. Wir können uns Zeit nehmen; die Takaleh schlafen fest.«

Der Baqquara wurde gebunden und bekam einen Knebel in den Mund. Dann kroch ich wieder zu den Gefangenen. Hafid Sichar, den ich suchte, war der vorderste am Seile gewesen, ein Umstand, welcher mir sehr günstig war. Ich hatte mir die Stelle, wo er lag, genau gemerkt und fand sie sehr leicht. Die Gefangenen lagen, noch immer an das Seil gefesselt, im Kreise. Sie schliefen, als wären sie tot. Nur einer schlief nicht, nämlich gerade derjenige, den ich suchte. Als ich, mit meinem Kopfe bei dem seinigen angekommen, ihn mit dem Finger leise berührte, flüsterte er:

»Effendi, bist du es?«

»Ja.«

»Allah! Ich habe dich erwartet. Mein Herz hämmerte vor Sorge, daß du vielleicht nicht derjenige seist, von dem ich Rettung erwarten kann.«

Der Kreis der Gefangenen war so gebildet, daß sie mit den Füßen nach innen und mit den Köpfen nach


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außen lagen. Da ich mich, wie selbstverständlich, außerhalb dieses Ringes befand, lag ich, wie schon erwähnt, mit meinem Kopfe vor dem seinigen, und er konnte mich nicht sehen. Ich erhob den Oberkörper, schob mein Gesicht über das seinige und raunte ihm zu:

»Wie heißest du?«

»Hafid Sichar aus Maabdah.«

»Wie heißt dein Bruder?«

»Ben Wasak.«

»So bist du wirklich derjenige, den ich haben will. Ich grüße dich von deinem Bruder!«

»O Himmel, o Allah! Was will - -!«

»Pst, still! Nicht so laut! Schlafen deine beiden Nachbarn?«

»So fest, wie du es nur wünschen kannst.«

»So liege still; ich werde machen.«

Ich untersuchte mit den tastenden Fingern, auf welche Weise er gefesselt und dann an das Seil gebunden war; darauf gab es einige Schnitte mit meinem Messer, und er war los. Aber frei noch nicht. Falls er versuchte, aufzustehen, konnte er leicht einen seiner Nachbarn wecken. Ich ergriff ihn also unter den Armen und zog ihn aus dem Kreise heraus, langsam und vorsichtig, so daß er weder rechts noch links anstieß. Dann mußte er hinter mir her zu Ben Nil kriechen. Dort angekommen, wollte er sich in Danksagungen ergehen, ich aber schnitt ihm das Wort ab:

»Jetzt still! Später kannst du sprechen, soviel es dir beliebt. Wir müssen uns beeilen.«

Ich untersuchte den Araber. Er kam eben jetzt zu sich. Er versuchte, seine Fesseln zu zerreißen und zu schreien; es gelang ihm aber weder das eine noch das andere. Die ersteren hielten fest, und das, was ein Schrei,


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ein Hilferuf sein sollte, kam als leises, röchelndes Stöhnen aus der Nase. Ben Nil setzte ihm das Messer auf die Brust und drohte:

»Noch einen solchen Laut, und ich stoße dir die Klinge in das Herz!«

Das half; der Baqquara blieb still und bewegte sich von jetzt an nicht wieder, als bis wir ihn später in Sicherheit hatten.

»Nun zwei Kamele, Effendi,« meinte Ben Nil. »Für jeden eins.«

»Wir brauchen drei,« antwortete ich. »Da wir jetzt mehr Wasser haben müssen als vorher, so müssen wir ein Tier haben, welches die Schläuche trägt. Auch einige Schläuche müssen wir von hier mitnehmen, denn wir haben jetzt nur zwei.«

»Erlaube mir, die Kamele auszusuchen, Effendi! Ich kenne unsere Tiere,« sagte Hafid Sichar. »Ich werde die drei besten wählen.«

Er huschte, ehe ich ihn halten konnte, fort, und so blieb uns freilich nichts anderes übrig, als zu warten, bis er zurückkehren würde. Natürlich war ich mit seiner Entfernung ganz und gar nicht einverstanden; er konnte uns alles verderben. Glücklicherweise aber war dies nicht der Fall. Nach ungefähr einer Viertelstunde, welche mir aber wie eine ganze Stunde vorkam, kehrte er zurück und sagte:

»Ich bin fertig, Effendi. Wir können aufbrechen.«

»Fertig? - Womit?«

»Ich habe nach und nach drei Sättel und auch drei Schläuche über die Furt getragen. Hast du es nicht gesehen?«

»Nein. Du mußt sehr vorsichtig gewesen sein.«

»Das war notwendig. Und die drei besten Kamele stehen auch bereit. Wir können gehen.«


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»Hast du nicht bemerkt, ob einer der Schläfer aufgewacht ist?«

»Sie schlafen alle. Kommt, und folgt mir getrost.«

»Nimm zuvor dieses Messer und diese Flinte! Ich habe beides dem Baqquara abgenommen. Du mußt ja nun auch Waffen haben.«

Ich warf den Baqquara über die Schulter, um ihn zu tragen. Hafid Sichar führte uns nach der Furt. Dort hatte er die drei Kamele angebunden. Wir durften sie nicht besteigen, da sie dabei geschrieen hätten. Ben Nil und Hafid führten die Tiere; ich trug den Baqquara, und so stiegen wir in das Wasser, welches mir bis an den Gürtel ging.

Als wir drüben ankamen, löste ich dem Baqquara die Beinfesseln, damit er laufen könne. Die Sättel wurden den Kamelen im Stehen nur lose aufgelegt, was sie sich ruhig gefallen ließen; dann ging es vorwärts, an der Südseite des größeren Sees hin. Jeder von uns führte ein Tier, ich auch noch den Baqquara, während Ben Nil und Hafid die Wasserschläuche trugen.

Als wir die geeignete Strecke zurückgelegt hatten, hielten wir an, um die Kamele richtig zu satteln. Jetzt mochten sie Lärm machen, sie konnten von den Takaleh nicht mehr gehört werden. Sie mußten niederknieen. Ich stieg auf und nahm den Baqquara quer vor mir über; als auch die beiden andern saßen, ging es im scharfen Schritte fort, auch an dem andern See vorüber und dann nach links, wo wir unsere Tiere gelassen hatten.

Würden wir sie noch finden? Ja, sie waren noch da. Wir stiegen ab und banden die mitgebrachten drei Tiere in der Nähe an, nachdem wir sie von den Sätteln befreit hatten. Wir lagerten uns unter einem Baum, an welchen der Baqquara befestigt wurde. Ich nahm ihm den Knebel aus dem Munde und fragte ihn dann:


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»Ben Baqquara, weißt du nun genau, wer ich bin?«

Er gab keine Antwort.

»Ich weiß, daß du nicht taub bist, und bin gewöhnt, eine Antwort zu bekommen, wenn ich frage. Ist dir der Mund jetzt geschlossen, so kann er mit der Peitsche wohl leicht geöffnet werden. Also antworte!«

»Ja, ich weiß es!« stieß er zornig hervor. »Du bist der Effendi und dein Begleiter ist Ben Nil.«

»Der Effendi soll doch aber so ungeheure Körperkräfte besitzen, und ich bin von Schedid besiegt worden?«

»Du hast dich verstellt. Ich ahnte es.«

»Aber ich habe doch die Sure Kuiffar ohne Anstoß hersagen können! Wir kann ich da jener christliche Effendi sein!«

»Du kannst alles!«

»Nicht alles, aber viel. So kann ich zum Beispiel sehr leicht einen Baqquara-Araber unter einer Schar Takaleh herausholen, um ihn nach Faschodah zu schaffen und dort dem Reïs Effendina zur Bestrafung auszuliefern.«

»Weshalb sollte man mich bestrafen? Was habe ich gethan?«

»Du besitzest noch weniger Gedanken, als das Krokodil Federn hat; aber ich werde dafür sorgen, daß du Gedanken bekommst! Der Reïs Effendina - -«

»Den fürchte ich nicht!« fiel er mir in höhnischem Tone in die Rede.

»Ich weiß wohl, warum. Du meinst, daß der Mudir von Faschodah dir gegen ihn beistehen wird.«

Er gab dies, wenn auch nicht direkt aber doch indirekt zu, indem er antwortete:

»Was ist ein Effendi gegen einen Mudir! Welche Macht besitzt ein Effendi?«


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»So kann nur ein Dummkopf, ein Mensch fragen, welcher nichts gelernt hat, nichts weiß und nichts versteht. Dein Kopf gleicht einem ausgelaufenen Ei, von weichem nur noch die Schale übrig geblieben ist. Ich sage dir, daß die großherrlichen Prinzen, die Söhne des Sultans, Effendi tituliert werden. Die Minister nennen sich Effendi, und auch der Vicekönig von Aegypten sieht es gern, wenn man ihn Effendi nennt. Was aber ist der Mudir von Faschodah gegen diese mächtigen Herren! Kennst du denn überhaupt diesen Mudir?«

»Ja.«

»So sage mir seinen Namen!«

»Er ist auch ein Effendi, denn er heißt Ali Effendi el Kurdi.«

»Das ist nicht wahr.«

»Wie kannst du mich der Lüge strafen, du, ein Fremder, der dieses Land und seine Verhältnisse unmöglich kennen kann!«

»Es scheint, daß ich das alles doch besser kenne als du, denn der Mudir von Faschodah heißt anders. Ist dir vielleicht der Name Ali Effendi Abu Hamsah Miah bekannt?«

»Ja.«

»So höre weiter. Der berühmte General Musah Pascha ist infolge der Wünsche des Reïs Effendina jetzt in Faschodah gewesen, um el Kurdi ab- und Abu Hamsah Miah einzusetzen. EI Kurdi wurde als Gefangener nach Chartum geschafft. Das ist auf Veranlassung des Reïs Effendina geschehen. Nun leugne noch, daß dieser nicht so mächtig sei als dein untreuer und verräterischer Mudir el Kurdi!«

Er schwieg. Jedenfalls erschreckte ihn das, was er von mir hörte. Ich fuhr fort:


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»Jetzt weißt du, wie sehr du dich auf deinen el Kurdi verlassen kannst. Diesem ist es nun nicht mehr möglich, ausgesprochene Verbrecher in seinen Schutz zu nehmen; er würde jetzt Allah danken, wenn er selbst jemand hätte, der für ihn sprechen wollte. Wenn ich dich dem Reïs Effendina überantworte, wird er dich zum neuen Mudir bringen, und dann wirst du erfahren, daß dieser seinen Namen mit vollstem Rechte trägt. Das soll heißen: Der Vater der Fünfhundert wird dir sofort als Einleitung zum ersten Verhöre fünfhundert Hiebe geben lassen.«

»Mir, einem freien Araber!«

»Dir, einem Boten des Sklavenjägers! Was oder wer du sonst noch bist, das geht uns nichts an.«

»Da will ich dich darauf aufmerksam machen, daß dich die Rache aller Stämme der Baqquara treffen wird! Werde ich geschlagen, so ist das noch viel schlimmer, als wenn man mich tötet. Das merke dir!«

»Deine Stämme, und wären es ihrer hundert oder tausend, können mir nichts thun. Sie haben ebensowenig Macht über mich, wie sie dich jetzt beschützen können. Dennoch, und obgleich ich sie nicht im geringsten fürchte, bin ich bereit, dich morgen freizugeben, doch knüpfe ich eine Bedingung daran.«

»Welche?«

»Du sagst mir der Wahrheit gemäß, auf welche Weise du Ibn Asl kennen gelernt hast. Auch beantwortest du mir alle Fragen, welche ich in Beziehung auf ihn sonst noch an dich richten werde.«

»Das thue ich nicht!«

»So sind wir miteinander fertig. Wenn du jetzt, wo ich dich mit der Freiheit dafür belohnen würde, nicht reden willst, so wird dir später der >Vater der Fünfhundert, den Mund öffnen.«


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Da fiel Hafid Sichar ein:

»Effendi, wenn du die Bosheit dieses Ibn Asl kennen lernen willst, so bin ich der richtige Mann, dir ein Beispiel von derselben zu erzählen.«

»Ich möchte dich allerdings darum bitten. Vorher aber mußt du ein weniges über mich erfahren, denn -«

»O, Effendi,« unterbrach er mich, »ich kenne dich schon; ich habe genug über dich gehört von dem Baqquara, als vorhin Schedid von dir erzählte. Ich lag in der Nähe und hörte alles. Ich hatte keine Ahnung davon, daß du meinen Bruder kennst, aber es war mir, als ob Allah mir eine Stimme sende, welche mir heimlich zuflüsterte: Dieser Effendi hat schon soviele andere befreit; wenn er und der Mann, welcher dort sitzt, einer und derselbe ist, so ist er wohl gekommen, um auch dich zu retten. Darum war ich so unbedacht, meinen Namen zu nennen und dazu Worte der Hoffnung auszusprechen. Hätte Schedid sie gehört, so wäre es mir schlimm ergangen.«

»Es war sehr gut, daß du deinen Namen nanntest, denn nur dadurch wurde meine Aufmerksamkeit auf dich gelenkt und du bist schon jetzt frei. Uebrigens wärest du später in Faschodah auch in den Besitz der Freiheit gelangt, denn ich hatte mir vorgenommen, dort den Mudir auf euch aufmerksam zu machen. Du kennst mich aus der Erzählung dieses Baqquara einigermaßen, und ich habe nur weniges hinzuzufügen. Ich kam nach Maabdah, um die dortige berühmte Krokodilhöhle zu sehen. Dein Bruder führte mich in derselben herum und schenkte mir dann die Hand einer weiblichen Mumie - -«

»Die Hand einer weiblichen Mumie?« fiel er rasch ein. »Beschreibe sie mir!«

Als ich dieser Aufforderung nachgekommen war, rief er aus.


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»Effendi, da mußt du ihm einen sehr großen Dienst erwiesen haben!«

»Gar nicht!«

»Nicht? Nun, so hast du einen so guten Eindruck wie noch kein anderer auf ihn gemacht. Es ist die Hand einer Pharaonentochter, einer altägyptischen Prinzessin. Ich weiß, welchen Wert mein Bruder auf dieselbe legte, und freue mich außerordentlich darüber, daß es dir so schnell gelungen ist, sein Wohlwollen zu erwerben.«

»Dieses Wohlwollen ist ein gegenseitiges, wie ich dir versichern kann. Ich habe die Hand noch bei mir und kann sie dir zeigen, sobald es hell geworden ist. Sie befindet sich in meiner Satteltasche. Als dein Bruder hörte, daß ich nach Chartum wollte, erzählte er mir von deinem Verschwinden, welches er sich nicht zu erklären vermochte, und bat mich, nach dir zu forschen.«

»Hatte er dies denn nicht auch schon vorher gethan?«

»Natürlich hat er sich alle Mühe gegeben, dich zu finden, leider aber vergeblich. Wir mir schien, hat er dabei einen sehr großen Fehler begangen, indem er dem Kaufmanne Barjad el Amin, eurem Geschäftsfreunde, zu viel Vertrauen geschenkt hat. Dieser durfte gar nicht wissen, daß man nach dir suchte. Ich habe ihn sehr stark im Verdachte, daß er mit deinem plötzlichen Verschwinden in Verbindung steht.«

»Natürlich, ganz natürlich!« rief Hafid Sichar aus. »Er ist es ja, welcher mich an Ibn Asl ausgeliefert hat!«

»Ah, dachte es mir! Als dein Bruder mir von ihm erzählte, kam mir einiges nicht recht sauber vor. Barjad führt zwar den Beinamen el Amin, der ehrliche, kam mir aber nicht sehr ehrlich vor. Er wollte dir das viele Geld


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ausgezahlt haben, behauptete aber, weiter gar nichts von dir und über dich zu wissen. Das erschien mir als eine Unmöglichkeit. Ich nahm diesen Menschen sofort aufs Korn; ich wollte ihn heimlich beobachten, ihn, ohne daß er es merkte, ausforschen. Leider aber drängten mich dann meine Reiseerlebnisse so seitwärts, daß ich bis heute noch nicht nach Chartum gekommen bin.«

»Und zwar zu meinem Glücke! Wärest du uns heute nicht begegnet, so hätte ich die Freiheit niemals wiedererhalten.«

»Diese Voraussetzung ist vielleicht doch trügerisch. Ibn Asl war in dem Geschäft von Barjad el Amin thätig gewesen. Als ich das hörte, vermutete ich sofort, daß dein Aufenthalt oder Schicksal bei ihm am sichersten zu erfahren sei. Dann kamen weitere Gründe dazu, diesen Menschen zu verfolgen, um seiner habhaft zu werden. Dies mußte uns früher oder später gelingen, und dann hätte er mir unbedingt und unter allen Umständen gestehen müssen, was aus dir geworden war.«

»Dennoch preise ich Allah, daß ich es dir schon jetzt und selbst erzählen kann. Ich hätte nie geglaubt, daß mir ein solches Unglück widerfahren könne, und weiß wirklich nicht, wie ich es verdient habe.«

»Was dieses letztere betrifft, so sind alle Menschen, auch du und ich, Sünder, welche nur von Allahs Gnade und Barmherzigkeit leben. Jedes Ereignis, wenn wir es ein Unheil nennen, haben wir reichlich verdient, und dennoch fügt es Allah, daß dieses Unheil, wenn wir es in der rechten Weise auf uns wirken lassen, uns zum Heile und Segen wird. Sprich also nicht vom Verdienen! Es war eine Prüfung, von Allah gesandt, vielleicht um dein Herz zu läutern, deinen Sinn nach innen und nach oben zu lenken.«


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Er antwortete nicht; es entstand eine längere Pause. Dann ergriff er meine Hand und sagte, indem er sie mir herzlich drückte:

»Effendi, du hast mit deinen Worten das Richtige getroffen. Ich habe im Elende mit Allah gehadert; ich habe mein Leben verflucht und die Menschheit verwünscht. Zuweilen kamen bessere, lichtere Gedanken, doch verschloß ich ihnen die Thüre meines Herzens. Jetzt aber, wo ich wieder in das Leben trete und mein Inneres vor Wonne bebt, wo du von Läuterung redest und von dem Gerichtetsein des Sinnes nach innen und oben, da überkommt mich wie ein heller Blitzstrahl die leuchtende Erkenntnis, daß du recht hast. Wer und wie ich früher gewesen bin, davon werde ich dir später erzählen. Heute stehe ich plötzlich, ohne daß ich selbst eine Vorahnung davon hatte, als ein Neuer auf. Ja, ich habe nicht umsonst gelitten. Allah sei gelobt dafür!«

»Es freut mich aufrichtig, solche Worte aus deinem Munde zu hören. Du hast Monate und Jahre deines Lebens verloren, dafür aber innere Schätze gefunden, deren Wert nicht wie die Zeit vergänglich ist. Und was dir an Hab und Gut genommen wurde, das, hoffe ich, werde ich dir später zurückgeben können.«

»Du?« fragte er verwundert. »Bist du so reich, Effendi?«

»O nein; ich bin sogar arm. Aber ich weiß, daß Ibn Asl sehr viel Geld bei sich führt. Erwische ich ihn, ehe er es ausgegeben hat, so muß er dir und deinem Bruder alle eure Verluste ersetzen.«

»Dazu bedarf es Ibn Asls nicht. Er ist mir nicht so sicher wie Barjad el Amin.«

»So hat auch dieser von dem Verbrechen profitiert?«

»Natürlich! Barjad war arm, aber brav. Mein


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Bruder wußte dies und gab ihm das Geld, welches zur Errichtung eines Geschäftes in Chartum gehörte. Später lieh er ihm eine noch höhere Summe, um sein Geschäft zu vergrößern. Dann, als die Zeit kam, in welcher diese Beträge zurückzuzahlen waren, reiste ich nach Chartum, um sie in Empfang zu nehmen. Ich kam zu Barjad el Amin. Er war ein anderer geworden. Er hatte einen Gehilfen, welcher Ibn Asl hieß, in sein Geschäft genommen und war von diesem auf die hohe Erträglichkeit des Sklavenfanges aufmerksam gemacht worden. Es gelüstete ihn nach den Reichtümern, welche auf diesem Wege zu erlangen sind; die Habgier hatte in seinem Herzen Einzug gehalten. Aber zum Sklavenfange gehört, wenn er kaufmännisch betrieben werden soll, Geld, sehr viel Geld. Wenn er soviel an mich zu zahlen hatte, blieb ihm nicht genug. Da raunte ihm der Teufel zu: Gieb es ihm nicht, oder noch besser, gieb es ihm, verlange Quittung, und nimm es ihm dann wieder! Er gehorchte dieser Teufelsstimme. Ich hatte keine Ahnung davon. Ich wurde freundlich empfangen, bekam das Geld und quittierte. Ich wohnte dann noch einige Tage bei ihm. Am Tage vor meiner Abreise verabschiedete ich mich von den andern Bekannten in Chartum, denn die Dahabijeh, mit welcher ich nilabwärts zu fahren beabsichtigte, sollte schon beim Morgengrauen ihre Fahrt beginnen. Ich legte mich zeitig schlafen und erwachte von einem Schlage, den ich auf den Kopf erhielt; ich sage, erwachte, um aber die Besinnung sogleich wieder zu verlieren. Als ich dann wieder zu mir kam, fühlte ich schaukelnde Bewegungen unter mir. Lag ich in einem Schiffe? Nein, denn in dieser Weise schaukelt höchstens ein kleiner Kahn, aber kein Schiff. Ich öffnete die Augen; es war dunkel. Ich wollte aufstehen, mich bewegen; ich war gebunden. Da


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rief ich laut um Hilfe, aber nur, um eine drohende Stimme unfern von mir sagen zu hören, daß man mich peitschen werde, falls ich nicht vollständig ruhig sei.«

»Du befandest dich wohl auf einem Kamele?«

»Ja. Es war Nacht, aber ich sah keine Sterne, denn ich lag, wie ich beim Anbruch des Morgens sah, in einem Tachtirwahn, einer Frauensänfte, welche von einem Kamele getragen wurde und mit dicken Decken verhangen war. Denke dir, man hatte mir, wie ich später bemerkte, Frauenkleider angezogen und sogar einen mehrfachen Schleier über das Gesicht befestigt. Ich sollte bei einer etwaigen Begegnung als Weib gelten. Du weißt ja, daß sich niemand um die Insassin eines Tachtirwahn kümmern darf. Am Vormittage wurde Halt gemacht. Das Kamel kniete nieder, und man nahm mich aus der Sänfte. Wir befanden uns in der Steppe. Fünf Reiter waren meine Begleiter. Vier davon kannte ich nicht; den fünften aber kannte ich desto besser; es war - - Ibn Asl.«

»Wie? Er wagte es, vor dein Angesicht zu treten?«

»O, er wagte noch viel mehr. Er hatte die Stirn, mir alles zu sagen. Ohne diese geradezu unvergleichliche Frechheit und ohne seine Anwesenheit damals wüßte ich heute noch nicht, wie damals alles gekommen ist. Er erzählte mir mit lachendem Munde, daß man meines Geldes zum Sklavenfange bedürfe, daß er und Barjad el Amin Compagnons seien und den Ertrag der Jagden teilen würden. Er selbst sei dafür gewesen, daß ich getötet würde, aber Barjad habe die Schwachheit besessen, dies nicht zuzugeben, weil er meinem Bruder große Gefälligkeiten zu verdanken habe. Da ich aber unschädlich gemacht werden müsse, wolle man dafür sorgen, daß ich niemals einem Bekannten begegnen und auch nie zurück-


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kehren [zurückkehren] könne. Was man damit meinte, erfuhr ich erst am Ende der Reise, als wir in das Land der Takaleh kamen und ich dem Mek dieses Volkes als Sklave übergeben wurde. Er brauchte nichts für mich zu bezahlen, hatte aber dafür zu sorgen, daß mich niemand, dem ich vielleicht bekannt sei, sehen könne. Ich hörte noch, daß Ibn Asl mit dem Mek den Vertrag abschloß, daß der letztere ihm jährlich zweimal an ganz bestimmten Terminen Sklaven nach Faschodah zu senden habe, welche sofort mit gewissen Waren zu bezahlen seien. Dann wurde ich fortgeschafft.«

»Wohin?«

»An einen schrecklichen Ort, welchen ich seit jenem Tage nur verlassen habe, um jetzt nach Faschodah transportiert und Ibn Asl wieder ausgeliefert zu werden. Weißt du vielleicht, daß es bei den Takaleh berühmte Kupferbergwerke giebt?«

»Das ist mir allerdings bekannt.«

»Nun, in eine solche Grube wurde ich geschafft, um, angefesselt, in derselben zu arbeiten. Ich habe von jenem Tage an die Sonne nicht mehr gesehen. Und als man mich vor kurzem von der Kette löste, sagte mir einer, der wenig Erbarmen mit mir hatte, daß man mich jetzt dem Tode entgegenführe.«

»Wieso dem Tode?«

»Beim letzten Sklaventransporte hat Ibn Asl mich zurückverlangt. Er ist mit Barjad el Amin uneinig geworden und führt nun sein Geschäft auf seine eigene Rechnung fort. Er hat auf die Wünsche seines frühern Compagnons nicht mehr Rücksicht zu nehmen und glaubt sich sicherer, wenn ich nicht mehr lebe. Er könnte zwar dem Mek sagen, daß derselbe mich töten lasse, traut ihm aber nicht. Darum hat er meine Auslieferung verlangt,


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welche für mich mit dem Tode gleichbedeutend ist. Soll ich dir erzählen, was ich erlitten und ausgestanden habe? Jetzt nicht, aber vielleicht später einmal. Und soll ich dir nun sagen, welche Wonne ich jetzt empfinde, da ich gewiß bin, der bisherigen Sklaverei und dem auf mich wartenden sicheren Tode entgangen zu sein? Ich sehe in dir einen Engel, von Allah gesandt, welchem ich - -«

»Sprich nicht so!« fiel ich ihm in die Rede. »Allah hat es gefügt. Ihm allein hast du zu danken. Fühlst du dich stark genug, den Ritt nach Faschodah auszuhalten?«

»Ja. Hätte ich doch sonst durch die Wüste dahinmarschieren müssen! Die schwere Arbeit hat meine Muskeln gestählt. Du brauchst um mich keine Sorge zu tragen. Wann werden wir in Faschodah sein?«

»Ich hoffe, in vier Tagen dort anzukommen.«

»Und Ibn Asl ist dort?«

»Sehr wahrscheinlich.«

»Dann wehe ihm! Ich werde mich rächen. Ich werde ihn nicht etwa dem Mudir übergeben, sondern ich will - -«

»Erlaube, daß ich dich unterbreche! Zerbrich dir nicht den Kopf mit dem Gedanken, wie du dich an ihm rächen willst. Du bist nicht der einzige, der mit ihm abzurechnen hat. Ich werde dir davon erzählen. Jetzt wollen wir ruhen. Wir haben einen weiten Ritt vor uns, und ich denke, daß besonders du des Schlafes nicht entbehren darfst.«

»Ich schlafen? Effendi, welch ein Gedanke! Einer, der tot war und wieder lebend wurde, soll im Augenblicke des Erwachens an den Schlaf denken! Nein, nein! Wenn ich auch wollte, ich könnte nicht schlafen. Schlaft aber ihr. Ich will hier sitzen, still und ohne mich zu


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regen, und die Seligkeit durchkosten, das Firmament und den Himmel Allahs über mir zu haben und tausend und abertausend Sterne in mir aufgehen zu fühlen.«

»Nun wohl, ich sehe allerdings ein, daß du viel, viel lieber wachen als schlafen willst. So wache; aber wecke uns beide, kurz ehe der Tag zu grauen beginnt, später ja nicht, damit wir die Takaleh beobachten können. Und paß gut auf diesen Baqquara auf; er darf uns ja nicht etwa entkommen.«

»Effendi, was das betrifft, so kannst du dich auf mich verlassen. Er ist der Gesandte Ibn Asls, der mein Teufel war. Wer von diesem Menschen kommt, der hat von mir keine Nachsicht und kein Erbarmen zu erwarten. Ich würde mich eher töten als ihm die Freiheit geben.«

Nach dem, was er durchgemacht hatte, mußte ich freilich überzeugt sein, daß ich für den Baqquara keinen bessern Wächter haben könne; darum legte ich mich nieder, hüllte mich in meinen Haïk und schlief ohne Sorgen ein. Er war sehr pflichtgetreu, denn als er mich und Ben Nil weckte, war es noch nicht Morgen, sondern die Sterne begannen eben erst zu erbleichen.

