Heft 23

Feierstunden am häuslichen Heerde

3. Februar 1877

   
Der beiden Quitzows letzte Fahrten.

Historischer Roman aus der Jugendzeit des Hauses Hohenzollern von Karl May.


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»Wollt Ihr Euer Mittagsmahl beenden, Herr Caspar,« sprach Hans von Röder, »so soll es Euch wohl vergönnt sein. Ich bedaure, daß ich habe stören müssen. Nur bitte ich Euch, zu eilen, denn wir müssen aufbrechen!«

»Ich danke Euch für diese Güte, doch ist mein Mahl beendet,« lautete die Antwort. »Ihr werdet mir hoffentlich ein ritterlich Gefängniß geben und mich auf Treu und Glauben entlassen!«

»Ich bedaure, daß es mir nicht zusteht, darein zu willigen. Für jetzt muß ich Euch zu meinem Herrn, dem Bischof von Brandenburg, nach Ziesar bringen; dieser mag sodann über Euch verfügen. Ist es Euch gefällig, so sitzen wir auf.«

Man brachte die Pferde, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Die Gefühle, welche während dieses Rittes Caspars Seele durchstürmten, waren keine freundlichen. Alle seine kühnen Pläne waren jetzt gescheitert, denn auf das Unglück, gefangen zu werden, hatte er gar nicht gerechnet. Wuth und verbissener Ingrimm kochten in seinem Herzen, aber sie waren ohnmächtig, denn seine Hände waren gebunden. Er biß die Zähne zusammen und hatte Mühe, unmännliche Zeugen seines Aergers zu unterdrücken. Noch hoffte er immer, seine Leute würden einen Versuch machen, ihn zu befreien, aber so weit auch der Weg war, auf welchem der Zug sich dahinbewegte, es ließ sich keiner von ihnen sehen.

Man nahm nicht den nächsten Weg über Brandenburg, und das hatte seinen guten Grund. Der Ritter Wichart von Rochow nämlich, welcher ein treuer Verbündeter der Quitzows und Herrn Caspars Schwiegersohn war, hatte von der Stadt das Oeffnungsrecht erhalten, und zwar in Folge der Dienste, welche ihr von seinem Vater geleistet worden waren. Kraft dieses Rechtes konnte er Kriegsvolk in die Stadt legen, und hierdurch war sie genöthigt, stets seine Partei zu ergreifen. Wichart hatte nicht versäumt, sich der Gesinnung Brandenburgs dadurch zu versichern, daß er eine nicht unbedeutende Zahl von Kriegsknechten dort einquartierte. Da er nun sowohl dem Markgrafen, als auch dem Bischofe feindlich gesinnt war, so schien es gerathen, den Brandenburgern nicht ein zu großes Vertrauen zu schenken. Das war eben auch der Grund, warum der Bischof jetzt gar nicht in der Stadt, sondern auf seinem Schlosse zu Ziesar wohnte, und auch Friedrich von Zollern hatte Brandenburg schon seit längerer Zeit gemieden. Dieser Umstand veranlaßte auch Hans von Röder, mit seinem Gefangenen einen Umweg zu machen, denn wer konnte dafür stehen, daß Wicharts Leute nicht den innigsten Freund, den Schwiegervater ihres Herrn aus den Händen der Sieger zu befreien suchten. Er nahm daher seinen Weg über Tremmen, Bagow, Götz, Marzahn und Pritzerbe, wo er übernachtete, ging am anderen Morgen über die Havel, zog dann durch Knoblauch, Bensdorf, Woltersdorf, Groß Wusterwitz und Rogäsen und gelangte so endlich nach Ziesar.

Die Freude des Bischofs über den Fang des gefürchtetsten seiner Feinde war natürlich keine geringe; er belobte den Stiftshauptmann wegen der Klugheit und Umsicht, mit welcher derselbe gehandelt hatte, und ließ sich Caspar Gans von Putlitz vorführen.

»Es thut mir leid, Herr Caspar,« sprach er, »daß wir uns in dieser Weise sehen. Ich bin Euch stets zum Frieden und zur Versöhnung geneigt gewesen, aber Ihr habt es nicht anders gewollt.«

»Spart die Worte,« antwortete Putlitz kurz und rauh. »Es wird Euch kein Mensch glauben, daß meine Gefangennahme Euch leid thut. Ein ehrlicher Mann sagt stets die


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Wahrheit, und Euch bereitet mein Kommen nichts als Freude.«

»Wenn Ihr Euch so bärbeißig geberdet, so muß es mir allerdings lieb sein, einen so unfriedfertigen Gegner in meiner Gewalt zu haben. Für mich seid Ihr hier bei mir besser aufgehoben, als auf Putlitz, Lenzen oder Wolfshagen bei den Eurigen.«

»Das will ich Euch wohl glauben; doch hoffe ich, daß ich nicht lange hier aufgehoben sein werde. Bestimmt das Lösegeld, und man wird es Euch senden.«

»Davon kann für jetzt keine Rede sein, denn Ihr seid nicht blos mein, sondern auch des Burggrafen Gefangener.«

»Des Burggrafen? Wie meint Ihr das? Bin ich etwa sein Feind? Stehe ich mit ihm im Kriege? Habt Ihr mich gefangen genommen oder ist er es gewesen?«

»Oeffentlich seid Ihr allerdings nicht sein Feind, ob aber nicht im Geheimen, das wird Euch Euer Gewissen sagen, vielleicht auch späterhin der Burggraf.«

»Wer kann in meinem Herzen lesen? Oder darf und kann Jemand öffentlich bestraft oder angefochten werden für das, was er im Geheimen thut?«

»Wer weiß! Indessen kommt es ja jetzt darauf auch gar nicht an. Der Markgraf ist oberster Verweser der Mark, und Ihr habt gegen ihn als solchen heimlich landesverderbliche Pläne geschmiedet. Steht Euch dafür eine öffentliche Bestrafung nicht an, so betrachtet Euch vorläufig als des Herrn Burggrafen geheimen Gefangenen!«

