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Sechstes Kapitel. Gerettete Millionen.

Der Ritt, den wir vorhatten, hieß unsern Pferden sehr viel zumuten; aber sie konnten es nicht besser haben als die Herren. Sie hatten im Pueblo ausruhen können, während wir gezwungen gewesen waren, wach zu bleiben. Dann hatten wir unterwegs am Berge, wo wir von den Indianern der Jüdin überfallen werden sollten, nur ganz wenig geschlafen, heute wieder gar nicht, und ob wir bei der Eile, welche notwendig war, in nächster Nacht zur Ruhe kommen würden, das fragte sich auch noch. Der Regen hatte sein Unangenehmes, doch auch seinen Nutzen. Er durchnäßte uns, hielt aber die Pferde frisch; die Reiter fühlten sich freilich etwas zu sehr erfrischt und befanden sich nicht so recht bei guter Stimmung. Wenn die Witterung schon auf den Stubenhocker einen solchen Einfluß ausübt, daß er bei schönem Wetter sich in guter, bei schlechtem Wetter aber in weniger angenehmer Laune befindet, so kann man sich denken, daß Leute, die in der Wildnis direkt dem Sturme und Regen ausgesetzt sind, diesen Einfluß auch wohl kennen lernen. Darum ritten wir still und ziemlich verdrossen hinter dem Apatschen her, welcher trotz des Regens, bei dem man während der


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Nacht nicht fünf Schritte weit zu sehen vermochte, nicht ein einzigesmal anhielt, um sich zu orientieren. Um mich zu erinnern, daß er sich überhaupt einmal verirrt habe, wenn er gesagt hatte, daß er die Gegend kenne, hätte ich wohl sehr lange und doch vergeblich nachdenken können.

Als es Tag wurde, befanden wir uns auf einer weiten Prairie. Winnetou deutete nach links, nach Osten, und sagte:

»Dort drüben giebt es, doch eine halbe Stunde entfernt, den Weg, welchen wir gestern geritten sind, ehe wir unsern Bruder Dunker trafen. Nun ist es hell, und wir wollen schneller reiten.«

Wir thaten dies nicht übermäßig, nämlich so, daß wir in einer Stunde eine gute deutsche Meile zurücklegten. Zu unserer Genugthuung ging am Vormittage der Wind zur Ruhe; der Regen hörte auf; die Wolken zerteilten sich und wurden von der Sonne dann ganz vertrieben. Die Wärme that uns wohl; der Regen hatte seine Schuldigkeit gethan, indem unsere Spuren von ihm ausgelöscht worden waren. Noch lange vor der Mittagzeit deutete Winnetou abermals nach Osten, wo wir nichts sahen, und sagte:

»Eine Stunde von hier liegt der Wald, an dessen Rande wir den Häuptling der Nijoras trafen. Meine Brüder werden zugeben, daß wir sehr gut geritten sind.«

Der östlich von uns gelegene Wald schien sich nach Süden herumzuziehen, denn wir sahen ihn bald darauf in dieser Richtung vor uns liegen. Wir erreichten ihn, ritten wohl bis Mittag durch und hielten am jenseitigen Rande an, um die Pferde verschnaufen zu lassen. Nachdem sie fast zwei Stunden lang ausgeruht und gegrast hatten, setzten wir den Ritt fort, doch nicht mehr in der


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bisherigen Richtung, denn Winnetou wendete sich südöstlich. Ueber die Ursache befragt, antwortete er:

»Wir sind weit vorangekommen und haben nun nicht mehr zu befürchten, daß die Mogollons heute auf unsere Spur treffen werden; darum lenke ich jetzt nach dem Wege hinüber ein, den sie einschlagen müssen, denn es kann von Nutzen sein, daß meine Brüder ihn kennen lernen.«

Wenn hier das Wort Weg gebraucht wird, so ist natürlich niemals ein gebahnter Pfad gemeint. Wir kamen jetzt über eine Hochsteppe, auf welcher es viel Sand und Gestein und nur wenig Gras gab. Zuweilen gelangten wir an eine Höhe, welche wir umritten; wirkliche Berge waren nicht zu sehen, obgleich wir nordwestlich das Mogollongebirge und nordöstlich die Sierra Blanca im Rücken hatten. Wir bewegten uns eben, ohne daß wir es bemerkten, abwärts, dem Gebiete des obern Gila zu, ohne aber einen Wasserlauf anzutreffen.

Erst gegen Abend deutete eine kleine Hochprairie an, daß wir in eine feuchtere Gegend gelangten. Bald sahen wir einzelnes Buschwerk; am Fuße einer Anhöhe rieselte Wasser aus der Erde, und es gab da einen Platz, welcher gar nicht geeigneter zum Lagern sein konnte.

»Halten wir hier?« fragte Emery.

»Nein,« antwortete Winnetou.

»Aber wir können doch die Pferde tränken!«

»Das wird Winnetou nicht verwehren; dann aber reiten wir weiter, um noch vor Einbruch der Dunkelheit durch den Wald zu kommen, welchen ihr dort im Süden liegen seht - uff! Schnell von den Pferden herab.«

Da er von dem südwärts liegenden Walde sprach, hatte er, gerade so wie wir, seine Augen dorthin gerichtet; da sahen wir fünf Reiter, welche auf die Stelle zukamen,


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an der wir uns befanden. Sie hatten uns jedenfalls noch nicht bemerkt, denn sie waren noch sehr entfernt von uns, und wir hielten im Gebüsch, welches die Quelle umgab. Wir sprangen von den Pferden und nahmen die Gewehre zur Hand, obgleich wir vor den wenigen Menschen keine Sorge zu haben brauchten. Hinter dem Gesträuch versteckt, erwarteten wir sie.

Sie ritten sehr gute Pferde, hatten keine Gewehre, dafür aber, wie es schien, volle Proviantbeutel hinter sich aufgeschnallt.

»Kundschafter,« sagte ich infolgedessen.

»Der Nijoras,« nickte Winnetou dazu. »Sie tragen keine Farben, doch können sie zu keinem andern Stamme gehören. Sie sind unsere Freunde, dennoch müssen wir ihnen eine Lehre geben.«

Er hatte recht. Kundschafter müssen zehnfach vorsichtig sein. Und diese? Selbst als sie nahe genug gekommen waren, bemerkten sie nicht, daß Leute sich an der Quelle befanden. Uns selbst zwar konnten sie nicht sehen, aber wir waren doch zuletzt über grünes Land gekommen, und für ein scharfes Auge war unsere Fährte trotz der Niedrigkeit des Grases wie ein dunkler Strich zu sehen. Wenigstens das durfte ihnen nicht entgehen. Sie aber kamen in einer so sichern Haltung heran, als ob sie sich in der nächsten und sichern Umgebung ihres Lagerdorfes befänden. Als sie noch ungefähr zwanzig Schritte entfernt waren, steckten wir unsere Gewehre durch die Büsche, und Winnetou rief ihnen in dem Dialekte, welchen die Mogollons sprechen, entgegen:

»Halt! Keinen Schritt vorwärts, und aber auch keinen zurück, sonst schießen wir!«

Sie parierten erschrocken ihre Pferde und starrten ratlos auf das Gebüsch.


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»Wer von euch sein Pferd wendet, erhält die erste Kugel!« drohte Winnetou. »Steigt ab und werft eure Messer weg!« Sie sahen unsere Läufe; ich hatte sogar alle beide Gewehre vorgestreckt. Da fragte der eine:

»Wer ist's, der hinter den Sträuchern verborgen steckt?«

»Wir sind zehn tapfere Krieger der Mogollons. Wir haben sehr gute Gewehre. Ihr seid verloren, wenn ihr nicht gehorcht! Ihr könnt weder vorwärts noch zurück; unsere Kugeln treffen sicher!«

»Uff! Der große Manitou hat uns verlassen. Er will, daß wir Gefangene der Mogollons werden sollen; aber unsere Brüder werden uns befreien!«

Der Sprecher stieg vom Pferde, zog sein Messer und warf es hinter sich; die andern folgten seinem Beispiele. Nun standen sie vor ihren Pferden und warteten ergeben auf das, was ihre Feinde thun würden, da trat Winnetou vor. Er hielt sein Gewehr, aber gesenkt, in den Händen und sagte in strafendem Tone:

»Sind Leute, welche dem Tode so blind entgegenlaufen, Krieger zu nennen? Sind sie gar als Kundschafter zu gebrauchen?«

»Uff, Uff!« rief einer. »Winnetou, der Häuptling der Apatschen!«

»Ihr sollt erkunden, was die Mogollons thun und haltet die Augen verschlossen, und reitet so blind vorwärts!«

»Wir wissen, daß die Mogollons erst in drei Tagen ausziehen wollen,« suchte er sich zu entschuldigen.

»Ist das ein Grund, blind zu sein? Wenn auch die Scharen der Mogollons noch nicht hier sein können, so müßt ihr doch daran denken, daß sie auch Kundschafter aussenden. Ihr handelt wie Knaben, welche noch keine


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Anleitung erhalten haben. Wenn wir wirklich Feinde wären, so würdet ihr nie zu den Eurigen zurückkehren; wir würden euch erschießen, oder ihr müßtet mit uns gehen, um an dem Marterpfahle zu sterben.«

»Unser großer Bruder mag uns augenblicklich töten! Das ist besser, als die Worte zu hören, welche er zu uns spricht!«

Das war nicht etwa eine Redensart, sondern sein voller Ernst. Von Winnetou, dem weltberühmten Krieger, auf einer solchen Nachlässigkeit ertappt und zurechtgewiesen zu werden, noch dazu als Kundschafter, das war eine große Schande! Die armen Teufel blickten außerordentlich niedergeschlagen zu Boden. Das erbarmte den Apatschen, und er antwortete in milderem Tone:

»Winnetou ist nicht euer Häuptling; er will euch nicht schelten, sondern euch nur darauf aufmerksam machen, daß man, auch im Frieden, selbst in der Nähe des eigenen Zeltes stets die Augen offen zu halten hat. Wer hat euch auf Kundschaft gesandt?«

»Der schnelle Pfeil, unser Häuptling.«

»Hat er jemand mitgebracht?«

»Ein junges Bleichgesicht und einen weißen Gefangenen, den unsere Krieger sehr streng bewachen müssen.«

»Wißt ihr, wer ihm diese übergeben hat?«

»Ja,«

»So wißt ihr auch wohl, wer sich hier bei mir, da hinter den Büschen befindet?«

»Old Shatterhand und noch ein sehr tapferer weißer Krieger.«

»Du hast richtig geraten. Es ist außerdem noch ein Krieger bei uns, der es versteht, die verborgensten Pfade zu finden. Hebt eure Messer wieder auf, und kommt mit euern Pferden zu uns zum Wasser!«


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Sie folgten der Aufforderung. Als sie uns drei andern sahen, grüßten sie mit ehrfurchtvollen Handbewegungen und standen mit gesenkten Blicken, erwartend, wie wir sie empfangen würden. Sie waren beschämt; ich wollte sie aufrichten, reichte also einem nach dem andern die Hand und sagte:

»Meine Brüder sind uns willkommen; sie mögen sich zu uns setzen und uns sagen, welche Weisungen sie von ihrem tapfern und klugen Häuptlinge erhalten haben!«

Mein freundlicher Ton und der Umstand, daß Emery und Dunker ihnen auch die Hände gaben, wirkten ermunternd auf sie. Sie gaben ihre Pferde zum Grasen frei, und der Sprecher antwortete für sich und die übrigen:

»Unsere Augen erblicken die tapfersten Jäger und Krieger, deren Ruhm in dem Gebirge und auf der Savanne erschallt; wir dürfen nicht an ihrer Seite lagern; sie mögen uns gestatten, uns fern von ihnen an das Wasser zu setzen, um ihre Angesichter zu schauen und die Weisheit ihrer Stimmen zu hören!«

»Meine Brüder werden bald auch berühmte Männer sein; sie mögen immer nahe bei uns sitzen, sonst würden wir annehmen, daß sie uns als Feinde betrachten!«

Jetzt durften sie sich nicht länger weigern. Wir nahmen am Wasser Platz, und sie setzten sich in der ehrerbietigen Entfernung von mehreren Schritten uns gegenüber. Winnetou wiederholte meine Frage nach dem Auftrage, den sie von ihrem Häuptlinge erhalten hatten. Derjenige, welcher bisher gesprochen hatte, erklärte:

»Der schnelle Pfeil hat uns keine besonderen Befehle gegeben. Wir sollen nach dem weißen Felsen reiten oder, wenn die Mogollons schon aufgebrochen sein Sollten, sie zu finden suchen und ihm Nachricht über sie erteilen.«


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»Sollt ihr beisammen bleiben?« erkundigte ich mich.

»Ja. Es soll nur immer einer von uns die Nachricht überbringen, sodaß, bis die Mogollons das dunkle Thal erreichen, nacheinander fünf Botschaften dort angekommen sind.«

»Die Boten gehen nur bis zum dunklen Thale, und nicht bis in euer Lagerdorf?«

»Ja. Der Häuptling wartet dort.«

»Mit vielen Kriegern?«

»Jetzt noch mit wenigen; die andern sind noch zurück, um Fleisch zu machen und ihre Kriegsmedizinen herzustellen. Der schnelle Pfeil sagte, daß unsere berühmten Krieger vielleicht kommen und mit uns kämpfen würden.«

Da er mich bei diesen Worten fragend ansah, antwortete ich:

»Wir sind allerdings unterwegs zu den Söhnen der Nijoras. Wir wollten euch Nachricht bringen, und euch unser Wissen und unser Können leihen, denn wir haben mit dem schnellen Pfeile die Pfeife der Freundschaft geraucht. Nun wir aber euch getroffen haben, ist es vielleicht nicht nötig, daß wir nach dem dunklen Thale gehen. Es kann einer von euch gleich jetzt zurückkehren, um dem Häuptlinge das zu melden, was wir ihm zu sagen haben; die andern vier aber werden bei uns bleiben, um uns später als Boten an ihn zu dienen. Wir wenden unsern Weg und reiten wieder nach Norden, um die Mogollons aufzusuchen und zu belauschen. Wieviel Krieger zählt ihr, wenn ihr alle beisammen seid?«

»Viermal hundert.«

»Wenn ich richtig beobachtet habe, erreichen die Mogollons nicht diese Zahl. Ich kenne das dunkle Thal, in welchem sie empfangen werden sollen, nicht, aber wenn


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der schnelle Pfeil diesen Ort als Platz des Kampfes gewählt hat, so muß er sich wohl dazu eignen.«

»Er eignet sich sehr gut, aber nicht unter den gegenwärtigen Umständen. Die Mogollons wollen sich dort auch festsetzen; sie werden also Kundschafter voraussenden, welche die Gegend ganz genau absuchen müssen; darum ist es besser, sie schon vorher anzugreifen, wenn sie noch nicht erwarten, auf den Feind stoßen zu können.«

»Kennst du einen solchen Ort?« fragte ich.

