Jahrgg. 16, Nummer 20, Seite 309
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Lopez Jordan

(El Sendador, Theil I.)

Reiseroman von Karl May.
17. Fortsetzung

Der Offizier erklärte, daß er erst dann sich Tiere auswählen werde, wenn er sämtliche Pferdeabteilungen gesehen habe. Wir ritten also von einem Weideplatze nach dem andern und entfernten uns so immer weiter von der Estanzia. Ich hatte die Augen überall, denn ich ahnte eine Hinterlist. Der Yerbatero mochte mir das ansehen, denn er drängte bei einer Gelegenheit, wo die andern seine Worte nicht hören konnten, sein Pferd an das meinige und fragte:

»Sind Sie noch immer besorgt, Sennor?«

»Ja.«

»Aber es kann doch gar nichts geschehen!«

»Warten wir es ab!«

»Die Soldaten können uns gar nichts anhaben, selbst wenn sie wirklich etwas Feindseliges planen. Ein Ruf von mir, ein Pfiff, und alle meine Gauchos eilen zu unserer Hilfe herbei!«

»Das ist das einzige, was mich zu beruhigen vermag.«

»So lassen Sie also Ihre Angst fallen!«

»Angst? Pah!«

Jetzt schob sich der Lieutenant geflissentlich zwischen uns. Er wollte es verhüten, daß wir unter vier Augen mit einander sprachen. Das befestigte natürlich meinen Verdacht. Monteso machte uns jetzt darauf aufmerksam, daß wir in eine Hürde kämen, in welcher sich die besten und ungezähmtesten seiner Pferde befänden. Da war die Hecke dichter und höher als


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anderwärts. Der Eingang wurde durch sehr starke Holzpfosten verschlossen, welche zurückgeschoben werden mußten, damit wir hinein konnten.

Wir sahen da allerdings Pferde, welche noch nicht geritten worden waren, denn keines trug die unvermeidlichen Spuren der großen, scharfen Sporenräder. Prächtige Exemplare waren dabei; dennoch sah ich keines, für welches ich meinen Braunen hätte umtauschen mögen. Überhaupt bemerkte ich, daß der Lieutenant demselben eine Aufmerksamkeit schenkte, welche mir nicht lieb sein konnte. Er erklärte, daß er hier unmöglich kaufen könne, da die Pferde zu wild seien, um in der Schwadron geritten werden zu können. Wir verließen also auch diesen Platz, welcher wohl beinahe eine Wegsstunde von der Estanzia entfernt lag. Einige Gauchos begleiteten uns bis an den Eingang zurück. Dort stiegen sie von ihren Pferden, um die Planken wieder zu entfernen. Wir kamen in das Freie und ritten nun die Kaktushecke entlang, um zu der letzten Pferdeherde zu kommen. Die Hecke bildete eine Ecke, um welche wir biegen mußten. Eben als wir dies tun wollten, sah ich einen Kavalleristen, welcher von der andern Seite hervorkam.

»Halt!« rief ich. »Nicht weiter!«

Aber da gab der Lieutenant meinem Pferde einen Hieb mit der Peitsche, daß es um einige Längen vorschoß. Ehe ich es zum Halten bringen konnte, waren wir von gewiß über fünfzig Reitern umgeben, welche hinter der Ecke hervorgeschossen kamen und uns umringten. Sie trugen alle dieselbe Uniform oder vielmehr Kleidung, welche ich bei den Begleitern des Lieutenants beschrieben habe. Verwegene, abgelumpte Gestalten, die man viel eher für Räuber als für Soldaten hätte halten mögen.

Sie hatten uns hinter der Kaktushecke erwartet. Der Soldat, dessen Fehlen ich bemerkt hatte, war fortgeritten, um sie zu benachrichtigen, daß und wann wir kommen würden. So viel war mir nun klar.

Sie drängten sich so eng an uns, daß unsere Pferde sich kaum bewegen konnten. Deshalb rief ich:

»Was soll das bedeuten! Zurück mit euch!«

»Unsere Gefangenen seid ihr!« antwortete der Anführer.