»Ich protestire gegen diese - -«

»Warum,« fiel ihm der Bischof in das Wort, »warum soll es denn gerade ihm nicht verstattet sein, heimlich gegen Euch zu handeln, da Ihr es Euch doch gegen ihn erlaubt habt?«

»Ich protestire, sage ich, gegen jede geheime Behandlung. Meine Gedanken sind zollfrei; was ich gedacht habe, geht also Euch nichts an, und was ich gethan habe, das war öffentlich und nur gegen Euer Stift gerichtet. Ihr könnt mir jetzt, da mich das Unglück in Eure Hand gegeben hat, ein Lösegeld abfordern, und bis es abgetragen ist, mich in ritterlichem Gefängnisse bei Euch halten, weiter aber habt Ihr kein Recht.«

»Ihr fühlt wohl selbst, Herr Caspar, daß es Euch nicht zusteht, hier Vorschriften zu machen. Mag es Euch recht oder unrecht erscheinen, so werdet Ihr Euch dennoch einen engen Gewahrsam gefallen lassen müssen, und Ihr werdet gut thun, keine Worte weiter zu verlieren. Alles Andere wird sich später finden!«

»In engen Gewahrsam?« donnerte Caspar, indem seine Fäuste sich ballten und seine Gestalt sich hoch aufrichtete. »Wer will mich hindern, Euch trotz der Fesseln diesen engen Gewahrsam hinter die Ohren zu schreiben?«

Er maß den Bischof und die Anwesenden mit einem verächtlich zornigen Blicke, warf den stolzen Kopf in den kräftigen Nacken zurück und drehte sich dann ruhig um.

»Pah! Ihr tragt die Tonsur, und was weiß ein Pfaffe von ritterlicher Pflicht und Schonung. Führt mich ab, und ich sage dasselbe, was Ihr mir sagtet: das Andere wird sich später finden!«

Der edle Recke glich in diesem Augenblicke dem Löwen, welcher sich voll Verachtung von dem Schakal wendet, der ihn in seinem Lager gefangen zu haben meint. Johann von Waldow antwortete nicht; er winkte nur dem Wachtmeister, welcher den Gefangenen hereingebracht hatte, zu sich und flüsterte ihm einige Worte zu. Dieser trat zu Caspar und bedeutete ihm, zu folgen. Von einigen Landsknechten gefolgt, schritten die Beiden eine schmale Treppe hinab und standen nach kurzer Zeit vor einer kleinen, niedrigen Thür, welche der Wachtmeister öffnete. Ein enger, lichtloser Raum, kaum so hoch, daß ein Mann in ihm zu stehen vermochte, lag vor Putlitz. Er verlor kein Wort, sondern trat hinein. Die Thüre wurde zugeschlagen; der Schlüssel rasselte unheimlich in dem Schlosse; die Riegel klirrten, die Schritte der Männer verhallten nach und nach in der Ferne, und dann, dann war es still. - - -

- - Wenn man von Lehnin nach Ziesar gelangen will, so kommt man über Michelsdorf und Golzow an das Planeflüßchen. Hat man die Brücke, welche über dasselbe führt, überschritten, so betritt man nördlich von Ragosen die Ausläufer einer Bergkette, die sich in nördlicher Richtung segmentförmig von Belzig bis Dorf Wollin zieht und mit dichtem Walde bestanden war. In den Thälern und Gründen, welche sich zwischen den Bergen hinzogen, hatte der Dachs sein Lager, wilde Katzen kletterten von Baum zu Baum, der Wolf zog sich vor der menschlichen Verfolgung in die Büsche zurück, Fuchsspuren kreuzten sich im Schnee, ja, zuweilen wurde die Umgegend sogar durch die Kunde aufgeschreckt, daß sich ein Bär sehen lasse, den der Hunger in die Nähe der bewohnten Orte führte. Und neben den wilden Thieren trieb mancherlei unordentliches Gesindel dort sein Wesen. Die vielen Streitigkeiten und Fehden, welche zwischen den Herren, Rittern und Städten untereinander geführt wurden, machten es diesen Leuten leicht, sich außerhalb der Gesetze zu stellen; sie kamen und gingen wie es ihnen beliebte, thaten was sie wollten, dienten bald Diesem, bald Jenem und nahmen alle Vortheile mit, welche die ungeordneten Verhältnisse jener Zeit ihnen boten. Daher sah sich Jeder, der von Golzow über Ragosen, Wollin und Glienicke nach Ziesar wollte, gar wohl vor, nahm die nöthigen Waffen mit sich und suchte, den Weg wo möglich in guter und sicherer Gesellschaft zu machen.

Daher wunderte sich der Wirth des Golzower Kruges nicht wenig, als eines Tages zwei Reisende bei ihm einkehrten, welche ihm sagten, daß sie heute noch, und zwar ohne alle Begleitung, nach Ziesar zu kommen gedächten, wo sie Verwandte besuchen wollten. Es war ein alter, graubärtiger Gesell und ein junges, den Kinderjahren kaum entwachsenes Mädchen, welches bei der Kunde von der Unsicherheit des Weges fröhlich die Hände zusammenschlug und dabei ausrief.

»Märten, mach, daß die Pferde ihr Futter bekommen! Das wird eine gar lustige Sache, wenn ich dem Ohm erzählen kann, welch' ein grausames Abenteuer wir unterwegs erlebt haben.«

Märten Stelzer zog die dichten Brauen bedächtig in die Höhe, kraute sich mit den Händen bedenklich hinter den Ohren und meinte dann:

»Mit Verlaub, allerliebwerthes Jungfräulein, nach dem Abenteuer will mich nicht sehr gelüsten. Ihr seid ein rasches Vögelein und habt Euch und mich schon in manch' eine schlimme Verlegenheit gebracht. Wenn die Strauchdiebe über uns herfallen oder wenn wir gar noch von den Wölfen gefressen werden, so mögt Ihr es nachher bei dem Ohm und der Frau Mutter selbst verantworten; ich habe Euch den Willen thun müssen und wasche meine Hände in Unschuld!«


