Jahrgg. 16, Nummer 36, Seite 561
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Lopez Jordan

(El Sendador, Theil I.)

Reiseroman von Karl May.
33. Fortsetzung

Ich wollte indessen die Indianerin für einen solchen Zweck nicht benützen und antwortete:

»Ich bringe es auch fertig, und darum denke ich, daß -«

»Sie?« unterbrach er mich. »Das ist unmöglich, Sennor!«

»Er bringt es viel leichter und besser fertig, als Daya,« nickte ihm der Bruder zu. »Ich weiß es sehr genau. Wir brauchen deine Daya nicht.«

»Haben sie ein Feuer auf der Insel brennen?« fragte ich.

»Zwei sogar. Sie braten daran das Fleisch, welches sie mitgebracht haben.«

»Es ist gestohlenes. Und wo befinden sich die Gefangenen?«

»Sie sind mit dem Rücken an Bäume gebunden, und zwar so weit aus einander, daß sie nicht heimlich mit einander reden können. Der Major sprach aber davon, daß er sie zu größerer Sicherheit auf das Floß bringen und obendrein auch bewachen lassen werde. Das wäre wohl sehr unangenehm für uns?«

»Nein. Ob wir sie vom Lande oder vom Floße holen, ist im allgemeinen gleich schwer. Die größere Schwierigkeit des einen vor dem andern liegt nur in den nebensächlichen Hindernissen, welche zu überwinden sind. Darum ist es notwendig, daß ich mir die Sache einmal selbst anschaue.«

»Sennor, was denken Sie! Das ist unmöglich!« sagte der Indianer. »Man wird Sie unbedingt ergreifen!«

»Unsinn! Einen Mann, welcher zwei Revolver mit zwölf Schüssen hat, zu ergreifen, das fällt keinem Menschen ein, und diesen Kerlen am allerwenigsten.«

»Bedenken Sie: Fünfzig gegen einen und bei Mondschein.«

»Diese Fünfzig sehen mich gar nicht und der Mondschein schadet nicht. Mein helles Ledergewand sticht nicht von der Farbe des Schilfes ab. Ich wage nicht das mindeste dabei.«

»Nun, ich habe Ihnen nichts zu befehlen, aber ich bin überzeugt, daß Sie in Ihr Verderben rennen. Und durch Ihre Anwesenheit verraten Sie diejenige Ihrer Gefährten.«

»Haben Sie nur keine Sorge. Sie werden mich jetzt so weit begleiten, bis ich die Halbinsel von weitem sehe. Das weitere überlassen Sie dann mir.«

»Sie befehlen mir das, und ich gehorche; aber ich habe Sie gewarnt!«

Auch die andern forderten mich auf, möglichst vorsichtig zu sein, eine sehr überflüssige Bitte, da mein eigenes Interesse mir schon gebot, mich nicht in allzu große Gefahr zu begeben.

Der Indianer führte mich fort. Ich wußte jetzt, daß ich ihm Vertrauen schenken könne, dennoch aber behielt ich jede seiner


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Bewegungen im Auge. Wir kamen über eine kurze, ziemlich sumpfige Strecke; dann standen wir am Ufer der Bucht, welche sich zwischen den beiden Halbinseln del cocodilo und del Jacaré hereinzog. Ich schickte den Führer zurück und überschaute das Terrain. Da ich im Schatten einer Mimose stand, konnte mich niemand sehen, obgleich der Mond seinen vollen Glanz über die Bucht ausbreitete. Das Floß befand sich hier nicht. Es mußte jenseits des Jacaré verankert sein. Die Halbinsel selbst erstreckte sich wie eine sanfte Böschung nach dem Wasser herab. Das Licht der beiden Feuer, welche unter den Bäumen brannten, zuckte in brillanten Blitzen unter den dunkeln Wipfeln hin. Menschen waren nicht zu sehen.

