Lieferung 39

Karl May

11. September 1886

Deutsche Herzen, deutsche Helden.

Vom Verfasser des »Waldröschen« und »der Fürst des Elends«.


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»Gar nicht.«

»Oder steht Ihr in Geschäftsbeziehung zu ihm?«

»Nein, doch werde ich bald in diese Beziehung zu ihm treten. Ihn kenne ich nicht, desto besser aber seinen Neffen Arthur Wilkins.«

»Alle tausend Teufel! Ihr kennt Arthur? Wo habt Ihr ihn gesehen? Wo befindet er sich? Lebt er überhaupt noch?«

»Das sind mehrere höchst bedeutungsvolle Fragen auf einmal. Erlaubt, daß ich sie später beantworte. Jetzt möchte ich vor allen Dingen fragen, ob Ihr die Verhältnisse auf Wilkinsfield genau kennt?«

»Natürlich. Ich bin ja der nächste Nachbar.«

»Wem gehört die Plantage?«

»Natürlich Wilkins.«

»Hm! Ihr dürftet Euch da sehr irren.«

»Schwerlich. Wem sollte sie sonst gehören?«

»Wem, fragt Ihr? Wem anders als mir!«

Leflor fuhr auf:

»Was? Euch? Ihr phantasirt wohl?«

»O, ich bin vielleicht bei noch mehr als den gewöhnlichen Sinnen. Aber sprecht nicht so laut! Der Schwarze braucht hiervon nichts zu hören.«

Und nun begann ein angelegentliches Flüstern, als ob es sich um die höchste irdische Wichtigkeit handele. Endlich zog Walker ein Portefeuille aus der Tasche und entnahm demselben mehrere Schriftstücke, welcher er Leflor vorlegte. Den großen Siegeln nach zu urtheilen, waren es lauter behördliche Documente.

Leflor sah sie durch, hielt sie gegen den durch die Fensteröffnung hereinfallenden Sonnenstrahl, kurz, prüfte sie auf jede Art und Weise.

»Außerordentlich, ganz außerordentlich!« sagte er. »Wer hätte das gedacht! Wer hätte das überhaupt denken können! Ach! Ihr habt ganz Recht, Master Walker. Ihr gebt mir da eine förmliche Sprengkugel in die Hand, mit welcher ich das Rohr meiner Rache laden werde. Wann wollt Ihr Eure Ansprüche geltend machen?«

»Natürlich baldigst. Habt Ihr Euch überzeugt, daß sie rechtsgiltig sind?«

»Selbst der raffinirteste Advocat würde keinen Weg finden können, sie anzufechten. Ich wollte, diese Eure Rechte gehörten mir.«

»Hm!« brummte Walker nachdenklich.

»Habt Ihr nicht Lust, sie mir zu verkaufen?«

»Nein, Sir. Ich müßte sie doch, ehe Ihr sie mir abkaufen würdet, verfechten, und dann habe ich keine Lust mehr, sie aus der Hand zu geben.«

»Ihr irrt. Ich würde Sie Euch jetzt abkaufen.«

»Um mir ein Lumpengeld zu bieten! O nein!«

»Es fällt mir nicht ein, Euch zu drücken. Eure Rechte sind unantastbar, aber dennoch wird Wilkins sich wehren. Es wird einen Prozeß geben. Habt Ihr die Mittel, ihn auszuhalten?«


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»Hm! Ich habe mein ganzes Vermögen hingegeben, diese Documente zu erwerben.«

»So bedenkt sehr wohl, ob Ihr den Prozeß auszufechten vermögt! Ich rathe Euch, Eure Ansprüche zu verkaufen. Ihr werdet allerdings nicht die volle Summe erhalten, doch habt Ihr sie jedenfalls wohl auch nicht gegeben, und ich würde Euch nicht sehr drücken. Ueberlegt es Euch!«

»Ich würde nur gegen baare und sofortige Zahlung verkaufen.«

»Und ich bin in der Lage, darauf einzugehen. Es liegt mir viel daran, diese Documente in meinen Besitz zu bringen. Ich gönne es Euch nicht, diesen famosen Schlag gegen Wilkins zu führen. Ich will es sein, der diesen Menschen aus dem Hause wirft. Er hat mich aus demselben gewiesen, und es soll meine Rache sein, daß ich als Eigenthümer vor ihn hintrete.«

»Nun, wieviel bietet Ihr?«

»Das läßt sich nicht so über die Hand brechen. Wir sehen uns doch nicht nur in diesem Augenblick. Habt Ihr Eure Gegenwart hier schon irgend Jemandem versprochen?«

»Noch Niemandem. Ich kenne hier ja überhaupt noch keinen Menschen.«

»So bitte ich um die Erlaubniß, Euch zu mir einzuladen. Wollt Ihr mein Gast sein?«

»Da es so steht, nehme ich Eure Einladung ohne alles Bedenken an.«

»Schön, sehr schön! Ich werde sofort einen Expressen nach Van Buren senden, um einen Notar kommen zu lassen. Er mag die Papiere prüfen und kann dann gleich Dasjenige vornehmen, was zum Uebergang derselben in mein Eigenthum erforderlich ist. Einig werden wir ja werden.«

»Ich hoffe es.«

»So halte ich es für das Allerbeste, gleich aufzubrechen. Warum wollt Ihr Euch noch länger in diese Hütte setzen!«

»Ihr vergeßt, daß ich hier wahrscheinlich belagert werde, Sir!«

»Sapperment! Es ist ja wahr. Hoffentlich werde ich auch erfahren, wie Ihr mit diesen drei Jägern in Conflict gerathen seid?«

»Ich werde es Euch erzählen. Meine Schuld ist es nicht, daß ich gegenwärtig meines Lebens nicht sicher bin.«

»Sie trachten Euch also nach dem Leben! Ich rathe Euch, Euch an den Sherif zu wenden, um ihnen das Handwerk legen zu lassen.«

»Das beabsichtige ich ja auch. Aber ich bin ihnen erst heute wieder begegnet, und hier giebt es weder Sherif noch anderweiten polizeilichen Schutz. Diese Kerls werden mich niederschießen und dann sehr einfach das Weite suchen. Die Hauptsache ist, ihnen für diesen Augenblick zu entkommen; dann habe ich ja gewonnen.«

»Dieser Wilkins könnte die Mörder durch seine Leute verjagen lassen; aber er schien in den Dicken geradezu verliebt zu sein. Meine Untergebenen darf ich zu diesem Zweck nicht auf fremdes Gebiet senden. Man müßte also zur List - - - Sapperment! Da kommt mir ein köstlicher, gottvoller Gedanke, Master Walker!«


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»Ich wünsche sehr, daß er so köstlich sein möge, wie er Euch erscheint.«

»Das ist er, ja das ist er! Wenn wir nur gewiß wüßten, ob die drei Kerls sich hier in der Nähe der Hütte befinden.«

»Ich bin überzeugt, daß es der Fall ist.«

»Wo mögen sie da stecken?«

»Ich bin mit den Gebräuchen der Prairie bekannt genug, um diese Frage beantworten zu können. Wenn sie mich auflauern, wollen Sie mich aus dem Hause treten sehen. Sie stecken also auf der Seite, auf welcher sich die Thür befindet.«

Er hatte jetzt lauter als vorher gesprochen. Der Schwarze hörte es und sagte:

»Das ist richtig. Ich weiß, wo sie sind.«

»Ah! Wirklich! Wo, wo?«

Bei diesen Fragen erhoben sich die Beiden von ihren Sitzen und traten an die Thür. Bommy aber wies sie zum Fenster und erklärte:

»Da drüben, gerade der Thür gegenüber, giebt es einen hohen, dichten Mezquitebusch; in demselben stecken sie. Ich habe sie zwar nicht gesehen, aber ich sah die Bewegungen der Aeste und Zweige; sie waren nicht durch den Wind hervorgebracht. Es ist sicher; sie stecken da drin.«

»Wollen sehen.«

Ehe die Anderen ihn hindern konnten, hatte Leflor die Thür geöffnet und trat hinaus. Die Hände in den Hosentaschen, blickte er sich um, als ob er nach Etwas suche, und schritt scheinbar ganz unbefangen weiter, dem bezeichneten Busche immer näher, doch nicht direct sondern auf Umwegen und wie ganz zufällig. In der Nähe desselben angekommen, legte er sich in das Gras, ganz nach Art eines unbeschäftigten Menschen, welcher augenblicklich nichts Anderes zu thun hat als die Zeit todtzuschlagen. Das Gesicht auf den Arm gelegt, gab er sich den Anschein, als ob er einzuschlafen beabsichtige, lugte dabei aber unter dem Aermel scharf in den Busch hinein. Plötzlich sprang er auf, rieb sich das Bein und rief:

»Verdammte Ameisen! Hol Euch der Teufel!«

Dann kehrte er schlendernd nach der Hütte zurück. Walker empfing ihn mit den Worten:

»Das hat sehr lange gedauert. Man hätte unterdessen vor Ungeduld auswachsen mögen.«

»Hm! Ich mußte es klug anfangen.«

»Sind sie dort?«

»Ja, alle Drei! Man muß es aber bereits wissen, sonst bemerkt man sie nicht, so gut haben sie sich versteckt. Diese Kerls sind wirklich schlau. Wir aber werden noch schlauer sein und sie auf eine Weise betrügen, daß sie sich darüber todtärgern mögen.«

