Jahrgg. 16, Nummer 6, Seite 88
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Lopez Jordan

(El Sendador, Theil I.)

Reiseroman von Karl May.
3. Fortsetzung

»Vielleicht nennt man in Ihrem Vaterlande eine Beleidigung geringfügig, welche hier nur mit Blut abzuwaschen ist. Sie haben es mit Abkömmlingen der alten Spanier zu tun, was Sie ja nicht vergessen dürfen. Oder gibt es außer Tupido vielleicht einen andern, dessen Zorn Sie erregt haben?«

»Schwerlich! Einen sehr komischen Sennor, dessen Besuch ich empfing und welcher mir bei seinem Fortgehen allerdings sogar mit der Faust drohte, kann ich unmöglich zu den gefährlichen Leuten zählen.«

»Hm! Was nennen Sie komisch, und was nennen Sie gefährlich? Kennen Sie den Namen des betreffenden Mannes?«

»Er nannte sich Esquilo Anibal Andaro.«

»Lieber Himmel! Der ist gar kein komischer Mann. Der ist einer der eingefleischtesten Blancos, die es gibt. Ihm ist alles, alles zuzutrauen. Ich kenne ihn, ich kenne ihn! Wenn Sie mir doch anvertrauen wollen, welchen Zweck sein Besuch hatte und wie derselbe abgelaufen ist!«

Ich erzählte ihm das kleine, mir lustig vorkommende Abenteuer meiner Verwechslung mit dem Obersten Latorre. Die Miene des Yerbatero wurde immer ernster. Er sagte, als ich geendet hatte:

»Sennor, ich wette, daß dieser Andaro Ihnen den Bravo zum Aufpasser gegeben hat. Nehmen Sie sich in acht, und gehen Sie nicht ohne Waffen aus!«

»Kennen Sie den Obersten auch?«

»Ich habe ihn noch nie gesehen, sonst würde Ihre Ähnlichkeit mit ihm auch mir aufgefallen sein. Aber ich weiß, daß es eine Partei gibt, welche große Hoffnungen auf ihn setzt. Daß Sie in Ihrem Äußeren eine solche Ähnlichkeit mit ihm besitzen, kann, wie Sie sehen, unter Umständen bedenklich für Sie werden. Kein Parteigänger ist hier seines Lebens sicher, und wenn man Sie für einen solchen hält, so kann sich leicht eine Kugel oder ein Messer zu Ihnen verirren.«

»Das ist einerseits fatal, andererseits aber hoch interessant.«

»Ich danke für das Interessanteste, wenn es möglich ist, daß ich es mit dem Leben bezahlen muß! Wie nun, wenn dieser Esquilo Anibal Andaro Ihnen nach dem Leben trachtet, weil er Sie für Latorre hält?«

»Das ist geradezu unmöglich.«

»Meinen Sie? Warum?«

»Weil beide zu einer und derselben Partei gehören. Er kam ja doch, um Latorre ein Geschäft anzubieten!«

»Daran glaube ich nicht.«

»Aber, Sennor, er hat es ja doch mir angeboten, weil er mich für den Obersten hielt!«


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Über sein Gesicht glitt ein außerordentlich pfiffiges Lächeln.

»Man merkt es, daß Sie ein Bücherwurm sind«, sagte er. »Im Leben geht es weit anders zu als in Ihren Büchern. Latorre gehört nämlich nicht zur Partei Ihres Sennor Andaro, den Sie komisch nennen. Er hält zwar sehr mit seiner eigentlichen Meinung zurück, denn er ist nicht nur ein kühner, sondern auch ein vorsichtiger Mann; aber man weiß doch ziemlich genau, daß er zu den Roten hält und nicht zu den Weißen.«

»Warum aber trägt ihm Andaro ein Geschäft an?«

»Zum Schein nur, um ihn blamieren zu können. So wenigstens denke ich mir. Denken Sie sich doch das Aufsehen, wenn die Blancos sagen könnten: Wir haben eine Unterschrift Latorres, mit welcher er bestätigt, daß er von uns fünftausend Pesos erhalten hat, damit wir ihm die Waffen zum Aufstande liefern! Er hätte sich dadurch für alle Zeit unmöglich gemacht.«

