Heft 22

Feierstunden am häuslichen Heerde

27. Januar 1877

   
Der beiden Quitzows letzte Fahrten.

Historischer Roman aus der Jugendzeit des Hauses Hohenzollern von Karl May.


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Die beiden Sprecher ahnten jedenfalls nicht, daß sich in ihrer unmittelbaren Nähe Jemand befinde, der jedes ihrer Worte deutlich vernommen hatte. Tiefe Stille zeigte einige Minuten später, daß sie sich der Ruhe hingegeben hatten.

Detlev war dem Gespräche mit immer wachsender Aufmerksamkeit und Spannung gefolgt. Er ersah aus demselben, daß der Jüngere der beiden Männer der Gefangene des Aelteren sei. »Prinz« hatte dieser ihn genannt und auch von dem Markgrafen gesprochen, dem er Bedingungen über die Auslösung zu machen gedenke. War es möglich, sollte einer der markgräflichen Prinzen in die Hand eines Feindes gerathen und von diesem entführt worden sein? Das wäre ja ein ganz außerordentlicher Fall, welcher für die Politik des Fürsten von dem nachtheiligsten Einflusse sein mußte. Und wer war der Mann, der eine so verwegene That gewagt und ausgeführt hatte? Ein gewöhnlicher Mann, ein gewöhnlicher Charakter konnte er nicht sein, und es war hier jedenfalls nicht blos schwierig, sondern auch gefährlich, Rettung bringen zu wollen. Und doch faßte Detlev diesen Gedanken und hielt ihn fest, um über seine Ausführung nachzusinnen, denn selbst, wenn er sich in der Person des Gefangenen getäuscht hätte, war es Ritter- und Menschenpflicht, ihm nach besten Kräften beizustehen.

Er lag ruhig auf seinem Lager und vermied jedes, auch das leiseste Geräusch, um seine Gegenwart nicht zu verrathen. Im Hause regte sich nichts mehr; auch drüben in dem Nebengemache war es still, und nur nach einer längeren Zeit vernahm er die tiefen, hörbaren Athemzüge eines Schlafenden. Die beiden Räume waren nur durch eine dünne Bretterwand von einander getrennt, welche es ermöglichte, daß diese Laute bis an sein Ohr drangen.

Welcher von den Beiden war der Schlafende? Jedenfalls der Gefangene, denn der Andere war ganz gewiß zu vorsichtig, als daß er die nöthige Wachsamkeit aus den Augen gelassen hätte. War die Stube verschlossen, so daß es unmöglich war, von außen hinein zu kommen? Und im Falle dieser Möglichkeit, wie konnte der Eine von dem Anderen unterschieden werden? Der Wirth durfte leider nicht mit in diese Angelegenheit gezogen werden, denn bei den damaligen Verhältnissen pflegten sich diese Art von Leuten so wenig und ungern wie möglich in die Angelegenheiten Derer zu mischen, welche bei ihnen einsprachen und verkehrten. Auch war es ja noch vollständig unentschieden, ob nicht der Wirth mit bei der Sache betheiligt sei, und in diesem Falle wäre es ja die allergrößeste Thorheit gewesen, ihn zu Rathe ziehen zu wollen. Am Besten schien es allerdings zu sein, bis zum Morgen zu warten, wo es dann jedenfalls leichter war, handelnd einzugreifen; aber bis dahin konnte ja gar Mancherlei geschehen, was dieses Eingreifen zur Unmöglichkeit machte.

Er erhob sich so leise und unhörbar wie möglich, öffnete seine Thüre und trat hinaus. Er stand vor einer That, und jede Verzögerung derselben widerstrebte seinem abenteuerlustigen Feuergeiste, dem ein langes und ungewisses Zuwarten unerträglich schien.

Zunächst schlich er sich an die Nebenthür, um das Schloß derselben zu untersuchen. Es war eines jener alten Riegelwerke mit feststeckendem Schlüssel, welche von beiden Seiten geöffnet, aber nur von Außen sicher verschlossen werden können. Der Eintritt an und für sich bot also keine Schwierigkeit, doch stand zu vermuthen, daß ihm von innen irgend ein Hinderniß entgegengestellt worden sei.

Nun begab er sich hinunter in den Flur, von wo aus es ihm leicht wurde, in den kleinen Hof und zu den


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Pferden zu kommen. Sich an der Stallwand hintastend, fühlte er in einer Mauernische unfern des Einganges Stahl, Stein und Zunderzeug. Er machte Licht, um sich unter den hier stehenden Thieren gehörig orientiren zu können. Es waren ihrer mehrere da, doch erkannte er diejenigen der zwei Reisenden an den Sätteln, welche man ihnen nicht abgenommen hatte; daraus war zugleich zu schließen, daß die Abreise früher als gewöhnlich vorgenommen werden solle. Das Seinige war abgeschirrt worden, doch hing das Sattelzeug ganz in der Nähe. Er legte es dem Thiere an, um für alle Fälle gerüstet zu sein. Außer der Eingangsthüre des Hauses führte ein breites Hofthor hinaus auf die Straße. Er öffnete dasselbe und lehnte die beiden Flügel nur an; so vorbereitet, begab er sich wieder nach seinem Gemache, um seine Waffen an sich zu nehmen.

Nachdem er eine Bezahlung auf den Tisch gelegt hatte, begab er sich, den Gnadegott in der Hand, an das Werk. Es gelang ihm, geräuschlos zu öffnen; aber die Thür ließ sich nur so weit nach innen schieben, daß es ihm kaum möglich war, sich durch die entstandene Lücke zu drängen. Der eine der zwei Schläfer hatte sein Lager fast unmittelbar in ihrer Nähe aufgeschlagen, um selbst während des Schlafes den anderen in sicherem Gewahrsam zu haben. Das Fenster hatte eine nur geringe Größe, und es war vollständig unmöglich, daß ein Mensch durch dasselbe das Haus verlassen konnte.

