Jahrgg. 16, Nummer 17, Seite 262
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Lopez Jordan

(El Sendador, Theil I.)

Reiseroman von Karl May.
14. Fortsetzung

San José hat einen kleinen Marktplatz, an welchem die turmlose Kirche liegt. Gegenüber derselben wohnt der Kaufmann Rixio, der Gemahl meiner Mitreiterin, welche ich bis zu ihrer Türe brachte. Dort stieg sie ab, während ich nach dem nahen Postgebäude ritt, wo die Yerbateros bleiben wollten. Doch mußte ich der Dame versprechen, mich so bald wie möglich bei ihr einzufinden.

Kaum hatte ich mich von dem anhaftenden Staube gereinigt, so kam ein junger Herr, welcher sich mir als Rittmeister Rixio vorstellte und den Auftrag hatte, mich zu seinen Eltern zu bringen. Ich mußte ihm sofort folgen.

Das Haus war groß und geräumig, aber nach europäischen Begriffen nur dürftig ausgestattet. Im Empfangszimmer wurde ich von den Eltern des Rittmeisters erwartet, welche mich mit ausgezeichneter Freundlichkeit willkommen hießen. Die Frau konnte ihrem Gemahle nicht genug rühmen, wie gut ihr der Ritt mit dem deutschen Poeta - sie hielt mich in der Tat für einen Dichter - gefallen habe. Ich wurde in die Fremdenzimmer geführt, von denen ich mir eins auswählen durfte. Dann holte man meine Sachen und sogar mein Pferd. Ich sollte eben im weitesten Sinne des Worts Gast des Hauses sein.

Der Offizier führte mich in den Garten. Es gab da einige Pappeln und zwei mir fremde Bäume. Von einem im Sommer schattigen oder gar »lauschigen« Aufenthalte war keine Rede. Diese letztere Bezeichnung ließ sich höchstens auf die Wildwein-Laube anwenden, in welcher wir uns niederließen. Der Offizier bat mich um Verzeihung, daß ich einstweilen nur auf seine Gesellschaft angewiesen sei; die Eltern seien zu sehr mit der Vorbereitung zur abendlichen Tertullia beschäftigt. Wir unterhielten uns trefflich. Der junge Mann gefiel mir. Er hatte so etwas Bedächtiges, Gründliches an sich. Ich konnte nicht umhin, ihm zu sagen:

»Sie scheinen viel nachgedacht zu haben. Das bringt Überzeugung und Ruhe.«

»O, wenn das ein Vorteil ist, so habe ich es nicht mir selbst zu verdanken. Ich habe einen Lehrer und Freund, dessen aufmerksamer Schüler ich bin. Sie hörten auch von ihm. Ich meine Latorre.«

»Ah, dieser! Woher wissen Sie, daß ich von ihm hörte?«

Ein schlaues, überlegenes Lächeln glitt über sein hübsches Gesicht. Er blickte mich schalkhaft an und antwortete: »Ich bemerkte, als ich mich Ihnen im Posthause vorstellte, in Ihren Zügen eine gewisse Spannung. Auch haben Sie zu meiner Mutter von einer Überraschung gesprochen. Ihre Spannung wurde nicht befriedigt, und die Überraschung ist ausgeblieben. Ist es nicht so, Sennor?«

»Genau so!«

»Sie hatten auf Ihre Ähnlichkeit mit Latorre gerechnet?«

»Ja. Aber wie können Sie wissen, daß - -«

»Pst! Es gibt überall Agenten und scharf geöffnete Augen. Man sah Sie in Montevideo ans Land steigen. Ihre Ähnlichkeit fiel auf. Sie wurden beobachtet. Ein gewisser Andaro war bei Ihnen. Vielleicht kann man erfahren, was er bei Ihnen gewollt hat.