»Ah, jetzt durchschaue ich diesen Andaro.«

»Entweder hält er Sie für Latorre und ärgert sich darüber, daß Sie sich nicht auf seine Leimrute gesetzt haben, oder er hat eingesehen, daß Sie wirklich ein anderer sind, und ärgert sich nun, einem Fremden Einblick in seine Pläne gewährt zu haben, was für ihn und seine Partei gefährlich werden kann, wenn Sie Latorre davon benachrichtigen. In beiden Fällen haben Sie nichts Gutes von ihm und den Blancos zu erwarten. Es muß ihnen daran liegen, Sie am Sprechen zu hindern. Und womit erreicht man das am sichersten? Beantworten Sie sich diese Frage selbst!«

»Wollen Sie mir wirklich Sorge machen, Sennor Monteso?«

»Ja, das will ich. Der Bravo steht nicht zum Scherze so lange da drüben. Darauf können Sie sich wohl verlassen. Ich kenne die hiesigen Verhältnisse besser als Sie.«

»So wäre ich ja gleich mit meinem ersten Sprunge an dieses schöne Land in ein Loch geraten, in welchem ich sehr leicht stecken bleiben kann!«

»Dieser Vergleich ist sehr richtig. Steigen Sie schnell heraus, und laufen Sie davon! Ich meine es gut mit Ihnen. Damit aber will ich nicht etwa sagen, daß Sie gleich heute von hier aufbrechen sollen. Nehmen Sie sich nur vor dem Bravo und andern Fallen in acht, welche man Ihnen legen könnte. Ich bin überzeugt, daß Sie bis morgen mittag, wo ich zu Ihnen komme, irgend etwas erlebt haben werden. Da sollte es mich freuen, zu erfahren, daß meine Warnung nicht unbeachtet geblieben ist.«

»Ich werde sie mir zu Herzen nehmen, Sennor. Und da ich sehe, daß Sie gehen wollen, so erlauben Sie mir, Ihnen die zweihundert Peso jetzt auszuzahlen.«

Ich schob ihm fünf Diez Pesos Fuertes zu. Er wickelte sie zusammen und steckte sie mit einer Miene in die Westentasche, als ob es nur ein Stückchen Zigarettenpapier sei. Dann reichte er mir die Hand, machte mir eine höflich vertrauliche Verbeugung und entfernte sich.

Jetzt nahm ich seinen Platz ein, um den Bravo beobachten zu können. Dieser musterte den aus der Türe tretenden Yerbatero mit einem kurzen Blicke und machte dann eine ungeduldige Bewegung. Nach einer Weile entfernte auch ich mich. Dabei tat ich so, als ob ich den Menschen gar nicht bemerkte. Ich schritt durch mehrere Straßen, blieb an verschiedenen Schaufenstern stehen und überzeugte mich, daß der Mann mir allerdings unausgesetzt folgte.

So verging wohl eine Stunde, und die Dämmerung machte sich bemerkbar. Glockenton machte mich darauf aufmerksam, daß ich mich in der Nähe der Kathedrale befand. Auf meine Erkundigung erfuhr ich, daß man sich jetzt zum täglichen Ave Maria de la noche in die Kirche begebe, und ich schloß mich den gebetsbedürftigen Leuten an.

Der hehre, lichtdurchflossene Raum war von so vielen Gläubigen besucht, daß die Gemeinden mancher europäischen Hauptstädte sich ein Beispiel daran nehmen könnten. Ein gemischter Chor mit Orgelbegleitung tönte von dem Chore herab. Die Sänger waren ziemlich gut geschult, aber der Organist war ein Spieler fünften oder sechsten Ranges. Er verstand das Registrieren nicht und griff sogar sehr häufig fehl.

Die Orgel ist mein Lieblingsinstrument. Ich stieg hinauf, um mir den Mann, welcher die weihevolle Komposition von


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Palestrina so verdarb, einmal anzusehen. Der Kantor stand dirigierend vorn am Pulte. Der Organista war ein kleines, dünnes, bewegliches Männchen, dessen Gestalt unter den mächtigen Prospektpfeifen noch kleiner erschien, als sie war. Als er sah, daß ich, an der Ecke des Orgelgehäuses lehnend, ihn beobachtete, kam ihm sichtlich die Lust, mir zu imponieren. Er zog schleunigst Prinzipal und Kornett und einige sechzehnfüßige Register dazu. Das gab natürlich einen Lärm, welcher die Vokalstimmen ganz verschlang. Dennoch erhielt er von dem Dirigenten keinen Wink. Das Kirchenstück wurde in dieser Weise bis zu Ende gesungen.