Der am Eingange Ruhende schlief; ganz gegen Detlevs Meinung war er es, welcher die tiefen Athemzüge ausgestoßen hatte, und das Oeffnen der Thüre war von ihm nicht bemerkt worden. Sich nur auf seinen Tastsinn verlassend, stieg der junge Mann behutsam über ihn hinweg und trat an das andere Lager. Der Inhaber desselben schien wach zu sein, und doch hatte er das Nahen eines Dritten nicht bemerkt, so vorsichtig war dasselbe ausgeführt worden. Da klang es leise neben ihm:

»Schlaft Ihr?«

Es verging einige Zeit, ehe eine Antwort erfolgte. Der Gefragte war jedenfalls zu überrascht, als daß er sich sofort hätte in die Situation finden können. Endlich flüsterte es ebenso leise:

»Ist Jemand hier?«

»Ja. Wollt Ihr frei sein?«

»Wer seid Ihr?«

»Ein Freund aller Bedrängten. Ich war in dem Nebengemache und habe Euer Gespräch vernommen. Seid Ihr ein Markgräflicher?«

»Ich bin Johann, der Sohn des Markgrafen.«

»Das ahnte mir! Wer ist der Andere?«

»Es ist Dietrich von Quitzow, welcher mich übermannt und mit sich fortgeführt hat.«

»Der Dietz von Quitzow? Prinz, den werden wir fangen!«

»Nein, laßt ihn!« erwiderte Johann, sich vorsichtig erhebend. »Ich habe wohl mein Wort zurückgenommen, aber in Beziehung auf seine Sicherheit mag es noch gelten. Er hat mir kein körperliches Leid zugefügt, und ich will gar sehr zufrieden sein, wenn es mir nur gelingt, ihm zu entkommen.«

»Ich thue, was Ihr wollt. Er liegt vor der Thür, welche ein wenig offen steht. Geht voran und steigt über ihn weg; ich werde warten, bis Ihr draußen seid.«

»Nein, Ihr sollt der Erste sein! Ich darf nicht zugeben, daß Ihr Euch so großen Fährlichkeiten aussetzt.«

»Geht, Prinz! Ich fürchte ihn nicht.«

Diese letzten Worte schnitten jeden Widerspruch ab. Johann bewegte sich der Thüre entgegen und kam auch glücklich über den Schlafenden hinweg. Das war aber nicht ohne eine Berührung geschehen. Dietrich erwachte, fühlte an dem kalten Luftzuge, daß die Thüre offen stehe und faßte Detlev gerade in dem Augenblicke an dem Beine, als dieser im Begriffe stand, über ihn hinweg zu steigen.

»Halt,« rief er; »so haben wir nicht gewettet!«

Er glaubte, den Prinzen gepackt zu haben, mußte aber diesen Irrthum baldigst erkennen, da sich zwei Kniee auf seine Brust und zwei Hände um seinen Hals legten, deren Kräfte diejenigen Johann's weit überstiegen. Dieser Angriff und überhaupt das ganze Ereigniß fand ihn vollständig unvorbereitet; noch ehe er den Entschluß der Vertheidigung fassen konnte, hatte er unter dem Drucke, welcher auf ihm lastete und ihn des Athems und aller Kraft beraubte, die Besinnung verloren.

»Verzeih mir Gott,« flüsterte Detlev; »ich glaube, ich habe ihn erwürgt, und das wäre doch ein gar schmähliches Ende für so einen mächtigen Kämpen, wie er gewesen ist. Kommt, Prinz!«

Er verschloß die Thür und führte ihn nach dem Stalle. Sie zogen die Pferde heraus und ritten durch das geöffnete Thor davon.

In Beziehung auf den Zustand Dietrichs von Quitzow hatte sich Detlev nun allerdings geirrt, denn diesem war am Leben kein Leid geschehen, sondern der Druck hatte ihn nur betäubt. Es verging eine beträchtliche Zeit, ehe er durch eine unwillkürliche Bewegung kund gab, daß noch Leben in ihm vorhanden sei; sodann kehrte ihm allmälig die Besinnung zurück; die vergangenen Tage und Stunden mit all' ihren Ereignissen gingen an seinem Gedächtnisse vorüber, und als er der letztverflossenen Augenblicke gedachte, sprang er plötzlich empor und eilte zu dem Lager Johanns. Als er dasselbe leer fand, stürzte er nach der Thür.

»Entflohen ist er; also war es keine Täuschung. Rasch nach dem Stalle!«

Er hatte seine Thatkraft vollständig wieder erlangt. Der Entflohene mußte verfolgt und eingeholt werden, und da war es vor allen Dingen nothwendig, nachzusehen, ob er sich des Pferdes zur Flucht bedient habe. Dasselbe war verschwunden.

»Er hat das Thier; nun wird er mir nicht entgehen!«

Er athmete erleichtert auf. Zu Fuße wäre es dem Entflohenen jedenfalls weniger schwer geworden, sich der Verfolgung zu entziehen, als zu Pferde, zumal es sich ohne alle Schwierigkeit denken und bestimmen ließ, nach welcher Richtung er davongeritten sei. Allerdings hatte er sich das bessere der beiden Thiere genommen, und da die andere Mähre zu schwach war, Dietrich's Riesengestalt auf einem schnellen Ritte zu tragen, so zog dieser sich ohne Bedenken einen der stämmigen Ackergäule aus dem Stalle, welche in demselben standen, und schwang sich darauf, ohne sich erst die Mühe zu nehmen, ihn mit Sattel und Zaum zu versehen. Dann ging es zum Thore hinaus und im Galoppe den Weg zurück, welchen er am vorigen Abende mit dem Prinzen gekommen war.