»Ja. Es ist eine Stelle, welche die >Platte des Cañons< genannt wird und zwei Reitstunden vor dem dunklen Thale liegt. Die Platte ist ein Dreieck, dessen Boden aus hartem Felsen besteht. Die eine Seite bildet ein tiefer Cañon, dessen Wände so steil sind, daß niemand hinuntergelangen kann. Auf der andern Seite steigt der Felsen hochauf wie eine Mauer, über welche man zwar klettern kann, aber kein Reiter kommt hinüber. Auf die Platte gelangt man durch einen rasch ansteigenden Hohlweg, der so schmal ist, daß nur zwei Reiter nebeneinander Platz haben. Ist man oben angekommen, so hat man den tiefen Cañon rechts neben sich, die Felsenhöhen schräg vor sich und zur linken Hand die dritte Seite des Dreiecks. Diese besteht aus einem Walde, dessen Saum sehr dicht mit Büschen bewachsen ist. Wer von der Platte hinab will, muß am Cañon hinreiten bis dahin, wo die Felsenmauer sich ihm zuneigt. Zwischen ihm und ihr mündet ein zweiter, ebenso schmaler Pfad, welcher jenseits hinab und dann nach dem dunklen Thale führt. Mein Bruder Scharlieh wird zugeben, daß die Platte sich außerordentlich gut zur Einschließung und Bezwingung der Feinde eignet.«

»Ich stimme bei,« antwortete ich. »Ich kenne weder die Platte noch das dunkle Thal, weiß also nicht, welchem


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von beiden Orten der Vorzug gebührt; aber wenn mein roter Bruder die erstere empfiehlt, so bin ich überzeugt, daß sie sich besser als das letztere eignet. Welchen Vorschlag in Beziehung auf unser Verhalten wird Winnetou uns nun machen?«

»Es geht einer von den Nijorakriegern, welche hier sitzen, zu seinem Häuptlinge zurück, um ihm zu sagen, daß die Mogollons nicht im dunklen Thale, sondern auf der Platte des Cañons empfangen werden sollen. Er hat ihnen also bis dorthin entgegenzurücken und die Hälfte seiner Krieger im Walde, die andere Hälfte aber hinter den hohen Felsen zu verstecken.«

»Dann dürfen die Leute aber nicht beritten sein.«

»Nein; sie lassen die Pferde unter der Aufsicht einiger Männer zurück. Die andern dreihundert ersteigen die Platte, wo sie sich teilen; hundertfünfzig verstecken sich im Walde, und hundertfünfzig verbergen sich hinter der Felsenmauer, welche sie ersteigen können, weil sie zu Fuße sind. Dann haben die Mogollons, wenn sie auf die Platte gelangen, links Feinde neben sich, vor sich auch Feinde und rechts den tiefen Cañon, in welchen sie nicht fliehen können.«

»Richtig! Wenn sie vorwärts gehen, reiten sie in ihr Verderben; aber - können sie nicht etwa zurück, den Hohlweg hinab?«

»Nein, das können sie nicht.«

»Warum?«

»Das fragt mein Bruder? Sollte er den Grund nicht erraten?«

»Ich kann es mir allerdings denken, denn Winnetou hat von dreihundert Kriegern der Nijoras gesprochen, während doch, wie wir vorhin erfahren haben, vierhundert vorhanden sind. Das vierte Hundert soll also wahrscheinlich


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sich unten vor dem Hohlwege verstecken, um dafür zu sorgen, daß die Mogollons, wenn sie einmal hinauf sind, nicht wieder zurück, also nicht wieder herunter können.«

»Mein Bruder hat mich verstanden; aber meint er, daß die hundert sich erst kurz vor der Ankunft der Feinde dort verstecken sollen?«

»Nein; sie könnten durch ihre Spuren verraten werden. Uebrigens denke ich, daß es von großem Vorteil sein würde, wenn wir sie bei uns haben könnten.«

»Das ist es, was ich meine. Wir reiten jetzt doch zurück, um die Mogollons zu beobachten. Da lassen wir dem schnellen Pfeile sagen, daß er uns die hundert Krieger nachsenden soll. Wir können sie vielleicht sehr gut brauchen.«

»Ich stimme bei. Aber sie dürfen nicht etwa den Weg reiten, auf welchem die Mogollons kommen werden; denn sie kämen dabei in die Gefahr, unerwartet auf diese zu stoßen oder wenigstens sich ihnen durch die Spuren zu verraten.«

»Das ist auch sehr richtig. Sie müssen einen andern Weg einschlagen.«

»Und wir haben ihnen einen Ort anzugeben, an welchem wir sie treffen wollen.«

»Daran habe ich auch schon gedacht.« Und zu den fünf Nijoras gewendet, fragte er: »Ist meinen roten Brüdern der Pinun-Tota bekannt?«

»Ja,« antwortete derjenige, welcher bisher den Sprecher gemacht hatte. »Der Pinun-Tota ist eine Höhe, welche viele Windungen wie eine Schlange macht; daher wurde sie der Schlangenberg genannt.«

»Dorthin soll der schnelle Pfeil die hundert Krieger senden, und zwar gleich nachdem der Bote bei ihm angekommen ist. Habt ihr alles verstanden, was ich sagte?«


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»Ja.«

»So mag einer von euch als Bote aufbrechen, um den Häuptling zu benachrichtigen!«

Da Winnetou mit seinen Mitteilungen fertig zu sein schien, fügte ich hinzu:

»Der Bote mag dem schnellen Pfeil sagen, daß die Mogollons schon unterwegs sind. Es ist also keine Zeit zu verlieren. Wir werden hinter ihnen herkommen, sobald wir auf eure hundert Krieger gestoßen sind, und ihnen, sobald sie die Platte des Cañons erreicht haben, den Rückweg verlegen. Wie heißt der Ort, an welchem wir uns jetzt befinden?«

»Die Quelle des Schattens.«

»So muß der Häuptling erfahren, daß ihr uns an der Quelle des Schattens getroffen habt, damit er die Zeit genau zu berechnen vermag. Auch muß ich ihn daran erinnern, daß er den Gefangenen, den ich ihm übergeben habe, ja sehr scharf bewachen lassen möge. Wenn er entkäme, würde es uns jedenfalls viele Mühe machen, ihn wieder zu ergreifen. Wie weit ist es übrigens von hier aus nach dem Schlangenberge?«

»Mit unsern Pferden würden wir nur drei Stunden reiten,« antwortete Winnetou.

»In welcher Richtung?«

»Nordöstlich.«

»Und wir kommen aus Nordwesten. So liegt der Schlangenberg von hier aus also wohl in der Richtung nach dem Pueblo, in welchem wir gewesen sind?«

»Ja.«

»Und Jonathan Melton will mit fünfzig Kriegern nach dieser Richtung reiten, um uns abzufangen. Hm! Da kommt mir ein Gedanke. Wie weit ist es nach dem dunklen Thale, wo sich der schnelle Pfeil befindet?«


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»Man kann es in fünf Stunden reiten.«

»So brechen wir sofort nach dem Schlangenberge auf. In fünf Stunden ist der Bote bei seinem Häuptlinge; eine Stunde rechne ich auf die Vorbereitungen zum Aufbruche der hundert Nijoras; sie können also in elf Stunden hier an der Quelle des Schattens und in vierzehn Stunden bei uns am Schlangenberge sein.«

»Warum wünscht mein Bruder eine solche Eile?« fragte Winnetou.

»Weil es dann möglich ist, Jonathan Melton mit seinen fünfzig Begleitern zu fangen.«

»Da müßten wir ihm bis an das Pueblo nachreiten,« bemerkte Emery.

»Wieso? Du meinst, daß er dorthin reitet?«

»Natürlich! Er will uns fangen; er reitet uns entgegen, und da er uns nicht trifft, wird er bis zum Pueblo reiten und dort freilich erfahren, daß wir längst fort sind. Wenn er dann umkehrt, sind wir mit den Mogollons fertig und können ihn erwarten. Erst dann werden wir ihn fassen können, eher aber nicht.«

»Du hast die Jüdin vergessen.«

»Diese? Hm! Die ist höchst wahrscheinlich nach dem Pueblo zurück.«

»Das glaube ich nicht. Eher nehme ich an, daß sie nach dem weißen Felsen ist.«

»So denkst du also, daß ihre Begleiter sie gefunden haben?«

»Ganz gewiß. Sie hatte sich vorgenommen, Melton nachzureiten; sie war nicht nur schon unterwegs, sondern es gab auch zwei triftige Gründe für sie, nicht zurückzukehren. Erstens hatte sie einen so guten Teil des Weges bereits zurückgelegt, daß der Rückweg ebenso weit gewesen wäre, wie der Weg nach dem weißen Felsen.


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Und zweitens weiß sie ganz genau, daß wir zu Melton wollen. Es ist ihr angst um ihn; sie wird ihn unbedingt warnen wollen. Darum nehme ich an, daß sie ihren Ritt fortgesetzt hat und nicht umgekehrt ist.«

»Nun, und weiter?«

»In diesem Falle trifft Melton unterwegs mit ihr zusammen. Er erfährt, daß wir nach dem weißen Felsen sind, und wird schleunigst umkehren, um den Mogollons das mitzuteilen. Giebst du mir da recht oder nicht?«

»Hm, ich möchte dir da freilich nicht widersprechen. Weiter!«

»Wenn meine Ansicht richtig ist, so können wir Melton noch treffen, ehe er die Mogollons erreicht hat. Sind dann die hundert Krieger der Nijoras bei uns, so können wir ihn und seine fünfzig Roten mit Leichtigkeit abfangen. In diesem Falle haben wir zwei Vorteile errungen: Die Mogollons sind um fünfzig Mann geschwächt, und Melton befindet sich in unserer Hand.«

»Das klingt ganz schön, und du magst auch, was dir ja meist passiert, vollständig recht haben; ob aber das, was du Vorteile nennst, auch welche sind, das möchte ich doch bezweifeln. Denn wenn wir die fünfzig Mogollons fangen, so haben wir nicht etwa nur die Feinde, sondern auch uns selbst geschwächt, weil wir eine tüchtige Anzahl von uns zur Bewachung der fünfzig Gefangenen abgeben müssen.«

»Gut, zugestanden. Und was noch?«

»Und welchen Vorteil bringt es uns, wenn wir Jonathan Melton einen Tag früher bekommen? Wenn wir ihn morgen noch laufen lassen, wird er mit den Mogollons nach der Platte des Cañons reiten und dort mit ihnen von uns eingeschlossen werden. Das ist doch viel besser, als wenn wir ihn und seine Fünfzig einen


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Tag eher bekommen, uns aber wegen ihrer Bewachung schwächen und abmühen müssen.«

»Was du da vorbringst, das hat allerdings Hände und Füße; aber ob dieser Mensch wirklich mit nach der Platte reitet, wenn er seine Jüdin bei sich hat, das ist nicht so gewiß, wie du es annimmst. Er ist uns so oft entschlüpft, daß ich zugreife, je eher es möglich ist.«

»Aber du hast selbst zugegeben, daß wir uns dadurch schwächen!«

»Nicht so sehr, wie du denkst. Hundert Kriegsgefangene, die man entwaffnet hat, kann man recht gut mit dreißig Mann bewachen. Da bleiben uns immer noch siebzig Krieger.«

»Und du denkst, daß dieselben ausreichen?«

»Mehr als genug. Unsere Aufgabe ist ja nur, die Mogollons, wenn sie auf der Platte angekommen sind, an der Rückkehr zu hindern. Da ihnen die Flucht nur durch einen Hohlweg möglich ist, welcher die Breite von zwei Reitern hat, könnten, wenn es Ernst würde, von uns höchstens sechs Mann, nie aber siebzig zum Schusse kommen. Ich kenne die Oertlichkeit nicht, aber nach der Beschreibung, welche Winnetou uns von derselben gegeben hat, mache ich mich anheischig, den Hohlweg mit zehn oder zwölf Mann gegen alle Mogollons zu verteidigen. Von der großen Schwächung unserer Kräfte kann also keine Rede sein.«

»Mein Bruder hat gut gesprochen,« stimmte mir Winnetou bei.«Wir werden sogleich nach dem Schlangenberge reiten, und die Krieger der Nijoras mögen uns schleunigst dorthin nachkommen. Vielleicht werden wir dem schnellen Pfeile noch einen oder einige Boten senden; er mag dann genau das thun, was wir ihm sagen lassen.«


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Die Worte des Apatschen waren entscheidend. Einer der Nijoras ritt fort, um seinem Häuptlinge die ihm anvertrauten Weisungen zu übermitteln.

Es mag auffällig erscheinen, daß ich noch nichts von der Tasche erwähnt habe, welche ich aus Meltons Zelt geholt hatte. Ich war allerdings außerordentlich neugierig, den Inhalt derselben zu sehen; aber es widersprach mir, sie zu öffnen, ohne daß der rechtmäßige Besitzer gegenwärtig war. Meine Begleiter schienen ebenso zu denken, denn sie hatten bisher geschwiegen. Jetzt aber, als die Pferde tranken und wir unbeschäftigt bei ihnen standen und auf sie warteten, sagte der lange Dunker: »Sir, wir denken an alles und haben für alles gesorgt. Eins aber haben wir vergessen, und das eine ist doch gerade die Hauptsache.«

»Was?« fragte ich.

»Die Brieftasche. Wir hätten sie doch öffnen sollen.«

»Ihr Inhalt geht uns nichts an.«

»Das ist richtig; aber Ihr hättet doch wenigstens nachsehen sollen, ob Ihr nicht vielleicht eine falsche Tasche erwischt habt. Melton kann sein Geld an einen ganz andern Ort versteckt haben.«

»Hm! Diese Möglichkeit ist allerdings vorhanden.«

»Wenn Ihr das eingesteht, so ergiebt sich daraus die Notwendigkeit, wenigstens einmal nachzusehen, ob Ihr nicht vielleicht einen nutzlosen Fang gemacht habt.«

»Ich möchte aber gern dem Besitzer sagen können, daß wir die Tasche nicht geöffnet haben.«

»Warum? Mister Vogel wird uns doch nicht etwa für Spitzbuben und Halunken halten? Seid doch gescheit, und guckt hinein! Wenn ich eine Nuß in der Tasche habe, so will ich doch auch wissen, ob sie taub ist oder einen gesunden Kern enthält. Ich setze den Fall, Ihr


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hättet die unrechte Tasche erwischt, welchen Schaden kann es da bringen, wenn Ihr sie nicht öffnet! Ihr müßt doch unbedingt wissen, woran Ihr seid, Sir! Ihr tragt vielleicht gar allerhand Firlefanzereien sorgfältig mit Euch herum, während Euch dann der richtige Schatz entgeht. Händigt Ihr darauf später Euerm Mister Vogel die wertlose Tasche aus, so wird er Euch wenig Dank wissen, daß Ihr Euch für ihn aufgeopfert und sogar Euer Leben gewagt habt.«

Er hatte vollständig recht, und alle anderen waren derselben Ansicht. Ich zog die Tasche hervor und machte sie auf. Sie war nach Art der Banknotentaschen gefertigt und im Innern vollständig trocken. Jedes einzelne Fach enthielt ein ledernes Couvert, welches mit einem Riegel aus demselben Stoffe verschlossen war. Ich zog die Riegel aus den Einschnitten. Da fand ich, nach den verschiedenen Ländern in die Couverts geordnet, amerikanische, englische, deutsche, französische und andere Staats-und Bankpapiere mit außerordentlich hohen Ziffern. Es war ein Vermögen, wie es wohl selten ein Mensch voll in den Händen gehabt hat, ausgenommen natürlich die Krösusse der Banken; das sah ich, ohne daß ich die Pakete zu öffnen brauchte.

»All devils!« rief Dunker, indem er ungeheuer große Augen machte. »Das müssen allerdings Millionen sein! Was würde meines Vaters Sohn darum geben, wenn der alte Hunter mein Onkel oder Vetter gewesen wäre! Laßt uns doch einmal zählen!«

»Nein,« antwortete ich. »Wir sehen, daß ich die richtige Tasche erwischt habe. Das ist genug. Der Eigentümer soll der erste sein, welcher zählt.«

Ich brachte die Ledercouverts wieder in die Fächer zurück, machte das Portefeuille zu und steckte es wieder


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ein. Ich hatte in einem Fache außer dem dahingehörigen Couverte auch einige Papiere bemerkt, dieselben aber nicht herausgenommen, sondern sie verheimlicht, weil ich der Neugierde Dunkers nicht recht traute. Er hätte meine Gutmütigkeit noch vielleicht dazu verleitet, sie zu öffnen und den Inhalt zu erfahren.

Jetzt verließen wir die Quelle des Schattens, indem wir von derselben aus nach Nordost ritten. Winnetou machte den Führer. Ueber die Gegend, durch welche wir kamen, ist nichts zu sagen. Es wurde Nacht; der Apatsche aber war, wie gewöhnlich, seiner Sache so sicher, daß er keinen Schritt, weder nach rechts oder nach links, von der geraden Richtung abwich.

Heute war der Himmel sternenhell und die Luft so rein, daß man ziemlich weit zu sehen vermochte. Nach der angegebenen Zeit von drei Stunden, während welcher wir sehr scharf geritten waren, sahen wir eine hohe, dunkle Masse vor uns aufsteigen.

»Das ist der Schlangenberg,« sagte der Apatsche, indem er vorwärts deutete.

Wir machten einen Bogen um den östlichen, niedrigen Ausläufer des Berges herum, erreichten die nördliche Seite desselben und hatten nun den Berg und seine bewaldeten Lehnen zur linken Hand. Der Wald sandte verschiedene Ausläuferzacken in die Ebene, welche wir umritten, um zu der Quelle zu gelangen, wo wir lagern wollten. Eben machte Winnetou die Bemerkung, daß wir derselben schon nahe seien, da hielt er plötzlich sein Pferd an.

»Still! Keinen Laut!« flüsterte er.

Sofort bogen wir uns nach vorn und legten den Pferden die hohlen Hände an die Mäuler, um zu verhüten, daß sie schnaubten.


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»Was giebt's?« fragte ich leise. »Hast du etwas gesehen?«

»Nein, gerochen.«

Er sog die Luft prüfend ein und sagte: »Ich rieche Feuer.«

»Welche Richtung?«

»Gerade vor uns. Es muß an der Quelle sein. Meine Brüder mögen auf mich warten.«

Er stieg ab und übergab mir den Zügel seines Pferdes.