Im Einschlafen war mir ein Gedanke gekommen, den ich jetzt zur Ausführung brachte. Ich wünschte, die Takaleh zu belauschen, um zu wissen, was ich von ihnen zu denken und zu erwarten hatte. Zu Lande war dies, wenn vielleicht auch möglich, aber doch höchst gefährlich; es mußte also zu Wasser geschehen. Aber wie? Selbst wenn es einen Kahn hier gegeben hätte, hätten wir uns desselben nicht bedienen dürfen, also mußte ein Floß gewählt werden, aber ein solches, welches die Augen nicht auf sich zog. Es durfte keine künstliche, sondern es mußte eine natürliche Gestalt haben. Ich beschloß, eine kleine, schwimmende Insel zu bauen, was gar nicht schwer war,


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denn Material dazu war mehr als genug vorhanden. Um mir dasselbe auszuwählen, ging ich mit Ben Nil näher an das Wasser.

Da sah ich die borstig behaarten Triebe und gefiederten Blätter zahlreicher Ambagsträucher emporragen. Dieser Ambag giebt das vortrefflichste Material zu Flößen. Das Holz ist so leicht, daß ein Floß, welches drei Männer hält, sehr leicht von einer Person getragen werden kann. Da das Wasser mit der Zeit in das Mark, welches sehr schwammig ist, eindringt und dann das Floß zum Sinken bringt, ist ein solches Fahrzeug für eine längere Fahrt freilich nicht zu gebrauchen; für kürzere Zeit aber oder gar für meinen Zweck konnte ich gar nichts Geeigneteres finden. Eine Eigentümlichkeit dieses Ambag ist übrigens, daß er stets die Papyrusstaude begleitet.

Daneben stand zähgrasiges Andropogon giganteus und auch Hibiscus cannabinus, beides ganz vortrefflich, die drei bis vier Meter langen Ambagstämme zu verbinden. Um dem Floße ein inselartiges Aussehen zu verleihen, besetzten wir es rundum mit hohen Omm-Sufah-Büscheln. Einige starke Aeste, an welche wir Schilf breit banden, mußten als Ruder dienen. Diese Arbeit war so leicht und ging so schnell, daß wir fertig waren und das Floß im Wasser hatten, noch ehe es völlig Tag geworden war. Dieses Fahrzeug trug mich und Ben Nil mit Leichtigkeit. Hafid Sichar mußte bei den Kamelen und dem Baqquara bleiben.

Beim Grauen des Tages konnte ich mich zu meiner Freude davon überzeugen, daß sich auf unserer Fährte das Gras vollständig wieder aufgerichtet hatte. Der Platz, an welchem wir geschlafen hatten, lag hinter Büschen gut versteckt, und so konnte ich überzeugt sein,


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daß die Takaleh, selbst wenn sie nach uns suchen würden, uns nur durch einen bloßen Zufall finden konnten.

Wir bestiegen das Floß und ruderten es zunächst über den kleinen See, der eigentlich nur ein Teich zu nennen war. Als wir den größeren erreichten, mußten wir vorsichtig sein, denn wir näherten uns dem Lagerplatze der Takaleh. Wir ruderten das Floß so langsam vorwärts, daß es schien, als ob es nur von dem Morgenwinde getrieben werde. Wer nicht besonders und sehr scharf acht auf dasselbe gab, bemerkte gar nicht, daß es sich bewegte. Auch die Ruder waren nicht zu sehen, denn wir hatten die Omm-Sufah-Büschel so angebracht, daß sie dieselben verdeckten.

Die Takaleh schienen eine sehr schlafsüchtige Gesellschaft zu sein. Wir näherten uns ihrem Lagerplatze mehr und mehr und hörten doch nicht das mindeste von ihnen. Es war schon ganz hell. Dennoch wagten wir es, uns bis an das Ende des Sees zu rudern, wo der Nid en Nil, plötzlich enger werdend, die Furt des Schattens bildete. Dort legten wir an. Wären wir hier ausgestiegen, so hätten wir mit fünfzig oder sechzig Schritten das Lager erreichen können, und dennoch war es, die verschiedenen Tierstimmen natürlich nicht in Mitrechnung gezogen, rundum so still, als ob kein Mensch vorhanden sei. Wir lugten zwischen den Schilfbündeln hindurch, vergeblich; es war auch niemand zu sehen. Eben wollte ich aufstehen, um einen besseren Ueberblick zu bekommen, da wurde es plötzlich laut und lebendig. Ich hörte eine Stimme erschrocken rufen:

»Erwacht, ihr Schläfer, erwacht; es ist ein Unglück geschehen!«

Einige Augenblicke der Stille traten ein; dann folgte ein Gewirr von vielen Stimmen; man lief fort, nach


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allen Richtungen; man kehrte zurück; man rief, schrie, fluchte, fragte und antwortete. Es war schwer, das, was einzelne sagten, deutlich zu unterscheiden; ich konnte nur soviel entnehmen, daß man die Flucht Hafid Sichars, das Fehlen des Baqquara und das Nichtvorhandensein der drei Kamele bemerkt hatte. Jeder schien eine andere Meinung darüber zu haben und gerade diese zur Geltung bringen zu wollen. Der Lärm, welcher dadurch entstand, konnte mit nichts besser als mit einer Spatzenkirmes verglichen werden, welcher nur dadurch ein Ende gemacht wurde, daß der Hauptspatz, nämlich Schedid, in donnerndem Tone rief.

»Still, ruhig, ihr Schwätzer! Redet keine Dummheiten, sondern laßt uns diesen sonderbaren Fall mit Scharfsinn und Ruhe untersuchen.«

Nun, ich war neugierig, zu welchem Resultate es der Scharfsinn dieser Leute bringen werde. Der Baqquara war fort; man rief nach ihm, aber er kam nicht. Hafid Sichar war fort; man rief nach ihm, aber er kam nicht. Die drei Kamele waren fort; man suchte nach ihnen, aber man fand sie nicht. Da diese beiden Menschen und diese drei Tiere zu gleicher Zeit als abwesend entdeckt worden waren, so war man der Ansicht, daß sie auch zu gleicher Zeit miteinander fortgegangen seien. Da aber Kamele Menschen nicht zu entführen pflegen, sondern gewöhnlich der umgekehrte Fall stattfindet, so nahm man auch hier an, daß die Kamele von den beiden fehlenden Männern fortgeschafft worden seien. Der eine von diesen zweien war frei, der andere gefangen, angebunden gewesen. Dieser letztere hatte ohne die Hilfe des ersteren nicht fortgekonnt, folglich mußte der Baqquara Hafid Sichar losgebunden haben, um ihn zu befreien und mit Hilfe der Kamele fortzubringen.


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»Dieser Verräter, dieser Hund!« schrie Schedid zornig. »Darum bot er sich selbst und freiwillig an, Wache zu halten!«

»Er ist vielleicht gleich in der Absicht, Hafid Sichar zu befreien, hierher gekommen,« meinte ein anderer.

»Natürlich!« stimmte ein dritter bei. »Was er gesagt hat, war alles Lüge, alles Flunkerei.«

»Er war ein Schurke,« behauptete ein vierter; »die beiden Senussi aber waren brave Leute.«

»Sie waren sogar heilige Männer!« schrie ein fünfter. »Wie haben wir den frommen und gelehrten Mudir beleidigt, und zwar um eines solchen Schuftes willen! Er wird die Strafe Allahs auf uns herniederrufen.«

»Das hat er schon gethan,« ließ sich eine sechste Stimme hören, »und eben darum hat Allah uns diesen schweren Verlust gesandt. Hätten wir diesen heiligen Männern geglaubt, so wäre das Unglück nicht geschehen.«

»Mir fehlt mein Schlauch!« schrie plötzlich einer.

»Seht nach, ob noch andere Sachen fehlen!« gebot Schedid.

»Mein Schlauch fehlt auch!« rief ein anderer.

»Auch meiner, und mein Kamel dazu!«

»Mein Kamel ist auch fort, und das deinige ebenso, o Schedid!« brüllte es zornig von weiter her.

»Was?« fragte der Anführer. »Mein Kamel soll fehlen, mein teures Abu Havas-Hedschihn?«

»Ja. Da haben wir die Tiere alle zusammengetrieben. Sieh her! Du kannst sehen, daß du gerade die drei besten Kamele nicht siehst.«

»O Allah, o Hölle, o Teufel! Das Verderben über diesen verfluchten Baqquara! Seine Spur müssen wir zu entdecken suchen.«


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»Ja, lauft, sucht, ihr Männer!« befahl Schedid. »Sucht nach allen Seiten, diesseits und jenseits der Furt! Nur drei oder vier mögen da bleiben, um die Sklaven zu bewachen!«

Man gehorchte diesem Befehle, und darum wurde es für einige Zeit still.

»Effendi,« kicherte Ben Nil mir zu, »wenn wir das gewußt hätten, so hätten wir alle Gefangenen und alle Kamele entführen können. Wir sind viel, viel zu vorsichtig gewesen.«

»Ja, wir hätten alles fortschaffen können. Aber warum uns damit schleppen, da Schedid es uns gewiß nach Faschodah bringen wird! Es ist uns alles über Erwarten geglückt. Nun bin ich neugierig, ob sie, wenn sie mit Suchen fertig sind, ihre irrige Ansicht ändern werden.«

»O nein, denn diese Leute scheinen mit Blindheit geschlagen zu sein.«

Er hatte Recht. Die nach allen Richtungen ausgesandten Männer kehrten zurück, und das Resultat war, daß keiner etwas gefunden hatte. Nördlich vom Wasser, welche Richtung der Baqquara, falls er wirklich an der Mischrah Omm Oschrin wohnte, eingeschlagen haben mußte, war keine Spur von ihm zu finden gewesen. Er mußte also nach Süden geritten sein. Aber diejenigen, welche nach dieser Richtung gesucht hatten, behaupteten, daß auch dort keine Fährte zu entdecken sei. Darum watete Schedid selbst durch die Furt, um darüber nachzuforschen. Er kehrte nach einiger Zeit wetternd und fluchend zurück und erklärte:

»Es ist wirklich nichts zu finden. Was wird der Mek und was wird In Asl sagen, wenn wir ihnen sagen müssen, daß gerade dieser Hafid Sichar entkommen


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ist! O Allah, wie werden wir von diesen beiden empfangen werden!«

Da meinte einer, der jedenfalls der klügste von allen war.

»Während so kurzer Zeit verwischt sich keine Spur; das solltest du bedenken, o Schedid!«

»Was willst du damit sagen?« fragte der Genannte.

»Wo keine Spur ist, da ritt kein Kamel. Ist rundum keine Fährte zu sehen, so ist der Baqquara noch gar nicht fort, sondern irgendwo versteckt mit Hafid Sichar und den Kamelen. Du wirst doch zugeben, daß er sehr schlau gehandelt hat. Die Frömmigkeit und Heiligkeit der beiden Senussi war ihm im Wege; er hielt sie für gefährlich für sich; darum klagte er sie an; darum erfand er ein Märchen, um sie für sich unschädlich zu machen. War das nicht klug, nicht schlau?«

»Sehr listig sogar!«

»Nun, so darfst du ihm zutrauen, daß er später ebenso schlau gehandelt hat. Er mußte sich sagen, daß wir seine Spur entdecken würden; darum machte er lieber keine, indem er in der Nähe blieb und sich versteckte, um zu warten, bis wir fort seien.«

»Allah akbar! Daran habe ich gar nicht gedacht. Du kannst sehr recht haben. Auf, ihr Männer, um nach dem Verborgenen zu suchen. Forscht überall, aufwärts und abwärts, rechts und links, hüben und drüben vom Wasser!«

Jetzt wurde die Sache für uns etwas weniger angenehm. Blieben wir mit unserem Floße hier liegen, so konnte ein kleiner Zufall uns verraten. Wir hatten übrigens genug gehört; darum stießen wir ab und ruderten zurück, aber so langsam, daß nur einer, welcher den Blick minutenlang auf uns gerichtet hielt, bemerken konnte, daß unsere Insel sich bewegte. Und daß man derselben


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eine so scharfe Aufmerksamkeit widmen werde, das stand nicht zu erwarten, denn es gab in dem See mehrere wirkliche, mit Schilf bewachsene Inseln, wodurch das Dasein der unserigen weniger auffällig wurde.

Wir sahen mehrere Takaleh wieder durch die Furt gehen. Man suchte an beiden Ufern. Wenn man die Nachforschung auch nach dem andern See, an dessen Ende unser Lagerplatz war, hin erstreckte, konnte dieser letztere noch entdeckt werden. Aber zu fürchten brauchten wir diesen Fall ganz und gar nicht. Wurden wir bemerkt, dann doch jedenfalls nur von einigen wenigen Männern, vor denen sich zu fürchten die reine Lächerlichkeit gewesen wäre. Ehe sie die übrigen herbeibrachten, waren wir auf unseren Tieren schon soweit fort, daß wir uns in vollster Sicherheit befanden. Lieber freilich war es mir, wir wurden nicht entdeckt. Es paßte sehr gut in meinen Plan, daß man der Geschichte von dem fremden Effendi keinen Glauben mehr schenkte; dies mußte aber sofort anders werden, wenn man erkannte, daß der Baqquara nicht unehrlich gehandelt habe, sondern mit Hafid und den Kamelen selbst entführt worden sei.

Unsere Fahrt ging über den größeren See nur langsam von statten; aber als wir den kleineren erreicht hatten, waren wir den Takaleh aus den Augen und ruderten schneller. Bald legten wir bei dem Lagerplatze an und stiegen aus. Wir waren lange fort gewesen; darum hatte Hafid Sichar sich in Unruhe wegen uns befunden; er war froh, als er uns jetzt zurückkehren sah. Wir erzählten ihm, was wir gesehen und gehört hatten, und dann stieg ich, um eine etwaige Annäherung zeitig bemerken zu können, auf einen nahen Baum, dessen dichtes Blätterwerk mich vollständig verbarg und mir aber doch den Ausguck nach allen Richtungen erlaubte.


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Nach einiger Zeit sah ich drüben am nördlichen Ufer zwei Takaleh, welche suchend an demselben hinschritten. Sie konnten nicht herüber, uns also nicht gefährlich werden. Aber bald darauf kamen diesseits drei andere, welche von Busch zu Busch, von Baum zu Baum schritten und hinter jedes Strauchwerk blickten. Wenn sie nur noch zwei Minuten in dieser Weise fortsuchten, mußten sie uns finden. Ich glitt schnell vom Baume herunter, verließ unsern Lagerplatz und ging ihnen, natürlich ohne mich sehen zu lassen, eine kurze Strecke entgegen. Es gab da ein dichtes Gebüsch, bis zu dessen Spitzen sich scharfes Dornwerk rankte. Aller Erwartung zufolge mußten sie da vorüberkommen; ich kroch also hinein.

Es dauerte nicht lange, so kamen sie, sahen erst in ein benachbartes Gesträuch und wendeten sich dann nach meinem Versteck.

»Es ist vergebens,« sagte einer von ihnen. »Hier hüben sind sie nicht. Kehren wir wieder um!«

»Nur noch einige Schritte, bis dort zu der Ecke, an welcher der Subakh steht!« lautete die Antwort.

O weh! Auf jenem Subakh hatte ich soeben gesessen, und hinter dieser Ecke befand sich unser Lagerplatz! Jetzt waren sie nur noch fünf Schritte von meinem Buschwerk entfernt. Ich griff in die schwachen Stämmchen, bewegte sie, als ob ein Tier sich da, wo ich mich befand, vom Boden erhebe, und versuchte, jenes knurrende Pfauchen nachzuahmen, welches ein in seiner Ruhe gestörtes Raubtier hören läßt. Dann rollte ich mit der Zunge in möglichst tiefem Tone, röchelte dazu durch die Nase und stieß darauf einen kurzen, heiseren Schrei aus, bei welchem der Wüstenbewohner, wenn er ihn hört, in den Stoßseufzer ausbricht:


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»Der Löwe ist erwacht. Allah beschirme uns vor dem Würger der Herden!«

Ich hatte auf einsamen Ritten aus Langeweile oft versucht, das Gebrüll des Löwen nachzuahmen. Es richtig wiederzugeben, dazu sind die menschlichen Stimmwerkzeuge unfähig, aber eine Aehnlichkeit läßt sich doch erreichen. Das war auch jetzt der Fall. Die drei Takaleh prallten, als sie mich hörten, ganz entsetzt zurück.

»Eine Löwe, ein Löwe!« schrie einer von ihnen. »O Allah, o Beschützer, o Erhalter des Lebens, bewahre uns vor - -«

Die Fortsetzung dieser Worte konnte ich nicht hören, weil der Kerl, während er in dieser Weise zeterte, so schnell davon rannte, daß er bei dem letzten Worte schon nicht mehr zu sehen war. Und seine beiden Gefährten, welche noch flinkere Beine besaßen, waren ihm sogar schon weit voran. Da hörte ich hinter unserer Ecke Ben Nils lachende Stimme:

»Effendi, die kommen nicht wieder! Was bringst du doch alles fertig! Jetzt hast du dich sogar in einen Löwen verwandelt! Das zornige Knurren und Pfauchen voran war vortrefflich. Es klang ganz genau so, als ob ein Löwe aus dem Schlafe gestört worden sei. Aber dann das Brüllen war weniger gut. Man hörte, daß es aus keinem Löwenrachen kam.«

»Weil du wußtest, wer dieser Löwe war!«

»Jawohl. Den Takaleh aber ist es ganz naturgetreu erschienen. Sie werden sich nun hüten, den Subakh und unsere Ecke zu untersuchen. Als du fortgingst und dort in das Loch krochst, dachte ich, daß uns dies gerade verraten könnte. Ich wußte ja nicht, daß du den >Herrn mit dem dicken Kopfe< spielen wolltest. Nun aber bin


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ich froh, daß du es gethan hast. Wie bist du denn auf diesen Gedanken gekommen, Effendi?«

»So, wie einem in der richtigen Lage der richtige Gedanke kommen muß: ganz unerwartet und ohne langes Suchen.«

Ich war inzwischen zurückgekehrt und sah, daß Ben Nil sein Messer in der Hand hatte. Auf meinen fragenden Blick erklärte er:

»Als die Takaleh kamen, sagte ich diesem Baqquara, daß ich ihn, falls er den leisesten Laut hören lasse, sofort erstechen werde. Nun sind sie fort. Wollen wir nicht aufbrechen?«

»Nein. Ich will sie erst fortlassen.«

Aber wir versäumen damit eine kostbare Zeit. Du weißt, wie eilig wir es haben, nach Faschodah zu kommen!«

»Diesen Zeitverlust holen wir mit unseren guten Kamelen bald wieder ein. Ich muß wissen, wie wir zu reiten haben, damit diese Takaleh nicht auf unsere Fährte stoßen. Da sie einen Löwen in ihrer Nähe vermuten, werden sie sich nicht lange mehr an der Furt aufhalten, denn sie müssen annehmen, daß das Raubtier diese Furt als Wechsel benutzt. Ich werde sie beobachten.«

Um dies zu thun, stieg ich wieder auf den Baum und nahm dieses Mal mein Fernrohr mit. Ich konnte mit Hilfe desselben über beide Seen hinwegblicken; aber die Bäume und Sträucher der Ufer, hinter denen sich die Karawane befand, verhinderten mich, zu beobachten, was die Leute thaten.

Nach vielleicht einer halben Stunde bemerkte ich eine Bewegung oben an der Furt, und dann sah ich den Zug am diesseitigen Ufer unter den Bäumen hervorkommen und sich südwärts hinaus in die Wüste wenden. Eine


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Abteilung der Reiter war voran, die andern hinterdrein; die Gefangenen marschierten in der Mitte. Ich verfolgte die Karawane mit dem Rohre, bis sie am Horizonte verschwunden war. Dann richtete ich das Teleskop ohne eine bestimmte Absicht, ganz unwillkürlich, nach Norden und nach Osten. Dort, in letzterer Richtung, bewegten sich einige Punkte. Waren das Tiere oder Menschen? Sie näherten sich, aber nicht gerade auf uns zu, sondern in südwestlicher Richtung, so daß dieselbe mit derjenigen der Karawane im Süden von uns zusammenstoßen mußte. Die Gestalten waren selbst durch das Rohr zu klein, als daß ich hätte bestimmen können, wer oder was sie seien. Und sie wurden noch kleiner und immer kleiner, bis ich sie gar nicht mehr sehen konnte. Jetzt stieg ich vom Baume herab.

Gestern abend hatte ich die Züge Hafid Sichars nicht deutlich erkennen können; jetzt am Tage sah ich, daß er eine große Aehnlichkeit mit seinem Bruder besaß. Er bat mich, ihm die Mumienhand zu zeigen, und als ich dieser Aufforderung nachgekommen war, erklärte er, daß er sie erkenne, und daß sie wirklich die Hand der Pharaonentochter sei, die er gemeint habe. Darauf öffnete ich meinen wasserdichten Gürtel, nahm die beiden unadressierten Briefe heraus, welche sein Bruder mir in Siut gegeben hatte, und sagte:

»Diese Briefe brachte mir Ben Wasak in den Palast des Pascha nach Siut. Er sagte mir, daß ich sie nach meiner Ankunft in Chartum öffnen solle.«

»So sind sie dein Eigentum,« sagte er, indem er sie in die Hand nahm, um sie zu betrachten. »Stecke sie wieder ein, und öffne sie, wenn du nach Chartum kommst!«

»Ich hätte lieber Lust, sie dir jetzt zum Oeffnen zu übergeben. Ich glaubte damals, und infolgedessen dein


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Bruder auch, daß ich direkt nach Chartum gehen würde. Es ist aber anders gekommen. Ich mußte nach dem Lande der Fessarah; es ist inzwischen eine nicht unbedeutende Zeit vergangen, und wer weiß, welchen wichtigen Inhalt diese Briefe haben. Es ist vielleicht besser, wenn wir ihn kennen lernen.«

»So öffne sie jetzt!«

»Nein, du! Ich bin noch nicht in Chartum.«

»So werde ich sie aufmachen. Es könnte doch etwas darin stehen, was uns zu wissen Vorteil bringt.«

Er öffnete die Umschläge. Sie enthielten je einen offenen Empfehlungsbrief und eine Anweisung auf ein Chartumer Haus.

»Hat mein Bruder dich gekannt, ehe du zu ihm nach Maabdah kamst?« fragte Hafid Sichar.

»Nein.«

Er sah mich mit einem langen, großen Blicke an, und seine Augen glänzten feucht, als er dann sagte:

»Das, das that mein Bruder für mich, und ich glaubte, er habe mich ganz aufgegeben. Diese Anweisungen sagen Mehr, als du denkst. Sie sind von hohem Betrage. Er muß vorher alles mögliche, mich zu entdecken, aufgeboten haben. Er sah dich zum erstenmale und gab dir solche Briefe mit! Du mußt ihm als ein sehr ehrlicher und vertrauenswerter Mann erschienen sein. Bedenke, daß du ein Christ und ihm vollständig Fremder warst! Was hättest du mit dem vielen Gelde gemacht?«

»Dir gegeben, sobald ich dich fand. Stecke die Empfehlungen und Anweisungen ein; sie gehören dir! Wir werden zusammen bleiben, bis du zu deinem Bruder kommst, und falls ich etwas bedarf, werde ich es dir sagen.«


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»Gut! Unter dieser Bedingung werde ich die Papiere behalten. Aber wohin soll ich sie stecken, da ich keine Taschen habe?«

Es war wahr; er hatte keine einzige Tasche, da er, der reiche Mann, nur mit einem, noch dazu ziemlich defekten Lendenschurze bekleidet war.

»Du wirst gleich Taschen haben,« antwortete ich. »Dieser Baqquara ist von deiner Statur. Ihr werdet eure Anzüge wechseln. Du nimmst den seinigen, und er bekommt den deinigen.«

»Wage das!« fuhr mich der Baqquara an. »Ich bin ein freier Ben Arab und gehe nicht nackt!«

»Vorher war er gefangen, und du warst frei; darum ging er nackt, und du trugst Kleider. Jetzt bist du gefangen, und er ist frei; folglich wechselt auch die Kleidung.«

»Ich dulde es nicht!«

»Ben Nil, schneide Stöcke ab zur Bastonnade!«

»Schlagen, mich schlagen?« schrie der Baqquara auf. »Mir die Bastonnade, mir? Wer giebt dir das Recht dazu?«

»Der Vicekönig. Ich stehe hier an Stelle des Reïs Effendina. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, würde ich thun, was mir beliebt. Du bist ein Verbündeter meines Todfeindes, der mir nach dem Leben trachtet. Du selbst hast gestern abend direkt gegen mich gesprochen und gehandelt. Mit welchem Rechte? So frage ich dich ebenso, wie du nach meinem Rechte fragst. Mit dem Rechte des Stärkern! Nach dem Gesetze der Wüste und Steppe. Ich rate dir: Wenn dir deine Fußsohlen lieb sind, so füge dich freiwillig meinem Befehle! Ich habe dir die Freiheit gegen ein offenes Geständnis geben wollen; du bist nicht auf meinen Vorschlag eingegangen


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und hast es dir also nur selbst zuzuschreiben, wenn die Folgen davon dich nicht gerade in Entzücken versetzen. Herunter mit dem Anzuge!«

Ben Nil wollte ihm den Haïk ausziehen, aber er wehrte sich. Da machte ich nun Ernst. Er wurde vor dem Baume auf den Bauch gelegt und mußte die Unterschenkel von den Knieen an aufwärts heben. Sie wurden an den Stamm gebunden, so daß er sich nicht bewegen konnte. Dann setzte Hafid Sichar sich ihm auf den Rücken, damit er liegen bleiben mußte, und Ben Nil schnitt einen fingerstarken Stock vom Busche. Gleich beim ersten Hiebe schrie der Gezüchtigte grell auf; beim zweiten jammerte er:

»Laß ab, laß ab, Effendi! Ich will gehorchen. Diese Bastonnade kann kein freier Arab Baqquara aushalten!«

»Du konntest sie dir ersparen. Laß dir die beiden Streiche zur Lehre dienen!«

Er wurde losgebunden, und nun ging der Kleiderwechsel ohne weiteres von statten. Dann rüsteten wir uns zum Aufbruche. Für die Menschen war noch Wasser vorhanden; für die Kamele wurden die Schläuche aus dem Nid en Nil gefüllt. Dann stiegen wir auf und verließen den Ort, von welchem ich nicht geahnt hätte, daß ich an demselben den von seinem Bruder so lange vergeblich gesuchten Hafid Sichar finden würde.

Wie schon erwähnt, sollten die Takaleh unsere Fährte nicht sehen; deshalb hatte ich sie voranziehen lassen. Dennoch folgten wir zunächst der ihrigen, um später von derselben abzubiegen. Als wir ungefähr eine Viertelstunde geritten waren, sahen wir von links her eine zweite Fährte kommen. Sie stammte jedenfalls von denjenigen Wesen, welche ich als kleine Punkte durch das Fernrohr am östlichen Horizonte gesehen hatte, und hier war der


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Punkt, an welchem sie auf die Spuren der Takaleh gestoßen war.