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So viel ist gewiß, daß Sie von ihm mit Latorre verwechselt worden sind.«

»Sennor, ich erstaune über das, was ich von Ihnen höre!«

»Es ist gar nicht erstaunlich. In einem Lande, in welchem ein jeder schnell steigen und ebenso schnell fallen kann, ist Vorsicht die größte der Tugenden. Sie wären ganz gewiß von einem der Unserigen besucht worden. Dies unterblieb aber, als man erfuhr, daß Sie nach Mercedes wollen, also über San José kommen mußten. Hier erwartete ich Sie und hätte im Posthause mit Ihnen gesprochen, wenn nicht das Abenteuer meiner Mutter Sie uns näher gebracht hätte.«

»Aber, sagen Sie, wie konnte man wissen, daß ich nach Mercedes will? Das wurde erst spät am gestrigen Abende entschieden.«

»Allerdings, und zwar in einem Spiellokale, in welchem außer Ihnen noch andere saßen, als Sie eintraten, die Ihnen dann aufmerksam zuhörten. Man hatte Sie mit dem Yerbatero gesehen. Man wußte, wo dieser zu verkehren pflegt, und man ahnte, daß er Sie dorthin bringen werde. Doch, da kommt Vater. Lassen Sie uns dieses Gespräch gelegentlich fortsetzen! Sollte es aber Vater für angezeigt halten, jetzt von demselben Gegenstande zu beginnen, so ersuche ich Sie ebenso herzlich wie dringend, ihm keine verneinende Antwort zu erteilen. In Ihrem eigenen Interesse liegt es, daß Sie sich unsere Partei zum Dank verpflichten. Wir können Ihnen bedeutende Vorteile bieten.«

Das klang bittend und beinahe feierlich. Mich aber befremdete es. Was hatte ich mit seiner Partei zu tun? Sowohl die Blancos oder Weißen, wie auch die Colorados oder Roten waren mir sehr gleichgültig. Wer sich in Gefahr begibt, muß sich darauf gefaßt machen, in derselben umzukommen. Am allerwenigsten fiel es mir ein, die gebratenen Kastanien für andere aus dem Feuer zu holen und mich zum Danke dafür mit jenem wackern, sprichwörtlich gewordenen Huftier vergleichen zu lassen, von welchem man sagt, daß es auf das Eis tanzen gehe, wenn es ihm zu wohl geworden ist.

Sennor Rixio kam in würdevoller Haltung auf uns zu, verbeugte sich mit spanischer Grandezza vor mir und bat mich um die Erlaubnis, bei uns Platz nehmen zu können. Die einfache, herzliche Freundlichkeit, mit welcher er mich in seinem Hause empfangen hatte, war von ihm gewichen. Sein Gesicht lag in ernsten, feierlichen Zügen.

Es geschah, was der Rittmeister angenommen hatte: Sein Vater hielt es für geraten, das betreffende Thema sofort aufzunehmen, denn er fragte den Sohn:

»Hast du dem Sennor bereits eine Mitteilung gemacht?«

»Über Allgemeines sprachen wir. Näheres zu sagen, habe ich vermieden,« antwortete der Gefragte. »Der Sennor weiß aber bereits, daß wir ihn zu uns dirigiert hätten, selbst wenn Mutter nicht so glücklich gewesen wäre, ihn unterwegs kennen zu lernen.«

»So ist die Einleitung geschehen, und Sie werden sich nicht wundern, wenn ich Sie frage, Sennor, zu welcher Partei Sie halten, zu den Roten oder zu den Weißen?«

Er blickte mir mit einer Spannung in das Gesicht, als ob von meinem Bescheide das Glück des ganzen Landes abhänge.