»Da bin ich doch begierig, zu erfahren, wie Ihr es anfangen wollt.«

»Sehr einfach. Ihr habt fast dieselbe Gestalt wie ich. Wir ziehen uns hier aus und vertauschen die Anzüge. Ihr setzt Euch auf mein Pferd und


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reitet fort. Sie werden Euch für mich halten und Euch also gar nichts in den Weg legen.«

»Alle Teufel! Der Gedanke ist nicht nur höchst originell, sondern er gewährt mir die sicherste Errettung von dem Ungeziefer. Ihr verpflichtet mich zur allergrößten Dankbarkeit.«

»Pshaw! Eine Hand wäscht die andere. Also, Sir, geniren wir uns nicht vor einander. Legt immer die Kleider ab. Ihr seht, daß ich schon beginne.«

Er zog sich wirklich aus, und Walker that dasselbe. Nach fünf Minuten hatte Jeder des Anderen Kleider angezogen. Sie sahen sich an und lachten. Auch Bommy lachte und sagte:

»O, könnte ich die Gesichter sehen, welche sie dann machen werden!«

»Es ist sehr wahrscheinlich, daß Dir dieser Wunsch erfüllt wird,« meinte Leflor. »Sie werden ja wohl her kommen, um sich nach Master Walker umzusehen. Aber bitte, Sir, gebt mir doch die Brieftasche aus meinem Rocke, und nehmt hier dafür die Eurige. Ihr werdet eher bei mir ankommen, und so will ich Euch einige Zeilen mitgeben, damit man sofort für Euch sorgt und auch einen Expressen nach Van Buren sendet, des Notars wegen. Ich möchte da keine Stunde unnütz versäumen.«

»Aber ich weiß ja keinen Weg.«

»Ist auch nicht nöthig. Ihr reitet hier den Weg, welchen ich von Wilkinsfield her gekommen bin, immer gerade aus, durch den Wald hindurch. Ist dieser Letztere zu Ende, so beginnt meine Besitzung. Wenn Ihr Euch in schnurgerader Richtung haltet, reitet Ihr strikten Weges zu meinem Thore hinein. Der Aufseher wird Euch empfangen, und ihm gebt Ihr die Zeilen, welche ich Euch ausfertigen werde.«

»Das klingt wirklich, als ob man eine Humoreske lese. Aber wenn ich an Euch denke, wird mir nicht sehr humoristisch zu Muthe.«

»Warum?«

»Weil Ihr Euch in Gefahr befindet.«

»Das sehe ich nicht ein.«

»Wenn sie mich für Euch halten, werden sie dafür Euch für mich halten.«

»Das mögen sie thun.«

»Wenn sie Euch nun eine Kugel geben!«

»Da habt nur keine Sorge. Das thun sie nicht. Sie werden Euch doch wohl lieber lebendig als todt haben wollen. Ich werde also in aller Ruhe und Gemüthlichkeit nach ihrem Verstecke gehen. Fallen sie dann über mich her, nun, dann werden sie wohl merken, wen sie haben.«

»Und wenn sie sich rächen!«

»Pshaw! Das werden sie wohl unterlassen. Diese Art von Leuten sind so gewissenhaft! Nehmt Ihr nur Euch in Acht, daß sie Euer Gesicht nicht sehen. Bommy mag jetzt mein Pferd herüber nach der Thür holen. Ihr steigt so auf, daß Ihr diesen Lauschern den Rücken zuwendet. Auf diese Weise werden sie am Sichersten getäuscht.«


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Der Neger ging, das Pferd nach dieser Seite der Hütte zu holen. Also nahte der Augenblick, an welchem Walker hinaustreten sollte. Er hatte doch große Sorge. Wenn die drei Jäger den Betrug ahnten, so erhielt er doch seine Kugel. Er gab dieser Besorgniß Worte; Leflor aber sagte:

»Macht Euch doch nicht lächerlich, Sir! Seht das Pferd draußen! Es steht so vor der Thür, daß Ihr hinaustreten könnt, ohne daß die Kerls Euer Gesicht sehen. Dann dreht Ihr Euch herum, steigt in den Sattel und reitet fort.«

So geschah es, und es glückte wirklich.

Die drei Westmänner hatten natürlich das ganze Gebahren Leflors beobachtet. Als er wieder aufgesprungen war, um sich zu entfernen, brummte der lange Jim in den Bart:

»Sonderbarer Kerl! Wollte hier schlafen! Mag sich doch nach Hause scheeren!«

»Hier schlafen?« meinte Sam. »Ist ihm jedenfalls ganz und gar nicht eingefallen.«

»Na, Du hast doch selbst gesehen, daß er sich hier niederlegte!«

»Ja, das hat er gethan, aber wohl nur zum Scheine. Der Kerl hatte irgend eine Absicht.«

»Welche denn?«

»Wer weiß es! Ob er ahnte, daß wir hier sind, und sich überzeugen wollte?«

»Du, das könnte der Fall sein!«

»Ich glaube es auch. Es war mir, als ob er so ganz heimlich unter dem Arme hindurchblickte. Hat er uns wirklich bemerkt, so wird er irgend einen Plan aushecken, diesen Walker ohne Gefahr aus der Hütte fortzubringen.«

»Donnerwetter, das soll ihm nicht glücken!«

»Nein, sonst bekommt er es mit mir, mit Sam Barth zu thun, der sich nicht ungestraft eine Nase drehen läßt. Passen wir auf! Schaut, da tritt der Nigger heraus! Er geht nach der vorderen Seite des Hauses.«

»Es ist weiter nichts. Da bringt er das Pferd. Leflor reitet fort. Das ist Alles.«

»Laßt Euch nicht betrügen!« sagte Sam. »Ich ahne, was er will. Das Pferd wird vor die Thür gestellt; Leflor steigt auf und reitet langsam fort; hinter dem Pferde aber wird sich Walker befinden, um uns unter dieser Deckung glücklich zu entwischen.«

»Alle Teufel, das ist wahr!« stimmte Jim bei. »Sie können gar nichts Anderes beabsichtigen. Tim, leg die Büchse an! Wir werden zwar von Walker nichts als die Füße sehen können; aber gerade in diese soll er unsere Kugeln bekommen, so daß er es unterlassen wird, ohne an uns vorbei zu laufen. Aufgepaßt!«

Die beiden Brüder legten ihre Gewehre an und hielten sich schußfertig. Sam Barth hatte nicht in ihrer Weise mit Walker zusammen zu rechnen. Er ließ sein Gewehr zur Seite liegen.


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»Jetzt!« sagte Tim. »Da kommt Leflor heraus. Nun wird Walker folgen!«

Aber die Drei sahen sich enttäuscht. Der vermeintliche Leflor stieg auf, ihnen den Rücken zuwendend, gab dem Schwarzen die Hand, wechselte noch einige Worte mit ihm und ritt davon.

»Sapperlot!« meinte Jim. »Er reitet wirklich allein. So befindet sich Walker also noch drin.«

Sam schüttelte langsam und bedenklich den Kopf. Ihm war die Sache nicht recht geheuer. Er brummte:

»Der Teufel hole diese verfluchte Geschichte! Ich werde aus ihr nicht klug. Warum wälzt sich dieser Leflor hier im Grase herum, um nachher ganz scharmant abzutraben! Das Ding verursacht mir Kopfschmerzen. Ohne Absicht ist er nicht hier in unserer Nähe gewesen, und ohne Absicht hat er auch nicht sich sein Pferd nach dieser Seite des Hauses bringen lassen. Er konnte ebenso gut auf der anderen aufsteigen. Irgend eine Teufelei ist los; darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Aber welche?«

»Werden wir erfahren.«

»Die allergrößte Teufelei wäre die, daß wir hier vor diesem alten Wigwam liegen, und Walker hätte sich gar nicht drin befunden. Das wäre wahrlich ganz dazu angethan, Einen vor Aerger zerplatzen zu lassen.«

»Er ist drin gewesen. Ich habe ganz deutlich gehört, daß Bommy es zu dem Neger Daniel sagte. Heraus ist er auch noch nicht, folglich steckt er noch drin.«

»Höre, Sam, es wäre doch am Allerbesten, wir gingen noch einmal hinein, um richtig durchzusuchen. Vielleicht fänden wir doch eine Spur!«

»Meinetwegen! Aber da kommt mir ein ganz anderer Gedanke, ein verfluchter Gedanke!«

»Welcher denn?«

»Habt Ihr nicht ein Beil drin gesehen?«

»Ja, es war ein solches da.«

»Na, wir liegen alle Drei auf dieser Seite. Wie nun, wenn sie auf der entgegengesetzten Seite Luft gemacht und einen der Balken entfernt hätten, so daß es Walkern möglich gewesen wäre, hinauszukriechen!«

»Einen solchen schweren, dicken Klotz entfernen?«

»Ich habe mir die Wand nicht genau angesehen. Es kann sich leicht eine Stelle finden, die vielleicht früher einmal ausgebessert worden ist, wo sich unschwer ein Loch machen läßt. Es ist doch am Allerbesten, wir gehen nochmals hinein. Aber hört, anders als vorher! Nicht offen, sondern wir schleichen uns hin. Kommt, wir wollen keine Zeit versäumen!«

Sie krochen aus dem Busche heraus und näherten sich, immer Deckung suchend, dem Hause. In der Nähe desselben angekommen, schritten sie dann gerade auf eine Ecke desselben zu, so daß sie nicht von einem Fenster aus gesehen werden konnten. Dann blieben sie zunächst halten, um zu lauschen.


