Jahrgg. 16, Nummer 21, Seite 327
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Lopez Jordan

(El Sendador, Theil I.)

Reiseroman von Karl May.
18. Fortsetzung

Auf diesen Befehl traten fünf oder sechs Kavalleristen zu dem Yerbatero. Er wehrte sich, aber vergebens. Man band ihm die Hände auf den Rücken. Er schimpfte in allen Tonarten. Ich winkte, ich warf ihm warnende Worte zu, doch auch vergeblich. Er forderte mich auf, ihm zu helfen, ihn loszubinden, und als ich das nicht tat, schimpfte er auf mich. Er brachte es dadurch so weit, daß man ihm auch die Füße band und ihn nun lang in den Sand legte. Ich hätte zu meinen Revolvern greifen können, um die Leute vielleicht einzuschüchtern, war aber überzeugt, daß dies unsere Lage nicht verbessern, sondern nur verschlimmern werde. Vielleicht hätten wir Raum bekommen, uns auf die Pferde zu werfen und fortzureiten, aber auch das gefiel mir nicht. Wir standen ja mitten im Kreise. Ein Entkommen war nur dann möglich, wenn es uns gelang, uns rückenfrei zu machen und die Kerls in Schach zu halten. Ihre Messer und Lanzen fürchtete ich nicht, ihre Gewehre und Lassos auch nicht; aber die Bolas waren uns im höchsten Grade gefährlich. Wenn es uns auch wirklich gelingen sollte, ihnen den Rücken zu wenden, was konnten wir gegen fünfzig Bolas tun, welche uns nachgeschleudert wurden!

Es galt, kaltblütig und klug zu sein. Auf den Yerbatero brauchte ich nun nicht mehr zu rechnen Er lag gebunden an der Erde und konnte mir keine Hilfe leisten, war vielmehr auf die meinige angewiesen. Wie ich ihm und mir selber helfen solle und helfen könne, wußte ich freilich selbst noch nicht.

Jetzt wendete sich der Major zu mir:

»Ich hoffe, Sennor, daß nicht auch Sie mir mein Amt schwer machen. Sie sehen, daß Widerstand nutzlos ist. Ergeben Sie sich also in Ihr Schicksal!«

»In ein unvermeidliches Schicksal sich zu ergeben, ist keine Kunst, Sennor. So lange ich aber mich von dieser Unvermeidlichkeit noch nicht überzeugt habe, kann ich mich nicht ergeben.«

»Sie werden bei einigem Nachdenken gewiß einsehen, daß Sie verloren sind!«

»Eben das kann ich nicht einsehen. Sie haben mich ganz widerrechtlich meiner Freiheit beraubt. Sie sind keineswegs die Behörde, welcher das Recht zusteht, sich meiner Person zu bemächtigen!«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß es vollständig genügt, daß wir selbst uns für kompetent halten.«

»Nun, so sage ich Ihnen, daß ich mich der Gewalt nur mit Einspruch fügen werde. Ich bin bereit, Ihnen meine Aussagen zu machen und wie ein Caballero zum Caballero zu Ihnen zu sprechen, stets aber nur mit dem Vorbehalte, daß ich Sie für nicht kompetent erkläre.«

»Dieses letztere ist Nebensache, die Hauptsache ist, daß Sie nicht uns und sich selbst Schwierigkeiten bereiten. In dieser Beziehung freut es mich, zu vernehmen, daß Sie zu ruhigen und


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sachgemäßen Antworten bereit sind. Sie geben also wohl zu, daß Sie sich des Mordversuches schuldig fühlen?«

»Leider kann ich Ihnen in dieser Beziehung nicht gefällig sein, Sennor. Ich habe nicht versucht, einen Menschen zu töten.«

Er zog einige Zigaretten aus der Tasche, brannte sich eine an, hielt mir eine zweite entgegen und sagte:

»Sie versprachen, sich als Caballero zu verhalten. Ich denke, Sie werden dieses Versprechen erfüllen. Bitte, stecken Sie sich diesen Zigarillo an! Er wird Ihnen munden, denn die Sorte ist gut. Also, kürzen Sie das Verfahren dadurch ab, daß Sie ein kurzes, offenes Geständnis ablegen!«