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»Märten, sei doch nicht so unwirrsch!« bat sie schmeichelnd, indem sie ihm mit der kleinen Hand in den struppigen Bart fuhr. »Denke nur, was der Ohm für Augen machen wird, wenn sein »Wildwasser«, wie er mich immer nannte, ihm so plötzlich und unvermuthet in das Haus bricht. Paß auf, er schlägt vor Schreck die Hände über dem Kopfe zusammen und ruft sein ganzes Heer von Heiligen zum Zeugen an, daß ich die tollste Wespe bin, die ihm jemals um die Ohren gesummt hat!«

»Ja, ein klein wenig toll seid Ihr schon, mein liebwerthes Jungfräulein, aber für eine Wespe möchte ich Euch doch nicht halten, sintemalen die Wespen wenigstens im Winter zu Hause bleiben und fein hübsch warten, bis der Sommer da ist, ehe sie aus ihrem Neste fliegen. Ihr aber habt keine Ruh' weder bei Tag und Nacht, noch zur Winters- oder Frühlingszeit, und der alte Märten Stelzer muß trotz seiner morschen Glieder mit Euch herumsausen und hat am Ende weiter nichts davon, als daß er die Suppen auslöffeln muß, die Ihr ihm und Euch einbrockt. Was wird Eure gestrenge Frau Mutter gesagt haben, als sie bemerkt hat, daß wir ihr auf und davon gegangen sind! Ich mag die Litaney gar nicht hören, und bin deshalb froh, daß wir uns aus dem Staube gemacht haben.

»Na, siehst Du!« lachte die Kleine. »Erst zankst Du über mich, und dann bist Du froh über das, was ich gethan habe. Halte Dich nur immer nach meinem Willen, dann wirst Du stets die helle Freude an Dir haben!«

»Das hat sich was mit der hellen Freude, mein werthes, liebes, junges Fräulein! Wer möchte wohl vergnügt und fröhlich sein, wenn er hört, daß ihn die Wölfe verspeisen und ihm die wilden Katzen in das Gesicht springen werden! Wir wollen doch hier bleiben, bis etliche Leute beisammen sind, denen wir uns anvertrauen können.«

»Aber Märten, mir kannst Du Dich wohl nicht anvertrauen? Glaubst Du etwa, daß ich Dir ein Leid zufüge, wenn Du keinen andern Schutz bei Dir hast?«

Der alte Knappe machte ein höchst verzweifeltes Gesicht; das Mädchen war ihm jedenfalls zu spitzfindig, als daß er von einem Dispute mit ihr viel Ehre und Vortheil davonzutragen vermochte.

»Ja, ja, mein werthes Liebfräulein, mit Euch ist nicht gut streiten, und ich thäte wahrhaftig besser, zu handeln, ohne Euch gar viel zu fragen. Darum werdet Ihr wohl mit mir warten, bis eine größere Gesellschaft beisammen ist.«

»Wenn Du hier verziehen willst, so sollst Du die Erlaubniß dazu haben, ich aber werde auch ohne Dich auf meinen alten guten Schimmel klettern und nach Ziesar reiten. Dann magst Du meinetwegen sehen, wie Du mir mit heiler Haut nachkommst!«

»Da hat man es! Nun wollt Ihr gar noch mutterseelenallein davonreiten, und ich soll mittlerweile hier sitzen bleiben und Grillen fangen. Ich werde nach den Pferden sehen, mein edles, liebes Fräulein, und dann mag es in Gottes Namen fortgehen!«

Er ging hinaus, und das Mädchen trat zum Fenster. Da erhob sich in der Ecke der Stube eine jugendliche Gestalt, welche bisher schweigsam dort gesessen hatte, und schritt mit kurzem Gruße durch die Thür. Sie hatte den Jüngling bisher wenig oder gar nicht beachtet, als er aber jetzt auf die Straße trat und in der Richtung nach Wollin davonschritt, konnte sie nicht anders, als ihn mit den Augen verfolgen, soweit er nur zu sehen war.

Er konnte wohl kaum sechzehn Jahre zählen, aber es lag über seiner kräftigen Figur ein männlicher Ernst ausgegossen, der ihr etwas Anziehendes und Vertrauenerweckendes mittheilte. Ein trotzig-schöner Kopf ruhte auf dem starken Nacken, und die gewandten Glieder zeigten einen Bau, an dem kein Tadel aufzufinden war. Er trug die Kleidung eines fahrenden Schülers; an seiner Linken hing ein zierliches Schwert, und über die Schulter ging ein schöngesticktes Band, an welchem eine Laute befestigt war.

»Wer mag das wohl sein?« dachte sie. »Es ist hier so finster, daß ich ihn gar nicht deutlich sehen konnte, und ich bin recht unartig gegen ihn gewesen. Er hat denselben Weg, wie wir, und konnte mit uns ziehen. Nun geht er allein und die Wölfe oder Strauchdiebe werden über ihn herfallen, noch ehe wir ihn ereilen und zu Hülfe kommen können.«

Sie hielt in ihrem Gedankengange inne und lachte belustigt auf, als ihr beifiel, welch' ein unbegründetes Selbstvertrauen er enthielt. Der schöne Fremdling hätte jedenfalls ihrer Hülfe weniger bedurft, als sie der seinigen, und obgleich sie ihn nur vorübergehend gesehen hatte, so erschien er ihr doch nicht wie Einer, der sich auf den Beistand Anderer mehr verläßt als auf seine eigne Kraft.

Da kam ein Reiter aus der entgegengesetzten Richtung langsam die Straße daher und hielt vor dem Hause. Er stieg ab und trat zu Märten Stelzer, dessen Pferde betrachtend.

»Nicht übel!« lobte er, indem er den Schimmel liebkosend klopfte. »Das sind keine Ackergäule. Wem gehören sie?«

Märten brummte eine Antwort in den Bart, von welcher der Andere nicht eine Sylbe verstand.

»Seid Ihr heut schon weit geritten?«

Ein zweites Brummen klang halb wie Ja und halb wie Nein.

»Wohin soll es noch gehen?«

Jetzt bekam der ehrliche Märten einen Husten, der ihn ganz und gar verhinderte, Red' und Antwort zu stehen.