»Wer mag das gewesen sein?« meinte Ben Nil. »Es sind so kleine Stapfen.«

Ich stieg ab und hieß auch ihn absteigen, denn er sollte sich im Fährtelesen üben. Was er von und bei mir lernte, konnte ihm später wohl von Nutzen sein. Ich wußte gleich beim ersten Blicke, woran ich war, doch forderte ich ihn auf:

»Sieh dir diese Spuren genau an! Von weichen Tieren können sie eingetreten worden sein?«

»Das - das sind wohl Esel gewesen?« sagte er, mich fragend anblickend.

»Ja, Esel,« nickte ich ihm befriedigt zu. »Und wie viele?«

»Vier oder fünf.«

»Nein, sondern nur drei. Wenn man die Zahl der Tiere wissen will, muß man sein Augenmerk nur auf die Summe der Eindrücke eines bestimmten Beines richten. Wer die Spuren aller Hufe zählt, wird irre. Nehmen wir zum Beispiel den rechten Vorderhuf. Du erkennst den Eindruck an mehreren Zeichen, vor allen Dingen daran, daß er nach außen, also nach rechts, mehr konvex ist als nach innen, nach links. Zieh dann die Verschiedenheit der Eindrücke dieser rechten Vorderhufe zu Rate, so wirst du die Zahl der Tiere haben.«

»Ja, es waren nur drei Esel,« sagte er, nachdem er die Spur von den gegebenen Gesichtspunkten aus noch einmal genau betrachtet hatte.

»Was trugen die Esel? Reiter oder Lasten? Oder ging einer von ihnen vielleicht frei?«

»Woran erkennt man es?«

»An der Tiefe der Eindrücke, an der Regelmäßigkeit


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des Ganges und aus andern, mehr durch den Zufall gegebenen Zeichen. Je schwerer ein Tier beladen ist, desto tiefer drückt sich sein Fuß in den Sand. Ein Lasttier wird meistenteils vorn leichter als hinten gehen. Ein Reittier hat einen unregelmäßigeren Gang als ein Saumtier, weil es mehr von dem Willen seines Reiters abhängig ist, während das Lasttier ruhig seinen Gang fortgeht. Komm ein Stück auf dieser Fährte weiter, so siehst du, daß jeder der Esel einmal rechts, einmal links, einmal in der Mitte gegangen ist. Das kommt bei Saumtieren nicht oder nur höchst selten vor; sie haben also Reiter getragen. Was für Reiter mögen das gewesen sein?«

»Wie kann ich das wissen! Ich habe sie nicht gesehen, und da sie im Sattel saßen, konnten sie von sich keine Spuren zurücklassen.«

»Und doch ist nichts leichter als das. Auf Eseln reitet hier nur eine ganz bestimmte Art von Leuten.«

»Meinst du, es seien Dschellab gewesen?«

»Ja, da nur ein Dschellabi, ein Händler, sich in dieser Gegend des Esels bedient. Also soviel wissen wir. Wo kamen sie her? Das interessiert uns nicht; aber wohin sie wollen, das möchten wir wissen, da wir sie vor uns haben und sie vielleicht einholen werden.«

»Kannst du auch das aus den Spuren lesen?«

»Nein, wenigstens jetzt noch nicht, da ihre Fährte sich von hier aus mit derjenigen der Takaleh vereinigt hat. Gehen wir weiter!«

Wir nahmen unsere Kamele bei den Halftern und führten sie; die beiden andern waren im Sattel geblieben und folgten uns. Nach einiger Zeit erweiterte sich die Spur zu einer breiten, sehr zertretenen Stelle, um dann in der bisherigen Schmalheit und Weise wieder fortzugehen.


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»Hier haben die Dschellab die Takaleh eingeholt,« erklärte ich, »und die letzteren sind eine Weile halten geblieben, um die ersteren zu empfangen und auszufragen. Vielleicht erzählt uns diese breite Stelle noch mehr. Ich will sie einmal genauer untersuchen.«

Mir schien nämlich, als ob die Mehrzahl der Takaleh nicht halten geblieben, sondern ohne Unterbrechung fortgeritten sei. Ich zählte und verglich die einzelnen Eindrücke, fand sogar die Spuren mehrerer menschlicher Füße und erklärte dann den andern:

»Es sind nur fünf Takaleh halten geblieben; die andern ritten weiter. Diese fünf sprachen längere Zeit mit den Dschellab, wobei die letzteren von ihren Eseln gestiegen sind. Dann ritt man in Gemeinschaft den Vorausgegangenen nach. Diesen Halt hier nahm man vor, um sich gegenseitig zu begrüßen und auszufragen.«

»Werden die Dschellab nicht von den Takaleh feindlich behandelt werden?« fragte Ben Nil.

»Bis jetzt giebt es. noch keinen Anhaltspunkt, welcher uns veranlassen könnte, auf Feindseligkeit zu schließen; aber die Takaleh befinden sich jedenfalls in keiner guten Stimmung, und so haben die Händler, wenn es nicht noch andere Gründe geben sollte, wenigstens deshalb wohl Ursache, vorsichtig zu sein. Gehen wir noch ein Stück weiter, ehe wir aufsteigen.«

Eben wendete ich mich wieder vorwärts, als Ben Nil, mit der Hand nach derselben Richtung deutend, sagte:

»Schau, Effendi, da vorne, seitwärts von der Fährte, sitzt eine Hyäne.«

»Und daneben haben zwei andere sich in den Sand gelegt,« fügte Hafid Sichar hinzu.

Ich beschattete die Augen mit der Hand, um besser


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sehen zu können, und rief, ein Unglück ahnend, im nächsten Augenblicke:

»Das sind keine Hyänen, sondern Menschen. Die fünf Takaleh werden doch nicht etwa über die Händler hergefallen sein! Kommt schnell fort von hier und mit hin!«

Wir eilten weiter, die beiden Reiter im Schritte und wir zwei Fußgänger im Trabe. Derjenige, welchen Ben Nil von weitem für eine sitzende Hyäne gehalten hatte, kehrte uns den Rücken zu. Es war kein Wunder, daß mein junger Begleiter sich aus einer solchen Entfernung hatte täuschen können, denn der Mann hatte die Ellbogen auf die Kniee gestemmt und den Kopf in die beiden Hände gelegt, als ob er Kopfschmerzen habe. Als er das Geräusch, welches wir bei unserer Annäherung verursachten, hörte, wendete er das Haupt nach uns um. Uns sehend, machte er eine Anstrengung, sich zu erheben, was ihm aber nicht gelang. Sein Auge fiel, da die beiden Reiter uns um einige Schritte voran waren, zunächst auf den Baqquara; da nahm sein Gesicht den Ausdruck des Schreckens an, und er rief:

»Ich bin verloren! Das ist ja Amr el Makaschef, der Scheik der Baqquara!«

Ich hatte diesen Namen schon einigemale gehört. Es war derjenige eines Baqquarahäuptlinges, welcher als außerordentlich kriegerisch und gewaltthätig bezeichnet wurde. Damals spielte er seine Rolle noch innerhalb engerer Grenzen, später aber trat er aus denselben heraus. Er war ein Verwandter des Mahdi, und am 6. April 1882 sandte der Mudir von Sennaar an den Vicegouverneur eine Depesche, welche lautete: »Der Baqquara-Scheik Amr el Makaschef, ein Vetter des Mahdi, nähert sich mit mehreren tausend Baqquarakriegern meiner Stadt, um


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dieselbe für den Mahdi einzunehmen. Sende mir so schnell wie möglich Hilfe!« Dieser Mann war also jetzt mein Gefangener. Es mußte mich stutzig machen, daß ein Häuptling sich zu Botendiensten hergegeben hatte. Sein Verhältnis zu Ibn Asl konnte nicht eine bloße Bekanntschaft, sondern mußte ein festeres, tieferes sein. Dies bestätigte sich durch die Antwort, welche er gab; denn kaum hatte er die Worte des Mannes gehört, so rief er in abwehrendem Tone aus:

»Du irrst. Ich gehöre zwar zu den Baqquara, bin aber nicht ein Scheik derselben.«

»Warum verleugnest du dich?« fragte der Händler. »Wie oft bin ich bei euch, bei dir gewesen! Du kennst mich und weißt, daß auch ich dich sehr genau kenne.«

»Schweig! Du redest irre. Ich sehe, daß du verwundet bist, und da wird das Fieber dir die irrigen Worte eingegeben haben.«

Daß er während dieser Worte seinen Blick mit einem besorgten Ausdrucke auf mich warf, gab mir die Ueberzeugung, daß er die Unwahrheit sagte. Er wollte für einen gewöhnlichen Mann gelten, um in Faschodah eine möglichst milde Behandlung zu finden. Der Händler aber blieb bei seiner Ueberzeugung, indem er behauptete:

»Ich weiß nicht, aus welchem Grunde du dich verleugnest; ja, ich bin verletzt, aber das Fieber hat mich noch nicht ergriffen, und ich weiß, was ich sage. Wir haben diesen sklavenhandelnden Takaleh nichts gethan, und ich bitte dich um Allahs willen, nicht zu glauben, daß ich ein Gegner der Leute bin, welche Sklaven fangen. Schone mich, o Scheik!«

Da fragte ich ihn:

»Warum hältst du diese Erklärung für notwendig?


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Meinst du, daß dieser Scheik Amr el Makaschef auch ein Sklavenfänger ist?«

Er hatte mich noch nicht beachtet. Jetzt musterte er mich mit verwundertem Blicke und antwortete:

»Wie kannst du eine solche Frage an mich richten! Du gehörst jedenfalls zum Scheik und mußt also noch besser wissen als ich, daß er ein Freund und Abnehmer von Ibn Asl, dem berühmtesten Sklavenjäger, ist.«

»Das ist nicht wahr; das ist eine Lüge!« rief der Baqquara. »Ich bin ja gar nicht derjenige, für den er mich hält!«

»Sei still!« gebot ich ihm. »Ich weiß sehr genau, was ich von dir zu denken habe, und alle Mühe, mein Urteil irre zu leiten, ist vergeblich. Du bist viel zu dumm, mich zu hintergehen.«

Und mich zu dem Händler wendend, fuhr ich fort:

»Ich gehöre nicht zu ihm. Ich bin ein Fremder, kein Moslem, sondern ein Christ. Siehe dir den Scheik doch besser an! Hast du noch nicht bemerkt, daß er keine Waffen trägt? Hast du die Leine noch nicht bemerkt, mit welcher er an das Kamel gebunden ist?«

Der Mann hatte bisher den Kopf noch stets in den beiden Händen gehalten; jetzt hob er ihn, um den Scheik genauer zu betrachten, und rief dann verwundert aus:

»Allah thut Wunder! Er ist gefesselt! Habt ihr etwa mit ihm gekämpft, ihn gefangen genommen?«

»Du sollst es erfahren. Vor allen Dingen aber will ich dich und deine beiden Gefährten, welche für tot daliegen, untersuchen.«

»Sie sind tot; man hat sie erschossen. Du siehst ja die große Pfütze des Blutes, in welcher sie liegen.«

»Hat man auch auf dich geschossen?«

»Nein. Ich war der erste, an dem sie sich vergriffen.


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Sie schlugen mich mit dem Kolben des Gewehres auf den Kopf. Als ich erwachte, sah ich meine Gefährten tot. Wir sind beraubt worden, und man hat uns alles genommen und auch unsere Esel fortgeführt.«

»Nein; dieses letztere ist nicht geschehen. Die Esel sind noch da. Ich werde sie holen. Vorher aber zeige mir deinen Kopf!«

Dieser war stark angeschwollen, doch zeigte sich zum Glücke für den Verletzten kein Schädelbruch. Man hatte nicht mit der Schärfe, sondern mit der Breite des Kolbens zugeschlagen. Die beiden andern waren allerdings tot, durch die Brust geschossen. Ich nahm ihnen die Kopftücher ab, um dem noch Lebenden einen nassen Umschlag aufzulegen, welcher ihm so wohlthat, daß er aufstehen und mit weniger Anstrengung als vorher sprechen konnte. Er schien noch immer Angst vor dem Scheik zu haben; darum beruhigte ich ihn:

»Du befindest dich bei Freunden und dieser Häuptling der Baqquara kann dir nichts thun. Er ist ein Freund der Takaleh, welche euch überfallen haben; er war am Nid en Nil bei ihnen, und ich sage dir, daß du gar keinen Grund hast, dich vor ihm zu fürchten oder ihn zu schonen. Hast du vielleicht von dem Reïs Effendina gehört?«

»Ja, o Herr.«

»Nun, ich bin ein Freund desselben und habe diesen Baqquara gefangen genommen, um ihn zum Reïs Effendina nach Faschodah zu bringen. Du kannst also ruhig sein und offen mit mir sprechen. Aus welcher Gegend seid ihr gekommen, und wo wolltet ihr hin?«

»Wir waren drüben im Dar Famaka, wo wir alle unsere Waren verkauften und nur Thibr dafür bekamen. Dann gingen wir über den weißen Nil, um nach Gojak


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am Bahr el Arab zu reiten, wo wir unser Thibr gegen Straußfedern umtauschen wollten, welche wir dann nach Chartum gebracht hätten. Wir wären eines großen Gewinnes sicher gewesen, wenn uns die Takaleh nicht hier beraubt hätten. Nun bin ich ärmer als jemals vorher. Allah verfluche sie!«

Der erwähnte Thibr ist Gold, welches in der Gegend, von welcher er gesprochen hatte, in Gestalt von Körnern oder als Staub in kleinen Blättchen aus dem Alluvium gewonnen wird. Dieser Thibr dient dort als fast alleiniges Tauschmittel, so daß die sonst überall gangbaren Maria-Theresienthaler wenig beliebt sind. Er wird zur besseren Handhabung in Ringe eingeschmolzen oder in ganz kleinen Quantitäten, als Scheidemünze, in Zeug- oder Lederstückchen eingebunden.

»Ich vermute, daß ihr von den Takaleh nicht gleich von vorne herein feindselig behandelt worden seid?« fragte ich.

»Sie waren sogar sehr freundlich,« antwortete er. »Als wir auf sie stießen, ließ der Anführer die Karawane weitergehen, bis wir sie nicht mehr sehen konnten, und blieb mit noch vier anderen bei uns halten, um uns auszufragen. Er that dies in einer Weise, daß es ganz unmöglich war, Mißtrauen zu hegen, und gab uns dann die Erlaubnis, uns ihm anzuschließen. Wir ritten fort, der Karawane nach; aber als wir hier diese Stelle erreichten, wurde ich plötzlich niedergeschlagen. Das übrige weißt du schon.«

»Hast du den Thibr erwähnt, den ihr bei euch hattet?«

»Ja. Sie fragten uns, womit wir die Straußfedern bezahlen wollten, und da mußte ich von dem Goldstaube sprechen!«


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»Das hättest du unterlassen sollen. Du siehst, welche Früchte diese Vertrauensseligkeit getragen hat. Die fünf Takaleh sind nach dem Goldstaube begierig geworden, und um denselben nicht mit ihren Kameraden teilen zu müssen, haben sie die Karawane bis außer Sichtweite fortgelassen und sind dann über euch hergefallen. Aus ganz demselben Grunde haben sie euch alles andere gelassen, sonst hätten sie euch alles bis auf den bloßen Leib genommen. Dadurch wäre der Raub verraten worden, und sie hätten teilen müssen. Infolgedessen nahmen sie auch eure Esel nicht mit, sondern jagten sie fort, wie ich da aus den Spuren ersehe.«

»Warum ließ man sie nicht da? Warum gab man sich die überflüssige Mühe, sie so weit fortzutreiben, daß man sie nicht sehen kann?«

»Aus Vorsicht. Die Mühe war gar nicht so überflüssig, wie du meinst. Ihr drei lagt, platt am Boden und waret also aus der Ferne nicht zu entdecken. Hätte man die Esel bei euch stehen lassen, so konnten dieselben von weitem gesehen werden und irgend jemand herbeiziehen, durch welchen die Mordthat entdeckt worden wäre. Du bist zwar nicht tot, wärest aber jedenfalls zu Grunde gegangen, wenn wir nicht gekommen wären und dich nur deshalb gefunden hätten, weil wir mit Absicht den Spuren der Takaleh folgten.«

»Was aber soll nun geschehen, Herr? Wir müssen den Mördern nach. Ich will mich rächen und ihnen ihren Raub abnehmen.«

»Du wirst erhalten, was sie euch abgenommen haben; das verspreche ich dir. Dazu aber bedarf es gar nicht der Verfolgung der Karawane und des Kampfes mit derselben. Meinst du etwa, du seist in deinem Zustande fähig, es mit ihnen aufzunehmen? Ich werde jetzt nach den Eseln suchen, und dann schließest du dich uns an.«


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»Wohin reitet ihr?«

»Nach Faschodah, wie ich dir bereits gesagt habe. Die Takaleh wollten auch dorthin, und da sie Fußgänger bei sich haben, werden wir eher dort sein als sie und sie gleich bei ihrer Ankunft durch die Polizei des Mudirs in Empfang nehmen lassen.«

Die Spuren der Esel führten gerade ins Weite hinaus; einer war dem andern nachgelaufen. Nach einer Viertelstunde fand ich sie nebeneinander liegend, die Sättel auf dem Rücken. Ich bestieg den einen, um zurückzureiten; die beiden andern folgten mir freiwillig, ohne daß ich sie zu führen brauchte.

Wir begruben die beiden Toten so gut, wie es uns möglich war; dann wurde der Verletzte auf das Kamel, welches die Wasserschläuche getragen hatte, gesetzt, und wir ritten weiter. Die hinter uns hertrabenden Esel waren ledig und konnten uns also leicht folgen.

Wir befanden uns ungefähr dreißig geographische Meilen von Faschodah entfernt. Wäre ich mit Ben Nil allein gewesen, so hätten wir diese Strecke mittels eines beschleunigten Rittes in zwei Tagen zurückgelegt, unter den gegenwärtigen Verhältnissen aber war dies nicht möglich. Hafid Sichar hatte zu lange Zeit in der Kupfergrube unter der Erde gesteckt; zum Gehen war er kräftig genug gewesen; nun aber zeigte es sich ' daß ihn das schnelle Reiten, das Schaukeln auf dem Rücken des Kameles mehr angriff, als er erwartet hatte. Der Händler kühlte seinen Kopf fortwährend mit Wasser, doch fühlte er in demselben jeden Schritt des Kameles so schmerzlich, daß wir gezwungen waren, unsere bisherige Schnelligkeit zu mäßigen. Der Fährte der Takaleh wurde nicht weiter gefolgt. Wir hielten uns weit östlicher als sie, überholten sie schon im Laufe des ersten Vormittages und kamen am


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Morgen des vierten Tages bei Faschodah an, welches eigentlich nichts als ein großes Hüttendorf ist, das sich jedoch infolge der mit Mauern umgebenen Regierungsgebäude, der Kaserne und der Wohnung des Mudir, von außen ziemlich stattlich ausnimmt. Doch verschwindet der gute Eindruck sofort, wenn man den Ort betritt.

Auf den Mauern stehen Kanonen und des Nachts zahlreiche Wachtposten, eine Vorsichtsmaßregel, welche wegen der rebellisch gesinnten Schilluk keine ganz überflüssige ist.

Um die Regierungsgebäude liegen armselige Häuser und zahlreiche Tukul, welche auf einer Ziegelunterlage errichtet sind, weil es wegen der früheren vielen Verheerungen, welche das Feuer anrichtete, jetzt verboten ist, diese dürftigen Hütten ganz aus Stroh zu bauen. Diese Tukul wurden teils von Schilluk, teils von Soldaten, welche ihre Weiber und Kinder bei sich haben, bewohnt. Die Straßen und Gassen, falls man sich ja dieser Ausdrücke bedienen will, bestehen aus Löchern, Schmutzlachen, Unrathaufen und Schlammgebirgen, zwischen, durch und über welche man, um nicht stecken zu bleiben, wie ein Seiltänzer sich bewegen muß.

Faschodah ist ein Verbannungsort, gerade so wie früher Dschebel Gasan und Fassoql, doch wächst die Zahl der Verbrecher nie stark an, da die Fremden an dem ungesunden Klima schnell zu Grunde gehen.

Da dieser Platz der letzte befestigte Grenzposten am weißen Nile ist, so hat er eine Besatzung von fast tausend Soldaten; das sind schwarze Fußtruppen und eine Anzahl Arnauten, die unter ihrem Sangak stehen und wegen ihrer bekannten Unbotmäßigkeit und Gewaltthätigkeit außerordentlich schwer zu regieren sind. Daß ihr Sangak ein heimlicher Verbündeter von Ibn Asl war, ist bereits erwähnt worden.


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Man darf ja nicht denken, daß wir so mir nichts dir nichts gleich unsern Einzug gehalten hätten; das wäre geradezu unverantwortlich gewesen. ich konnte annehmen, daß Ibn Asl bereits angekommen sei. Auch der Türke Murad Nassyr mit seiner Schwester, der Muza'bir und der Mokkadem der heiligen Kadirine, meine rachsüchtigen Feinde, waren hier zu suchen. Dazu kam, daß ich mich vor dem Obersten der Arnauten in acht zu nehmen hatte, da demselben von den andern Genannten jedenfalls schon alles von mir erzählt worden war. Sie kannten mich persönlich: ich durfte mich nicht sehen lassen, wenn ich meinen Zweck ganz und voll erreichen wollte. Darum sagte ich nicht, daß wir in, sondern daß wir bei Faschodah angekommen seien.

Wir hüteten uns nämlich, uns der Stadt allzuweit zu nähern, sondern hielten ungefähr eine Stunde vor derselben an einem Orte an, welcher zu einem einstweiligen Verstecke sehr geeignet war. Es gab da nämlich eine aus Sunut-, Hegelik- und anderen Hochbäumen bestehende Waldung, zwischen deren Stämmen Kittr- und Vabaqbüsche standen, welche durch die Ranken des Cyssus quadrangularis dicht verwoben waren. In diesem Walde machten wir Halt und suchten uns einen Platz, an welchem wir nur durch den reinen Zufall aufgefunden werden konnten.

Von hier aus wollte ich dem Mudir einen Boten senden. Am liebsten hätte ich meinen Ben Nil geschickt, was ich aber nicht wagen konnte, da derselbe einigen, denen er in Faschodah leicht begegnen konnte, bekannt war. Darum vertraute ich Hafid Sichar die Botschaft an und gab ihm den Empfehlungsbrief des Reïs Effendina mit. Natürlich unterrichtete ich ihn sehr genau darüber, wie er sich zu verhalten und was er zu sagen


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hatte. Nach seiner Entfernung warteten wir volle vier Stunden; dann kehrte er zurück und brachte einen Mann mit, der die hierzulande übliche Kleidung eines gewöhnlichen Mannes trug. Ich hatte erwartet, daß der »Vater der Fünfhundert« mir einen seiner vertrauten Beamten senden werde, und vernahm jetzt zu meiner Ueberraschung, daß dieser so einfach gekleidete Mann der Mudir selbst sei. Der strenge Mann charakterisierte sich gleich im ersten Augenblicke der Begegnung:

»Du hast lange warten müssen, Effendi,« sagte Hafid Sichar zu mir. »Dieser hohe Herr ist - -«

»Schweig!« donnerte ihn der andere zornig an. »Ich habe dich freundlich behandelt, weil mich dein trauriges Schicksal erbarmte, aber du darfst deshalb nicht denken, daß ich deinesgleichen bin. Wie kannst du es wagen, mich dem Effendi vorstellen zu wollen! Und wie darfst du dich erdreisten, dich zu entschuldigen, daß er gewartet hat! Bin ich ein Hund, der immer da sein muß, wenn ihm gepfiffen wird, du Halunke?«

»Na,« dachte ich im stillen, »das kann gut werden! Das ist der >Vater der Fünfhundert< selbst. Wenn er gegen euch sich in dieser Weise benimmt, wie mag er da erst mit Verbrechern umspringen!«

Jetzt wendete er sich zu mir und musterte mich mit neugierigem Blick, wobei sein Gesicht nicht die geringste Spur eines freundlichen Zuges entdecken ließ. Ich war aufgestanden, hielt seinen forschenden Blick gelassen aus und fragte:

»Wer bist du? Jedenfalls Ali Effendi selbst?«

»Ali Effendi?« meinte er streng. »Weißt du nicht, wie man einen Mudir zu titulieren hat?«

»Ich weiß es und werde die Pflicht der Höflichkeit erfüllen, sobald ich mit einem Mudir zu sprechen komme.«


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»Das ist schon jetzt der Fall, denn ich bin der Mudir von Faschodah.«

Ein Orientale hätte die Arme gekreuzt und sich zur Erde gebeugt, ich aber senkte nur den Kopf, reichte ihm die Hand und sagte, allerdings im höflichsten Tone:

»Allah gebe dir tausend Jahre, o Mudir! Ich freue mich, dein Angesicht zu sehen, denn es ist dasjenige eines gerechten Mannes, unter dessen Verwaltung sich diese Provinz erheben und von allem schlimmen Gesindel reinigen wird.«

Er zögerte, meine Hand anzunehmen, gab mir einen verwunderten Blick in das Gesicht und antwortete:

Nach dem, was ich von dir gelesen und gehört habe, bist du ein ganz tüchtiger Kerl; aber ein Freund von großen Komplimenten scheinst du nicht zu sein?«

»Jeder Mensch hat seine eigene Art und Weise und ist nach derselben zu nehmen, o Mudir.«

»So habe ich meine Diener auch nach ihrer Art und Weise zu nehmen! Allah erbarme sich! Da würde ich weit kommen! Ihr Christen seid sonderbare Menschen, und da will ich dich nun freilich so nehmen, wie du bist, nämlich sehr wacker und sehr grob. Setzen wir uns!«

Ich lächelte in mich hinein, von ihm, der verkörperten Grobheit, als grob bezeichnet zu werden. Wir setzten uns. Er zog ein Streichholzkästchen und eine Ledertasche voller Cigaretten hervor, brannte sich, ohne mir eine anzubieten, eine derselben an, blies den Rauch behaglich durch die Nase, legte Cigaretten und Zündhölzer zum weiteren bequemen Gebrauche neben sich und begann:

»Also du bist ein Diener des Reïs Effendina. Wo und wie hat er dich denn eigentlich kennen gelernt?«

»Ob er mich kennen gelernt hat oder ob ich ihn kennen lernte, das ist ein Unterschied, mit dem wir uns


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jetzt freilich nicht zu beschäftigen haben; aber wenn du meinst, daß ich sein Diener sei, so irrst du dich.«

»Nun ja, er nennt dich in dem Briefe seinen Freund; aber ich kenne das. Es ist nur eine Form und gehört zur Empfehlung. Du bist ein mutiger, ja ein verwegener Mann, auch nicht dumm scheinst du zu sein, aber als Christ kannst du doch niemals der Freund eines Moslem werden.«

»Warum nicht? Wenn ich einen Menschen so achte und so liebe, daß ich ihn meiner Freundschaft für würdig halte, so hindert mich der Umstand, daß er Moslem ist, nicht, sie ihm anzutragen.«

»Ah!« machte er erstaunt. »So hast du, du sie ihm angetragen und nicht er sie dir?«

»Von wem das erste Wort ausgegangen ist, das ist Nebensache; es genügt und muß auch dir genügen, daß wir eben wirkliche Freunde sind. Willst du es nicht glauben, nun, so ist es mir auch egal.«

»Wie? Es ist dir gleichgültig, ob dir der Mudir von Faschodah Glauben schenkt oder nicht? So ein Mann ist mir noch nicht vorgekommen!«

»Es giebt in meinem Vaterlande ein Sprichwort, welches lautet: Wie du mir, so ich dir. Ich befolge es gern.«

»Das ist stark, sehr stark! Höre, wenn das ein anderer wagte, bei Allah, ich ließe ihm auf der Stelle fünfhundert aufzählen!«

»Ja, das ist das gewöhnliche Deputat, und darum pflegt man dich Abu Hamsa Miah zu nennen. Ich aber bin vor dem Empfange dieser allerliebsten Liebesgabe sicher.«

»Sicher? Das glaube ja nicht! Wenn ich wollte, wer oder was könnte mich abhalten, auch dir fünfhundert geben zu lassen?«


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»Meine Nationalität und mein Konsul.«

»Auf die pfeife ich auch.«

»Nun, dann diese hier. Auf die würdest du gewiß nicht pfeifen.«

Ich hielt ihm bei diesen Worten die Faust so nahe vor die Nase, daß er, mit dem Gesicht schnell zurückweichend, ausrief.