Dann kam ein kurzes Vorspiel, welches aus einem verunglückten Orgeltrio auf zwei Manualen und dem Pedal bestand und in eine mir so bekannte und liebe Melodie leitete. Leider aber hatte der Organista oben Vox angelica, Vox humana, Äoline und Flauta amabile gezogen und dazu für die Bässe die tiefsten und stärksten Register, so daß die schöne Melodie wie ein Bächlein im Meere der Bässe verschwand.

Das konnte ich unmöglich aushalten. Mochte der biedere Orgelschläger mich meinetwegen dafür mit ewiger Blutrache verfolgen, ich huschte zu ihm hin, schob die volltönenden Stimmen hinein und registrierte anders. Er blickte mich erst erstaunt und dann freundlich an. Mein Arrangement schien ihm besser zu gefallen als das seinige.

Nach dem dritten Verse trat der Predicador zum Altare, um ein Gebet vorzulesen. Dies benutzte der Organista zu der leisen Frage an mich:

»Spielen Sie auch die Orgel, Sennor?«

»Ein wenig«, antwortete ich ebenso leise.

Sein kleines, dünnes Gesicht glänzte vor Freude.

»Wollen Sie?« nickte er mir einladend zu.

»Welche Melodie?«

»Ich schlage sie Ihnen auf und das Gesangbuch dazu. Es sind nur drei Verse. Sind Sie hier bekannt?«

»Nein.«

»So winke ich Ihnen, wenn Sie anfangen sollen. Erst ein schönes, liebliches Vorspiel; dann die Melodie recht kräftig mit leisen Zwischenspielen und endlich nach dem dritten Verse eine Fuga mit allen Stimmen und Contrapunkto. Wollen Sie?«

Ich nickte, obgleich er mehr verlangte, als in meinen Kräften stand. Eine Fuge und Orgelpunkt!

Ich zog die sanften Stimmen zu dem "schönen, lieblichen Vorspiel", und da war auch schon das Gebet zu Ende, der Segen erteilt, und der Organista stieß mich mächtig in die Seite, was zweifelsohne der Wink sein sollte, den er mir hatte geben wollen. Ich begann.

Wie ich gespielt habe, das ist hier Nebensache. Ich bin keineswegs ein fertiger Spieler, und ob mein "Contrapunkt" Gnade vor einem Kenner gefunden hätte, bezweifle ich mit vollstem Recht. Aber man war die Kunst des kleinen Organista gewöhnt, und so fiel mein Spiel auf. Im Schiffe der Kirche standen nach dem Gottesdienste die Leute noch alle und oben der Kantor, der Organista und sämtliche Sänger um mich her. Ich mußte noch eine Fuge zugeben und erklärte aber dann, daß ich fort müsse. Der Organista legte sein Ärmchen in meinen Arm und schien sich meiner bemächtigen zu wollen. Er führte mich unten durch die neugierig wartende Menge und erklärte, als wir vor der Kathedrale anlangten, daß ich unbedingt mit ihm gehen und zu Abend bei ihm speisen müsse.

»Das ist unmöglich, Sennor«, antwortete ich, »denn ich bin bereits geladen.«

»Zu wem?«

Ich sagte es ihm.

»So darf ich Sie freilich nicht belästigen. Dafür aber müssen Sie mir die Ehre erzeigen, morgen das Frühstück bei mir einzunehmen. Wollen Sie?«

»Mit Vergnügen.«

»Ich verlasse mich darauf, Sie zehn Uhr bei mir zu sehen. Dann spielen wir miteinander vierhändig und vierbeinig Orgel. Ich habe prächtige Noten dazu. Und zu Mittag essen wir auch bei mir.«

»Um diese Zeit bin ich bereits in Anspruch genommen.«

»Tut nichts, Sennor. Das wird sich wohl ändern lassen. Ich gehe mit zu dem, der Sie in Anspruch nehmen will, und


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bitte Sie los. Ich kenne Ihren Namen noch nicht, aber wir sind Brüder in organo und werden einander lieb gewinnen.«

»Hier ist meine Karte!«

»Danke! Von mir habe ich keine mit. Ist auch nicht nötig. Ich will von Ihnen das Registrieren lernen, denn, unter uns gesagt, ich ziehe stets die verkehrten Stimmen. Man muß auf die Hände und Füße Acht geben und auf Noten und Gesangbuch sehen. Wie kann man da eigentlich noch an die Register denken! Das ist mir unbegreiflich. Ich werde es Ihnen hoffentlich ablauschen. Übrigens, wenn Sie nach der Quinta des Sennor Tupido wollen, so gehen wir miteinander. Meine Wohnung liegt nur ein wenig abseits Ihres Weges.«

Er zog mich mit sich fort und beschrieb mir die Lage der Quinta so genau, daß ich sie mit geschlossenen Augen hätte finden können.