Ich brannte meine Zigarette an der seinigen an, verbeugte mich dankend und antwortete:

»Selbst wenn von einem Eingeständnisse die Rede sein könnte, müßte demselben verschiedenes vorangehen, was bisher unterlassen worden ist.«

»So bitte, uns zu sagen, was wir vergessen haben!«

»Ich wiederhole, daß ich Sie nicht für kompetent halte. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, muß man sich gegenseitig kennen. Die Angeklagten müssen erfahren, vor welchem Gerichte sie stehen; es müssen ihre Namen und diejenigen der etwaigen Zeugen genannt werden. Es muß ein öffentlicher Ankläger, ein Staatsanwalt vorhanden sein; den Angeklagten müssen Verteidiger zur Seite stehen. Kurz und gut, ich vermisse Verschiedenes, was eigentlich vorhanden sein sollte. Sie werden das gütigst entschuldigen!«

»Ich entschuldige es ebenso, wie Sie uns entschuldigen werden, Sennor. Die Verhältnisse liegen leider so, daß wir keine Zeit haben, Formalitäten zu erfüllen, welche glücklicher Weise nur ganz nebensächlich sind. Sie wurden angezeigt, und wir verurteilen Sie zum Tode. Das ist die Hauptsache, und alles übrige ist zeitraubend. Ich erkenne aber an, daß Sie sich einer weit größeren Höflichkeit befleißigen, als Ihr Gefährte, und darum will ich Ihren Wünschen entgegen kommen. Ich bin Major Cadera von der Nationalgarde. Sie werden meinen Namen gehört haben?«

»Leider noch nicht, da ich mich erst seit wenigen Tagen hier befinde.«

»Schadet nichts, da Sie mich nun ja gleich persönlich kennen lernen. Soll ich Ihnen meine Herren Kollegen auch vorstellen?«

»Danke! Ihr Name genügt, Sennor!«

»Das freut mich! Ich sehe, daß Sie die Angelegenheit jetzt wirklich vom Standpunkte eines Caballero aus betrachten. Es tut mir außerordentlich leid, einen Mann von Ihrer Bildung und Ihren Eigenschaften hinrichten lassen zu müssen, doch hoffe ich, Ihre Verzeihung zu erhalten, da ich gezwungen bin, meine Pflicht zu tun.«

»Und ich bedaure außerordentlich, Sie dadurch betrüben zu müssen, daß ich meine Hinrichtung für etwas noch sehr Fragliches halte.«

»Ich ersuche Sie, von dieser irrigen Meinung abzustehen, Sennor. Es ist beschlossen, daß Sie sterben müssen, denn man kennt Ihre Verbrechen.«

»So bitte ich, mir den Namen des Mannes zu nennen, welcher gegen uns zeugt.«

»Es ist hier Sennor Mateo Zarfa, den Sie ja bereits kennen.«

»Er ist wohl Kaufmann?«

»Allerdings, aber gewesen. Jetzt privatisiert er.«

»Das habe ich mir gedacht. Er bekleidet also nicht das Amt eines Comisario criminal? Er hat uns belogen!«

»Das schadet nichts. Er stieß auf uns und machte mir die Anzeige. Er hat nichts verschweigen dürfen. Nun kennen Sie mich und auch ihn. Damit ich Sie ganz befriedige, mag nun auch die Identität der beiden Angeklagten nachgewiesen werden. Mit Ihrem Gefährten werde ich wenigstens einstweilen nicht wieder sprechen; er hat mich und in mir den ganzen Militärgerichtshof beleidigt. Sie aber sind ein höflicher Mann. Sagen Sie mir, wer er ist!«

»Er ist Sennor Mauricio Monteso, Mitbesitzer der Estanzia del Yerbatero, von wo Sie uns entführt haben.«

»Sie täuschen sich, Sennor. Ihr Gefährte ist nicht derjenige, für den er sich ausgegeben hat.«