»Mann, willst du etwa zuschlagen?«

»Nein, solange nämlich auch du nicht zuschlagen willst. Doch, wir haben nun genug gescherzt und wollen von nötigeren Dingen sprechen. Wir sind - -«

»Wer hat hier zu bestimmen, wovon gesprochen werden soll, du oder ich?« unterbrach er mich.

»Ich, denn du bist bei m i r. Hast du keine Lust, dich nach mir zu richten, so kannst du gehen. Ich komme auch ohne dich durch die Welt und durch diese Gegend.«

Da blickte, nein, starrte er mich förmlich an, warf den Rest der Cigarette fort und rief:

»Allah ist groß, nein, er ist größer, nein, er ist noch viel größer, er ist am allergrößten; du aber bist der größte Grobsack, der mir vorgekommen ist! Welche Wonne, wenn ich dir fünfhundert aufzählen lassen könnte! Aber ich denke, daß ich noch dazu komme!«

»Und ich hoffe es auch, um dir nämlich beweisen zu können, daß dir meine Kugel durch das Gehirn fahren würde, noch ehe du den betreffenden Befehl vollständig ausgesprochen hättest.«

»Fresse dich der Teufel! Ich glaube, mit dir kommt man am allerbesten aus, wenn man höflich ist.«

Er brannte sich wieder eine Cigarette an. Ich antwortete.

»So mache den Anfang, indem du mir erlaubst, auch eine Cigarre zu rauchen.«


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Ich griff zu, nahm mir eine, brannte sie an und fügte, als ich sah, daß er darüber zornig werden wollte, schnell hinzu:

»Das war schon vorhin deine Pflicht, als du die erste anbranntest. Du hast das unterlassen und doch mich ermahnt, höflich zu sein. Was soll ich von dir denken? Mir ist es gleichgültig, ob du mich grob oder freundlich behandelst. Ich habe nicht die geringste Gefälligkeit für mich von dir zu erbitten; ich komme vielmehr, um dir zu helfen, deine Pflicht zu erfüllen. Gleiches gegen gleiches; das ist das Gesetz der Wüste: Leben gegen Leben, Blut gegen Blut und - Grobheit gegen Grobheit. Lerne mich kennen, dann wirst du anders von mir denken. Du hast mir sogar deine Hand verweigert. Ich habe mit noch höheren Männern gesprochen, als du bist, und bin von jedem höflich behandelt worden.«

Er warf die kaum angebrannte Cigarette wieder fort, ballte die Faust und wollte zornig losbrechen, doch beherrschte er sich; die Zornesfalten seiner Stirn glätteten sich; sein Blick wurde milder und milder; dann aber kehrte der Grimm plötzlich zurück; er warf einen wütenden Blick auf die Umgebung, deutete auf den am Boden liegenden Scheik Amr el Makaschef und fuhr diesen an:

»Ich sehe, daß du gefesselt bist. Bist du der Baqquara, welcher die Botschaft von Ibn Asl nach dem Nid en Nil gebracht hat?«

»Ja,« bekannte der Gefragte.

»Du Hund und siebenfacher Hundesohn, du verkehrst mit den Sklavenjägern? Ich werde dir fünfhundert aufzählen lassen; so sicher fünfhundert, wie ich fünf Finger an jeder Hand habe. Du bekommst wöchentlich hundert und kannst dann laufen, wohin es dir beliebt, um zu erzählen, wie dir dein Besuch bei Abu Hamsah Miah ge-


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fallen [gefallen] hat. Leider kann ich dich nicht köpfen, du Schuft, da du nur dieses Botenganges zu überführen bist; aber habe keine Sorge! Jeder einzelne Hieb von den fünfhundert soll dir im Gedächtnisse flimmern, bis dir der Teufel ein ganzes Feuerwerk in der Hölle abbrennen läßt!«

Mit diesem Ausbruche schien sein Zorn verflogen zu sein, denn er wendete sich jetzt mit plötzlich ganz freundlicher Miene zu mir, gab mir endlich die Hand und sagte:

»Effendi, du mußt mit dabei sein, wenn dieser Hund seine Hiebe erhält. Es wird deine Seele erquicken und dein Herz stärken, deinen Sinn erleichtern und deinen Geist erfrischen. 0, es giebt keine größere Lust, als solche Uebertreter unserer guten und gerechten Gesetze heulen, jammern und wimmern zu hören! Nun aber erzähle mir vor allen Dingen, was alles geschehen ist, seit dich der Reïs Effendina kennen lernte - oder,« fügte er sich verbessernd mit einem Lächeln hinzu, »oder seit du ihn kennen gelernt hast!«

»Das würde eine lange Geschichte werden, welche anzuhören man viel Zeit haben muß.«

»Es gehört zu meinem Amte, diesen Bericht zu hören, und für die Erfüllung meiner Pflichten habe ich immer Zeit genug.«

»So erlaube, daß Ben Nil erzählt!«

»Warum nicht du selbst?«

»Du wirst, wenn er fertig ist, meinen Grund wissen, ohne daß ich ihn dir zu sagen brauche.«

»Gut, so mag er reden!«

Ben Nil erzählte. Ich griff in die Cigarettentasche und nahm mir eine zweite heraus.

Dann legte ich mich lang hintenüber, hielt die Hände


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unter den Kopf und ließ Ben Nil sprechen. Er that dies kurz und doch ausführlich genug. Man hörte aus jedem seiner Worte, wie sehr und aufrichtig er mich liebte. Der Mudir mochte schon einiges von Hafid Sichar gehört haben; verschiedenes war jedenfalls auch in dem Empfehlungsbriefe des Reïs Effendina angedeutet worden; nun aber vernahm er Dinge, von denen er keine Ahnung gehabt hatte und die sein ganzes und vollstes Interesse, welches sich von Zeit zu Zeit in den lebhaftesten, originellsten Ausrufen äußerte, beanspruchten. Dann griff er, als Ben Nil fertig war, nach dem Streichholzkästchen und der Cigarettentasche, schüttelte den Inhalt beider über mich aus und rief:

»Rauche, rauche, Effendi, rauche nur zu! Du hast es verdient, ja, bei Allah und dem Propheten, du hast es verdient! Und wenn du zu mir kommst, sollst du noch mehr haben, eine ganze große Kiste voll, obgleich sie schändlich teuer sind, jawohl, schändlich teuer!«

»Wieviel zahltest du?« fragte ich, neugierig nach dem Preise dieser Cigaretten, die sich auf irgend eine Weise nach dem Sudan verirrt hatten.

»Einen ganzen Piaster für das Stück.«

»Das ist zu teuer. Hast du nichts abgehandelt?«

»Abgehandelt?« fragte er in grimmigem Tone. »Ist mir gar nicht eingefallen! Ich pflege nicht zu handeln; ich bezahle ehrlich, voll und gleich: jeder Piaster ein Hieb. Als der Kerl fünfzig Hiebe hatte, lief er davon, ließ mir die Ware und erklärte heulend, er sei bezahlt und verzichte auf das übrige. Also rauche, Effendi; laß es dir schmecken! Du bist ein Teufelskerl, und der Reïs Effendi muß ganz entzückt sein, dich kennen gelernt zu haben. Ihr Christen seid eigentlich doch nicht so ganz übel, und ich will nun glauben, daß er dich in Wirklichkeit als seinen Freund betrachtet. Ich bin Mudir, und das ist,


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bei Allah, nichts Geringes, aber ich bitte dir dennoch meine frühere Geradheit ab. Aber dafür mußt du mir nun auch einen Gefallen thun. Du darfst ihn mir nicht abschlagen!«

»Ich weiß doch noch nicht, ob ich im stande sein werde, deinen Wunsch zu erfüllen?«

»Du kannst es!«

»Nun, in diesem Falle - - ja!«

Da drückte er mir beide Hände und rief freudig aus-

»Hamdulillah! Das giebt Hiebe, Hiebe, fünf- oder sechstausend Hiebe oder gar noch mehr! Du sollst Ibn Asl fangen, aber nicht für den Reïs Effendina, sondern für mich.«

»Gut!«

»Und diesen dicken Türken, welcher Murad Nassyr heißt.«

»Schön!«

»Und den Muza'bir mit dem allerliebsten Mokkadem der heiligen Kadirine.«

»Auch diese beiden!« nickte ich.

»Ich danke dir; ich danke dir! Das wird ein Fest, wie ich noch keines erlebt habe. Ich lasse sie alle hängen; vorher aber bekommt jeder seine wohlgezählten fünfhundert auf die Fußsohlen, auch die Schwester des Türken, ja, bei Allah, auch sie!«

»Sie ist ein Mädchen, o Mudir! Welches Verbrechens willst du sie denn zeihen?«

»Des allergrößten, welches es giebt. Sie hat Ibn As], den Sklavenjäger, heiraten wollen.«

»Wollen? Davon ist keine Rede. Sie hat gemußt. Diese Verheiratung ist nichts weiter als die Besiegelung einer Geschäftsverbindung.«

»Rede mir nicht darein!« gebot er eifrig. »Hier hat


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niemand zu besiegeln als nur ich allein, und ich besiegle stets mit fünfhundert. Aber fangen mußt du sie mir alle; du hast es mir versprochen.«

»Ich werde Wort halten. Einen aber brauche ich nicht zu fangen, weil er sich bereits in deinen Händen befindet, den Sangak deiner Arnauten.«

»Ibn Mulei? Er hat mein Vertrauen bis zu diesem Augenblicke besessen. Glaubst du wirklich, daß er Ibn Asl kennt?«

Ach bin überzeugt davon.«

»Dann, dann soll er auch seine fünfhundert - -«

Er hielt inne. Es war ihm ein Gedanke gekommen. Er sann demselben nach und fuhr dann fort:

»Der also, der ist der Adressat! Darum also habe ich mir fast den Kopf zerbrochen und mich vergeblich angestrengt! Effendi, ich möchte fast glauben, daß du recht hast und daß ich mein Vertrauen einem Unwürdigen geschenkt habe.«

»Ich könnte darauf schwören, daß dieser Ibn Mulei ein Verbündeter des Sklavenjägers ist.«

»Das ist allerdings sehr wahrscheinlich, denn die Stellen des Briefes, welche mir dunkel waren, passen nur auf ihn, wie ich jetzt erst erkenne.«

»Darf ich wissen, von welchem Briefe du sprichst?«

»Ja. Du mußt es sogar wissen. Meine Leute fingen gestern oben an der Bringhi Seribah einen Nuehr-Neger auf, welcher ihnen verdächtig vorkam. Als sie ihn untersuchten, fanden sie einen Brief in seinem Haarschopfe. Der Mann riß sich los und wollte entspringen; da schossen sie ihn tot. Heute früh brachten sie mir den Brief. Er ist aus der Seribah Aliab, welche oben am Bahr el Dschebel liegt. Derjenige, der ihn empfangen sollte, hatte ihn zu lesen und an Ibn Asl zu geben.«


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»Ah! Sollte diese Seribah In Asl gehören?«

»Das weiß ich nicht, da ich mich erst seit kurzer Zeit hier befinde.«

»Fast möchte ich es annehmen. Darf ich den Brief sehen und lesen?«

»Ja, natürlich! Und, Effendi, da kommt mir ein Gedanke, ein kostbarer Gedanke! Der Arnaute muß den Brief bekommen.«

»Ganz richtig! Dadurch überführen wir ihn auf die leichteste Weise. Aber wer soll ihm denselben bringen?«

»Du.«

»Ich? Ich darf mich bei dem Sangak und überhaupt in Faschodah jetzt noch nicht sehen lassen.«

»Warum nicht? Diejenigen, vor denen du dich jetzt noch verbergen willst, sind doch nicht da!«

»Wenn nun aber einer heimlich kommt und geht?«

»Das ist unmöglich. Es stehen Tag und Nacht Wachen an den Ufern. Du giebst dich für den Boten von der Seribah Aliab aus, und wenn er den Brief behält, ist er überführt, und ich lasse ihn solange peitschen, bis er alles gesteht und wir von ihm erfahren, wie wir die andern fangen können.«

»Aber ich bin kein Neger. Und selbst wenn ich mich färbte, würde der Schnitt meines Gesichtes verraten, daß ich nicht zu den Nuehr gehöre. Ist der Bote in dem Briefe erwähnt?«

»Mit keinem Worte.«

»Dann wäre es vielleicht auszuführen; besser aber er scheint es mir, ihm den Brief durch einen andern, aber sichern Mann zuzustellen.«

»Und ich mag eben keinen andern als nur dich damit beauftragen. Erstens ist diese Sache so gefährlich, daß nur ein Mutiger sie zu stande bringt, und zweitens han-


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delt [handelt] es sich doch nicht nur darum, den Brief zu übergeben, sondern der Arnaute muß von dem Boten ausgehorcht werden. Nur du allein kannst das zu stande bringen.«

Ich hätte auf diesen seinen Plan nicht eingehen sollen. Er kam mir nicht nur unpraktisch, sondern sogar gefährlich vor, und es zeigte sich dann später, daß er dies wirklich auch war. Aber der Mudir war mir, schon ehe ich ihn gesehen hatte, wegen seiner Gerechtigkeitsliebe sympathisch gewesen, und daß er so rasch nach einer so unfreundlichen Begrüßung, wie die unserige gewesen war, ein solches Vertrauen zu mir äußerte, das schmeichelte mir; die liebe, alberne Eitelkeit trübte meinen Blick, und ich griff eine Sache, die gar nicht zu verderben war, gerade bei derjenigen Seite an, wo ich sie mit hoher Wahrscheinlichkeit verderben konnte. Nur »ich allein« konnte es zu stande bringen! War ich es da nicht ihm und auch mir schuldig, ihm zu beweisen, daß er sich nicht in mir täuschte? Ich antwortete:

»Gut, ich werde es übernehmen. Wo und wann bekomme ich den Brief?«

»Wo und wann du willst.«

»Wo wohnt der Arnaute?«

»Er bewohnt ein ganzes Haus neben der Kaserne. Willst du dir den Brief holen, oder soll ich ihn dir schicken?«

»Nicht holen. Ich darf mich am Tage nicht sehen lassen, kann also erst nach Einbruch der Dunkelheit kommen, und wenn ich da erst noch zu dir gehen müßte, würde mir eine Zeit verstreichen, die ich anders anzuwenden habe. Schicken aber auch nicht, da du einen Boten haben müßtest, welcher mich hier aufzusuchen hätte, wo ich verborgen bleiben will. Ich werde dir diesen meinen


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Hafid Sichar wieder mitgeben, dem du den Brief anvertrauen kannst.«

»Er soll ihn bekommen, und ich sende dir durch ihn auch einigen frischen Proviant, damit ihr essen könnt.«

»Bis wir die Stadt betreten dürfen, sind wir noch mit Proviant versehen. Nötiger wäre mir ein Anzug, welcher für meine Gestalt paßt. Ich bin dem Arnauten jedenfalls beschrieben worden, und dabei sind auch die Kleidungsstücke, welche ich trage, in Erwähnung gekommen. Er würde mich sofort erkennen, und darum muß ich mich anders kleiden. Auch meine Waffen darf ich nicht mitnehmen.«

»Es ist aber doch hier jedermann bewaffnet!«

»So sende mir eine alte, lange Flinte, ein altes Messer und eine alte Pistole! Für was ich mich ausgebe, weiß ich noch nicht, auf keinen Fall aber für einen reichen oder gar hochgestellten Mann. Darum müssen Anzug und Bewaffnung so einfach wie möglich sein.«

»Dein Wunsch soll erfüllt werden. Was aber thun die andern, während du in der Stadt bist?«

»Sie warten hier.«

»Warum. das? Sie mögen zu mir kommen. Am Abende ist es dunkel, so daß niemand sie sehen kann. Und vom Arnauten weg begiebst auch du dich sogleich zu mir.«

»Es soll aber doch verborgen bleiben, wer wir sind und was wir beabsichtigen. Ich gebe mich für einen Sklavenfänger aus und kann als solcher unmöglich bei dir wohnen.«

»Dein Bedenken ist hinfällig. Wir haben es jetzt zunächst nur mit dem Arnauten zu thun, mit dem du heute fertig wirst, worauf du keinen Grund mehr hast, dich zu verstecken. Nein, ihr werdet bei mir wohnen.


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Ich freue mich darauf und sage dir, daß ich viel, sehr viel mit dir zu reden habe. Ich möchte mich bei dir nach den Verhältnissen und Einrichtungen des Abendlandes und nach vielem anderen erkundigen und mag dich also nicht hier im Walde stecken lassen. Uebrigens hast du den Gefangenen, diesen Hund von Baqquara bei dir. Warum sollst du dich mit ihm quälen? Du nimmst ihn mit, und während du bei eurer Ankunft sogleich zu dem Arnauten gehst, bringen ihn die andern zu mir. Ich lasse ihn einsperren, und sobald du dann erscheinst, will ich dir das Vergnügen machen, dabei zu sein, wenn er die ersten hundert bekommt.«

»Wie du willst, Mudir. Du bist hier der Gebieter, und ich thue, was du für richtig hältst. Wie aber kommen wir über das Wasser?«

»Ich werde, sobald es dunkel ist, zwei verschwiegene Diener an das Ufer postieren; dem einen übergebt ihr die Kamele, die er einem zuverlässigen Schilluk in Pflege giebt, und der andere rudert euch nach der Stadt und zeigt euch in derselben den Weg zu mir. Wenn du dann vom Arnauten zu mir kommst, können wir alles weitere ausführlicher besprechen als hier. Ich bin jetzt länger bei dir geblieben, als ich vermuten konnte, und muß aufbrechen, weil ich mich heimlich und verkleidet entfernt habe und meine Leute, wenn sie mich vermissen, in Sorge kommen und einen Lärm verursachen würden.«

»So habe ich nur noch die Takaleh zu erwähnen. Du bist doch bereit, dich ihrer zu bemächtigen?«

»Allah! Welche Frage! Natürlich werden sie gepackt! Die Sklaven erhalten ihre Freiheit, und die andern bekommen ihre Strafe; die fünf Mörder sogar mit dem Tode. Denke dir, daß jeder fünfhundert bekommt, und rechne dir aus, wieviel Hiebe das in Summa macht. Ein


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solches Gaudium hat Faschodah noch nicht erlebt. Welch ein warnendes Exempel wird das für den ganzen ägyptischen Sudan sein! Ein Entzücken aller Gerechten und ein Zittern aller Ungerechten! Ich habe dir sehr zu danken, Effendi, denn nur du bist es, der mich in den Stand setzt, ein solches Beispiel zu statuieren. So etwas konnte ich nicht erwarten. Ich habe mich in dir geirrt, was du mir aber nicht nachtragen darfst. Wann denkst du, daß die Takaleh hier ankommen werden?«

»Vor übermorgen nicht; dann aber sind sie zu jeder Stunde zu erwarten.«

»Sie sollen empfangen werden, wie es sich gebührt. Dieser ihr Freund aber soll die Bastonnade noch eher schmecken als sie. Ich lasse ihn hauen, daß man sein Geheul unten in Kahira und oben bei Emin Pascha hören wird.«

Er war aufgestanden und versetzte dem Scheik einen Fußtritt, daß dieser auf die Seite flog. Darauf entfernte er sich mit Hafid Sichar, kehrte aber nach wenigen Augenblicken wieder zurück und sagte:

»Ich nehme keine Sigara mit; rauche sie, und laß sie dir schmecken, Das Täschchen und Kästchen behalte als einstweiliges Andenken an mich. Allah behüte dich, bis wir uns abends wiedersehen!«

Natürlich teilte ich die Cigaretten mit Ben Nil. Wir saßen einige Zeit rauchend und schweigsam da. Das Unternehmen, zu welchem ich mich verpflichtet hatte, kam mir jetzt, da der Mudir fort war, gar nicht mehr so geheuer vor wie vorher; ich begann zu bereuen, mich darauf eingelassen zu haben, konnte aber leider nun nicht mehr zurück. Der Baqquara wälzte sich von einer Seite auf die andere; der Fußtritt des Mudirs hatte ihn so getroffen, daß er Schmerzen fühlte. War er vorher viel-


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leicht [vielleicht] der Ansicht gewesen, daß man ihn schonen werde, weil er die Würde eines Scheikes trug, so hatte er jetzt erkannt, daß dies nicht der Fall sei. Er sah ein, daß ihm die bekannten fünfhundert sicher seien. Fünfhundert Hiebe auf die Fußsohlen! Und nicht auf einmal, sondern wöchentlich hundert! Wenn die aufgeplatzten Sohlen zu heilen beginnen, hundert neue Streiche darauf! Und dabei also fünf Wochen lang eingesperrt, wer weiß, in was für einem Loche! Es wurde ihm angst und bange. Man sah es ihm im Gesichte an. Er begann nachzudenken, wie er wohl dieses Unheil von sich abwenden könne, und kam zu dem Resultate, daß dies nur durch mich zu erreichen sei. Er mußte versuchen, mich zu gewinnen. Dieser Gedankengang offenbarte sich dadurch, daß er sich mit einem Vorschlage an mich wendete:

»Effendi, darf ich mit dir sprechen?«

Ich hatte ihn während des Rittes möglichst wenig beachtet und that auch jetzt so, als ob ich seine Worte nicht gehört hätte.

»Effendi, ich habe dir etwas zu sagen!«

»Schweig!« gebot ich ihm, obgleich ich ahnte, daß das, was er vorbringen wollte, für mich von Interesse sein werde. Er verstummte für eine Weile, begann aber bald von neuem:

»Du wirst es bereuen, wenn du mich nicht sprechen lässest. Das, was ich dir zu sagen habe, ist wichtig für dich.«

»Ich mag nichts hören. Du willst von den fünfhundert loskommen, eine Sache, welche jedenfalls von ungeheurer Wichtigkeit für deine Fußsohlen ist.«

»Aber ich biete dir auch viel dafür.«

»Was denn?« begann ich einzulenken.

»Nachrichten über die Seribah Aliab, von welcher


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ihr vorhin gesprochen habt. Ich habe alles gehört und denke mir, daß es dir willkommen sein muß, über die dortigen Verhältnisse unterrichtet zu werden.«

»Das ist allerdings der Fall. Sind dir diese Verhältnisse vielleicht bekannt?«

»Vielleicht? Ganz gewiß sogar, und sehr genau.«

»Wem gehört die Seribah?«

»Soll ich diese Frage wirklich beantworten? Meinst du, daß ich es ohne Gegenleistung thun werde?«

»Ja. Ich denke, daß du für fünfzig oder sechzig Hiebe diese Geheimnisse gern verkaufen wirst.«

»Nein, nein! Effendi, nur nicht die Bastonnade! Bitte mich beim Mudir von den fünfhundert los, so teile ich dir alles mit, was ich über die Seribah Aliab weiß.«

»Du wirst nicht viel wissen.«

»Nicht viel? Alles, alles weiß ich. Ich bin ja selbst dort gewesen.«

»In welcher Absicht? Bei welcher Gelegenheit?«

»Das kann ich dir nur dann sagen, wenn du mir versprichst, beim Mudir für mich zu bitten. Auch darf das, was ich dir jetzt sage, mir keinen Schaden bringen.«

»Dies Versprechen kann ich dir geben. Ob aber das erstere von Erfolg sein würde, ist sehr zu bezweifeln.«

»Ich zweifle nicht. Ich habe gehört, was von dir erzählt wurde und was infolgedessen der Mudir von dir denkt. Er hält so viel von dir, daß deine Fürbitte ganz gewiß von Erfolg sein wird.«

»Wahrscheinlich irrst du dich, doch will ich dir versprechen, ein gutes Wort für dich einzulegen. Ich mache dich aber darauf aufmerksam, daß ich mich nicht betrügen lasse. Wenn du etwa meinst, durch eine bloße Flunkerei


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von der Bastonnade loszukommen, so befindest du dich in einem gewaltigen Irrtume. Was weißt du über diese Seribah?«

»Sie gehört Ibn Asl.«

»Dachte es mir! Das, was ich jetzt wissen will, soll dir, wie ich versprochen habe, in keiner Weise schaden; also sage mir aufrichtig: du hast mit diesem Manne Sklavenraub getrieben?«

»Ja, Effendi. Das mußt du aber dem Mudir verschweigen.«

»Ich glaube nicht, daß ich diesen Umstand mit Stillschweigen zu übergehen vermag, aber ich verspreche dir, daß er dir auf keinen Fall angerechnet werden wird. Ich kann mich in deine Lage denken. Du hast als Moslem die Sklaverei für erlaubt und das Verbot derselben für einen Eingriff in eure uralten, angestammten Rechte gehalten.«

»So ist es, so ist es, Effendi! Denke, daß wir Baqquara nur von unsern Herden leben, und daß eine einzige Seuche, welche unter denselben ausbricht, uns leicht zu Grunde richtet. Da war es der Sklavenhandel, welcher uns bei solchen Fällen die Mittel gab, zu leben und, bis unsere Herden wieder gewachsen waren, nicht zu darben. Wir gaben den Sklavenjägern unsere Krieger als Asaker mit und bekamen für jeden gefangenen Schwarzen einen bestimmten, festgesetzten Lohn. Dieser wurde uns in Sklaven ausgezahlt, die man uns billig berechnete, wir aber verkauften sie zu einem weit höheren Preis. Das gab einen Gewinn, welcher uns willkommen war.«

»Und du hast nicht nur deine Krieger hergegeben, sondern bist persönlich mitgewesen?«

»Ja. Wir fuhren nach der Seribah Aliab, von weicher aus dann die Jagd unternommen wurde.«


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»Wer gebietet dort, wenn Ibn Asl abwesend ist?«

»Ein Feldwebel, welcher Ben Ifram heißt. Ein Schuß hat ihm ein steifes Bein gebracht. Deshalb kann er an der Jagd nicht mehr teilnehmen. Daheim aber ist er sehr tüchtig, und da Ibn Asl sich auf seine Treue verlassen kann, so hat er ihm das Kommando anvertraut.«

»Für jetzt weiß ich genug. Es kann aber leicht möglich sein, daß ich später mehr von dir erfahren muß.«

»Später? Ich hoffe, daß der Mudir mich auf deine Fürbitte hin freigiebt und ich zu den Meinen zurückkehren kann.«

»Auch ich denke das. Aber du weißt ja, was wir wollen. Es ist möglich, daß Ibn Asl sich schon nicht mehr hier befindet. In diesem Falle müssen wir ihm nach. Jedenfalls ist diese Seribah Aliab sein Ziel, und da du dieselbe so genau kennst, würdest du uns als Führer dienen müssen.«

»Allah mag das verhüten! Was sollen meine Leute denken, wenn ich monatelang fern bleibe! Und soll ich euern Führer gegen Ibn Asl machen, welcher mein Freund ist und mir ein so großes Vertrauen schenkt!«

»Das ist ein Bedenken, welches uns jetzt noch gar nicht zu beschäftigen braucht. Ich habe diesen Fall nicht als sicher vorauszusehen betrachtet, sondern von ihm nur als von einer Möglichkeit gesprochen. Schweigen wir jetzt, und warten wir das Kommende ruhig ab!«

»Ruhig!« seufzte er. »Ja, du kannst ruhig sein. aber ich - ich - -!!«

Er hatte recht gehabt; seine Mitteilung war von großer Wichtigkeit für uns, da wir nun wußten, wo Ibn Asl auf alle Fälle zu finden sein werde. Zunächst aber hoffte ich, daß er noch in Faschodah sei.