»Ist die Quelle so nahe, daß man das Schnauben unserer Pferde dort hören würde?«

»Ein scharfes Ohr würde es vielleicht vernehmen. Reitet also lieber ein kleines Stückchen zurück!«

Nach diesen Worten verschwand er im Gebüsch, welches wir soeben hatten umreiten wollen. Wir kehrten um und hielten an, als wir glaubten, uns weit genug entfernt zu haben. Es dauerte eine geraume Weile, ehe Winnetou zurückkehrte. Ich hatte wirklich nichts gerochen; er, der Naturmensch, aber besaß so scharfe und geübte Sinne, daß ich mich darüber oft gewundert hatte. Da kam er, und zwar in aufrechter Haltung, ein Zeichen, daß es eine Gefahr nicht zu befürchten gab.

»Meine Brüder werden sich freuen, zu erfahren, wen ich gesehen habe.« meldete er.

»Nun, wen?« fragte Dunker, der neugierigste von uns allen.

Die Jüdin, welche Judith heißt.«

»Alle Wetter! Die möchte ich auch gern sehen. Ihr habt mir so viel von der sonderbaren Lady erzählt, daß es mich außerordentlich gelüstet, sie in Augenschein zu nehmen.«

»Das werdet Ihr, Master Dunker,« sagte Emery.


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»Ihr werdet sie nicht nur sehen, sondern sogar mit ihr sprechen können.«

Wieso sprechen?« erkundigte ich mich.

»Nun, wir nehmen dieses Weibsbild doch endlich einmal gefangen?« meinte er. »Wenn sie ihre Freiheit behält, kann sie uns großen Schaden machen.«

»Schwerlich. Wir wollen doch wohl unsern lieben Jonathan endlich einmal fangen?«

»Natürlich!«

»Soll ich dir denn wirklich wiederholen, was ich schon gesagt habe! Melton will uns entgegen. Wenn er unterwegs niemand trifft, denkt er, wir befinden uns noch im Pueblo und reitet dorthin. Wenn wir ihn so weit fortlassen, kann er uns leicht entgehen, ja da entkommt er uns sogar mit größter Wahrscheinlichkeit. Trifft er aber auf seine Judith, so erfährt er von ihr, daß wir hier sind, und reitet nicht nach dem Pueblo, sondern bleibt hier, um uns mit Hilfe der Mogollons gefangen zu nehmen. Siehst du das nicht ein?«

»Es könnte eingesehen werden, wenn deine Voraussetzung, daß er sie treffen wird, in Erfüllung geht. Ist das aber denn gewiß?«

»Freilich nicht.«

»Also ist es besser, wir nehmen das Frauenzimmer fest.«

»Nein,« entgegnete ihm Winnetou. »Wir dürfen uns nicht an ihr vergreifen, denn sie wird mit Melton zusammentreffen.«

Er sagte das mit einer solchen Bestimmtheit, daß selbst ich mich darüber verwunderte und ihn deshalb fragte:

»Mein Bruder scheint nicht daran zu zweifeln? Ich habe zugegeben, daß es unsicher ist.«


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»Wenn Jonathan nicht blind ist oder wenn seine fünfzig Mogollons Augen haben, müssen sie auf die weiße Squaw treffen. Ich habe schon gesagt, daß der Weg nach dem Pueblo eine halbe Stunde von hier vorüberführt. Die Gegend ist eben, und es steht auf der Ebene weder ein Fels noch ein Busch oder Baum. Die weiße Squaw aber hat dort an der Quelle ein so großes Feuer brennen, daß man einen großen Büffelstier daran braten könnte. Das Feuer ist so stark und lodert so hoch, daß man es viel weiter als eine halbe Stunde sehen muß.«

»Ganz gut! Wenn Melton da vorüberkommt oder sich schon in der Nähe befindet, wird er es also sehen. Wenn er aber noch nicht da oder schon vorüber ist, was dann?«

»Vorüber kann er noch nicht sein. Wir sind zwar weit gewesen, bis an die Quelle des Schattens und von dort zurück hierher; aber wir haben gute Pferde, und wir hatten Eile. Melton ist nicht so gut beritten, und seine Mogollons sind es auch nicht. Nichts treibt sie an, ihre Pferde anzustrengen. Wenn sie, wie ich vermute, den gewöhnlichen Indianerschritt geritten sind, so können sie nicht weiter gekommen sein, als bis in diese Gegend. Und weil die Quelle, an welcher die Jüdin mit ihren Roten lagert, das beste Wasser im Umkreise besitzt und die Mogollons gerade zur Lagerzeit in diese Gegend kommen, so ist es sogar wahrscheinlich, daß sie sich nach der Quelle wenden, um dort über Nacht zu bleiben.«

»Das wäre ein Gaudium!« meinte der Englishman. »Wir würden die ganze Sippschaft auf einmal gefangen nehmen, die Judith, den Jonathan, die Yuma- und auch die Mogollon-Indianer!«

»Still,« unterbrach ich ihn. »Zunächst sind diejenigen, welche du fangen willst, noch nicht hier, und


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es ist auch immerhin sehr fraglich, ob sie überhaupt kommen.«

»Ja, was soll denn aber geschehen? Was wollen wir thun?« fragte er.

»Es abwarten, sollt Ihr! Zunächst will auch ich mich einmal nach dem Feuer schleichen. Winnetou war schon dort, kennt also den Ort und wird mich führen. Sind wir zurückgekehrt, so können wir die Frage, was geschehen soll, eher beantworten.«

»Wir bleiben einstweilen hier?«

»Nein; wir reiten zunächst noch eine Strecke weiter zurück. Man weiß nie, was geschehen kann, und es ist also besser, wir wählen einen sichern Ort.«

Wir wendeten uns also rückwärts, bis wir den östlichen Vorsprung des Schlangenberges erreicht hatten. Er wurde umritten, und nun, als wir uns wieder auf der südlichen Seite des Berges befanden, hielt ich uns für sicher. Wir stiegen von den Pferden. Emery und Dunker hatten mit den vier Nijora-Kundschaftern hier zu bleiben, und wir beide, Winnetou und ich, wendeten uns wieder hinüber nach der andern Seite.

Als wir den Punkt beinahe erreicht hatten, an welchem dem Apatschen der Brandgeruch aufgefallen war, folgte er der Richtung, welche er dann eingeschlagen hatte, nicht: er drang nicht geradeaus in die Büsche ein, sondern wendete sich links nach dem steilen Fuße des Berges, wo Bäume standen. Als wir da angekommen waren, gab es keine leuchtenden Sterne mehr über uns, sondern nur dichte Finsternis um uns her. Wir tasteten uns weiter, indem der Apatsche voranschritt und ich ihm folgte. Das dauerte wohl eine Viertelstunde, denn wir mußten sehr vorsichtig sein und kamen nur Zoll um Zoll weiter.


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Endlich sahen wir den Schein des Feuers uns zwischen den Bäumen entgegendringen. Jetzt konnten wir besser sehen und uns also rascher bewegen. Aber wir konnten auch leichter bemerkt werden und mußten also noch vorsichtiger sein als bisher. Wir krochen am Boden hin und hielten uns dabei nur in dem Schatten, welchen die Bäume warfen. Dabei drehte, als ich mich einmal dem Apatschen ganz nahe befand, dieser den Kopf zu mir um und flüsterte:

»Mein Bruder wird sich über die Stelle freuen, an welche ich ihn führe, weil er noch selten einen Ort gefunden haben wird, der so zum Lauschen geeignet ist wie dieser.«

Er hatte recht. Wir befanden uns, von dem Lagerplatze aus gerechnet, vielleicht vier Ellen hoch an der Lehne des Berges. Das Wasser floß unten aus dem Felsen, und von dem Punkte aus, an welchem wir standen, schien es unmöglich zu sein, hinabzukommen; aber es schien eben auch nur so, denn da standen Fichtenbäume, einer neben dem andern, bis hinab; sie breiteten ihre dichten Aeste weit über den Boden aus und bildeten für uns ein Versteck, wie es gar nicht besser sein konnte.

Winnetou verschwand unter den niedersten Zweigen, und ich folgte ihm. Indem wir uns unten an den Stämmen festhielten, ließen wir uns, immer mit den Füßen voran und immer uns unter den dichten Fichtenzweigen befindend, langsam die Böschung hinab, bis wir die Tiefe erreicht hatten und ganz wohlgedeckt unter den letzten Bäumen lagen.

Neben uns, zur linken Hand, kam die Quelle aus dem Felsen; rechts stieg das Gestein gleich hoch bergan. Der Ort, an welchem wir uns befanden, schien unmöglich einen Menschen oder nun gar zwei beherbergen und ver-


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stecken [verstecken] zu können. Die Quelle bildete, bevor sie ihr Wasser weiter sendete, ein kleines Becken, welches höchstens drei Ellen breit war. Jenseits desselben saß - die schöne Judith vor einer Art Hütte, welche die Yuma-Indianer ihr aus schräg zusammengestellten Aesten und darübergeflochtenen Zweigen errichtet hatten, ein Luxus, welchen sich zu bieten nur einer Dame, nicht aber einem Manne einfallen konnte.

Neben ihr kauerte ein Roter, mit welchem sie sich im Gespräch befand. Weiterhin brannte das Feuer so breit und so hoch, daß Winnetou vollständig recht gehabt hatte: man konnte einen Büffelochsen, ohne ihn zu zerlegen, darüber braten - eine Unvorsichtigkeit, welche nur den Yumas, die nicht mehr an ihren ursprünglichen Gebräuchen festhielten, zuzutrauen war. Sie saßen rund um die hochlodernde Flamme, welche bis gen Himmel zu lecken schien. Die Jüdin sprach nicht etwa sehr laut mit dem Roten, doch konnten wir alles recht gut hören, weil wir uns nur in Manneslänge von ihr befanden. Der Kerl war unser früherer Wirt, in dessen unweit des Pueblo gelegenen Hause wir früher überfallen worden waren.

»Ist der Ort nicht schön und gut?« flüsterte Winnetou mir zu.

»Vortrefflich! Kanntest du ihn denn?«

»Nein. Ich lag vorhin jenseits des Feuers im Gesträuch. Da sah ich die Fichten und sagte mir, daß sie ein sicheres Versteck abgeben würden. Die Quelle kannte ich wohl von früher her, doch als ich vor Jahren hier war, standen die Bäume noch nicht so hoch und üppig.«

Ja, unser Platz war wie zum Lauschen künstlich angelegt; aber eine große Gefahr brachte er uns doch:


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Die Aeste, unter deren Schutz wir herabgekommen waren, wuchsen so niedrig am Stamme, daß es geradezu eine Kunst war, sich darunter herabzuschleichen, ohne sie zu bewegen und sich dadurch zu verraten. Der Meisterschaft Winnetous war eben alles möglich.

Also in Beziehung auf unsern Lauscherposten hatten wir Glück gehabt, und wir sollten auch in Beziehung auf das, was wir zu sehen und zu hören bekamen, noch mehr, noch weit mehr Glück haben. Zunächst bestand es darin, daß die Jüdin und der Rote gerade jetzt von uns sprachen. Wir hörten den letzteren, das angefangene Gespräch fortsetzend, sagen:

»Sennor Melton hatte es falsch gemacht. Die Hunde sollten nicht bei mir angegriffen werden. Das Haus gewährte ihnen Schutz; sie konnten sich verteidigen und wußten nun, daß sie sich zu hüten hatten. Dadurch waren sie vorsichtig geworden.«

»Wir wollten sie eben lebendig fangen.«

»Das war falsch. Sie sollten doch getötet werden! Warum da nicht lieber gleich?«

»Du hast recht. Ich habe es nachher auch bereut. Durch die große Vorsicht, zu welcher wir sie verleiteten, sind sie uns entkommen. Kämen sie mir noch einmal so nahe, so sollte es mir nicht wieder passieren!«

»Es würde doch wieder geschehen, wie es schon wieder geschehen ist, vorgestern abend, dort am Felsen. Wie schön paßte es, sie wegzuschießen! Aber die andern wollten warten, bis sie schliefen. Das war ein großer Fehler. Es war vollständig dunkel, und der Sturm heulte so laut, daß man unsere Annäherung hätte weder sehen noch hören können. Wir konnten uns ganz gut bis auf wenige Schritte heranschleichen, und dann wäre keine von unsern Kugeln fehlgegangen. Das aber unter-


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ließen [unterließen] wir aus unnützer Vorsicht. Dann waren die Hunde klüger als wir; sie entdeckten uns.«

»Thaten euch aber nichts; sie hätten euch erschießen können.«

»Dazu haben sie zu viel Angst; sie können kein Blut sehen.

»Ich hoffe, daß wir sie wiedersehen werden, denn sie sind sicher nach dem weißen Felsen, und wir reiten auch dorthin. Dann mögen die andern sagen, was sie wollen; ich kehre mich nicht daran und hole mir die Skalpe Winnetous und seiner Bleichgesichter!«

Er zog bei diesen Worten sein Messer und schwenkte es mit grimmiger Gebärde durch die Luft. Es war ihm vollständig ernst. Was hatten wir ihm denn gethan? Nichts. Die einzige Ursache seiner Feindschaft konnte nur darin zu suchen sein, daß wir damals drüben in der Sonora dem Haziendero und den deutschen Emigranten gegen die Yumas beigestanden hatten. Seitdem war aber eine lange Zeit vergangen; wir hatten die Yumas in mehr als zarter Weise geschont und dann sogar Frieden mit ihnen geschlossen. Dieser Mensch war selbst über den indianischen Durchschnitt roh, und als ich jetzt sein hämisches Gesicht vor mir sah, begriff ich es, daß seine Squaw nicht länger hatte bei ihm bleiben wollen.

»Die wirst du wohl schwerlich bekommen,« antwortete seine Herrin, welche in Beziehung auf Gewissenlosigkeit ihn beinahe erreichte.

»Warum nicht?« fragte er.

»Dazu sind andere da. Wenn wir nur erst nach dem weißen Felsen kommen und ich Sennor Melton und den Mogollons gesagt habe, daß sie uns entkommen und nun zu ihnen geritten sind, so wird gewiß sofort eine große und allgemeine Hetze entstehen, bei welcher die


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Hunde sicher gefangen werden. Dann werden sich die Mogollons die Skalpe nehmen.«

»Mir auch recht, wenn ich nur die Besitzer der Skalpe am Marterpfahle sehe! Ich wünsche, daß -«

Er kam in seiner Rede nicht weiter; er wurde unterbrochen, denn:

»Uff, uff, uff!« erklang es da vorn am Feuer. Die Yumas, welche daran lagerten, waren aufgesprungen und starrten, erst erschrocken, dann aber erfreut, einen Mann an, welcher aus den Büschen getreten war. Auch wir sahen ihn, es war -Melton.

»Jonathan!« rief die Jüdin, indem sie vom Boden aufsprang.

»Judith!« antwortete er.

Sie flogen einander in die Arme. Dann ging ein schnelles Fragen und Antworten herüber und hinüber:

»Wo kommst du her?« fragte er.

»Vom Pueblo,« antwortete sie. »Und du?«

»Vorn weißen Felsen. Wo willst du hin?«

»Zu den Mogollons. Und du?«

»Nach dem Pueblo, zu dir, wie du dir denken kannst.«

»Warum das? Warum willst du wieder zurück, da du so glücklich entkommen bist?«

»Weil ich eben die haben will, denen ich entkommen bin.«

»Die sind nicht mehr dort; sie sind nach dem weißen Felsen.«

»Alle Wetter! Sind sie vor euch oder hinter euch?«

»Vor uns.«

»Also eher vom Pueblo fort als ihr?«

»Ja.«

»Wie lange?«


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»Wir sind sehr schnell hinter ihnen her gewesen, denn es wurde mir angst um dich.«

»Das ist gut, denn wenn sie keinen Vorsprung haben, können sie noch nicht beim weißen Felsen angekommen sein.«

»Sie haben einen Vorsprung gewonnen, einen sehr großen. Sie ergriffen mich unterwegs und schleppten mich in die Wildnis, wo sie mich verließen. Ich kannte die Gegend nicht und irrte den ganzen Tag umher; dann lag ich eine ganze Nacht einsam im Freien - es war schrecklich - bis mich endlich glücklicherweise unsere Yumas fanden. Das muß den Feinden einen Vorsprung von über einen Tag eingebracht haben.«

»Da können sie ja schon heute früh am weißen Felsen angekommen sein! Wer hat das denken können! Wir haben keine Spur von ihnen gesehen. Du mußt mir alles ausführlich erzählen. Sage mir nur vorher: Vogel ist doch noch im Gange des Pueblo versteckt?«

»Nein; sie haben ihn gefunden und befreit.« Da stampfte er die Erde mit dem Fuße und rief ergrimmt:

»Da muß ihnen der Teufel den Weg gezeigt haben, oder du bist unvorsichtig gewesen!«

»Ich habe es an keiner List fehlen lassen. Du glaubst nicht, wie ich, eine Lady, eine Dame, behandelt worden bin! Sie entdeckten den Gang, der aus meiner Küche in die Tiefe führt, und auch das Wasser.«

»So muß ich sie fangen; ich muß, ich muß! Sie müssen mit diesem Geheimnisse sterben, sonst giebt es selbst an dem einzigen Orte, an welchem ich versteckt sein kann, keine Sicherheit für mich! Warum aber ist mein Vater nicht bei dir?«

»Der ist bei ihnen. Sie haben ihn in seiner


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Wohnung überrascht, gebunden und geknebelt und dann mit sich fortgeschleppt.«

»Das ist - ist - freilich ein - ein Unglück, auf welches ich -ich nicht gefaßt gewesen bin!« knirschte er. »Ein Glück ist aber noch dabei, daß der Vater auf den Gedanken kam, sein Geld in den Stiefeln zu verbergen.«

»Das haben sie auch gefunden,« gestand sie ihm.

