(|78|)A Zehntes Kapitel.

Vor Jahren.

Früher stieg der dichte Wald viel weiter von den Bergen herab als jetzt, und erstreckte einen seiner Ausläufer sogar bis auf einige Meilen von der Hauptstadt hernieder. Eine weit in diese Forstzunge eindringende Umfriedung schloß ein Wildgehege ab, in welches einzudringen Jedermann außer dem Forstpersonale verboten war. Dennoch befanden sich eines Tages |78B innerhalb der Umzäunung Personen, deren Habitus man sehr leicht ansehen konnte, daß sie weder zu diesem Personale noch zu sonst irgend welchen Berechtigten zählten.

Zwischen zwei hohen Eichen, die wohl an die tausend Jahre zählen mochten und ihre stammesdicken Äste weit in die Luft hinausstreckten, stand ein altersschwacher vierrädriger Karren. Der Gaul, welcher ihn gezogen haben mochte, weidete im hohen Grase, dessen saftige Stengel zwischen Moos und allerlei Grün hervorragten. Am Stamme des einen Baumes loderte ein helles Feuer, an welchem, |79A über zwei Astgabeln gelegt, ein Rehrücken briet, den ein kaum zehnjähriger Junge mit einer Miene drehte, die ebensoviel Kennerschaft wie inneres Behagen ausdrückte.

Der Knabe war nur halb bekleidet, und ebenso mangelhaft oder defekt zeigte sich die Umhüllung der andern Personen, welche in mancherlei Stellungen um das Feuer saßen oder lagen, um der Zubereitung des leckern Bratens zuzuschauen. Sie alle zeigten jene unverkennbaren Züge, welche der Physiognomie des Zigeuners eigenthümlich sind, schienen jedoch trotz ihres mehr als anspruchslosen Äußeren nicht jenen nomadisirenden Horden anzugehören, welche Raub und Diebstahl als ihr eigentliches und einträglichstes Gewerbe betreiben.

Auf dem Wagen saß auf einigen alten Betten - gewiß ein sehr ungewöhnlicher Luxus bei einer fahrenden Zigeunerbande - eine uralt scheinende Frau, jedenfalls die Vajdzina, und war beschäftigt, aus einigen verschlossenen und farblosen Fetzen irgend ein Kleidungsstück herzustellen, dessen Art und Zweck jedoch nicht zu erkennen war. Auf der Deichselgabel ruhte der Vajdzina, bald einen Blick auf die Alte werfend, bald die immer dunkler werdende Farbe des Rehrückens musternd und dabei aus einem kurzen Pfeifenstummel den Rauch eines Krautes ziehend, dessen Geruch eine Verwandtschaft mit der Kartoffel als sehr wahrscheinlich erscheinen ließ. Auch die Zigeunermutter rauchte, aber der Geruch ihres Tabaks war ein anderer. Es wäre vielleicht möglich gewesen, daß der feinste Kenner das Aroma dieser Sorte bewundert hätte.

Bei der Stille, welche ringsum herrschte, waren ferne Laute zu vernehmen, welche als gedämpfter Schall eines Gespräches durch die Büsche drangen und von zwei Personen herrührten, die sich von der Gesellschaft zurückgezogen hatten und einige hundert Schritte vom Wagen entfernt einander sich gegenüber befanden.

Die eine von ihnen war ein Mädchen.

Sie mochte kaum siebzehn Jahre zählen, aber ihre Formen waren beinahe diejenigen eines vollendeten Weibes, schwellend und üppig und doch dabei so fein und zart, als hätte eine einzige Stunde einem kindlichen Körper die Vollkommenheiten der entwickelten Jungfrau verliehen. Ihr kleines Köpfchen vermochte kaum die Fülle des reichen Haares zu tragen, welches ihr in einem langen, dichten, blauschwarz schimmernden Strome über den Nacken herniederfloß; die ideale Stirn, etwas egyptisch vorstehend, das feine, kleine Näschen mit den leicht beweglichen, trotz der dunklen Gesichtsfarbe rosa angehauchten Nasenflügeln, der schwellende, kleine Mund, zwischen dessen Lippen zuweilen zwei Reihen blendender schmaler Zähnchen zu bemerken waren, das mit einem liebenswürdigen Grübchen versehene Kinn, alle diese Einzelheiten gaben ihrem Antlitze einen Ausdruck, welcher den Kenner weiblicher Schönheit entzücken mußte. Vor Allem aber war das Auge bewundernswerth. Aus der orientalisch-mandelförmig geschlitzten Öffnung desselben strahlte unter den langen Lidern und seidenen Wimpern der tiefschwarze Stern eine Gluth hervor, welche aus geheimnißvollen, unbewußten Tiefen zu kommen schien, eingehüllt vom Schleier jungfräulicher Ahnungslosigkeit, und doch zuweilen auf einen Augenblick so mächtig und unwiderstehlich hervorbrechend, daß sie sicher Jeden traf, der sein Herz diesem Blicke unbewacht entgegenstellte. Sie saß in halb nachlässiger, halb stolzer Haltung im Moose. Ihre Kleidung war bei weitem besser und vollständiger, als die der Anderen, und es ließ sich leicht bemerken, daß auf dieselbe diejenige Sorgfalt verwendet wurde, welche auch unter den mißlichsten Umständen jedes weibliche Wesen für ihr Äußeres besitzt.

Die andere Person war ein Jüngling.

Er hatte sich mit dem Rücken an einen nahen Baum gelehnt und die Arme über der Brust in einander geschlungen. Leute, welche gern oder auch unbewußt eine solche Stellung einzunehmen pflegen, besitzen gewöhnlich eine bedeutende Entwicklung derjenigen Eigenthümlichkeiten, deren Gesammtheit man mit dem Worte Charakter bezeichnet. Ein aufmerksamer Beobachter hätte sich vielleicht über die Farbe seiner Haut verwundert. Sie war weder weiß, wie dies bei dem Kaukasier zu sein pflegt, noch hatte sie diejenige Bräune, welche den Zigeuner kennzeichnet; eher hätte man sie grau nennen können, grau, vermischt mit demjenigen Braun, welches von Wind und Wetter und den Einwirkungen der Sonne herrührt. Er trug ein Paar kurze, weite Hosen, welche sicher für andere Körperverhältnisse gefertigt worden waren; zwischen ihnen und der Jacke, welche vielfach zerrissen war und für einen weit jüngeren Menschen gefertigt zu sein schien, blickte ein schmutziges Hemd hervor; den Kopf bedeckte eine Mütze, welche ihr Schild verloren hatte; die Füße waren nackt und durch die Ärmel der Jacke blickte stellenweise ebenso nackt der muskulöse Arm. Durch eines dieser Löcher blickte in tiefem Schwarzroth eine wunderbare Zeichnung, welche gleich einer Tätowierung der eigenthümlich gefärbten Haut eingeprägt |79B war. Sie stellte ein Wappen vor, dessen einzelne Züge allerdings so ausgezogen und ausgedehnt erschienen, daß das Ganze einen gewissen Grad von Undeutlichkeit besaß und es sehr anzunehmen war, daß die Tätowierung bereits vor längeren Jahren angebracht worden sei. Sein Haar besaß eine tiefschwarze Farbe; ein aufmerksamer Beobachter hätte aber doch vielleicht bemerkt, daß es an den Wurzeln einen bedeutend lichteren Ton zeigte und die Haut unter ihm so rein und weiß war, wie man sie vorzugsweise bei blonden Leuten beobachtet. Das Gesicht hatte unbedingt ein nordisches Gepräge. Die ungewöhnlich hohe und breite Stirn, das offene, blaugraue Auge, die geradegeschnittene Nase, das längliche, regelmäßige Oval des Gesichtes deuteten nicht auf eine indische oder egyptische Abstammung hin, und so kam es, daß der Jüngling in seinem gegenwärtigen Habitus einen beinahe befremdenden Eindruck hervorbrachte, welcher unterstützt wurde durch die Ruhe und Sicherheit seiner Haltung und Bewegungen, welche bedeutend abstach gegen das Rastlose und Unstäte, welches den Zigeuner zu aller Zeit gekennzeichnet hat.

Trotz dieser äußeren Ruhe schien er sich in einer innern geistigen Erregung zu befinden. Seine Züge glänzten, sein Auge leuchtete ekstatisch, und der Blick desselben schien in weite, weite Fernen gerichtet und Gestalten zu schauen, deren Anblick dem gewöhnlichen Sterblichen versagt ist. Das Gesicht des Mädchens nahm den Ausdruck der Bewunderung an, als sie in anerkennendem Tone ausrief:

"Katombo, Dir ist ein Geist gegeben, der größer und mächtiger ist, als die Gabe der Weissagung. Soll ich Dir noch eine Aufgabe ertheilen?"

"Thue es , Zarba!" antwortete er.

"Weißt Du, wo Bhowannie, die Göttin der Gitani, wohnt?"

"Auf Nossindambo, welches vom Volke der Christen Madagaskar genannt wird."

"Richtig! Hoch droben im Ambohitsmenegebirge steht ihr Thron, und tief unter den Bergen von Befour schläft sie des Tages, um erst beim Beginn des Abends zu erscheinen. Kannst Du Dir denken, wie sie aussieht? An stillen Abenden glänzt ihr Haupt in den Sternen, und mit lieblichem Lächeln badet sie die schimmernden Füße in den wogenden Fluthen des Meeres, bis der Tag erscheint, vor dessen Kusse sie nach Westen flieht. Kannst Du das beschreiben in der Sprache, welche die Dichter reden?"

Er nickte selbstbewußt.

"Ich kann es."

"So thue es!"

"Nun denn, wenn Du meinem Kusse nicht entfliehst, wie sie der Umarmung des Tages!"

"Du darfst mich küssen, Katombo, denn Du bist mein Bruder."

"Dein Bruder? Ich will den Kuß der Liebe, aber nicht den Kuß einer Schwester!"

Sie zögerte einen Augenblick mit der Antwort, dann meinte sie:

"Du sollst ihn haben. Jetzt aber beginne!"

Er blickte träumerisch vor sich hin; dann erhoben sich seine Arme zur Gestikulation, und ohne Pause oder Unterbrechung strömten ihm die Verse von den Lippen:

"Wenn um die Berge von Befour Des Abends erste Schatten wallen, Dann tritt die Mutter der Natur Hervor aus unterird'schen Hallen, Und ihres Diadems Azur Erglänzt von funkelnden Kristallen.

In ihren dunklen Locken blühn Der Erde düftereiche Lieder; Aus ungemess'nen Fernen glühn Des Kreuzes Funken auf sie nieder, Und traumbewegte Wogen sprühn Der Sterne goldne Opfer wieder.