Ich konnte zwei Wege einschlagen. Der eine führte rechts unten am Ufer hin. Meine Kleidung konnte da von dem angespülten Geröll gar nicht unterschieden werden. Dann kam ich aber vielleicht dem ersten Posten zu nahe, welcher nach der Aussage des Indianers da stehen mußte, wo die Grundlinie der Halbinsel vom Ufer aus nach dem korrespondierenden Punkte der andern Seite führte. Der zweite Weg ging in einiger Entfernung vom Ufer parallel mit demselben durch Schilf und Büsche hin und war weniger gefahrvoll, und darum schlug ich ihn ein.

Ich hatte ungefähr an die hundert Schritte kriechend zurückzulegen, was keine Anstrengung bedeutete. Ich gab mir keine Mühe, Geräusch zu vermeiden, denn die Kerle, welche ich vor mir hatte, besaßen nicht die Augen und Ohren erfahrener Präriemänner. Bald lag ich am Boden, gerade gegenüber dem Punkte, an welchem die Halbinsel begann. Ungefähr dreißig Schritte von mir entfernt, sah ich einen Kerl an einem Baume lehnen. Es war der erste Posten.

Ich kroch nun etwas vorsichtiger weiter und gewahrte auch den zweiten, dritten und vierten Posten. Sie standen in der von dem Indianer angedeuteten Entfernung aus einander und schienen ihrer schläfrigen Haltung nach alles in der Welt angenehmer zu finden, als das Wachestehen.

Nun fragte ich mich, ob es geraten sei, mich zwischen zweien von ihnen hindurch zu schleichen. Ich getraute mir wohl, es fertig zu bringen. Aber erst, wenn ich hindurch war, begann die Gefahr. Wenn sie gegen das Feuer blickten, mußten sie mich unbedingt bemerken. Das sagte ich mir sehr wohl. Lieber kroch ich noch eine Strecke weiter, um nach dem Floße zu sehen. Es lag jenseits der Halbinsel und war doppelt verankert, einmal an der Spitze der Halbinsel und das andere Mal an einem abwärts liegenden Punkte des Ufers. So entstand ein Dreieck,


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dessen Linien von der Halbinsel, dem Flosse und dem Ufer gebildet wurden. Das Floß war ziemlich groß. Auf der Mitte desselben war eine Bretterhütte erbaut, bei welcher zwei Männer standen. Indem ich diese beobachtete, entfernten sie sich langsam von der Hütte nach demjenigen Teil des Floßes, welcher an das Ufer stieß. Sollten sie, oder wenigstens einer von ihnen, dort an das Land steigen wollen? Das mußte ich schleunigst benützen, aber sehr schnell, wenn ich nicht zu spät kommen wollte.

Ich kroch rasch weiter, bis ich aus den Augen des vierten Postens war, richtete mich dann auf und rannte dem Ufer parallel, immer Deckung vor den beiden suchend, welche mich sonst wohl erblicken konnten.

Gegenüber der Stelle angekommen, an welcher das hintere Ende des Floßes am Ufer saß, bückte ich mich nieder und kroch näher. Es gab da ein Gewirr von hohem Pampasgras und Schilf. Es gelang mir, da hinein zukommen und es mir bequem zu machen. Ich lag höchstens fünf Schritte vom Flosse entfernt.

Keine Minute war ich zu früh gekommen, denn kaum hatte ich mich überzeugt, daß mein Körper vollständig verborgen sei, so kamen die beiden Männer auch schon über das letzte Feld des Floßes nach dem Ufer zu.

Welche Freude! Der eine war der Major! Er hatte die Absicht, das Floß zu verlassen und sich von da aus nach der Halbinsel zurückzubegeben. Der andere schien, seiner Haltung nach, auf dem Floße zurückbleiben zu wollen. Vielleicht hatte er die Wache auf demselben.