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»Die Thür ist jetzt auf,« flüsterte Jim.

»Es sind Zwei drin. Hört Ihr sie sprechen?« fragte sein Bruder.

»Habe ich also nicht recht gehabt?« frohlockte Sam. »Jetzt bekommen wir den Kerl. Kommt hinein!«

Als Walker fortgeritten war, und der Schwarze wieder seine Hütte betreten hatte, saß Leflor auf der Bank und goß sich den Rest der Rumflasche in sein Glas.

»Nun kommt das Schwierigste,« sagte Bommy. »Ihr seid doch nicht ganz des Lebens sicher.«

»Hm! Jetzt erscheint mir die Geschichte auch bedeutend bedenklicher als vorher. Ich weiß nicht genau, was Walker mit diesen Kerls gehabt hat. Ist es eine Geschichte, bei welcher Blut geflossen ist, so ist es leicht möglich, daß sie mir, sobald ich hinaustrete, einfach eine Kugel in den Kopf geben und sich dann davon machen. Ich werde mir die Sache doch vorher überlegen.«

Er stand auf und näherte sich dem Fenster. In diesem Augenblicke bewegte sich der Mezquitebusch, ohne daß es eine Spur von Wind gab. Sodann bewegten sich einige Zweige eines nahe stehenden Strauches, und dann sah Leflor ganz deutlich dreimal Etwas wie ein flüchtiger Schatten über den Zwischenraum zweier Sträucher huschen.

»Sie machen es mir leichter,« sagte er. »Sie kommen, wie es scheint.«

»Wieder herein?«

»Ja.«

»Da bin ich neugierig, was erfolgen wird.«

»Ich setze mich hierher. Du aber trittst ihnen entgegen und verhinderst sie daran, falls sie auf mich schießen wollen. Mach schnell! Sie werden in einigen Augenblicken da sein.«

Er setzte sich so, daß er dem Eingange den Rücken zukehrte. Bommy aber näherte sich der Thür. Sie wechselten noch einige Worte, welche draußen gehört wurden; sodann erschienen die beiden Brüder unter dem Eingange, hinter ihnen Sam.

»Good morning zum zweiten Male, schwarze Eule!« sagte Jim. »Ah, ist Dein Schützling aus seinem Loche geschlüpft?«

»Schützling?« fragte der Neger. »Wer?«

»Nun, der gute Master Walker?«

»Kenne keinen Walker«

»Schön, mein Junge. Du sollst ihn kennen lernen. Ich werde Dir ihn sofort zeigen.«

Er schob den Schwarzen bei Seite, trat, gefolgt von Tim und Sam, von hinten an Leflor heran, klopfte ihm auf die Achsel und sagte:

»Endlich ein Wiedersehen seit gestern Abend, Master! Wo wart Ihr doch so plötzlich hin?«

Leflor hatte, als er sie eintreten hörte, das Glas ergriffen und an den Mund gesetzt. Er trank es ruhig aus, drehte sich langsam um und sagte:

»Bei allen Teufeln! Welcher Flegel wagt es denn da, mir einen


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Schlag zu versetzen? Das muß ich mir allen Ernstes verbitten! Verstanden!«

Es ist unmöglich, die Gesichter zu beschreiben, welche die drei Getäuschten sehen ließen. Diese Gesichter waren so über alle Maßen drollig, daß Leflor in ein lautes Lachen ausbrach und dabei fragte:

»Himmel und Hölle! Welch ein Narrenspiel wird denn da aufgeführt? Was für Menschen sind diese Beiden? Und wer ist - - ah, wen sehe ich da? Sam Barth, welcher mein Gesicht nicht leiden kann! Nun, mein kleiner, dicker Sir, das Eurige ist auch nicht sehr geistreich, wenigstens in diesem Augenblicke nicht! Was starrt Ihr mich denn an?«

Aber er hatte sich in dem listigen Sam denn doch verrechnet. Es bedurfte nur dieses Spottes, um dem Dicken seine volle Disposition wiederzugeben. Er machte plötzlich ein ganz anderes Gesicht, schüttelte verwundert den Kopf und sagte:

»Master Walker, wie Einer in Eurer Lage noch so das große Maul haben kann, das begreife ich nicht. Wenn Ihr glaubt, Euch dadurch Nutzen zu bringen, so irrt Ihr Euch sehr.«

»Walker!« lachte der Angeredete. »Ihr seid wohl gar blind geworden, seit wir uns sahen?«

»Wenn es Euch Spaß macht, mich für einen Esel zu halten, so kann ich nichts dagegen haben; aber der Ernst wird gar nicht auf sich warten lassen!«

Er machte ein so strenges Gesicht, daß Leflor denn doch eine ängstliche Regung fühlte. Er sagte:

»Ich hoffe doch, daß Ihr mich kennt!«

»Natürlich!«

»Nun, wer bin ich denn?«

»Dumme Frage! Mit einer solchen bringt mich ein Walker nicht aus der Fassung!«

»Aber Mann, Ihr müßt doch wissen, wer ich bin!«

»Freilich! Ihr seid Walker.«

»Ich verstehe Euch nicht. Ihr habt mich ja vor einiger Zeit bei Monsieur Wilkins gesehen.«

»Da habe ich nur einen einzigen Mann gesehen, und der war Monsieur Leflor.«

»Nun, der bin ich ja.«

»Ihr? Leflor?«

Er stieß ein lustiges Lachen aus und wendete sich an die beiden Brüder:

»Habt Ihr schon einmal so einen Kerl gesehen? Er macht es gerade so, wie die Fabel vom Vogel Strauß erzählt. Er denkt, wenn er Niemanden sieht, so werde er auch von Niemandem gesehen. Lächerlich!«

Jim und Tim hatten auch bereits ihr Erstaunen überwunden. Zunächst hatten sie sein Verhalten für unsinnig gehalten. Jetzt nun konnten sie zwar nicht begreifen, was er eigentlich bezwecke, aber daß er eine ganz bestimmte


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Absicht verfolge und daß sie ihn da nicht stören durften, das erkannten sie. Darum stimmten sie in sein Lachen ein, und Jim meinte:

»Ja, so eine Albernheit ist auch mir noch niemals vorgekommen!«

Das ließ Leflor seine Lage noch bedenklicher erscheinen. Er versicherte sehr nachdrücklich:

»Aber, Masters, mein Name ist wirklich Leflor.«

»Papperlapapp!« antwortete Sam. »Komm uns doch nicht mit solchen Kindereien! Leflor ist soeben auf seinem Pferde davongeritten.«

»Das war ein Anderer!«

»Pshaw! Das macht Ihr mir nicht weiß! Ich kenne diesen Mann; ich habe vor Kurzem mit ihm gesprochen. Ihr aber steht ganz so vor uns, wie wir Euch gestern Abend draußen am Flusse gehabt haben. Ihr seid der Dieb und Mörder Walker. Eure irrsinnige Ausrede hilft Euch nichts.«

»Aber, zum Donnerwetter, ich begreife Euch nicht!«

»Ich begreife Euch desto besser! Mit mir macht Ihr keinen Mummenschanz. Wir haben ganz und gar keine Lust, Fastnacht mit Euch zu spielen; Jim, gieb einmal den Riemen her! Wir wollen dem Master die Hände ein Wenig binden.«

»Das dulde ich nicht!« rief Leflor zornig. »Fragt hier den Neger! Er wird es Euch bezeugen, daß ich nicht Walker heiße.«

»Der? Bezeugen? Der uns vorhin bereits belogen hat? Da müßten wir doch noch dümmer sein, als er und Ihr.«

Da trat aber doch Bommy heran und sagte:

»Dieser Massa ist Massa Leflor, Sir.«

»Schweig, Hund!« donnerte Sam ihn an. »Mit Dir wird kurzer Prozeß gemacht.«

»Aber, Sir, ich sage Euch, daß - - -«

Er kam in seiner Versicherung nicht weiter. Sam stieß ihm die geballte Faust mit solcher Kraft in die Magengrube, daß er wie ein Sack in die Ecke flog und dort liegen blieb.

»Mann, ich werde Euch zur Verantwortung ziehen!« rief Leflor drohend. »Ihr habt Euch hier an keinem Menschen zu vergreifen!«

»Das wird immer hübscher!« lachte Sam. »Höre, wenn Du Dein Maul noch ein einziges Mal so voll nimmst, so stopfe ich es Dir, daß Du einige Zeit lang an Sam Barth denken sollst! Ich habe keine Lust, mich von so einem Hallunken auch noch in so großartiger Weise anrasseln zu lassen. Ein Jeder erntet, was er säet, ists nicht in dieser, so ists in jener Weise.«

Da ballte Leflor die Faust und drohte:

»Kerl, nenne mich noch einmal Du oder sage noch einmal das Wort Hallunke, so antworte ich Dir, wie sichs gehört!«

»Schön! Antworte mir einmal! Hier, da hast Du meine Frage!«

Mit einer blitzartigen Schnelligkeit, die man dem kleinen, so unbehilflich erscheinenden Dicken gar nicht zugetraut hätte, versetzte er dem Gegner von unten herauf einen Hieb gegen die Nase, daß sofort das Blut aus derselben


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sprang, faßte ihn in demselben Augenblicke an beiden Hüften, hob ihn hoch empor und schmetterte ihn mit solcher Gewalt zu Boden, daß es klang, als ob alle Knochen krachten.