Doch bricht der junge Tag heran, Die Tausendäugige zu finden, Läßt sie ihr leuchtendes Gespann Sich durch purpurne Thore winden, Sein Angesicht zu schaun, und dann Im fernen Westen zu verschwinden."

Das Mädchen war seinen Worten mit der Miene einer Kunstkennerin gefolgt. Sie neigte jetzt langsam den Kopf und meinte:

"Die Christen haben viele Dichter, aber Keiner von ihnen allen besitzt den schnellen, glänzenden Geist, der in Dir wohnt, Katombo."

|80A Er lächelte matt.

"Mein Volk rühmt und preist mich als seinen besten Dichter, Zarba, aber ich gebe allen Ruhm und allen Preis hin für einen freundlichen Blick und für ein gutes Wort von Dir. Ich nehme mir jetzt meinen Kuß!"

Er that einen Schritt auf sie zu, sie aber wehrte ihn mit einer schnellen Bewegung ihres Armes ab.

"Warte noch, denn Du bist nicht zu Ende!"

"Ich bin fertig!"

"Nein, denn Du hast Bhowannie geschildert blos wie sie erscheint an stillen, milden Abenden. Aber wenn sie ihrem Volke grollt, dann erblickst Du sie ganz anders. Der Himmel bedeckt sich mit Wolken; die Wogen stürzen sich mit -"

"Halt!" gebot er ihr. "Ich will nur Deinen Kuß, nicht aber Deine Unterweisung. Höre mich weiter, dann aber bin ich zu Ende und nehme mir meinen Lohn. Es ist dieselbe Göttin, darum sollen meine Worte auch dasselbe Gewand und denselben Vers besitzen."

Er besann sich kaum einige Sekunden lang, ehe er begann:

"Wenn um die Berge von Befour Des Abends dunkle Schatten wallen, Dann tritt die Mutter der Natur Hervor aus unterird'schen Hallen Und läßt auf die versengte Flur Des Thaues stille Perlen fallen.

Des Himmels Seraph flieht, verhüllt Von Wolken, die sich rastlos jagen; Die Erde läßt, von Schmerz erfüllt, Den Blumen bitt're Thränen tragen, Und um verborg'ne Klippen brüllt Die Brandung ihre wilden Klagen.

Da bricht des Morgens glühend Herz, Er läßt den jungen Tag erscheinen; Der küßt den diamant'nen Schmerz Von tropfenden Karfunkelsteinen Und trägt ihn liebend himmelwärts, Im Äther dort sich auszuweinen."

Er hatte geendet und ließ nun sein Auge forschend auf dem Antlitze des Mädchens ruhen. Sie blickte vor sich nieder, und die langen Wimpern verhüllten den Ausdruck dessen, was sie jetzt empfinden und denken mochte.

"Zarba!"

"Katombo!"

"Meinen Kuß!"

"Schenke ihn mir!"

"Sie erhob die Lider, und ihr Blick suchte halb kalt halb mitleidig den seinigen.

"Warum?"

"Was nützt er Dir?"

"Was er mir nützt? Was nützt dem Auge das Licht, dem Munde die Speise, dem Herzen das Blut? Soll das Auge erblinden, der Mund verstummen und das Herz brechen und sterben, weil sie nicht haben dürfen, was ihnen Leben gibt?"

"Stirbst Du ohne meinen Kuß?"

Seine Gestalt richtete sich höher auf und sein Auge flammte.

"Zarba, Du hast mich geliebt, mich allein. Wir sind Verlobte, und bald bist Du mein Weib. Du selbst hast es so gewollt, und die Vajdzina hat unsre Hände in einander gelegt. Wie oft hast Du gesagt, daß Du sterben müßtest ohne mich! Dein Herz hat an dem meinen geschlagen, Deine Lippe auf der meinigen geruht; wir haben zusammen gehungert und zusammen geschwelgt; ich habe Leben und Glück aus Deinem Auge getrunken - ja, ich würde sterben, wenn der Tod Dich mir entriß!"

"Ich sterbe nicht."

"Ich war noch nicht zu Ende. Ich würde freudig mit Dir sterben; aber wenn ich Dich anders verlieren sollte, als durch den Tod, so - so - so -"

"Nun, so - ?"

"So - so würde ich leben bleiben, denn ich hätte die Aufgabe zu erfüllen, welcher jeder Boinjaare kennt, dem ein Anderer sein Weib oder seine Braut entreißt!"

"Und die ist?"

"Rache!"

Sie blickte beinahe erstaunt zu ihm empor. Dann flog ein ungläubiges Lächeln über ihre Züge.

"Rache? Katombo und Rache? Hat der weiche Katombo jemals einen Wurm zertreten? Hat er ein einziges Mal für die |80B Seinigen das gethan, was die Christen Betrug und Diebstahl nennen? Du hast den Geist des Dichtens, aber Du bist kein Mann. Du sprichst von Boinjaarenrache und mußt jeden Mond Haar und Haut Dir dunkler färben. Bist Du ein Gitano?"

"Was gibt mehr Recht, ein Gitano zu sein: die kurze Stunde der Geburt oder die langen Jahre des Lebens? Der Vajda hat mich im Walde gefunden, und Niemand kennt meine Eltern; aber ich bin bei Euch gewesen allezeit, die Vajdzina nennt mich ihren Sohn, und daher darf ich sagen, daß ich ein Gitano bin. Gieb mir meinen Kuß!"

"So nimm ihn Dir!"

Sie sprach diese Worte kalt und gleichgiltig, ohne jede einladende Miene oder Bewegung. Seine Stirn verfinsterte sich; er rang mit dem aufwallenden Zorne, und seine Stimme zitterte leise, als er antwortete:

"Behalte ihn; aber vergiß niemals, daß Deine Lippen mir gehören, sonst müßte ich Dir beweisen, daß ich trotz meiner weißen Haut ein ächter Boinjaare bin!"

Seine Worte klangen wie eine Drohung, doch sein Auge glänzte feucht. Sie sah es, sprang empor und schlug die Arme um seinen Hals.

"Vergib mir!" bat sie, ihn küssend. "Ich habe Dich lieb, Katombo, aber -"

Sie stockte. Er legte den Arm um sie, drückte sie innig an sich und frug:

"Aber -? Sprich weiter, Zarba!"

"Ich kann nicht!" antwortete sie.

"Warum nicht?"

Sie sah mit einem Blicke zu ihm empor, in welchem es halb wie Scheu und halb wie Bitte um Vergebung glänzte.

"Du wirst es noch erfahren, Katombo; aber selbst dann noch mußt Du glauben, daß ich Dich immer lieb gehabt habe."

"Ich weiß es; aber seit einigen Tagen ist Dein Herz stumm, Dein Angesicht kalt, und dennoch leuchtet zuweilen Dein Auge wie ein Stern, dem eine Sonne neuen Glanz verliehen hat. Zarba, bleibe mein, damit ich nicht mich selbst mit Dir verliere!

Es lag wie eine große Angst in seinen schönen, ehrlichen Zügen, als er sie jetzt so fest an sich nahm, daß er ihr beinahe wehe that. In diesem Augenblick raschelte es in einem nahen Busche, und eine laute Stimme gebot:

"Faß, Tiger!"

Ein riesiger Fanghund schoß hinter dem Strauche hervor und warf sich von hinten auf Katombo.

"Nieder!" erscholl ein zweites Kommando.

Der Hund erfaßte den Zigeuner im Genick und riß diesen zu Boden, ehe er nur an Gegenwehr zu denken vermochte.

"Festhalten!"

Mit diesem Worte trat der Herr des Thieres jetzt herbei. Es war ein junger Mann von nicht viel über dem Alter des Zigeuners; er trug eine Jagdkleidung mit Uniformschnitt und ließ auch ohne dies in seiner ganzen Haltung und Erscheinung den Offizier erkennen.

Zarba war von dem Vorgange tief erschrocken, und dennoch ging eine tiefglühende Röthe über ihr braunes Angesicht. Der Fremde trat zu ihr und faßte ihre Hand.

"Wer ist der Mensch, der es wagt, Dich zu umarmen?" frug er.

"Katombo."

"Katombo -? Das ist sein Name, und mir nicht genug!"

"Er ist - mein - - Bruder," antwortete sie stockend.

"Dein Bruder? Nichts weiter?" frug er, den am Boden Liegenden mit finsterem Auge musternd.

"Nichts weiter!"

"Ah! Umarmt und küßt man einen Bruder in dieser Weise?"

Sie schwieg, sichtlich in tiefer Verlegenheit. Er legte den Arm um sie und zog sie trotz ihres Widerstrebens an sich.

"Wenn er wirklich nur Dein Bruder ist, so mag er auch sehen, was ich thue."

Er näherte seine Lippen ihrem Munde, kam aber nicht zum Kusse, denn ein lauter Schrei des Hundes ließ ihn hin nach diesem blicken. Trotz der Gefährlichkeit eines solchen Vorhabens hatte Katombo dem über ihm stehenden Thiere mit einer blitzschnellen Bewegung beide Hände um den Hals geschlagen und ihm die Kehle so zusammengedrückt, daß es machtlos zu Boden sank.

"Mensch, was wagst Du!" rief der Jäger, nach seiner Büchse fassend. "Laß ab vom Hunde, oder ich schieße Dich nieder!"

Katombo lag noch immer am Boden. Er lächelte ruhig.

"Vom Hunde lassen, daß er mich dann zerreißt?" frug er. "Mensch, Du bist außerordentlich klug!"

|81A Mit der Linken den Hund festhaltend, zog er mit der Rechten sein Messer hervor und stieß die Klinge desselben dem Thiere bis an das Heft zwischen die Rippen.

"So stirb!" schnaubte der Jäger, das Gewehr zum Schusse erhebend.

Er drückte auch wirklich ab. Der Zigeuner warf sich gedankenschnell zur Seite; die Kugel bohrte sich hart neben seinem Kopf in den Boden. Im Nu sprang er jetzt auf, stürzte sich auf den Gegner, riß diesen nieder und schwang sein Messer über ihm.

"Stirb Du jetzt!"

"Der Stoß wäre unbedingt tödtlich gewesen, wenn nicht Zarba den hoch erhobenen Arm gefaßt und mit Aufbietung aller Kraft gehalten hätte.

"Thue ihm nichts, Katombo, es ist der Herzog!"

"Und wenn er der König wäre! Warum hast Du vorher nicht auch ihm gesagt, daß er mir Nichts thun soll?"

Er versuchte, seinen Arm aus ihren Händen zu befreien, während er mit dem andern den sich bäumenden Gegner fest am Boden hielt. Es gelang ihm, und sicher hätte er seine Drohung wahr gemacht, wenn nicht ein zweites und viel nachhaltigeres Hinderniß eingetreten wäre.