»Er ist es. Ich bezeuge es.«


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»Ihr Zeugnis ist hier wertlos, da Sie ja selbst Angeklagter sind. Ihr Kamerad ist ein einfacher Yerbatero, welcher sich als Verschwörer in Montevideo herumgetrieben hat. Sie haben sich von ihm täuschen lassen. Gehen wir lieber zu Ihrer Person über. Sie behaupten, ein Ausländer zu sein und sich nur seit wenigen Tagen hier zu befinden? Können Sie es beweisen?«

»Ich habe einen Paß.«

»Ich bitte, mir denselben zu zeigen.«

Es war gefährlich, ihm diese Legitimation in die Hand zu geben, denn es ließ sich voraussehen, daß er sie mir nicht zurückstellen werde. Da aber fünfzig Personen bereit standen, seinem Verlangen Nachdruck zu geben, so zog ich meine Brieftasche hervor und gab ihm den Paß aus derselben. Er las ihn, legte ihn zusammen, und steckte ihn ganz so, wie ich es vermutet hatte, ein. Dann fragte er:

»Dieser Paß ist also wirklich der Ihrige?«

»Ja. Ich pflege nicht mit fremden Legitimationen zu reisen.«

»Und Sie sind also in Wahrheit derjenige, für welchen Sie da ausgegeben werden?«

»Allerdings.«

»Ich glaube Ihnen, denn Sie sehen nicht wie ein Lügner aus. Aber Sie tragen noch andere Gegenstände und Sachen bei sich. Sie wissen vielleicht, daß ein Angeklagter nichts in den Taschen haben darf. Ich muß Sie ersuchen, mir alles auszuantworten. Geben Sie Ihr Geld her!«

Ich gab ihm die Brieftasche und auch den Geldbeutel.

»Feigling!« hörte ich den Yerbatero grimmig sagen.

Ich achtete natürlich nicht auf dieses Wort, desto mehr aber auf den Ort, an welchem mein Geld aufbewahrt wurde. Der Major steckte es in die innere Brusttasche seines blauen, mit goldenen Schnüren besetzten Uniformfrackes.

»Auch eine Uhr haben Sie, wie ich sehe,« fuhr er fort. »Sie werden einsehen, daß ich auch diese verlangen muß.«

»Hier ist sie,« antwortete ich gehorsam.

Er schob sie in die äußere Tasche des Frackes und meinte dabei in befriedigtem Ton:

»Haben Sie noch andere Gegenstände, welche ich konfiszieren muß?«

»Ich kann Ihnen weiter nichts zur Verfügung stellen. Sie besitzen nun mein ganzes Vermögen.«

»Und Ihre Waffen auch,« nickte er. »Wollen Sie nun überzeugt sein, daß Sie sich ganz und gar in unserer Gewalt befinden?«

»Ich sehe es ein.«

»Das freut mich, denn nun darf ich erwarten, daß Sie sich in Ihr Schicksal ergeben werden. Die von Ihnen erwähnten Formalitäten sind erfüllt. Wir können nun zur Sache selbst übergehen, und ich wiederhole meine Frage, ob Sie sich des Mordversuchs schuldig fühlen.«

»Davon kann keine Rede sein, da gerade ich selbst es war, welcher ermordet werden sollte.«

Ich berichtete kurz das Erlebnis, aber die Leute hörten nur halb auf meine Worte. Sie hatten sich gegenseitig angelächelt, als ich die Uhr und das Geld hergab. Hatte ich denn wirklich Soldaten oder Wegelagerer vor mir? Auch der Major selbst schenkte meiner Erzählung nur eine geteilte Aufmerksamkeit. Als ich geendet hatte, fragte er:

»Und Sie behaupten die Wahrheit gesagt zu haben?«

»Ja. Ich kann es beschwören.«

»Als Angeklagter kommen Sie nicht zum Schwur. Der Gegenzeuge mag sich jetzt hören lassen.«

Der Criminal folgte dieser Aufforderung, indem er erklärte:

»Was dieser Fremde sagt, ist Lüge. Er hat meinen Freund angefallen und ihn, als derselbe sich durch die Flucht rettete, mit den Yerbateros bis in die Wohnung verfolgt, wo der Ärmste bis auf das Blut gepeitscht worden ist.«

»Aber nicht auf meine Veranlassung. Sennor Monteso wird bezeugen, daß ich mich entfernt hatte, als der Mann geschlagen wurde. Ich kehrte auch bald zurück, um Einhalt zu tun.«

»Lüge, nichts als Lüge!«

»Hören Sie es? Der Zeuge erklärt Ihre Worte für Lüge,« sagte der Major.