»Weshalb?«

»Das werdet ihr erfahren.«

»So gebt Raum zum Sprechen! Platz gemacht!«

Ich nahm mein Pferd hoch und schlug ihm die Fersen in den Leib. Es stieg empor, und ich riß es im Halbkreise herum. Dann ließ ich es vorn wieder nieder und zwang es, hinten auszuschlagen. Es schnellte die Hinterbeine hoch empor, und ich bekam Platz, denn diejenigen, welche mir nahe hielten, mußten zurückweichen, damit ihre Pferde nicht getroffen wurden.

»Hallo!« rief der Anführer. »Gebt keinen Weg frei! Fort, Galopp!«

Das war ein sehr kluger Streich von ihm. Seine Truppe setzte sich augenblicklich in Bewegung und riß uns mit fort. Wir schossen im Galopp über den Camp dahin, so daß ich weder Zeit noch Raum fand, mir Platz zu machen und aus der Mitte des dichten Haufens herauszukommen. Kaum fand ich Zeit, nach dem Yerbatero zu sehen. Seine Überraschung war so groß gewesen, daß er gar nicht daran gedacht hatte, seinen Gauchos zu pfeifen. Selbst wenn er das getan hätte, wäre es ohne Erfolg geblieben. Wir hätten auf jeden Fall die Übermacht gegen uns gehabt.

Wie eine Estampeda, so nennt der Spanier eine ausgebrochene, flüchtende Pferdeherde, flogen die Tiere dahin. Ich gab mir alle Mühe, zurück zu bleiben oder wenigstens mir mehr Raum zu verschaffen, vergeblich. Ich hörte Montesos fluchende und wetternde Stimme. Niemand antwortete ihm. Ich meinesteils sagte kein Wort, hielt auch endlich in meinem Sträuben inne und ließ mich mit fortreißen. Es ging weiter und immer weiter. Dabei vermieden die Kerle die Nähe von Niederlassungen. Nur einzelne Gauchos oder Peons, welche sich auf dem Felde bei den Pferden befanden, sahen uns vorüber jagen und blickten uns verwundert nach.

So ging es eine halbe Stunde lang. Von den Pferden troff der Schweiß. Es wurde nur getrabt; aber man hielt uns dabei ebenso eng umschlossen, wie vorher. Ich fand nun doch Zeit, diese Kavalleristen aufmerksamer zu betrachten.


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Von einer einheitlichen Uniform war keine Rede. Die Leute trugen zwar alle die Chiripa und den Poncho in schreienden Farben; aber außer diesen beiden Kleidungsstücken hatte sich ein jeder nach Belieben ausstaffiert. Einige von ihnen hatten Schießwaffen; die übrigen befanden sich im Besitz von Lanzen. Außerdem waren alle ohne Ausnahme mit dem Lasso und der Bola versehen. Selbst wenn ich die Verhältnisse des Landes, in welchem ich mich befand, in Betracht zog, mußte ich diese Kerle eher für zusammengelaufene Abenteurer, als für regelrechte Kavalleristen halten. Der Anführer war in eine schreiende Phantasieuniform gekleidet und trug kein Abzeichen seines Ranges. So, wie er aussah, konnte man sich einen Rinaldini vorstellen.

Monteso hatte sich hinter mir befunden. Jetzt gelang es ihm, mir an die Seite zu kommen.

»Was sagen Sie zu so einer Infamie, Sennor?« fragte er mich, vor Aufregung schnaubend.

»Nichts!« antwortete ich kurz.

»Ich werde die Menschen streng bestrafen lassen!«

»Zunächst wird Ihnen das unmöglich sein. Hätten Sie nur auf mich gehört!«

»Bitte, keine Vorwürfe! Sobald man anhält, werde ich sprechen. Diese Halunken sollen Respekt bekommen!«

Man verbot uns das Reden nicht; aber man lachte laut über die machtlosen Drohungen des Yerbatero. Er war ganz der Ansicht, daß es geraten sei, allen möglichen Widerstand zu leisten. Ich riet ihm davon ab. Noch wußten wir ja gar nichts, was man von uns eigentlich wollte. Günstigen Falles hatte man uns nur zu einem unfreiwilligen Ritt über den Camp gezwungen. Und ungünstigen Falles konnte die Sache auch nicht allzu gefährlich werden, weil wir gar nichts verbrochen hatten. Ich stellte ihm das vor und beruhigte ihn dadurch wenigstens so weit, daß er jeden unnützen Widerstand aufgab.