Indessen war es natürlich Abend geworden, ein wunderbar schöner, südamerikanischer Frühlingsabend. Der Mond schien fast voll auf den blinkenden Marmor der Häuser nieder, an denen wir vorüberkamen, und der aus den Gärten und Höfen aufsteigende Blumenduft lag erquickend in der Luft.

Wir ließen den belebteren Teil der Stadt hinter uns, denn der Organista wohnte draußen "im Grünen", wie er sich ausdrückte. Rechts und links gab es Villen. Ich hatte nicht mehr fünf Minuten bis zur Quinta Tupidos zu gehen. Da lenkte mein Begleiter oder vielmehr Führer in einen ziemlich schmalen Weg ein, der zwischen zwei Landhäusern hindurch führte.

»Wohin?« fragte ich.

»Nach meiner Wohnung. Wir müssen wenigstens ein Glas Wein trinken, wenn Sie keine Zeit haben, mit mir zu speisen. Ich habe Sie ebenso schnell wie herzlich lieb gewonnen. Mein Domicilio liegt gleich hinter diesen zwei Gärten, zwischen denen wir jetzt gehen!«

»Gut, so begleite ich Sie bis an Ihre Türe, an welcher ich mich von ihnen verabschiede. Morgen früh zehn Uhr sehen wir uns ja sicher wieder.«

Bald waren die Gärten zu Ende, und dann standen wir vor einem kleinen Häuschen, welches an seiner niedrigen Außenseite keine Fenster, sondern nur eine Türe hatte. Während wir da, uns verabschiedend, noch einige Worte wechselten, war es mir, als ob ich Schritte hörte. Das leise Geräusch kam von dem Gange her, durch welchen wir soeben gekommen waren. Ich blickte hin.

Ein Sombrero ragte hinter der Ecke der Gartenmauer hervor. Unter diesem Hut mußte ein Kopf, ein Mensch stecken. Der Mann sah, daß er bemerkt worden war. Ein Zurückweichen hätte seiner Absicht nur geschadet, denn es mußte unsern Verdacht erregen; darum wählte er das in dieser Lage beste und trat hervor. Es war der Bravo, vor welchem ich von dem Yerbatero gewarnt worden war.

»Wer ist da? Was wollen Sie, Sennor?« fragte der Organisto in ziemlich kleinlauter Weise. Er war ein winziges Männchen und schien auch kein großer Held zu sein.

Der Gefragte trat um einige Schritte näher, doch so, daß trotz des Mondscheines sein Gesicht unter der breiten Krempe des Hutes so im Dunkeln lag, daß die Züge nicht erkannt werden konnten. Ich war augenblicklich überzeugt, daß es sich um einen Angriff auf mich handle.

»Pardon, Sennores!« antwortete er. »Ich suche die Wohnung des Sennor Arriquez, und man hat mich hierher gewiesen.«

Die Stimme war unbedingt verstellt. Der Mann stand noch drei Schritte von mir entfernt und steckte die Hand in die Tasche.

»Hier wohnt kein Sennor Arriquez«, antwortete der Organista. »Man hat Sie falsch gewiesen.«

Jener trat noch einen Schritt näher; ich aber wendete mich rasch zur Seite, so daß ich wieder drei Schritte zwischen uns legte und den Mond hinter mich bekam. Nun konnte mir die kleinste seiner Bewegungen nicht entgehen.