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»Er hat natürlich seine Gründe dazu, und es kommt nun darauf an, wem Sie glauben, ihm oder mir.«

»Natürlich ihm; dazu bin ich verpflichtet.«

»Und doch sagten Sie vorhin, daß ich nicht das Aussehen eines Lügners habe.«

»Nur betreffs des Gegenstandes, um den es sich vorhin handelte.«

»Sie haben aber selbst zugegeben, daß der Zeuge ein Lügner ist. Ich kann ihn als Belastungszeugen nicht anerkennen. Er hat seinen Dienstherrn bestohlen.«

»Das gehört nicht hierher, Sennor. Ich habe seinen Worten Glauben zu schenken und Sie zum Tode zu verurteilen. Nun bleibt noch die Frage des Aufruhres und des Landesverrates offen. Was haben Sie dazu zu sagen?«

»Daß ich keine Ahnung habe, in welcher Weise ich mich eines solchen Verbrechens schuldig gemacht habe.«

»Man wird Ihnen gleich beweisen, daß Sie jetzt die Unwahrheit sagen. Sennor Mateo, was hörten Sie im Garten des Kaufmanns Rixio in San José?«

Ah! Sollte der Mensch sich in den Garten geschlichen und gelauscht haben? Er hatte in dem Haus als Lehrling gewohnt und kannte also auch den Garten. Ich war begierig, zu hören, was er sagen werde.

»Ich besuchte einen meiner früheren Bekannten in San José,« erzählte er, »der sich als Peon bei Sennor Rixio befindet. Wir gingen mit einander in den Garten und hatten Gelegenheit, da ein sehr interessantes Gespräch zu belauschen. Die beiden Rixios saßen mit diesem Deutschen in der Laube und sprachen davon, daß Latorre gestürzt werden müsse. Um den Plan auszuführen, sollte die Ähnlichkeit benutzt werden, welche dieser Fremde mit Latorre hat. Er sollte nach dem Norden des Landes gehen, sich dort für Latorre ausgeben und einen Aufruhr ins Leben rufen. Unterdessen sollte Latorre auf ein einsames Landgut gelockt und dort durch zudringliche Gastlichkeit festgehalten werden, damit er sein Alibi nicht beweisen und man also behaupten könne, er selbst sei der Aufrührer gewesen.«

Ich war erstaunt. Also er hatte wirklich gehorcht, aber er drehte die Verhältnisse gerade auf die verkehrte Seite. Und dabei blickte er mir mit solch einer triumphierenden Unverschämtheit in das Gesicht, daß ich ihn am liebsten gleich niedergeschlagen hätte.

Die Soldaten schienen die Aussage des Lügners bereits zu wissen; das ersah ich aus ihren Mienen, in denen nichts zu lesen war als die Neugierde, wie ich diese Anschuldigung von mir weisen werde.

»Haben Sie es gehört, Sennor?« fragte mich der Major. »Was antworten Sie?«

»Es ist erlogen!«

»So! Waren Sie in San José bei Sennor Rixio? Haben Sie mit den beiden Sennores im Garten gesessen?«

»Ich kann es nicht leugnen.«

»Und über Politik, auch wohl über Latorre gesprochen?«

»Allerdings.«

»Wissen Sie, daß Sie eine sehr große Ähnlichkeit mit diesem Offizier besitzen?«

»Man sagte es mir.«

»Nun, so ist ja bewiesen, daß Sennor Mateo die Wahrheit gesagt hat.«

»Noch lange nicht. Wir haben in ganz anderer Weise über Latorre gesprochen.«

»Sie werden das nicht beweisen können.«

»Sehr leicht sogar! Ist Ihnen vielleicht bekannt, daß der Sohn von Sennor Rixio Offizier ist?«