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Gar vielerlei Gedanken wirbelten sich während dieses Rittes in seinem Kopfe herum. War es nicht besser, den Flüchtling fahren zu lassen und nur auf die eigene Sicherheit zu denken? Welche Vortheile waren es denn eigentlich, die ihm aus dem Umstande erwachsen konnten, daß er den Sohn seines Todfeindes in der Gewalt hatte? Waren diese Vortheile nicht vielleicht mit Mühen und Nachtheilen verbunden, von denen sie vollständig aufgewogen wurden? Es wäre hier Nutzen und Schaden schon früher sorgfältig abzuwägen gewesen, jetzt aber kam jede ruhigere und bessere Einsicht zu spät, denn selbst durch die Befreiung des Prinzen wurde nichts ungeschehen gemacht, während mit ihr alle Trümpfe verloren gingen, auf deren Wirkung Dietrich gerechnet und sich verlassen hatte. Die Gefangennahme Johanns war ein Werk des Augenblicks, eine That der Nothwehr gewesen. War sie unbesonnener Weise zu einer gewaltsamen Entführung ausgedehnt worden, so durfte das einmal begonnene Werk auch nicht aufgegeben, sondern es mußte zu seiner Vollendung gebracht werden. Es war ein unglücklicher Umstand, daß diese Vollendung noch im letzten Augenblicke durch die Flucht Johanns in Frage gestellt wurde, aber gerade darum mußte Alles aufgeboten werden, ihn einzuholen und sich seiner wieder bemächtigen zu können. Ob das aber auch gelingen werde? Das frühere Glück war ihm abhold geworden; feindselige Mächte stellten sich hindernd all' seinem Thun und Beginnen entgegen, und wenn er die Ereignisse der letzten Zeit überdachte, so wollte ihm der Glaube an sich und sein gutes Geschick verloren gehen. Doch, nein, nein; ist das Glück launenhaft, so muß es gezwungen, mit fester Hand gepackt und gehalten werden; nur dem Feigen, dem Muthlosen kann es entgehen. Er grub dem Pferde die Fersen in die Weichen, daß es laut aufstöhnte und in weiten Sätzen mit ihm davonjagte.

Bei solcher Eile kam er schnell vorwärts; Strecke auf Strecke ließ er hinter sich zurück; es war anzunehmen, daß er dem Flüchtigen mit jedem Schritte näher rücke, und bei jeder Biegung des Weges blickte er erwartend empor, ob er ihn noch nicht wahrnehmen könne.

Da endlich sah er einen Reiter vor sich auftauchen; aber derselbe kam ihm entgegen, es konnte also Johann nicht sein. Es war eine breite, kräftige Figur, die auf einem großen, kopfhängerischen Klepper langsam dahergetrollt kam. Kurz vor Dietrich blieb der Fremde halten.

»Gott grüße Euch, Mann,« rief er, Quitzow mit einem musternden Blicke betrachtend. »Woher des Weges, so Morgens in der Frühe?«

»Von Daheim,« antwortete dieser kurz. »Ist Euch nicht ein junger Herr begegnet, der auf einem flotten Fuchsen saß?«

Bei dem Klange dieser Stimme horchte der Gefragte stutzend auf, und sein Auge richtete sich schärfer auf Dietrich.

»Meinet Ihr einen Einspännigen, oder sind ihrer Mehrere mit ihm?«

»Er ist allein und geht wie ein Jungherr gekleidet.«

»Das Letzte will mir wohl stimmen, jedoch das Erste nicht. Es ist mir ein feines Junkherrlein auf einem guten Fuchsen, aber ohne Waffen begegnet; er trug eine geschlitzte Leibjacke und ein schwarzes Barret mit rothen Futterecken.«

»Das ist er, den ich suche. So war er also nicht allein?«

»Nein, sondern es ritt ein Anderer an seiner Seite, der gar gut und herrlich anzuschauen war.«

»So war es ein Ritter?«

»Nein, ein Jüngling in der Tracht eines fahrenden Edelknappen.«

»War er wohlberitten?«

»Das will ich meinen! Und dazu schaute er so wacker drein, als hätte er soeben den Gottseibeiuns erschlagen.«

»Und sind sie weit von hier entfernt?«

»Mit nichten, sondern wenn man einen Trab reitet, so kann man sie gar bald zu sehen bekommen.«

»Ich danke Euch. Lebt wohl!«

»Ade! Nehmt Euch vor dem Jüngling in Acht, wenn Ihr vielleicht feindlich an ihn wollt!« Und mit einem schlauen Augenblinzeln setzte er hinzu: »Der wäre vielleicht selbst dem »starken Dietz« gewachsen.«

Dietrich hatte schon sein Pferd wieder in Gang gesetzt, bei den letzten Worten aber zog er es rasch wieder herum und bohrte sein Auge in das lachende Gesicht des Andern.

»Was wißt Ihr von dem Dietz?«

»Gar viel weiß ich von ihm; ich war bei ihm auf Plaue und Friesack und weiß auch von dem Kremmer Damme zu erzählen.«

Erstaunt trieb Dietrich sein Pferd näher herbei.

»Welches Ritters Mann seid Ihr da gewesen?«

»Eines Ritters Mann?« frug der Andere in wegwerfendem Tone. »Das war ich ebenso wenig, als Ihr es jemals gewesen seid!«

»Ich? Was wißt Ihr von mir?«

»Mehr, als Ihr von dem Claus von Köppen zu wissen scheint, den Ihr ganz vergessen habt.«

»Claus Köppen?« rief Dietrich. »Wahrhaftig, Ihr seid es! Wie vermag doch diese Tracht Euch zu verstellen! Sagt doch geschwind, Ritter, was Ihr verkleidet hier an des Landes Grenze thut!«

»Ich komme aus der Mark, wohin ich eine Botschaft zu bringen hatte.«

»Von wem?«

»Von den Herzögen Casimir und Otto von Pommern und dem Herrn Wratislaff von Wolgast.«

»An wen?«

»An den Herrn Dietrich von Quitzow. Ich habe ihn nicht mehr im Lande angetroffen und kehre nun heim mit einer unverrichteten Sache. Könnt Ihr mir nicht vielleicht sagen, wo ich mich meines Auftrages entledigen kann?«

»Thut es sogleich! Ich habe keine Zeit zu langer Plauderei!«

»Sogleich?« klang es mit verstelltem Erstaunen zurück. »Ist Herr Dietrich vielleicht hier nahe zur Stelle?«

»Treibt keinen Mummenschanz! Ihr habt mich gar wohl erkannt. Was bringt Ihr mir für Kunde?«

»Also habe ich mich nicht geirrt. Es war gefahrvoll für mich, Euch in das Land zu gehen, d'rum seht Ihr mich in diesem Habitus. Ich habe stets ein gutes Glück gehabt und bringe auch jetzt wieder alles Erwarten meine Botschaft noch an den rechten Mann.«

Bei den letzten Worten zog er einen Faden aus den Aermelpuffen seiner Jacke und brachte zwischen Futter und Oberzeug ein zusammengelegtes Stück Pergament hervor, welches er Dietrich übergab.