"Halt!" erscholl es laut und gebieterisch von der Seite her, nach welcher hin sich das Lager der Zigeuner befand.

Es war die Vajdzina, welche den Schuß gehört hatte und mit den Ihrigen herbeigeeilt war. Sie schlug bei dem Anblicke des zu Boden Gerissenen vor Schreck die Hände zusammen.

"Der Herzog! Der hohe, gute, schöne, blanke Herr, der uns erlaubt hat, hier im Gehege zu lagern und so viel Wild zu verspeisen, wie wir wollen! Bist Du wahnsinnig, Katombo? Laß ihn los!"

Der Zigeuner gehorchte und erhob sich, doch ohne das Messer wegzuthun. Auch der Jäger stand auf; sein Angesicht glühte vor Grimm und Beschämung. Die Zigeunermutter ließ sich vor ihm auf das Knie nieder und zog den Saum seines Rockes an die Lippen.

"Verzeiht ihm, großmächtigster Herr! Er ist sanft und gut, und Ihr müßt ihn sehr gereizt haben, daß er es gewagt hat, sich an Euch zu vergreifen."

|81B "Gereizt? Kann ein solcher Bube sich erfrechen, sich für gereizt zu erklären von dem Herzog von Raumburg?"

"Er wollte Zarba küssen und schoß auf mich!" entschuldigte sich Katombo.

"Er erstach meinen besten Hund!" knirschte der Herzog. "Hund um Hund, Blut um Blut!"

Er griff nach der Büchse, die ihm entfallen war. Ihr zweiter Lauf war noch geladen. Er erhob sie, um gegen Katombo loszudrücken. Da aber trat Einer aus der Zahl der Zigeuner hervor und stellte sich vor die Mündung des Gewehres.

"Legt die Waffe weg, Herr! Mein Name ist Karavey; Katombo ist mein Bruder, und wenn Ihr nicht von ihm laßt, so ist es sehr leicht möglich, daß es Euch wie Eurem Hunde geht!"

"Oho! Wollt Ihr Beide des Todes sein? Ich pflege nicht zu spassen, am allerwenigsten aber mit Gesindel von Eurer Sorte!"

Die Vajdzina trat nochmals zwischen die Streitenden.

"Seid gnädig, Herr General! Der Zorn spricht oft Worte, von denen das Herz Nichts wissen mag. Der Gitano kennt keinen andern Richter als seinen Vajda und seine Vajdzina; jedem andern weiß er sich zu entziehen; das gebietet ihm sein Gesetz. Wenn Katombo Euch beleidigt hat, so klagt ihn an, und ich werde ihn zu strafen wissen."

Der Grimm des Herzogs schien einer entgegengesetzten Gesinnung Platz zu machen; er lächelte satyrisch und meinte:

"Ihr wollt die Richterin sein? Nun wohl; ich werde mich Eurem Gebrauche fügen. Dieser Mensch hat meinen Hund getödtet und mir nach dem Leben getrachtet; womit werdet Ihr ihn bestrafen?"

"Welche Strafe verlangt Ihr?"

"Ich verlange sein Leben, fünfzig Hiebe für Denjenigen, der sich seinen Bruder nannte, und dann die Räumung des Geheges. Ich habe Euch aus Gnade und Barmherzigkeit die Erlaubniß ertheilt, hier sein zu dürfen, und es kann nicht meine Absicht sein, dafür in Lebensgefahr zu schweben."

"Hoher Herr, Eure Güte war groß, aber die Dankbarkeit der Vajdzina war auch so, wie Ihr sie verlangtet," antwortete die Alte mit einem unwillkürlichen Seitenblick auf Zarba. "Ihr hetztet den Hund auf Katombo, daher wurde er von diesem getödtet; Ihr |82A wolltet Katombo erschießen, daher suchte er sich zu vertheidigen. Wählt eine mildere Strafe!"

"Nun wohl, Alte, ich will mich auch jetzt noch gnädig finden lassen. Ich hetzte den Hund auf diesen Burschen, der sich von Zarba küssen ließ, und er tödtete ihn, weil dann ich sie küssen wollte. Wenn jetzt Zarba vor allen Euren Augen mich dreimal küßt, soll Alles vergeben sein."

Das Mädchen erglühte und Niemand antwortete,

"Nun?" frug der Offizier. "Es steht in Eurer Wahl, meine Gnade zu haben oder vor einem andern und strengen Gerichte zu stehen!"

Die Vajdzina erhob die Hand gegen Zarba:

"Gehe hin und küsse ihn!"

"Halt!" rief Katombo. "Zarba ist meine Braut; ihr Kuß darf keinem Andern gehören, als nur mir allein!"

Der Offizier lächelte verächtlich.

"Ich gebe Euch nur eine Minute Zeit; dann ist es zu spät, und ich lasse die beiden Burschen arretiren."

"Küsse ihn!" gebot die Mutter zum zweiten Male.

Obgleich tief verlegen und mit verschämtem, glühendem Angesichte, that Zarba doch einen Schritt nach dem Herzog hin.

"Bleib, Zarba," rief ihr Bruder Karavey. "Eine Gitana küßt nur den Zingaritto!"

"Und mich wirst Du verlieren, wenn Du ihn küssest," fügte Katombo hinzu.

"So seid Ihr Alle verloren," entschied der Herzog. "Räumt sofort das Gehege! Wer in einer Viertelstunde in demselben noch betroffen wird, wird als Wilddieb behandelt. Und für die beiden stolzen Gitani werde ich noch extra Sorge tragen."

"Küsse ihn!" befahl die Mutter zum dritten Male.

"Ich muß, denn die Vajdzina gebietet es!" klang die Entschuldigung Zarba's.

Sie trat schnell auf den Herzog zu, legte die Arme um seinen Nacken und drückte drei flüchtige Küsse auf seine Lippen. Katombo stieß einen Schrei des Schreckens und der Wuth aus und wollte sie zurückreißen; der Vajda aber ergriff ihn am Arme.

"Halt, Katombo! Die Vajdzina hat es geboten, und was sie befiehlt, das wird ohne Widerrede befolgt. Können wir nun bleiben, hoher Herr?"

"Bleibt!" antwortete der Befragte. "Doch hütet Euch in Zukunft sehr, etwas gegen meinen Willen zu unternehmen. Habt Ihr einen Wunsch, so soll ihn mir Niemand sagen, als nur Zarba allein. Merkt Euch das!"

Er wandte sich und ging, ohne Jemand noch eines Blickes zu würdigen. Am Ausgange des Geheges traf er auf einen Wildhüter, welcher mit der Miene tiefster Unterthänigkeit militärisch grüßte.

"Wer hat heut Dienst, Stephan?"

"Alle, Excellenz, da keiner Urlaub nahm."

"Kennst Du sämmtliche Zigeuner?"

"Ja."

Seine Miene ließ errathen, daß die Anwesenheit der Genannten nichts weniger als seine Billigung hatte.

"Auch den, welchen sie Katombo nennen?"

"Auch den. Er ist noch das beste Mitglied der ganzen Sippschaft."

"Warte, bis ich ein solches Urtheil von Dir verlange! Übrigens sollt Ihr die Leute baldigst loswerden; sie haben sich gröblich gegen mich vergangen und werden ihre Strafe erhalten, doch wünsche ich nicht, daß hiervon gesprochen wird. Kannst Du schweigen?"

"Excellenz kennen mich wohl!"

"Allerdings. Getraust Du Dich, diesen Katombo gefangen zu nehmen?"

"Ich werde jedem Befehle Eurer Excellenz gehorchen."

"Es soll jedes Aufsehen dabei vermieden werden!"

"Sehr wohl!"

"Besonders soll Niemand wissen, wer den Befehl gegeben hat und wohin der Gefangene kommt."

"Werde es so einzurichten wissen."

"Ich komme heut Abend in den Forst. Katombo wird sich dann gefesselt im Blößenhause befinden."

"Wie viel Uhr?"

"Elf."

"Werde pünktlich sein, Excellenz. Doch wenn er sich wehrt oder zu laut wird, welche Mittel darf ich in Anwendung bringen?"

"Jedes beliebige, welches dazu dient, ihn zum Schweigen zu bringen."

"Und wenn dann dieses Schweigen etwas länger dauern sollte, als man vorher annehmen konnte?"

"So wird Dir nicht der geringste Schaden daraus erwachsen. |82B Ich will heut Abend Punkt elf Uhr den Zigeuner im Blößenhause haben, das Übrige zu arrangiren ist lediglich meine eigene Sache. Du hast Dich zu der vierten Unterförsterstelle gemeldet?"

"Nein."

"Warum nicht?"

"Weil ich mich der Protektion des Oberförsters nicht zu erfreuen scheine und weil ich auch noch nicht eine solche Dauer mich im Dienste befinde, daß ich auf Berücksichtigung rechnen könnte."

"Melde Dich!"

"Wenn Durchlaucht befehlen, werde ich es thun!"

"Du wirst die Stelle haben und Deine weitere Zukunft steht ebenso in meiner Hand, wie Du wohl wissen wirst. Nur merke Dir, daß ich strikte Erfüllung meiner Befehle und die strengste Verschwiegenheit liebe."

Er ging.

Stephan trat zum Thore des Geheges zurück, welches er zuvor offen gelassen hatte, und verschloß es.

Es war früher stets streng verwahrt gewesen, damit das Wild nicht aus dem Gehege zu entfliehen vermochte. Vor einigen Wochen jedoch hatte der Herzog den Befehl ertheilt, eine Zigeunerbande in das Letztere aufzunehmen, ihr den nöthigen Aus- und Eingang zu gestatten und es nicht zu bemerken, wenn diese Leute zuweilen ein Wildpret für ihren eigenen Bedarf verwenden sollten. Diese sonderbare Ordre hatte böses Blut unter dem sämmtlichen Aufsichtspersonale hervorgerufen. Zigeuner im Wildgehege, welches sonst auch dem höchsten Staatsbeamten, dessen Ressort sich nicht auf die Forstwirthschaft erstreckte, verschlossen blieb! Hierzu mußte es eine sehr dringende und vielleicht auch eigenthümliche Veranlassung geben. Man forschte nach ihr und fand sie auch sehr bald.