»Ich wundere mich allerdings, diese Frage zu hören, Sennor,« sagte ich. »Ich bin ein Deutscher und lege auch im Auslande meine Nationalität nicht ab.«

»Nun, so will ich meine Frage anders formulieren: Welcher Partei geben Sie recht, den Colorados oder den Blancos?«

»Ich bin nicht zum Richter über sie gesetzt.«

»Aber, Sennor, es handelt sich ja gar nicht um einen Urteilsspruch. Es verlangt mich nur, Ihre persönliche Ansicht zu hören.«

»Die können Sie leider nicht hören, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich keine Ansicht habe. Um zu wissen, wer recht hat, müßte ich die hiesigen Verhältnisse studiert haben, was aber nicht der Fall ist. Ich beschäftige mich nicht mit Politik, da ich eingesehen habe, daß ich nicht die geringste staatsmännische Begabung besitze. Mich interessieren die allgemein geographischen und ethnographischen Verhältnisse eines Landes. Auf andere Betrachtungen lasse ich mich niemals ein.«


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Er zog die Brauen enger zusammen, gab sich aber Mühe, das Gefühl der Enttäuschung nicht bemerken zu lassen. Er fand keine Handhabe, an welcher er mich zu fassen vermochte.

»Aber, Sennor,« sagte er, »Sie müssen doch wenigstens eine Art von Teilnahme für die Zustände desjenigen Landes haben, in welchem Sie sich jeweilig befinden!«

»Das ist natürlich auch der Fall, nur daß mir gerade diejenige Art der Zustände, welche man politisch nennt, gleichgültig sind. Ich verspeise das Brot, ohne mich um den Bäcker zu bekümmern, der es gebacken hat, und Millionen freuen sich des Frühlings, ohne Astronomie studieren zu müssen, um die Ursache desselben kennen zu lernen.«

»Sennor, Sie bringen mich in Verlegenheit. Sie sind glatt wie ein Aal; Sie weichen mir aus, obgleich Sie jedenfalls recht gut wissen, worüber ich mit Ihnen sprechen will. Sie wissen doch, daß bei uns zwei Parteien sich gegenüberstehen?«

»So viel weiß ich.«

»Die Partei, zu welcher ich gehöre, hat das wirkliche Wohl des Landes im Auge. Sie will Ordnung, Gerechtigkeit und Wohlstand schaffen, während die andere Partei das Gegenteil, die Verwirrung wünscht, um im Trüben fischen zu können. Wir wissen, daß wir siegen werden; aber bis dahin kann noch eine lange Zeit vergehen, welche große Opfer fordert. Wir stehen im Begriff, diese Opfer zu sparen, indem wir zu einer großen, unerwarteten Tat schreiten. Gelingt dieselbe, so sind unsre Gegner vernichtet, oder doch wenigstens für Jahrzehnte hinaus unschädlich gemacht. So unglaublich es klingen mag, so sind Sie es, welcher außerordentlich viel zu diesem Gelingen beitragen kann.«

»Ich? Sie überraschen mich auf das höchste! Ich, der Fremde, der sich erst seit gestern im Lande befindet, sollte so etwas vermögen!«

»Der Grund liegt in Ihrer außerordentlichen Ähnlichkeit mit dem Manne, welchen wir an unsre Spitze zu stellen beabsichtigen.«

»Mit Latorre also? Darf ich um die Erklärung bitten?«

»Sie würde sehr einfach sein, wenn ich mich auf Ihre Diskretion vollständig verlassen könnte.«

»Ich gebe Ihnen das Versprechen der strengsten Verschwiegenheit.«

»Nun, so will ich, obgleich ich Sie nicht näher kenne, im Vertrauen auf Ihr ehrliches Gesicht es wagen, Ihnen einige Andeutungen in Beziehung auf unsern Plan zu geben. Wir wünschen uns Latorre zum Präsidenten - -«

»Das vermutete ich.«

»Also haben Sie doch nachgedacht, was Sie vorhin in Abrede stellten. Soll dieser Wunsch in Erfüllung gehen, so dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen; wir müssen vielmehr arbeiten. Aber nicht nur wir, sondern auch Latorre selbst muß eine Tätigkeit entfalten, welche seine ganzen Kräfte in Anspruch nimmt. Das werden Sie einsehen, Sennor?«