»Ja. Ich kenne ihn persönlich. Er ist ein Colorado.«

»Und Sie? Was sind Sie?«

»Wollen Sie bedenken, daß Sie keine Fragen zu stellen haben! Ich bin es, der zu fragen hat.«

»Nun gut! Erkundigen Sie sich bei dem Rittmeister Rixio! Dann werden Sie erfahren, daß der Zeuge nur Lügen vorgebracht hat.«

»Dazu gibt es keine Zeit. Die Kriegsartikel verlangen ein schnelles Handeln.«


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»Nun, meinetwegen! So tun Sie, was Ihnen beliebt. Die Folgen werden Sie zu tragen haben!«

»Die trage ich mit Vergnügen. Wir sind nämlich im Stande, Ihnen nachweisen zu können, daß Sie sich haben bereit finden lassen, auf den gedachten Plan einzugehen.«

»So lassen Sie diesen Nachweis hören oder sehen!«

»Sogleich, Sennor. Mateo mag weiter sprechen!«

Der Genannte erklärte:

»Es blieb nicht bei der Unterredung. Der Plan wurde angenommen und bis in das einzelne besprochen. Der Deutsche erhielt einen Empfehlungsbrief und eine Anweisung auf Bezahlung. Beides sollte er in Salto abgeben. Um ganz sicher zu gehen, wurde ein Duplikat angefertigt, welches der Yerbatero Monteso bei sich tragen sollte.«

»Geben Sie das zu, Sennor?« fragte mich der Major.

»Nein. Es ist Lüge.«

»Zu Ihrem Unglück sind wir im Stande, zu beweisen, daß es die Wahrheit ist. Mateo hat gesehen, wo Sie die Papiere verborgen haben.«

»Sonderbarer Weise weiß ich das selbst nicht!«

»Wir werden es in Ihr Gedächtnis zurückrufen. Mateo hat auch Monteso beobachtet, und es ist ihm gelungen, zu sehen, wo dieser das Duplikat versteckte.«

»Ich soll Papiere versteckt haben?« rief der Yerbatero.

»Ja,« antwortete Mateo. »In Ihrer Jacke.«

»Kerl, du bist verrückt!«

»Beleidigen Sie mich nicht! Soll ich Ihnen die Stelle zeigen?«

»In Gottes Namen! Bin selbst darauf neugierig.«

»So mögen die Herren Offiziere mit zu dem Gefangenen kommen!«

Die Fünf standen auf und näherten sich Monteso. Mateo zog sein Messer und trennte an der Jacke des Yerbatero auf der Rückenseite die Naht des unteren Saumes auf. Zwei Papiere fielen heraus. Mateo hob sie auf und gab sie dem Major.

»Das ist der Beweis,« sagte er. »Jetzt werden die Kerls nicht mehr so frech sein, zu leugnen.«

Monteso brüllte vor Wut laut auf.

»Das ist ein Taschenspielerstück!« rief er.

»Er hat die Papiere in der Hand gehabt, bevor er die Naht öffnete.«

»Schweigen Sie! Machen Sie sich Ihre Lage durch Leugnen nicht noch schwerer! Und, Sennor Mateo, hat auch dieser Deutsche solche Papiere bei sich?«

»Ja,« antwortete er.

»Geben Sie das zu?« fragte der Offizier nun mich.

»Ja,« antwortete ich sogleich.

Es war wirklich lustig, das Gesicht zu sehen, welches Mateo bei dieser meiner Antwort machte. Er war vollständig überzeugt gewesen, daß ich leugnen werde, da ich es ja nicht wissen konnte.