Wir hatten eine ganz bedeutende Strecke zurückgelegt, als man endlich den Pferden erlaubte, im Schritt zu gehen. Jetzt konnte man reden. Darum wendete ich mich an den Anführer:

»Sennor, wann werden wir erfahren, aus welchem Grunde und zu welchem Zwecke man uns zu diesem Ritte gezwungen hat?«

»Am Lagerplatze,« antwortete er kurz. »Und nun schweigen Sie! Ich habe keine Lust, mich unterwegs mit Ihnen zu befassen!«

Das klang sehr streng und feindselig, so wie man einen Lumpen, einen Halunken anschnauzt. Darum antwortete ich ihm in demselben Tone:

»Ich ersuche Sie, höflicher zu sein! Sie haben keinen Knecht vor sich!«

»Was Sie sind, das werde ich Ihnen später sagen und beweisen! Wenn Sie jetzt nicht schweigen, verfahre ich strenger und lasse Sie fesseln, wie es solchen Leuten zukommt.«

Ich schwieg. Monteso knirschte wütend mit den Zähnen.

Wir waren bisher durch offene Gegend gekommen. Jetzt aber sahen wir Berge vor uns, das heißt, was man in jenen Gegenden versucht ist, Berge zu nennen. Es waren nur höhere Bodenwellen mit zerstreuten Felsen darauf. Als wir sie erreicht hatten, sahen wir jenseits einen Fluß, welcher sich in fast schnurgerader Linie quer über unser Gesichtsfeld zog.

»Das ist der Rio Yi, welcher ein wenig weiter abwärts in den Rio Negro fällt,« erklärte der Yerbatero. »Da unten wird der Lagerplatz sein.«

Zu beiden Seiten des Flusses gab es einen schmalen Streifen lichten Baum und Buschwerkes. Wald konnte man es nicht wohl nennen. Weit oben zur Rechten sah ich einen Rancho liegen. Im übrigen schien die Gegend sehr einsam zu sein. Nicht einmal eine Herde war zu erblicken.

Als wir von der Höhe herabgeritten waren und uns nun dem Flusse näherten, sah ich einen Reiter, welcher uns langsam von dorther entgegen kam. Ich erkannte den Menschen sofort, und auch Monteso fragte mich:

»Sehen Sie diesen Halunken? Wissen Sie, wer es ist?«

»Der Comisario criminal. Ich ahnte, daß er seine Hand im Spiele habe.«

»Hätte ich eine Flinte, so schösse ich ihn nieder!«

»Das verbietet sich von selbst. Schweigen wir jetzt.«


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Der Spitzbube begrüßte den Anführer sehr höflich. Er nannte denselben Major. Aus seinen Augen schien kein Blick auf uns zu fallen, aber sein Gesicht strahlte förmlich vor Befriedigung. Natürlich kehrte er um, indem er mit uns zum Flusse ritt. Dort wurde unter Bäumen Halt gemacht und abgestiegen.

Der Boden war hier sumpfig, jedenfalls der Grund, daß wir keine weidenden Tiere gesehen hatten. Man hielt uns natürlich auch jetzt noch eng umringt, doch konnte ich den Fluß bequem sehen. Er war nicht allzu breit, schien aber tief zu sein.

Wir waren ebenfalls abgestiegen. Der Platz, an welchem wir uns befanden, stach vorteilhaft von seiner Umgebung ab, da er sandig und trocken war. Dennoch eignete er sich nicht zum Lagern. Wer befindet sich gern in sumpfiger Gegend, wo böse Dünste herrschen und allerlei Insekten die Menschen und Tiere belästigen! Aus diesem Grunde beabsichtigte die famose Kavallerie wohl nicht, sich lange hier zu verweilen und unser Schicksal sollte hier entschieden werden.