Der Frager schien darob nicht sehr viel Verdrießlichkeit zu empfinden; er warf noch einen schlauen Blick auf den Alten und trat sodann in die Stube. Hier bemerkte er das junge Mädchen.

Gott grüße Euch, Jungfrau!«

Sie dankte ihm.

»Ihr habt wohl schon eine weite Reise hinter Euch?«

Sie schüttelte lächelnd den Lockenkopf.

»Nicht gar zu weit; es ist noch recht gut auszuhalten.«

»Wollt Ihr in die Berge, oder kommt Ihr von da her?«

»Wir wollen nach Ziesar.«

»Nach Ziesar? Das ist eine weite Strecke, und Ihr habt einen gefährlichen Weg vor Euch. Fürchtet Ihr Euch nicht?«

»Vor wem soll ich bange sein?« frug sie, ihr offenes Auge voll auf ihn richtend. »Die wilden Thiere fürchte ich nicht, denn es ist ja jetzt heller Tag, wo sie sich nicht hervor getrauen, und mein Knappe ist zwar alt, aber ein


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treuer, tapferer Kopf. Und die Menschen, nun, die können mir ja nichts thun, denn ich habe ihnen auch kein Leid zugefügt.«

»Das will ich recht wohl glauben, aber darnach fragen sie ja nicht. Ich meine nicht, daß es vorsichtig von Euch gehandelt sei, Euch so ganz allein in diese Gegend zu wagen, wo vor noch kurzer Zeit der Krieg gewüthet hat. Die Straßen sind noch nicht wieder so sicher wie früher, als Herr Wichart von Rochow hier hauste, dem der Markgraf seine Schlösser Potsdam, Rekahn und Golzow genommen hat, und Ihr thätet besser, wieder umzukehren oder eine größere Gesellschaft zu erwarten.«

Sein Auge war erwartungsvoll auf sie gerichtet.

»Umkehren?« frug sie. »Nein, das thue ich nicht, und zum Warten habe ich keine Lust. Mir wird Niemand etwas thun; ich brauche nur zu sagen, wer ich bin, so wird sich Jeder fürchten, mir ein Leid zuzufügen.«

»So! Und wer seid Ihr denn?« Die kindliche Naivetät des unerfahrenen und eigenwilligen Mädchens machte ihm das Forschen leichter, als es ihm draußen bei dem vorsichtigen Märten geworden war.

»O, mein Name thut nicht viel, aber der Bischof von Brandenburg, Herr Johann von Waldow, ist mein Oheim, der Bruder meiner Mutter; ich bin von daheim fort, um ihn in Ziesar zu besuchen, und wer mir hinderlich sein wollte, den würde sein Arm gar wohl zu treffen wissen. Er ist der mächtigste Herr hier zu Lande, und sein Name ist der beste Schutz, den ich mir wünschen kann.«

Das Aufleuchten seines Auges bei diesen Worten war kein heilverkündendes, aber selbst wenn sie es bemerkt hätte, so wäre sie doch viel zu vertrauensvoll gewesen, um es richtig zu deuten. Auch der Blick des Einverständnisses, welchen er mit dem Wirthe wechselte, entging ihr, so daß sie im weiteren Laufe des Gespräches sogar die Frage an ihn richtete, ob sie von jetzt aus nicht zusammenhalten wollten, da sie doch einen und denselben Weg vor sich hätten.

»Wohl ist unser Weg ein gleicher,« antwortete er, »jedoch ist meinem Geschäfte solche Eile geboten, daß es Euch schwer und anstrengend sein würde, mir zu folgen.«

Er erhob sich, bezahlte den Trunk, welchen er zu sich genommen hatte, und ritt davon. Jetzt trat Stelzer wieder ein, und während er die abgebrochene Unterhaltung mit seiner Herrin wieder aufnahm, machte sich der Wirth draußen mit den Pferden zu schaffen und kehrte dann mit einem befriedigten Lächeln wieder zu den Gästen zurück.

Unterdessen schritt der fahrende Schüler nachdenklich seines Weges fürbaß. Er dachte ebenso an das Mädchen, wie dasselbe an ihn gedacht hatte. Wer war sie nur? Ganz gewiß war sie ein verzogener Liebling, dem die elterliche Liebe stets die kleinsten Wünsche erfüllt hatte, und welchem es nun schwer wurde, auf etwas zu verzichten, was ihm begehrenswerth erschien. Und doch wie lieb und gut hatten trotz dieses Eigenwillens ihre Worte geklungen! Wie freundlich und herzlich war sie gegen den alten Knappen gewesen! Wie hatte ihr das Lächeln so schön gestanden, und wie war der Ton ihrer Stimme so eigenthümlich einschmeichelnd gewesen! Ganz gewiß war sie ein bewundernswerthes Geschöpf, dem nur Glück und Heil zu wünschen war. Und doch befand sie sich grad jetzt in gar großer Fährlichkeit, denn was man sich von der Unsicherheit des Weges erzählte, das war keineswegs eine Lüge, sondern die volle Wahrheit.

Sie hatte ihn gar ernst angeschaut; der fahrende Schüler war ihr jedenfalls zu gering gewesen, und darum hatte er es auch nicht gewagt, ihr seine Begleitung anzubieten, trotzdem er zu Fuße ging und sie beritten war. Aber so wollte er doch wenigstens ohne ihr Wissen und ihren Willen zu ihrem Schutze bereit sein und ein offenes Auge auf den Weg haben, um sie warnen zu können, wenn er eine Gefahr für sie bemerke.

Da vernahm er hinter sich Hufschläge. Er wandte sich um; der Nahende war derselbe Reiter, welcher im Kruge mit dem Mädchen gesprochen hatte. Als dieser des Schülers ansichtig wurde, zuckte es verächtlich um seine Lippen.

»Ein gelehrter Faulenzer und Bruder Habenichts. Diese Art von Leuten läßt man ziehen, wohin sie wollen, so lange sie sich nicht in anderer Leute Sachen mischen.«

Er wollte ohne Gruß und Wort an ihm vorüber, hielt aber bei einem flüchtigen Blicke in sein Gesicht das Pferd unwillkürlich an.