Unter der Bande befand sich ein Mädchen von so seltener, wunderbarer Schönheit, daß sie Jeden entzückte, der sie zu Gesichte bekam. Auch der Herzog hatte sie gesehen und kam nun täglich in das Gehege, um mit ihr zusammenzutreffen; dies geschah theils in Gegenwart der Zigeuner, theils aber auch heimlich, wie die Forstleute beobachteten, und nun war das Räthsel gelöst. Die Bande durfte ihren Aufenthalt im Wildgarten nehmen und sich sogar an den gehegten Thieren vergreifen, damit der Herzog Gelegenheit finde, mit der schönen Zarba zu verkehren. Das Mädchen schien in ihrer Unerfahrenheit von einem Rausche ergriffen zu sein. Man hatte sie oft an der Seite, ja in den Armen des Herzogs gesehen, und daher kam es dem Forstwart Stephan ganz unerwartet, daß so gewaltthätige Maßregeln gegen ein Mitglied ihrer Familie ergriffen werden sollten, und ebenso war er über die unverhoffte Mittheilung erstaunt, welche sich auf die Entfernung der Zigeuner bezog.

Allerdings frug er sich nicht nach den näheren Gründen des ihm gewordenen Auftrages; der Herzog war sein höchster Vorgesetzter, von dessen Wohlwollen seine ganze Zukunft abhing, und da er ein keineswegs empfindsames Gemüthe besaß, so konnte es bei ihm nichts anderes als den blindesten Gehorsam geben. Den Eingang hatte er verschlossen, um der Gegenwart Katombo's sicher zu sein; jetzt schritt er der Richtung zu, in welcher sich das Zigeunerlager befand.

In der Nähe desselben vernahm er eine zornige Stimme und erkannte, vorsichtig näher tretend und hinter dem Stamme eines Baumes Posto fassend, Katombo, welcher mit zorniger Miene vor Zarba stand.

"Sagte ich Dir nicht, daß ich Dir verloren sei, wenn Du ihn küßtest? Und dennoch hast Du es gethan!" warf er ihr vor.

"Ich habe es gethan, doch nur um Deinet- und um Karaveys willen," antwortete sie.

"Das glaube ich nicht! Warum verweigertest Du mir den Kuß, als wir noch alleine waren? Warum schickt die Vajdzina mich stets zur Stadt, wenn dieser Herzog in das Gehege kommt? Sollst vielleicht Du das Fleisch, welches wir genießen, bezahlen und die Erlaubniß, hier im Walde bleiben zu dürfen?"

"Bist Du eifersüchtig?" frug sie mit einem Lächeln, in welchem sich doch ein gewisser Grad von Verlegenheit zeigte, welchen er bemerken mochte.

"Eifersüchtig? Ein verständiger Mann kann nie eifersüchtig sein, und ich glaube sehr, daß ich meinen Verstand habe. Der Mann eines treuen Weibes und der Verlobte eines braven Mädchens, Beide haben keine Veranlassung zur Eifersucht; welches Weib aber diese Veranlassung gibt, die ist nicht mehr werth, daß sich das Herz des Mannes mit ihr beschäftigt."

"Ich mußte thun, was mir die Vajdzina gebot!"

"Du mußtest thun, was ich Dir gebot, denn Deine Lippen waren mein Eigenthum seit dem Tage, an welchem Du mir sagtest, daß Du mich liebtest und meine Braut wurdest. Du hast mir dies Eigenthum zurückgeraubt und an einen Andern verschenkt, der nur |83A ein schnödes Spiel mit Dir treibt; ich lasse es ihm, denn ich verzichte auf jeden Mund, den ein Zweiter nach mir küßte; aber dieser Herzog wird einst besser glauben als vorhin Du, daß ich ein ächter Boinjaare bin, der einen solchen Raub zu vergelten weiß. Meine Schwester wirst Du bleiben, meine Braut aber bist Du gewesen, und mein Weib wirst Du niemals sein!"

Ihr Auge flammte auf.

"So verachtest Du mich?"

"Nein, sondern ich bemitleide Dich und werde den Raub, den Du an mir begingst, zu rächen wissen, zwar nicht an Dir, sondern an ihm, denn Deine Strafe erhältst Du ganz von selbst, gerechter, größer und schwerer, als ich sie Dir bestimmen könnte."

"So wagst Du, mit Deiner einstigen Vajdzina zu sprechen! Du sagst, daß Du mich nicht zum Weibe magst - weißt Du denn, o ich Dich noch zum Manne begehre? Welche Strafe könntest Du mir geben, welche Strafe könnte mich außerdem noch treffen? Katombo, der Geist des Irrsinns ist über Dich gekommen; bete zu Bhowannie, daß sie Dich vom Wahnsinne errette! Und wenn Deine Seele wieder licht und klar geworden ist, dann wirst Du erkennen, daß Zarba nicht nöthig hat, bei Dir um Vergebung und Liebe zu betteln. Vergebung braucht sie nicht, denn sie hat nicht gegen Dich gesündigt, und Liebe findet sie überall, mehr als manche feine blanke Dame, die ihr Auge vergebens zu Fürsten und Herzogen erhebt."

Er blickte ihr mit unendlichem Mitleide in das glühende Angesicht.

"Zarba, nicht mich umfängt der Wahn, sondern Dich; nicht ich werde erwachen, sondern Du wirst es, und dann wirst Du Dich nach Vergebung sehnen, wie der Blinde nach dem Lichte der Sonne!"

"Was habe ich gethan, daß Du es mir vergeben müßtest? Ist ein Kuß, in Deiner Gegenwart gegeben, ein Verbrechen?"

"In meiner Abwesenheit ein Diebstahl, in meiner Gegenwart aber noch mehr, ein gewaltsamer Raub, in beiden Fällen aber eine Untreue."

"Ich war nicht untreu!" behauptete sie fest.

"Was ist die Untreue? Eine Gesinnung, die im Charakter wohnt, im Herzen arbeitet und ihre Früchte durch das Auge, die Hand und den Mund nach Außen treibt. Seien diese Früchte gereift oder nicht, seien ihre Thaten vollendet oder begonnen, spreche sie durch den Blick, das Wort oder die That, die Gesinnung, die Untreue wohnt tief unten und ist ganz dieselbe. Ich kann einem Weibe verzeihen, von der ein Mann Alles nahm, was mir gehörte, wenn ihr Herz nur mein verblieb, und ich kann ein Weib für immer von mir stoßen, obgleich nur ein einziger ihrer Blicke mit Wünschen an einem Andern hing, denn ihr Herz war mir entflohen. Die Vajdzina schickte mich fort, wenn der Herzog kam; ich habe Dich also nicht beobachten und belauschen können; aber ich habe die Röthe Deiner Wangen gesehen, als er uns vorhin überraschte; ich habe die Sprache Deines Auges verstanden, als er den Kuß von Dir nehmen wollte, da ich unter dem Hunde lag; ich habe den entsetzten Schlag Deines Pulses gefühlt, als ich das Messer über ihm zuckte. Dein Herz ist nicht mehr mein; es gehört ihm. Und wenn es wieder zurückkehren wollte, ich möchte es nicht haben, denn nur der unvernünftige hilflose Säugling genießt den Bissen, den ein anderer Mund ihm vorkaut."

Er mußte sie mit jedem Gedanken seiner Seele lieb gehabt haben, das war aus dem knirrschenden Grimme zu hören, mit welchem er seine letzten Worte sprach. Der Schweiß stand in Tropfen auf seiner Stirn; seine Zähne waren zusammengepreßt, und sogar die aufgetragene Farbe vermochte nicht, das tödtliche Bleich seiner Wangen vollständig zu verdecken. Das Mädchen bemerkte von dem Allem nichts; der Zorn hatte sie jetzt so vollständig übermannt, daß ihre Stimme beinahe heiser klang, als sie höhnisch antwortete:

"Nun wohl, hältst Du mich für die Geliebte eines Herzogs, so mußt Du wissen, daß Du ein armseliger Wicht bist gegen einen solchen Mann. Es wird niemals einer Amme in den Sinn kommen, Dir meine Liebe vorzukauen. Ich verlache Dich und alle Deine Drohungen!"

Mit einigen raschen Schritten war sie hinter den Bäumen verschwunden.

Er hatte vorhin durch seinen Angriff auf den Herzog bewiesen, daß es ihm an Muth und Kraft nicht fehle; jetzt aber, da die Wirklichkeit seines Verlustes unerschütterlich und unwiderruflich vor ihm lag, schlang er die Arme um den Stamm des nächsten Baumes und drückte seine glühende Stirn fest an die harte, rauhe Rinde desselben.

So stand er lange Zeit. Da plötzlich fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Er blickte auf; der Wildheger Stephan stand vor ihm.

|83B "Bist Du Katombo?"

"Ja," antwortete er in einem Tone, als erwache er soeben aus einem schweren, tiefen Traume.

"Ist nicht Zarba, die junge Zigeunerin, Deine Braut?"

"Warum fragst Du?"

"Weil ich Dir dann Etwas zu vertrauen habe."

"Was?"

"Sind wir hier unbelauscht?"

"Ist es ein Geheimniß, was Du mir zu sagen hast?"

"Ja. Ich bin ein Freund von Dir und möchte Dir gern heut einen großen Dienst erweisen."

Katombo blickte dem Hüter mißtrauisch in das Angesicht.

"Mein Freund? Seit wann willst Du es sein? Hast Du uns nicht von Allen am meisten gekränkt und verfolgt?"

"Dich nicht, sondern die Andern, die alle falsch und heimtückisch sind. Du hast uns nie Holz oder ein Wild gestohlen; darum habe ich Dich gern und möchte es Dir beweisen."

"So komme ein Stück fort von hier!"

Sie schritten mit einander ein Stück in den Wald hinein, bis sie eine Stelle erreichten, an der sie sicher sein konnten nicht gesehen und gehört zu werden. Hier blieb der Zigeuner stehen.

"Jetzt sprich!"

"Kennst Du das Blößenhaus?"

"Das kleine, steinerne Häuschen auf dem freien Platze, welches immer verschlossen ist?"

"Ja."

"Ich kenne es. Was ist mit ihm?"

"An seiner hinteren Seite steht eine Bank."

"Ich kenne sie."

"Auf dieser Bank habe ich Zwei sitzen sehen, Abends im Mondesscheine."

"Zwei Männer?"

"Nein; ein Mann und ein Mädchen."

"Ah! Wer waren sie?"

"Willst Du es wirklich wissen?"

"Wolltest Du nicht mit mir sprechen, um es mir zu sagen?"

"Allerdings. Das Mädchen war Zarba, Deine Braut."

"Sagst Du die Wahrheit?"

"Es steht bei Dir, ob Du es glauben willst oder nicht."

"Ich glaube es. Wer war der Mann?"

"Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen; er saß so, daß es mir abgewendet war."

|84A "Das ist unmöglich! Sie saßen doch jedenfalls neben einander, und wenn Du ihr Gesicht gesehen hast, mußtest Du auch das seinige erkennen."