Der Ort war frei von Sträuchern und groß genug, daß die Leute mit ihren Pferden einen undurchdringlichen Kreis bildeten, in dessen Mitte wir beide uns befanden. Es wurden einige Pferde abgesattelt. Man legte die Sattel in den Sand, damit sie den Herren, welche über uns richten sollten, als Sitze dienen möchten. Die Richter waren der Major, der Lieutenant und drei andere Kerle, welche wir Rittmeister, Oberlieutenant und Wachtmeister nennen hörten. Der liebe Kommissar stand bei ihnen. Der Yerbatero befand sich in einer außerordentlichen Aufregung. Gleich, als wir von den Pferden stiegen, hatte er losbrechen wollen, doch hatte ich ihn gebeten, vorläufig zu schweigen und erst abzuwarten, was man beginnen und wessen man uns beschuldigen werde.

So standen wir ruhig neben einander und sahen zu, wie die fünf Sennores sich niedersetzten und sich die größte Mühe gaben, ihre Gesichter in würdevolle Züge zu legen. Jetzt begann der Major in strengem Tone:

»Sie haben vorhin gefragt, weshalb wir Sie hierher geführt haben. Sie werden nun unsere Antwort und auch Ihr Urteil erhalten. Sie sind nämlich wegen Aufruhr und Landesverrat in Anklagestand zu setzen.«

Er schien der Ansicht zu sein, daß er uns mit diesen Worten förmlich niedergeschmettert habe; das war aus dem Gesicht zu ersehen, welches er uns machte. Monteso wollte losplatzen; ich winkte ihm, zu schweigen, und antwortete dem Offizier:

»Wer hat diese Anklage gegen uns erhoben?«

»Dieser Sennor.« Er zeigte auf den Kommissar.

»Das ist unmöglich. Eine Anklage kann nicht von einem einzelnen Menschen, sondern sie muß von einem Gericht erhoben werden. Der Mann, den Sie meinen, könnte höchstens als Zeuge auftreten.«

»Das tut er auch. Das Gericht aber sind wir, nämlich das Militärgericht.«

»Selbst wenn ich Sie als Militärrichter anerkennen wollte, würden Sie in dem vorliegenden Falle nicht kompetent sein. Ich bin ein Fremder, aber dennoch weiß ich, daß das Verbrechen des Aufruhrs und des Landesverrates von den Geschworenen und in höherer Instanz von dem Appellationsgericht abzuurteilen ist.«

»Nach Ihrer Anerkennung haben wir nicht zu fragen!«

»O doch! Selbst ein Verbrecher hat seine unantastbaren Rechte, und als einen Verbrecher darf man nur dann einen Menschen bezeichnen, wenn er überführt worden ist.«

»Wir werden Sie überführen!«

»Das bezweifle ich. Hätte ich Waffen bei mir, so würde ich überhaupt gar nicht mit Ihnen sprechen, wenigstens nicht durch Worte, sondern mit Kugeln.«

Mit diesen Worten verfolgte ich eine bestimmte Absicht. Die Kerle sollten gar nicht auf den Gedanken kommen, mich nach Waffen zu durchsuchen. Ich begann zu ahnen, daß es zum Kampfe kommen werde. Über fünfzig Mann gegen nur zwei? War es nicht Wahnsinn oder Lächerlichkeit, da an Kampf zu denken? Nun, man sieht eben, wie es geht. Ein wenig List ist unter Umständen von besserer Wirkung, als eine Armstrongrevolverkanone. Die Sennores, wenn es überhaupt welche waren, machten auf mich nicht den Eindruck, als ob sie nicht zu überlisten seien. Mit Gewalt war nichts zu erreichen, wenig=


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stens nicht mit Gewalt allein. Ich tat also, als ob ich mich ganz wehrlos befände.