»Natürlich! Kein Ziel ohne Streben, kein Preis ohne Anstrengung und kein Lohn ohne Arbeit.«

»Nun aber ist Latorre Offizier. Er ist an diesen Beruf gebunden, dem er sich ganz zu widmen hat. Das ist ein großes Hindernis. Er muß also seinen Abschied oder wenigstens einen längeren Urlaub nehmen, um die notwendige Muße zu gewinnen und außerdem sich der bei seinen dienstlichen Verhältnissen unvermeidlichen Beaufsichtigung entziehen zu können.«

»Diese Notwendigkeit sehe ich ein. Was aber hat dies mit meiner unbedeutenden Persönlichkeit zu tun?«

»Außerordentlich viel. Unser späterer Präsident hat seine Dispositionen in tiefster Verborgenheit zu treffen. Er hat Reisen zu unternehmen, von denen unsre Gegner nichts ahnen dürfen. Da gibt es Besuche, Konferenzen und dergleichen, welche nur im stillen abgehalten werden dürfen. Da man aber ahnt, was im Werke liegt, so beobachtet man ihn auf das allerstrengste. Darum müssen wir ein Mittel zu entdecken suchen, welches geeignet ist, diese lästige und gefährliche Aufmerksamkeit von ihm abzulenken. Wir haben es gefunden. Dieses Mittel sind - - Sie, Sennor.«

»Ich, ein Mittel? Schön! Aber wollen Sie mir auch sagen, welche Wirkung dieses Mittel haben soll?«


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»Indem wir die Aufmerksamkeit unsrer Gegner von Latorre abziehen und auf Sie lenken.«

»Ah, jetzt beginne ich zu begreifen. Ihre Gegner sollen mich für ihn halten?«

»Ja.«

 »Soll ich vielleicht seinen militärischen Rang einnehmen und seine bezüglichen Pflichten erfüllen, während er sich nach einem Orte zurückzieht, an welchem er unbeobachtet für Ihre Partei wirken kann?«

»Ihre Frage trifft die Wahrheit halb, zur anderen Hälfte geht sie über dieselbe hinaus. Seinen Rang können Sie nicht einnehmen; das ist sehr klar. Aber die Angelegenheit soll so arrangiert werden, daß Latorre sich einen Urlaub nimmt, um auf einer entlegenen Hazienda oder Estanzia seine angegriffene Gesundheit zu kräftigen. Dorthin reisen Sie; dort tragen Sie seine Uniform; dort sind Sie ganz Latorre. Man wird alle Aufmerksamkeit auf Sie richten und dann finden, daß Sie in tiefster Einsamkeit nur allein Ihrer Gesundheit leben. Inzwischen geht Latorre incognito nach einer ganz anderen Gegend, wo er seine Anhänger sammelt, seine Pläne entwirft und dann zur geeigneten Stunde losbricht.«

»Und was wird aus mir zu dieser geeigneten Stunde?«

»Sie setzen Ihre unterbrochene Reise fort, nachdem Sie die eklatantesten Beweise unsrer Dankbarkeit empfangen haben.«

»Und worin werden diese Beweise bestehen? Meinen Sie irgendeine Bezahlung?«

»Bezahlung! Wer wird sich so eines Wortes bedienen! Nennen wir es Honorar, Dotation oder dergleichen. Bestimmen Sie die Höhe der Summe, welche Sie für zureichend halten, das Opfer zu ersetzen, welches Sie uns bringen.«

»Ich kenne die Art und die Größe dieses Opfers nicht. Es kann sich um eine kleine Zeitversäumnis, aber auch um mein Leben handeln, Sennor.«

»Das letztere unmöglich!«

»O doch. Wenn der echte Latorre losbricht, können seine Gegner sich sehr leicht über den unechten heranmachen, um ihn ein wenig tot zu schießen. Werde ich füsiliert, so bin ich nicht mehr imstande, mich der Dotation zu erfreuen, welche Sie mir so freundlich bewilligen wollen.«