Als der Major das Ufer erreichte, blieb er stehen und sagte:

»Also, die Gefangenen werden lang auf die Stämme gebunden, wo sie bis früh zu liegen haben. Du beaufsichtigst die Wächter. Entkommt ein einziger, so ist dir eine Kugel sicher. Melde das vorn!«

Der Mann drehte sich um und ging nach dem vordern Teil des Floßes zurück. Mir kam ein verwegener Gedanke. Wie, wenn ich mich des Majors bemächtigte!

Ich sah nach der Halbinsel. Von dort aus konnte man nichts sehen, da die Stelle des Ufers, an welcher der Major stand, ein wenig rückwärts trat. Der einzige Zeuge konnte der Mann sein, welcher jetzt den Major verlassen hatte. Aber ich schloß aus seinem eiligen Gange, daß er sich nicht nach uns umdrehen werde. So schnell, wie der Gedanke gekommen war, so schnell wurde derselbe ausgeführt. Noch stand der Major am Ufer und sah dem Manne nach, da erhob ich mich aus meinem Verstecke. Das tat ich nicht etwa langsam und vorsichtig, denn Geräusch war gar nicht zu vermeiden, sondern ich schoß blitzschnell aus dem Schilfe auf und stand mit einem Satze hinter dem Major.

Er drehte sich um. Der Mond erleuchtete sein Gesicht. Ich hatte ihn augenblicklich fassen und niederschlagen wollen, aber ich sah sogleich, daß das nicht nötig war. Sein Gesicht wurde erst leichenblaß, dann schoß ihm das Blut in den Kopf. Er taumelte vor Schreck. Er wollte schreien und brachte doch keinen Laut hervor, als sei ihm der Wille und auch die Bewegungsfähigkeit abhanden gekommen. Er hatte den Mund offen, aus welchem nun endlich einige Stammellaute hervorquollen. Schnell hatte ich mein Taschentuch da und stieß es ihm in den Mund, und ebenso schnell riß ich mir den Lasso los und schlang ihm denselben um die herabhängenden Arme. Noch nie hatte ich ein solches verkörpertes Bild des Schreckens gesehen, wie der Major es jetzt bot. Nun machte er endlich eine Bewegung der Gegenwehr, aber es war zu spät. Mein Lasso hielt ihm bereits die Arme fest an den Leib.

»Keine Bewegung, Sennor!« raunte ich ihm drohend zu, »sonst stoße ich Ihnen das Messer in den Leib. Ah, Sie haben einen andern Rock an, da ich Ihnen den Frack verschimpfiert habe! Tut mir leid, nun auch den Rock nicht schonen zu können. Ich brauche ein Band zur Befestigung des Knebels.«

Ich riß ihm den Rockschoß ab und schnitt mit dem Messer einen Streifen daraus, den ich dem Offizier um den Mund band, damit er mit der Zunge nicht das Taschentuch herausstoßen könne.

Wie oft habe ich mich später darüber gewundert, daß der Mann nicht wenigstens den Versuch gemacht hat, mir davonzulaufen. Er brauchte nur auf das Floß zu springen, so wurde


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er von allen seinen Leuten gesehen. Freilich hätte ich es doch versucht, ihn herunterzureißen und mit ihm zu entkommen. So aber rührte er kein Glied, obgleich er nicht an den Beinen gebunden war. Es war ihm eben vor Schreck die ganze Geistesgegenwart und Tatkraft abhanden gekommen. Er stand wie ein willenloses Kind vor mir. Ich zog das Messer, faßte ihn am Arme und sagte:

»Nun vorwärts, Sennor! Und keine Weigerung! Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß Sie meine Klinge fühlen, sobald Sie einen Augenblick aufhören, mir zu gehorchen.«

Ich stieß ihn vorwärts. Nun erst kam ihm der Gedanke des Widerstandes. Er hielt den Schritt an.

»Allons, sonst steche ich!« drohte ich.