»So, nun antworte doch, Hundsfott! Her mit dem Riemen! Wir wollen die Kerls einwickeln, daß sie in fünf Minuten wie grün geklopfte Rindsrouladen aussehen.«

Beide, sowohl Leflor wie der Neger, hatten von der Riesenkraft des Dicken einen solchen Beweis bekommen, daß sie nicht wagten, sich zu wehren. Desto heftiger aber protestirten sie mit Worten.

»Hört,« drohte er, »seid nur still, sonst mache ich Euch schweigsam! Es paßt mir keineswegs, mich in alle Ewigkeit von solchen armseligen Geschöpfen ankläffen zu lassen. Jetzt lege ich Euch einstweilen zur Ruhe. Wollt Ihr da nicht still sein, so kriegt Ihr einen Klapps, wie er unartigen Buben gehört!«

Er nahm erst den Weißen und schleuderte ihn auf das Lager Bommy's; dann warf er den Schwarzen wie einen Sack auf den Ersteren hin. Sie waren von den Lasso's der Jäger so fest zusammen geschnürt, daß sie sich gar nicht regen konnten. Zu sprechen oder gar zu schimpfen getrauten sie sich auch nicht mehr, zumal Sam jetzt den Andern die Instruction gab:

»Ich gehe jetzt fort, um für den Transport dieser Kerls zu sorgen. Ihr bleibt bei ihnen, riegelt von innen die Thüre zu und laßt keinen Menschen ohne meine Erlaubniß herein. Nöthigenfalls gebraucht Ihr Eure Büchsen. Solche Schufte, wie der Weiße da einer ist, muß man fest halten. Machen sie Lärm, so gebt Ihr ihnen die Faust auf die Nase; das ist das beste Beruhigungsmittel für dergleichen Buben.«

Er ging und hörte, daß hinter ihm die Thür verriegelt wurde. Er hatte die Absicht, nach dem Schlosse zurückzukehren, freute sich aber nicht wenig, als er in ganz kurzer Entfernung den deutschen Oberaufseher erblickte, welcher zu Pferde herbeigeritten kam. Er eilte ihm entgegen und fragte, als er ihn erreichte:

»Sir, darf ich vermuthen, daß Ihr zu den Bewohnern von Wilkinsfield gehört?«

»Jawohl, Master Sam,« antwortete der Gefragte in deutscher Sprache. »Ich heiße Adler und bin Aufseher.«

»Sapperment, das ist prächtig, ein Deutscher! Herr Adler, Sie sind der Mann, den ich brauche. Ist der Bote nach Van Buren fort?«

»Längst.«

»Ich brauch einen zweiten noch, aber er muß ein gescheidter Kerl sein.«

»Wohin?«

»Nach Leflor's Plantage.«

»Das ist schlimm. Wir stehen seit heut früh in Feindschaft mit ihm.«

»Schadet nichts. Er bekommt soeben bereits seinen Lohn. Wir suchen nämlich einen Schurken, Namens Walker; er steckte in Bommy's Hütte, die wir belagerten. Da kam Leflor und gab diesem Hallunken, um ihn zu retten, seine Kleider und zog dafür diejenigen des Andern an. In Folge dessen hielten


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wir Walker für Leflor und ließen ihn fortreiten. Vermuthlich ist er nach Leflors Besitzung. Wir müssen darüber sofortige Gewißheit haben. Auch möchten wir erfahren, wie, wo und auf wie lange der Kerl dort einquartirt ist.«

»Mit einem solchen Menschen den Anzug gewechselt? Das sieht Leflor ähnlich. Er ist selbst ein Schurke. Den Boten werde ich selbst machen.«

»Sie selbst? Herrlich! Aber schön wäre es, wenn Leflor es nicht erführe, daß wir uns erkundigt haben.«

»Keine Sorge! Er erfährt es nicht. Der Oberaufseher seiner Plantage ist ein Deutscher, ein Landsmann also; er weiß Alles und wird mich nicht verrathen.«

»Wann können Sie zurück sein?«

»Wenn ich den Landsmann gleich treffe, so höchstens in einer Viertelstunde. Hat es Eile?«

»Sehr große sogar.«

»So reite ich Carrière. Ich habe übrigens mit Leflor heut bereits ein Rencontre gehabt. Er beleidigte mich. Er hat um die Hand des Fräuleins angehalten und einen Korb bekommen.«

»Sehr gut! Uebrigens werden Sie Genugthuung erlangen. Giebt es vielleicht einen nicht offenen Wagen?«

»Wozu?«

»Einen Gefangenen zu transportiren.«

»Lassen Sie sich einen Baumwollkarren geben und ein Pferd dazu. Wo finde ich Sie bei meiner Wiederkehr?«

»Im Herrenhause bei Monsieur Wilkins.«

Sie trennten sich. Adler ritt nach der einen und Sam trabte nach der entgegengesetzten Seite weiter. Trotz seines Leibesumfanges kam er gar schnell vorwärts. Er schwitzte zwar tüchtig, erreichte aber das Herrenhaus binnen fünf Minuten. Dort standen mehrere der erwähnten Karren, bereit, nach den Feldern zu gehen. Sam schob, ohne erst viel zu fragen, den schwarzen Fuhrmann zur Seite, ergriff Peitsche und Zügel und fuhr in Galopp davon. Nach zwei Minuten hielt er vor der Hütte Bommy's.

Er klopfte. Es wurde ihm geöffnet. Die beiden Gefangenen lagen noch so, wie er sie hingeworfen hatte. Er faßte Leflor an, hob ihn empor und gab Jim ein Zeichen, mit dem Neger ein Gleiches zu thun.

»Faß an! Wir laden sie auf!«

Er brachte den Weißen auf die Karre; der Schwarze wurde auf ihn gelegt, und dann rafften die Drei das ganze Laub des Lagers zusammen und schütteten es über die beiden Gefangenen. Dann fuhr Sam davon, dem Herrenhause zu.

Seine beiden Gefährten gingen neben ihm, mehr verwundert und neugierig, was er eigentlich beabsichtige, als besorgt um die Folgen dessen, was sie gethan hatten.


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»Was hast Du denn eigentlich vor, Sam?« fragte Jim halblaut, so daß es von Leflor und Bommy nicht gehört werden konnte.

»Dumme Frage! Der Neger hat uns belogen und betrogen, und der Pflanzer hat uns den andern Streich gespielt. Dürfen drei brave Westmänner sich dies gefallen lassen?«

»Nein! Hast Recht. Wie aber wird es ablaufen?«

»Gut, sage ich Euch. Kein Mensch kann uns deshalb ein Haar krümmen. Leflor hat sich verkleidet, um uns zu täuschen, und grad diese Verkleidung dient zu unserer Rechtfertigung. Es geschieht ihm sein Recht, nicht mehr, eher weniger.«

Da kam ihm der Galopp eines Pferdes nach. Es war Adler. Als er Sam einholte, wollte er laut sprechen, erhielt aber einen Wink. Der Dicke gab den Gefährten das Fuhrwerk über und blieb mit Adler ein Wenig zurück.

»Abgemacht,« sagte der Letztere. »Ich traf den Oberaufseher noch vor der Besitzung. Walker ist zu Pferde und in der Kleidung Leflors angekommen; er bleibt längere Zeit da und hat zwei Gastzimmer der ersten Etage erhalten. Zugleich ist in Folge eines Zettels, welchen er von Leflor mitgebracht hat, ein reitender Bote abgeschickt worden, um schleunigst einen Advocaten aus Van Buren zu holen.«

»Ah! Weshalb wohl?«

»Das wußte der Aufseher nicht.«

»Hängt jedenfalls mit Walker zusammen.«

»Sie haben doch Laub geladen, Herr Barth?«

»Einstweilen, ja. Bitte, reiten Sie schnell nach dem Herrenhause, und trommeln Sie das ganze dort zu habende Volk zusammen. Ich will den Leuten eine Freude machen.«

»Welche denn?«

»Es wird nichts verrathen. Nur so viel will ich sagen, daß es sich um zwei Gefangene handelt.«

»Sie sind ein - - -«

»Still!« unterbrach ihn Sam. »Eilen Sie, damit ich das ganze Chor versammelt finde.«

Adler ritt im Trabe weiter.

Adler ritt im Trabe weiter, während der Baumwollkarren im Schritte folgte.

Als die drei Jäger ihr Ziel erreichten, stand Almy mit ihrem Vater auf der Veranda; vor derselben aber waren alle Bewohner der Plantage, so weit sie nicht auswärts beschäftigt waren, versammelt! Die Schwarzen vollführten einen außerordentlichen Scandal. Sie standen vor einem Geheimnisse; sie umdrängten den Wagen, es enthüllt zu sehen. Jeder wollte den besten Platz haben.

Adler war in der Nähe vom Pferde gestiegen. Er wurde auf die Veranda gerufen und nach der abenteuerlichen Fracht gefragt. Er hatte zwar so eine kleine Ahnung, welche Ueberraschung der Dicke den Anwesenden bereiten werde, hielt es aber für gerathen, nicht davon zu sprechen, doch sagte er wenigstens:

»Nach Allem, was man von diesem wackern Sam gehört hat, giebt es


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ein gewagtes und doch dabei humoristisches Intermezzo. Er fürchtet sich vor keinem Teufel, und wehe dem Menschen, welcher es wagt, in irgend einer Weise mit ihm anzubinden.«

Jetzt ließ sich Sams Stimme vernehmen:

»Hochgeehrte weiße und schwarze Ladies und Gentlemen! Ich stehe im Begriff, Euch ein Beispiel von dem Gesetze der Savanne zu geben, damit Ihr einmal erfahret, wie es unter den Männern des fernen Westens zugeht. Wie heißt der dicke, schwarze Sir dort drüben mit dem Cylinderhute auf dem Kopfe und dem großen Säbel an der wehrhaften Seite?«

»Es ist Master Scipio, der Nachtwächter der Negerhütten,« antwortete Einer.