Nach ungefähr drei Stunden kehrte Hafid Sichar


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zurück. Er war schwer bepackt; brachte einen Anzug, die verlangten Waffen, zwei gebratene Hühner, anderes Fleisch, Teigkuchen und eine volle Flasche Raki. Wir aßen und ließen auch dem Baqquara sein Teil zukommen, wie er auch schon während des Rittes in jeder Beziehung, die Freiheit natürlich ausgenommen, uns vollständig gleichgestellt gewesen war.

Dabei war es Nachmittag geworden, vier Uhr nach unserer Zeit. Eine Stunde hatten wir bis zum Nile; um sechs Uhr wurde es Abend, also bereiteten wir uns vor, das Versteck zu verlassen. Ich hatte es in guter Absicht aufgesucht, ahnte nun aber, daß dies sehr wahrscheinlich vergeblich gewesen sei. Nach einer Stunde brachen wir auf. Ich hatte mich umgekleidet und sah nun in dem Anzuge und mit dem sonnverbrannten Gesicht und den ebenso braunen Händen wie ein echter Sklavenjäger aus. Freilich, das Gesicht war nicht in ein anderes zu verwandeln; es konnte mich verraten.

Hafid Sichar hatte von dem Mudir die Uferstelle bezeichnet erhalten, an welcher wir die beiden auf uns wartenden Diener treffen sollten. Zugleich hatte mir der letztere die größte Vorsicht gegen den Sangak der Arnauten anraten lassen, da dieser ein sehr starker und gewaltthätiger Mensch sei.

Natürlich hatte ich den Brief aufmerksam durchgelesen und die Ueberzeugung gewonnen, daß derselbe von dem Feldwebel auf der Seribah Aliab geschrieben worden sei. Er war nicht versiegelt, sondern mit einem Mehlteige verklebt gewesen, was es mir ermöglichte, ihn wieder so zu verschließen, daß es, wenigstens am Abende, schwer zu erkennen war, daß man ihn geöffnet hatte.

Es wurde dunkel, noch ehe wir an das Ufer kamen.

Wir fanden die Diener; der eine nahm die Kamele


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in Empfang und führte sie fort; der andere trug die Satteltaschen in das Boot und ruderte uns hinüber nach der Stadt. Zu bemerken ist der Vollständigkeit wegen, daß der Händler noch bei uns war und seine drei Esel sich bei unsern Kamelen befanden.

Als wir drüben ausgestiegen waren, führte uns der Diener zunächst nach der Kaserne, um mir dort das Haus des Arnauten zu zeigen; dann brachte er die andern nach der Wohnung des Mudirs weiter. Meine Aufgabe, die ich mir als nicht leicht vorstellte, begann.

Soviel ich in der Dunkelheit bemerken konnte, bestand das Gebäude nur aus dem Erdgeschosse und hatte nur zwei kleine, schießschartenähnliche Fenster, zwischen denen sich die schmale, niedrige Thüre befand. Dieselbe war mit Eisenblech beschlagen. Einen Thürdrücker, ein Schloß schien es nicht zu geben, sondern ich fühlte das aus der Thüre zwei Zoll hervorragende Ende eines kleinen Hebels, mit dessen Hilfe man die jenseits befindliche Klinke emporheben konnte. Ich versuchte dies und fühlte, daß die Klinke sich hob; aber die Thüre ließ sich dennoch nicht öffnen. jedenfalls hatte man noch einen Riegel vorgeschoben. Ich klopfte also. Nach kurzer Zeit hörte ich zunächst Schritte und dann eine fragende Stimme:

»Wer ist draußen?«

»Ein Bote an den Sangak von Bahr el Dschebel.«

»Komm wieder! Er ist nicht da.«

»Ich bin hier fremd. Laß mich ein! Ich will warten, bis er kommt.«

Es blieb still. Der Mann schien sich zu besinnen; dann sagte er:

»Bleib stehen! Ich will fragen.«

Er entfernte sich. Nach einiger Zeit hörte ich wieder Schritte, und eine andere Stimme fragte:


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»Ist deine Botschaft denn so notwendig?«

»Ja. Ich habe einen Brief.«

»So gieb ihn mir! Ich werde die Luke aufmachen.«

»Das kann ich nicht. Ich darf den Brief nur an Ibn Mulai, den Sangak der Arnauten, übergeben.«

»So komm herein!«

Ein schwerer, eiserner Riegel klirrte; dann wurde die Thüre geöffnet. Ich sah in einen schmalen, stubenartigen Flur, welcher von einer Oellampe erleuchtet wurde. Der Mann, welcher dieselbe in der Hand hielt, trug den bekannten Anzug der Arnauten. Seine Bewaffnung bestand selbst jetzt im Innern des Hauses aus zwei Pistolen, zwei dolchähnlichen Messern und einem krummen Säbel. Aus seinem bösartigen Gesichte blitzten mich zwei dunkle Augen scharfforschend an, und in mißmutigem Tone forderte er mich auf:

»Näher herbei mit dir! Warum kommst du bei Nacht? Hättest du nicht früher kommen können?«

»Niemand kann eher kommen, als er da ist. Ich muß noch in dieser Nacht wieder fort, und übrigens ist mir anbefohlen worden, den Brief sofort abzugeben.«

»Du bedienst dich eines sehr kurzen Tones, Bursche. Ich bin ein Arnaut, und meine Messer stecken niemals fest. Verstanden! Folge mir!«

Ich war eingetreten, und er verriegelte die Thüre. An den Wänden rechts und links hingen Gewehre, was dem kleinen Raume das Aussehen einer Wachtstube gab. Gegenüber dem Eingange gab es eine zweite, jetzt offen stehende Thüre, durch welche er mich führte. Dahinter lag ein größeres Zimmer, von dessen Decke ein vierarmiger, thönerner Leuchter herniederhing, welcher mit seinen qualmenden Oelflammen den Raum nur spärlich beleuchtete.


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Jede der vier Wände hatte eine Thüre. Ein Fenster gab es nicht. Unter dem Leuchter lag eine Schilfmatte, auf welcher vier wilde Gesellen hockten, die mich mit höchst unfreundlichen Blicken neugierig betrachteten. Sie würfelten. Mein Führer kauerte sich zu ihnen nieder, um das unterbrochene Spiel fortzusetzen, und warf mir dabei die Worte zu:

»Hier wartest du, bis unser Gebieter kommt. Aber schweig, und störe uns nicht, sonst schließen wir dir das Maul!«

Man kann sich denken, daß ich von meiner Lage nicht allzusehr erbaut war. Ich befand mich an dem Orte, welcher sehr wahrscheinlich der Versammlungsort aller meiner Todfeinde war, hinter lauter eisenbeschlagenen Thüren und von fünf Kerlen bewacht, welche zur denkbar wildesten Soldateska gehörten, dazu mit so armseligen Waffen, daß ich geradezu wehrlos war und mich vorkommenden Falles nur auf meine Körperkraft verlassen konnte. Meine eigenen Waffen, meinen Anzug, die Uhr, kurz mein ganzes Eigentum hatte ich Ben Nil in Verwahrung gegeben.

Daß diese Arnauten unendlich roh waren, hörte ich aus einem jedem Worte, welches sie sprachen. Ihre Ausdrücke waren mit Flüchen gespickt, und bei jedem Wurfe gerieten sie in Streit und dabei wiederholt in eine solche Aufregung, daß ich oft glaubte, daß sie die Entscheidung ihren Messern oder Pistolen anheimstellen würden. Ich wurde gar nicht beachtet, was mir freilich sehr lieb war. So verging die Zeit, eine viertel, eine halbe Stunde nach der andern. Da ich keine Uhr bei mir hatte, so wußte ich nicht genau, wie spät es war, aber ich hatte ganz gewiß drei volle Stunden in dieser Höhle gesessen, als endlich donnernd an die Thüre geklopft wurde.


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»Der Sangak!« rief der Arnaute, welcher mir geöffnet hatte und Unteroffizier zu sein schien, da ihm mein Anliegen von dem andern gemeldet worden war.

Er stand auf, um seinem Vorgesetzten zu öffnen; auch seine Kameraden erhoben Sich, ließen aber die am Boden liegenden Würfel liegen. Der Sangak durfte sehen, was sie getrieben hatten.

Der Riegel wurde zurück- und dann wieder vorgeschoben; dann hörte ich eine leise Stimme. Der Unteroffizier meldete meine Anwesenheit; dann traten sie ein, der Sangak natürlich voran. Es giebt menschliche Gesichter, welche mit gewissen Tiertypen eine täuschende Aehnlichkeit haben; der Betreffende besitzt dann gewöhnlich die hervorragenden Eigenschaften des bezüglichen Tieres. Als ich in das Gesicht des Sangak sah, mußte ich unwillkürlich an einen Stier denken, welcher mit gesenkten Hörnern und heimtückisch blickenden Augen zum Angriffe schreitet. Er warf mir nur einen kurzen Blick zu und befahl mir:

»Komm!«

Er schritt geradeaus durch die Thüre, welche ihm der Unteroffizier aufstieß, und ich folgte ihm. Wir befanden uns im Dunkeln. Er öffnete eine andere Thüre, rechts, aus welcher Lichtschein drang, und rief mit dröhnender Baßstimme hinein:

»Heda, aufgepaßt! Als ich kam, schien es mir, es stände ein Kerl draußen vor dem Eingange, um zu horchen. Steigt doch einmal über die hintere Mauer, und geht in zwei Abteilungen rechts und links um das Haus nach vorn. Er verschwand, als er mich kommen hörte. Sollte er wieder zurückgekehrt sein, so nehmt ihr ihn fest und bringt ihn mir herein!«

Dann wendete er sich links, wo wir in ein sehr gut


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erleuchtetes Zimmer traten, welches sein Semalük (* Empfangszimmer.) zu sein schien.

Ein Polstergestell zog sich an drei Wänden entlang, und in der Mitte lag ein Teppich. Er blieb auf demselben stehen, drehte sich nach mir um und fragte:

»Einen Brief hast du?«

»Ja. Von dem Feldwebel Ben Ifram.«

»Her damit!«

Er bekam den Brief, behielt ihn in der Hand, ohne ihn anzusehen, betrachtete mich prüfenden Auges und fragte dann:

»Dein Name?«

»Iskander Patras.«

Ich wählte diesen griechischen Namen, weil ich europäische Gesichtszüge hatte und sich unter den im Sudan verwendeten Soldaten und den sich dort herumtreibenden Zivilisten viele Levantiner, also Leute auch griechischer Abkunft befanden.

»Also ein Grieche!« sagte er. »Wo her?«

»Ich wurde griechischen Eltern in Kahira geboren.«

»Christ?«

»Ja.«

»Ist mir gleichgültig. Was treibst du in der Seribah Aliab?«

»Ich bin Dolmetscher. Habe mich lange bei den Negern herumgetrieben und verstehe ihre Mundarten.«

»Das bringt Geld ein, ohne daß du Pulver zu riechen brauchst,« meinte er verächtlich. »Will sehen, was mir dieser Ben Ifram zu sagen hat.«

Jetzt erst warf er einen Blick auf den Brief. Mir klopfte das Herz. Das Zimmer war sehr gut erleuchtet.


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Wenn er sah, daß er schon geöffnet worden war, so durfte ich Schlimmes erwarten. Glücklicherweise war seine Neugierde größer als seine Bedachtsamkeit; er riß den Umschlag auf, und mir wurde leichter. Er las, von mir abgewendet, steckte den Brief in die Tasche, drehte sich wieder zu mir um und fragte:

»Kennst du den Inhalt des Schreibens?«

»Der Feldwebel hat ihn mir nicht mitgeteilt.«

»Aber du weißt, wer ihn bekommen soll?«

»Doch du!«

»Aber ich soll ihn Ibn Asl, deinem Herrn, geben. Der Feldwebel scheint, da er dir dies verschwiegen hat, kein großes Vertrauen zu dir zu haben!«

»Wäre dies wahr, so hätte er mich nicht nach Faschodah gesandt.«

»Hm! Aber für eine Plaudertasche hält er dich gewiß. Auf welche Weise hast du die Reise gemacht?«

»Bis in den See No in einem kleinen Boote. Dort traf ich auf einen Noker aus Diakin, welcher nach Chartum will und mich mitgenommen hat.«

»Wann kam er hier an?«

»Gleich nach Sonnenuntergang.«

»Sonderbar! Ich war doch oben im Flusse und habe von einem Noker nichts gemerkt!«

»Man wollte mich hier nicht einlassen,« fiel ich schnell ein, um ihn von diesem für mich gefährlichen Gedanken abzubringen. »Ich wartete drei Stunden auf dich.«

»So wirst du Hunger haben. Du sollst zu essen bekommen und mir dabei von der Seribah erzählen.«

Er ging hinaus, indem er mir winkte, mich niederzusetzen. Hätte er mir doch lieber gewinkt, fortzugehen! Ich wußte ja genug, ich hatte nun erfahren, daß er die Seribah und den Feldwebel kannte und also zweifellos


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mit Ibn Asl in Beziehung stand. Aber konnte, durfte ich gehen? Nein; ohne seine Erlaubnis war es auch ganz unmöglich, aus dem Hause zu kommen. Ich mußte mich fügen und das Kommende meinem guten Glücke überlassen.

Freilich verursachten seine letzten Worte mir jenes Gefühl, welches einen zwingt, sich mit der Hand hinter dem Ohre zu kratzen. Ich sollte »essen und ihm dabei von der Seribah erzählen«. Essen, nun, davor war es mir nicht im geringsten angst; diesen Gefallen konnte ich ihm ganz nach Wunsch erweisen; aber das Erzählen, das leidige Erzählen! Was wußte ich von der Seribah! Der Scheik der Baqquara hatte sie mir beschreiben wollen. Hätte ich ihn doch nicht gehindert! Aber auch das wäre nicht hinreichend gewesen. Dieser Arnaut konnte hundert Fragen an mich richten, zu deren Beantwortung man notwendig selbst dort gewesen sein mußte.

Nach kurzer Zeit kehrte der Sangak zurück, eine brennende Pfeife im Munde. Ihm folgte ein Arnaut, welcher auf einem Brette einen riesigen Knochen brachte, um welchen noch einige Fleischfetzen hingen. Das waren die Reste eines »rindernen« Hinterviertels. Sie sahen aus, als ob Hunde sich um dieselben gestritten hatten. Der Mann legte das Brett auf die Mitte des Teppichs und entfernte sich dann; der Sangak befahl mir:

»Setz dich, und laß es dir schmecken!«

In Beziehung auf das Setzen konnte ich ihm gehorchen; aber die zweite Hälfte seines Befehles war nicht so leicht auszuführen; dennoch versuchte ich es, indem ich mein Messer zog und mich über den Knochen hermachte. Indem ich denselben zunächst an allen Seiten betrachtete, um zu erforschen, in welcher Richtung und Weise seinen sehnigen Anhängseln am besten beizukommen sei, fragte der Arnaut:


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»Seit wann befindest du dich auf der Seribah?«

»Seit zwei Jahren,« antwortete ich, indem ich mit Anstrengung aller Kräfte arbeitete, um eine verdauliche Flechse loszubringen.

»Wer engagierte dich?«

»Ibn Asl selbst in der Mischrah Omm Oschrin. - Amr el Makaschef, der Scheik der Baqquara, hatte mich ihm gelegentlich warm empfohlen.«

»Dieser? Das spricht für dich, denn der Scheik ist ein zuverlässiger Bekannter von uns. Wie geht es dem Feldwebel?«

»Nicht gut. Die Wunde seines Beines ist aufgebrochene,

»Allah! Da wird er wohl sterben müssen! Was habt ihr unternommen, während In Asl jetzt so lange Zeit abwesend war?«

»Die Asaker haben fleißig geübt; ich aber war nicht da.«

»Nicht? Du gehörst als Dolmetscher doch auf die Seribah! Wo befandest du dich denn?«

»Ein Dolmetscher ist besser zu verwenden als nur zum Exerzieren. Ich war oben bei den schwarzen Völkern der Rohl und Schur, um einen guten Fang vorzubereiten. Ich habe dabei sehr schöne Erfolge gehabt. Der Feldwebel hat mir jetzt schon wieder einen ähnlichen Auftrag überwiesen.«

»Jetzt? Wohin sendet er dich?«

»Zu den Takaleh.«

»Das ist ja die entgegengesetzte Richtung! Allerdings bekommen wir von dort jährlich zweimal Sklaven. Getraust du dich denn zu diesen Leuten?«

»Getrauen? Ich war schon mehrere Male dort. Der Mek will mir wohl, und sein Vertrauter, den du ja auch


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kennst, ich meine nämlich Schedid, hat. sogar innige Freundschaft mit mir geschlossen.«

»Wie? Du kennst auch Schedid, den Starken, und bist sogar sein Freund? Dann bist du allerdings ein für uns sehr brauchbarer Mann. Wie lange bleibst du hier?«

»Ich darf mich gar nicht verweilen, denn der Noker, mit dem ich bis zur Insel Metarieh fahren will, geht noch vor Mitternacht von hier ab.«

»So iß schnell, damit du nicht zurückbleibst! Nimm dich aber unterwegs vor dem Schiffe des Reïs Effendina in acht, und weiche ganz besonders einem christlichen Hunde, einem fremden Effendi aus, welcher von hier bis hinab nach Chartum jetzt sein Wesen treibt.«

»Ein Christ? Ich bin ja auch Christ und habe also keine Ursache, ihm auszuweichen.«

»Alle, alle Ursache hast du dazu, alle! Er ist ein Verbündeter des Reïs Effendina und scheint es nur auf unsere Leute abgesehen zu haben. Du scheinst noch nichts von ihm gehört zu haben, und so muß ich dir von ihm erzählen.«

Wie froh war ich über diese Wendung des Gespräches! Es war mir gelungen, dem Arnauten Vertrauen zu mir einzuflößen; er glaubte mir. Ich hatte auch erreicht, daß er mich selbst aufforderte, schnell zu essen und dann zu gehen, um nicht die Abfahrt zu versäumen. Jetzt wollte er selbst erzählen, und ich war also der Gefahr enthoben, nach Dingen gefragt zu werden, von denen ich nichts wußte. Konnte es besser gehen? Nein! Bis zu diesem Augenblicke hatte mich das Glück begünstigt; nun aber drehte es mir plötzlich den Rücken.

Es erhob sich nämlich vorn vom Eingange her ein großer Lärm. Stimmen schrieen; Thüren wurden auf-


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und zugeschlagen; dann trat ein Arnaut herein und meldete:

»Herr, wir haben den Kerl, welcher draußen lauschte.«

»Bringt ihn herein!«

»Als wir ihn ergriffen, kam gerade der fromme Herr mit seinem Freunde dazu; sie wollten zu dir und scheinen ihn zu kennen.«

Er ging nach seinen Worten hinaus. Es beschlich mich eine böse Ahnung. Ein »frommer« Herr war da? Hm! Und wer war der Fremde, den man ergriffen hatte und den der »Fromme« kannte? Doch nicht etwa gar mein Ben Nil? Es war ja möglich, daß ihn wegen meines langen Ausbleibens die Sorge um mich hierher getrieben hatte und -

Dann wurde die Thüre geöffnet, und man brachte - ihn, den eben Genannten, Ben Nil, den armen Teufel!

Ich war aufgestanden und in die Ecke getreten, wo ich von der Thüre aus nicht sogleich bemerkt wurde. Vier, fünf Kerle hatten Ben Nil gepackt; acht, neun andere folgten. Hinter diesen trat - der Mokkadem der heiligen Kadirine mit dem Muza'bir ein. Beide hatten uns bisher vergeblich nach dem Leben getrachtet; nun aber stand es schlimm um uns. Was war zu thun?

Fünf Arnauten hielten Ben Nil; er konnte nicht los; neun andere, dazu den Sangak, den Muza'bir und den Mokkadem, also zwölf Personen, mußte ich auf mich nehmen, wenn ich durchkommen wollte. Draußen in den andern Zimmern und Räumen gab es jedenfalls noch mehr Arnauten. Dazu die eisernen Thüren, meine Unbekanntschaft mit dem Innern des Hauses und die Unbrauchbarkeit meiner Waffen. Indem ich in einem einzigen Augenblicke dies alles genau abwog, wußte ich, was ich zu thun hatte.


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»Wer bist du, Hund?« schnauzte der Sangak Ben Nil an. »Warum treibst du dich bei meinem Hause herum?«

Der Gefragte hatte mich noch nicht gesehen. Vielleicht glaubte er, sich durch eine einfache Lüge retten zu können, denn er antwortete:

»Herr, ich hatte nichts Unrechtes vor. Ich bin Matrose auf einem hier ankernden Schiffe und - -«

»Lüge, Lüge!« fiel ihm der Mokkadem in die Rede. »Glaube es ihm nicht, o Mudir! Wir kennen ihn.«

»So? Dann sagt, wer er ist.«

»Herr, wie frohlockt unser Herz, und wie wirst du staunen! Wir haben den Freund und Genossen unseres grimmigsten Gegners, den Allah verfluchen möge, gefangen.«

»Welches Gegners?«

»Des Effendi, des Christenhundes! Dieser junge Mensch ist nämlich Ben Nil, von dem wir dir erzählt haben, Ben Nil, der treue Begleiter des Effendi. Wo der eine ist, ist auch der andere, und da wir Ben Nil hier gefunden haben, so steht mit Sicherheit zu erwarten, daß auch sein Herr in Faschodah ist.«

»lst's möglich? Ben Nil soll das sein?« rief der Sangak im Tone des Zweifels aus.

»Ja, ja! Wir irren uns nicht; wir kennen ihn ganz genau. Laß ihn hauen, laß ihn peitschen, bis er uns sagt, wo sich sein Herr befindet!«

»Das ist nicht nötig,« sagte ich, indem ich aus der Ecke hervortrat. »Ich kann es euch selbst sagen, wo ich bin.«

Der Eindruck, den diese Worte machten, war ein ganz anderer, als ich erwartet hatte. Ich wollte mich ohne Gegenwehr ergeben, da ich dieselbe für unsinnig


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hielt; ich rechnete dabei auf spätere bessere Umstände. Ich glaubte, man würde sich sogleich auf mich werfen und mich niederreißen; aber es fand das gerade Gegenteil statt.

»Der Effendi, der Effendi selbst!« schrie der Muza'bir. »Er ist mitten unter uns! Allah beschütze uns! O Allah, Allah!«

Die erschrockenen Menschen standen steif wie die Marmorbilder. Einige sperrten die Mäuler auf; keiner aber machte eine Bewegung, sich an mir zu vergreifen. Das mußte ich benutzen. Zwei Sprünge brachten mich zu Ben Nil. Ich riß ihn los und schleuderte ihn zur Thüre hinaus, so daß die Arnauten nach links und rechts zurückflogen. Nun auch mir mit Fausthieben und -stößen Bahn brechend, drang ich ihm nach. Ich kam hinaus. Hinter mir hatte man sich gefaßt.

»Heraus, Arnauten, heraus!« rief die gewaltige Baßstimme des Sangak. »Haltet die Flüchtlinge, haltet sie!«

Ben Nil war vor der Thüre niedergestürzt und hatte sich noch nicht erhoben. Ich stolperte über ihn. Uns gegenüber wurde die Thüre aufgestoßen und mir an den Kopf geschlagen. Arnauten kämen heraus. Hinter uns drängten die andern. Mir flimmerte es vor den Augen; der Schlag der Thüre hatte mich an einer empfindlichen Stelle getroffen. Ich fühlte mich ergriffen; ich rang mit zehn, mit zwanzig Fäusten; ich stieß und schlug um mich; ich trat mit den Füßen nach rechts und links, nach hinten und vorn - vergeblich. Wir wurden niedergerungen und in das Empfangszimmer geschleift, wo man uns fesselte.

Der Auftritt ließ sich unmöglich beschreiben. Ich


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kochte vor Anstrengung, Ben Nil ebenso; aber auch die Arnauten standen keuchend und mit fliegendem Atem um uns herum. Der Sangak schob sie auseinander, so daß er zu uns konnte, wirbelte mit den Händen seinen langen Schnurrbart rechts und links in die Luft hinaus und rief in höhnischem und zugleich triumphierendem Tone:

»Welch ein Tag! Welch eine glückliche Stunde! Welch eine Ueberraschung! Haben meine Ohren denn recht gehört? Ja, denn dieser Mann würde nicht versucht haben, zu entfliehen, wenn er nicht derjenige wäre, als welcher er bezeichnet wurde.«

»Pah!« antwortete ich ihm. »Ich habe ja selbst zugegeben, daß ich es bin.«

»Also doch! Und welch eine Frechheit, welch eine Unverschämtheit, es auch noch zuzugeben! Hebt die Kerle auf und stellt sie an die Wand! Ich muß sie mir jetzt einmal näher betrachten.«

Man folgte diesem Gebote. Als wir nun wie Schaustücke an der Mauer lehnten, stellte sich der Sangak vor mich hin und sagte schließlich, nachdem er, wie um sich zur Rache anzuspornen, alles, was er von mir gehört hatte, der Reihe nach, wie es geschehen war, aufgezählt hatte:

»Und was wolltest du jetzt bei mir? Du bist doch jedenfalls nicht ohne Absicht zu mir gekommen?«

»Allerdings nicht.«

»So antworte! Was führtest du gegen mich im Schilde?«

»Vielleicht sage ich es dir nachher, jetzt aber noch nicht.«

Da wendete er sich an den Mokkadem und den Muza'bir:

»Dieser verfluchteste der Giaurs ist noch viel schlimmer


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und gefährlicher, als ihr ihn mir beschrieben habt. Denkt euch nur, er kam vorhin zu mir, nannte sich Iskander Patras und gab sich für den Dolmetscher der Seribah Aliab aus. Er brachte mir einen Brief, den er wahrscheinlich selbst geschrieben hat, und nun frage ich euch, welche Absicht er dabei wohl gehabt haben mag!.«

»Eine schlimme jedenfalls,« antwortete der Mokkadem. »Wenn er es dir nicht sagen will, so laß ihn prügeln, bis er es vor Schmerzen gesteht.«

»Das werde ich allerdings thun, und zwar sofort.«

»Dann lieferst du ihn uns aus. Wir bringen ihn zu Ibn Asl, wo ihn das Schicksal ereilen wird, welches ihm schon wiederholt vorhergesagt worden ist.«

»Ja,« fiel ich ein. »Es sollen mir alle Glieder einzeln vom Leibe gerissen werden. Aber damit hat es noch gute Weile. Um zu erfahren, was ich bei dir wollte, o Sangak, brauchst du mich nicht peitschen zu lassen. Du hast ja gehört, daß ich es dir sagen will. Ich kam zu dir, um dich zu warnen vor Ibn Asl und seinen Leuten.«

»Welch eine Warnung!« lachte er höhnisch auf. »Bist du toll!«

»Dann müßte der Mudir es auch sein, denn er ist es, der mich zu dir geschickt hat.«

»Der? Lüge, dreifache Lüge!«

»Frage Ben Nil, meinen Begleiter! Wir wohnen bei dem Mudir, und er hat mich zu dir geschickt, um von Ibn Asl mit dir zu reden.«

Ich sah, daß er erschrak, denn er veränderte die Farbe.