»Dann - dann stehen die Schurken mit allen - allen bösen Geistern im Bunde! Ich - ich muß mich setzen!«

Daß das Geld entdeckt worden war, griff ihn sichtlich weit mehr an als der Umstand, daß wir seinen Vater festgenommen hatten. Judith führte ihn zu der Hütte. Er setzte sich davor nieder, und sie nahm an seiner Seite Platz, ohne daß er darauf achtete. Er stemmte die Ellbogen auf die Kniee, und legte das Gesicht in die Hände. Sie redete ihm zu, sich zu fassen; er antwortete nicht und bewegte sich nicht.

Da näherte ich meinen Kopf demjenigen des Apatschen und flüsterte ihm zu:

»Wollen wir ihn fassen? Es ist nicht schwer. Wir springen aus unserm Versteck hervor, nehmen ihn beim Kragen und verschwinden mit ihm im Walde, wo man uns nicht findet. Der Schreck wird ihn und alle starr machen.«

»Ja, es ist nicht schwer; es würde gelingen; aber wir dürfen es dennoch nicht thun.«

»Warum nicht?«

»Weil wir uns überhaupt noch nicht zeigen dürfen. Wenn die Mogollons erfahren, daß wir uns in ihrem Rücken befinden, werden sie vorsichtig, und unser Plan, sie einzuschließen, gelingt dann nicht.«


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»Das ist leider wahr. Wir müssen also verzichten, und hätten ihn doch so schön und sicher haben können.«

»Wir werden ihn sehr bald bekommen! Winnetou weiß schon, wie und wo. Wir werden dann nicht ihn allein, sondern seine fünfzig Mogollons auch mit haben. Oder denkt mein Bruder, daß er sich ohne sie hier befindet?«

»Das denke ich freilich nicht. Es ist so gekommen, wie du vorher gesagt hast. Er kam mit ihnen in diese Gegend, hat das Feuer gesehen und - horch!«

Melton hatte sich während unserer leisen Wechselrede von seiner Niedergeschlagenheit erholt. Er ließ sich von Judith erzählen, was auf dem Pueblo geschehen war, nachdem er es verlassen hatte. Sie erging sich, wenn sie von uns sprach, in Ausdrücken und Reden, welche unmöglich wiederzugeben sind. Er hörte ihr zu, ohne ein Wort zu sagen, aber mit Augen, als ob er alles, was aus ihrem Munde kam, verschlingen wolle. Als sie geendet hatte, sagte er unter hörbarem Zähneknirschen:

»Du hast gethan, was du thun konntest; ich kann dich nicht tadeln. Die Halunken sind eben Menschen, mit denen man ganz anders rechnen muß, als mit anderen Leuten. Wir, nämlich der Vater, der Onkel und ich, haben falsch gehandelt, sonst könnten wir dies große Vermögen jetzt in aller Ruhe und Sicherheit verzehren. Konnten wir diesen Menschen in Tunis nicht beikommen, so mußten wir doch später alles aufbieten, mit ihnen quitt zu werden. Der Apatsche hat in England krank gelegen; wir wußten das. Konnten wir nicht hinüberfahren und -? Um die Kerls hätte dort kein Hahn gekräht. Und selbst später, wenn wir in New Orleans


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geblieben wären und anders gehandelt hätten! Die Hauptsache war, unter allen Umständen den Deutschen und den Apatschen auf die Seite zu schaffen. Den Engländer hätten wir dann weniger, oder wohl gar nicht zu fürchten. Daß wir das nicht gethan haben, rächt sich jetzt!«

»Sag' das noch nicht!« ermutigte sie ihn. »Was ist denn eigentlich jetzt verloren? Noch nichts, noch gar nichts!«

»Wenn nicht schon mehr, so doch die Summe, welche mein Vater bei sich hatte!«

»Auch diese nicht. Fallen die Schelme in deine Hände, so bekommst du auch das Geld wieder zurück, welches sie deinem Vater geraubt haben. Du mußt ihn befreien, du mußt!«

Da sah er sie mit einem ganz eigentümlichen Blicke an, und fragte:

»Liegt er dir denn gar so am Herzen?«

»Er nicht, aber du und das Geld.«

»Das ist das Richtige! Mit ihm mögen sie machen, was sie wollen; ich würde mich gar nicht grämen. Meinst du, daß ich mich bei ihm sicher fühle?«

»Nicht?« fragte sie im Tone der Verwunderung.

»Nein! Er hat es mir zwar nicht gestanden; er schiebt die That auf Shatterhand und Winnetou; aber ich weiß doch, daß er seinen Bruder ermordet hat, um sich zu retten und dessen Geld zu bekommen. Ein Brudermörder aber ist auch im stande, seinen Sohn umzubringen.«

»Himmel!« rief sie aus. »Das hältst du für möglich?«

»Ja. Er ist im stande, mir das Geld abzunehmen und zu verschwinden. Das wäre freilich ein Diebstahl,


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ein Raub; darum bin ich mit dir gefahren, aber nicht mit ihm geritten; daher hat er im Pueblo nicht wissen dürfen, wo das Geld versteckt lag; ich könnte, wenn ich mit ihm zusammenlebte, keine Stunde ruhig schlafen. Er aber würde nicht nur einen Raub, sondern, wenn es sich um sein Leben handelte, auch einen Mord begehen, ohne zu fragen, ob es sich dabei um seinen eigenen Sohn handelt. Ich werde ihn also befreien, weil dies so nebenbei geschieht, wenn ich unsere Gegner erwische; aber dann trenne ich mich von ihm. Er wird soviel bekommen, daß er davon leben kann, darf aber keine Gelegenheit finden, sich mehr zu nehmen. Doch davon jetzt genug! Die Hauptsache ist, daß unsere Verfolger nach dem weißen Felsen sind. Wie gut ist es da, daß wir den Advokaten und die Sängerin mitgenommen haben!«

»Welchen Advokaten? Welche Sängerin?«

»Du fragst - ach ja, du kannst es doch nicht wissen! Denke dir, Murphy ist uns nachgekommen!«

»Dieser? Ist er toll?«

»Er muß es sein, sonst würde er sich nicht nach dem wilden Westen wagen. In Albuquerque hat er Vogels Schwester getroffen und sie mitgenommen.«

»Und sie ist mitgegangen? Hast du die beiden denn getroffen?«

»Ja. Sie sind den Mogollons in die Hände gefallen. Natürlich werden sie nicht nach dem Osten zurückkehren. Sie sollten erst während des Kriegszuges bei dem weißen Felsen zurück.«

»Kriegszug?« unterbrach sie ihn.

»Ja. Die Mogollons befinden sich auf einem Zuge gegen die Nijoras unterwegs; die Alten, Frauen und Kinder sind natürlich zurückgeblieben. Auch die beiden


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Gefangenen, die Sängerin und der Advokat sollten zurückbehalten werden; ich habe es aber soweit gebracht, daß sie doch noch mitgenommen worden sind. Sie können also nicht von Winnetou und seinen Kumpanen befreit werden, wenn diese nach dem weißen Felsen kommen. Sie besaßen einen Wagen, als sie von den Mogollons ergriffen wurden. In diesen sind sie wieder gepackt worden. Der Häuptling willigte äußerst ungern darein, that mir aber endlich doch noch den Gefallen. Der >starke Wind< muß überhaupt ein sehr guter Freund deines Mannes gewesen sein; das ersehe ich aus der vortrefflichen Aufnahme, die mir nur auf deine Empfehlung hin geworden ist. Er ist eigentlich nicht der Mann, der für mich und meine Pläne paßt; er scheint vielmehr eine treue, ehrliche Rothaut zu sein, und ich konnte ihn gegen Winnetou und Shatterhand nur dadurch feindlich stimmen, daß ich sie als Freunde und Helfer der Nijoras, seiner Gegner, hinstellte.«

»So wird er sie also nicht beschützen, wenn sie in seine Hände fallen?«

»Nein. Es hat mich freilich viel Phantasie und Erfindung gekostet, ihn zum Hasse gegen sie zu bringen. Weiß der Teufel, diese beiden Kerls sind selbst bei feindlichen Stämmen so hochangesehen, daß sie viel mehr wagen können, als andere Leute. Ich fand bei dem Häuptlinge allerdings eine gewisse Unzufriedenheit vor, welche mir aber nicht genügen konnte; darum habe ich mir einige hübsche Geschichten ausgesonnen und ihm erzählt; sie haben, wie ich überzeugt sein kann, die beabsichtigte Wirkung gethan. Ob sie mir nachkommen würden, das wußte ich natürlich nicht gewiß; aber wie man weiß, sind die Kerls so ungemein glücklich im Auffinden von Fährten, daß ich doch annahm, sie könnten


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wohl auch auf die meinige geraten und nach dem weißen Felsen reiten. Ich mußte folglich dafür sorgen, daß sie dort nicht als Freunde aufgenommen würden, und das habe ich auch nach Kräften gethan.«

»Wie ich dir erzählt habe, wissen sie, daß du dort bist. Was werden sie thun, wenn sie dich nicht dort finden?«

»Mir nachreiten.«

»Sie wissen doch nicht, wohin du bist!«

»Nicht? Wenn du das denkst, befindest du dich in einem gewaltigen Irrtume. Es giebt keine Spione und Kundschafter wie diese beiden.«

»Du meinst, daß sie sich bei den Mogollons im Lager erkundigen?«

»Fällt ihnen gar nicht ein, denn in diesem Falle würde sich sofort einer der letzteren, und wenn er auch nur ein Knabe wäre, aufmachen, um dem Häuptlinge nachzueilen und zu benachrichtigen, wer im Lager gewesen ist. Die Kerls brauchen keinen Menschen zu fragen. Ein Grashalm, ein Steinchen, ein abgebrochener Zweig oder eine ausgetretene Wasserlache sagt ihnen alles, was sie wissen wollen; darauf kannst du dich verlassen; das hat man mehr als hundertmal gehört. Und dazu kommt, daß der lange Dunker vielleicht gar auf sie gestoßen ist.«

»Der lange Dunker? Wer ist das?«

»Ein bekannter Scout oder Pfadfinder, den Murphy bei sich hatte. Er wurde auch mit gefangen, aber so schlecht beaufsichtigt, daß es ihm gelungen ist, am hellen Tage das beste und schnellste Pferd des ganzen Lagers zu erwischen und darauf zu fliehen. Die Verfolger waren zwar schnell hinter ihm her, kamen aber gegen Mitternacht unverrichteter Sache zurück. Wenn dieser


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Mensch mit ihnen zusammengetroffen ist, hat er ihnen sicher alles erzählt. In diesem Falle sind sie wohl gar nicht nach dem weißen Felsen gegangen, sondern werden sich nach Süden gewendet haben.«

»Um die Mogollons zu verfolgen?«

»Nein, denn gegen eine solche Uebermacht könnten sie doch nichts machen, obgleich sie Kerls sind, von denen man weiß, daß sie sich vor niemand fürchten. Sie sind, immer vorausgesetzt nämlich, daß sie Dunker getroffen haben, zu den Nijoras geritten, um sie zu benachrichtigen, daß die Mogollons im Anzuge sind.«

»Du meinst, daß sie damit etwas erreichen?«

»Etwas nur? Ich sage dir, daß es ihnen dadurch möglich würde, vieles und sogar alles zu erreichen, nämlich wenn ich so dumm wäre, mich nicht in acht zu nehmen und nun meinerseits nicht die Mogollons zu warnen. Sie wollen mich fangen, und den Advokaten und die Sängerin befreien. Bei der Zahl der Mogollons können sie das aber nicht ohne zahlreiche fremde Hilfe thun. Die werden sie bei den Nijoras finden. Glücklicherweise können sie sich nicht schnell bewegen, weil sie meinen Vater als Gefangenen bei sich haben, der ihnen selbstverständlich so viele Hindernisse wie möglich bereiten wird. Oder meinst du, daß sie sich seiner vielleicht entledigt haben? Du mußt ja wissen, wie er von ihnen im Pueblo behandelt worden ist.«

»Sehr streng; aber da sie selbst im Kampfe ungern einen Feind töten, so glaube ich nicht, daß sie ihn ermordet haben.«

»Lieber wäre es mir, wenn sie es gethan hätten; da wäre ich ihn los und bekäme sein Geld für mich, wenn sie dann in meine Hände fallen. Auch Old Shatterhands Gewehre muß ich haben. Man sagt, daß


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sie, wenigstens für den Westmann, ein Vermögen bedeuten. Mag aber mein Vater noch leben oder nicht, ich muß gleich mit dem Morgengrauen von hier fort, um die Mogollons zu warnen. Ihr reitet natürlich mit, sonst muß ich gewärtig sein, daß ihr den Feinden in die Hände fallt. Dann würde wohl nicht bloß ein Führen in die Irre deine Strafe sein.«

»Kennst du den Weg, den die Mogollons eingeschlagen haben?«

»Ja. Sie sind nach dem >tiefen Wasser<, und werden morgen abend bei der >Quelle des Schattens< lagern. Dort hole ich sie ein.«

»Aber du weißt nicht, wo die Quelle liegt. Du bist noch niemals in dieser Gegend gewesen.«

»Meine Mogollons wissen es; da brauche ich es nicht zu wissen. Der Häuptling hat mir fünfzig Krieger mitgegeben, um Winnetou und seine Gefährten zu fangen, falls ich sie sehen sollte. Sie befinden sich nicht weit von hier. Wir wollten an der Quelle übernachten, und sahen euer Feuer. Da hielten wir an und schickten einen Späher her. Als er zurückkehrte, sagte er, er habe eine weiße Squaw mit wenigen roten Kriegern gesehen. Ich dachte natürlich gleich an dich und ging allein nach hier, um nachzusehen, ob meine Vermutung richtig sei. Nun werde ich zu den Mogollons zurückkehren, um sie herzubringen.«

Er stand auf; sie that dasselbe und sagte dabei:

»Hole sie! Also du wirst von ihnen wirklich als Freund behandelt?«

»Ja.«

»So ist bei ihnen auch dein Eigentum sicher.«

»Natürlich.«

»Das viele Geld! Es kann selbst Indianer verführen!«


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Da schlug er mit der Hand an die Ledertasche, welche er umhängen hatte - es war dieselbe, welcher ich das Portefeuille entnommen hatte - und sagte getrosten Tones:

»Hier stecken die Millionen! Das weiß natürlich keiner der Mogollons, denn ich habe mich gehütet, es zu sagen; ich habe vorsichtigerweise einige hineinblicken und sie nur einige alte Sachen sehen lassen, die ihnen nicht von Nutzen sind. Also ich gehe jetzt, und bin in zehn Minuten wieder hier.«

Er entfernte sich. Die beiden hatten englisch gesprochen und sich, obgleich viel Geheimes verhandelt worden war, vor den Yumas nicht geniert. Sie mußten wissen, daß diese des Englischen nicht so mächtig seien, um das Gesprochene zu verstehen. ich stieß Winnetou an und fragte ihn:

»Wollen wir fort?«

»Nein,« flüsterte er zurück. »Wir warten, bis die fünfzig Mogollons kommen. Dann giebt es Lärm, und niemand sieht hierher.«

Er hatte recht. Der unvergleichliche Mann dachte an alles und verstand es wie kein zweiter, sich jeden Gegenstand, jede Lage und jedes Verhältnis nutzbar zu machen. Bald darauf hörten wir Pferdegetrappel; die Mogollons erschienen, und da gab es solches Leben am Feuer, daß wir uns unter den Fichten emporziehen konnten, ohne befürchten zu müssen, daß ein scharfes Auge ein Zeichen davon sehen werde.

Wir gingen den Weg unter den Bäumen zurück, den wir gekommen waren. Als wir den Wald und die Büsche hinter uns hatten und im Freien längs des Berges hinschritten, fragte ich Winnetou:

»Hat mein Bruder alles verstanden?«


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»Alles« nickte er.