»Ich danke, Mylord! Also, mein theurer Master Scipio, wollt Ihr mir wohl einmal sagen, ob Ihr im Besitze einer Nase seid?«

Der nachtschwarze Wächter der Nacht fuhr sich schnell mit allen zehn Fingern in diejenige Gegend des Gesichtes, von welcher er überzeugt war, daß er bis dato dort den erwähnten Gegenstand gehabt hatte. Als er ihn noch an Ort und Stelle fühlte, nickte er befriedigt, zog sein breites Maul noch fünfmal breiter und antwortete:

»Yes! Master Scipio hat eine Nase.«

Alles lachte. Selbst die Herrschaften auf der Veranda konnten sich einer kleinen Heiterkeit nicht erwehren. Sam fuhr fort:

»Wer ist die schwarze Mylady, welche dort an dem Baume lehnt?«

»Ist Miß Juno aus der Küche,« antwortete eine andere Negerin.

»Danke sehr, Madame! Also, Miß Juno, wessen Eigenthum ist wohl die Nase, welche Master Scipio in seinem Gesichte trägt?«

»Master Scipio sein Eigenthum,« antwortete die Gefragte, höchst stolz darauf, daß ihr der Vorzug geworden war, gefragt zu werden.

Scipio griff sich abermals an die Nase, nickte sehr nachdrücklich mit dem Kopfe und stimmte bei:

»Yes! Master Scipio sein Eigenthum.«

»So sagt mir einmal, Master Scipio, ob Euch irgend ein Mannskind die Nase nehmen darf?«

»O no! Keiner sie mir nehmen darf.«

»Wenn Euch nun Jemand Eure Nase wegschnitte, was würdet Ihr thun, Master?«

»Ihm seine auch wegschneiden.«

»Schön! Sehr gut! Das ist das Gesetz der Savanne. Was mir Einer nimmt, das nehme ich ihm auch. Nun seht Ihr hier am Wagen einen weißen Gentleman stehen. Er heißt Master jim Snaker und ist ein berühmter Savannenmann. Einst hatte er sehr viele Felle erbeutet, welche einen ganzen Reichthum ausmachten. Er lagerte mit denselben in der Prairie. Er wurde überfallen und beraubt. Man nahm ihm nicht nur die Felle, sondern einer der Räuber schoß ihm eine Kugel durch die Brust und schnitt ihm dann noch die Nase ab. Es dauerte Monate lang, ehe seine Wunde heilte. Von da


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an hat er nach dem Manne gesucht, welcher ihm nicht nur seine Biberfelle, sondern auch seine Nase raubte. Heut nun hat er ihn gefunden. Master Scipio, was wird dieser Mann wohl hergeben müssen?«

»Seine Nase.«

»Ganz richtig! Seine Nase - und was noch?«

»Die Felle.«

»Wenn er sie aber nicht mehr hat?«

»Kann er nichts hergeben.«

»Oho! Ein Fell hat er noch, nämlich das seinige. Was wird mit demselben geschehen?«

»Wird es hergeben müssen, wird ihm abgezogen.«

»Sehr schön! Master Scipio, Ihr seid zum Sherif oder zum Lordmayor geboren!«

»Yes, yes, Sir! Bin sehr klug, bin außerordentlich klug, wunderbar klug!« grinste der geschmeichelte Schwarze.

»Dieser Räuber, welcher sein Fell und seine Nase hergeben muß, befindet sich hier auf dem Karren als Gefangener. Er hatte sich bei einem seiner Freunde versteckt, der ihn beschützte, der uns belog, damit wir den Verbrecher nicht ergreifen sollten. Auch dieser Mitschuldige liegt mit auf dem Karren. Zur Strafe, daß er sich der Ausübung der Gerechtigkeit widersetzt hat, soll er jetzt verurtheilt sein, an seinem Schützling die Strenge des Savannengesetzes zu vollziehen. Er soll ihm die Nase abschneiden und sodann ihm das Fell abziehen, die ganze Haut vom Leibe herunterschinden.«

Der Jubel, welcher jetzt ausbrach, ist nicht zu beschreiben. Alles schrie, lachte und tanzte untereinander.

»Abschinden! Die Haut abziehen! Die Nase abschneiden! O Jessus, Jessus, ein großes Fest!«

Solche und ähnliche Ausdrücke wurden ausgestoßen. Almy wandte sich schaudernd ab und fragte:

»Pa, ist es möglich?«

»O nein,« lächelte er. »Wer weiß, was dieser Sam beabsichtigt. Er sieht gar nicht mordgierig aus.«

Der Dicke wendete sich an den Jäger:

»Jim Snaker, Du bist der Verletzte. Dir steht es zu, diesen Helfershelfer vom Wagen zu heben und ihm Dein Messer zu geben, damit er seine Pflicht erfülle. Thue es!«

Der lange Jim ließ ein breites, vergnügtes Lachen hören, griff unter das Laub und zog Bommy vom Wagen herab, legte ihn zur Erde, lößte ihm die Fesseln und versetzte ihm dann einen so kräftigen Klapps, daß der Getroffene mit einem lauten Schrei aufsprang. Jetzt wurde er erkannt.

»Bommy, Bommy, o Bommy ist es! Bommy ist mitschuldig! Bommy muß Haut abschinden!« rief es rund umher.

»Jetzt auch den Andern herab!« sagte Sam. »Der welcher die Felle raubte und die Nase abschnitt.«


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Aller Hälse wurden länger, und Aller Köpfe streckten sich, um dieses Ungeheuer zu sehen, welchem nun zur Strafe die Haut abgeschunden werden sollte. Jim langte abermals unter das Laub, zog ihn hervor, warf ihn herab und band ihm die Fesseln los. Er blieb liegen, nicht etwa aus Schwäche, o nein! Er fühlte eine Kraft in sich, als ob er die ganze Welt ermorden könne. Aber die Scham, die ungeheure Blamage, die hielt ihn an der Erde fest, damit man sein Angesicht nicht sehen solle. Vergebliches Beginnen!

Jim ergriff ihn mit seinen Eisenarmen und hob ihn in die Höhe, wie man ein Kind aufrichtet. Die Nase war ihm von Sams Fausthieb geschwollen; die Haare hingen ihm wirr um den Kopf; Kleidung und Wäsche waren in Unordnung. Zunächst traute Niemand dem eigenen Auge. Dann aber brach es los, erst einzeln und leise, dann aber im Chore und laut, überlaut:

»Massa Leflor, Massa Leflor! Ihm wird die Nase weggeschnitten und die Haut geschunden!«

»Ihr irrt!« rief Sam. »Das ist nicht Massa Leflor, sondern dieser Mann heißt Walker und mag dem Massa Leflor ähnlich sein.«

»Nein, nein, ist Massa, Massa Leflor!« brüllte es rundum.

»Ruhig! Still! Wer dieser Schuft ist, das muß ich doch besser wissen, als Ihr! Ich bin es ja, der ihn gefangen hat!«

Jetzt erst kam Bewegung in den Gefangenen.

Er stieß einen heiseren Wuthschrei aus und versuchte, sich von Jims Griffe loszureißen; aber sofort griff auch Tim mit zu, und nun stand der Gefangene zwischen Beiden, von ihren sehnigen Armen umspannt, so daß er sich nicht zu bewegen vermochte. Seine Augen waren wie mit Blut unterlaufen, und vor seinen Lippen stand ein weißer Schaum.

Wilkins hatte bisher geschwiegen. Jetzt trat er vor und fragte laut:

»Master Barth, was ist das? Wie kommt Ihr dazu, Monsieur Leflor solche Gewalt anzuthun?«

»Monsieur Leflor?« antwortete der Gefragte im Tone der Verwunderung. »Verzeiht, das ist ein gewisser Walker, aber nicht Euer Plantagennachbar. Seht seine Kleidung an!«

»Diese könnte mich allerdings fast irre führen. Der Mann selbst aber ist Monsieur Leflor.«

»Unmöglich! Er hielt sich doch bei Bommy versteckt, als wir ihn suchten.«

»Ihr müßt Euch irren!«

»O nein. Wir sind ihrer Drei mit sechs sehr guten Augen. Wir sahen den richtigen Leflor bei Bommy einkehren und dann wieder fortreiten. Was sagt Master Adler zu diesem Manne?«

»Daß Ihr Euch irrt,« antwortete der Gefragte. »Es ist Monsieur Leflor.«

»Wunderbar! Wir können doch nicht blind gewesen sein! Ist er Walker, so werden wir ihn nach Van Buren transportiren, um ihm den Prozeß machen zu lassen; ist er aber wirklich Leflor, so müssen wir ihn freigeben. Er selbst


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mag sich durch offene Antworten aus seiner Lage befreien. Also sagt einmal, wer Ihr seid!«

Diese Frage war an den Gefangenen gerichtet.

Er antwortete nicht. Sie wurde wiederholt, und er schwieg abermals.