»Hund, sage die Wahrheit!« gebot er Ben Nil. »Wo wohnet ihr?«

»Beim Mudir,« antwortete der Genannte.

»Hat er von mir gesprochen?«


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»Ja, wie mein Effendi bereits gesagt hat.«

»Ihr habt euch besprochen; ihr lügt!«

»Denke, was du Willst; ich aber will die Reihe meiner Thaten, welche du vorhin aufzähltest, um noch eine verlängern. Du wirst von Ibn Asl erfahren haben, daß er Amr el Makaschef, den Häuptling der Baqquara, in die Wüste gesandt hat. Ich habe den Häuptling ergriffen und mit nach Faschodah gebracht, um ihn dem Mudir zu übergeben. Das ist geschehen, ehe ich zu dir kam. Der Scheik steckt nun im Gefängnisse und wird seine berühmten >fünfhundert< erhalten, wenn ihm nicht noch Schlimmeres bevorsteht.«

»Mensch, was thust du uns für Schaden! Ich möchte dich zermalmen!«

»Das wirst du bleiben lassen, denn wenn ich nicht bis Mitternacht zum Mudir zurückgekehrt bin, wirst du eingesperrt. Darauf kannst du dich verlassen.«

»Glaube ihm nicht! Er lügt, um sich zu retten!« warnte ihn der Mokkadem.

»Ich werde binnen wenig Minuten wissen, woran ich bin.«

Bei diesen Worten ging der Sangak hinaus. Als er zurückkam, zog er sich mit dem Mokkadem und dem Muza'bir in die entfernteste Ecke zurück, wo sie leise, aber äußerst lebhaft miteinander verhandelten. Dies dauerte solange, bis ein Arnaut eintrat.

»Nun?« fragte ihn der Sangak laut.

»Der Scheik der Baqquara steckt an Ketten im Gefängnisse. Ich habe ihn gesehen,« meldete der Mann.

»Legt die Gefangenen wieder nieder, und packt euch dann alle hinaus!«

Wir wurden wieder glatt auf den Boden gelegt. Die drei standen in der Ecke und stritten sich. Wir


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konnten zwar nichts verstehen, sahen aber ihre äußerst lebhaften Gesten und Gebärden. Endlich gingen auch sie hinaus. Vorher aber trat der Sangak zu mir und sagte:

»Das hast du sehr fein angelegt, aber es soll dir doch nichts helfen. Wir sehen uns niemals wieder. Der Scheitan fresse euch, ihr Hunde!«

Er spuckte uns an und ging. Wir lagen für kurze Zeit allein in dem Zimmer. Was sollte ich thun? Meinem braven Ben Nil dafür, daß ihn die Sorge um mich zu einer Dummheit getrieben hatte, Vorwürfe machen? Das fiel mir nicht ein. Ich hätte übrigens dadurch unsere Lage nicht zu ändern vermocht. Er fing selbst davon an, indem er in gepreßtem Tone sagte:

»Effendi, ich habe eine große Unvorsichtigkeit begangen, die du mir unmöglich verzeihen kannst. Gieße deinen Zorn über mich aus! Das ist mir lieber als dieses Schweigen, welches meine Seele bedrückt.«

»Ich zürne dir nicht,« antwortete ich. »Du hast nur dich selbst in Schaden gebracht, nicht aber mich.«

»Nein, auch dich! Wäre ich nicht gekommen und ergriffen worden, so befändest du dich jetzt in Freiheit und könntest zu uns zurückkehren.«

»Du irrst. Ich wäre auch ohne deine Anwesenheit erkannt worden.«

»Aber du hättest allein leichter fliehen können als zu zweien.«

»Schwerlich. Wie die Verhältnisse hier liegen, war ein Entkommen mit dir nicht schwerer, als wenn ich mich allein befunden hätte.«

»Wenn dies wirklich deine Ansicht ist, so bin ich wenigstens in Beziehung auf deinen Zorn beruhigt, wenn auch nicht betreffs dessen, was uns nun erwartet. Man wird uns ganz gewiß töten; auf keinen Fall dürfen wir


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hoffen, diesen Leuten, welche einen so grimmigen Haß gegen uns hegen, diesesmal zu entkommen.«

»Ich hege diese Hoffnung und habe keine Lust, sie aufzugeben. Ich habe mich in noch viel schlimmern Lagen befunden, ohne den Mut zu verlieren, und auch du; als du so verlassen im tiefen Brunnen bei Siut stecktest, um elend zu verhungern, hattest du eigentlich weniger Veranlassung als jetzt, auf Rettung zu hoffen. Ich bin überzeugt, daß uns hier in Faschodah nichts geschieht. Man wird uns jedenfalls dorthin schaffen, wo Ibn Asl sich befindet. Wir müssen es abwarten. Ich bin froh, daß ich meine Waffen und mein sonstiges Eigentum nicht bei mir hatte. Es wäre mir abgenommen worden, und ich hätte im Falle einer heimlichen Flucht darauf verzichten müssen und alles verloren. Wie steht es denn mit deiner Habe?«

»Ich besitze nichts. Die Flinte und meine Pistolen hatte ich bei dem Mudir abgelegt, und da er von meinem Vorhaben nichts wissen durfte und ich mich unbemerkt fortschleichen mußte, so habe ich nur das Messer bei mir gehabt, und dieses allein ist mir abgenommen worden.«

Jetzt kamen vier Männer herein, welche lange und breite Bastmatten und Stricke trugen. Wir erhielten Knebel in den Mund; man verband uns die Augen, und dann wurden wir in die Matten gewickelt, welche man darauf mit den Stricken umschlang. So bildeten wir zwei steife, walzenförmige Pakete, welche aufgenommen und fortgetragen wurden. Unsere Köpfe ragten über die Matten heraus, so daß wir wenigstens an Luft keinen Mangel litten.

Natürlich konnten wir nicht sehen, wohin man uns schaffte. Ich fühlte, daß es über Schmutzhaufen und


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Schlammlöcher ging; dann hörte ich Wasser plätschern und man ließ uns auf eine harte Unterlage nieder.

»Jetzt fort, schnell und vorsichtig!« hörte ich eine befehlende Stimme sagen.

Dann vernahm ich das Geräusch der in das Wasser getauchten Ruder, wir lagen also jedenfalls in einem Boote. Tiefe Stille herrschte um uns. Sie wurde nur von Zeit zu Zeit durch eine flüsternde Stimme unterbrochen, deren Worte ich nicht verstehen konnte. Später, als man Faschodah im Rücken hatte, wurde lauter gesprochen, doch nichts, was uns über das Ziel unserer Fahrt Aufklärung geben konnte. Was ich vernahm, waren nur kurze Kommandoworte, welche sich auf das Rudern und den Gebrauch des Steuers bezogen.

Es verging eine lange, lange Zeit. Wie viele Stunden es waren, das nur zu raten, war mir unmöglich. Als man endlich anlegte, war es mir, als ob die Fahrt einen ganzen Tag gedauert hätte.

»Wer ist da?« rief eine Stimme, aus der Höhe, wie mir schien.

»Leute des Sangak,« lautete die Antwort.

»Ist Ibn Asl da?«

»Nein. Doch kommt herauf!«

Wieder verging eine Weile, während welcher man über uns leise sprach. Auch jetzt konnte ich nichts verstehen, aber es waren Töne freudiger Verwunderung, die sich in das Geflüster mischten. Dann band man uns an Seile, um uns emporzuziehen. Wir wurden hart niedergeworfen und dann aus unsern Hüllen gewickelt. Man nahm uns die Knebel und die Augenbinden weg, und nun sah ich, daß wir auf dem Decke eines Schiffes lagen. Ungefähr zwanzig Männer standen um uns. Ich konnte ihre Gesichter deutlich sehen, denn der Mond schien hell.


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Man hatte also nicht einen ganzen Tag, sondern noch nicht einmal bis zum Anbruche des Morgens gerudert. Freilich war es kein Wunder, daß mir diese Zeit so lang geworden war.

Derjenige, welcher mir am nächsten stand, war Murad Nassyr, der dicke Türke, mit welchem ich hatte reisen sollen, um sein Compagnon im Sklavenhandel zu werden. Als ich ihn jetzt vor mir stehen sah, mußte ich an die Abschiedsworte denken, welche er mir in Korosko zugerufen hatte. Sie waren drohend genug, doch hatte ich vor diesem dicken Türken weit weniger Respekt als vor seinen Verbündeten, welche viel mehr Energie besaßen und weit gefährlicher waren als er. Er sprach mit einem Manne, welcher wohl zu denen gehörte, die mich auf das Schiff gebracht hatten. Ich hörte, daß er ihn fragte:

»Wo sind der Muza'bir und der Mokkadem? Konnten sie nicht gleich mitkommen?«

»Sie haben Faschodah auf dem Landwege verlassen, um zu den Dinka zu gehen, bei denen sich Ibn Asl befindet. Sie wollen ihn von der Gefangennahme der beiden Männer benachrichtigen.«

»Dann werden sie ihn vielleicht nicht mehr dort antreffen. Ich erwarte ihn in jedem Augenblicke mit den angeworbenen Dinka. Kommt er eher als sie, so müssen wir ihretwegen hier liegen bleiben und die kostbare Zeit versäumen.«

Diese Worte bewiesen, daß Murad Nassyr kein Uebermaß von Klugheit besaß. Es war ein Fehler von ihm, in meiner Gegenwart hören zu lassen, daß Ibn Asl im Begriff stand, eine Schar von Dinka zum Sklavenfange anzuwerben. Er war dazu gezwungen, weil wir alle seine Leute ergriffen hatten. Jetzt wendete sich Murad Nassyr zu mir, indem er mich in giftigem Tone fragte:


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»Kennst du mich noch, du Hund? Reichen deine Gedanken soweit, jetzt noch zu wissen, wer ich bin?«

Da ich nicht antwortete, fuhr er fort:

»Denke an Korosko und an die Worte, welche ich dir dort zurückließ!«

Und als ich auch jetzt nichts sagte, fügte er hinzu:

»Ich drohte dir damals: Sollte ich dich wiedersehen, so zerschmettere ich dich! Dieses Wiedersehen findet jetzt statt. Bereite dich auf den Tod vor. Du bist verloren und hast bei uns keine Barmherzigkeit zu erwarten.«

Er mochte denken, daß ich nun antworten werde. Als dies nicht geschah, trat er mich in die Seite und fuhr mich an.

»Willst du wohl dein Maul öffnen, du schmutzige Kröte! Hat der Schreck, die Angst dich stumm gemacht?«

Da lachte ich laut auf und antwortete:

»Die Angst? Etwa vor dir? Lieber Dicker, laß dich doch nicht auslachen! Vor dir erschrickt kein Mensch, ich aber am allerwenigsten. Du kannst wohl Pillau mit Schafschwanz verschlingen, mich aber nicht.«

»Hund, verhöhnst du mich auch noch! Ich werde dafür deine Qualen verdoppeln!«

»Laß mich in Ruh'! Du spielst mit dieser Drohung eine so lächerliche Figur, daß man dich nur auslachen kann. Du kennst mich schon von Algier her und mußt doch wissen, daß deine Prahlerei auf mich keinen Eindruck macht. Lege dich also aufs Ohr und schlafe; das ist jedenfalls besser als ein so verunglückter Versuch, mich bange vor dir zu machen!«

Da versetzte er mir einen zweiten Fußtritt und rief:

»Das will ich dir gedenken! Ich weiß, daß du bereits erfahren hast, welche Qualen dir beschieden sind; sie sollen nun noch entsetzlicher werden, als du bisher


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wußtest. Glaube ja nicht, auch diesmal zu entkommen! Ich selbst werde dich bewachen und dich, bis Ibn Asl kommt, nicht aus meinen Augen lassen. Hebt die Hunde auf und folgt mir mit ihnen!«

Er begab sich nach dem Vorderteile des Verdeckes, und man trug uns hinter ihm drein, öffnete eine von zwei Thüren, welche ich nebeneinander sah, trat in einen Raum, der jedenfalls seine Wohnung bildete, und untersuchte da unsere Fesseln. Dies geschah beim Scheine einer Lampe, welche hier brannte. Als er sich überzeugt hatte, daß wir festgebunden waren und nicht loskommen konnten, gab er die zu unserer Unterkunft nötigen Befehle.

Der Raum, in welchem wir uns befanden, hatte nicht etwa Holzwände; er glich vielmehr einem Zelte. Man hatte Stangen über dem Vorderteil des Schiffes angebracht und Matten auf dieselben gebreitet. Das war ein Sonnendach, von welchem mehrere Stücke Leinwand, welche als Wände dienten, herniederhingen. Die vordere Wand bestand aus zwei Stücken; das waren die von mir erwähnten beiden Thüren. Eine Querwand schied den Raum in zwei Teile. In demjenigen rechter Hand befanden wir uns. Aus dem links liegenden Teile hörte ich weibliche Flüsterstimmen klingen, was mich auf die Vermutung brachte, daß dort die Schwester des Türken mit ihren Dienerinnen untergebracht sei. Hinten gab es wieder eine Querleinwand, welche jetzt aufgehoben wurde. Dort war das Innere der Schiffsspitze, ein sechs Fuß langer, vier Fuß schmaler Raum, in welchem verschiedenes Gepäck und Gerümpel lag. Man schaffte dieses letztere fort, um Platz für uns zu bekommen. Dann wurden starke Eisennägel in die Diele geschlagen, an welche man uns festband, eine Vorsicht, die gar nicht überflüssig war, denn falls es uns gelang, uns unserer Fesseln zu entledigen,


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brauchten wir nur die Matte, welche die Decke bildete, emporzuheben, um über Bord kommen zu können.

Als wir in dieser Weise befestigt waren, sagte Murad Nassyr.

»Jetzt könnt ihr euch nicht rühren. Nun versucht doch einmal, mir zu entfliehen! Ibn Asl kommt jedenfalls bis Nachmittag zurück; dann wird euer Schicksal entschieden. Ich wohne gleich nebenan und kann jedes eurer Worte hören. Vernehme ich das Geringste, was mir nicht gefällt, so erhaltet ihr die Peitsche. Jetzt gebe euch Allah eine angenehme Ruhe und noch angenehmere Träume!«

Er sprach diesen Wunsch in höhnischem Tone aus und entfernte sich dann mit seinen Leuten. Wir sahen das Licht durch die dünne Leinwand scheinen und seinen Schatten sich an derselben bewegen. Dadurch wurde uns verraten, was er that. Er hob die Seitenleinwand auf und verschwand hinter derselben. Dann hörten wir flüstern und erkannten seine und die Stimme eines weiblichen Wesens, welches, wie ich vermutet hatte und dann bald erfuhr, seine Schwester war.

Bald darauf kam er in sein Gemach zurück und setzte sich nieder. Nach abermals einem Weilchen zeichnete sich ein weiblicher Schatten an der Leinwand ab. Die Schwester war zu ihm getreten. Sie flüsterten miteinander; dann stand er auf und ging mit ihr hinaus auf das Deck.

Kaum war dies geschehen, so wurde wieder eine weibliche Gestalt sichtbar, welche aus der Seitenabteilung trat. Sie näherte sich der Leinwand, hinter welcher wir lagen, hob dieselbe ein wenig empor und sagte leise:

»Effendi, wo bist du?«

»Hier!« antwortete ich. »Wer bist du?«

»Ich bin Fatma, die du kennst.«

Also Fatma, die Lieblingsdienerin der Schwester des


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Türken! In welcher Absicht kam sie? jedenfalls in keiner schlechten.

»Was wünschest du von mir?« fragte ich sie.

»Meine Herrin sendet mich. Sie hat von dem Herrn erfahren, daß du gefangen bist und zu Tode gemartert werden sollst. Das thut ihrem Herzen weh.«

»Allah segne sie für das Mitgefühl!«

»Ja, sie ist gut, Effendi. Sie will dich retten.«

»Hamdulillah! In welcher Weise?«

»Leider kann sie gar nicht viel thun; aber was sie kann, das soll geschehen. Du hast, als ihr Haar zu schwinden begann, ihr die Zierde ihres Hauptes wiedergegeben. Das kann sie nicht vergessen. Sie will dir dafür danken, und ich soll dich bitten, mir zu sagen, welch einen Wunsch du hast.«

»Wo ist sie?«

»Draußen auf dem Deck. Sie hat ihren Bruder beredet, mit hinaus zu gehen, damit ich mit dir reden kann.«

»Aber wenn er nun plötzlich zurückkehrt und sieht, was du thust!«

»Sie will ihn draußen festhalten, bis ich ihr ein Zeichen gebe, daß ich ihren Auftrag ausgerichtet habe.«

»Das ist gut. Bringe mir schnell ein scharfes Messer.«

Sie ging, brachte das Messer und reichte es mir zu.

»Ich kann es nicht fassen, denn meine Hände sind gefesselt. Du mußt mir die Liebe erweisen, sie loszuschneiden.«

»Allah, was verlangst du von mir! Meine Hände zittern vor Angst; aber ich werde es dennoch thun, da du der Wohlthäter meiner Herrin bist.«

Ich fühlte allerdings, daß ihre Hände zitterten, als sie den Strick durchschnitt. Dann nahm ich das Messer, drückte ihr die Hand und sagte:


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»Ich danke dir, Fatma, du Lieblichste unter den Töchtern; Allah möge es dir vergelten! Weißt du, wie viel Männer sich auf diesem Schiffe befinden?«

»Zwanzig und ein paar. Sie liegen draußen und schlafen.«

»Wo sind die Leute, welche uns gebracht haben? Wieder nach Faschodah zurück?«

»Nein. Sie liegen bei unsern Leuten.«

»So hängt also ihr Boot noch an dem Schiffe?«

»Ja.«

»Das ist es, was ich wissen will. Du kannst nun gehen und brauchst das Zeichen gar nicht zu geben, denn deine Herrin wird ohne dasselbe in einigen Minuten erfahren, daß du deinen Auftrag gut ausgeführt hast. Wahrscheinlich sehen wir uns wieder. Dann werde ich dir ausführlicher danken, als es jetzt geschehen kann.«

Sie zog sich zurück.

»Welche Wonne, Effendi!« sagte Ben Nil. »Du hattest doch recht. Man soll die Hoffnung niemals aufgeben. Wir sind gerettet, wenn man uns nicht aufhält!«

»Aufhält? Wenn ich im freien Besitze meiner Glieder bin und ein Messer in meiner Hand habe, lasse ich mich von zwanzig und einigen Männern nicht aufhalten. Darauf kannst du dich verlassen. Es ist ganz so, als ob wir schon frei wären.«

Da ich die Hände frei hatte, war es nicht schwer, mir auch die Füße frei zu machen und mich von dem Nagel loszuschneiden. Dasselbe that ich dann auch mit Ben Nil. Wir standen jetzt aufrecht. Ich hob die Matte, welche die Decke bildete, ein wenig in die Höhe und sah hinaus.

Noch schien der Mond. Wir lagen am rechten Ufer des Flusses. Unweit vom Schiffe sah ich die phantastischen


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Gestalten von drei nebeneinander stehenden Armleuchtereuphorbien. Das mußte mir später als Merkmal dienen. Auf dem Deck lagen die Schläfer. Der Türke stand mit seiner Schwester hinten am Steuer und blickte mit ihr, über das Geländer gebeugt, in die Flut hinab. Das Boot mußte auf der Wasserseite hängen. Das Schiff war mit einem Bug- und einem Quarteranker befestigt. Die Kette des ersteren hing an einem starken Eisenringe, welcher an der innern Bugwand, also an unserm Gefängnisse angebracht war.

»Es steht alles sehr gut,« sagte ich. »Wir klettern an dieser Kette über Bord. Kein Mensch achtet auf uns. Haben wir das Wasser erreicht, so schwimmen wir nach dem Boote.«

Ich schob die Matte über uns ganz weg und schwang mich über die Brüstung, um jenseits an der Kette hinabzuklettern. Ben Nil folgte mir. Es war gar keine Kunst, hinunter zu kommen. Daß wir naß wurden, konnte uns in diesem Klima nur lieb sein.

Wir hielten uns im Schwimmen natürlich so nahe wie möglich an die Schiffswand, damit man uns nicht von oben sehen könne. Auch hüteten wir uns, zu plätschern. Das Boot, welches wir suchten, hing hinten an der dem Wasser zugekehrten Seite des Schiffes. Nun fragte es sich, ob man die Ruder liegen gelassen hatte. Als wir es erreichten, sahen wir zu unserer Freude, daß sie darin lagen. Wir stiegen ein.

»Nun schnell fort, Effendi!« meinte Ben Nil. »Wir sind wieder frei und wollen uns keinen Augenblick hier aufhalten.«

Er setzte sich auf die Ruderbank und wollte den Riemen gegen die Schiffswand stemmen, um von dem Schiffe abzukommen, als man uns bemerkte.


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»Der Effendi ist los!« schrie Murad, »er will entkommen! Da unten ist er im Boote. Auf, ihr Männer, zur Verfolgung! Tausend Piaster jedem, der ihn mir bringt!«

Vom Deck ertönten wirre Stimmen. Man beeilte sich, in das Boot zu kommen, welches zum Schiffe gehörte und jedenfalls hinten am Steuer hing, so daß wir es nicht gesehen hatten.

»Schnell, schnell!« schrie er. »Zweitausend, dreitausend Piaster, wenn ihr ihn wieder fangt!«

»Zehntausend Piaster demjenigen, der mich ergreift!« lachte ich als Antwort. Dann tauchte ich die Ruder ein, Ben Nil folgte meinem Beispiele, und unser Boot flog, wie von einer Sehne geschnellt, flußabwärts. Es verstand sich ganz von selbst, daß man uns flußaufwärts geschafft hatte. Also mußten wir, um nach Faschodah zu kommen, die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Wir konnten schon nach kurzer Zeit das Schiff nicht mehr sehen.

Ben Nil war ein ausgezeichneter Ruderer; auch ich hatte gelernt, einen Riemen zu gebrauchen, und so hatten wir keine Sorge, daß man uns einholen werde. Schon nach einer Viertelstunde ließen wir in unserer Anstrengung nach, da es gar nicht nötig war, eine solche Schnelligkeit zu entfalten.

Nach meiner Ansicht war es, als man uns bei dem Sangak gefangen nahm, ungefähr zehn Uhr abends gewesen. Ein Blick nach dem Himmel zeigte, daß es jetzt vielleicht morgens drei Uhr sei. Waren wir eine Stunde auf dem Schiffe gewesen, so hatte die Fahrt nach demselben vier Stunden gedauert, eine Zeit, welche mir wie eine Ewigkeit vorgekommen war. Da man flußabwärts schneller vorwärts kommt, rechnete ich drei Stunden auf unsere


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Fahrt; also mußten wir Faschodah gegen sechs Uhr erreichen.

Man kann sich leicht denken, in welcher Stimmung wir uns befanden. Ben Nil jubelte zuweilen laut auf. Ich blieb zwar still, doch war meine Freude nicht geringer als die seinige. Und wem hatten wir unsere Rettung zu verdanken? Der Auflösung eines einfachen, wohlbekannten Salzes, mit welcher ich einst die kahle Stelle auf dem Kopfe der Schwester des Türken befeuchtet hatte. Damals dachte ich nicht, daß mich dieses später aus solcher Not erlösen werde. Die Schwester war doch ein gutes, dankbares Mädchen. Ich nahm mir vor, alles aufzubieten, um zu verhindern, daß sie Ibn Asls Frau werde.

Als der Morgen graute, hatten wir uns Faschodah soweit genähert, daß wir es liegen sahen. Ein kleines Segelboot kreuzte auf dem Flusse hin und her, welches nur einen Mann trug. Als dieser uns bemerkte, hielt er auf uns zu, ließ das Segel fallen und fragte:

»Woher kommt ihr?«

»Von da oben,« antwortete ich, indem ich rückwärts deutete. »Wir wollen nach Faschodah.«

»Wer seid ihr?«

Warum fragst du? Bist du ein Beamter des Mudir?«

»Nein. Aber ich suche einen fremden Effendi und einen jungen Mann, welcher Ben Nil heißt, die seit gestern abend spurlos verschwunden sind. Der Mudir läßt nach ihnen suchen. Da ihr zwei seid und ich euch nicht kenne, auch die Beschreibung stimmt, so glaube ich, die Gesuchten gefunden zu haben.«

»Kennst du den Sangak der Arnauten?«

»Ich habe ihn gesehen, aber noch nie mit ihm gesprochen.«

»Hassest oder liebest du ihn?«


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»Herr, diese Frage ist gefährlich; da ich aber weder etwas Gutes noch etwas Böses von ihm zu erwarten habe, so will ich sie beantworten. Ich hasse ihn nicht, und liebe ihn nicht; er ist mir gleichgültig, obgleich er viel Einfluß und Macht besitzt.«

»So will auch ich aufrichtig sein, obgleich ich eigentlich Grund habe, dir die Wahrheit zu verschweigen. Wir sind diejenigen, welche du suchst.«

»Wirklich? Ist's wahr?« fragte er in freudigem Tone. »Hamdulillah! So bin ich es, der sich das viele Geld verdient!«

»Welches Geld?«

»Die hundert Piaster, welche der Mudir für dich zahlen will.«

»Du sollst sie bekommen, obgleich er uns auch ohne dich wiedergesehen hätte.«

»Hätte er das?« fragte er enttäuscht. »Allah! So erhalte ich das Geld nicht!«

»Er wird es dir geben. Verlange es nur!«

»Fällt mir nicht ein, Effendi. Ich würde an Stelle der Piaster fünfhundert Hiebe erhalten.«

»Du bekommst das Geld. Ich gebe dir mein Wort. Und wenn er sich weigert, so werde ich es dir geben. Aber ich knüpfe die Bedingung daran, daß du uns zu dem Mudir bringst, ohne daß wir von dem Sangak oder einem seiner Arnauten gesehen werden.«

Er blickte mich verwundert an und fragte:

»Effendi, sind diese Arnauten an euerm Verschwinden schuld?«

»Das kann ich dir nicht sagen, weil ich dich nicht kenne.«

»O, du darfst mir vertrauen. Ich bin ein armer Fischer und liefere das, was ich fange, nur in die Küche


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des Mudirs, welcher mich dafür bezahlt, während ich von dem Sangak nichts bekommen würde.«

»Wo wohnest du?«

»Hier vor der Stadt. Du siehst meine Hütte dort links am Ufer. Sie steht weit entfernt von allen andern Hütten und Häusern.«

Ich erzählte ihm, was uns geschehen war, und fuhr dann fort:

»Erfährt der Sangak, daß wir wieder da sind, so findet er vielleicht Zeit zur Flucht, ehe der Befehl, ihn zu ergreifen, gegeben werden kann.«

»Effendi, ich würde über das, was ich da höre, staunen, wenn ich nicht wüßte, was für ein gewaltthätiger Mann dieser Sangak ist. Wenn es so ist, so hast du recht. Du mußt unbemerkt zum Mudir kommen. Ich werde dich jetzt nach meiner Hütte bringen, wo ihr wartet, bis ich beim Mudir gewesen bin, dem ich sagen will, was du mir anbefiehlst.«

»Gut, ich bin einverstanden.«

»Aber ihr dürft mir jetzt nicht im Boote folgen, denn das würde auffallen. Man darf nicht sehen, daß ich zwei Männer bei mir habe, denn man würde sogleich ahnen, daß ihr es seid. Steig zu mir herein. Ich werde dich erst allein nach meiner Hütte rudern. Dann hole ich auch Ben Nil ab, der hier ans Ufer legen und da auf mich warten mag.«

Ich sprang zu ihm hinüber und wurde von ihm nach der Hütte gebracht, welche die äußerste der Stadt war. Sein Weib, eine Negerin, war daheim und erhielt von ihm den Befehl, uns verborgen zu halten und keinen Menschen in die Hütte zu lassen. Dann holte er Ben Nil. Als dieses geschehen war und er von mir genaue Instruktion erhalten hatte, begab er sich zum Mudir.