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»Da, lest. Möge Euch die Schrift erfreuen!«

Dietrich faltete die Schrift auseinander und las sie; dann riß er sie in Stücke und streute dieselben in den Wind.

»Eure Herren haben schlecht ihr Wort gehalten,« sprach er bitter; »doch will ich ihrem Rufe folgen und die mir gebotene Freistatt annehmen. Wollt Ihr mich geleiten?«

»Wenn Ihr es erlaubt, so reiten wir selbander nach Stettin. Vier Fäuste sind besser als zwei in dieser schlimmen Zeit!«

»Dann müßt Ihr mir vorerst ein Weniges nach rückwärts folgen. Ich habe mit den Beiden, denen Ihr begegnet seid, ein Wort zu sprechen.«

»Was für ein Wort?«

»Nicht mit dem Munde, sondern mit diesem da!« Er schlug an das Schwert Johanns, welches an seiner Seite hing.

»Wer sind die Leute? Darf man ein Weniges mitsprechen, wenn die Rede eine ehrliche ist?«

»Glaubt Ihr, daß der Dietrich von Quitzow jemals eine unehrliche Rede führen wird?« rief der Genannte aufbrausend. »Der Eine ist ein gar edles Wild, welches mir entgangen ist, und die Herren in Pommern würden mir großen Dank wissen, wenn ich es ihnen zugeführt brächte. Den Anderen kenne ich nicht und weiß auch nicht, wo und auf welche Weise er zu ihm gekommen ist.«

»Welches Wild meint Ihr?«

Dietrich raunte ihm den Namen des Entflohenen entgegen. Claus von Köppen fuhr erschrocken zurück.

»Ist es möglich, was Ihr mir da sagt? Das wäre ja ein Fang, dessen Werth wir gar nicht bemessen könnten! Wie ist es damit vorher ergangen?«

Der Gefragte erzählte ihm mit wenigen kurzen Worten das Geschehene, und frug dann, zum Zügel greifend:

»Wollt Ihr mein warten; oder kehrt Ihr um mit mir zur edlen Jagd?«

»Ich gehe mit Euch. Der Andere ist wohl nur zufällig auf ihn getroffen und wird gewiß so klug sein, sich nicht in unsere Sache zu mischen. Thut er es doch, so werfen wir ihn nieder!«

Claus von Köppen war ein Ritter, dessen Name in ganz Pommerland und auch darüber hinaus einen guten Klang hatte. Er war bei den Herzögen gar wohl angesehen, und wenn es eine schwierige Sache gab, so wurde sie ganz gewiß in seine Hände gelegt. Sein Sinn war gern auf das Abenteuerliche gerichtet; seine Klinge hatte noch niemals ihren Dienst versagt, und da ihm das Dreinschlagen besser behagte als das lange Grübeln und Sinnen, so drehte er auch jetzt sein Thier herum und hielt sich an der Seite Dietrichs, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte.

»Sie können uns nicht entgehen, wenn wir es recht beginnen,« meinte er.

»Wie sollen wir es besser beginnen,« antwortete Dietrich, »als daß wir ihnen folgen, sie einholen und den Prinzen wieder an uns nehmen! Um den Andern brauchen wir uns nicht sehr zu kümmern.«

»Erlaubt, Herr Dietrich, daß ich anders denke! Wenn sie uns sehen und Euch erkennen, so werden sie wohl davonzukommen suchen. Da nun ihre Pferde besser sind als unsere edlen Thiere, so wird es uns dann nicht gelingen, sie einzuholen. Ich meine, daß es besser sei, wenn ich voranreite; setze ich mich auf Euern Gaul, so werden sie mich wohl nicht sofort wiedererkennen. Dann fange ich mit ihnen einen Handel an und halte sie auf, bis Ihr hinzu kommt.«

»Euer Rathschlag ist gut. So kommt und laßt uns die Pferde wechseln!«

Es wurde gethan, und dann trabte Köppen wohlgemuth voran. Dietrich folgte ihm. Die Nachricht, daß Johann nicht allein sei, hatte ihn überrascht, doch schien ihm dieser Umstand nicht anders erklärlich, als daß das Zusammentreffen ein rein zufälliges sei, und da sie sich gegenwärtig noch auf Pommerschem Gebiete befanden, so war wohl anzunehmen, daß der Prinz seinen Namen und Stand gegen den Begleiter nicht genannt habe. Zwar stand grad' in diesem Augenblicke Pommern mit Brandenburg nicht in offener Fehde, aber das Verhältniß zwischen beiden war ein gespanntes, und eine unvorsichtige Offenheit konnte hier also von den schlimmsten Folgen sein.

Unterdessen verfolgten Johann und Detlev ihren Weg. Trotz der eifrigen Unterhaltung, in welcher sie sich befanden, richteten sie ihre Blicke oft nach rückwärts, da sie sich von dieser Richtung her nicht sicher fühlten, trotzdem Detlev geglaubt hatte, den Ritter Dietrich erwürgt zu haben. So bemerkten sie jetzt auch, daß ein Reiter hinter ihnen her kam, der sein Pferd zur Eile trieb und ihnen also immer näher rückte.