»Ja, Gewehre haben Sie nicht!« meinte er befriedigt. »Und Ihre Messer werden sie jetzt ablegen.«

»Das tue ich nicht! Sie haben kein Recht, sie mir abzufordern.«

»Was Sie bestreiten oder nicht, das ist uns sehr gleichgültig. Was wir einmal entschlossen sind, zu tun, das werden wir auch tun, ohne zu fragen, ob es Ihnen gefällt. Nehmt ihnen die Messer ab!«

Diesem Befehle kamen einige Soldaten nach, welche zu uns traten und die Hände nach uns ausstreckten. Monteso weigerte sich, sein Messer herzugeben. Sie hielten ihn fest und nahmen es ihm mit Gewalt. Ich gab ihnen meine beiden, ohne es zu einer Gewalttätigkeit kommen zu lassen. Der Major steckte die drei Messer in seinen Gürtel, als ob sie jetzt sein Eigentum geworden seien. Dann sagte er:

»Ich werde das Verhör beginnen und hoffe, daß ihr mir brav antworten werdet. Ihr steht beide am Rande des Grabes und werdet wohl nicht so unverständig sein, euch den Tod zu erschweren. Zunächst mag der Zeuge beginnen. Wessen beschuldigen Sie diese beiden Leute, Sennor Carrera?«

»Des Mordversuches, der Körperverletzung, des Aufruhres und der Verschwörung.«

»Haben Sie hiefür Beweise?«

»Ja, Beweise, denen gar nicht widersprochen werden kann.«

»So steht es schlecht um die Gefangenen. Also zunächst den Mordversuch. Wo ist das geschehen?«

»In Montevideo, vor drei Tagen.«

»Wer sollte ermordet werden?«

»Ein Vetter von mir. Er wurde von diesem Deutschen des Abends an dem Hause des Organisten überfallen.«

»Aber nicht getötet?«

»Nein. Es gelang ihm glücklicher Weise, zu entkommen. Dann aber kamen die beiden Angeklagten ihm bis in seine Wohnung nach, welche er bei einem seiner Freunde hatte. Dort haben sie ihn überfallen, fest gebunden und so geschlagen, daß er halb tot war, als sie ihn verließen.«

»Gibt es dafür Zeugen?«

»Ja. Ich kann ihre Namen nennen, sie wohnen aber in Montevideo.«

»Das schadet nichts. Wir brauchen sie nicht, denn wir haben keine Zeit, diese Leute von so weit herzuholen. Wir werden die Angeklagten auch ohne diese Zeugen überführen. Übrigens bin ich überzeugt, daß Sie die volle Wahrheit gesagt haben, Sennor Carrera, denn man sieht es den beiden sofort an, wes Geistes Kinder sie sind. - Was haben denn nun Sie zu der Anklage zu sagen?«

Diese Frage war an uns gerichtet. Ich fühlte mich nicht im mindesten aufgeregt, denn seit ich den Kommissar gesehen hatte, wußte ich, daß man uns mit Lügen bedienen werde. Darum konnte seine Aussage mich ganz und gar nicht befremden. Monteso aber war nicht so ruhig. Es wäre ihm, der Südländer war, ganz unmöglich gewesen, so kaltblütig zu sein, wie ich es war. Er trat einige schnelle Schritte auf den Major zu und antwortete:

»Was wir sagen? Lüge, nichts als Lüge ist es, was dieser Mensch gegen uns vorbringt. Nicht mein Freund hat jenen Mann überfallen, sondern er ist von demselben angegriffen worden.«

»So! Können Sie das beweisen?«

»Natürlich. Mein Gefährte hier kann es beschwören.«

»Das geht nicht, denn der Angeklagte darf nicht sein eigener Zeuge sein.«

»So kann es der Organista beschwören, an dessen Haus es geschehen ist und welcher Zeuge des Vorganges war.«

»Ist der Organista hier?«

»Nein. Das wissen Sie ebenso gut wie ich.«

»So kann er eben nicht zeugen.«

»Ich verlange, daß er geholt werde!«

»Dazu haben wir keine Zeit, Sennor. Übrigens brauchen wir ihn gar nicht, denn wir wissen auch ohne ihn, daß ihr schuldig seid.«

»Nichts, gar nichts können Sie wissen!«


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»Wollen Sie mich nicht in dieser Weise anschreien! Ich bin der Vorsitzende dieses Militärgerichtes und würde nötigenfalls dafür sorgen, daß Sie sich höflicher benehmen!«

Das stachelte den Zorn Montesos noch mehr auf.