»Einen Sennor dieses Namens kenne ich nicht«, meinte der Organista kopfschüttelnd. »Vielleicht hat man Ihnen nicht nur eine falsche Wohnung, sondern auch einen falschen Namen genannt.«


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»Das glaube ich nicht. Ich meine den fremden Sennor, welcher Orgel gespielt hat.«

»Ah, der steht hier. Aber auch er heißt nicht Arriquez, sondern - -«

Er hielt meine Karte, welcher er noch in der Hand hatte, dem Monde entgegen, um den Namen zu lesen. Dies benutzte der Bravo, indem er sich schnell auf mich warf. Er hatte ein Messer aus der Tasche gezogen. Ein Glück für mich, daß ich gewarnt worden war! Zwar hätte sein Benehmen auf alle Fälle meinen Verdacht erweckt, aber so ganz heiler Haut, wie jetzt, wäre ich wahrscheinlich doch nicht davongekommen. So aber trat ich einen Schritt zur Seite. Die blinkende Klinge zuckte an mir vorüber, und der Kerl bekam von mir einen Fausthieb an den Kopf, daß er taumelte. Gleich hatte ich ihn mit der Linken beim Genick und schlug ihm die Rechte von unten an den Ellbogen, so daß ihm das Messer aus der Hand flog. Dann schleuderte ich ihn gegen die Mauer des Hauses; er sank dort nieder und blieb liegen. Das alles war das Werk nur weniger Augenblicke.

Dem guten Organista war vor Schreck die Karte entfallen. Er stammelte etwas ganz Unverständliches, rang die Hände und schnappte nach Atem; dann aber erhielt er die Sprache zurück und schrie aus Leibeskräften:

»O Unglück, o Traurigkeit! Zu Hilfe, zu Hilfe!«

»Schweigen Sie doch, Sennor!« gebot ich ihm. »Es ist nicht die geringste Gefahr vorhanden.«

»Das ist Verblendung, Herr! Es sind ja Mörder hier! Solche Leute haben stets Helfershelfer bei sich. Wir müssen fort; wir müssen fliehen! Aber wohin, wohin? Was tue ich doch nur? Was - - ah, welch ein Glück! Ich habe doch den Türschlüssel bei mir; ich kann ja in mein Haus! Ich bin gerettet!«

Er schloß schnell auf, trat hinein und schloß die Türe hinter sich zu, ohne mich eingeladen zu haben, mit ihm zu kommen. Er wußte sich in Sicherheit. Ob aber ich nun doch noch abgewürgt oder abgestochen wurde, das war ihm sehr gleichgültig. Er blieb hinter dem Gitter stehen und rief mir durch dasselbe zu:

»Gelobt sei Gott, ich bin gerettet! Machen Sie schnell, daß Sie fortkommen, Sennor!«

»So? Weshalb haben Sie mich nicht mit in Ihr Haus genommen?«

»Danke sehr! Ich will nicht die Rache der Bravos auf mich lenken. Gehen Sie, gehen Sie! Ich darf Sie nicht vor meinem Hause dulden!«

»Ah! Das sagen Sie, trotzdem Sie sich meinen Freund nannten und mir versicherten, daß Sie mich lieben?«

»Wenn die Mörder drohen, da hört alle Liebe und Freundschaft auf. Ich kann mich doch nicht Ihnen zu Gefallen abmurxen lassen!«

»Das verlange ich auch nicht. Ich werde also gehen. Auf Wiedersehen morgen!«

Ich wendete mich von der Türe ab. Da aber rief er mir im Tone des Schreckens nach:

»Was fällt Ihnen ein, Sie Unglückskind! Sie dürfen mich nicht besuchen. Ich muß mir das verbitten!«

Die Angst des kleinen Männchens machte mir Spaß. Der Kerl, welcher mich angefallen hatte, lag, wie es schien, bewußtlos auf der Erde. Ich war überzeugt, daß er keine Helfershelfer hatte, und fühlte mich also ganz sicher. Darum trat ich zur Türe zurück und sagte im Tone des Erstaunens:

»Sie haben mich doch so dringend eingeladen! Wir wollten mit einander um zehn Uhr frühstücken!«

»Frühstücken Sie wo, wann und mit wem Sie wollen, nur nicht bei mir!«

»Sie sind es doch nicht, welcher Angst zu haben braucht, sondern die Feindseligkeit ist ganz gewiß nur gegen mich gerichtet.«

»Ursprünglich ja; aber Sie kennen diese Leute schlecht. Sie sind dem Tode geweiht, und man wird alle Ihre Freunde und jeden, der mit Ihnen verkehrt, auch morden. Keine Partei schont die andere. Machen Sie sich so schnell wie möglich fort! Ich mag mit Ihnen nichts mehr zu tun haben.«

(Fortsetzung folgt.)
(Inhaltsverzeichnis)