»Wer es wohl sein mag?« frug Johann. »Wir befinden uns noch jenseits der Grenze und müssen also vorsichtig sein.«

»Wäre das Pferd nicht ein anderes,« lautete die Antwort, »so würde ich glauben, daß es derselbe Gesell ist, welcher uns vorhin begegnete. Habt keine Sorge, Prinz! Es müßten ihrer schon ein ziemliches Häuflein sein, wenn mir um Euch bange werden sollte; einen Einzelnen aber brauchen wir so wenig zu scheuen wie das Eichkätzchen, welches dort von dem Baume springt.«

»Das dürft Ihr sagen, weil Ihr bewaffnet seid; ich jedoch trage nichts, womit ich mich zu wehren vermöchte; darum dürft Ihr mich nicht für muthlos halten, wenn ich mich nicht ohne Besorgniß fühle.«

»Da kann ich helfen. Hier habt Ihr mein Schwert; gürtet es um; es ist eine gute Waffe, die Euch nicht im Stiche lassen wird, so lange Ihr sie fest zu halten vermöget.«

»Aber sie wird nun Euch fehlen, und in Euren Händen würde sie uns wohl bessere Dienste leisten als in den meinigen. Nehmt das Schwert und gebt mir das Messer!«

»Behaltet nur immerhin den Stahl, Prinz,« erwiderte Detlev, welcher wohl wußte, daß der fürstliche junge Mann sich mit dem Degen besser zu vertheidigen vermöge, als mit dem kurzen Messer. »Zwar habe ich Euch noch nicht fechten sehen, aber die Kunde erzählt gar Rühmliches von Eurer Tapferkeit und ich weiß mein Schwert sehr wohl in der richtigen Faust.«

»Was meine Tapferkeit betrifft,« entgegnete Johann düster, »so hättet Ihr wohl gerechten Grund, an ihr zu zweifeln. Denkt nur daran, daß der Dietz mich aus der Mitte meiner streitbaren Leute herausgeholt und mit sich fortgeschleppt hat, bis Ihr kamt und mich befreitet. Das ist ein Makel, welcher sich für ewige Zeiten an meinen Namen heften wird.«


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»Laßt Euch das nicht verdrießen! Dem Dietz ist wohl noch Keiner gewachsen gewesen, und Ihr waret ja durch Euer Wort gebunden, ihm ohne Widerstand zu folgen. Und übrigens glaube ich von der Weisheit Eures Herrn Vaters, daß von der schlimmen Sache so wenig wie möglich verlautet worden ist. - Aber, da kommt der Mann; ha, seht, daß ich recht hatte, es ist derselbe, welchen wir schon vorhin sahen, nur hat er sich anders beritten gemacht! Das kommt mir besonderlich vor, und jedenfalls führt er Einiges im Schilde, ob gegen uns oder gegen Andere, das werden wir bald sehen.«

Er hielt sein Roß an und erwartete den Kommenden.

»Was verlegt Ihr mir die Straße?« frug dieser, auch sein Pferd parirend.

»Wir sperren Euch den Weg mit nichten, vielmehr ist Platz genug für Euch, vorüber zu kommen; nur wunderten wir uns über Eure Kunst, aus einem Falben einen Braunen zu machen.«

»Wollt Ihr diese Kunst vielleicht von mir lernen? Es würde wohl nicht großer Zeit bedürfen, sie Euch beizubringen.«

»Seid bedankt für Euren guten Willen; wir haben Anderes zu thun. So, hier ist Raum, wenn Ihr vorüber wollt!«

»Seht nur immer auf Euren eigenen Weg! Ich finde den meinen schon selbst und werde reiten, wie es mir gefällt.«

»Ganz wie Ihr wollt!« antwortete Detlev, weiter reitend; Johann hielt sich, wie vorher, ihm zur Seite, und Köppen folgte ihm hart auf dem Fuße.

So hatten sie eine kurze Strecke schweigend zurückgelegt, als hinter ihnen von Neuem Huftritte erschallten. Johann blickte sich zuerst um und rief, den Nahenden erkennend:

»Das ist der Dietrich; jetzt heißt es kämpfen!«

»Jawohl heißt es jetzt kämpfen,« antwortete Köppen, indem er zu dem Schwerte griff.

Aber schon war es zu spät. Detlev hatte sofort die Lage der Sache erkannt, sein Pferd herumgeworfen und hart an dasjenige des Pommern gedrängt. Ehe dieser es sich versehen konnte, riß er ihm das Schwert aus der Scheide und lachte:

»Darum mögt Ihr mir Euren Degen auf eine kurze Zeit leihen. Wartet hier, bis ich ihn nicht mehr brauche!«

Die auf diese Art errungene Waffe in der Faust, wandte er sich Dietrich entgegen, welcher den Vorgang gesehen hatte und einsah, daß er es mit keinem gewöhnlichen Gegner zu thun habe.

»Was habe ich mit Euch zu schaffen,« rief er. »Geht auf die Seite!«

»Später, später vielleicht, Herr Dietrich; jedenfalls aber nicht eher, als bis ich weiß, wie Eure Klinge schneidet!«

»Gut, so sollst Du sie fühlen!« klang es, und zu gleicher Zeit sauste die Waffe durch die Luft. Detlev fing den Hieb mit seinem Schwerte auf, und nun entspann sich ein Kampf, wie ihn Dietrich von Quitzow wohl noch selten ausgestritten hatte, trotzdem ein reiches, gefahrvolles und abenteuerliches Leben hinter ihm lag. Sein Gegner saß kalt und ruhig wie ein aus Erz gegossenes Bild auf dem Rosse, und jede, auch die kleinste seiner Bewegungen geschah mit einer solchen Sicherheit und Kraft, daß es vollständig unmöglich erschien, ihm auf irgend eine Weise beizukommen. Trotz der meisterhaften Geschicklichkeit und riesigen Körperkraft Dietrichs, waren all' seine Anstrengungen vergebens; er sah sich einem Mann gegenüber, der trotz aller Jugendlichkeit ihm wenigstens gewachsen war; dies erregte seinen Zorn und raubte ihm den nothwendigen inneren Gleichmuth, so daß seine Streiche rascher und kräftiger, dabei aber weniger vorsichtig geführt wurden und er immer mehr in die Gefahr kam, sich eine verhängnißvolle Blöße zu geben.