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Es dauerte fast eine Stunde, bis er zurückkehrte. Er brachte Anzüge, einen weiblichen für Ben Nil und den eines Eunuchen für mich. Ich hatte mir das Gesicht zu schwärzen. Zwar hätte ich in weiblicher Kleidung viel weniger erkannt werden können, als in derjenigen eines Haremwächters, aber meine Figur paßte nicht zu einer solchen Maskerade.

Als wir diese Anzüge angelegt hatten, bestiegen wir das Boot wieder und der Fischer ruderte uns, nachdem er seinem Weibe die strengste Verschwiegenheit anbefohlen hatte.

Ben Nil war tief eingehüllt. Ein Schleier bedeckte sein Gesicht, so daß er vollständig einer Frau glich. Die Verkleidung belustigte ihn außerordentlich und er kicherte in einem fort vor sich hin, weniger über sich als über mein schwarzes Gesicht, zu welchem der Bart gar nicht passen wollte.

Als wir ausstiegen, war kein Mensch zu sehen. Vielleicht aus Zufall, vielleicht auch deshalb, weil so viele Leute auf der Suche nach uns waren, um sich die hundert Piaster zu verdienen. Wir erreichten sogar das Regierungsgebäude, ohne von jemandem beobachtet worden zu sein, und wurden dort von einem Bediensteten, welcher auf uns gewartet hatte, zu seinem Herrn geführt. Dieser hatte dafür sorgen lassen, daß uns im Innern des Gebäudes niemand begegnete.

Er saß rauchend auf einem seidenen Diwan. Ueber sein ernstes, ja strenges Gesicht ging, als wir eintraten und sein Auge auf uns fiel, ein heiteres Lächeln. Ja, es schien, als ob er sich Mühe geben müsse, nicht laut aufzulachen.

»Allah thut Wunder!« rief er aus. »Wer hat schon einmal einen Neger, einen Hüter der Frauen, mit einem solchen Barte gesehen! Hat man dich erkannt, Effendi?«


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»Nein. Wir sind von keinem Menschen beachtet worden.«

»Das ist gut. Setzt euch, und nehmt die Pfeifen, welche ich für euch bereit legen ließ. Du aber wartest draußen vor der Thür, um zu erfahren, ob ich dir das Geld geben werde oder nicht!«

Die letzten Worte waren an den Fischer gerichtet, welcher dem Befehle nicht sofort gehorchte, sondern in bittendem Tone antwortete:

»Verzeihe meine Kühnheit, o Mudir, und erlaube mir, dir zu - -«

»Schweig, sonst bekommst du sofort fünfhundert!« unterbrach ihn der Mudir mit Donnerstimme. »Hinaus mit dir!«

Ich hatte mich mit Ben Nil zu ihm gesetzt. Wir steckten unsere Pfeifen an, und dann mußte ich erzählen. Der Statthalter verzog während meines Berichtes keine Miene und ließ auch kein Wort hören. Als ich geendet hatte, schwieg er immer noch eine Weile; dann brach er los, aber nicht so, wie ich erwartet hatte, sondern beinahe leise und in sehr ruhigem Tone. Aber gerade diese Ruhe ließ auf die Größe seines Grimmes, den er gewaltsam niederzwang, schließen.

»Gestern,« sagte er, »als du mir mitteiltest, daß dieser Hundesohn ein Verbündeter des Sklavenjägers sei, wollte ich es nicht glauben. Jetzt hast du mir die Wahrheit deiner Worte bewiesen. Er soll - -«

Er hielt mitten im Satze inne und blickte vor sich nieder. Er war empört und tief aufgeregt und hielt es nicht für seiner Würde angemessen, dies so merken zu lassen. Nach einer Weile klatschte er in die Hände. Ein Diener trat herein und erhielt den Befehl:

»Gehe zum Sangak der Arnauten und sage ihm, daß


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ich mit ihm zu sprechen wünsche. Es betrifft ein Geheimnis; er soll also keinen Menschen wissen lassen, zu wem er geht. Da versteht es sich von selbst, daß du diesen Auftrag so ausrichtest, daß nur er allein deine Worte hört. Sende mir den Abu Chabit (* Vater der Prügel.) herein!«

Der Mann entfernte sich, und kurze Zeit darauf trat ein schwarzer, außerordentlich robuster Kerl herein, welcher beide Hände auf die Brust legte und sich fast bis auf den Boden verneigte.

»Es giebt zu thun,« sagte der Mudir zu ihm. »Ein Hund aller Hunde soll fünfhundert erhalten und dann nicht wieder gesehen werden. Besorge das Nötige!«

»Wo?« fragte der Schwarze, wobei ein Grinsen über sein Gesicht ging. Er freute sich auf die Ausübung seines Amtes.

»Da,« antwortete der Mudir, indem er mit dem Daumen über die Achsel nach einer Thüre zeigte, welche sich hinter ihm befand. Der »Vater der Prügel« verbeugte sich abermals und ging dann rückwärts wieder hinaus. Als wir uns allein befanden, sagte der Mudir:

»Weißt du, warum der Sangak heimlich kommen soll?«

Ach denke es mir. Wegen deiner Sicherheit.«

»Allah! Du hast es erraten!« rief er erstaunt.

»Das ist ja nicht schwer. Ich kenne die Arnauten zur Genüge. Sie sind äußerst schwer im Zaume zu halten. Wenn du den Sangak richtest und seine Soldaten erfahren es, so hast du eine Empörung zu erwarten.«

»So ist es! Er soll seine Strafe erhalten, ohne daß man es ahnt. Als du gestern nicht kamst, sandte ich zu ihm. Er ließ mir sagen, daß niemand bei ihm gewesen sei. Später ging ich selbst zu ihm und bekam dieselbe


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Behauptung zu hören. Dann erfuhr ich gar, daß auch Ben Nil verschwunden sei, und erteilte sofort den Befehl, daß überall nach euch gesucht werde. Dieser Hund hat mich an der Nase führen wollen; er ist ein Begünstiger des Sklavenhandels, ein Verräter und Mörder. Du wirst hören und sehen, was ich mit ihm spreche und mit ihm thue. Begebt euch jetzt dort hinein, wo ihr alles findet, was ihr braucht. Ihr werdet die Aussage des Sangak vernehmen und im geeigneten Augenblick hereinkommen.«

Er hatte nach einer zweiten Thür gedeutet. Wir folgten seiner Aufforderung und kamen in ein Zimmer, wo ich mein ganzes Eigentum liegen sah. Es gab da auch alles Nötige, mich von der schwarzen Farbe zu befreien, was ich natürlich schleunigst that. Dann kleidete ich mich um. Ben Nil mußte den Frauenanzug noch anbehalten, weil der seinige sich in den Händen des Fischers befand. Eben war ich mit der Toilette fertig, als ich Schritte hörte. Der Sangak trat bei dem Mudir ein. Wir konnten alles hören, denn das, was ich eine Thüre genannt habe, bestand aus einem die Thüröffnung bedeckenden Teppiche.

»Du hast mich rufen lassen, o Mudir!« hörte ich den Arnauten sagen.

»Ja, heimlich. Wer weiß noch von deinem Kommen?«

»Kein Mensch.«

»Setz' dich!« antwortete der Mudir. »Hast du gehört, ob man von den verschwundenen Männern vielleicht eine Spur gefunden hat?«

»Man hat bis jetzt nichts entdeckt.«

»Das ist schlimm! Ich werde nicht eher ruhen, als bis ich sie gefunden habe.«

»Auch ich habe alles gethan, was möglich ist. Meine


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Arnauten sind alle fort, um zu suchen, obgleich sie nicht begreifen können, wie ich von ihnen verlangen kann, daß sie, die Rechtgläubigen, der stinkenden Fährte eines Christen nachforschen sollen.«

»Ich will diesen Christen haben; das muß dir und ihnen genügen. Hast du bei dir selbst aufmerksam gesucht?«

»Ja, doch vergebens.«

»Sonderbar! Der Effendi ist zu dir gegangen und seine Begleiter haben ganz deutlich gehört, daß er bei dir klopfte.«

»Das mag sein. Es ist auch geöffnet worden, aber man hat niemand gesehen. Später hat der Wächter bemerkt, daß fremde Gestalten um die Thüren geschlichen sind. Wer weiß, in welcher Absicht der Christ gekommen und warum er so plötzlich wieder verschwunden ist.«

»Er hat mir seine Absichten mitgeteilt. Es gab für ihn keinen Grund, zu verschwinden. Wohl aber gab es für einige hiesige Personen Grund, ihn verschwinden zu lassen!«

»So rate ich dir, diese Personen zu fragen!«

»Das habe ich gethan, aber sie leugnen, etwas zu wissen.«

»Laß ihnen fünfhundert aufzählen; dann werden sie gestehen!«

»Da du es mir rätst, werde ich es thun, und du sollst dabei sein dürfen.«

»Ich danke dir, o Gebieter! Du weißt, daß ich die Gerechtigkeit liebe und stets gern dabei bin, wenn du sie an denen, welche gegen sie gesündigt haben, übest. Es wird mir eine Wonne sein, das Geheul dieser Hunde zu hören. Nun aber möchte ich dich nach dem Geheimnisse fragen, welches der Grund ist, daß du mich zu dir kommen ließest.«


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»Du sollst es sofort hören. Ja, es ist ein Geheimnis, dessen Aufklärung mir sehr am Herzen liegt, und du bist der richtige Mann, mir dabei behilflich zu sein. Ist dir vielleicht ein Muza'bir, ein Gaukler aus Kahira, bekannt?«

»Nein.«

»So kennst du aber vielleicht einen gewissen Abd el Barak, welcher Mokkadem der heiligen Kadirine ist?«

»Auch nicht.«

»Diese beiden Männer befinden sich jetzt in Faschodah. Ich will und muß sie finden, weil sie Verbündete des Sklavenjägers Ibn Asl sind.«

»Soll ich nach ihnen suchen? Wenn sie wirklich hier sind, werde ich sie ganz gewiß entdecken.«

»Sie sind hier. Man hat sie noch gestern abend gesehen. Sie sollen an deiner Thüre geklopft haben.«

»Allah! Was könnten sie bei mir gewollt haben? Das muß ein Irrtum sein. Solche Leute werden doch nicht so wahnsinnig sein, sich zu mir zu wagen!«

»Es giebt Wahnsinnige, welche zuweilen sehr gut bei Sinnen sind. Noch eine Frage. Hast du vielleicht einmal mit einem Türken gesprochen, welcher Murad Nassyr heißt?«

»Nie. Was ist's mit ihm?«

»Davon nachher. Ich muß dich noch nach einer andern Person fragen. Es ist dies ein Takaleh, welcher Schedid heißt.«

»Ich kenne ihn nicht. Wie kommt es, daß du mir so viele unbekannte Namen nennst?«

»Ich thue es, um dir die Entdeckung des Geheimnisses zu erleichtern. Ich habe dir bereits ein wenig vorgearbeitet, und du sollst die Sache zum Schlusse führen. Es liegt nämlich vier Ruderstunden aufwärts von hier ein Schiff, welches Ibn Asl gehört.«


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»Allah, Allah!«

Der Sangak hatte bis jetzt schnell und unbefangen geantwortet; den letzten Ausruf that er in erschrockenem Tone.

»Auf diesem Schiffe,« fuhr der Mudir fort, »befindet sich jener Türke, nach welchem ich dich fragte. Er hat eine Schwester mit, welche das Weib Ibn Asls werden soll.«

»Woher weißt du das?« erklang es in gepreßtem Tone.

»Nachher, nachher! Vorher mußt du wissen, daß Ibn Asl sich jetzt bei den Dinka befindet, um eine Schar ihrer Krieger zu einem Sklavenzuge anzuwerben. Man hat dieses Schiff bewacht und heute früh bemerkt, daß ein Boot anlegte, in welchem zwei lange runde Pakete lagen, die an Bord geschafft wurden. Kannst du vielleicht erraten, was sich in diesen Paketen befunden hat?«

»Wie könnte ich das wissen!«

»So suche es zu erfahren. Das eben ist das Geheimnis, welches ich so gerne aufgeklärt wissen möchte. Du bist schlau, sehr schlau, und ich denke, daß es dir nicht schwer fallen wird, das Richtige zu entdecken.«

Während dieses Gespräches hatte ich den Teppich ein wenig zur Seite geschoben, um die beiden zu beobachten. Der Mudir saß mit dem Gesichte, der Sangak mit dem Rücken nach uns gerichtet. Jetzt glaubte ich den richtigen Augenblick gekommen und flüsterte Ben Nil zu:

»Geh leise hinein, und bleib neben der Thüre stehen!«

Ich schob ihn hinein und sah, daß über das Gesicht des Mudirs beim Anblicke meines verkleideten Gefährten ein Lächeln der Befriedigung glitt. Der Sangak fühlte sich jedenfalls nicht übermäßig behaglich. Er schien nachzudenken, was er in diesem Augenblicke von dem Mudir


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zu halten habe, denn es dauerte eine kleine Weile, ehe er antwortete:

»Ich werde es entdecken, Herr. Ich werde sofort aufbrechen und das Schiff ausfindig machen. Die Pakete müssen doch noch vorhanden sein.«

»Vielleicht auch nicht, doch kommt es nicht darauf an; ich will aber erfahren, was sie enthalten haben. Dies ist mir außerordentlich wichtig, so wichtig, daß ich dir für die Entdeckung dieses Geheimnisses eine Belohnung zugedacht habe, von deren Größe du jetzt keine Ahnung hast.«

»Mudir, ich bin der treueste deiner Diener,« versicherte der Arnaut geschmeichelt. »Mein Glück besteht nur in deiner Güte und Gnade!«

»Ja, du bist der treueste von allen. Darum habe ich dir als Beweis meiner Huld ein Weib ausersehen, ein Weib, mit dem sich keine Houri des Paradieses vergleichen kann.«

»Ein Weib?!« rief der Sangak erstaunt und enttäuscht.

»Ja, ein Weib; ein Vorbild der Schönheit und Tugend, ein Muster der Lieblichkeit. Damit du schon jetzt erkennst, welchen großen Schatz du erhalten wirst, sollst du diesen Engel aller Engel schon jetzt sehen dürfen. Tritt herbei, du Einzige, und enthülle dein Angesicht, damit dieser brave Sangak der Arnauten, hingerissen von dem Glanze deiner Augen und den Wundern deiner Seele, dir zu Füßen sinke!«

Er winkte Ben Nil, und dieser ging langsam näher. Der Sangak sprang auf. Er hatte schon ein Weib. Daß ihm noch ein zweites angeboten wurde, befremdete ihn, zumal er dasselbe sehen sollte, was doch eigentlich verboten ist. Er starrte die tief verhüllte Gestalt mit großen Augen an und sagte:


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»Ein Weib, wahrhaftig ein Weib! Welche Ueberraschung! War sie schon die Frau eines anderen, oder ist sie noch ein Mädchen? Welche Farbe hat sie? Weiß oder schwarz?«

»Beantworte dir diese Fragen selbst. Sieh und staune!«

Der Mudir stand auch auf und entfernte den Schleier. Der Erfolg war ganz derselbe, den ich erwartet hatte: Der Arnaut stieß einen unartikulierten, heiseren Schrei des Schreckens aus.

»Nun, wie gefällt sie dir? Bist du nicht entzückt?« fragte der Mudir, indem er mit Bedacht eine solche Stellung annahm, daß der Sangak, der sich umgedreht hatte, mir wieder den Rücken zukehren mußte.

Dies benutzte ich, um auch unbemerkt von dem letztern einzutreten. Er antwortete nicht. Sein Gesicht war fahl geworden. Es schien, als ob er sich gar nicht bewegen könne.

»Du bist sprachlos vor Wonne,« höhnte der Mudir. »Wenn das bei dem Anblicke des einen Paketes geschieht, wie groß wird deine Seligkeit erst sein, wenn du auch das andere erblickst. Siehe dich um!«

Der Arnaut gehorchte wie mechanisch dieser Aufforderung. Sein Auge fiel auf mich, und mein Anblick gab ihm sofort seine Fassung zurück.

»Bei der Hölle!« schrie er auf. »Man hat mit mir gespielt, aber man soll nicht weiterspielen. Der Scheitan vernichte euch alle drei!«

Er wendete sich nach der Thüre, um schleunigst zu entkommen; aber ich vertrat ihm den Weg.

»Fort mit dir, Hund!« fuhr er mich an. »Du bist mir widerlich.«

»Vielleicht darum sagtest du mir gestern abend, daß wir uns nicht wiedersehen würden,« antwortete ich ihm.


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»Ich aber war überzeugt, dich wiederzufinden, da ich mit dir abzurechnen hatte.«

»Fort! Zur Seite, oder ich mache mir den Weg!.«

Er zog das Messer und zückte es zum Stoße. Da schlug ich ihm von unten herauf an den Ellbogen, daß er es fallen ließ, packte ihn, hob ihn empor und warf ihn zu Boden, daß ich glaubte, er habe das Genick gebrochen. Er hatte die Augen offen, rührte sich aber nicht.

»Allah, Allah!« rief der Mudir. »So verfährst du mit diesem Riesen! Das ist es, was mir der Reïs Effendina berichtet hat, und was ich nicht glauben wollte. Ist er tot?«

»Nein,« antwortete ich. »Er wird sich sogleich bewegen, ganz plötzlich, um - -«

Ich sprach nicht weiter, denn was ich erwartet hatte, das geschah: der Sangak fuhr plötzlich mit der Hand in den Gürtel und riß eine Pistole heraus, um sie auf mich zu richten, wobei er den Oberkörper aufschnellte. Seine Unbeweglichkeit war eine Finte gewesen. Ben Nil stand hinter ihm, bückte sich rasch nieder und ergriff die Hand, welche die Pistole hielt; zugleich versetzte ich ihm einen Fußtritt gegen den Magen, daß er wieder hintenüberflog und die Waffe fallen ließ. Er wollte sich aufrichten, um die Gegenwehr fortzusetzen; der Fußtritt aber hatte ihn unfähig dazu gemacht. Mit halberhobenem Körper streckte er mir die geballte Faust entgegen und stieß dabei einen Fluch aus, welcher unmöglich wiedergegeben werden kann.

»Laßt ihn!« gebot der Mudir. »Der Schurke ist nicht wert, von euern Händen berührt zu werden. Effendi, du hast gehört, was ich meinem >Vater der Prügel< geboten habe. Ist einmal ein solcher Befehl gegeben, so ist auch dafür gesorgt, daß wir den Betreffenden sicher haben. Ihr braucht euch nicht mit ihm zu bemühen.«


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Er klatschte in die Hände, und auf dieses Zeichen traten von zwei Seiten Schwarze herein, welche den Sangak ergriffen und vom Boden aufzogen. Er sah den »Vater der Prügel« und ahnte, was man mit ihm vorhatte.

»Willst du mich etwa schlagen lassen?« brüllte er den Mudir an.

»Ich beabsichtige nur, deinen eigenen Willen an dir zu erfüllen,« antwortete dieser. »Du hast mir vorhin den vortrefflichen Rat der Bastonnade gegeben, und er wird nun an dir selbst ausgeführt.«

»Weißt du, was das bedeutet?«

»Nichts weiter, als daß ein Hund geprügelt wird.«

»Aber dieser Hund hat Zähne! Nur ein kleiner Wink von mir, und meine Arnauten fallen über dich her! Du kennst mich noch nicht!«

»Ich kenne dich genau. Ich habe dir vorhin die Namen deiner Freunde genannt; das überhebt mich der Mühe, dir dein Sündenregister vorzuhalten. Wenn du meinst, daß ich dich noch nicht kenne, so weiß ich um so sicherer, daß du mich kennst. Man nennt mich Abu Hamsah Miah. Du bekommst fünfhundert! »

»Fünf-hun-dert!« schrie der Arnaute. »Das kostet dein Leben!«

»Drohe nicht noch! Bitte Allah, daß er dich sicher über die Brücke des Todes geleite, damit du nicht hinab in die Feuer der Dschehenna stürzest!«

Der Arnaut zuckte zusammen, warf einen unbeschreiblichen Blick auf den Mudir und fragte stockend:

»Brücke - des - Todes! So willst - du mich - totpeitschen -- lassen?!«

»Du bekommst fünfhundert und wirst nicht mehr ge-


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sehen. So habe ich dem >Vater der Prügel< befohlen, und was ich gesagt habe, das geschieht!«

»Noch nicht, noch nicht! Noch habe ich Arme und Hände, um mich zu wehren und dich zu zerreißen!«

Er wollte sich von den Schwarzen losmachen, um sich auf den Mudir zu werfen. Die Gehilfen des »Vaters der Prügel« aber besaßen Uebung. Sie drückten ihn nieder, hielten ihn fest, und im Handumdrehen wurde ihm ein Leder um Kopf und Kinn geschnallt, durch welches der untere Kiefer so fest gegen den oberen gezogen wurde, daß er ihn nicht bewegen und also auch nicht schreien konnte. Dann trugen sie ihn hinaus.

»Er bekommt, was er verdient,« meinte der unerbittliche Statthalter. »Wir werden als Zeugen dabeistehen.«

»Ich nicht,« antwortete ich. »Ich verzichte darauf, bei einem solchen Auftritt zugegen zu sein.«

»Besitzest du schwache Nerven? Die darf ein Beamter hier nicht haben, wenn er der Gerechtigkeit die Wege bahnen will. Ich zwinge dich nicht, zugegen zu sein. Warte hier, bis ich zurückkehre.«

»Bleib' noch einen Augenblick, O Mudir! Ich habe dir noch Wichtiges zu sagen.«

»Was?«

»Vertraue mir eine Schar Asaker und einige schnelle Boote an! Wir müssen uns beeilen, das Schiff Ibn Asls wegzunehmen, sonst entkommt er uns.«

»Ich habe nichts dagegen, doch mußt du der Arnauten wegen, die dich nicht sehen dürfen, noch einige Stunden warten. Wenn sie dich bemerken und dann ihren Sangak vermissen, ahnen sie den Zusammenhang. Ich befinde mich zu kurze Zeit hier, um kräftig genug gegen sie sein zu können. Nicht der Mudir hatte bisher


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hier zu befehlen, sondern sie waren es, welche durch die Angst, die sie einflößten, regierten. Ich werde sie zähmen, doch geht das nicht so schnell, wie ich es wünsche.«

»Aber wie willst du es anfangen, daß ich mit Militär absegele, ohne daß die Arnauten es bemerken?«

»Ich schicke sie fort. Flußabwärts, um Steuer einzutreiben, wozu sie sich mit großen Freuden bereitfinden lassen werden. Ich will den Befehl dazu sofort erteilen.«

Er entfernte sich durch die Thüre, durch welche der Sangak geschafft worden war. Ich ging zu der anderen, wo der Fischer noch stand, mit Ben Nils Anzug auf dem Arm. Mein Gefährte nahm denselben, um sich umzukleiden. Dann setzten wir uns wieder zu den Pfeifen, um rauchend die Rückkehr des Mudir zu erwarten.

Während wir so still dasaßen, hörten wir ganz deutlich die Hiebe, welche genau nach dem Takte im Nebenzimmer fielen. Sie wurden erst von einem Stöhnen begleitet, welches nach und nach leiser wurde und dann ganz aufhörte. Das Gefühl, welches ich dabei hatte, ist nicht zu beschreiben. Ich hätte den Mudir hassen mögen und mußte doch einsehen, daß seine eiserne Strenge hier ganz am Platz sei.

Als er zurückkehrte, nahm er bei uns Platz und brannte sich auch seine Pfeife an. Gesprochen wurde nicht. Er lauschte mit seitwärts gebogenem Kopfe auf das klatschende Geräusch, welches mir durch Mark und Bein fuhr. Endlich wurde die Thüre geöffnet; der »Vater der Prügel« steckte den Kopf herein und meldete:

»Fünfhundert!«

»Und der Sangak?« fragte der Mudir.

»Wird nicht mehr gesehen, o Gebieter.«

»Fort mit ihm!«


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Der Kopf des Schwarzen verschwand, und ich fragte:

»So ist der Arnaut tot?«

»Ja.«

»Wo wird er begraben?«

»Im Magen der Krokodile; die plaudern nichts aus. Jetzt wird der Baqquara an die Reihe kommen. Ich habe nach ihm geschickt. Ich versprach dir, ihn in deiner Gegenwart peitschen zu lassen. Dieses Mal bist du doch dabei?«

»Nein, ich danke.«

»Es ist nicht so schlimm, wie du denkst, Effendi. Nur dann, wenn der Betreffende nicht wiedergesehen werden soll, wird er so geschlagen, daß er daran sterben muß. Der Baqquara wird seine Hiebe in fünf Raten erhalten und dann zu seinem Stamm zurückkehren.«

»Ich bitte dennoch um Erlaubnis, fern bleiben zu dürfen!«

»Zwingen kann ich dich nicht. Horch, es beginnt bereits!« Die Schläge waren wieder zu hören. Da niemand sprach, mußte ich sie unwillkürlich zählen. Wie lange, wie unendlich lange dauerte es, bis der »Vater der Hiebe« seine »hundert« meldete! Und die hatte ein freier Baqquara, ein Verwandter des späteren Mahdi, bekommen! Er wurde in den Kerker zurückgeschafft, um die übrigen vierhundert in vier wöchentlichen Raten ehrlich verabreicht zu erhalten.

Nun erinnerte ich den Mudir an den Fischer, welcher noch immer auf seine hundert Piaster wartete. Er ließ ihn hereinkommen und fragte ihn:

»Erwartest du vielleicht, die Prämie zu bekommen, welche ich bekannt machen ließ?«

»Wenn deine Güte mir erlaubt, diese Hoffnung zu


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hegen, so thue ich es, o Gebieter,« antwortete der Mann in demütigem Tone.

»Meine Güte erlaubt dir nichts. Du hast nichts zu hoffen.«

»Aber ich habe dir doch den Effendi und auch Ben Nil gebracht!«

»Sie wären auch ohne dich gekommen. Ich stelle dir die Wahl: Entweder erklärst du, bezahlt zu sein, oder du bekommst fünfhundert. Was ist dir angenehmer?«

»Herr, ich bin bezahlt!«

»So kannst du gehen!«

Der »Vater der Fünfhundert« war ein Freund der Gerechtigkeit selbst auf die Gefahr hin, unmenschlich zu sein, aber den Beutel zu ziehen, das schien nicht zu seinen Passionen zu gehören! Der beste Mensch hat seine Schwächen! Der Fischer wendete sich zum Gehen, drehte aber unter dem Eingange den Kopf noch einmal um und fragte mich:

»Effendi, wirst du Wort halten? Ich bin ein armer Mann.«

»Was ist's? - Welches Wort sollst du halten?« fragte mich der Mudir.

»Ich versprach ihm, daß er die hundert Piaster bekommen werde,« antwortete ich, indem ich in die Tasche griff.

»Und da willst du sie ihm geben? Was fällt dir ein! Du bist mein Gast und hast nichts zu bezahlen. Hörtest du nicht, daß er sie erhalten hat?«

»Gehört habe ich es, aber nicht gesehen. Erlaube mir, sie ihm zu geben!«

»Nein! Wenn du darauf bestehst, so soll er sie von mir bekommen. Aber Geld habe ich nicht. Die Steuern werden in Gestalt von Tieren und Früchten entrichtet,


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und so kann ich auch nur in dieser Weise bezahlen. Er mag zu meinem Schäfer gehen und sich drei Schafe geben lassen. Und nun fort mit ihm!«

Als ich mich am nächsten Tage erkundigte, erfuhr ich zu meiner Befriedigung, daß der Mann die Schafe wirklich erhalten hatte. Er schien dessen auch jetzt schon ganz sicher zu sein, denn er bedankte sich durch drei tiefe Verneigungen, wobei sein Gesicht vor Freude glänzte.