Ich schob wieder, aber er gehorchte nicht. Sogleich stach ich ihn in die Muskel des Oberarmes, die am wenigsten gefährliche Stelle. Man mag das Grausamkeit nennen, aber es handelte sich um mein Leben. Brachte ich ihn nicht so fort, wie ich wollte, so konnte es sehr leicht um mich selbst geschehen sein. Ehe ich mein Leben auf das Spiel setzte, nahm ich ihm lieber einige Tropfen seines Blutes, was ihm übrigens weder körperlich, noch moralisch etwas schaden konnte.

Das Mittel half. Er begann fast schneller zu laufen, als mir lieb war. Natürlich leitete ich ihn nicht nach der Halbinsel zu, sondern ich entfernte mich zunächst noch weiter von derselben, bis ich gute Deckung hatte, dann kehrte ich um. Ich konnte nicht wagen, allzu weit von ihr entfernt vorüber zu kommen, denn dort gab es Sumpf; ich mußte mich vielmehr so nahe wie möglich an sie halten. Da aber konnte mir der Säbel des Majors gefährlich werden, denn das Klirren desselben war weithin zu vernehmen. Ich schnitt ihn also von dem Riemen ab und legte ihn ins dichte Schilf. Dann ging es weiter.

Nur vierzig Schritte waren wir von den Posten entfernt, als wir parallel mit der Grundlinie der Halbinsel dahinschritten. Er schien Lust zu haben, einen Fluchtversuch zu wagen; aber ich nahm ihn fester und hielt ihm das Messer vor die Brust.

Der Duft des Fleisches, welches über den beiden Feuern gebraten wurde, drang zu mir herüber. Das konnte mich nicht irre leiten; desto aufmerksamer aber wurde ich auf den Ruf, den ich jetzt hörte:

»Holla, hier ist der Braten!«

Sollte etwa eben jetzt das Fleisch verteilt werden? Disziplin war bei den Leuten nicht zu erwarten. Vielleicht ließen sich die Wachen durch den Braten verlocken, ihre Posten zu verlassen. Wirklich! Alles lief nach den Feuern zu, die Posten auch. Einer von ihnen nahm sein Gewehr mit, die andern aber lehnten die ihrigen an die nächsten Bäume.

Sollte ich es wagen? Ich konnte einige Gefangene befreien, setzte aber dagegen mich selbst und den Major auf das Spiel.

In solchen Augenblicken gilt kein Zagen. Der Gedanke, den der erste Moment bringt, muß ausgeführt werden. Gewöhnlich ist er der richtige. Ich riß dem Major das Wehrgehänge vom Leibe, schnallte es ihm um die Unterschenkel und warf ihn zu Boden. Dann flog ich auf die Halbinsel zu.

Die ganz eng sich um die Feuer drängenden Leute warfen ihre Schatten hinter sich, und ich gelangte glücklich aus der vom Monde beschienenen Fläche in den dunkeln Bereich derselben. Nur zwei Männern konnte ich Hilfe bringen; die andern waren mir fern. Ihnen mit dem Messer die Riemen durchschneidend, forderte ich sie auf, mir schleunigst nachzurennen, und kehrte um.

Die zwei kamen hinter mir her, und wahrhaftig, sie hatten Flinten in der Hand. Sie waren so geistesgegenwärtig gewesen, die Gewehre der Wachen aufzunehmen.

»Heigh-day! Que alagria!« sagte der eine von ihnen, als sie bei mir ankamen, in englischer und spanischer Sprache. »Das war brav! Ich sah Sie kommen. Rief dann dem Steuermanne zu, nach der alten Schlüsselbüchse zu greifen, die am Baume lehnte. Ist Rettung in großer Not. Wohin jetzt, Sir? Wer seid Ihr, und wohin gehört Ihr, Sennor?«

Ich hatte keine Zeit, auf ihn zu achten. Ich sah nur, daß er einen Panamahut mit fürchterlich breiter Krempe trug, unter welcher sein Gesicht verschwand, und antwortete ihm:

»Nur immer mir nach, und zwar schnell!«


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Ich nahm mir nicht Zeit, dem Major den Säbelriemen aufzuschnallen; ich schnitt ihn einfach durch, riß den Mann in die Höhe und stieß ihn wieder vor mir her.