»Hütet Euch, Herr Dietrich,« rief ihm Detlev zu. »Der Zorn ist ein gefährlich Schild.«

»Sei ruhig, Laffe, oder ich stopfe Dir das freche Maul!« antwortete der Ritter grimmig, indem er zu einem fürchterlichen Streiche ausholte. Da aber prallten die Pferde zusammen, die Faust des Feindes fuhr ihm mit mächtigem Stoße unter den erhobenen Arm, und im nächsten Augenblicke lag er unter seinem Gegner am Boden, er wußte gar nicht, wie das gekommen war und möglich sein konnte.

»Laffe? Seht Ihr denn nicht, daß der Laffe Euer Leben nur deshalb schont, um Euch lebendig in seine Hand zu bekommen? Schließt ab mit der Freiheit, Herr Dietrich von Quitzow; Ihr seid jetzt mein!«

»Meinst Du?« keuchte er in der Anstrengung, sich loszumachen. »Laß gehen, oder ich zermalme Dich!«

Wie ein Drache unter dem tödtlichen Griffe des Riesen, so wand er die mächtigen Glieder gegen die unauflösliche Umschlingung der Arme, welche ihn gefangen hielten; er reckte, streckte und bäumte sich, versuchte empor zu schnellen und drehte und krümmte sich am Boden, von welchem er sich unmöglich zu erheben vermochte. Die Schwerter lagen neben den Ringenden, denen sie jetzt nichts mehr nutzen konnten, und nur die bloße, unbewaffnete Muskelkraft hatte hier den Ausschlag zu geben.

Währenddessen hatte sich Klaus von Köppen auf den Prinzen Johann geworfen, aber in diesem auch einen anderen Gegner gefunden, als er erwartet hatte. Zwar entging dem fürstlichen Jünglinge, der kaum erst fünfzehn Jahre zählte, die ausgereifte Mannesstärke, aber die besten Lehrer hatten ihn schon frühzeitig in dem Gebrauche der Waffen unterwiesen und ihm eine Gewandtheit beigebracht, welche das Mangelnde vollständig ersetzte, so daß sein Name auch über die höfischen Kreise hinaus als der eines jugendlichen und vielversprechenden Helden galt. Dazu kam die Erbitterung über die erfahrene und unverschuldete Unbill und das heiße Verlangen, die erlittenen Demüthigungen, welche seinem Rufe Schaden bringen konnten, durch ritterliche Tapferkeit so viel wie möglich auszugleichen. Auch war ihm der Umstand günstig, daß Detlev seinem Gegner das Schwert entrissen hatte und er diesem Letzteren also in Beziehung der Waffen überlegen war. Es gelang ihm in Folge der nicht blos, ihn erfolgreich von sich abzuhalten, sondern er ging schließlich selbst zum Angriffe über und machte ihm derart zu schaffen, daß es dem verkleideten pommerschen Ritter je länger desto schwerer wurde, sich seiner Haut zu wehren. Die Beiden trieben einander auf der Straße hin und zurück; sie hatten nur auf einander Acht und bemerkten demzufolge nicht, daß ein Trupp Reiter aus der brandenburgischen Richtung des Weges daher kam und bei dem Anblicke der Kämpfenden von fern die Pferde zügelte.


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»Ein Zweikampf auf der Straße!« rief der Vorderste von ihnen, welcher auf einem großen Schecken saß. »Wer mögen doch die Männer sein?«

»Es sind ihrer vier, Herr Nymand,« antwortete ein Anderer. »Seht Ihr die Beiden dort am Boden? Das sind zwei ganz gewaltige Recken, die sich auf Leben und Tod in einander verbissen haben, und es mag nicht sehr herrlich sein, zwischen ihre Fäuste zu gerathen. Und die Anderen, die haben - - - bei Gott,« unterbrach er sich, »das ist der Prinz, der sich so tapfer mit dem Manne dort herumschlägt. Gott sei Dank, wir haben ihn endlich doch gefunden!«

»Der Prinz?« rief es im Kreise. »Ja, er ist es. D'rauf!«

»Halt!« gebot der Anführer. »Noch haben sie uns nicht bemerkt. Sobald sie uns aber sehen, werden sie die Flucht ergreifen, und wir müssen sie doch haben, denn Einer von denen dort auf der Erde ist der Quitzow, wie mich dünkt. - Steigt vom Pferde,« wandte er sich an einige von seinen Begleitern, »und eilt zu Fuße durch den Busch, um ihnen den Weg zu verlegen. Wir werden warten, bis Ihr sie überflügelt habt!«

Diesem Befehle wurde schleunigst Folge geleistet. Die Leute theilten sich; die Einen stiegen ab, banden ihre Pferde an die Bäume und eilten dann in das Dickicht; die Anderen hielten sich noch eine kurze Zeit verborgen und galoppirten dann, als sie den rechten Augenblick gekommen glaubten, dem Kampfplatze zu.

Wie der Wind fuhr Der auf dem Schecken über Köppen her und zog ihm das Schwert über die Schulter, daß der Getroffene einen lauten Weheruf ausstieß.

»Herr Nymand von Löben!« rief auf das freudigste überrascht Johann. »Willkommen hier beim Tanze; aber Ihr nehmt mir die Ehre des Sieges aus den Händen.«

»Verzeiht, Herr Junker; aber ich muß doch gut machen, was meine Unachtsamkeit verschuldet hat. - Reißt ihn von der Mähre herab und bindet ihn!« gebot er, sich zu den Leuten wendend, welche sich nach ihm auf den Pommer geworfen hatten. Dann wandte er sich auf die andere Seite und warf einen bewundernden Blick auf Detlev, welcher seinen Widerpart noch immer fest an der Erde hielt. Rasch war er vom Pferde, Johann ebenso, und zugleich eilten die Vorausgegangenen von der Seite herbei.