»Woher des Weges und wohin?« frug er, dieses Gesicht schärfer betrachtend.

»Grad' so wie Ihr: von daher und dorthin!« klang die Antwort, indem der Sprecher mit der Hand nach rück- und vorwärts zeigte.

»Um das zu wissen, brauche ich nicht erst zu fragen. Gebt eine manierliche Antwort, denn Frage und Antwort giebt eine gute Rede.«

»Soll mir recht sein. Ich komme von Golzow und will nach Wollin. Was aber Eure Güte betrifft, so begehre ich ihrer nicht. Lebt wohl.«

Der Reiter beachtete diese Aufforderung nicht. Wo hatte er nur diese dunklen Augen leuchten und diese Locken so abweisend schütteln sehen! Er konnte sich nicht besinnen.

»Ihr seid verteufelt kurz. Wie nun, wenn ich Euch die Zunge löste?«

»Haha!« So kurz dieses Lachen war, es sagte doch eben so viel, wie die nachfolgenden Worte: »Macht Euch von hinnen, ich habe keine Lust, zu scherzen!«

Das klang so schneidend, daß der Mann unwillkürlich in die Zügel griff, aber schon im Weiterreiten frug er noch:

»Haben wir uns nicht schon einmal getroffen?«

»O ja, eben jetzt!«

Der auf diese Weise Abgewiesene hatte eine scharfe Entgegnung auf der Zunge, aber es lag in dem Wesen des Schülers Etwas, was diese Entgegnung nicht laut werden ließ. Der Reiter trabte weiter.

»Wo habe ich diesen Mann nur schon gesehen?« fragte sich jetzt auch der Zurückbleibende. »Ach, jetzt weiß ich es,« klang es nach einigem Sinnen: »Es ist ein Reisiger des Ritters Wichart von Rochow, der mit ihm öfters bei uns auf Lenzen und Wolfshagen gewesen ist, und nun ist mir auch klar, wer die Leute sind, die hier ihr freies Handwerk treiben: es sind Knechte des Herrn Wichart, der jetzt in Potsdam auf Handgelöbniß sitzt; sie haben ihren Herrn verloren und wollen dem Markgrafen nicht zu Diensten sein; darum halten sie es für das Beste, von anderer Leute Zoll zu leben, bis sich die Zeiten geändert haben. Von ihnen habe ich nichts zu fürchten, vielmehr werden sie mir stets zu Diensten sein, sobald ich ihnen


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nur meinen Namen nenne; aber dann bin ich auch dem Verrathe ausgesetzt, und ich muß ihn also so lange wie möglich geheim zu halten suchen.«

Während er, nun befreit von augenblicklichen Sorgen, seinen Weg weiter verfolgte, wandte er zum Oefteren das Auge zurück, um auszuschauen, ob die Erwarteten noch nicht zu bemerken seien. Endlich erblickte er sie und nahm sich vor, sich ihnen auf jeden Fall anzuschließen, vor der Hand aber den Schein zu vermeiden, als ob er ihre Nähe wünsche.

Darum griff er jetzt mit großen Schritten weit aus, um sich nicht so bald von ihnen einholen zu lassen, und vermied es auch, sich nach ihnen umzudrehen. So verging eine Viertelstunde nach der anderen; er erkannte, daß sie schon längst an ihm vorüber hätten sein müssen, und blieb stehen, um sich über die Ursache ihres Zurückbleibens aufzuklären. Er sah sie nicht mehr. Besorgt um sie, wartete er eine geraume Zeit und faßte schon den Entschluß, zurückzukehren, als er sie endlich in weiter Entfernung erblickte.

Sie kamen jetzt nur sehr langsam vorwärts, ohne daß er die Ursache davon zu erkennen vermochte. Jetzt mäßigte auch er seine Eile und vernahm nun bald an dem Getrappel der Pferde, daß sie dicht hinter ihm seien. Er blieb stehen, wandte sich nach ihnen zurück und griff grüßend an das Barett.

»Ihr seid besser zu Fuße als unsere Thiere,« rief ihm das Mädchen zu, noch ehe er zu einem Worte gekommen war. »Wenn Ihr ein wenig langsamer geht, so möchten wir uns wohl Eurer Gesellschaft freuen!«

»Wenn Ihr es begehrt, so soll mir dieser Wunsch willkommen sein!«

Märten Stelzer gab durch ein freundlich gnädiges Kopfnicken zu erkennen, daß der Wille des Fräuleins auch der seinige sei, und forderte, damit jeder Zweifel darüber unmöglich werde, ihn auf:

»Ja, mein liebwerthes Jungherrlein, nehmt hier an unserer Seite Platz; zu Dreien ist die Gesellschaft größer als zu Zweien, und wenn Ihr die Beine nicht gar zu weit auseinander setzet, so werden wir wohl beisammen bleiben.«

»Was ist denn mit Euren Thieren geschehen?« frug der Jüngling, welcher bemerkte, daß beide Pferde lahmten. »Ich habe doch vor dem Kruge keinen Schaden an ihnen gesehen!«

»Sie haben uns,« antwortete das Mädchen, »auch bis dahin gar wohl und munter getragen; aber vor kurzer Zeit begannen sie, lahm zu gehen, obgleich wir nicht wissen, welch' einen Grund dies haben mag. Führt Euch Euer Weg noch weit?«

»Der freie Schüler hat kein Ziel; ihm gehören alle Wege und Straßen, und er legt sich da zur Ruhe, wo er eine gastliche Aufnahme findet. Aber ich gedenke, noch vor Abend in Ziesar zu sein.«

»Das ist auch unser Wille. Mich verlangt, den Bischof, meinen Ohm, zu sehen, welcher dort auf seinem Schlosse wohnt. Ist es Euch recht, so bleiben wir zusammen!«

»Wohl soll mir dies recht und willkommen sein,« antwortete er, indem eine freudige Ueberraschung über sein Gesicht erglänzte. »Also der hochwürdige fromme Herr ist Euer Oheim? Das ist ein gar strenger und tapferer Herr, der das Schwert ebenso gut zu führen versteht, wie den Krummstab. Habe ich doch vernommen, daß es ihm sogar gelungen ist, den Caspar Gans von Putlitz in seine Gewalt zu bekommen, und der ist doch einer der Stärksten und Mächtigsten im Lande.«

»Ja, mein liebes, theures Jungherrlein, das ist ihm allerdings gelungen, und Gott sei Lob und Dank dafür. Es ist ein gar großer Segen für die Marken, daß jetzt solche Hände das Scepter ergriffen haben, welche es verstehen, das schädliche Ungeziefer auszurotten.«

»So nennt Ihr den Gans von Putlitz Ungeziefer?« fragte der Schüler, indem ein undefinirbares Lächeln über sein Gesicht glitt.