"Sein Kopf lag an ihrer Brust."

"Das geschieht nicht für immer; er muß ihn auch zuweilen erhoben haben. Du willst mir seinen Namen nicht verrathen."

"Und wenn es so wäre?"

"Ich würde ihn dennoch kennen. Wenn Du so vorsichtig bist, so muß es ein Vorgesetzter von Dir sein."

"Ja."

"Der Förster ist es nicht, denn dieser liebt sein junges, gutes Weib; der Oberförster auch nicht, denn dieser ist uns feindlich gesinnt und so alt, daß er sich des Abends zu keinem jungen Mädchen an das Blößenhaus setzt. Außer diesen Beiden kommt nur ein Dritter noch in das Gehege; dieser muß es ein, und weil er ein so hoher und gewaltiger Herr ist, willst Du mir nicht sagen, wie er heißt."

"Ich darf keinen Namen nennen, weil ich sonst meine Stellung verlieren könnte; aber das will ich Dir sagen, daß Du ein sehr scharfsinniger Bursche bist."

"Daß er zu Zarba kommt, weiß ich nun auch; aber des Nachts soll er von ihr lassen; dafür werde ich Sorge tragen!"

"Wie willst Du das anfangen?"

"Sie darf das Lager nicht verlassen."

"Thor! Kannst Du Dir nicht denken, daß die Alte diese Liebschaft nach allen Kräften beschützt, weil Ihr große Vortheile aus derselben zieht? Sie sendet Dich in die Stadt, wenn er kommt; sie wird auch ihre Vorkehrungen treffen, daß Du die nächtlichen Zusammenkünfte nicht zu stören vermagst. Die Sache müßte ganz anders angefaßt werden."

"Wie?"

"Ich will Dir gestehen, daß auch mir diese Schleichereien des hohen Herrn nicht angenehm sind; es gibt so Manches, was man am Liebsten thut, ohne von einem solchen Beobachter gesehen zu werden. Daher möchte ich ihm einen Streich spielen, der ihm das Wiederkommen verleidet. Willst Du mir dabei helfen, Katombo?"

"Gern, wenn ich mich auf Dich verlassen kann!"

"Gewiß kannst Du das! Hier hast Du meine Hand darauf!"

|84B Er reichte ihm die Rechte hin, in welche der Zigeuner einschlug. Dann fuhr er fort:

"Als der Mann, den ich nicht nennen will, vorhin das Gehege verließ, begegnete ich ihm, und er befahl mir, daß ich die alte Steinbank heut noch mit weichem Wassermoos belegen solle; bis zur Dämmerung muß die Arbeit fertig sein."

"So will er gewiß heut Abend kommen!"

"Das vermuthe ich auch und zwar mit Sicherheit. Wenn wir dann im Häuschen wären, könnten wir das Paar belauschen und jedes Wort vernehmen, denn gerade über der Bank befindet sich die einzige Fensteröffnung, die das alte Gebäude hat. Das Übrige könnten wir dann nach den Umständen einrichten, welche sich ergeben."

"Ich bin dabei, sicher und gewiß! Aber der Schlüssel zu dem Häuschen, wer hat den?"

"Er hängt beim Förster, und Niemand bemerkt es, wenn ich ihn an mich nehme."

"Willst Du dies thun?"

"Ja, vorausgesetzt, daß Du auch wirklich mitmachst."

"Darüber gibt es keinen Zweifel mehr! Aber die Zeit?"

"Es war elf Uhr vorüber, als ich die Beiden bei einander sitzen sah, also wird es um Zehn wohl Zeit für uns sein."

"Ich komme. Wo treffen wir uns?"

"Am Besten unter der großen Buche, welche der Thür des Häuschens am Waldrande gegenübersteht."

"Gut!"

Sie gingen auseinander; der Wildhüter mit dem Bewußtsein, sein Opfer bereits in der Schlinge zu haben, und Katombo mit einem Herzen, in welchem gebrochene Liebe, Haß und der feste Vorsatz, Rache zu nehmen, eng bei einander wohnten.

Er rührte das fertig gewordene Wildpret, um welches die schmausende Zigeunerbande saß, als er den Lagerplatz erreichte, nicht an, sondern warf sich in das Moos und gab sich Mühe, schlafend zu erscheinen. Nach dem Mahle legte sich Karavey zu ihm.

"Katombo!"

Er antwortete nicht.

"Glaube nicht, daß ich denken soll, Du schläfst! Der Schmerz kennt keinen Schlummer und keine Ruhe."

"Was willst Du?"

|85A "Dir sagen, daß ich stets Dein Bruder und Dein bester Freund gewesen bin."

"Ich weiß es, Karavey!"

"Was wirst Du thun?"

"Ich? Was soll ich thun? Der arme, verachtete Zingaritto gegen einen großmächtigen Herzog? Nichts!"

"So willst Du Dich nicht an ihm, sondern an Zarba rächen?"

"An ihr? Niemals! Ich habe sie geliebt."

"Täusche mich nicht! Als Du kamst, las ich in Deinen Augen, daß ein fester Entschluß in Deiner Seele wohnt. Des Freundes Blick ist scharf. Sage mir, was Du vorhast, und ich werde Dir beistehen mit allen meinen Kräften!"

"Laß mich, Karavey! Du bist Zarba's rechter Bruder; ich darf Dir mein Geheimniß noch nicht mittheilen."

"So versprich mir wenigstens, daß ihr kein Leid geschieht!"

"Ich verspreche es!"

"Und daß Du nicht Etwas vornimmst, was Dich unglücklich machen kann!"

"Auch das verspreche ich, obgleich ich bereits so unglücklich bin, daß ich gar nicht unglücklicher werden kann."

"Willst Du uns verlassen?"

"Ich weiß es nicht. Ich will ein freier Mann sein, dem die Vajdzina nicht zerstörend in das Leben greifen darf; aber ich bin ein Sohn Eures Volkes geworden und möchte es bleiben, weil Dankbarkeit in meinem Herzen wohnt."

"Schwöre mir bei Bhowannie, der Schrecklichen, daß Du nicht von uns gehst, ohne es mir vorher zu sagen!"

"Ich schwöre es!"

"Vielleicht gehe ich dann mit Dir. Der Gitano darf keinen Willen haben als den seines Vajda und seiner Vajdzina; aber wenn diese Beiden die eigene Tochter, das beste Kind des Stammes, das schönste Mädchen des Volkes, die einst selbst Vajdzina werden soll, einem lüsternen Christen opfern, so werde ich mich gegen ihren Befehl auflehnen und, wenn dies Nichts hilft, den Stamm verlassen. Die Welt ist groß und weit; der Gitano hat keine Heimath und weiß, daß nur die Fremde ihm gehört."

Das flüsternd geführte Gespräch war zu Ende, und die beiden Jünglinge lagen, in trübe Gedanken versunken, neben einander, während die andern dachten, daß sie schliefen. So verging ein Theil des Nachmittages, bis der Vajda mit Karavey und den andern Männern in den Wald gingen, um sich ein Wild zu holen. Die Frauen und Mädchen blieben zurück, doch lag auch auf ihnen in Folge des heutigen Erlebnisses ein Druck, der eine lebhafte Unterhaltung nicht aufkommen ließ.

Katombo erhob sich jetzt, um mit seinen Gedanken durch den stillen, lautlosen Forst zu streichen. Darüber verging Stunde um Stunde, bis es beinahe zehn Uhr war. Jetzt schlug er den Weg nach dem Blößenhause ein.

Die kleine Lichtung, in deren Mitte es stand, war rings von hohen Tannen umgeben, zwischen denen zuweilen der hohe Wipfel einer Eiche oder Buche emporragte. Das Häuschen selbst war einstöckig, von starken Mauern aufgeführt, und besaß eine dicke Bohlenthür, welche mit starkem Eisen beschlagen war. Das kleine Fenster an seiner hinteren Seite hatte kaum genug Umfang für den Kopf eines Mannes und war mit starken, tief eingefugten Eisenstäben versehen. Das Bauwerk hatte einst zu verschiedenen Jagdzwecken gedient, stand aber jetzt vollständig leer und unbenutzt, und selbst der alte Oberförster wäre in Verlegenheit gerathen, wenn man ihn gefragt hätte, vor wie viel Jahren es zum letzten Male von einem menschlichen Fuße betreten worden sei.

Katombo schlich sich längs des Blößenrandes hin und bemerkte bei dem halben Scheine des Mondes, daß die Bank hinter dem Hause nicht besetzt sei. Bei der Buche angekommen, traf er auf den Waldhüter, der ihn bereits erwartet hatte.

"Das ist pünktlich," meinte dieser. "Es wird gleich zehn Uhr schlagen."

"Und es ist noch Niemand hier."

"Ich habe sie jetzt auch noch gar nicht erwartet. Wir müssen ja eher kommen als sie, sonst könnten sie uns bemerken."

"Hast Du den Schlüssel?"

"Ja. Komm!"

Sie schritten auf das Häuschen zu. Bei demselben angekommen, zog der Hüter den langen, rostigen Hohlschlüssel hervor und öffnete. Das Schloß kreischte und die alten Angeln krachten laut auf; eine dumpfe, feuchte Luft schlug ihnen entgegen; sie traten ein.

"Der Laden ist zu. Soll ich ihn öffnen?" frug Katombo.

"Ja."

Der Zigeuner trat zur hinteren Wand des finstern Raumes und faßte mit den beiden Händen empor, um die Konstruktion des |85B Verschlusses zu untersuchen. In diesem Augenblicke erhielt er einen Schlag von hinten über den Kopf, daß er mit einem unartikulirten Schmerzenslaute zusammenbrach; ein zweiter Hieb des sofort auf ihn niederknieenden Stephan traf ihn so, daß er die Besinnung vollends verlor.

Als er erwachte, fühlte er sich an Händen und Füßen gefesselt, und ein Knebel stak in seinem Mund. Neben ihm saß ein Mann, den er nicht erkennen konnte, theils wegen der Dunkelheit und theils wegen der Schmerzen, welche ihm die beiden Hiebe verursachten. Seine Gedanken waren wirr, und trotz der tiefen Finsterniß sah er glühend feurige Räder vor seinen Augen rollen.

Tiefe Stille herrschte in dem engen Raume, bis sich nach ihm unendlich scheinender Zeit die Thür öffnete, um eine zweite Gestalt einzulassen.

"Stephan!" hörte er.

"Hier."

"Gelungen?"

"Ja."

"Wo ist er?"

"Hier neben mir."

"Gefesselt?"