Der Rittmeister hatte bisher seinen Vater sprechen lassen. Jetzt sagte er:

»Sennor, fürchten Sie sich? Ich habe Sie für einen mutigen Mann gehalten!«

»Ich bin kein Feigling; das habe ich schon oft bewiesen und finde wahrscheinlich Gelegenheit, es auch fernerhin zu beweisen. Aber es ist zweierlei, das Leben für sich selbst, für die Seinigen, für sein Vaterland zu wagen oder es um Geldes willen für fremde Interessen auf das Spiel zu setzen. Was das Wagnis an sich betrifft, so wollte ich mich getrost für Latorre ausgeben und die Folgen ruhig erwarten. Ihre Gegner fürchte ich gerade so wenig, wie ich auch vor Ihnen keine Angst besitze. Brächte mich diese Angelegenheit in Gefahr, so traue ich mir Mut und List genug zu, derselben zu entkommen. Also die Rücksicht auf einen etwaigen Schaden, den ich erleiden könnte, ist es nicht, was mich verhindert, auf Ihre Offerte einzugehen.«

»Welchen anderen Grund hätten Sie dann?«

»Den, daß die Sache mir nicht gefällt. Ich hasse die Unwahrheit, die Lüge, und einer großen, ungeheuern Lüge würde ich mich schuldig machen, wenn ich Ihren Wunsch erfüllte.«

»Aber es ist für die gute Sache!«

»Jeder andere würde mir ganz dieselbe Versicherung geben.«

»Sennor, Sie sind sehr schwer zu bekehren!«

»Weil ich überhaupt nicht bekehrt sein will.«

Bei diesen Worten stand ich auf. Der Kaufmann ergriff schnell meinen Arm, zog mich auf den Sitz nieder und sagte:

»Handeln Sie nicht zu schnell, Sennor! Sie bleiben mein Gast auf alle Fälle, selbst wenn die Hoffnungen, welche wir auf Sie setzten, nicht erfüllt werden. Ich zweifle übrigens noch nicht daran, daß wir dennoch einig werden. Vielleicht wissen Sie nicht, welche Gegenleistung Sie von unsrer Dankbarkeit erwarten dürfen. Es sind reiche, sehr reiche Männer unter uns,


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und der Vorteil, welchen Ihre Ähnlichkeit mit Latorre uns bietet, ist so groß, daß Sie durch die Annahme meines Vorschlags geradezu Ihr Glück machen können.«

»Was nennen Sie Glück?«

»Als Kaufmann verstehe ich unter dem Ausdrucke "sein Glück machen" die Erlangung großer geschäftlicher Vorteile, also besonders die Erwerbung einer Summe Geldes von so bedeutender Höhe, daß man für die Lebenszeit aller Sorgen enthoben ist. Sagen Sie mir, welche Summe Sie verlangen!«

»Gar keine. Ich sehe mich ganz außer Stande, Ihnen den gewünschten Dienst zu erweisen.«

»Hoffentlich ist das nicht Ihr letztes Wort in dieser Angelegenheit, welche Ihre ganze Zukunft bestimmen kann.«

»Mein Entschluß lautet nicht anders, und ich pflege solche Entschlüsse niemals aufzugeben.«

»Dennoch bitte ich Sie, sich die Sache doch noch zu überlegen. Ich will jetzt nicht näher in Sie dringen. Sie haben heute abend Gelegenheit, uns kennen zu lernen. Wenn Sie sich dann meinen Vorschlag beschlafen, so werden Sie mir morgen früh gewiß Ihre Zusage erteilen.«

Ich wollte eine Gegenbemerkung machen; aber er stand auf und wehrte mir mit den Worten ab:

»Bitte, sagen Sie jetzt nichts mehr! Sie wissen nun, um was es sich handelt. Bis morgen wird Ihnen wohl der bessere Entschluß kommen. Ich sehe, daß man die Lichter anbrennt. Die Gäste werden jetzt kommen. Begeben wir uns in das Haus.«

Es war beinahe dunkel geworden. Wir befanden uns im Oktober, also im südamerikanischen Frühlinge, wo die Abende zeitig anbrechen. Vom Hause her flimmerte Lichterschein. Die berühmte Tertullia sollte beginnen. Darum begaben Vater und Sohn sich nach den Gesellschaftsräumen; ich aber suchte meine Stube auf, um nicht der erste der Gäste zu sein. Vorher aber ging ich zu einem Bäcker, welcher nebenan wohnte, wie ich bemerkt hatte, und kaufte mir ein Schwarzbrot, wie es hier von den armen Leuten gegessen wird. Mit demselben begab ich mich in den Stall, um mein Pferd zu füttern.

Der Knecht war anwesend. Er wunderte sich nicht wenig, als er das Brot sah und daß ich es zerschnitt und dem Pferde gab. Auch für das Tier war diese Gabe etwas ganz ungewohntes. Es fraß und rieb dabei den Kopf dankbar an meiner Schulter. Jedenfalls war es das erste Mal, daß es bei einem Menschen Liebe fand. Als ich es streichelte, wieherte es freudig auf. Ich war überzeugt, daß es mir gelingen werde, es an mich zu gewöhnen.

Das Zimmer, welches ich mir ausgewählt hatte, lag nach dem Hofe zu. Es hatte zwei Fenster, zwei wirkliche Fenster mit Glasscheiben, ein Luxus, auf welchen der Reisende zu verzichten bald gezwungen ist. Es gab da ein gutes Bett, einen Tisch und einige Stühle. Auf einem der letzteren stand ein breiter Wassertopf, und dabei lag ein feines, weißes Taschentuch. Beides stellte das Waschgeschirr vor. Anstatt des Sofas gab es eine Hängematte, welche an zwei Mauerringen hing. Auf dem Tische lag ein Karton mit Zigaretten. Das war eine dankenswerte Aufmerksamkeit des Wirtes gegen mich. Freilich rührte ich


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die kleinen Dinger nicht an. Ein wirklicher Raucher, wenn er nicht Südamerikaner ist, mag von Zigaretten nichts wissen, Er will Tabak haben, aber nicht Papier.

Zu meiner Genugtuung bemerkte ich, daß sich an der Türe ein Nachtriegel befand. Ich hegte natürlich nicht das geringste Mißtrauen gegen die Bewohner des Hauses; aber ich dachte an den falschen Polizeikommissar, der sich höchst wahrscheinlich nun auch hier im Städtchen befand. Er hatte bei Rixio gelernt und kannte also die Räume des Gebäudes ganz genau. Vielleicht kam er auf den Gedanken, mir einen nächtlichen Besuch zu machen. Das konnte durch den Riegel verhütet werden.

Ich hatte ein Rindstalglicht brennen, welches auf dem Tische stand. Eben war ich beschäftigt gewesen, den Riegel hin und her zu schieben, um mich von der Brauchbarkeit desselben zu überzeugen, da sah ich, mich umwendend, ein Gesicht, welches zum Fenster hereingeblickt hatte und jetzt so schnell verschwand, daß es mir unmöglich war, die Züge desselben zu erkennen. Ich vermochte nicht einmal zu sagen, ob es ein männliches oder ein weibliches sei.

Ein Sprung brachte mich zum Fenster. Es war verquollen, vielleicht seit langer Zeit nicht geöffnet worden, daß es mir schwer gelang, den einen Flügel aufzumachen, und als ich dann in den Hof blickte, sah ich keinen Menschen. Es war dunkel draußen, da der Mond erst in einer Viertelstunde aufging.