»Die beiden waren offener gegeneinander, als ich es für möglich hielt.«

»Ja. Jonathan hat der weißen Squaw sogar alles erzählt, was in Tunis geschehen ist. Er gleicht der Klapper eines Kindes, welche immerfort spricht, ohne eine Seele zu haben.«

»Und sie ist ebenso schlecht, wie er!«

»Noch schlechter, denn wenn eine Squaw Böses thut, so sieht das Böse viel häßlicher aus, als wenn ein Mann es thut. Es ist aber gut für uns, daß sie sich heut und hier getroffen haben.«

»Ja, es ist ganz genau nach der Voraussagung meines Bruders Winnetou geschehen. Die Mogollons haben hier lagern wollen, und das Feuer gesehen. Du sagtest, daß wir sie alle fangen würden. Denkst du auch jetzt noch, daß dies geschehen wird?«

»Ja, am tiefen Wasser.«

»Wo ist das?«

»Du wirst es sehen. Wir müssen dort sein, ehe sie dort ankommen.«

»Aber wir müssen doch hier auf unsere Nijoras warten! Da versäumen wir viel Zeit, und Jonathan Melton will schon mit dem Tagesgrauen reiten.«

»Das thun wir auch. Wir werden sogar noch eher aufbrechen, und den Nijoras entgegenreiten. Wenn ihr Häuptling unsere Weisungen befolgt, werden wir zur rechten Zeit auf sie treffen und noch vor Melton am >tiefen Wasser< ankommen.«

»Dieses Wasser scheint ein See zu sein?«

»Es hat ein Berg dort gestanden, welcher Feuer gespieen hat; es giebt in Neu-Mexiko und Arizona ja heut noch viele solche Berge. Er ist versunken, wohl bei


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einem Erdbeben, und hat ein Loch zurückgelassen, in welchem sich das Wasser sammelt.«

»Liegt der See so in der Richtung nach der Quelle des Schattens, daß die Mogollons an ihm vorüber müssen?«

»Er liegt so; dennoch könnten sie rechts oder links abweichen, werden es aber nicht thun, denn sie finden auf ihrem Wege bis zur Quelle des Schattens kein Wasser, an dem sie ihre Pferde tränken können; sie werden ganz gewiß hinreiten.«

»Können wir uns dort so verbergen, daß sie uns nicht vorzeitig bemerken?«

»Ja. Mein Bruder wird das sehen, wenn wir hinkommen.«

Wir waren an die Spitze des östlichen Ausläufers des Schlangenberges gekommen und wollten eben um sie biegen, als uns zwei Männer entgegen kamen. Es war hell genug, zu erkennen, wer sie waren - Emery und Dunker. Auch sie erkannten uns, und der erstere rief, allerdings in gedämpftem Tone.

»Gott sei Dank, daß ihr da seid! Wir bekamen Angst um euch.«

»Und wolltet wohl gar kommen?« fragte ich ihn. »Ihr werdet alles erfahren. Kommt mit zum Lagerplatze!«

Die Nijora-Kundschafter waren bei den Pferden geblieben. Als wir dort angelangt waren, setzte ich mich nieder und wollte erzählen; da aber meinte der Apatsche, welcher an alles dachte und höchst selten etwas versäumte:

»Mein Bruder mag noch warten. Nötiger als sein Bericht ist das, was ich diesem jungen Krieger zu sagen habe.«

Er wendete sich an einen der Kundschafter:


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»Mein junger Bruder kennt den Weg, auf dem seine hundert Krieger, die wir erwarten, hierherkommen werden?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Er mag ihnen augenblicklich entgegenreiten. Es ist so hell, daß er sie trotz der Nacht sehen kann. Sobald er ihnen begegnet, mag er ihnen sagen, daß sie so schnell wie möglich reiten sollen, denn wir brauchen sie, um fünfzig Mogollons zu fangen. Wir werden noch vor Tagesanbruch den Berg verlassen, und ihnen entgegenreiten; sie mögen also wissen, daß sie unterwegs auf uns treffen werden. Wenn mein junger Bruder mit ihnen gesprochen hat, mag er schnell weiter zu seinem Häuptlinge reiten und ihm melden, daß die Krieger der Mogollons morgen abend an der Quelle des Schattens lagern werden. Sie werden also übermorgen am Vormittage auf der >Platte des Cañons< ankommen. Der >schnelle Pfeil< muß sich also schon vorher mit seinen dreihundert Leuten dort heimlich aufgestellt haben. Das ist die Botschaft, welche wir ihm senden. Howgh!«

Der Kundschafter wendete sich still um, trat zu seinem Pferde und ritt davon, in die sternenhelle Nacht hinein und zwar nach Südwest, woher wir gekommen waren.

Nun erzählte ich den beiden Gefährten, was wir gesehen und erfahren hatten. Sie waren sehr erfreut darüber, daß Winnetou die ganz bestimmte und feste Zuversicht hegte, morgen Jonathan Melton in die Hände zu bekommen.

Heute war uns der Schlaf außerordentlich notwendig. Die Kundschafter hatten nicht wie wir mehrere Nächte die Ruhe zu entbehren gehabt; wir übergaben also ihnen den Sicherheitsdienst und legten uns schlafen. Vorher


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deutete Winnetou demjenigen von ihnen, der gegen Morgen die Wache hatte, nach dem Stande der Sterne die Zeit an, an welcher er uns ganz sicher wecken sollte.

Ich schlief so fest, wie selten vorher; der Nijora, welcher mich weckte, sagte mir später, daß er mich habe einigemal rütteln müssen. Wir hatten noch lange nicht ausgeschlafen, denn es war fast zwei Stunden vor Tage, als wir aufstanden. Nach einem kurzen Imbiß stiegen wir auf, um den Weg, auf welchem wir hergekommen waren, zurückzuverfolgen.

Als es Morgen wurde, hatten wir gewiß gegen drei deutsche Meilen zurückgelegt; nun ließ Winnetou sein Pferd langsamer gehen. Nach einer Stunde hielt er an und sagte, indem er nach rechts deutete:

»Dort drüben liegt das >tiefe Wasser<. Wir dürfen nicht weiter reiten und müssen die Nijoras hier erwarten.«

»Und wenn sie zu spät kommen?« fragte Emery.

»So entgehen uns die Mogollons doch nicht, denn wir fallen zwischen dem tiefen Wasser und der Quelle des Schattens über sie her. Aber Winnetou ist überzeugt, daß sie kommen werden.«

Und er hatte wieder recht; sie kamen. Wir hatten ungefähr eine halbe Stunde gewartet, so tauchte im Südwesten von uns eine Reiterschar auf, welche uns galoppierend näher kam. Das waren die Erwarteten. Wir kannten sie zwar nicht, aber die Kundschafter sagten es uns. Sie spornten ihre Pferde noch mehr an, kamen wie im Sturmwinde auf uns zu und hielten dann wenige Schritte vor uns, eine gerade Linie bildend, mitten in der Carriere an. Einer von ihnen lenkte sein Pferd näher heran und sagte:

»Ich bin >scharfes Auge<, der jüngere Bruder des >schnellen Pfeiles<. Der Häuptling sendet Winnetou und


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Old Shatterhand die hundert Krieger, welche meine berühmten Brüder von ihm verlangt haben.«

»Scharfes Auge ist ein tapferer Krieger,« antwortete Winnetou würdevoll. »Wir würden sehr gern die Pfeife des Willkommens mit unsern Brüdern rauchen, haben aber keine Zeit dazu, weil wir fünfzig Mogollons fangen wollen. Haben meine Brüder das erfahren?«

»Ja. Der Kundschafter hat uns getroffen und es uns gesagt. Die Hunde der Mogollons werden uns bereit finden.«

»Ja, wir werden sie ergreifen, und dann ist es auch noch Zeit, das Kalumet zu rauchen. Kennen meine Brüder den See, welcher >tiefes Wasser< heißt?«

»Ja. Er liegt da drüben, gerade gegen Sonnenuntergang von hier.«

»Sie mögen uns dorthin folgen, und >scharfes Auge< mag an meiner Seite bleiben!«

Das war eine Auszeichnung für den Unterhäuptling der Nijoras, welche dieser wohl zu schätzen wußte, denn er ritt zwar neben Winnetou, hielt sich aber um die Länge eines Pferdekopfes zurück. Seine Leute sahen ungemein kriegerisch und unternehmend aus, und als ich sie mit einem prüfenden Blicke überflog, bemerkte ich, daß sie gar nicht übel bewaffnet waren. Die meisten von ihnen kannten Winnetou, hatten uns jedoch noch nicht gesehen; daher die verstohlenen Blicke, mit denen sie uns beobachteten. Als wir uns in Bewegung gesetzt hatten, lenkten sie hinter uns ein, um uns im Gänsemarsche zu folgen. Das geschieht auf Kriegszügen stets, weil da eine nur schmale Fährte gebildet wird und ein Feind, wenn er auf die Spur trifft, nicht genau zu sagen vermag, wieviel Reiter er vor sich hat. Je tiefer die Fährte ausgetreten ist, von desto mehr Pferden wurde


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sie verursacht. Doch auch bei Beurteilung solcher Spuren habe ich oft Gelegenheit gehabt, den scharfen Blick Winnetous zu bewundern. Selbst in solchen Fällen irrte er sich selten um einige Pferde.

Ich ritt ihm jetzt zur rechten Seite; das »scharfe Auge« hielt sich zu seiner linken Hand. Der Apatsche sprach nicht; es war nicht seine schwache Seite, so kurz nach einer solchen Begegnung viele Worte zu machen. Wenn das Sprechen notwendig war, so überließ er es lieber mir; ich als Weißer war nicht zu der ernsten, würdevollen Schweigsamkeit der roten Krieger verpflichtet. Da es auch jetzt so manches gab, was wir erfahren mußten, so unterbrach ich nach einiger Zeit die Stille, indem ich mich an den Unterhäuptling der Nijoras wendete:

»Mein Bruder Winnetou hat das >scharfe Auge< vorhin einen tapferen Krieger genannt. Ich weiß, daß alle Nijoras tapfer sind; darum ist es gewiß, daß sie die Mogollons besiegen werden. Sind sie noch immer damit beschäftigt, ihre Medizinen herzustellen?«

»Nein,« antwortete er. »Die Feierlichkeiten wurden sofort beendet, als der Bote erschien, welchen meine berühmten Brüder zu uns sandten.«

»Das ist recht. Die Herstellung der Medizinen erfordert lange Zeit, und die Zeit, welche uns zugemessen ist, ist kurz und wertvoll, denn die Mogollons werden heute abend schon an der Quelle des Schattens sein. Kennt >scharfes Auge< die Botschaft, welche wir seinem Bruder, dem Häuptlinge, gesandt haben?«

»Ja.«

»Wird der Häuptling darnach handeln?«

»Er weiß, daß Winnetou und Shatterhand große und kluge Krieger sind; darum wird er thun, was sie ihm vorgeschlagen haben.«


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»Wann wird er auf der Platte des Cañons eintreffen?«

»Morgen früh, sobald es Tag geworden ist.«

»Wenn er das thut, werden alle Feinde in seine Hand fallen.«

»Wir wissen es. Der Hund von Mogollon, welcher sich nicht ergiebt, wird erschossen.«

»Und was geschieht mit denen, welche sich ergeben?«

»Sie kommen an den Marterpfahl.«

»Wieviel Pfähle werden meine Brüder da brauchen? Es sind mehr als dreihundert Mogollons, mit denen wir es zu thun haben. Will der >schnelle Pfeil< wirklich ein so großes Morden über diesen Stamm ergehen lassen?«

Der Unterhäuptling blickte finster vor sich hin. Er hätte lieber gar nicht geantwortet; aber da das eine Beleidigung für mich gewesen wäre, sagte er:

»Die Mogollons sind unsere Feinde! Haben sie etwas anderes verdient? Wir standen in Frieden mit ihnen; wir ritten zu ihnen, und sie kamen zu uns. Da plötzlich gruben sie die Beile des Krieges aus, ohne daß wir sie beleidigt oder ihnen sonst etwas gethan hatten.«

»Wenn das geschieht, was mein Bruder sagt, wird man die Platte >Platte des Mordens< nennen können. Hat mein Bruder jemals gehört, daß Winnetou und Old Shatterhand Freunde vom Blutvergießen sind?«

»Das weiß jeder rote und jeder weiße Mann, der einmal von diesen beiden großen Kriegern gehört hat.«

»So wird man dir auch gesagt haben, daß wir niemals unsern Arm und unsere Hilfe einem Stamme leihen, welcher die Absicht hat, grausam mit den gefangenen Feinden umzugehen. Was den Kampf auf der >Platte des Cañon< betrifft, so werde ich darüber mit deinem Bruder, dem >schnellen Pfeile< sprechen; mit dir aber muß


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ich jetzt reden von dem Ueberfalle, welchen wir gegenwärtigbeabsichtigen. Es werden fünfzig Mogollons nach dem >tiefen Wasser< kommen; bei diesen befinden sich ein weißer Mann, eine weiße Frau und einige Yuma-Indianer, welche nicht eure Feinde sind. Willst du mir helfen, diese Leute festzunehmen?«

»Old Shatterhand wünscht es, und so mag es geschehen. Aber die Mogollons werden unser sein?«

»Unter der Bedingung, daß ihr sie nicht tötet, wenn es nicht notwendig ist. Ich will heute der Anführer sein; denn ich habe mit euerm Häuptling die Pfeife des Friedens geraucht; ich bin sein Bruder; ich habe euch von ihm erbeten, und er hat euch mir gesandt; darum fordere ich, daß ihr thut, was ich für richtig halte. Nur unter dieser Bedingung werde ich euch die fünfzig Mogollons, welche wir erwarten, überlassen.«

Er zog die Stirne in Falten, hielt den Blick gesenkt und antwortete nicht. Meine Forderung war weder nach seinem Willen, noch nach seiner Ansicht über das, was recht und billig ist.

»Warum schweigt mein Bruder? Warum sagt er nichts?« drängte ich ihn.

Da machte er eine Bewegung, als ob er etwas von sich verscheuchen wolle, und fragte:

»Da Old Shatterhand es ehrlich mit den Kriegern der Nijoras meint, so will auch ich ehrlich sein und dir sagen, daß mein Bruder, der Häuptling, mir geraten hat, dir und Winnetou, dem großen Apatschen, zu gehorchen.«

»So werdet ihr heute und morgen zwei große Siege gewinnen, ohne daß ihr eure Krieger dabei opfert. Die Klugheit ist stärker als die Gewalt, und die Milde mächtiger als der Mord.«


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»Ist aber Winnetou damit einverstanden? Ich soll nicht bloß dir, sondern auch ihm gehorchen.«

Da antwortete der Apatsche:

»Was mein Bruder Shatterhand sagt oder thut, das ist ganz so, als ob ich es gesagt oder gethan hätte. Meine Brüder mögen einig sein und nicht eher über die Sache weitersprechen, als bis Old Shatterhand das >tiefe Wasser< gesehen hat.«

Er hatte jedenfalls einen guten Grund, dies Verlangen an uns zu stellen; darum war ich nun still. Ich hatte übrigens meine Absicht erreicht, zu erfahren, was von der Grausamkeit oder Humanität der Nijoras zu halten war, natürlich soweit das Wort Humanität auf Indianer in Anwendung gebracht werden kann.

Die lange Schlange unseres Zuges bewegte sich schnell und ohne Windungen über nackten Felsenboden hin. Es war ringsum kein Halm zu sehen. Darum erstaunte ich, als ich plötzlich einen Wald oder richtiger gesagt, ein Wäldchen vor uns auftauchen sah, dessen Form ein länglicher Kreis zu sein schien.

»Das ist das tiefe Wasser,« sagte Winnetou, indem er nach dem Walde deutete.

»Es liegt inmitten des Wäldchens?« fragte ich.

»Ja.«

»So ist die Stelle, wie es scheint, allerdings der Ueberrest eines früheren Kraters.«

Wir kamen von Osten her. Da machte Winnetou einen Bogen, in der Absicht, von Süden her an das Wäldchen zu kommen.

»Weshalb diesen Umweg?« fragte ich ihn.

»Weil die Mogollons von Norden kommen werden, und nicht gleich unsere Spuren sehen sollen.«

Es war ganz eigentümlich, daß die äußeren Bäume


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des Wäldchens ohne allen Uebergang vom Grase zur Staude, zum Strauche und Baume, gleich hoch aufgestiegen waren. Es gab eine so scharfe Vegetationsgrenze, wie ich sie noch nicht gesehen hatte. Da, wo wir den Wald erreichten, gab es eine Lücke in demselben. Winnetou stieg vom Pferde und sagte:

»Diese Lücke führt nach dem >tiefen Wasser<. Unsere Pferde dürfen nicht mit hinein, aber auch nicht hier bei den Bäumen bleiben, weil sie uns verraten würden. Zehn von den Kriegern der Nijoras mögen mit ihnen soweit nach Süden reiten, bis sie von hier aus nicht mehr gesehen werden können. Dort müssen sie warten, bis wir sie herbeirufen lassen.«

»Scharfes Auge« bestimmte zehn Männer, welche der Weisung zu folgen hatten; die übrigen drangen durch die Lücke ein. Das Innere des Platzes verwunderte mich noch mehr, als das Aeußere.