»Laßt ihn jetzt fahren!« rief der Prinz. »Er ist uns nun sicher und kann uns nicht mehr entgehen.«

Detlev zauderte und warf einen besorgten Blick im Kreise herum. Als er jedoch Köppen gebunden und eine genügende Anzahl kräftiger Männer um sich stehen sah, nahm er die Arme von Dietrich weg und erhob sich.

»Seid willkommen, Herr Dietrich von Quitzow!« spottete Nymand von Löben. »Wir sind Eurer Spur gefolgt, ohne erst nach Hause zurück zu kehren. Steht auf, der Sitz ist zu niedrig für einen stolzen Rittersmann von Eures Gleichen!«

Er sollte den Spott sofort bezahlen. Kaum sah Dietrich sich von der Umschlingung befreit, so schnellte er empor und stürzte sich, noch ehe Jemand ihn fassen und halten konnte, auf den Sprecher.

»Für mich zu niedrig, doch für Euch wohl nicht,« knirschte er und rannte ihm die beiden Fäuste vor die Brust, daß er schwer hintenüber schlug. »Versucht es nur!«

Der Schecken stand in der Nähe und Dietrich schnellte sich mit einem einzigen Schwunge in den Sattel.

»Laßt ihn jetzt fahren; er ist uns nun sicher und kann uns nicht mehr entgehen!« hohnlachte er.

Das Thier bäumte sich unter dem Drucke seiner Schenkel und schoß gerade in dem Augenblicke davon, als Detlev nach dem Zügel faßte, um es zurück zu halten. Rasch raffte dieser sein Schwert vom Boden auf, sprang zu seinem Rosse und sprengte im vollen Laufe dem Fliehenden nach, noch ehe die Anderen, welche alle abgesessen waren, nach ihren Pferden gegriffen hatten. -

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Ein Leu im Käfige.

Im jetzigen Regierungsbezirke Magdeburg liegt südöstlich von Genthin und südwestlich von Brandenburg, gleichweit von beiden Städten entfernt, das Städtchen Ziesar, dessen Schloß einst als eines der festesten im ganzen Lande bekannt war und zu der Zeit, von welcher wir erzählen, dem Bischof von Brandenburg, Johann von Waldow, gehörte.

Früher hatte Herr Henning von Bredow auf dem bischöflichen Stuhle zu Brandenburg gesessen und trotz seines frommen Amtes gar manchen tüchtigen Strauß geführt und ausgekämpft; aber in der letzten Zeit seines Lebens war ihm ein Gegner erwachsen, dessen er sich nicht erwehren konnte und der ihm mehr zu schaffen machte, als alle, mit denen er vorher in Fehde gelegen. Das war Herr Caspar Gans von Putlitz, der treueste und gefürchtetste Freund der Quitzow's, denen zu Liebe er sich mit dem Bischofe überwarf, um so indirect den Markgrafen Friedrich von Brandenburg in Schaden zu bringen. Dieser Streit brachte dem geistlichen Herrn so großen Verdruß, daß er ihm die letzten Tage seines Lebens arg verbitterte; er starb von Verdruß und Unmuth gequält.

Natürlich lag dem Markgrafen sehr viel daran, die hohe Stelle des Verstorbenen mit einem Manne besetzt zu sehen, auf dessen Treue und Anhänglichkeit er sich verlassen konnte. Er bemühte sich daher, die Wahl des Capitels auf einen solchen zu lenken, und wirklich wußte er es auch durch seinen Einfluß so weit zu bringen, daß Johann von Waldow, der Bruder des gleichnamigen Propstes von Berlin, vorgeschlagen und vom Papste auch bestätigt wurde. Die Familie dieses Mannes war eine der ältesten und angesehensten des Landes, und Friedrich hatte seine Ergebenheit schon in vielfachen Diensten erprobt.

Von dem Augenblicke an, an welchem dieser Mann die geistliche Regierung seines Bisthums übernahm, wurden die Quitzow's von ihrem bisherigen Glücke verlassen, und auch Herr Caspar Gans von Putlitz gerieth in arge Noth, die endlich gar mit seiner Gefangennahme endigte. Und dies ging folgendermaßen zu:

Obgleich die Gänse sonst nicht sehr großer Ehre und Auszeichnung genießen, war die Gans von Putlitz doch von jeher ein gar berühmter und gefürchteter Vogel gewesen, um dessen Freundschaft die Parteien sich stets sorgsam bemüht hatten. Besonders hatte Herr Caspar es stets verstanden, sich in Ansehen und Würde zu setzen, so daß selbst der Kaiser ihn mit Aufmerksamkeiten bedachte und auch der


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Markgraf sich bemühte, seine Freundschaft zu erwerben; aber er war ein gar hainebuchener Charakter, der die höfischen Sitten und Gebräuche nimmer leiden mochte und auch seinen alten, langjährigen Verbündeten die Treue nicht brechen wollte. Deshalb hielt er zu ihnen gegen den Landesherrn und fiel dem Bischofe von Brandenburg in dessen Gebiet.

Zunächst plünderte er das Dorf Ketzin, welches an Stelle des jetzigen Fleckens Ketzin an der Havel lag, und brannte es vollständig nieder. Sodann führte er seine Schaaren nach dem nicht weit davon gelegenen Dorfe Knobloch, wo man sich begnügte, zu plündern, insbesondere aber das Vieh aus den Ställen zu ziehen. Hier erhielt Herr Caspar die Nachricht, daß die bischöflich-brandenburgischen Schaaren über Tremmen her gegen ihn heranzögen, und er mußte also auf Vertheidigungsmaßregeln bedacht sein.