»Freilich! Die Quitzows, der Putlitz, der Rochow, der Holzendorf, der Maltitz und die ganze Sippe, die zu ihnen gehört, das ist das richtige Ungeziefer, welches man bis auf den letzten Floh ausrotten muß. Das ist meine Meinung, mein werthes, edles Jungherrlein.«

»Was haben sie Euch gethan?«

»Mir? Gar nichts; aber ich mag ihre Namen nicht leiden.«

»Wie heißt Euer Name?« frug hier das Mädchen.

»Joachim; und der Eure?«

»Marie. Ich bin nach der heiligen Mutter Gottes genannt worden, damit ich ein sanftes, frommes Mädchen werden möge, und es hat geholfen, nicht wahr, Märten?«

Der Gefragte zog das Gesicht in die verlegenste Miene, die es geben konnte, und erwiderte:

»Ja, mein werthes, liebes Jungfräulein, in diesem Dinge ist mir mein alter Kopf fast gänzlich irre geworden. Oft seid Ihr so fromm und sanft, daß ich Euch gern schon jetzt zu den Heiligen rechnen möchte, und oft - oft - oft - -«

»Nun,« lachte sie fröhlich, »was ist nun wieder - oft?«

»Oft seid Ihr grad' so, wie - wie - -«

»Wie ein Wildwasser,« fiel sie ihm in das Wort, »dem man vorsichtig aus dem Wege gehen muß. Doch, laß das gut sein, Märten; es ist ja nicht so bös gemeint! Aber was habt Ihr?« wandte sie sich zu Joachim, welcher um einige Schritte zurückgeblieben war und den Gang der Pferde aufmerksam beobachtete.

»Nicht wahr, die Pferde sind erst ohne Fehl gegangen?«

»Ja.«

»Und erst von dem Kruge ab haben sie gelahmt?«

»So ist es.«

»Alle beide zugleich?«

»Alle beide.«

»Das scheint mir kein Zufall zu sein. Habt Ihr nicht nachgesehen, woran es liegt?«

»Freilich habe ich nachgesehen, mein liebes Junkerlein; aber es ist nicht das Mindeste zu bemerken.«

»Habt Ihr schon von dem fremden Volke gehört, welches aus Egypten oder Indien zu uns gekommen ist und allerlei geheimes Wesen treibt?«

»Ihr meint die Zigeuner?«

»Ja. Wißt Ihr, wie diese es machen, wenn sie ein Pferd lähmen wollen?«

»Nein.«

»Sie stechen ihm eine Nadel in den Fuß. Wollt doch einmal halten, damit ich nachsehen kann!«

Die Aufforderung wurde befolgt; Joachim hob den


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Fuß des Schimmels empor und ließ ihn nach einigen Augenblicken wieder fallen.

»Hier habt Ihr die Nadel! Nun laßt uns weiter sehen!«

Auch bei dem anderen Thiere war die Nadel bald entdeckt. Marie sowohl als auch Märten Stelzer konnten sich nicht genug über den Scharfsinn des Jünglings wundern; dieser aber schnitt das ihm gespendete Lob durch die Frage ab:

»Wer hat das gethan, und welche Absicht hat er dabei gehabt?«

Das Erstere war gar nicht oder sehr schwierig zu beantworten, das Letztere aber ließ sich leichter denken.

»Was meint Ihr wohl,« frug das Mädchen, jetzt ängstlich werdend, »warum man die armen Thiere so hat quälen können?«

»Das sollt Ihr ganz genau erfahren! Zuvor aber sagt mir, ob Ihr in dem Kruge davon gesprochen habt, wer Ihr seid.«

»Ja, das habe ich gethan!«

»Gegen wen?«

»Es war ein Mann, den Ihr wohl auch gesehen habt. Er kam nach Euch in den Krug und folgte Euch nach kurzer Zeit.«

»Dann ist es ganz so, wie ich denke. Ihr wißt wohl, daß Golzow dem Ritter Wichart von Rochow gehört hat, welcher sich dem Herzog Rudolph zu Sachsen ergeben und nach Potsdam in die Haft gehen mußte. Da haben sich nun diejenigen von seinen Leuten, welche keinem anderen Herrn dienen wollen, in den Wald gemacht, um den Anhängern des Markgrafen und Eures Oheims Schaden zu bereiten. Da muß es ihnen hoch willkommen sein, daß eine Nichte des hochwürdigen Herrn so fast ganz allein und schutzlos ihnen in die Hände läuft, und um Euch das Entkommen ganz unmöglich zu machen, hat man Eure Pferde gelähmt. Der Mann, welchem Ihr Euch offenbart habt, schien in großer Eile zu sein; gewiß hat er die Seinen zusammengerufen und lauert nun an einem guten Orte, um Euch anzuhalten.«

»Glaubt Ihr wirklich, daß dieses so ist?«

»Ich halte es für ganz gewiß.«

»So laßt uns sofort umkehren, mein liebwerthes Jungfräulein,« rief Märten Stelzen hoch besorgt. »Ich denke zwar, daß ich einige von ihnen niederschlagen werde, und das Jungherrlein hier wird auch einen guten Hieb thun oder zwei, aber wenn es ihrer zu viele sind, so werden sie uns doch in das letzte Capitel hauen, und wenn man todt und erstochen am Boden liegt, so hat die Freude ein Ende.«

»Was sagt Ihr dazu?« frug sie den Jüngling.