Ich sah einen kleinen, kreisrunden See von ungefähr fünfzig Ellen Durchmesser. Das Wasser war hell und durchsichtig wie Kristall. Sein Spiegel lag nicht zu unsern Füßen, sondern tiefer unten; die Tiefe mochte wohl zehn bis zwölf Ellen betragen. Dort gab es rund um das Wasser einen breiten, mit dichtem Grase bewachsenen Rand, von welchem eine sanft ansteigende Böschung, die ebenso grasig war, herauf zu uns führte. Rundum gab es hier oben wieder einen breiten, grünen Rand, welchen das Wäldchen umsäumte. Das Ganze hatte eine Aehnlichkeit mit einer doppeltgeränderten Schüssel, welche nur bis zum untern Rande mit Wasser gefüllt ist. Alles Gras, oben und unten, war niedergetreten. Winnetou machte mich darauf aufmerksam und fragte:

»Weiß mein Bruder, wer hier gewesen ist und das Gras so zerstampft hat?«


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»Der >starke Wind< natürlich mit seinen Mogollons.«

»Seit wann kann er fort sein?«

ich untersuchte das Gras und antwortete:

»Seit wenig über eine Stunde.«

»Das ist richtig. Wir sind nicht zu spät, aber auch nicht zu früh gekommen. Wir haben vor uns Mogollons, und hinter uns Mogollons. Die letzteren müssen hier unser werden. Mein Bruder Shatterhand mag bestimmen, in welcher Weise das geschehen soll!«

Die Aufgabe war so leicht, daß ein Kind sie lösen konnte. Es verstand sich von selbst, daß die Mogollons, wenn sie mit Jonathan Melton kamen, ihre Pferde tränken würden; sie mußten also mit ihnen hinab zum Wasser, auf den untern Rand der Vertiefung. Wenn sie sich da unten befanden, konnten sie nicht über den zehn Ellen höheren oberen Rand blicken. Wenn wir uns in dem Wäldchen versteckten, bis sie kamen, und dann warteten, bis sie ihre Pferde hinunter zum Wasser geführt hatten, so brauchten wir nur hervorzutreten und unsere Gewehre über den oberen Rand hinabzuhalten, um ihrer vollständig Herr zu sein. Widerstand von ihrer Seite konnte nur ein Blödsinniger für ratsam halten. Sie waren wenig über fünfzig und wir beinahe hundert; es kamen also auf jeden von ihnen zwei Schüsse von uns. Und dazu standen sie frei und schutzlos da unten vor unsern Läufen, während sie, wenn wir uns niederlegten, von uns nur die Gewehre zu sehen bekamen. Die Sache war, wie gesagt, reines Kinderspiel, und ihnen unsere Kugeln hinabzusenden, wäre, wenn sie nicht so wahnsinnig waren, auf uns zu schießen, mehr als nur Mord gewesen. Darum sagte ich zu dem Unterhäuptlinge, welcher bei mir und Winnetou stand:

»Mein Bruder ist ein mutiger Krieger; aber seine


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Tapferkeit wird hier nicht auf die Probe gestellt werden. Ich bitte dich, deine Leute einen Kreis um den See bilden zu lassen. Wenn das geschehen ist, mag jeder von seinem Orte aus sich rückwärts in den Wald verbergen und da stecken bleiben, bis die Mogollons kommen. Diese werden ihre Pferde hinab zu dem Wasser führen. Da trete ich wahrscheinlich unter den Bäumen hervor; unsere Krieger aber müssen noch stecken bleiben; sie sehen mich. Sobald ich den Arm erhebe, kommen auch sie heraus, legen sich auf den obern Rand des Sees, sodaß sie einen Kreis bilden, und zielen mit ihren Gewehren auf die unten befindlichen Feinde. Aber schießen dürfen sie nicht, auch dann noch nicht, wenn ich oder Winnetou schießen sollte. Erst wenn ich ihnen den lauten Befehl dazu zurufe, dürfen sie es thun, und dann sollen sie nur auf die Feinde schießen, welche herauf nach ihnen zielen. Es darf kein Mogollon, der sich nicht wehrt, verletzt werden. Wer gegen diesen Befehl handelt, den kann ich zwar nicht bestrafen, aber wir werden dafür sorgen, daß er bei seinem Stamme als ein Feigling gilt. Ist dir das recht?«

»Mein Bruder hat es gesagt, also ist es recht,« antwortete er.

»Das Leben der Mogollons soll euch heilig sein; aber alles, was sie bei sich haben, auch ihre Medizinen, soll euch als Beute gehören.«

»Und ihr? Was nehmt ihr für euch?«

»Nichts. Wir ziehen nicht aus, um Krieg zu führen und Beute zu machen.«

Da leuchteten seine Augen auf. Ein Indianer verliert lieber sein Leben, seinen Skalp als seine Medizin, welche das größte Heiligtum ist, welches er besitzt. Ich setze da voraus, daß man weiß, was unter der Medizin


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eines Indianers zu verstehen ist, nämlich nicht etwa das, was dieses Wort bei uns bedeutet, ein Heilmittel, sondern einen Gegenstand, den er nach langen Prüfungen und Kämpfen als Panier erwählt und mit seinem letzten Blutstropfen verteidigt. Wer seine Medizin verliert, wird solange für ehrlos gehalten und aus dem Stamme geschieden, bis er sich dafür die Medizin irgend eines berühmten Feindes erobert hat.

Daher die Freude des »scharfen Auges«, als ich ihm sagte, daß ihm und seinen Kriegern die Medizinen der Mogollons gehören sollten. Das war ihm lieber, als wenn ich ihm ihr Leben und ihre Kopfhäute zugesprochen hätte.

»Ich sehe, daß mein Bruder es ehrlich mit uns meint,« rief er entzückt aus. »Die Hunde der Mogollons sind ausgezogen, uns zu zerreißen; sie werden heulen vor Scham und Entsetzen, wenn sie ohne ihre Medizinen in die Löcher zurückkehren müssen, aus denen sie hervorgekrochen sind! Was haben wir noch zu thun?«

»Nichts, was ich jetzt schon bestimmen könnte; der Augenblick muß es ergeben. Sage aber deinen Kriegern, daß sie auf mich achten und jedes laute Wort, welches ich ihnen zurufe, befolgen sollen! Du selbst wirst in meiner Nähe bleiben.«

Er rief seine Leute zusammen und teilte ihnen meine Anordnungen mit, welche sofort befolgt wurden. Bald hatten sie sich so in dem Wäldchen versteckt, daß keiner von ihnen zu sehen war. Wie nach Süden, so gab es auch nach Norden eine Lücke zwischen den Bäumen, durch welche man herein zum Wasser kommen konnte. Von dieser Seite waren die Mogollons zu erwarten. Sonst gab es keine Stelle, an welcher ein Reiter herein konnte. Damit an diesen beiden Eingängen sichere Leute zu stehen


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kamen, besetzte Winnetou mit Emery den südlichen, ich mit Dunker und dem »scharfen Auge« den nördlichen. Daß unsere Spuren uns verraten würden, war nicht zu befürchten, denn wir hatten das Gras nicht noch mehr niedergetreten, als es schon vorher zu Boden gestampft gewesen war.

Wenn vorhin Winnetou gesagt hatte, wir seien weder zu spät noch zu früh gekommen, so hatte er recht gehabt, denn jetzt, da unsere Vorbereitungen getroffen waren, sah ich, als ich am nördlichen Eingange durch die Bäume lugte, eine Reiterschar über die Ebene auf das Wäldchen zukommen. Sie war noch so weit entfernt, daß man die einzelnen Reiter nicht zu unterscheiden vermochte, doch konnten es nicht viel mehr und auch nicht viel weniger als fünfzig sein; es waren also die, welche wir erwarteten. Darauf rief ich so laut, daß jeder es hören konnte:

»Sie kommen. Daß ja kein Nijora sich vor der Zeit sehen läßt!«

Winnetou und Emery, welche bis jetzt noch außerhalb der Bäume gestanden hatten, verschwanden darunter. Dunker, der neben mir durch den Ausgang blickte, sagte zu mir:

»Sie kommen sehr schnell näher. Man kann sie schon deutlich erkennen. Die Lady reitet mit Melton voran. Nun werden sie halten bleiben, um einen Kundschafter herzusenden.«

»Pshaw! Dazu sind sie zu unvorsichtig. Auch wäre es zu spät, da sie, wenn sich Feinde hier befänden, nun doch von diesen schon bemerkt sein würden.«

»Well! Meint Ihr, daß wir etwa keine Feinde von ihnen sind? Ich denke doch, und zwar was für welche!«


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»Sie werden es sehr bald erfahren. Doch kommt; wir müssen uns nun auch verstecken!«

Wir krochen mit dem >scharfen Auge< unter die Bäume und zogen uns da so weit zurück, daß wir von draußen nicht gesehen werden, aber doch alles sehen konnten.

Jetzt hörten wir schon das Getrappel der Pferdehufe. Sie kamen; sie waren da. Sie hielten draußen, weil der Eingang zu schmal war, alle schnell hereinzulassen. Wir sahen sie hereinkommen, die Mogollons und Yumas, einen nach dem andern. Sie stiegen ab und führten, wie wir vermutet hatten, die Pferde hinunter an das Wasser, von wo wir ihre Stimmen laut heraufklingen hörten.

Zuletzt kam Melton mit der Jüdin. Sie waren zuvor vorangeritten, dann aber draußen halten geblieben, um die andern erst hereinzulassen. Er stieg von seinem Pferde und half ihr von dem ihrigen herab.

»Bist du müde?« hörte ich ihn fragen.

»Nein, ich habe mit meinem Häuptling tagelang zu Pferde gesessen.«

»Als er noch dein >lieber< Roter war; später dann aber wohl nicht mehr!« lachte er. »Bleib oben; ich will dein Pferd mit hinunternehmen. Die Tiere müssen hier trinken, weil wir nicht lange hier bleiben und bis zur Quelle des Schattens kein Wasser wieder finden.«

Er stieg mit den Pferden die sanfte Böschung hinab; sie blieb stehen; sie war die einzige Person, welche sich noch oben befand. Das Wasser lag so tief, daß sie von dort aus nicht gesehen werden konnte. Jetzt war es Zeit für mich. Ich kroch unter den Bäumen hervor und stand, den Henrystutzen in der Linken, hinter ihr.

»Guten Morgen, Sennora!« sagte ich.


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Sie fuhr herum. Als sie mich erblickte, sah ich, daß sie einen Schrei des Schreckens ausstoßen wollte; er blieb aber in ihrem Munde zurück. Ihre Augen waren vor Entsetzen weit geöffnet.

»Sie staunen mich an wie einen Fremden? Hoffentlich haben Sie die Güte, sich meiner noch zu erinnern. Es ist doch noch gar nicht so lange her, daß wir uns zum letztenmal gesehen haben.«

»Old - Old - Shatter - hand!« stammelte sie.

»Ja, so heiße ich. Es freut mich, daß Sie meinen Namen noch nicht vergessen haben.«

»Was - was wollen - Sie - Sie hier?«

»Sie will ich, Sie und Ihren geliebten Jonathan.«

»Das - das ist ja Wahnsinn! Sie sind unser Feind. Wissen Sie, daß wir fünfzig und noch mehr Indianer bei uns haben!«

Sie stieß das sehr schnell und drohend hervor, aber doch nicht laut, weil der Schreck noch jetzt nachwirkte.

»Freilich weiß ich das!« sagte ich.

»Sie sind verloren, passen Sie auf!«

Sie ergriff meinen Arm, um mich festzuhalten, damit ich nicht entfliehen könne, wendete sich nach dem Wasser um und wollte einen Ruf ausstoßen; aber ehe derselbe über ihre Lippen kam, hielt ich ihr die Mündung des Stutzens vor den Kopf und drohte:

»Kein Wort, Sennora, sonst bekommen Sie augenblicklich eine Kugel! Mister Dunker!«

Der Gerufene kam hervorgekrochen und fragte:

»Was soll ich, Sir?«

»Auf die Lady Achtung geben, damit sie uns nicht spazieren geht. Behandelt sie mit liebevoller Teilnahme, Mister!«

»Well, soll mir eine Freude sein! Seht Ihr dies


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Messer, Mylady? Sobald Ihr den kleinsten Schritt von der Stelle thut, schneide ich Euch beide Ohren ab. Ich nenne mich Will Dunker und halte Wort!«

Er hielt ihr sein Messer vor das Gesicht. Ich wendete mich ab und hob den Arm in die Höhe. Da kamen rundum die Nijoras unter den Bäumen hervorgekrochen und thaten, was ihnen befohlen worden war. Sich am Rande der Böschung niederstreckend, legten sie ihre Gewehre auf die Untenstehenden an. Da hörte ich Meltons laute Stimme:

»Tausend Wetter! Was ist das! Gewehre rundum! Wer ist da oben?«

Er hatte heraufsteigen wollen und die auf ihn gerichteten Läufe bemerkt. Ich trat so weit vor, daß er mich sehen konnte, und antwortete:

»Hundert geladene Flintenläufe, Sir! Das ist ein Morgengruß, den ich Euch bringe.«

»Old Shatterhand! Old - -«

Er sprach den Namen zum zweitenmal nicht ganz aus, riß sein Gewehr, welches er über die Schulter hängen hatte, los, legte es auf mich an und drückte ab. Ich hatte aber Zeit, mich niederzuwerfen; die Kugel machte ein Loch in die Atmosphäre. Dann war ich schnell wieder auf, richtete den Stutzen auf ihn und rief:

»Wirf das Gewehr weg, Canaille, sonst schieße ich!«

Er behielt es in den Händen und starrte mich an.

»Weg damit, sonst gebe ich dir die Kugel! Eins - zwei - -«

Er ließ es fallen. Der Schuß war für alle seine Roten wie ein Signal gewesen, nach oben zu blicken. Sie sahen mich und sahen auch die Gewehre. Die Mogollons kannten mich nicht; aber einige Yumas riefen meinen Namen. Er wurde überall gehört.


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»Ja, ich bin Old Shatterhand,« rief ich. »Dort steht Winnetou, der Häuptling der Apatschen« - Winnetou hatte, wie die andern, im Grase gelegen; jetzt stand er auf, um sich den Feinden zu zeigen - »und rundum stehen die Krieger der Nijoras. Erhebt euch aus dem Grase!«

Sie standen auf und bildeten rundum eine ununterbrochene Kette von Männern, welche die Läufe ihrer Gewehre nach unten gerichtet hielten. Da ertönte drüben neben Winnetou eine Stimme:

»Soll ich denn allein im Grase hocken bleiben! Hier steht Emery Bothwell, der Englishman. Ich werde euch zeigen, wie man es zu machen hat!«

Er stieg langsam und gemächlich hinab zu den Mogollons, ergriff die Flinte des ihm Nächststehenden, hielt sie einem Nijora empor, damit dieser sie nehmen solle und befahl mit lauttönender Stimme:

»Die Mogollons mögen ihre Gewehre hinaufgeben und ihre Messer hinaufwerfen, wenn sie nicht augenblicklich erschossen sein wollen!«

Und sich einem andern zuwendend, der ihn wie eine Geistererscheinung anstierte, schnauzte er denselben an:

»Na, wird es bald! Hinauf mit der Flinte, sonst -«

Er zog den Revolver und hielt ihn dem Roten vor die Brust. Sofort gab dieser sein Gewehr hinauf. War es das Beispiel des letzteren oder das kühne Auftreten des Englishman, waren es die vielen, drohend nach unten gerichteten Gewehre, that es die Ueberraschung oder wirkte das alles zusammen, kurz und gut, die Mogollons wagten es nicht, zu widerstehen; noch weniger aber wagte einer von ihnen einen Schuß. Sie reichten ihre Gewehre herauf und warfen dann auch ihre Messer nach oben; sie schienen keinen Willen zu haben als nur den, zu gehorchen. Es


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war eine Panik über sie gekommen. Desto wilder gebärdete sich Melton. Er rief ihnen zu, nicht zu gehorchen; er befahl ihnen, zu schießen; er zeterte und schimpfte; er nannte sie Feiglinge; aber seine Flinte aufzuheben, selbst Widerstand zu leisten, das wagte auch er nicht. Emery, welcher sich noch unten befand, ging hin zu ihm, hob das Gewehr auf, hielt ihm den Revolver vor das Gesicht und drohte:

»Schweig, dummer Junge, sonst bringe ich deine Zunge zur Ruhe! Noch ein Wort, so ist es aus mit aller Rede, die du halten willst! Gieb her das Zeug, welches du nicht wieder brauchen wirst!«

Er nahm ihm die andern Waffen aus dem Gürtel und kam dann herauf zu mir gestiegen.