»Ihr seht, daß ich Recht habe,« sagte Sam. »Wäre er Leflor, so würde er antworten.«

Da knirrschte er in fürchterlichem Grimme:

»Ich bin Leflor! Laßt mich los!«

Zugleich machte er einen Versuch, sich aus der festen Umschlingung zu befreien, vergebens.

»Nicht zu schnell!« sagte Sam. »Wenn Ihr wirklich Leflor seid, so haben wir das Recht, zu erfahren, wie es kommt, daß wir Euch für den Verbrecher halten mußten. Erklärt es uns!«

Er antwortete nicht.

Da trat Wilkins ganz an den Rand der Veranda und sagte in befehlendem Tone:

»Sam Barth, ich gebiete Euch, diesen Mann jetzt frei zu geben!«

»Da macht Ihr doch nur Spaß!« meinte Sam in seinem freundlichen Tone.

»Nein, es ist mein Ernst. Ich befehle es Euch!«

Da nahm das gutmüthige Gesicht des Dicken auf einmal einen ganz andern Ausdruck an. Seine Augen blitzten zornig auf und seine Gestalt richtete sich in die Höhe. Er antwortete:

»Verzeiht, Sir, wenn ich Euch bei aller Hochachtung Euren Wunsch nicht erfüllen kann! Von einem Befehle ist gar keine Rede. Wir drei Männer sind freie, unabhängige Prairieläufer. Wir gehorchen nur dem Gesetze, welches in der Savanne herrscht. Würde diesem Gesetze der Gehorsam verweigert, so würden die menschlichen Unthiere ihre Häupter erheben, und Sünde und Verbrechen würden die grausigen Beherrscher des Westens sein. Was wir mit unserm Herzblute der Wildniß abgerungen haben, das wollen wir nicht aus feiger Schwäche dem Verderben preisgeben. Hilfe und Rettung jedem Braven, Untergang und Verderben aber jedem Gottlosen, das ist der Wahlspruch, von welchem wir nicht lassen werden. Wir haben gestern Abend einen jahrelang gesuchten Bösewicht ergriffen; er entkam uns wieder. Wir folgten seiner Spur, welche endlich in Bommy's Hütte führte. Hier steht er, den wir gefunden haben, in der Kleidung, in der wir ihn gestern ergriffen, und an dem Orte, zu welchem seine Spur führte. Er sagt, er sei ein Anderer. Gut. Wir wollen gnädig sein und ihn anhören, was wir nach dem Gesetze der Savanne nicht nothwendig hätten; aber er soll uns antworten und erklären, wie er in die Kleider des Verbrechers gekommen ist. Das können und müssen wir verlangen, und wenn irgend Jemand uns hindern wollte, so mache ich, so wahr ich lebe, kurzen Prozeß und jage ihm vor allen Versammelten eine Kugel durch den Kopf. Ich heiße Sam Barth und verstehe, wenn es sich um einen elenden Bösewicht handelt, keinen Spaß!«


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Er nahm wirklich die Büchse von der Schulter, richtete den Lauf nach Leflors Kopf und sah sich dann herausfordernd im Kreise um.

Seine Worte hatten eine förmliche Rede gebildet, und diese hatte einen ungeheuren Eindruck gemacht. Alles schwieg, und Keiner wagte es, zu widersprechen. Sie sahen es Sam an, daß er sofort geschossen hätte. Almy zitterte beinahe, und doch vermochte sie es nicht, ihr Auge von der düstern Gruppe hinwegzuwenden.

»Nun, Mann, wie steht es?« fuhr Sam fort. »Wenn Ihr nicht antwortet, so nehmen wir an, daß Ihr Walker seid, und dann habt Ihr zum letzten Male im Leben die Hände und die Füße frei. Wir warten keine Ewigkeit auf Eure gütige Antwort!«

»Ich bin Leflor,« stieß er hervor.

»Wie kommt Ihr in das Gewand des Bösewichts?«

»Ich habe die Anzüge mit ihm umgetauscht.«

»Wozu?«

Er zögerte mit der Antwort.

»Wenn Ihr nicht sprechen könnt, so werde auch ich nicht weiter sprechen, sondern nun handeln.«

»Ich wollte ihn retten.«

»Er ist auf Eurem Pferde und in Eurem Anzuge davongeritten?«

»Ja.«

»Warum habt Ihr ihm geholfen? Kanntet Ihr ihn?«

»Nein.«

»So hat er Euch irgend welchen Vortheil geboten?«

»Nein.«

»Ihr lügt!«

»Ich sage die Wahrheit.«

»Wo ist er hin?«

»Ich weiß es nicht.«

»Da lügt Ihr abermals. Schämt Euch! Ihr wollt ein Gentleman sein, ein vornehmer, reicher Plantagenbesitzer, und fürchtet Euch vor einem armseligen Prairiejäger. Aber ich bin zu stolz, um mich länger mit Euch abzugeben. Ihr seid der Verbündete eines Diebes, Räubers und Mörders. Ihr habt seine Kleidung getragen und ihm zur Flucht geholfen; dadurch seid Ihr mit ihm verwechselt worden. Ihr habt Sam Barth ausgelacht und ihn betrügen wollen. Jetzt habt Ihr die Folgen davon. Ein Mann wie Ihr muß sich stets sehr hüten, mit einem braven Westmann in Konflict zu gerathen. Wir sind nicht so spitzfindig und raffinirt wie Ihr, aber wir haben unsern Scharfsinn und unsern Mutterwitz, an welchen alle Eure Klugheit nicht heranreicht. Geht jetzt fort, und hütet Euch in Zukunft vor Aehnlichem!«

Jim und Tim ließen ihre Hände von dem Gefangenen. Er that einige schnelle Schritte vorwärts, um aus dem Bereiche der vielen auf ihm ruhenden Blicke zu kommen, blieb aber doch noch einmal stehen, drehte sich um, erhob den Arm und rief drohend:


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»Merkt Euch das, Ihr Alle! Ich komme wieder! Und Dir, Du dicker, deutscher Hund, werde ich zeigen, was Rache heißt!«

»So fange es sehr klug an!« antwortete Sam. »Denn wenn Du zum zweiten Male in meine Hände geräthst, so holt Dich der Teufel, in dessen Raritätenkammer Du gehörst.«

Leflor eilte mit langen, schnellen Schritten fort. Auch Bommy wollte gehen, da aber legte Sam ihm die Hand auf den Arm und sagte:

»Halt, Schwarzer! Mit Dir habe ich noch ein ernstes Wörtchen zu sprechen.«

Er hatte nicht fest zugegriffen. Bommy riß sich los und sprang davon.

»Gut, so zwinge ich Dich, stehen zu bleiben,« sagte der Dicke, indem er seine Büchse zum Schusse an die Wange legte.

Da aber bog sich Wilkins von der Veranda herab, ergriff das Rohr und zog es empor.

»Halt, Master! Wir wollen kein Blut vergießen.«

»O, nur ein klein Wenig, einen Schuß in das Schenkelfleisch.«

»Nein! Hängt denn Euer Glück so sehr davon ab, daß Ihr noch mit dem Schwarzen sprecht?«

»Das meinige nicht, aber vielleicht das Eurige, Sir.«

»So laßt ihn laufen! Ich will mein Glück nicht dem Blute Anderer verdanken.«

»Hm! Ganz wie Ihr wollt! Aber wenn ich mit keinem Andern mehr sprechen darf, so will ich doch wenigstens noch mit Euch einige Worte reden.«

Er schwang sich auf die Veranda hinauf, und Jim und Tim folgten ihm. Wilkins gab dem versammelten Volke einen Wink. Die Leute entfernten sich, aber nicht etwa ruhig, sondern das aufregende Vorkommniß wurde lärmend und schreiend bis auf das Kleinste erörtert. Der Neger ist ein Virtuos im Lärm machen, und die Negerin übertrifft ihn noch.

Wilkins hatte ein sehr ernstes Gesicht. Er sah fast zornig aus. Er fragte Sam:

»Befandet Ihr Euch wirklich im Unklaren über die Persönlichkeit Leflors?«

»Nicht im Geringsten,« antwortete Sam offen.