»Alle Teufel!« meinte der Breitkrempige. »Das ist der General dieser Spitzbuben! Da habt Ihr einen herrlichen Lachs gefangen. Werde ihn mit in den Hafen bugsieren!«

Er faßte den Major am andern Arme, und dann ging es mit verdoppelter Geschwindigkeit vorwärts, genau denselben Weg zurück, den ich gekommen war, bis wir das Versteck erreichten, in welchem die Gefährten auf mich warteten.

Da sie anstatt einen Mann vier Männer kommen sahen, schöpften sie Verdacht. Sie sprangen auf und griffen nach ihren Waffen.

»Bleiben Sie sitzen, Sennores!« rief ich ihnen zu. »Sie haben nichts zu befürchten. Ich bin es!«

»Sie? Gott sei Dank!« antwortete der Bruder, indem er mir entgegentrat. »Wir hatten bereits große Sorge um Sie. Wen bringen Sie denn da mit?«

»Zwei Gefangene, welche ich befreit, und einen Freien, den ich gefangen genommen habe.«

»Die beiden Fremden vom Floß!« rief der Indianer.

»Der Major!« rief der Bruder.

»Ja, der Major,« antwortete ich. »Ich habe den Sennor ersucht, Ihnen seinen Besuch zu machen, und da ich annehmen mußte, daß er nicht gleich dazu bereit sein werde, kam ich seinem Widerstande zuvor, indem ich ihn band.«

»So haben wir gewonnen; so haben wir gewonnen!« jubelte der Estanziero. »Nun müssen die Kerle meinen Bruder und meinen Sohn gegen diesen Mann auslösen!«

»Nicht so laut, Sennor!« bat ich. »Wir haben noch keine Veranlassung, wissen zu lassen, daß wir hier sind und wo wir uns verborgen haben. Ich vermute, daß man nach diesen drei Personen suchen wird. Hier könnte man uns leicht finden. Petro Aynas, haben Sie keinen Ort, wo wir die Nacht zubringen und ein Feuer brennen können, ohne gesehen zu werden?«

»Ich weiß einen. Kommen Sie! Wie freue ich mich, daß die Sache so glücklich abgelaufen ist!«

Er führte uns durch schilfige Stellen, über mooriges Grün, durch dichtes Gebüsch bis an einen Platz, wo wir zu unserer Überraschung unsere Pferde stehen sahen. Er hatte während meiner Abwesenheit über alles Aufklärung erhalten und also auch erfahren, daß wir bei seinem Weibe gewesen waren und ihr unsere Pferde übergeben hatten.

Der Platz war ausgezeichnet zum Lagern. Er wurde von Laubbäumen überdacht und ringsum von Büschen umgeben. Ein kleines Wasser floß dem Strome zu. Die lästigen Mücken konnten wir durch Feuer vertreiben.

Den Major banden wir an einen Baumstamm, in dessen Nähe das Feuers angebrannt wurde. Speisevorräte hatten wir in den Satteltaschen. Not zu leiden, brauchten wir nicht; aber wir dachten gar nicht an das Essen. Zunächst mußte ich erzählen, wie mir die Gefangennahme des Majors gelungen war. Der Breitkrempige wollte dabei von sich anfangen, ich bat ihn aber, zu warten, da die Reihe auch noch an ihn kommen werde. Der Major war jetzt für uns die Hauptperson. Ich stand auf und entfernte den Knebel aus seinem Munde, sagte ihm aber, daß er beim ersten lauten Hilferufe mein Messer bekommen werde.

»Sie haben sich bereits einmal in unseren Händen befunden,« fuhr ich dann fort. »Sie gelobten, auf alle Feindseligkeiten gegen uns zu verzichten, und wir schonten Ihrer. Sie haben Ihr Wort gebrochen, und von einer abermaligen Schonung kann also keine Rede sein. Das haben Sie sich selbst zuzuschreiben. Petro Aynas, nehmen Sie ihm einmal alles heraus, was er in den Taschen bei sich trägt!«

»Schurke!« knirschte der Major dem Indianer zu, als dieser ihm die Taschen leerte.