»Alles in Ordnung, Charley,« sagte er. »Entwaffnet ist die Bande. Was soll nun geschehen?«

Fesseln. Sie dürfen einzeln, nacheinander herauf, um gebunden zu werden.«

»Well! Wer nicht kommt, erhält eine Kugel.«

Er stieg wieder hinab. Winnetou und Dunker folgten ihm, nachdem der letztere die Jüdin einem Nijora übergeben hatte. Auch >scharfes Auge< ging hinab, um die Zaudernden durch Drohungen zu veranlassen, Gehorsam zu leisten. Uebrigens handelten die meisten Mogollons klug; sie sahen ein, daß Widerstand aussichtslos war, und ergaben sich in die Gefangenschaft. Die weniger Verständigen mußten schließlich diesem Beispiele folgen. Das Binden ging außerordentlich schnell. Jeder bekam seinen eigenen Lasso um die Arme und Beine geschnürt und wurde dann ins Gras gelegt.

Der letzte, den wir uns aufgehoben hatten, war Jonathan Melton. Er hatte erst wilde, unternehmende Blicke um sich geworfen und ganz das Gebaren eines


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Mannes gezeigt, der nach einem Auswege zur Flucht sucht; er wäre aber blind gewesen, wenn er nicht bemerkt hätte, daß jeder Versuch nur sein Leben in Gefahr bringen mußte. Ein einzigesmal machte er drei, vier rasche Schritte an der Böschung herauf; da aber rief ihm Judith voller Angst zu:

»Bleib unten; bleib unten; sie schießen sonst auf dich! Ergieb dich drein! Ich sehe es hier oben besser als du, daß keine Rettung ist. Diese Menschen sind schrecklich!«

Da machte er die wenigen Schritte zurück, setzte sich nieder und sah dumpf vor sich hin in das Wasser. Nach einer Weile stand er auf, holte einen Stein, welcher in der Nähe lag, und setzte sich wieder nieder. Was wollte er mit dem Steine? Das fragte ich mich, ohne aber eine Antwort zu finden. Ihn als Gegenwaffe, als Wurfgeschoß zu gebrauchen? Lächerlich!

So hatte er gesessen, bis der letzte Yuma und der letzte Mogollon gebunden war. Da trat Emery zu ihm und fragte zu mir herauf:

»Der Halunke soll doch auch gefesselt werden?«

»Natürlich.«

»Und wenn er sich wehrt?«

»Schlägst du ihn mit dem Gewehrkolben nieder; dann wird er schon gehorchen!«

Da fuhr Melton schnell in die Höhe, sprang einige Schritte von Emery zurück und rief mir zu:

»Binden soll ich mich lassen?«

»Ja, Master. Ich habe es befohlen, und da wird es wohl nicht anders werden. Ergebt Ihr euch nicht drein, so machen wir Euch ein wenig besinnungslos; ein guter Hieb bringt das schnell fertig. Wenn Ihr dann erwacht, seid Ihr gefesselt!«


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»Die Mogollons werden mich befreien!«

»Bildet Euch das nicht ein! Es stehen schon vierhundert Nijoras bereit, sie zu empfangen. Ihr seht ja hier bei mir hundert Gegner in ihrem Rücken.«

»Das ist dein Werk, du Satan!« zischte er. »Was habt Ihr mit mir vor?«

»Wir bringen Euch zur Polizei, die so große Sehnsucht nach Euch hat.«

»Wo ist mein Vater?«

»Auch bereits unterwegs zu ihr.«

»Und sein Geld?«

»Hat Mister Vogel, dem es gehört.«

»Tausendmal die Verdammnis über Euch!«

Das schrie er mit einer überschnappenden Stimme, wie so wütend ich noch keine gehört hatte. Dann machte er zwei Schritte nach dem Wasser zu, als ob er sich hineinstürzen wolle, um sich zu ersäufen, fuhr aber wieder zurück, wohl weil er keinen Mut dazu hatte, riß die Tasche, welche er am Riemen um die Schulter trug, herab, machte sie auf, ehe es Emery verhindern konnte, that den Stein hinein, schloß sie zu und schleuderte sie, ein Gelächter verzweiflungsvollen Hohnes ausstoßend, weit hinaus in das Wasser, wo sie sofort unterging. Als dies geschah, stieß Judith einen durchdringenden Schrei aus, schlug die Hände vor das Gesicht und stöhnte:

»Fort, fort, verloren! Für immer und ewig verloren!«

Dann rannte sie wie eine Wütende zu ihm hinab und brüllte ihn an:

»Feigling! Verräter! Betrüger! Das gehörte auch mit mir! Das war auch mit mein! Nun ist es fort, unwiederbringlich fort!«


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»Ja, fort - fort!« wiederholte er wie geistesabwesend.

»Und es war mein Eigentum geradeso wie das deinige! Du hattest es mir versprochen! Er war der Preis, der Kaufpreis meines Herzens! Meinst du denn, daß ich dich geliebt hätte ohne das Geld? Und du wirfst es fort, du Wicht, du elender Schwächling, du - -!«

Sie faßte ihn bei den Armen und schüttelte ihn hin und her. Da stieß er sie von sich fort und rief:

»Weg von mir, Schlange! Nur du hast mich in das Verderben getrieben! Wäre ich dir nicht nach deinem Pueblo gefolgt, so hätte ich jetzt alles, wonach mein Herz geschmachtet und getrachtet hat, auch die Freiheit, die ich nun verloren habe. Ich bin gefangen - gefangen - gefangen!«

»Recht so, recht so!« rief sie, ihn wieder fassend und schüttelnd. »Nun du mich um das Geld betrogen hast, hasse ich dich. Ich freue mich deiner Gefangenschaft und werde entzückt sein, wenn ich höre, daß der Scharfrichter, hörst du, der Scharf - -«

Sie konnte nicht weiter; er schnürte ihr mit der Hand die Kehle zu und schrie in höchster Wut.

»Vorn Scharfrichter redest du, von meinem Tode! Da sollst du doch, ehe mir die Hände gefesselt werden, mir vorangehen! Fahre hin, du Satansweib; fahre hin in die Hölle, aus welcher du gekommen bist!«

Er schleuderte sie mit Anspannung aller seiner Kräfte von sich und hinein in das Wasser des grundlosen Sees, beugte sich weit über das Ufer hinaus und rief ihr im Tone eines Wahnsinnigen nach:

»Da unten, unten ist die Tasche! Suche sie! Ich habe sie dir versprochen; nun hast du sie. Gratuliere, gratuliere!«


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Ich rannte hinab, um dem Weibe nachzuspringen; da aber stürzte sich schon Winnetou hinein. Nach einigen Sekunden kam er mit ihr empor, und die Hände mehrerer Indianer streckten sich aus, sie ihm abzunehmen. Melton blickte gar nicht hin; er hatte mich beim Arme gefaßt und zischte mich an:

»Ihr seid mir nach, um mein Geld, mein Geld, das viele Geld zu bekommen! Ist es nicht so, Sir?«

»Ja,« antwortete ich ruhig.

»So springt hier hinein, und holt es Euch aus dem See. Ich habe es hineingeworfen!«

»Das ist nicht wahr!«

»Nicht wahr? Nicht wahr? Sir, ich hatte es in der Tasche, in der Tasche, welche vorhin im Wasser verschwunden ist. Verschwunden - verschwunden! Wißt ihr, was das heißt? Man giebt seine Ehre, sein Gewissen, seine Ruhe, seine Seligkeit dafür hin; man tritt die Gesetze mit Füßen; man - man -man thut alles, um es zu gewinnen. Und wenn man es erlangt hat, muß man sich in der Wildnis verbergen, wo man es nicht genießen kann, rennt hinter einem verruchten Weibe her, welches das Geld, aber nicht die Qualen des Gewissens mit einem teilen will, und wirft es, um es nicht hergeben zu müssen, in das Wasser - ins Wasser - ins Wasser! Wißt Ihr, Sir, was das heißen will?«

Es war eine Scene von solcher Häßlichkeit, daß sich die Feder sträubt, sie zu beschreiben. Ich schüttelte den Kerl von mir ab, bat Emery, ihn doch nun binden zu lassen, und ging nach der Stelle, an welcher die Jüdin lag. Es war nur eine Ohnmacht, welche sie umfangen hielt; tot konnte sie nicht sein; dazu war sie viel zu kurze Zeit im Wasser gewesen. Ich nahm ihre Hand, um den Puls zu fühlen; er ging langsam und schwach, aber doch


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bemerkbar. Sie lebte, und ich brauchte also um sie keine Sorge zu haben; ja, ich war so hartherzig, mir zu sagen, daß das Wasserbad ihr gar nichts schaden könne. Ich ließ sie also liegen, um mich um Dinge zu bekümmern, welche notwendiger waren.

Zunächst galt es, die Nijoras zu benachrichtigen, daß wir jetzt die Mogollons gefangen hatten. Ich schickte also einen der Kundschafter ab, welcher seinem Häuptlinge die Botschaft überbringen sollte. Dabei schärfte ich ihm ein, sich ja nicht von den Mogollons sehen zu lassen. Diese waren nach der Quelle des Schattens unterwegs, und er mußte also nicht nur sie und die Quelle umreiten, sondern auch dafür sorgen, daß dahinter seine Spuren unsichtbar blieben, denn, wenn sie von den Feinden gesehen wurden, stand zu befürchten, daß sie Verdacht schöpften.

Nun wollte ich gerne erfahren, ob die Mogollons ihre beiden Gefangenen mitgenommen oder am weißen Felsen zurückgelassen hatten; das mußte mir die Fährte sagen. Am tiefen Wasser konnten wir dieselbe nicht ansprechen, da der Boden ganz zertreten war; ich ging also mit Winnetou fort, um das Gebüsch zu umkreisen. Richtig! Auf der westlichen Seite desselben - wir waren von der östlichen gekommen -entdeckten wir die Spur des Wagens; dort hatte er gestanden. Aus den Stapfen ersahen wir, daß die Pferde ausgespannt worden waren, um getränkt zu werden. Dann führte die Spur um den Platz herum, wo sie sich wieder mit der breiten Fährte der fortgezogenen Mogollons vereinigte.

Daß diese die Sängerin und den Advokaten mitgenommen hatten, deutete auf ihre Ueberzeugung, die Nijoras vollständig überrumpeln und besiegen zu können. Darauf wies Winnetou hin, als er kopfschüttelnd sagte:


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»Der >starke Wind< muß seines Sieges ganz sicher sein, sonst hätte er die beiden Bleichgesichter nicht mitgenommen. Aber warum er sie überhaupt mitgenommen hat? Sie können ihm nur hinderlich sein. Aber vielleicht hat er keinen Nutzen, sondern nur die Verhütung eines Schadens beabsichtigt.«

»Du meinst ihre Flucht?«

»Ja. Er hat alle zuverlässigen Krieger mitgenommen und nur die Alten, Weiber, Knaben und Mädchen im Lager zurückgelassen. Diese Leute aber taugen nichts zur Bewachung von Gefangenen. Wie leicht konnten sie also fliehen!«

»Dies ist allerdings der einzige Grund, den ich aufzufinden vermag, kann aber selbst ihn nicht als vollwichtige Ursache gelten lassen, weil das Mitschleppen des Wagens und seiner Insassen Beschwerden und Störungen bereiten muß. Auch wenn er sie bei sich hat, muß er sie Tag und Nacht beobachten lassen. Wären sie aber, und einige Krieger mit ihnen, im Lager beim weißen Felsen zurückgeblieben, so befanden sie sich unter guter Obhut, und er konnte sich auf dem Kriegszuge, den er angetreten hat, frei bewegen.«

»Mein Bruder hat sehr richtig gesprochen; aber dieser Grund ist der einzige, den man sich denken kann, obgleich es nicht klug ist, danach zu handeln.«

»Dazu kommt das Terrain, auf welchem die Mogollons sich bewegen müssen. Denke doch an den Hohlweg, welcher auf die Platte des Cañons hinauf- und jenseits wieder hinabführt! Wie können sie da mit dem Wagen fortkommen!«

»Vielleicht kennen sie den Weg nicht genau und haben geglaubt, daß man da auch mit einem Wagen fahren kann.«


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»Dann sind sie außerordentlich unvorsichtige Leute. Wenn man einen feindlichen Stamm überfallen will, bekümmert man sich doch um die Wege, welche dahin führen. Wie du mir die Gegend beschrieben hast, können sie mit dem Wagen gar nicht viel weiter als bis zu der Quelle des Schattens kommen. Dort werden sie diese Nacht lagern. Meinst du nicht, daß es notwendig ist, sie da zu beobachten?«

»Es ist notwendig.«

»Kann aber nur in der Dunkelheit des Abends geschehen?«

»Nahe an sie herankommen kann man freilich nur des Nachts; besser aber ist es, wenn ich ihnen schon am Tage nachreite. Mein Bruder Scharlieh mag mir später folgen und es so einrichten, daß er in der Dunkelheit dort ankommt.«

»Schön. Wie und wo treffen wir uns?«

»Du warst schon mit an der Quelle und kennst sie also. Ich werde dir soweit entgegenreiten, bis ich mich zehn Büchsenschüsse von der Quelle entfernt habe; da warte ich auf dich. Wenn du soweit herangekommen bist, lässest du deinen Bärentöter einmal sprechen, und ich antworte mit meiner Silberbüchse. Wir kennen die Stimmen unserer Gewehre genau und werden uns leicht zusammenfinden.«

»Gut! Jedenfalls kehren wir dann nicht wieder nach hier zurück?«

»Nein. Die Unsrigen müssen nachkommen. Sie mögen noch während der Nacht mit den Gefangenen aufbrechen und es so einrichten, daß sie eine Stunde nach Anbruch des Tages zu uns stoßen. Dann werden die Mogollons schon von der Quelle aufgebrochen sein. Ich tränke jetzt mein Pferd, und dann reite ich fort.«


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»So sag den Nijoras, daß sie auch die andern Pferde bringen mögen.«

Er entfernte sich südwärts, wohin wir unsere Pferde geschickt hatten, und diese wurden gebracht. Als er das seinige getränkt hatte, ritt er davon. Er war der beste Kundschafter, welchen ich den Mogollons nachsenden konnte.

Da wir nun so lange am tiefen Wasser lagern mußten, machten wir es uns daran so bequem wie möglich. Weniger bequem hatten es die Gefangenen, weil sie alle gefesselt waren. Auch Judith wurde gebunden, als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte. Das besorgte der lange Dunker, welcher mit ihr nicht viel Federlesens machte. Er war so malitiös, sie neben ihren gefesselten Jonathan ins Gras zu legen. Als ich ihn darüber zur Rede setzte, fragte er mich:

»Meint Ihr etwa, daß uns das schaden könnte, Sir?«

»Ja. Läßt man solche Gefangene gern miteinander sprechen? Sie können doch einen Plan zur Flucht miteinander bereden oder sich über Ausreden und sonstige falsche Aussagen einigen.«

»Mögen sie! Wir brauchen ihre Aussagen nicht; wir haben ja Beweise genug. Seht Ihr denn nicht ein, weshalb ich sie zu einander gebracht habe?«

»Aus Bosheit, aus reiner Bosheit, Master Dunker. Oder nicht?«

»Nein, nicht aus Bosheit. Höchstens könnte man es eine kleine Schalkhaftigkeit nennen. Nach dem, was geschehen ist, nehme ich an, daß sie nicht sehr zärtlich miteinander sprechen werden. Ich möchte, daß sie einander ärgern. Seht doch einmal hin! Die Blicke, welche sie sich gegenseitig zuwerfen! Die giftigen Mienen, die sie ziehen! Well, ich muß hin zu ihnen, um einmal zuzuhören.«


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Er näherte sich ihnen und setzte sich dann zu ihren Häupten nieder, sodaß sie ihn nicht sehen konnten. Das Gesicht, welches der alte Schabernack dann schnitt, sagte mir sehr deutlich, daß er sich über die Reden, welche sie sich zuwarfen, köstlich amüsierte. Ich aber legte mich in den Schatten unter die Bäume und schlief ein, denn es

stand zu erwarten, daß die nächste Nacht mir nicht viel Schlaf bieten werde.