Oestlich von dem Dorfe Knobloch liegt einzeln und frei eine mäßige Höhe, welche eine weite Aussicht über das hohe und niedere Havelland gewährt. Sie war in jenen Zeiten mit einer Warte besetzt und trägt jetzt ein Belvedere, welches diesen Namen mit wirklichem Rechte führt, da die Aussicht weit mehr Reize entwickelt, als der hier nicht Einheimische vermuthen sollte. Jene Warte war mit mehreren Wächtern besetzt, welche von dem Domcapitel zu Brandenburg besoldet wurden und stets gute Ausschau halten mußten, damit kein Feind das Land überrasche. Sie hatten das Herannahen der Gans von Putlitz bemerkt und waren davongegangen, um den Einfall der feindlichen Horden an der geeigneten Stelle zu melden. Herr Caspar bestieg, als er die Anhöhe erreicht hatte, die Warte, um den Umkreis zu überschauen und seinen Kriegsplan zu entwerfen.

Er wußte, ja er ahnte nicht, daß er getäuscht worden sei. Wie der Markgraf Friedrich von Brandenburg bei allen seinen kriegerischen Maßregeln die Klugheit in den Dienst der Tapferkeit stellte und eben darum so glückliche Erfolge aufzuweisen hatte, so war auch der Bischof Johann von Waldow ein Mann, welcher gar wohl erkannte, daß die rohe Kraft der Muskeln nicht allein genüge, einen mannhaften Feind auf das Haupt zu schlagen, sondern daß die List oft mehr vermöge als das Schwert und die riesigste Donnerbüchse. Darum hatte er die Führung seiner Schaaren einem Manne übergeben, welcher sich ebenso sehr durch Gewandtheit in der Waffenführung, als auch durch eine Klugheit auszeichnete, die den kleinsten Vortheil zu benutzen verstand und sich Hilfsmittel zu erfinden oder zu verschaffen wußte, wo für einen Anderen keine solchen vorhanden waren. Dieser Mann war der Stiftshauptmann Hans von Röder.

Dieser hatte Zweierlei eingesehen, nämlich daß er mit seinen Schaaren, die meist aus bloßen Söldnern bestanden, den rauhen und kriegsgewohnten Mannen des Putlitz'schen Heeres nicht gewachsen sei, und daß dem Bischof vor allen Dingen daran liegen müsse, den feindlichen Anführer selbst in seine Hand zu bekommen. Gelang das Letztere, so war die Fehde so gut wie beendet und es mußten aus der Gefangennahme Herrn Caspars Vortheile erwachsen, welche auch in gar mancher anderen Beziehung von Einfluß sein konnten. Daher hatte er einen schlauen Boten abgefertigt, welcher sich absichtlich aufgreifen ließ und, scheinbar gezwungen, die Aussage that, daß Hans von Röder mit dem Stiftsherrn von Tremmen heranrücke.

Caspar Gans von Putlitz schenkte den falschen Worten Glauben und hielt es demzufolge am rathsamsten, sich in derjenigen Richtung, in welcher der Feind sich näherte, zurückzuziehen. Er ließ seine Schaar sich sammeln und führte sie auf Karpzow zu. Die Leute hatten, wie die Kosaken, alles Mögliche, was durch die Plünderung in ihre Hände gerathen war unter und auf den Sätteln der Pferde aufgehäuft und befanden sich daher wenig in der Lage, sich frei und ungehindert einem Kampfe hinzugeben. In Karpzow angekommen, ließ er einige Reiter auf einer Anhöhe halten, die ihn sofort benachrichtigen sollten, wenn sie die Annäherung der Brandenburger bemerken würden. Er selber zog sich weiter gegen Osten durch den Wald zurück und gelangte so bis zu dem Dorfe Dalgow unweit Spandau.

Hier wurde abgesattelt, denn sowohl Menschen als auch Pferde waren müde und vom Froste angegriffen. Er fühlte sich vollständig sicher, denn die Wachtposten bei Karpzow konnten wenigstens eine Weile weit sehen, und da sie sehr gut beritten waren, so eilten sie dem feindlichen Heere sicherlich zwei Meilen weit voraus, und man hatte nach ihrer Ankunft ganz gewiß noch Zeit genug, sich zu rüsten.

Gans von Putlitz war in dem besten Hause des Dorfes abgestiegen, und seine Leute hatten sich in den übrigen Häusern einquartiert, natürlich gegen eine Entschädigung, denn Dalgow war nicht bischöflich und durfte also auch nicht feindlich behandelt werden.

Während nun die aufgestellten Posten sich die Augen anstrengten, um die Brandenburger zu entdecken, und Putlitz bei dem Mittagsmahle saß und es sich trefflich schmecken ließ, nahte Hans von Röder von einer ganz anderen Seite, nämlich von Spandau her. Unterwegs begegnete ihm ein Bauer, welcher ihn nicht nur über die Stellung der Putlitzschen Mannen unterrichtete, sondern ihm sogar mittheilte, in welchem Hause Herr Gans zu finden sei. Vorsichtig jede Deckung benutzend, nahte er sich dem Dorfe und hatte sich desselben bemächtigt, noch ehe sein Nahen recht bemerkt worden war. Schnell und ohne Widerstand rückte er vor das Haus, welches ihm bezeichnet worden war, und ließ die davor aufgestellte Schildwache niedermachen. Jetzt eilten die Knechte Caspars herbei, um ihrem Herrn zu Hilfe zu kommen, aber sie waren zu Fuß und wurden von den Reitern gar bald übermannt.

Als Herr Gans von Putlitz so plötzlich den Lärm und Tumult des Kampfes vernahm, sprang er eiligst an das Fenster, um nach der Ursache desselben zu forschen; jedoch die kleinen, rund gegossenen Scheiben verzerrten alle Bilder und waren außerdem so gefroren, daß er nichts Deutliches zu erkennen vermochte. Nun stürzte er nach der Thür, diese wurde aufgerissen und Hans von Röder mit einigen Gewappneten stand vor ihm, setzte ihm das Schwert gegen den Hals und forderte ihn auf, sich zu ergeben. Putlitz schlug ihm zwar das Schwert auf die Seite und versuchte, sich durchzudrängen, aber es kamen immer neue Feinde hinzu, welche sich auf ihn warfen und ihn zu Boden rissen. Er war gefangen, und seine Knechte entflohen und suchten ihre Heimath zu erreichen.


Ende des dreizehnten Teils - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der beiden Quitzows letzte Fahrten

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