"Fest. Ich habe ihm Zwei über den Kopf gegeben, daß er unter einer Stunde sicher nicht erwacht."

"Aber er lebt noch?"

"Sein Puls geht noch."

"So ist ein Knebel nöthig, damit er Ruhe hält!"

"Er hat ihn schon. Aber wer seid Ihr? Ich habe doch niemand erwartet als den Herz - - -"

"Halt, keinen Namen! Ihr dürft Euch nie wieder an das erinnern, was heut Abend geschehen ist. Ich bin abgesandt worden, den Gefangenen zu holen, und daß ich der Richtige bin, werdet Ihr mir wohl ohne weitere Beweise glauben."

"Ich glaube es. Aber wie wollt Ihr ihn transportiren, und wohin soll er gebracht werden?"

"Das ist nicht Eure, sondern meine Sache. Ich habe Euch nur zu melden, daß Ihr das Gesuch um die Stelle nicht vergessen sollt."

Er trat zur Thür. Auf seinen leisen Ruf erschien ein Dritter in derselben.

"Anfassen!"

Sie hoben den widerstandslosen Gefangenen empor.

"Verschließt das Häuschen, Stephan, und geht zur Ruhe. Alles Andere werden wir selbst besorgen. Gute Nacht!"

"Gute Nacht.

Die beiden Männer verschwanden mit ihrer Bürde im Dunkel. Sie mußten den Weg kennen, oder er war ihnen sehr genau beschrieben worden, denn sie erreichten ohne Anstoß und sonstiges Hinderniß das Eingangsthor, welches nur anlehnte. Sie verschlossen es, nachdem sie Katombo draußen niedergelegt hatten, mit einem Schlüssel, welchen der Eine von ihnen in der Tasche bei sich führte. Dann brachten sie den Gefesselten nach einem Wagen, der ganz in der Nähe hielt. Er wurde in denselben gehoben; einer seiner Begleiter nahm neben ihm Platz; der andere bestieg den Bock, und dann ging es fort, erst langsam und vorsichtig, dann aber, als man den Wald verlassen hatte, im raschen Trabe auf ebener Straße.

Der Knebel war so fest angebracht, daß Katombo kaum die nöthige Luft zum Athmen bekam; dennoch aber zog sein Wächter jetzt ein Tuch hervor und band es ihm um den Kopf, so daß seine Augen nicht das Mindeste zu erkennen vermochten.

Nach längerer Zeit rollten die Räder über hartes Straßenpflaster, bis der Wagen hielt. Katombo wurde herausgehoben und in einen Kahn geschafft, welcher noch so lange am Ufer des Flusses halten blieb, bis der Kutscher, welcher mit dem Geschirr weiterfuhr, zurückkehrte und zum Ruder griff.

Lautlos ging es über das Wasser bis an den Garten des herzoglichen Palais, wo der Zigeuner aus dem Boote genommen und nach einer kleinen Pforte getragen wurde, an welcher eine hohe, tief verhüllte Gestalt wartete.

"Habt Ihr ihn?"

"Ja."

"Hinunter mit ihm! Den Knebel und die Beinfesseln könnt Ihr ihm dann nehmen; die Arme aber bleiben gefesselt!"

Katombo erkannte diese harte Stimme sofort; es war diejenige des Herzogs von Raumburg, und nun durchschaute er den ganzen Plan, dessen Opfer er auf so leichtsinnige und vertrauensvolle Weise geworden war.

Er fühlte, daß man ihn eine steile, schmale Treppe hinabtrug. Unten ging es eine Strecke eben fort; dann wurde eine Thür geöffnet, deren schwere Riegel er laut klirren hörte. Man legte ihn nieder, |86A zog ihm den Knebel aus dem Munde, entfernte die Stricke, welche sich um seine Beine schlangen, und schloß dann hinter ihm sorgfältig wieder zu.

Wo war er?

In der Gewalt des Herzogs, seines Nebenbuhlers, so viel war ihm sicher. Den Ort freilich, an welchem er sich befand, konnte er nicht bestimmen. Er kannte weder die Wohnung des Herzogs, noch hatte er während des Transportes einen Blick durch das Tuch zu werfen vermocht; er wußte nur, daß er auf widerrechtliche und gewaltthätige Weise gefangen genommen worden war durch die Kreaturen oder Schergen eines Gegners, von dem er weder Schonung noch Gnade zu erwarten hatte.

Er wollte sich erheben, um sein Gefängniß zu untersuchen; an dem Letzteren hätten ihn seine Fesseln gehindert, und das Erstere wollte ihm nicht gelingen, da der Blutumlauf seines Körpers in Folge der festen Banden stockte und sein Kopf ihn noch mehr schmerzte als vorher. Er blieb nach einigen vergeblichen Anstrengungen in vollständiger Apathie liegen und sank nach und nach in einen tiefen, lethargischen Schlaf, der sich wohlthätig zu ihm niederneigte.

Als er aus demselben erwachte, war es ihm unmöglich, zu bestimmen, wie lange er geschlafen habe; lange, sehr lange aber mußte es sein, denn er fühlte sich vollständig gekräftigt; der Schmerz an seinem Kopfe war verschwunden, und nur die Fesseln seiner Hände verursachten ihm eine unerträgliche Pein.

Er erhob sich. Es war vollständig dunkel in dem Raume. War es die Finsterniß der Nacht oder hatte der Kerker gar keine Fenster- oder sonstige Öffnung? Er konnte dies nicht entscheiden und tappte sich rings an den Wänden hin. Soweit seine Gestalt reichte, fühlte er nur kalte, geschlossene Mauern, deren einzige Unterbrechung in der Thür bestand, durch welche man ihn hereingeschafft hatte.

Noch war er mit der Untersuchung der engen Zelle beschäftigt, als er draußen Schritte vernahm. Die Riegel klirrten; die Thür öffnete sich, und ein heller Lichtschein drang zu ihm herein. In demselben bemerkte er jetzt sehr deutlich, daß sein Gefängniß kein Fenster hatte; es war im Kellerraume angebracht und zeigte keine einzige Öffnung, durch welche die Luft und das Licht des Tages hatten Zutritt finden können. Auch den Mann erkannte er, welcher mit der Blendlaterne eintrat und dann die Thür hinter sich sorgfältig in den Rahmen zog. Es war der Herzog von Raumburg.

"Guten Abend!" klang es gedehnt und höhnisch, und als der Gefangene ob dieser Anrede verwundert aufschaute, fuhr der Herzog fort: "Ja, es ist bereits wieder Abend. Ich bin dreimal hier gewesen; Du aber warst nicht zu sprechen, denn Du schliefst, als hättest Du mit den zwei kleinen Schlägen eine ganze Apotheke voll Opium erhalten. Nun aber, was sagt der stolze Gitano zu der vortrefflichen Wohnung, die ich ihm gegeben habe?"

"Schurke!"

Es war nun das eine Wort, aber es lag eine ganze Welt voll Haß und Verachtung darin.

"Schön! Ich werde Dir den Knebel wieder geben müssen, damit Deine Zunge nicht allzusehr spazieren geht. Du bist in der Gewalt des Herzogs von Raumburg, der ganz andere Töne gewohnt ist, als den Deinigen."

"Schurke!" erklang es furchtlos wieder. "Thu mit mir, was Du willst, und je Größeres Du ersinnst, desto mehr bist Du ein Schurke. Aber nimm mir nur einen Augenblick die Fesseln ab, so werde ich Dir zeigen, wie ein ehrlicher Zigeuner mit einem Hallunken verfährt!"

"Bemühe Dich nicht, mich in Zorn zu bringen, denn alle Deine Anstrengung wird fruchtlos sein. Ich komme nur, um Dir Dein Urtheil zu verkünden. Zarba, das schönste Mädchen, welches ich jemals gesehen habe, muß mein eigen werden, verstehe wohl, mein eigen wie die Blume, deren Duft man athmet und die man dann von sich wirft; Du bist mir dabei im Wege, und daher habe ich Dir ein Quartier gegeben, wo Du mich nicht belästigen kannst. Ich hätte Dich vielleicht einst wieder frei gelassen; aber Du hast mich zu beschimpfen versucht, und darum wirst Du diesen Ort niemals wieder verlassen."

"Meinst Du, daß ich Dich um Gnade anflehen werde? Ich verlange nur Gerechtigkeit, und die muß, die wird mir werden!"

"Gerechtigkeit? Ja, denn ich bin die oberste Behörde des ganzen Reiches, und die ist gewohnt, schneller und gerechter zu entscheiden, als jede andere Instanz. Du bist schuldig eines Mordversuches gegen mich und mußt eigentlich sterben; ich aber begnadige Dich zu lebenslänglicher Haft in diesem Kerker und gebe Dir dazu den Trost, daß diese Gefangenschaft nicht lange dauern wird."

"Du darfst weder verurtheilen noch begnadigen. Ich verlange |86B einen gesetzmäßigen Richter, vor dem auch Du zu stehen hast, denn auch Du bist des Mordversuches gegen mich und dazu des Menschenraubes schuldig."

Der Herzog lachte.

"Dein erster und letzter, Dein einziger Richter steht vor Dir, und er verspricht Dir, daß es den Deinen wohlgehen wird. Zarba wird sich entschließen, zu mir zu ziehen und mein Weibchen zu werden; und ich werde zärtlicher und inniger gegen sie sein als Du; die Andern müssen fort und werden mir für diesen Befehl dankbar sein, denn sie lieben ja die Freiheit, und damit sie diese ganz und voll genießen können, werde ich ihnen verbieten, jemals wieder in das Land zurückzukehren."

"Schurke!" rief Katombo zum dritten Male.

Er machte eine fürchterliche aber vergebliche Anstrengung, seine Fesseln zu zersprengen, und rannte dann voll Wuth gegen den Herzog an, so daß dieser zurücktaumelte, gegen die Mauer schlug und ihm beinahe die Laterne entfallen wäre. Er setzte sie zu Boden und faßte den wehrlosen Zigeuner.

"Hund, ich werde Dir das Beißen unmöglich machen! Du sollst mit dreifachen Banden geschnürt und - - -"

Er hielt mitten in der Rede inne. Katombo hatte versucht, ihm den ergriffenen Arm zu entziehen, und dabei das Loch seines Jackenärmels größer gerissen. Durch dasselbe blickte sehr deutlich jene seltsame Tätowierung, und das Auge des Herzogs war auf sie gefallen. Dieser ließ mit seinen Händen von Katombo ab und trat beinahe erschrocken einen Schritt zurück.

"Mensch, wer bist Du?"

Dieser Ausruf war ihm ganz unwillkürlich entfahren. Katombo konnte sich die sonderbare Frage nicht erklären; er blickte ihn daher erstaunt an und antwortete nicht.