Man war so verständig, mich ungestört schlafen zu lassen. Als man mich endlich weckte, fühlte ich mich genugsam gestärkt, denn es war zwei Stunden vor Untergang der Sonne. Vielleicht hätte man mich gar noch länger schlafen lassen, wenn nicht Jonathan Melton und die Jüdin eifrig nach mir verlangt hätten. Als ich zu ihnen kam, rief mir die letztere zornig zu:

»Herr, warum bringt man mich hier mit diesem Menschen zusammen? Dieser Mörder, dieser Halunke, welcher aus Furcht das viele Geld in das Wasser geworfen und mich darum betrogen hat, muß weg, muß fort von hier, wenn ich nicht aus lauter Wut ersticken soll.«

»Sonderbar! Gestern sprachen Sie noch ganz anders erst von ihm und dann auch mit ihm.«

»Was wissen Sie davon!«

»O, ich weiß alles.«

»Alles? Nichts, gar nichts wissen Sie! Wo bin ich denn gestern abend gewesen?«

Sie fragte das in höhnischem Tone; ich antwortete lächelnd.

»An der Quelle des Schlangenberges. Man hatte Ihnen hart an der Quelle eine Hütte gebaut. Vor derselben saßen Sie erst mit dem braven Yuma, welcher uns als Wirt so liebenswürdig behandelt hat. Ich weiß


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sogar, daß Sie von mir und von anderen gesprochen haben, was zu wiederholen ich keine Lust habe. Dann kam Ihr lieber Sennor Jonathan.«

»Der? - Woher?«

»Vom weißen Felsen. Er war mit den Mogollons ausgeritten, uns zu fangen; da er aber kein Geschick dazu hat, ist das Gegenteil erfolgt: wir haben ihn erwischt. Wollen Sie das, was ich jetzt erzähle, leugnen?«

»Ja. Sie raten nur; Sie schlagen auf den Busch.«

»Gar nicht. Sennor Jonathan hatte mit den Mogollons an der Quelle lagern wollen und Ihr Feuer gesehen, welches förmlich haushoch brannte. Da ließ er die Roten zurück und kam zunächst allein, um zu erkunden, wer an der Quelle lagerte. Sie werden nicht wieder in eine solche Lage kommen, sonst würde ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es eine unverzeihliche Unvorsichtigkeit ist, so große Feuer lodern zu lassen. Man wird dadurch entdeckt. Sie erinnern sich jedenfalls, wie außerordentlich freundlich Sie ihn empfingen, als er kam.«

»Da - da - da haben Sie uns wohl belauscht?« gestand sie endlich ein, wenn auch nur indirekterweise. »Wo steckten Sie denn?«

»Unter den Bäumen jenseits des Wassers, gerade Ihnen gegenüber. Ich hörte jedes Wort, welches gesprochen wurde, und nahm mir natürlich vor, Ihnen heute hier einen freundlichen guten Morgen zu sagen.«

Da bäumte sie sich halb empor und sandte mir einen wütenden Blick zu. Melton war erbost, daß Judith sich hatte übertölpeln lassen und machte ihr heftige Vorwürfe. Dann sagte er zu mir:

»Mir kommt kein Lauscher so weit zu nahe, daß er hören kann, was ich spreche.«


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»Da irrt Ihr Euch sehr, Mister Melton. Ich könnte Euch das Gegenteil beweisen.«

»Thut es doch!«

»Habe keine Zeit dazu. Nur auf einen Fall will ich Euch aufmerksam machen. Damals auf dem Schiffe nach Tunis hat Winnetou in Eurer Gegenwart Euern Koffer geöffnet, um uns Eure heimlichen Papiere zu bringen, die wir in unserer Koje gelesen haben. Er hat Euch zu diesem Zwecke den Schlüssel aus der Tasche genommen, aus einem Kleidungsstücke, welches Ihr auf dem Leibe trugt.«

»Nicht möglich!«

»Nein, nicht möglich, sondern wirklich! Er hat die Papiere dann wieder in den Koffer gethan und Euch den Schlüssel in die Tasche gesteckt. Ist das nicht schwerer als bloßes Lauschen? Ich könnte Euch, wie gesagt, noch mehr erzählen, will es aber unterlassen. Ihr kennt uns noch lange nicht so, wie Ihr uns eigentlich kennen solltet.«

»O, ich kenne Euch mehr als genug. Ihr seid Teufel in Menschengestalt, die weder Gnade noch Erbarmen haben; es ist Euch bisher alles geglückt; aber werdet nur nicht etwa übermütig, denn Ihr werdet gewiß auch noch Euern Meister finden.«

»Etwa Euch?«

»Nein. Mit mir ist's aus; das sehe ich jetzt ein.«

»Wirklich? Seht Ihr das ein?« fragte ich.

Er sah allerdings ungemein niedergeschlagen aus, ganz so wie ein Mensch, welcher alle Hoffnung aufgegeben hat. War dies Wahrheit oder Täuschung? Wollte er mich vielleicht nur sicher machen?

»Ja.« antwortete er. »Ich weiß, daß mein Spiel nun zu Ende ist. Ich bin Euch einigemal glücklich ent-


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gangen [entgangen], immer je später desto schwerer. Aus dem Pueblo da unten entkam ich nur mit Mühe und Not, und ich sagte mir, daß ich verloren sei, wenn es Euch gelingen sollte, mich noch einmal zu ergreifen. Das ist jetzt geschehen.«

»Warum könnt Ihr nicht auch diesmal entkommen? Es ist alles möglich!«

»Nun nicht mehr! Ich sehe den langen Dunker bei Euch. Er ist uns entflohen und zu Euch gekommen. Er wird Euch gesagt haben, wen die Mogollons mit ihm gefangen genommen haben. Nicht?«

»Allerdings.«

»Auch daß die Mogollons gegen die Nijoras ziehen wollen?«

»Ja. Und wir haben diese gewarnt.«

»Den Erfolg sehen wir schon jetzt hier vor uns. Ihr habt hundert Nijoras bei Euch. Ihr werdet die Mogollons überfallen und die Sängerin und auch den Advokaten befreien?«

»Natürlich!«

»Wie könnt Ihr da von der Möglichkeit sprechen, daß ich Euch entkommen kann! Ich weiß, daß ich nichts mehr zu hoffen habe.«

»Memme!« zischte sie ihn an.

»Schweig!« gebot er ihr. »Du bist mir zum Unglück in den Weg gelaufen! Hätte ich dich nicht kennen gelernt, so stände es jetzt anders um mich! Nun bin ich verloren! Aber einen Trost habe ich, einen Trost und eine Freude. Ich habe meiner Beute entsagen müssen; aber es giebt keinen Menschen, dem sie in die Hände fallen wird.«

»Irrt Ihr Euch nicht?« fragte ich.

»Irren? Pshaw! Habt Ihr nicht gesehen, daß ich die Millionen in den See geworfen habe!«


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»Wären sie nicht herauszuholen?«

»Aus diesem Wasser, dessen Grund noch kein Mensch gefunden hat?«

»Unsinn! Jedes Wasser hat einen Grund.«

»So taucht doch einmal da hinab! Ich weiß nicht, wie tief der Mensch zu tauchen vermag; aber wenn Ihr wirklich bis hinunter kämt, wenn Ihr auch so oft tauchen könntet, bis Ihr die Tasche findet, dann sind die Papiere verdorben, sie sind wertlos geworden.«

»Das glaube ich nicht.«

»Nicht? Ihr denkt, das Wasser kann nicht in die Tasche dringen?«

»Es dringt hinein, nicht nur in die Tragtasche, sondern auch in die Brieftasche, welche in der ersteren steckt und in der sich die Papiere befinden.«

»Brieft - Briefta - Brieftasche? Was wißt Ihr von einer Brieftasche?« fragte er betroffen.

»Ich habe Euch schon gesagt, daß ich alles weiß. Ich habe alles erfahren, obgleich Ihr sagtet, es sei unmöglich, Euch zu belauschen. Master Melton, Ihr seid ein unvorsichtiger, ein außerordentlich unvorsichtiger Mensch! ihr wußtet nicht, was Ihr in Eurer Tasche hattet oder vielmehr, Ihr wußtet nicht, was Ihr nicht in der Tasche hattet.«

»Ich verstehe Euch nicht.«

»Ich kenne jeden einzelnen Cent, den ich einstecken habe. Ihr hattet Millionen bei Euch und habt Euch nicht so um dieses Geld bekümmert, wie ich mich um meine wenigen Dollars und Cents bekümmere.«

»Wo wollt Ihr mit diesen Worten hinaus?«

»Befand sich das geraubte Geld wirklich in der schwarzen Ledertasche, welche Ihr umhängen hattet?«

»Ja. Ich kann es jetzt getrost sagen, denn es ist nun weg, und niemand wird es bekommen.«


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»Das ist nicht wahr! Das Geld liegt nicht da unten im See.«

»Wo denn?«

»Hier in meiner Tasche.«

Ich klopfte bei diesen Worten auf die Brust.

»Oho! Laßt Euch nicht auslachen! Ihr wollt mich ärgern; denkt aber ja nicht, daß Euch das gelingen wird!«

Es wird mir gelingen. Ich habe das Geld!«

»So zeigt es doch einmal her!«

»Gut! Kennt Ihr dieses Portefeuille?«

Ich zog die Brieftasche hervor und hielt sie ihm nahe. Als sein Auge auf dieselbe fiel, rief er aus:

Alle Wetter! Das ist - das ist - ja, das ist meine -«

»Eure Brieftasche,« ergänzte ich seine Rede.

»Nein, nein! Das kann nicht sein; das darf nicht sein!« schrie er auf. »Es ist eine Brieftasche, welche der meinigen ähnlich sieht. Ich lasse mich nicht täuschen!«

»Ich will es Euch beweisen, daß ich die Wahrheit rede.«

Ich öffnete die Brieftasche und zeigte ihm den Inhalt jedes einzelnen Faches. Er sah, daß es wirklich die Millionentasche war. Man hatte ihn an Händen und Füßen gebunden; dennoch fuhr er mit einem einzigen Rucke auf, fiel aber sofort wieder nieder. Dabei schrie er wie ein Wahnsinniger:

»Sie ist's, sie ist's! Es ist meine Tasche! Es sind meine Millionen! 0 du Teufel, du tausendfacher Teufel! Wie ist das Geld in deine Hände gekommen?«

Ich konnte ihm nicht antworten, wenn ich auch gewollt hätte, denn die Jüdin stimmte in sein Geschrei ein. Das viele Geld gerettet und in meinen Händen zu


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sehen, schien die beiden dem Wahnsinne nahe zu bringen. Sie schrieen nicht mehr; sie brüllten förmlich; sie wälzten sich zu mir her, faßten mich mit den Fingern ihrer gefesselten Hände bei den Füßen. Das Weib kreischte:

»Heraus mit dem Gelde, heraus! Gieb es her, du Dieb, du Räuber, du Gauner, gieb es heraus!«

Es war ein widerlicher Anblick. Sie gebärdeten sich nicht wie Menschen. Ich stieß sie mit den Füßen von mir; sie rollten sich aber immer wieder heran, und ich war gezwungen, sie so binden zu lassen, daß sie sich nicht von der Stelle bewegen konnten. Sie sträubten sich wie Irrsinnige dagegen. Das Gesicht Meltons war gar nicht zu beschreiben. Seine Augen traten weit hervor und waren mit Blut unterlaufen; er schrie und brüllte nicht mehr, sondern er heulte geradezu wie ein wildes Tier. Ich mochte es nicht länger ansehen und ging fort, um mein Pferd für den Ritt, den ich vorhatte, fertig zu machen. Doch als ich in den Sattel stieg und er dies sah, rief er mir zu, noch einmal zu ihm zu kommen.

Ich that es. Er sah mit dem Ausdrucke des grimmigsten Hasses zu mir auf und fragte, indem er sich zu einem ruhigen Tone zwang:

»Sir, wo habt Ihr die Tasche her? Wann ist sie in Eure Hand gekommen?«

»In der Nacht vor Eurem Aufbruche vom weißen Felsen.«

»Durch wen?«

»Durch mich selbst.«

»Das ist nicht wahr!«

»Pah! Während Ihr alle um den Häuptling saßet, um den Zug gegen die Nijoras zu beraten, hörte ich Euch zu.«

»Das ist unmöglich! Wie wäret Ihr mitten in das


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Lager gekommen? Wie hättet Ihr zuhören können, ohne bemerkt zu werden?«

»Es ist eben sehr dumm von Euch, zu glauben, daß ich Euch nicht belauschen kann. Ich habe sogar mit der Sängerin gesprochen.«

»Das wäre nur dann möglich, wenn Ihr Euch unsichtbar machen könntet!«

»Laßt Euch nicht auslachen! Ich steckte im Wasser. Ich bin den Fluß hinabgeschwommen, bis ich mich in der Mitte des Lagers befand. Ein guter Westmann weiß, wie er so etwas anzufangen hat. Eure Unvorsichtigkeit kam mir dabei zu statten.«

»Aber Ihr müßt doch in meinem Zelte gewesen sein!«

»Natürlich habe ich Eure Tasche genau untersucht und das Portefeuille herausgenommen.«

»O Teufel, Teufel! Könnte ich, wie ich wollte, ich zerrisse Euch in tausend Stücke!«

Er zerrte bei diesen Worten mit Gewalt an seinen Fesseln.

»Bemüht Euch nicht, Master! Die Riemen halten fest. Uebrigens erkennt Ihr nun wohl, daß unsereiner nicht auf den Kopf gefallen ist. Hätte ich mich nicht in das Lager der Mogollons geschlichen und mir das Geld geholt, so - -«

»So läge es jetzt unten im See!« unterbrach er mich wütend.

»O nein, das wollte ich nicht sagen. In diesem Falle wäre es Euch wahrlich nicht gelungen, die Tasche in das Wasser zu werfen. Ich stand ja ganz in der Nähe, als ihr das thatet. Hätte ich das Geld noch nicht gehabt, so wäre ich augenblicklich hinzugesprungen, um Euch daran zu verhindern. So aber konnte ich mit heimlichem Vergnügen der vermutlichen Vernichtung der


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Millionen zusehen. Ihr sagtet vorhin, daß niemand sie bekommen werde; es bekommt sie doch jemand, und das sind die rechtlichen Erben.«

»Der Satan vernichte Euch! Ich war des Portefeuilles so sicher, daß ich in den letzten Tagen gar nicht nach demselben gesehen habe. Sind - sind - sind außer dem Gelde auch noch andere Gegenstände drin?«

»Ja, Briefe, wie es scheint.«

»Habt Ihr sie schon gelesen?«

»Nein, sie gehören den Erben; diese sollen sie zuerst lesen.«

»Tod und Verdammnis! Sir, hört, was ich Euch sage! Das Geld ist noch da, und ich bin auch noch da! Denkt ja nicht, daß ihr es so sicher habt! Nun ich die Brieftasche gesehen habe, gebe ich das Spiel noch nicht auf. Es handelt sich um Millionen, versteht Ihr, um Millionen, und darum werde ich kämpfen, bis zum letzten Atemzuge!«

»So kämpft, Mister Melton, kämpft mit wem Ihr wollt! Zunächst wird Euch das nicht sehr leicht werden, und wir werden dafür sorgen, daß Ihr Euer Heldentum nicht weiter mehr entwickeln könnt. Ihr habt recht: es handelt sich um Millionen; die habe ich endlich in meinen Händen, und auch Euch habe ich erwischt; ich gebe Euch mein Wort, daß ich weder das Geld noch Euch wieder loslassen werde!«

Ich ritt zu Emery und Dunker und schärfte ihnen die größte Aufmerksamkeit auf die Gefangenen ein.

»Habt keine Sorge, Sir,« sagte der letztere. »Ich selbst werde die ganze Nacht mit dem Messer in der Hand bei ihnen wachen.«

»Darauf verlasse ich mich. Melton hat mir soeben gesagt, daß er alles daran setzen will, das Geld wieder


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zu bekommen; dabei ist natürlich die Flucht vorausgesetzt. Ich muß leider jetzt fort, denke aber, daß ich ihn in sichern Händen zurücklasse.«

»Sir, nur der Tod kann ihn uns nehmen. Ihr könnt ruhig gehen.«

Da Emery mir dieselbe Versicherung gab, brauchte ich wirklich keine Sorge zu haben. Ich rief noch den Unterhäuptling herbei, um ihm die Zeit des Aufbruches anzudeuten, und ritt dann von dem Orte fort, der dem falschen Erben so verhängnisvoll geworden war.

Wenn ich zu der von Winnetou bestimmten Zeit an das Stelldichein gelangen wollte, so mußte ich mich sputen. Doch hatte ich ein gutes und jetzt ausgeruhtes Pferd und kannte, wenn auch nicht den Weg, so doch die Richtung genau, in der ich den Apatschen zu suchen hatte. Bemerken muß ich noch, daß ich einen Nijora mitgenommen hatte, welcher auch gut beritten war; er sollte mir als Bote dienen, um seinem Häuptlinge zu melden, wie wir die Mogollons treffen würden. - - -


Kapitel 7


Einführung zu "Satan und Ischariot"


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