Besorgniserregend war die Sache nicht. Vielleicht war einer der vielen dienstbaren Geister des Hauses neugierig gewesen, zu sehen, was der Fremde in seiner Stube eigentlich treibe. Doch verschloß ich nunmehr das Fenster fest, so daß es von draußen nicht geöffnet werden konnte.

Bald kam der Rittmeister, um mich abzuholen. Er erwähnte das vorhin gehabte Gespräch mit keinem Worte und war so freundlich und höflich wie zuvor gegen mich. Jedenfalls war er ganz der Ansicht seines Vaters, daß ich meinen Entschluß doch noch ändern werde.

Im Salon war eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft von Damen und Herren versammelt. Die Blicke, welche sich bei meinem Eintritte auf mich richteten, sagten mir, daß von mir bereits die Rede gewesen war. Ich wurde vorgestellt und hörte eine Menge langer, hochtönender Namen und Titel, welche ich augenblicklich wieder vergaß. Der Spanier ist in dieser Beziehung fast wie ein Araber: Er liebt es, seinem Namen die Namen und einstigen Würden seiner Vorfahren beizufügen. Dem Fremden klingen diese wohllautenden Worte sehr angenehm in das Ohr; wenn man sie aber in das Deutsche übersetzt, so verschwindet die Poesie und das Imponierende. Don Gänseschmalz von Ofenruß, Donna Maria Affensprung von Hobelspan und ähnliche Namen haben nur im Spanischen Wohlklang, aber im Deutschen nicht.

Für einen oberflächlichen Beobachter konnte es leicht sein, die Gesellschaft eine glänzende zu nennen; leider aber besaß ich scharfe Augen. Mir fiel der viele Puder auf, das stumpfe Schwarz der Augenbrauen und Stirnlöckchen, welches auf die Anwendung gewisser Färbemittel schließen ließ. Ich sah die


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zierlichsten Füßchen mit Schuhen Nummer Null; aber an diesen Schuhen war irgend eine Naht geplatzt oder die Sohle klaffte los. Zarte Damenhände mit schwarz geränderten Fingernägeln, rauschende Seide mit Brüchen und die Säume ausgefranst, falsche Steine in kunstvoller Fassung - und wie die Kleidung, der Putz, so war auch alles andere darauf berechnet, das Auge, das Ohr, die Sinne zu bestechen, Echtheit aber fand ich nicht.

So war es auch bei der Tafel. Mein Messer hatte einen Griff von Elfenbein, die Gabel einen von papierdünnem Silber, mit Kolophonium ausgefüllt; der Löffel war zerbrochen gewesen und zusammengelötet worden. Die Früchte erschienen in kostbar gewesenen Vasen, an den Stücke fehlten. So war das ganze Geschirr beschaffen, aber die Speisen waren gut. Vorzüglich mundete mir der landesübliche Asado, welcher ganz vortrefflich war.

Asado ist ein Spießbraten. Das Leibgericht des Gaucho aber ist Asado con cuero, Spießbraten in der Haut. Wird ein Rind oder Pferd geschlachtet, so schneidet sich der Gaucho ein Stück des noch dampfenden Fleisches samt der Haut ab, steckt es an ein Holz und hält es über das Feuer. Nun wartet er nicht etwa, bis das Stück ganz durchbraten ist, sondern er brät Bissen um Bissen. Dabei fährt er mit dem Fleische abwechselnd an den Mund und wieder an das Feuer und hantiert sich mit dem scharfen, langen Messer so vor der Nase her, daß einem angst und bange um dieselbe wird, denn er beißt in das Fleisch, bevor er sich den Bissen abschneidet.

Unser heutiger Asado war ohne Haut, doch war es nichts weniger als appetitlich, zu sehen, wie er verspeist wurde. Ich sah Damen, welche sehr einfach die Hände als Gabeln und die Zähne als Messer benutzten. Das fiel hier gar nicht auf. Ich erhielt vielmehr von mehreren Seiten die wohlgemeinte Aufforderung, es mir ebenso bequem zu machen und nicht wie eine Gouvernante zu essen.