Kaum war er fort, so wurde gemeldet, daß die Arnauten abgezogen seien. Ihr Ziel war die Gegend von Kuek. Wehe den armen Menschen, bei denen diese Soldaten einzogen, um die Steuer zu erheben! Es war nicht nur diese zu zahlen, sondern auch der ganze Unterhalt für die Arnauten zu liefern, und den hatten diese selbst zu bestimmen. Was da für Ungerechtigkeiten vorkommen, kann man sich denken. Gewöhnlich ergreifen die Bewohner, sobald sie hören, daß sich die Steuersoldaten nahen, mit Weib und Kind, mit Hab und Gut die Flucht, um erst dann wieder zurückzukehren, wenn sie erfahren, daß die Asaker wieder fort sind.

Nun wurde eine Anzahl von Segelbooten aufgetrieben, welche fünfzig wohlbewaffnete Soldaten aufnahmen. Natürlich schloß ich mich mit Ben Nil dieser ebenfalls verspäteten Expedition an. Als wir aufbrachen, war der Mittag schon vorüber. Gegen fünf Uhr langten wir bei den drei Armleuchtereuphorbien an - das Schiff war fort.

Ich ging an das Ufer, um dasselbe zu untersuchen, und fand die Spuren vieler Menschen, welche an Bord gegangen waren. Sie waren alle barfuß gewesen; ihre Anzahl war unmöglich zu bestimmen; die Zeit aber konnte ich mit ziemlicher Sicherheit erraten. Die Eindrücke waren wenigstens fünf Stunden alt. Das Schiff konnte nicht


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eingeholt werden, und wir mußten unverrichteter Sache nach Faschodah zurückkehren.

Nach diesem Fehlschlag hoffte ich wenigstens, daß mir etwas anderes gelingen werde, nämlich die Ergreifung der fünf Takaleh, welche die drei Händler überfallen und zwei von ihnen ermordet hatten. Der dritte war wieder hergestellt.

Schedid, ihr Anführer, war mit dem Sangak der Arnauten bekannt. Es stand zu erwarten, daß er sich in der Nähe von Faschodah verbergen und dann einen Boten an den Arnauten senden werde. Da dieser Bote jedenfalls sich direkt nach der ihm bekannten Wohnung des Arnauten begab, so konnte er am besten dort erwartet und ergriffen werden. Darum ersuchte ich den Mudir um die Erlaubnis, die Wohnung mit Ben Nil und dem dritten Händler beziehen zu dürfen, was mir auch sehr gern gewährt wurde. Hafid Sichar, den wir von den Takaleh befreit hatten, zog auch zu uns, da er sich von mir nicht trennen wollte. Dazu kamen einige Soldaten zu unserer Bedienung. Sie hatten den Eingang zu bewachen und erhielten den Befehl, jeden, der nach dem Sangak fragen werde, sofort zu mir zu bringen.

Es war am Spätabende des ersten Tages, als wir einzogen. Der nächste Tag verging, ohne daß der erwartete Bote eintraf, kaum aber war der dritte Tag angebrochen, so hörten wir es draußen klopfen, und der Erwartete kam. Er wurde zu mir geführt und war nicht wenig betroffen, anstatt den Sangak mich zu sehen. Ich sagte ihm, daß ich allerdings der fremde Effendi, keineswegs aber der Mudir von Dscharabub, noch viel weniger ein Senussi sei. Auch teilte ich ihm mit, daß ich es gewesen sei, der ihnen Hafid Sichar und den Scheik der Baqquara entführt hatte. Das machte ihn noch viel


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ängstlicher, und er wollte nicht mit der Sprache heraus. Als ich ihm aber mit der Bastonnade drohte und, da auch das nicht half, die Vorbereitung dazu treffen ließ, bequemte er sich, mir den Ort zu sagen, an welchem sich Schedid mit seiner Karawane befand. Es war derselbe, etwa eine Stunde von Faschodah liegende Wald, in welchem wir die Rückkehr unseres Boten erwartet hatten. Als ich dies dem Mudir meldete, stellte er mir fünfzig Soldaten seiner Garnison, keine Arnauten, zur Verfügung, um die Karawane aufzuheben. Wir marschierten ab und nahmen den Boten mit, damit er uns die betreffende Stelle, welche er uns nicht genau hatte beschreiben können, zeigen solle. Er hatte zwischen Ben Nil und Hafid Sichar zu gehen, welche ihm bedeuteten, daß sie ihn beim geringsten Versuch eines Verrates töten würden.

Die Vorsicht veranlaßte uns, einen Umweg zu machen. Es war anzunehmen, daß Schedid in der Richtung nach Faschodah aufpassen werde und also unsere Annäherung bemerken müsse, falls dieselbe in gerader Richtung geschehe. Wir schlugen also einen Bogen, um anstatt von Osten her von Süden auf den Wald zu treffen.

Als wir denselben erreichten, drangen wir unter den Bäumen langsam vor. Da zeigte es sich, daß es dem Boten, eben weil wir aus anderer Richtung kamen, unmöglich war, die Stelle, an welcher seine Genossen lagerten, zu finden. Wir blieben also halten, und ich allein ging rekognoscieren.

Der Zufall führte mich schnell nach dem richtigen Orte. Hinter Bäumen wohl versteckt, konnte ich die Karawane beobachten. Sie lagerte auf einem Platze, welcher für uns sehr günstig war, denn er wurde auf zwei Seiten von Büschen eingefaßt, welche uns eine unbemerkte Annäherung gestatteten. Ich holte meine Soldaten herbei


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und stellte sie hinter diesen Sträuchern auf. Dann machte ich mir den Spaß, allein eine kurze Strecke zurückzukehren und mich dann von der andern Seite offen der Karawane zu nähern. Die Takaleh sprangen, als sie mich sahen und erkannten, überrascht auf.

»Der Senussi, der Senussi, der Mudir von Dscharabub!« riefen sie aus.

Ich trat so furchtlos, als ob es keine Differenzen zwischen uns gegeben hätte, zu ihnen heran und grüßte sie.

»Du bist hier, hier in der Gegend von Faschodah?« fragte der Schedid mit finsterer Miene. »Wie kommst du denn hierher?«

»Auf meinem Kamele.«

»Wo ist dein Begleiter, der junge Chatib der Senussi?«

»In der Nähe.«

»Was wollt ihr denn in Faschodah? Du kommst mir verdächtig vor. Warum habt ihr uns nicht gesagt, daß ihr nach Faschodah wollet?«

»Weil ihr uns zwar nach unserer Herkunft, nicht aber nach dem Ziele unserer Reise fragtet.«

»Seid ihr erst jetzt hier im Walde angekommen?«

»Nein. Wir waren schon früher hier. Wir wohnen in der Stadt bei dem Sangak der Arnauten, oder vielmehr in seinem Hause.«

»Bei diesem? Du weißt, daß ich ihn kenne. Ich habe einen Boten an ihn gesandt. Ist er zu Hause?«

»Jetzt nicht mehr. Er befindet sich im Himmel oder in der Hölle.«

»Allah w' Allah! So ist er wohl gar gestorben?«

»Ja, gestern.«

»An welcher Krankheit?«

»An der Bastonnade.«

»O Allah, O Muhammed, o Prophet! Willst du


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mit deinen Worten sagen, daß er totgeprügelt worden sei?«

»Allerdings.«

»Ein Sangak der Arnauten! Totgeprügelt! Das kann doch nur auf Befehl des Mudirs geschehen sein, und der war ja sein Gönner - sein Freund!«

»Der frühere, ja, nicht aber der jetzige.«

»Giebt es denn jetzt einen andern?«

»Ja. Ali Effendi el Kurdi wurde abgesetzt, weil er den Sklavenhandel begünstigte. Der neue Mudir heißt zwar auch Ali Effendi, ist aber ein ganz anderer Mann. Er rottet die Sklavenhändler aus und wird Abu Hamsah Miah genannt, weil er jedem Sklavenfänger, den er ergreift, fünfhundert aufzählen läßt.«

»So stehe uns Allah bei! Unsere Berechnung ist zu schanden. Unser Bote müßte längst zurück sein. Es wird mir angst um ihn. Wenn der Mudir ihn ergreift, wird er sagen müssen, weshalb er nach Faschodah gekommen ist.«

»Das schadet nichts.«

»Nichts? Soeben sagtest du, daß jeder Sklavenfänger fünfhundert Hiebe bekomme, und wir sind doch hier, um Sklaven zu verkaufen.«

»Die habt ihr aber nicht gefangen, sondern sie sind das Eigentum eures Mek, der dich mit ihnen nach Faschodah sandte. Du mußt die Befehle deines Gebieters erfüllen. Uebrigens ist bei euch das Sklavenmachen ein Recht des Königs, welches der Mudir ihm nicht nehmen kann. Der letztere kann dich also nicht bestrafen, aber er wird dir verbieten, die Sklaven zu verkaufen.«

»Allah sei Dank, denn diese Worte erleichtern mein Herz; ich brauche nicht so um mich besorgt zu sein wie du um dich.«


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»Ich um mich? - Wieso?«

»Du bist nicht derjenige, für den du dich ausgabst. Erst als du fort warst, kamen mir verschiedene Punkte deiner Aussagen verdächtig vor, und je länger ich über dieselben nachdachte, desto sicherer erschien es mir, daß du nicht aus Dscharabub bist. Jetzt läufst du mir wieder in die Hände, und ich will die Wahrheit wissen. Belüge uns nicht abermals, sonst kenne ich genug Mittel, die Wahrheit aus dir heraus zu bringen!«

»Pah! Was kann dir daran liegen, genau zu wissen, wer ich bin!«

»Viel liegt mir daran, denn ich habe dir in meiner Leichtgläubigkeit, in meinem vorschnellen Vertrauen, Dinge mitgeteilt, welche eigentlich niemand außer uns wissen darf. Wenn du jener verdammte fremde Effendi wärst!«

»Hm! Das ist wahr; aber du kannst es nun nicht ändern.«

»Nicht ändern?« fragte er, mich mit einem betroffenen Blicke musternd. »Was soll das heißen?«

»Es heißt, daß ich allerdings jener >verdammte< Effendi bin.«

»Hund! Das wagst du mir zu sagen?!«

»Warum nicht! Ich sehe kein Wagnis dabei. Ich will dir sogar noch mehr sagen. Als wir von euch fort waren, verschwand der Baqquara, und auch ein Sklave Namens Hafid Sichar kam euch abhanden?«

»So ist es.«

»Diesen Hafid Sichar habe ich, während ihr schliefet, befreit; ich schnitt ihn von dem Seile los. Und den Baqquara nahm ich gefangen, um ihn in Faschodah bestrafen zu lassen. Er ist zu fünfhundert Hieben verurteilt, von denen er bereits hundert erhalten hat.«

»Welche Verwegenheit, mir das zu sagen!« rief


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Schedid aus, indem er beide Hände nach mir ausstreckte, als ob er mich ergreifen wolle. Er ließ sie aber wieder sinken, so perplex war er über meine vermeintliche Kühnheit. Ich fuhr unbeirrt fort:

»Das, was du mir über den Sangak mitteiltest, ist ihm freilich verderblich geworden, denn ich habe ihn angezeigt, worauf er die Bastonnade erhielt, an welcher er gestorben ist.«

»Du, also du bist schuld an seinem Tode! Und dessen rühmst du dich auch noch! Das soll auf der Stelle gerochen werden. Ich zermalme dich mit diesen meinen Fäusten!«

Er wollte mich jetzt in Wirklichkeit packen. Ich wich zurück und warnte ihn:

»Wage es nicht, mich zu berühren! Ich habe mich am Nid en Nil nur zum Scheine von dir besiegen lassen; im Ernste aber würdest du den kürzeren ziehen!«

»Es ist Ernst, vollständiger Ernst. Nun zeige mir den kürzeren, den ich ziehen soll!« schrie er, indem er auf mich eindrang.

»Ben Nil, herbei!« rief ich, indem ich dem riesigen Takaleh in raschen Wendungen auswich. Er drang mir immer ungestümer nach und achtete weder auf meine Worte noch auf das, was darauf geschah. Er hatte nur Augen für mich. Er hörte das Geschrei seiner Leute, bezog dasselbe aber auf seinen Kampf mit mir. Ich wich in der Weise vor ihm zurück, daß er den Seinen den Rücken zukehrte. Dabei stolperte er über eine Wurzel, und ich benutzte das, ihn zu packen und vollends niederzuwerfen. Er wollte wieder auf; ich hielt ihn aber fest, bis Ben Nil mit einigen Asakern herbeikam und ihn band.

Er knirschte vor Grimm. Seine Augen waren rot


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unterlaufen. Er hatte immer noch nur mich im Sinne und schrie mit heiserer Stimme: »Hund, du wagst es, mich zu binden! Der Tod des Sangak soll zehnfach über dich kommen!«

»Bist du denn plötzlich erblindete« antwortete ich ihm. »Sieh doch um dich, was geschehen ist! Wer soll dich denn frei machen? Etwa deine Leute?«

Die Takaleh waren vollständig überrumpelt worden. Unser Angriff war natürlich nicht auf die an das Seil befestigten Sklaven gerichtet, und es fiel diesen auch gar nicht ein, sich an dem kurzen Kampfe zu beteiligen. Und was die freien Krieger betraf, so hatten sie sich so wenig eines Ueberfalles versehen, daß sie leicht und schnell niedergerissen und entwaffnet worden waren. Sie bildeten jetzt eine enge Gruppe, um welche die Soldaten mit schußfertigen Gewehren standen. Als Schedid das sah, schrie er auf:

»Soldaten hier! Wir sind überfallen worden?! Lügner, Verräter, Betrüger! Ich glaubte, du seiest allein im Walde.«

»Das war sehr unklug von dir. Du wirst mir nach Faschodah zu dem Mudir folgen.«

»Was soll ich bei ihm? Du selbst hast mir ja soeben versichert, daß er mir nichts anhaben könne!«

»In Beziehung auf deine Absicht, diese Sklaven zu verkaufen, kann er dir allerdings nichts thun; aber es giebt einen anderen, weit triftigeren Grund, welcher mich veranlaßt hat, euch hier so freudig zu überraschen. Giebt es vielleicht einen oder mehrere unter euch, welche Goldstaub aus dem Dar Famaka bei sich tragen?«

»Goldstaub? Aus Famaka? Wir sind ja nie in jenem Lande gewesen,« antwortete er, indem er sichtlich verlegen wurde.


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»O man kann Thibr von dorther besitzen, ohne jene Gegend jemals gesehen zu haben. Man kann durch Tausch und auch durch Diebstahl oder durch Raub in seinen Besitz gekommen sein.«

»Was willst du damit sagen? - Ich verstehe dich nicht.«

»Ich will damit meine Ansicht aussprechen, daß fünf von euch solchen Staub bei sich tragen.«

Er erschrak, schwieg eine Weile und behauptete dann:

Ach weiß nichts davon.«

»So weiß ich mehr als du und werde dir diese fünf genau bezeichnen. Sind euch nicht nördlich vom Nid en Nil drei Händler begegnet, welche auf Eseln ritten?«

»Nein,« würgte er mühsam hervor.

»Lüge nicht! Du hast sie begrüßt und ausgefragt. Dann ließest du die Karawane vorausgehen und bliebst mit noch vieren bei den Händlern zurück, um sie zu ermorden, und wegen dieses Mordes bist du jetzt festgenommen worden.«

Und mich an seine Leute wendend, fuhr ich fort:

»Euer Anführer hat euch betrogen, ihr müßt zugeben, daß euch die drei Händler begegnet sind. Schedid erfuhr, daß sie viel Goldstaub besaßen, und beschloß, ihnen denselben abzunehmen. Er schickte euch voran und behielt nur vier bei sich, mit deren Hilfe er die Händler überfiel. Die fünf nahmen den Goldstaub an sich und haben euch jedenfalls die That verschwiegen, um nicht mit euch teilen zu müssen. War das kameradschaftlich gehandelt? Konnte nicht jeder von euch einen Anteil beanspruchen? Ihr wißt, wer die vier, welche mit dem Anführer zurückblieben, gewesen sind, und ich fordere euch auf, sie mir zu bezeichnen. Nur die Thäter trifft die Strafe; die


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andern können unbehelligt in ihre Heimat zurückkehren. Schweigt ihr aber, so macht ihr euch der That mit schuldig. Das gebe ich euch zu bedenken.«

Schedid versuchte den Folgen meiner Worte vorzubeugen, indem er in befehlendem Tone ausrief:

»Wir sind keine Räuber, keine Mörder. Wir haben keinen Händler getötet und besitzen keinen Goldstaub. Meine Leute sind mutige Takaleh, und keiner von ihnen wird sich erniedrigen, dir, dem Ungläubigen, eine Antwort zu geben.«

Die Takaleh waren vorhin bei meiner Rede unruhig geworden; sie hatten gegeneinander gemurrt; die Unschuldigen hatten im Begriffe gestanden, sich von den Schuldigen zu scheiden, das hatte ich wohl bemerkt. Jetzt aber gaben sie diese Absicht auf; sie sagten nichts und bewegten sich auch nicht von ihren Plätzen. Ich hatte den von uns geretteten Händler mitgenommen und ihm verboten, sich zunächst sehen zu lassen. Er stand noch hinter dem Gebüsch, und ich rief ihn jetzt herbei. Er erhob seine Stimme schon ehe er mich erreicht hatte:

»Effendi, sie sind da, alle fünf. Ich habe sie sogleich erkannt.«

Er deutete auf den Schedid und noch vier andere, die ich sofort auch binden ließ. Wir untersuchten ihre Taschen, fanden aber nichts. Da ließ ich mir ihre Kamele zeigen, um die Decken, Sättel und Sattelsäcke zu durchsuchen. Das war von Erfolg. Jeder hatte seinen Anteil auf schlaue Weise versteckt, doch wurde alles gefunden. Erst nun hielten die Unschuldigen es an der Zeit, sich zu erklären. Einer von ihnen nahm das Wort:

»Effendi, Allah weiß es, daß wir unschuldig sind. Verlange jeden Eid; wir sind bereit, ihn zu leisten. Wir wissen nichts von der That. Wir sind betrogen worden!«


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»Ich glaube dir und wiederhole meine Versicherung, daß euch nichts geschehen wird. Zwar muß ich auch euch zum Mudir bringen, doch wird er euch nicht festhalten. Nur wenn ihr euch weigert, mitzugehen, wird euch Strafe treffen.«

Ich hatte einen guten Grund, schon hier im Walde nach dem Goldstaube zu suchen und dies nicht später in Faschodah geschehen zu lasen. Wenn nämlich der Mudir den Staub in die Hände bekam, so stand zu erwarten, daß ein Teil davon, vielleicht gar alles in denselben kleben bleiben werde. Das wollte ich mit Rücksicht auf den armen Händler verhüten. Ich nahm denselben also, während zum Aufbruche gerüstet wurde, beiseite und fragte ihn:

»Kennst du vielleicht die Familien deiner beiden ermordeten Gefährten?«

»Natürlich kenne ich sie. Wir drei waren nahe verwandt und sind stets nur miteinander gereist. Du hast den Staub gefunden, Effendi. Was wird mit demselben geschehen? Besinnst du dich, daß du die Gnade hattest, mir zu sagen, daß ich wahrscheinlich wieder zu meinem Eigentum kommen werde?«

»Ja, ich weiß es. Ich halte dich für einen ehrlichen Mann, der seine Verwandten nicht betrügen wird. Hier hast du den Staub. Du wirst erfahren haben, wo eure drei Esel sich befinden; hole sie dir, und mache dich auf und davon, damit dir nichts genommen werde!«

Er hielt die fünf Päckchen in den Händen, blickte bald sie, bald mich an und fragte mit vor Glück zitternder Stimme:

Ast es möglich? Meinst du das wirklich so! Ich soll alles haben? Du willst nichts für dich behalten?«

»Nein. Ich habe kein Recht dazu, und wenn ich es hätte, würde ich nichts behalten.«


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»O, Effendi! Da sind die fünf Pakete; nimm wenigstens eins, nimm zwei!«

Er hielt sie mir hin.

»Ich wiederhole, daß ich nichts nehme.«

»Aber wie soll ich dir deine Güte vergelten? Ich weiß, daß der Mudir sehr zornig auf dich sein wird.«

»Mag er; ich mache mir nichts draus. Sorge nur dafür, daß er nicht etwa deiner habhaft wird!«

»O, er wird mich nicht zu sehen bekommen. Ich werde laufen, gleich jetzt laufen und nicht eher ausruhen, als bis ich weit, sehr weit von Faschodah entfernt bin. Allah segne dich! Du bist ein Christ, Effendi; wären doch alle Moslemim solche Christen!«

Er drückte meine Hand an seine Lippen und eilte fort. Es fiel ihm nicht ein, mit uns zurück zu marschieren, und ich nahm ihm das auch gar nicht übel.

Der Aufbruch verursachte dadurch einige Schwierigkeiten, daß Schedid sich sträubte, mitzugehen oder sich fortschaffen zu lassen. Er war zwar gefesselt, besaß aber eine so ungewöhnliche Körperstärke, daß er uns selbst in diesem Zustande zu schaffen machte. Er konnte nur durch Ben Nils Peitsche zur bessern Einsicht gebracht werden; dann gaben wir ihm die Füße frei und banden ihn mittels eines Strickes an den Schwanz eines Kameles. Wollte er sich nun nicht schleppen lassen, so mußte er wohl oder übel laufen.

Seine vier Mitthäter waren klug genug, sich fügsamer zu zeigen. Die übrigen folgten freiwillig, wie sie es versprochen hatten.

Unser Zug erregte, als wir in Faschodah ankamen, kein geringes Aufsehen. Alt und jung lief uns nach, bis wir hinter der Thüre des Mudirgebäudes verschwanden. Als ich dem »Vater der Fünfhundert« meine Meldung machte, war seine erste Frage nach dem Goldstaube, ganz


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so, wie ich es erwartet hatte. Wie fuhr er auf, und wie blickte er mich an, als ich ihm mitteilte, wem ich denselben gegeben hatte. Er wurde grob, ja sehr grob und beehrte mich mit verschiedenen Namen, für deren Wiedergabe ich kein Bedürfnis besitze; er rannte gestikulierend im Zimmer umher, blieb endlich vor mir stehen und schnaubte mich an:

»Ich werde diesen Händler holen lassen. Er ist ganz gewiß noch da, wo eure Kamele und Esel untergebracht wurden, zu finden. Ich lasse ihn arretieren; ich sperre ihn ein; er bekommt die Peitsche; ich muß den Goldstaub haben, - ich muß! Verstehst du mich!«

»Wenn der Mann aber schon fort ist?«

»So laß ich ihn verfolgen, und wenn ich ihm meine ganze Garnison nachschicken sollte.«

»Und wenn auch das vergeblich ist?«

»So jage ich dich zum Teufel; hörst du, dich!«

»Kommst du dadurch zu dem Golde?«

»Nein, leider nein! Aber ich habe dann doch wenigstens eine Rache, eine - - ah, Rache! Dabei fallen mir die fünf raubmordenden Takaleh ein. Wehe ihnen, wenn der Goldstaub nicht zu erlangen ist! Sie sollen es mir büßen, schwer büßen!«

Damit war sein Zorn von mir ab und auf Personen gelenkt, denen es mehr als mir zu gönnen war. Er befahl, die ganze Sippschaft, Schuldige und Unschuldige, einzusperren und auf das strengste zu bewachen, und sandte dann Boten aus, welche den Händler samt seinem Golde herbeischaffen sollten. Ich zog mich in das mir zugewiesene Gemach zurück und ließ mich nicht eher sehen, als bis er mich gegen Abend zu sich rufen ließ. Er war noch immer sehr erregt und knurrte mich an:

»Er ist fort, über alle Berge, dieser Hund, und mit


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ihm der Goldstaub, welcher in die Kasse der Regierung gehört. Kein Mensch kann erfahren, wohin er sich gewendet hat. Er hat die Esel abgeholt und ist dann verschwunden wie ein Tropfen, welcher in das Wasser fällt. Allah vernichte ihn! Ich werde aber eine Entschädigung haben. Was ich an Goldstaub eingebüßt habe, werden die Takaleh an Schlägen mehr erhalten; das wird mein Herz erquicken und meine Seele beruhigen. Ich habe nach diesen Hunden gesandt, um sie holen zu lassen. Ich will jetzt Gericht halten und du mußt als Zeuge dabei sein. Komm!«

Er führte mich hinab in den Hof, wo sämtliche Takaleh unter militärischer Bewachung aufgestellt waren. Ben Nil und Hafid Sichar waren auch schon da. In einer Ecke stand ein barrenartiges Gestell, dessen Seitenteile durch breite Gurte und schmale Riemen mit Schnallen verbunden waren. Neben demselben lag ein Haufen fingerdicker Stöcke, und daneben saß der »Vater der Prügel«. Dies sagte mir, welchem freundlichen Zwecke das Gestell gewidmet sei. Das zahlreich anwesende Publikum nahm über die Hälfte des Hofes ein.

Es würde überflüssig sein, die »Gerichtsverhandlung« zu beschreiben. Schedid wurde mit seinen vier Mitschuldigen verurteilt zu »fünfhundert Hieben und dann nicht mehr sehen zu sein«. Die übrigen wurden freigesprochen, erhielten aber dafür, daß sie mit den Raubmördern eines Stammes waren, durch die Bank weg jeder zehn Hiebe zudiktiert, auch die Sklaven nicht ausgenommen. Diese letzteren wollten auf keinen Fall in ihre Heimat zurückkehren, wo sie die Gewißheit erwartete, doch noch einmal verkauft zu werden. Sie fragten mich um Rat, und ich verwies sie auf den Reïs Effendina, dessen Ankunft bald zu erwarten war. Er brauchte Leute


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zur Aufbringung der Sklavenjäger, und da die Takaleh den Ruhm tapferer Leute besitzen, so hegte ich die Ueberzeugung, daß er sie engagieren werde.

Als der Richterspruch gefällt worden war, begann der »Vater der Prügel« seine Arbeit. Die Takaleh wurden, einer nach dem andern, auf die erwähnte Stellage geschnallt, und jeder bekam seine zehn Streiche aufgezählt. Die dabei nötige Arbeit wurde so fabrikmäßig vollführt, und die Delinquenten nahmen ihre zehn mit - wie Uhland sagen würde - einem so schlichten Heldentume hin, daß mir das Zusehen beinahe eine spaßhafte Unterhaltung war. Als dann aber der erste Raubmörder eingeschnallt wurde, entfernte ich mich. Zehn oder fünfhundert Hiebe, das ist ein Unterschied. -

Der Reïs Effendina war wider Erwarten in Chartum und auch unterwegs aufgehalten worden. Er hatte sich so verspätet, daß er erst am sechsten Tage meines Aufenthaltes in Faschoda ankam. Er engagierte die Takaleh und versah sein Schiff mit Munition und frischen Vorräten. Dann begannen wir die Fahrt, von der wir erwarteten, daß sie uns sicher zum Ziele führen werde. Leider war der Vorsprung von sechs Tagen, welchen Ibn Asl vor uns hatte, nicht so leicht und schnell, wie wir gern wünschten, einzuholen. - - -


Kapitel 5


Einführung zu "Im Lande des Mahdi"


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