»Ihr wußtet also gewiß, daß es nicht Walker war?«

»Ja.«

»Ah, so habt Ihr uns ganz einfach eine Komödie vorführen wollen?«

»Komödie?« meinte der Dicke, seinerseits nun auch sehr ernst. »Ich weiß nicht, was Ihr unter Komödie versteht; ich aber meine, daß es Komödien giebt, welche man nicht oft genug ansehen kann. Zur Unterhaltung ist es nicht gewesen.«

»Nothwendig war es auch nicht!«

»Nothwendig? Hm! Strafe ist naturnothwendig, und Abschreckung ist wünschenswerth. Dieser Mann hatte sich unterstanden, mich zu übertölpeln; er mußte also die Folgen tragen.«

»Also nur die Rücksicht auf Euer, wie es scheint, sehr stark entwickeltes


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Selbstgefühl hat Euch veranlaßt, dieses Schauspiel aufzuführen! Das muß ich streng tadeln, Master Barth!«

»Thut, was Euch beliebt! Ich thue auch, was mir gefällt, nämlich meine Pflicht. Aus diesem Grunde wollte ich Bommy zurückbehalten.«

»Ihr sagtet doch, daß Ihr dies nicht Euret- sondern meinetwegen beabsichtigt hättet!«

»Allerdings. Ich meinerseits bin mit diesem Menschen fertig. Aber er hat jedenfalls viel von Dem mit angehört, was Leflor mit Walker gesprochen hat. Er muß zum Geständnisse gebracht und nöthigenfalls dazu gezwungen werden.«

»Ich verzichte darauf. Ich will keine weitere Aufregung, keinen ferneren Skandal!«

»Ich habe weder die Pflicht noch die Lust, Euch zu Etwas zu bereden, was Eurem Gefühle widerstrebt, meine aber, daß Ihr durch Bommy viel über Walker und Leflor erfahren könnt.«

»Walker geht mich gar nichts an, und Alles, was Leflor betrifft, werde ich jedenfalls erfahren.«

»Vielleicht erst dann, wenn es zu spät ist. Uebrigens bin ich keineswegs der Meinung, daß Walker Euch nichts angehe, sondern ich meine vielmehr, daß er Euch noch zu schaffen machen kann. Er hat sich nicht ohne Absicht durch Eure Besitzung geschlichen, und er scheint die Veranlassung zu sein, daß Leflor schleunigst nach einem Notar gesandt hat. Bommy muß davon wissen. Habt Ihr ihn jetzt gehen lassen, so wollen wir ihn doch heut Abend, wo er doch mit den Bushwhackers in unsere Hände fallen wird, recht ernstlich in's Gebet nehmen.«

»Nein. Das wird nicht geschehen, so lange mein Wille Etwas gilt, und ich bin der Ansicht, daß hier an diesem Orte eben nur dieser mein Wille maßgebend sei. Ich mag nichts über Leflor wissen und nichts über ihn erfahren. Wird Bommy mit ergriffen, so mag er als Mitthäter der Bushwhackers behandelt werden, von Weiterem aber sehe ich ab.«

»Wann wird das Militair eintreffen?«

»Nach Anbruch der Dunkelheit. Monsieur Adler hat durch den Boten bitten lassen, daß die Truppen sich nicht sehen lassen mögen.«

»Das ist sehr klug. Auf diese Weise werden wir wie ein Wetter über die Kerls kommen. Ich hoffe, daß ihrer viele in das Gras werden beißen müssen!«

Wilkins Stirn zog sich zusammen.

»Ich hoffe das nicht. Ich will sie fangen und der Gerechtigkeit übergeben. Diese mag sodann mit ihnen nach den Gesetzen verfahren.«

»Das klingt zwar sehr schön, taugt aber nichts. Die Kerls werden hingesetzt und erhalten alle Gelegenheit, sich davon zu machen. Man kennt das schon. Eine Kugel vor den Kopf, und zwar sofort, das ist die beste Medizin gegen diese Seuche.«

»Ihr seid ein Unmensch!«


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»Oho! Wenn mich ein Floh beißt, so wird er gefangen und gefingert. Und zapft mir ein Mensch mein Blut und Leben, mein Hab und Gut ab, so hat er ganz dasselbe verdient, ja noch mehr, denn der Floh hat von der Vorsehung das Recht erhalten, der Kostgänger eines jeden Gentleman und einer jeden Lady zu sein, der Mensch aber soll sich seinen Schluck und Bissen selbst verdienen. Ich bin ein Menschenfreund und habe ein Herz, welches bei jedem Leide im Einundzwanzigachteltakte klopft, aber wenn der Mensch aufhört, Gottes Ebenbild zu sein, dann muß man sich seiner erwehren. Anderes giebt es nicht. Wer mir heut Abend vor den Lauf kommt, der muß dran glauben. Das ist Savannengesetz und von diesem gehe ich nicht ab; das ist ein jeder brave Westmann seinen Kameraden schuldig. Der Hallunke, den ich heut aus falscher Nachsicht schone, schießt mir morgen wohl bereits den besten Freund über den Haufen, übermorgen einen Zweiten und so weiter. Indem ich ihn geschont habe, bin ich mitschuldig an dem Tode der Andern.«

Wilkins machte eine höchst mißbilligende Handbewegung und sagte:

»Nach Dem, was Ihr da sprecht, muß ich Euch Drei dringend ersuchen, Euch heut Abend an der Affaire gar nicht zu betheiligen!«

»Ist das Euer Ernst?« fragte Sam erstaunt. »Alle Teufel! Das ist verwunderlich! Hoffentlich wird der Offizier anders denken als Ihr, Mylord. Und hoffentlich wird er mir auch seine Leute gegen Walker zur Verfügung stellen.«

»Was ist Eure Absicht dabei?«

»Walker befindet sich bei Leflor. Ich darf da nicht eindringen; das Militair aber hat die Macht dazu. Ich werde mir durch die Soldaten den Kerl von Leflors Pflanzung holen lassen.«

»Ich habe Euch ja bereits gesagt, daß ich wünsche, Leflor möge in Ruhe gelassen werden!«

»Ich aber wünsche das Gegentheil, Sir! Wir Drei müssen Walker holen!«

»Wenn diese Feindseligkeiten von hier ausgehen, werde ich in Leflor einen unversöhnlichen Feind haben. Das wünsche ich nicht.«

»Hoffentlich braucht Ihr ihn nicht zu fürchten!«

Der Pflanzer hob schnell den Kopf empor, fixirte Sam mit scharfem Blicke und sagte:

»Gedenkt Ihr etwa, mich zu beleidigen?«

»Nein, Sir!«

»Eurer Ton ist mir aber ein unbequemer!«

»Der Eurige mir ebenso!«

»So wird es für beide Theile am vortheilhaftesten sein, wenn wir auf einander verzichten. Auf meinen Einfluß hin wird der betreffende Offizier sich nicht zum Polizisten Ihrer Privatrache hergeben.«

Er hatte das im allerschärfsten Tone gesagt. Er fürchtete die Rache Leflors. Sam seinerseits war auch sehr ärgerlich, aber er verstand besser sich zu beherrschen. Er fragte jetzt:

»Ihr werdet also den Offizier bewegen, Walker bei Leflor in Ruhe zu lassen?«


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»Ja. Und ich bin überzeugt, daß mein Einfluß dazu genügen werde.«

»Jedenfalls. Ich besitze ja gar keinen Einfluß. Also heut Abend dürfen wir nicht mitthun, und Walker wird auch nicht arretirt? Dazu sagt Ihr, daß es am besten für beide Theile sei, auf einander zu verzichten? Mylord, ich bin ein einfacher Mann; aber Unsereiner wird im Kampfe mit allen möglichen Gefahren und Hindernissen gewitzigt und gestählt. Ich habe geglaubt, das Richtige zu wünschen; haltet Ihr Euch aber für erfahrener und scharfsinniger, so wäre es Zudringlichkeit von mir, wenn ich Euch weiter belästigen wollte. Ich wünsche, daß Ihr niemals wieder eines fremden und unangenehmen Rathes bedürfen möchtet. Denkt zuweilen einmal an Sam Barth, den Dicken! Gott sei bei Euch!«

Er legte sein Gewehr auf die Achsel, sprang von der Veranda hinab und schritt in grader Richtung über den offenen Platz hinweg nach den Bäumen zu, wo Walker gestanden hatte, Almy zu betrachten.

»Good bye!« sagte Jim.

Er stieg mit einem einzigen Schritte seiner langen Beine hinab und folgte dem Dicken.

»Farewell!« knurrte Tim in grimmigem Tone und stelzte ganz ebenso davon wie sein Bruder.

Die drei Jäger hatten sich mit dem Pflanzer allein befunden, da Almy in ihr Zimmer zurückgekehrt, Adler aber den Negern nachgegangen war, um ihnen ihre Beschäftigungen anzuweisen. Jetzt stand Wilkins ganz allein und betroffen da. Das hatte er freilich nicht beabsichtigt. Fortgehen sollten sie nicht, am Allerwenigsten in dieser Weise. Sie sollten ja bleiben, um seine große Dankbarkeit zu erfahren. Sie waren gekommen, ihn vor den Bushwhackers zu warnen; sie waren seine Retter, und jetzt beleidigte er sie, jetzt schickte er sie fort! Das durfte nicht sein!

»Messieurs!« rief er ihnen nach. »Mesch'schurs, wo wollt Ihr hin? So bleibt doch da!«

Aber sie hörten nicht auf ihn. Sie gingen fort. Keiner drehte sich um. Schon war Tim als der Letzte hinter den Bäumen verschwunden.

Da eilte der Pflanzer ihnen nach, gradewegs, wo sie ja auch gegangen waren. Er lief weiter und immer weiter, ohne sie zu sehen. Er rief ihre Namen - - umsonst. Er kannte die Art und Weise dieser braven, charactervollen Männer nicht. Er hatte sie fortgewiesen, ob im Ernst oder aus Uebereilung, das war egal; ein Trapper thut das niemals. Sie sollten gehen, und sie gingen also. Daß sie an demselben Augenblicke, an welchem er sie nicht mehr sehen konnte, scharf im rechten Winkel von ihrer ersten Richtung abgewichen waren, das ahnte er nicht. Da er immer in gerader Linie weiter lief, so war es unmöglich, daß er sie einholen konnte. Er war auch kein Westmann, um ihre Spur aufsuchen und finden zu können.

Endlich dachte er an Adler, seinen Oberaufseher. Er ging, diesen aufzusuchen und traf ihn erst nach längerer Zeit. Er klagte ihm sein Mißgeschick


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und theilte ihm in Eile die Unterredung mit, welche Schuld an der Entfernung der Jäger gewesen war.

»Nun sind sie fort. Was sagt Ihr dazu?« schloß er seinen Bericht.