»Ich meine, daß Euch die Umkehr wenig helfen wird, da sie Euch einholen würden, oder Ihr in andere schlimme Hände kommt. Reitet langsam weiter, damit sie denken, daß ihre List gelungen sei, und wenn sie hervorbrechen, so gebraucht Ihr die Sporen und macht, daß Ihr ihnen aus den Augen kommt.«

»Und was wird dann mit Euch?«

»Um mich dürft Ihr keine Sorge tragen; ich werde schon mit ihnen umzugehen wissen.«

»Mit Verlaub, mein werthes Junkerlein, da kommt Ihr dem alten Märten Stelzer noch lange nicht! Ihr seid ein liebes, junges Blut, und ich werde nimmermehr zugeben, daß Ihr Euch für uns in eine Gefahr begebt. Wenn sie Euch todtgeschlagen haben, so ist Euch nicht mehr zu helfen, und darum - - seht, da habt Ihr sie schon. Schlagt zu, mein edles Jungherrlein, und springt dann zu mir auf das Pferd!«

Der fahrende Schüler aber vernahm diese Worte nicht mehr, denn sobald die Angreifenden von der Seite hervorbrachen, riß er den Degen aus der Scheide und warf sich ihnen entgegen.

»Rasch davon!« rief er dem Mädchen zu. »Ich werde Euch die Bahn frei halten!«

Aber sie schien mit ihrem Thiere an den Boden gefesselt zu sein und seinen Ruf vollständig zu überhören. Sie sah nicht auf die Männer, welche sich an sie zu drängen suchten, sondern nur auf ihn, der sie muthig von ihr abhielt, und mit seinem Schwerte gegen sie arbeitete, als sei er ein alter, viel erprobter Recke, den es wenig kümmere, ob er ein Dutzend Gegner mehr oder minder vor sich habe. Auch Märten Stelzer hatte blank gezogen und zeigte, daß es ihm an Muth und Geschicklichkeit, seine junge Herrin zu vertheidigen, nicht mangele. Ein so kräftiger Widerstand war nicht erwartet worden, und zudem war es nur eine geringe Anzahl herrenloser Lanzknechte, die obendrein keine Pferde besaßen und nur den einen Berittenen unter sich zählten, welcher ihnen die Nachricht von den Nahenden gebracht hatte. Das Pferd desselben war gleich von dem ersten Hiebe Joachims so getroffen worden, daß es mit dem Reiter auf und davon rannte, und die Uebrigen fühlten sich den zornigen Schlägen Märtens und den gewandten Streichen des fahrenden Schülers auf die Dauer nicht gewachsen, so daß sie gar bald das Hasenpanier ergriffen und zwischen den Sträuchern verschwanden.

Märten Stelzer wischte seine Klinge an dem flockigen Felle seines Fuchses ab und wandte sich erstaunt zu Joachim:

»Hört einmal, mein werthes, junges Herrlein, Ihr führt ja eine Klinge, vor welcher der beste Rittersmann Respect haben muß! Ich habe mich gar viel in der Welt herumgeschlagen, aber es sind mir dabei Wenige begegnet, welche die edle Kunst der Waffen in der Weise ausgeübt haben, wie Ihr. Ihr müßt in eine feine Schule gegangen sein, da Ihr als ein so junges Blut so meisterhafte Streiche zu führen versteht!«

Auch Marie wollte in ein belobendes Wort ausbrechen, aber ihre Anerkennung verwandelte sich in einen Ausruf der Angst und Sorge, als sie den Jüngling bluten sah.

»Um Gott, Ihr seid ja doch verwundet!« rief sie. »Zeigt her, ob es gefährlich ist.«

»Laßt Euch diese kleine Schramme nicht anfechten,« antwortete er. »Es ist ein Schnitt in den Arm, der kaum durch die Haut gegangen ist; er wird mir nicht viel Schmerz und Störung bereiten.«

»So seid Ihr jungen Leute, mein werthes Herrlein! Immer ohne Gram und Sorge! Und doch wie bald kann aus solch einem Risse in der Haut eine Wunde werden, aus der das Leben von dannen geht. Kommt, laßt Euch verbinden!«

»Ja, zeigt her,« rief Marie; »wir müssen die Blutung stillen und hier mein Tüchlein darum binden!«

»Laßt dies jetzt noch warten, bis wir diesen Ort hinter uns haben, wo es für uns nicht geheuer ist! Wer bürgt uns dafür, daß wir nicht wieder und zwar von einer größeren Zahl angerannt werden! Es kann nicht mehr gar


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weit nach Wollin sein, wo ich mich dann Eurer Pflege ohne Gefahr und Schaden hingeben kann.«

Er wand sich das dargebotene Tuch um den Arm und schritt sodann rüstig vorwärts, ohne zu beachten, daß Märten Stelzer ihm sein Pferd anbot. In Wollin ließ er sich dann kunstgerecht verbinden, und nachher setzten sie ihren Weg über Glienicke nach Ziesar fort, wo sie ankamen, als der Abend hereinzudunkeln begann.

Nun erhob sich ein Wettstreit zwischen ihm und Marie, welche nicht zugeben wollte, daß er sich nach einer Herberge umsehe.

»Nein, das dürft Ihr nicht,« rief sie eifrig. »Ihr habt uns einen gar wichtigen Dienst geleistet, und mein Oheim wird hohe Freude haben, Euch bei sich zu sehen, um Euch mit mir danken zu können.«

»Weiß Euer Ohm, daß Ihr heut' kommt, um ihm Euren Besuch zu machen?«

»Nein,« antwortete sie lachend. »Ich bin sein Wildwasser, und Ihr wißt, daß dieses fließt und rinnt ganz wie es ihm beliebt. Ich ritt heut' mit meinem alten Märten in den Morgen hinein, um ein Wenig frische Luft zu trinken; da kam mir das Verlangen, nach Ziesar zu gehen, in den Sinn, und obgleich Märten sich große Mühe gab, mich von diesem gefährlichen und unvorsichtigen Vorhaben, wie er es nannte, abzuhalten, so hat er doch mitgemußt.«

»Und Eure Frau Mutter weiß also gar nicht, wo Ihr hingerathen seid?« frug er in mißbilligendem Tone.