"Wer Du bist, habe ich gefragt!" wiederholte Raumburg gebieterisch.

Katombo's Erstaunen wuchs; er fand keine Antwort, vielmehr kam es ihm vor, als ob sich die Sinne seines Gegners plötzlich verwirrt hätten.

"Hörst Du, ich will wissen, wer Du bist! Du heißt nicht Katombo und bist kein Zigeuner!"

"Ah! Wer sagt Dir das?"

Der Herzog erholte sich von seiner Überraschung, die vielleicht auch Schreck sein konnte, und fragte mit gleichgültigerer Stimme:

"Ist die Vajdzina Deine Mutter?"

"Ja."

"Deine wirkliche?"

"Inwiefern sollte sie es nicht sein? Übrigens bin ich über solche Sachen keinem Menschen Rechenschaft schuldig. Ich habe hier von weiter nichts zu sprechen, als daß ich meine Freiheit oder einen ordentlichen Richter will."

"Gut, so sind wir also fertig.

Er ergriff die Laterne und wollte gehen. Katombo benützte sein Niederbeugen, um den Ausgang zu gewinnen, was ihm aber nicht gelang, denn der Herzog schnellte ihm rasch in den Weg und brachte es leicht fertig, den Gefesselten zurückzuschleudern.

"Nicht so schnell, Bursche! Deine Leiche soll man zu seiner Zeit von hier wegschaffen, lebendig aber kommst Du nicht fort!"

Er warf die Thür in das Schloß, schob die beiden Riegel vor und schritt einige Stufen empor, wo sich die Treppe theilte. Nach der einen Seite gelangte man an die Pforte, durch welche Katombo hereingeschafft worden war, auf der andern erreichte man das Innenparterre des Schlosses. Hier angekommen, blies Raumburg seine Laterne aus und stieg die breiten Marmorstufen empor, auf denen er in sein Arbeitszimmer gelangte. Dort legte er die Laterne ab und zog auch den Dolch hervor, den er aus Rücksicht für seine persönliche Sicherheit bei sich getragen hatte.

Dann ging er zur Bibliothek, welche hell erleuchtet war, und suchte lange, lange Zeit in alten vergilbten Papieren herum. Sie mußten, nach der Aufmerksamkeit zu urtheilen, welche er ihnen schenkte, sehr Wichtiges enthalten; er las einige von ihnen mehrere Male durch und verschloß sie dann so sorgfältig, als ob höchst Wichtiges von ihnen abhinge. Dann verbarg und verschloß er sie an einem Orte, der ihm die nöthige Sicherheit zu gewähren schien.

Nun suchte er die Ruhe, fand sie jedoch nicht, sondern warf sich auf dem Lager hin und her, bis es Tag wurde, wo er sich erhob und, sobald er angekleidet war, seine Wohnung und die Stadt verließ.

Sein Weg führte ihn hinaus in den Wald nach dem Gehege, wo er die Zigeuner in Sorge um den verschwundenen Katombo antraf. Die Vajdzina war die Erste, welche ihn erblickte, und auch sofort Gelegenheit nahm, ihre Klage anzubringen.

"O hoher Herr, es ist Betrübniß eingezogen bei den Gitani |87A und Sorge bei den Kindern meines Volkes. Habt Ihr nicht gesehen Katombo, meinen Sohn?"

"Nein. Was ist mit ihm?"

"Er ist verschwunden, seit er gestern unser Lager verließ, und Niemand hat eine Spur von ihm gefunden. Der Forst hat keine wilden Thiere, die ihn zerreißen konnten, und keinem hat er vertraut, daß er uns freiwillig verlassen wolle. Es ist ihm ganz sicher ein Unglück widerfahren!"

"Was soll ihm widerfahren sein."

Karavey trat näher.

"Was ihm widerfahren ist, das wissen wir nicht," meinte er mit finsterem Auge; "aber ich kenne einen Feind von ihm, den einzigen, den er hat, und welchem sein Verschwinden am Herzen liegen muß. Wehe ihm, wenn er die Hand dabei im Spiele hat!"

"Wen meinst Du, Bursche? Verklage ihn bei mir. Ich bin Euer Freund und werde Euch alle Hülfe und Unterstützung gewähren, welche Ihr nothwendig haben solltet."

"Gerad Euch brauche ich ihn nicht zu nennen. Aber die Kinder der Boinjaaren haben scharfe Augen, gewandte Hände und ein Gedächtniß, welches keine gute und keine böse That vergißt. Entweder ist Katombo heut Abend wieder bei uns oder wir werden uns zur Rache vorbereiten!"

"Thue das, mein Sohn; nur siehe Dir den Mann genau an, gegen den Du Deine Rache richten willst. Übrigens geht mich diese Angelegenheit nicht das Mindeste an; ich komme in einer anderen Sache und habe mit dem Vajda und der Vajdzina zu sprechen."

Er winkte den beiden Alten und schritt von dem Lager weg in den Forst hinein. Sie folgten ihm und bemerkten nicht, daß Karavey hinter ihnen gleichfalls den Ort verließ. In einer genügenden Entfernung blieb der Herzog stehen und wandte sich zu den Beiden zurück.

"Ich habe Euch einige Fragen vorzulegen. Von der Wahrheit Eurer Antworten hängt Euer Glück oder Unglück ab!"

"Sprecht, Herr!" bat die Alte. "Wir werden Euch Alles sagen, was Ihr begehrt."

"Wer ist der Vater und die Mutter dieses Katombo?"

"Ich bin der Vater," antwortete der Vajda.

"Und ich die Mutter," die Vajdzina.

"Behauptet Ihr wirklich, die richtigen natürlichen Eltern zu sein? Man sieht es ja dem Manne an, daß er kein Zigeuner ist."

Die beiden Alten warfen sich einen Blick des Verständnisses zu; dann antwortete die Vajdzina:

"Er ist ein Zigeuner, Herr, und mein leibhaftiger Sohn."

"Wo habt Ihr ihn geboren?"

"Weit im Süden auf einer Insel, welche man Sizilien nennt."

|88A "Und wer war sein Vater?"

"Dieser hier, mein Mann."

"Ihr lügt!"

"Könnt Ihr mir beweisen, daß ich die Unwahrheit sage?"

"Ich kann es und werde Euch zu diesem Zwecke kurz eine Geschichte erzählen. Habt Ihr den Namen Raumburg nicht bereits früher schon einmal gehört?"

"Wie sollte ich?"

"So waret Ihr auch noch niemals in diesem Lande?"

"Nie."

"So! Es gab einen Herzog von Raumburg, welcher von den Reizen einer jungen Zigeunerin so hingerissen wurde, wie ich von Zarba's Schönheit. Sie verließ ihren Stamm und ging zu ihm, bis sie uneinig wurden und sie zu den Ihrigen zurückkehrte. Der Herzog verheirathete sich; seine Gemahlin schenkte ihm einen Sohn, welcher einst, als er kaum zwölf Monate zählte, spurlos verschwand. Niemals wurde etwas von dem Knaben gehört, doch erfuhr der Herzog, daß gerade zur betreffenden Zeit Gitani in der Nähe gewesen waren, eine der Zigeunerinnen hatte man mit einem Pakete aus dem herzoglichen Garten kommen sehen. Der Mann, welcher dies erzählte, hatte, als sie vorüber war, sogar die unterdrückte Stimme eines Kindes gehört, so daß er annehmen mußte, daß das Weib ein solches bei sich getragen habe. Wißt Ihr, wer diese Frau war?"

"Nein."

"Es war die frühere Geliebte des Herzogs, die sich durch den Kinderraub an ihm rächen wollte."

"Zu einer solchen Behauptung müßten Beweise sein, hoher Herr."

"Diese sind da, und zwar so deutlich und bestimmt, daß ich Euch sogar den Namen und jetzigen Aufenthaltsort der Thäterin nennen könnte."

"Man redet den Gitani so viel Böses nach, was nicht wahr, sondern Lüge ist!"

"Ich aber sage die Wahrheit: Ihr waret das Weib, und das geraubte Kind befand sich bis heute bei Euch!"

Er blickte ihr drohend in das Angesicht; sie schien nicht im Mindesten zu erschrecken und antwortete ruhig:

|88B "Wollt Ihr mit zwei armen, alten Leuten einen solchen Spaß treiben, Herr?"

"Spaß? Es ist mein Ernst, der Euch an den Hals gehen kann. Der Herzog, von dem ich Euch erzählte, ließ seinem Kinde sein Familienwappen in den Arm tätowiren, wie es seit uralten Zeiten Familiengebrauch gewesen war. An diesem Zeichen wird man den Geraubten erkennen. Vielleicht befindet er sich schon in diesem Augenblicke vor dem Richter, welcher die Angelegenheit zu untersuchen hat. Ihr werdet das Gehege auf keinen Augenblick verlassen und seid Gefangene des Forstpersonals, bis ich ein Weiteres verfüge."

Er machte Miene, sich zu entfernen; da ergriff ihn die Alte beim Arme und hielt ihn zurück.

"Bleibt, Herr! Ich will Euch sagen, daß Katombo nicht unser natürlicher Sohn ist. Wir fanden ihn halb verschmachtet im Walde und nahmen ihn zu uns, damit er nicht verhungern sollte."

"Wo war das?"

"Hier."

"Ihr kanntet also den Herzog von Raumburg, meinen hochseligen Vater?"

"Ja," antwortete sie, indem trotz ihres unterwürfigen Tones etwas in ihrem Auge leuchtete, was nicht die mindeste Ähnlichkeit mit Demuth hatte.

"Katombo ist sein Sohn?"

"Wie kann ich das wissen, Herr?"

"Höre Alte, ich will Dir sagen, daß ich hier kein amtliches Verhör anstelle, sondern mir nur die allervertraulichsten Mittheilungen unter dem Siegel der größten Verschwiegenheit ausbitte. Es kann mir nicht gleichgültig sein, ob ich einen Bruder am Leben habe oder nicht, der mich in meinem Erbe und meinen Rechten schmälern könnte. Ihr seht, ich bin aufrichtig. Nur Gewißheit will ich haben. Wenn Ihr ein offenes Geständniß ablegt, soll Euch nichts geschehen, vielmehr habt Ihr dann eher eine Belohnung als eine Strafe zu erwarten."

Die Beiden blickten sich gegenseitig an, und ihre Augen sagten, daß sie sich verstanden.

"Herr, laßt Ihr uns frei ziehen, wenn wir Euch die Wahrheit sagen?"

"Ja."

"Wollt Ihr das beschwören?"

|89A "Ich beschwöre es."