»Schön!« meinte der Major. »Es freut mich, daß Sie so weit Caballero sind, ein offenes Geständnis abzulegen. Wo sind die Papiere verborgen?«

»Das weiß ich nicht. Denn nicht ich habe die Papiere versteckt, sondern Mateo hat sie mir eingenäht. Er wird also wissen, wo sie zu finden sind.«

»Er soll sie Ihnen - - Sennor, machen Sie bei all Ihrer Aufrichtigkeit nicht doch noch Kapriolen!«

»Es sind keine Kapriolen. Mateo hat seine Gründe, uns zu schaden. Er schloß sich uns in Montevideo an, um die Gelegenheit dazu zu suchen; ich aber durchschaute ihn und jagte ihn fort. Das erhöhte seinen Haß. Er folgte uns heimlich. Ich fand Gastfreundschaft im Hause Rixio. Er kannte alle Orte desselben, da es seine Wohnung gewesen war, bis er schändlich davon gejagt wurde, weil er seinen Herrn bestohlen hatte. Er schlich sich ein und kam in den Garten, wo er unsere Unterhaltung belauschte. Ich habe mich äußerst regierungsfreundlich benommen und kein illoyales Wort gesprochen. Mateo aber beschloß, das Gegenteil zu sagen und die Beweise dazu künstlich herzustellen. Während ich mich bei der Tertullia befand, schlich er sich in


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mein Zimmer, wo er sich jedenfalls unter das Bett verkroch. Als ich schlief, kam er hervor, um die Papiere, welche er wohl selbst geschrieben hat, in meiner Kleidung zu verstecken.«

»Sennor, das ist ja eine ganze Geschichte, welche Sie sich aussinnen!« sagte der Major.

»Ich sinne sie mir nicht aus. Sie hat sich wirklich ereignet. Ich wachte des Nachts auf und erblickte Mateos Gestalt. Aber ich kam zu spät, ihn zu ergreifen. Früh fand ich einen roten Faden auf der Diele. Da mein Jagdrock an den Nähten nach indianischer Weise mit roten Stichen verziert ist, so vermute ich, daß in ihm die Papiere stecken. Mateo hatte ja gesehen, daß die Naht rot ist, und sich in San José Zwirn von dieser Farbe verschafft. Auf einer weiteren Station erwischte ich ihn des Nachts dabei, daß er sich bei Sennor Monteso zu schaffen machte. Ich bin überzeugt, daß er ihm da die Papiere in die Jacke geflickt hat. Es war dazu weiter nichts nötig, als eine Naht aufzutrennen und dann wieder zuzumachen.«

»Lüge, nichts als Lüge!« lachte Mateo auf. »Wer das glaubt, macht sich lächerlich.«

»Keine Sorge!« antwortete ihm der Major. »Ich glaube es natürlich nicht. Haben Sie sich die Stelle gemerkt, an welcher die Papiere bei diesem deutschen Sennor stecken?«

»Sehr genau. Ich sah ja, daß der alte Rixio ihm hinten die Naht auftrennte. Weiteres abzuwarten, hatte ich keine Zeit. Aber ich möchte darauf schwören, daß die Papiere dort versteckt sind.«

»Zeigen Sie uns die Stelle!«

»Hier ist sie!«

Bei diesen Worten deutete der Kerl nach dem hintern Saume meines Jagdrockes. Ich griff hin und fühlte nun freilich, daß etwas dort steckte. Ich zog den Rock aus und sah die Stelle an. Das Futter bestand aus feinstem Hirschkalbfelle, so dünn und weich wie Kattun. Hier waren die ursprünglichen Stiche, welche man des Nachts mit den Fingerspitzen fühlen konnte, aufgetrennt und dann die Stelle durch neue Stiche, welche von der ursprünglichen Naht leicht zu unterscheiden waren, wieder geschlossen worden. Ich bat mir vom Major ein Messer aus und schnitt die Naht auf. Zwei Papiere steckten da, genau so wie in Montesos Jacke.

Ich hätte den Inhalt derselben gern gelesen, aber der Major griff rascher zu als ich und nahm mir auch das Messer augenblicklich wieder aus der Hand. Streng genommen, konnten die Zeilen mir sehr gleichgültig sein. Freilich gewann ich nun Gewißheit, woran ich war: ich befand mich in Lebensgefahr. Von wem der Anschlag ausging, wußte ich freilich nicht genau; ich erfuhr es erst später. Ich sollte verschwinden. Meine Ähnlichkeit mit dem Oberst hatte gewisse Personen verleitet, aus sich heraus zu gehen. Wie leicht konnte ich etwas verraten!

(Fortsetzung folgt.)
(Inhaltsverzeichnis)