Adler zuckte wehmüthig die Achsel.

»Zu spät!« sagte er.

»Können wir sie nicht finden?«

»Nein.«

»Aber sie sind doch nicht aus der Welt! Sie können sich noch nicht sehr weit entfernt haben!«

»Sie sind gegangen und wollen nicht wiederkommen, Mylord. Wenn solche Männer dies wollen, so lassen sie sich nicht finden.«

»Aber wir müssen ihre Spuren suchen!«

»Das würde vergebens sein. Sie werden ihre Spuren verwischen oder gar keine machen.«

»Master Adler, Ihr seid so lange und so oft im Westen gewesen; Ihr seid ein sehr guter Pfadfinder. Ihr werdet ihre Spur entdecken.«

»Grad weil ich die Eigenheiten solcher Männer kenne, weiß ich genau, daß ich sie nicht finden werde. Sie werden sich getrennt haben, um sich an irgend einem gegebenen Punkte wieder zu vereinigen. Wir würden im günstigsten Falle nur Einen von ihnen erwischen, und dieser würde nicht mit zurückkehren. Das ist er den beiden Andern schuldig, Sir!«

»Ich war bei heftiger Stimmung. Ich habe Unrecht gethan, wirklich Unrecht!«

»Und ich hatte mich so sehr auf den wackern Sam gefreut, der mein Landsmann ist. Dieser alte, kühne und listige Bär ist ein Kerl, welcher hundert vornehme Herren aufwiegt.«

»So thut es mir um so mehr leid. Auch Euch habe ich um das Vergnügen gebracht. Giebt es denn keine Hoffnung, sie wieder zu erlangen?«

Adler sann eine kurze Weile nach und sagte dann:

»Einen Weg giebt es, aber nur, sie vielleicht wieder zu finden. Ob sie jedoch zurückkehren, das möchte ich bezweifeln.«

»Was meint Ihr denn?«

»Sie haben es auf Walker abgesehen. Dieser befindet sich bei Leflor. Folglich werden sie das Haus Leflors so streng bewachen, daß es Walkern möglichst schwer wird, zu entkommen. Dort also müßte man sie suchen.«

»Wollt Ihr das thun?«

»Ja, wenn Ihr es wünscht.«

»Ich wünsche es sogar sehr. Steigt zu Pferde, Sir, damit Ihr in kurzer Zeit große Strecken durchstreifen könnt. Vielleicht findet Ihr sie, ehe sie da hinüber kommen.«

»Ich will es wünschen, bezweifle es aber.«

Nach wenigen Minuten ritt er davon. Als er zurückkehrte, war der Abend bereits hereingebrochen. Er hatte keinen der Drei gesehen.

Andre aber waren gekommen, nämlich ein Detachement Vereinigte-Staaten-


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Dragoner unter einem Oberlieutenant. Sie hatten ledige Pferde mitgebracht, um etwaige Gefangene sogleich und leicht transportiren zu können.

Es wurde Kriegsrath gehalten und da merkte Wilkins sehr wohl, welchen Werth der Rath Sam Barth's gehabt hätte. Adler war der Einzige, welcher in Folge seiner früheren Prairiefahrten befähigt war, den guten Dicken zu ersetzen. Sein Rath wurde auch acceptirt.

Er lag zur betreffenden Zeit, durch die Dunkelheit geschützt, im Busche unweit der Thür der Blockhütte, und beobachtete, daß die Erwarteten nach und nach kamen, einzeln, Einer um den Andern. Als er meinte, daß sie alle beisammen seien, kroch er zurück, wo die Dragoner seiner erwarteten, mit allem Nöthigen versehen. Er führte sie zur Hütte.

Jetzt erschallten verschiedene dumpfe Schläge durch die Nacht. Es wurden starke Pfähle gegen die Thür und die Läden gestemmt und in den Boden eingerammt, an Thür und Läden aber festgenagelt. Von drinnen war zunächst ein lauter, verworrener Tumult zu vernehmen; dann wurde es still.

Nachher loderten Feuer rund um die Hütte auf, um Jeden zu sehen, der sich etwa auf irgend eine Weise Ausgang verschaffen wolle. Hinter diesen Feuern wuchs irgend Etwas schwarz aus dem Boden hervor. Was es war, konnten die Belagerten durch ihre kleinen Gucklöcher, welche sie sich gemacht hatten, nicht erkennen. Aber als der Morgen tagte, zeigte es sich als eine rund um die Hütte errichtete, aus Reißigbündeln und allerlei Holzwerk bestehende Mauer mit zahlreichen kleinen Oeffnungen für die Gewehre. Aus der ganzen, weiten Umgegend kam Alt und Jung herbei, um dem eigenartigen Schauspiele der Belagerung einer Bushwhackersbande beizuwohnen.

Die Glieder der Letzteren erkannten, daß Widerstand vergebens sein werde. Sie hätten durch denselben nur ihr Loos verschlimmert. Ergaben sie sich aber, so war Hoffnung vorhanden, daß dem Einzelnen nichts Verderbliches bewiesen werden und er also freigesprochen werden könne. Wasser gab es nicht, Proviant auch nicht, und so kam es denn, daß die Eingeschlossenen sich gegen Abend auf Gnade und Ungnade ergaben.

Das war ein Fang, über welchen die Bewohner der weitesten Umgegend jubelten. Es war dem Unwesen für lange Zeit ein Ende gemacht worden, und schnell sprach es sich herum, daß man dies nur allein dem dicken Sam Barth und den beiden dürren Brüdern Snaker zu verdanken habe.

Diese Nacht der Belagerung war auch anderweit durchwacht worden. Nämlich in einem mit eisernen Läden versehenen Zimmer seines Erdgeschosses saß Leflor mit dem am Abende ankommenen Notar und Walker bei emsiger Prüfung, Schreiberei und Berechnung.

Der Notar erklärte das Geschäft als vollständig gefahrlos für Leflor, und gegen Morgen war es abgeschlossen. Walker erhielt eine sehr bedeutende Summe, bestehend aus Bankbillets und Wechseln auf gute Häuser.

Er befand sich in einer sichtbaren Aufregung. Sein Gesicht wendete sich immer nach der Thür, als ob er sich nun schnell fort sehne.

"Jetzt könnt Ihr das Leben genießen!"

»Jetzt könnt Ihr das Leben genießen, Sir,« meinte der Notar. »Ihr


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habt, trotzdem Ihr nicht den vollen Preis erhieltet, ein gutes Geschäft gemacht. Uns aber steht ein Prozeß bevor, dessen Ausgang zwar ganz unzweifelhaft ein für uns günstiger ist, dessen Dauer aber doch als eine sehr unangenehme Beigabe betrachtet werden muß. Ihr hingegen könnt sofort in die Tasche greifen.«

»Das sagt Ihr, aber es ist nicht so!«

»In wiefern?«

»Draußen stehen drei Hunde, welche bereit sind, sich auf mich zu werfen, sobald sie mich erblicken.«

»Ihr meint Sam, Jim und Tim. Sollten sie sich wirklich hier umhertreiben?«

»Ganz sicher!«

»Bittet die Behörde um Schutz!«

»Kann mir nichts nützen!«

»Ah! Wieso? Das ist mir neu. Die Behörde besitzt doch die Mittel zu noch ganz andern Dingen.«

Walker durfte nicht sagen, daß die Behörde, an welche er sich um Schutz wenden solle, eigentlich sehr ernste Veranlassung habe, sich seiner sehr gefährlichen Person zu versichern. Er antwortete:

»Die Behörde wird mich sicher hier aus dem Hause bringen. Die drei Trapper werden hierdurch erst recht aufmerksam gemacht. Sie folgen mir bis dahin, wo die Behörde mich mir selbst überläßt und fallen dann über mich her.«

»Sollten sie Euch wirklich so leicht folgen können?«

»Wenn Ihr das bezweifelt, so kennt Ihr diese Art von Menschen nicht. Ein ächter Savannenmann verfolgt seinen Feind zehn Jahre lang Schritt auf Schritt, um die ganze Erdkugel herum. Er erreicht ihn sicher.«

»Das ist ja eine ganz gefährliche Gesellschaft!«

»Für jeden ehrlichen Menschen, ja.«

»Wie wollt Ihr aber fort?«

»Am Gerathensten wäre eine Art und Weise, in welcher ich ihnen gar nicht auffallen könnte. Vielleicht eine Verkleidung.«

»So versucht es doch! Das ist erstens interessant, und zweitens bietet es die größte Sicherheit. Ich habe da einen ganz famosen Gedanken. Monsieur Leflor, habt Ihr einen Diener, welcher zu frisiren versteht?«

»O, gewiß.«

»Nun, Master Walker hat dunkles Haar. Er mag es sich kurz schneiden und wollig kräuseln lassen. Dann schwärzt er sich die Arme und das Gesicht und geht als Neger von hier fort. Das ist das Naheliegendste und zugleich Einfachste, was es nur geben kann.«

»Meine Gesichtszüge sind nicht nach Negerart.«

»So verkleidet Euch als Negerin! Die schwarzen Ladies haben durchschnittlich regelmäßigere Züge als die dunklen Gentlemen. Giebt es nicht einen treuen Neger, auf den Ihr Euch fest verlassen könnt, Master Leflor?«

»O Mehrere!«

»So gebt Master Walker, wenn er als Negerin geht, einen männlichen


Ende der neununddreißigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Deutsche Herzen - Deutsche Helden

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