Später wurde getanzt. Darauf hatte ich mich gefreut. Ich sehnte mich, allein in einer Ecke zu sitzen und zuzuschauen. Leider aber kam ich nicht dazu. Man gab mich nicht frei. Ich war und blieb der Mittelpunkt der Unterhaltung, aber einer ganz und gar gehaltlosen Konversation. Man sprach von allen Seiten auf mich ein. Ich sollte und mußte auf alle möglichen und unmöglichen Fragen Antwort erteilen. Es wurde mir zu Mute wie einem alten Uhu, welcher, an seinen Sitz gefesselt, von einer Schar Krähen und Elstern umschwärmt wird, deren er sich nicht erwehren kann. Und dabei war man überzeugt, ich sei entzückt, mit solcher Liebenswürdigkeit behandelt zu werden. Man tanzte nach den Tönen von Guitarren, deren mehrere vorhanden waren. Diese Instrumente wurden meisterhaft gespielt. Der Spanier scheint als Guitarrero geboren zu werden.

Nun hatte man sich unterhalten, gegessen, getanzt, und es blieb nur noch eins zu tun - - zu spielen. Bald saßen sie alle, Männlein und Weiblein, bei den Karten. Ich beteiligte mich nicht, was mit Kopfschütteln kritisiert wurde. Eine Zeitlang interessierte es mich, den Zuschauer zu machen; als aber der Teufel des Spiels seine Samtpfötchen nach und nach in Krallen verwandelte und ich aus schön sein sollendem Munde so manches Fluchwort hörte, da schlich ich mich heimlich fort. An einem deutschen Skate mag man sich beteiligen, an einem südamerikanischen Juego aber nicht. Es ist kein Vergnügen, die Leidenschaften zu beobachten, welche das Gesicht eines solchen Spielers oder gar so einer Spielerin verzerren. Die berühmte Tertullia war jetzt für mich zu Ende, und ich kann nicht behaupten, daß ich von ihr sehr erbaut gewesen sei.

Draußen im Vorzimmer saßen die bedienenden Peons und - spielten auch. Mein Erscheinen war für sie keine Veranlassung, sich stören zu lassen.

Ich hatte meine Stube nicht verschlossen, da es möglich war, daß die Dienerschaft während meiner Abwesenheit da noch zu tun hatte. Der Mond schien so hell zum Fenster herein, daß ich einer andern Beleuchtung nicht bedurfte. Ich überzeugte mich, daß die Fenster noch so wie vorher verschlossen waren. Unter das Bett zu schauen, das vergaß ich. Vielleicht hätte ich es getan, aber man hatte mir so fleißig zugetrunken, und ich war gezwungen gewesen, so viel Bescheid zu tun, daß


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der schwere, gefälschte Fabrikwein mich ermüdet hatte. Ich schob den Riegel vor und fiel, als ich mich gelegt hatte, sofort in einen tiefen Schlaf.

Der Aufenthalt in den Prärien hatte meine Sinne so geschärft, daß sie sich selbst während dieses tiefen Schlafes nicht ganz außer Tätigkeit befanden. Mir träumte, ich liege im Walde und werde von Indianern beschlichen. Einer derselben kam an mich heran und holte aus, um nach mir zu stechen. Ich sprang auf, um mich zu wehren, und - erwachte. Ich saß im Bette.

Noch lag der Mondschein in der Stube; nur die Türgegend war im Dunkel. Es war mir,als ob dort sich eine menschliche Gestalt bewege.

»Wer da?&# Ich erhielt keine Antwort, vernahm aber ein leises Knarren. Ich sprang aus dem Bette und nach der Tre. Sie war zu. Also hatte ich mich wahrscheinlich get„uscht. Darum legte ich mich beruhigt wieder nieder und schlief nun ohne Unterbrechung bis zum Morgen.

(Fortsetzung folgt.)
(Inhaltsverzeichnis)