Petro gab ihm eine tüchtige Ohrfeige und antwortete:

»Der Schurke bist nur du, Lügner! Jetzt weiß ich alles. Schimpfest du noch einmal, so schlage ich dir den Schädel entzwei.«

Der Major hatte eine Uhr, eine Brieftasche und einen Geldbeutel eingesteckt. Die Uhr gab ich ihm in die Tasche zurück.


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Den Beutel und die Brieftasche öffnete ich. Beide enthielten in Summa ungefähr achtzehntausend Papiertaler, was nicht ganz dreitausend Mark beträgt. Mein Entschluß bezüglich dieses Geldes war gefaßt. Ich fragte die Yerbateros:

»Könnten nicht zwei von Ihnen gleich nach der eingeäscherten Alqueria zurückreiten?«

»Warum?«

»Um dem Besitzer zwölftausend Papiertaler von dem Major Enrico Cadera zu überbringen als Entschädigung für den Schaden, welchen er mit seinen Leuten angerichtet hat.«

Alle fünf waren sofort bereit dazu.

»Losen Sie unter einander! Und zugleich sagen Sie dem alten Herrn, er soll schnell seine Gauchos senden, um die gestohlenen Pferde in Empfang zu nehmen.«

»Die haben wir ja noch gar nicht,« warf Monteso ein.

»Wir werden sie aber bekommen. Oder glauben Sie, daß ich diesen sogenannten Major freigebe, ohne daß er die Pferde zurückliefert?«

»Darüber ist erst Beschluß zu fassen!« sagte der Major zornig.

»Der ist bereits gefaßt, nämlich ich bin es, der ihn gefaßt hat, und das genügt, Sennor!«

»Nein, das genügt nicht. Ich habe da vor allen Dingen ein Wort zu sprechen.«

»Wenn ich es Ihnen verbiete, müssen Sie schweigen.«

»Noch sind keine Präliminarien verhandelt!«

»Was verstehen Sie von Präliminarien! Jedenfalls nicht mehr als der Frosch vom Zitherspielen. Gebärden Sie sich um aller Welt willen nicht etwa, als ob Sie klüger seien, oder mehr zu befehlen hätten, als wir! Das könnte Ihnen schlecht bekommen!«

»Sennor, ich bin Stabsoffizier unter Latorre!«

»Dann ist es eben zu Ihrem Unglück, daß es so ist, denn ich bin ein Gegner Latorres. Wenn Sie sich zu ihm bekennen, verschlimmern Sie nur Ihre Lage.«

»Ich weigere mich entschieden, auf einen Vergleich einzugehen!«

»Wir fragen weder nach dem, was Sie wollen, noch nach dem, was Sie nicht wollen. Wir tun, was uns beliebt.«

»Bedenken Sie, daß sich Geißeln in den Händen der Meinigen befinden!«

»Machen Sie sich nicht lächerlich! Was sind denn wohl Sie in unsern Händen? Glauben Sie, daß ich Sie beim Kragen genommen habe, um mit Ihnen Staat zu machen? Sie weisen jeden Vergleich von sich. Wie wollen Sie denn Ihre Freiheit wieder erlangen, wenn nicht durch einen Vergleich?«

»So bleiben die Montesos in Gefangenschaft und werden gar getötet!«

»Bilden Sie sich auch das nicht ein! Ich habe Sie ergriffen und dabei zugleich zwei Ihrer Gefangenen befreit. Denken Sie etwa, es falle mir schwer, auch die beiden Montesos zu befreien? Ich allein bringe das fertig. Und hier sind noch andere Männer, welche sich ebenso wenig vor euch fürchten wie ich.«

(Fortsetzung folgt.)
(Inhaltsverzeichnis)