»Ich bin höflich genug!« rief er aus. »Der Zeuge sagt gegen uns aus, und wir bestreiten die Wahrheit seiner Behauptungen. Seine Zeugen befinden sich ebenso wie die unserigen in Montevideo. Also handelt es sich nur noch um die persönlichen Behauptungen. Was diese betrifft, so stehen wir zwei gegen einen!«

»Er ist aber bereit, die Wahrheit seiner Anklage zu beschwören!«

»Wir erklären uns ebenso bereit, zu beeiden, daß er lügt.«

»Da ihr die Angeklagten seid, könnt ihr nicht zum Schwure kommen, und der Prozeß ist also für euch verloren.«

»Nun, dann hole euch der Teufel!«

»Nein, er wird uns nicht holen!« rief der Major beleidigt. »Ich warne euch. Wenn ihr noch einen solchen Wunsch aussprecht, werde ich euch prügeln lassen. Merkt euch das!«

»Wagt es nur! Sie werden sich wegen Ihres heutigen Verhaltens zu verantworten haben, Sennor! Ich werde Sie anzeigen!«

»Lächerlich! Sie haben gar keine Zeit dazu. Sie werden überführt und erschossen oder da im Wasser ersäuft!«

»Das sollte man wagen!«

»Wir werden es getrost wagen, wenn es Ihnen nicht gelingt, Ihre Unschuld zu beweisen.«

»Aber Sie machen uns diesen Beweis zur Unmöglichkeit! Wir werden ja Zeugen bringen.«

»Dazu gibt es keine Zeit, und also ist es unnötig.«

»Nun, so können wir nur einfach sagen, daß dieser Sennor Carrera lügt.«

»Das glauben wir nicht. Ihm schenken wir mehr Vertrauen als euch. Der Fremde hat seinen Freund wirklich erstechen wollen.«

»Nun wohl! Aber, was habe denn ich dabei getan?«

»Nichts. Aber dann sind Sie nach der Wohnung des Betreffenden gekommen, haben ihn überfallen und blutrünstig geschlagen. Leugnen Sie das?«

»Nein.«

»Also erklären Sie sich der Körperverletzung für schuldig?«

»Nein. Wir haben einen Schuft durchgeprügelt. Seine Haut hat dabei einige Risse erhalten. Wenn das Körperverletzung ist, nun wohl, so rechnen Sie es dafür.«

»Nun, was reden Sie denn da von Unschuld! Sie machen sich den Tod schwer!«

»Den Tod? Wer sollte mich zum Tode verurteilen, weil es mir gelungen ist, einem Schuft die Haut zu gerben?«

»Wir, Sennor. Wir werden Sie verurteilen, und Sie müssen sich in das Urteil fügen. Sie würden sehr klug handeln, wenn Sie sich bemühten, alles Leugnen und allen Widerspruch aufzugeben. Wir werden leider gezwungen sein, Sie beide zu töten; doch wünsche ich, daß Ihr Tod ein möglichst sanfter und milder sei.«

»Den Teufel auch! Ich will weder sanft, noch unsanft ermordet sein! Verstehen Sie, Sennor! Und für einen Mord erkläre ich es, was Sie vorhaben. Wegen des Durchprügelns eines schlechten Kerls verurteilt man doch nicht zum Tode!«

»O doch! Wir haben nach den Kriegsgesetzen zu richten! Ich erkläre den Ort, an welchem wir uns gegenwärtig befinden, in Belagerungszustand. Nun werden Sie wohl einsehen, daß ich zur allergrößten Strenge gezwungen bin!«

»Das sehe ich ganz und gar nicht ein. Ich erkläre abermals, daß ich mir von Ihnen gar nichts sagen und gefallen lassen werde!«

»Und ich wiederhole Ihnen, daß ich keine Lust habe, mich von Ihnen beleidigen zu lassen. Wenn Sie fortfahren, in dieser Weise zu mir zu sprechen, so haben Sie es sich selbst zuzuschreiben, daß ich zu strengeren Maßregeln greife!«

»Wollen Sie etwa drohen? Es fällt mir denn doch nicht ein, mich wie einen Verbrecher von Ihnen behandeln zu lassen.«

»Nun, so versuchen Sie einmal, was Sie dagegen zu tun vermögen! - Bindet den Mann!«

(Fortsetzung folgt.)
(Inhaltsverzeichnis)