»O, die ist es gewohnt, mich ruhig gewähren zu lassen, und überdies habe ich ihr einen Knecht gesandt, der ihr sagen sollte, wo ich hingehe. Wäre ich doch ein Bube! Ich schnallte mir das Schwert an die Seite, setzte mich auf mein Roß und ritt in die weite Welt hinein. Alle Drachen stäche ich todt, alle Riesen schlüge ich nieder; den Raubrittern verbrennte ich ihre Burgen, und alles schlechte und unnütze Gesindel würde ausgerottet. Ich werde nächst dem Oheim mit dem Hauptmann Hans von Röder sprechen und ihnen sagen, daß sie doch einmal all' dem Unfuge und bösen Wesen ein Ende machen mögen!«

»Das mögt Ihr thun, und ich will ihnen gern und willig Glück zu diesem Vorhaben wünschen. Nur müssen sie sich hüten, den Unschuldigen zu treffen oder heilige und wohlverbriefte Rechte anzutasten. Nun aber lebt wohl. Grüßt mir den frommen und gestrengen Herrn Bischof und sagt ihm, daß es mir ein großes Glück bereitet habe, für einige wenige Stunden Euer Diener sein zu dürfen!«

»Das könntet Ihr wohl länger oder immer sein, wenn Ihr nur wolltet,« antwortete sie, indem ihr Auge hell und mit kindlichem Wohlgefallen auf ihm ruhte. »Darum sollt Ihr mir nicht so schnell von hinnen gehen, sondern mich auf das Schloß geleiten, wo Ihr dem Ohm dann Euren Gruß selbst bringen könnt. Er ist ein gar strenger Herr, das ist wahr, aber er kann auch gar sanft und milde sein, wenn er Liebe und Gnade walten lassen darf.«

»Gern würde ich mich mit Euch zu ihm begeben, aber ich bin ein armer, geringer Schüler, der solcher hoher Herren nicht würdig ist, und da er nicht weiß, daß Ihr kommt, so würde es nicht höflich von mir sein, wenn ich ihm Störung bereiten wollte.«

»Diese bereitet Ihr ihm nicht, aber ich will Eure Gründe gelten lassen und Euch nicht verleiten, Etwas zu thun, was Ihr nicht für höflich haltet. Aber eine Bitte müßt Ihr mir erfüllen! Wollt Ihr?«

»Sagt mir welche! Wenn es mir möglich ist, so will ich es ja gern thun.«

»Geht nirgends anders hin, als in die Herberge zum »wackeren Rittersmann«, welche am Markte gelegen ist. Wenn ich dem Ohm von Euch erzähle, so wird er Euch bei sich sehen wollen, und dann weiß ich doch, wo Ihr zu finden seid.«

»Diesen Wunsch will ich Euch nicht abschlagen, und es soll mir nichts Besseres und Lieberes geschehen, als daß es mir vergönnt ist, Euch wieder zu sehen!«

Sie reichte ihm die kleine, zarte Hand vom Pferde herab; er wagte es, dieselbe an seine Lippen zu ziehen, und es ward ihm gar eigen und wunderlich zu Muthe, als er ihren sanften Druck fühlte und die holde Röthe bemerkte, welche dabei das liebliche Gesichtchen übergoß. Auch Märten Stelzer bot ihm mit vertraulichem Wohlwollen die Hand.

»Ich bin zwar nur ein geringer Knecht, mein liebes, werthes Jungherrlein,« meinte er, »und Ihr seid ein vielgelehrter und auch tapferer Jüngling, der es einst zu hohen Ehren bringen kann, aber Ihr müßt auch mir erlauben, Euch ein Lebewohl zu sagen, da Ihr uns aus so großer Gefahr errettet habt. Meinen alten, morschen Knochen wäre es nimmer möglich gewesen, den Strauchdieben allein Stand zu halten, vielmehr hätten sie mich ganz sicher niedergeschlagen und das Jungfräulein gefangen mit sich fortgeführt. Darum wollte ich, ich könnte Euch auch einmal einen Dienst erweisen. Geht nicht fort; ich werde Euch in der Herberge aufsuchen, um Euch zu sagen, wie der hochwürdige Herr unser Abenteuer aufgenommen hat.«

Jetzt trennten sie sich, und während Marie mit Märten den Weg zum Schlosse wählte, schritt Joachim nach der Herberge, die ihm bezeichnet worden war.

Es war die beste und besuchteste, welche sich damals in Ziesar befand, und daher sah er bei seinem Eintritte die Tische voll besetzt, so daß es ihm nur mit Hilfe des Wirthes gelang, in einer Ecke noch ein Plätzchen zu erhalten, wo er sich niederlassen und von der Wanderung ausruhen konnte.

Die meisten Anwesenden gehörten zu den Kriegsleuten des Stiftes; sie thaten sich beim Biere gütlich und erzählten einander von den Thaten, die sie verrichtet hatten. Besonders war es Einer, der die große Stimme führte und grad' darüber war, von dem Zuge des Stiftshauptmannes zu erzählen, auf welchem Caspar Gans von Putlitz in die Hände des Bischofs gerathen war. Er schnitt gar gewaltig auf und sprach von dem Putlitz und seinen Leuten, als von einem feigen Gesindel, welches keines ehrlichen Schwerthiebes würdig sei. Der Schüler hielt sich still und ruhig in seiner Ecke, aber die Blicke, mit denen er hier und da den Sprecher maß, zeigten, daß ihm die Rede desselben nicht angenehm und willkommen sei. Dieser bemerkte gar wohl das scharfe Auge, welches ihn immer verächtlich anblitzte, sobald er eine neue Lobeserhebung hervorposaunte, und dies wurde ihm endlich so unangenehm, daß er sich erhob und zu dem Jünglinge trat.

»Was siehst Du mich denn so besonderlich an, Kleiner?« frug er mit laut schallender Stimme. »Wenn Du vielleicht denkst, einen Zweifel an meinen Worten zu haben, so komm hervor; ich will Dir die Wahrheit zeigen!«


Ende des vierzehnten Teils - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der beiden Quitzows letzte Fahrten

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