"Daß Katombo Euer Bruder ist, könne wir nicht sagen und nicht gestehen, aber - - halt, Herr, wißt Ihr, wo er sich befindet?"

"Ja."

"Wo?"

"Bei mir, also in Sicherheit."

"Ihr werdet ihm kein Leid thun?"

"Nein."

"Wollt Ihr es beschwören?"

"Ja."

"Kommt er wieder zu uns?"

"Ja, wenn er will. Will er aber nicht so kann ich ihn nicht halten."

"Dann will ich Euch sagen: Katombo ist Euer erstgeborener Bruder. Es soll auf Euch ankommen, ob es die Leute erfahren oder nicht."

Er griff in die Tasche und zog die Börse hervor, welche er ihr entgegenstreckte.

"Hier, nehmt! Es wird Euch Niemand aus dem Gehege treiben; bleibt hier, so lange es Euch beliebt. Vergeßt aber nicht, daß es Euer Verderben ist, wenn ein Mensch erfährt, daß Ihr einen raumburg'schen Prinzen raubtet!"

Zufrieden mit dem Ergebnisse dieses Gespräches, wandte er sich ab. Die beiden Alten kehrten zum Lager zurück, wo die Vajdzina sofort ihrer Tochter Zarba winkte.

"Weißt Du, wo Katombo ist?"

"Nein."

"Bei dem Herzoge."

"Beim Herzoge? Wie ist er zu ihm gekommen?"

"Ich weiß es nicht; aber ihm droht Gefahr. Ich glaube, der Herzog will ihn verschwinden lassen."

"Weshalb?"

"Weil er Dein Bräutigam ist und weil - doch das ist ein Geheimniß, welches nur der Vajda wissen darf. Du kannst ihn retten."

"Wie?"

"Durch den Herzog. Als dieser Mann zum ersten Male bei uns erschien, habe ich Dir gesagt, daß ich einst seinen Vater liebte, er verstieß mich, und die Liebe des Sohnes zu Dir soll meine Rache sein. Diese Liebe ist auch das Werkzeug, mit welchem Du Katombo retten oder rächen kannst. Du wirst Manches noch nicht verstehen, aber es kommt die Zeit, in welcher Alles klar vor Deinen Augen liegt. Gib Dir den Anschein, als ob Du ihn liebtest!"

"Und Katombo, der mein Bräutigam ist?"

"Wird einige Zeit lang eifersüchtig sein, dann aber verzeihen, denn des Gitano höchstes Gut ist die Rache, und Deine Zärtlichkeit soll mir den Weg zur Vergeltung öffnen. Er liebt Dich, aber wie der Schmetterling die Blume liebt, von welcher er zu einer andern flattert, wenn er die vorige gekostet hat. Wahre daher Dein Herz, aber seine Liebe laß wachsen, indem Du freundlich mit ihm bist, ihm aber Alles versagst, was eine Braut einem Andern nicht gewähren darf. Ich weiß, daß er noch nicht fort ist, vielmehr wird er im Gehege bleiben, um Dich zu treffen. Gehe und versuche ihm zu begegnen, und dann forsche bei ihm nach Katombo, damit wir erfahren, was er mit ihm vorhat!"

Zarba gehorchte. Sie sollte das Werkzeug der Rache sein, aber sie fühlte, daß das Spiel zum Ernst geworden sei. Sie brauchte dem Herzoge gegenüber keine Liebe zu heucheln, nein, sie liebte ihn wirklich, mit aller Gluth ihres kleinen, wilden Herzens. Der hohe, stolze Mann mit seinem sichern, imponirenden Auftreten hatte es ihr angethan, und die Liebe, welche er ihr empfinden und bemerken ließ, machte sie so selig, wie die Zuneigung Katombos es niemals vermocht hatte.

Sie ging um ihn aufzusuchen, aber nicht der Befehl der Vajdzina trieb sie mehr allein dazu, sondern ihr eigenes Herz flog hin zu dem Manne, dem die Liebe der schönen Zingaritta gehörte. Sie traf ihn wirklich sehr bald; er kannte ja den Ort, an welchem sie so oft gesessen hatten, um zu plaudern und zu kosen, ohne daß irgend Jemand eine Ahnung davon gehabt hatte. Er legte die Arme um sie und zog sie an sich.

"Zarba, schon glaubte ich, daß Du nicht kommen würdest."

"Hast Du schon einmal vergebens auf mich gewartet?"

"Nein. Ich weiß, Du hast mich lieb, und die Liebe ist eine pünktliche Gebieterin. Doch warum erfüllst Du mir den größten Wunsch nicht, den ich habe?"

"Daß ich hin zu Dir komme, wo Du wohnest? Die Vajdzina |89B erlaubt mir nicht, in die große Stadt zu gehen, wo die Menschen so fremd, so stolz und so bös sind."

"Bin auch ich bös und Dir fremd?"

"Nein."

"Also warum kommst Du nicht zu mir?"

"Ich darf nicht; ich müßte mich des Nachts fortschleichen, und dennoch würde Katombo es bemerken."

"Katombo? Ich denke, er ist verschwunden!"

"Er ist bei Dir."

"Wer sagte es?"

"Die Vajdzina. Warum hältst Du ihn fest?"

"Nicht ich halte ihn, sondern der Richter."

Sie erschrak.

"Der Richter? Was hat Katombo verbrochen?"

"Viel, sehr viel! Seinen gestrigen Angriff hätte ich ihm verziehen um Deinetwillen, aber er ist dann in die Stadt gekommen, hat sich in meine Wohnung geschlichen und mich meuchlings zu tödten versucht. Er ist dabei ergriffen worden und wird seine Bosheit mit dem Tode büßen."

"Herr, das ist nicht möglich! Katombo hat noch keinem Menschen ein Leid gethan; er ist es nicht gewesen, der Euch tödten wollte!"

"Er war es, kein Anderer. Wollte er mich nicht bereits gestern tödten?"

"Ihr habt ihn gereizt; vergebt ihm und laßt ihn frei."

"Das steht nun nicht mehr in meiner Macht."

"Und dennoch vermögt ihr es! Ihr seid nach dem Könige der mächtigste und gewaltigste Mann im ganzen Lande, und was Euer Wille ist, das muß geschehen."

"Soll ich einen Menschen retten, den Du freiwillig küssest?"

"Er ist mein Bruder, und ich thue es nicht mehr. Gebt ihn frei!"

"Hätte ich ihn gefangen, so könnte ich dies leicht thun; aber er befindet sich in den Händen der Justiz und es sind so viele Zeugen seines Mordversuches da, daß es beinahe unmöglich ist, die That auf sich beruhen zu lassen."

Sie schmiegte sich inniger an ihn.

"Du sagst, Du habest mich lieb?" schmeichelte sie.

"Ja."

"Und willst mir diese Bitte nicht erfüllen? Willst meinen Bruder tödten! Geh, Deine Liebe ist nicht wahr!"

"Dann ists die Deinige auch nicht. Du verlangst von mir, was kein Anderer zu verlangen wagte, und versagst mir doch die Erfüllung des kleinen Wunsches, einmal zu mir zu kommen."

"Gebiete, Herr, und ich werde gehorchen; nur laß Katombo frei!"

"Wirklich wirst Du kommen? Wann?"

"Wann Du es befiehlst."

"Dann heut Abend."

"Aber ich finde den Weg und Deine Wohnung nicht."

"Ich werde Befehl ertheilen, daß das Gehege nicht verschlossen wird. Gerade eine Stunde vor Mitternacht wirst Du auf der Straße, welche nach der Stadt führt, einen Wagen finden; Du brauchst ihm nur das Wort "Vajda" zu sagen, so nimmt er Dich auf und bringt Dich zu mir. Willst Du?"

"Ja."

"Er wird nicht mit Dir sprechen, und auch Du sagst nur dies eine Wort, denn es soll Niemand wissen, wer Du bist."

Sie nickte zustimmend. Sein Auge leuchtete auf, endlich befand er sich jetzt nahe an dem Ziele, welches er sich schon längst in Beziehung auf das schöne Mädchen gesteckt hatte. Noch lange saßen sie in süßer, inniger Umarmung, dann verließ er heimlich das Gehege, und Zarba kehrte zu den Ihrigen zurück. Die Vajdzina winkte sie sofort zu sich.

"Trafst Du ihn?" frug sie gespannt.

"Ich war bis jetzt bei ihm."

"Frugst Du ihn nach Katombo?"

"Ja. Katombo ist gefangen."

"Wo?"

"Bei der Justiz."

"Weshalb?"

"Er ist in die Wohnung des Herzogs gekommen um ihn zu tödten, und dabei ergriffen worden. Nun soll er sterben."

Die runzeligen Züge der Alten zogen sich zusammen.

"Wie wurde der Herzog gestern von Katombo genannt?"

"Ein Schuft."

"Er ist auch einer. Glaube ihm kein Wort von allen seinen Reden. Er will Katombo verderben aus einem Grunde, den Du nicht kennst; Du wirst ihn aber noch erfahren."

|90A "Er wird ihn nicht verderben; er wird ihn freigeben."

"Sagte er es?"

"Er sagte es."

"Glaube es ihm nicht; er ist ein Lügner und Betrüger wie sein Vater. Suche zu erfahren, in welchem Gefängniß sich Katombo befindet; wir müssen ihn selbst retten."

"Er gibt ihn frei; er hat es mir versprochen."

Die Züge der Alten wurden womöglich noch finsterer als zuvor.

"Hat er es Dir versprochen, so hast Du ihm ein Gegenversprechen machen müssen."

Zarba senkte verlegen den Blick.

"Ja," antwortete sie endlich. Sie wußte, daß der Vajdzina nur schwer zu entrinnen sei.

"Was hat er von Dir verlangt?"

"Daß ich heut Abend mit ihm spreche."

"Wo?"

"Hier im Walde."

"Du lügst! Das ist zu gering als Entschädigung für Katombos Freiheit; er kann Dich im Walde ohne ein solches Opfer treffen. Ich verlange, daß Du die Wahrheit redest!"

"Ich sage sie. Er hat mich bestellt."

"Aber nicht hier im Walde! Willst Du Deine Mutter täuschen, die zugleich Deine Vajdzina ist? Glaubst Du, mein Auge sei so trübe und mein Geist so dunkel geworden, daß ich nicht sehe und errathe, was Du mir verbergen willst? Du sollst heut zu ihm in seine Wohnung kommen! Antworte!"

"Ja."

"Und Du hast es ihm versprochen?"

"Ja."

Die Alte blickte eine Weile still sinnend vor sich hin; dann meinte sie:

"Vernimm, was ich Dir sage! Du solltest mit kaltem Herzen die Liebe in seiner Brust erwecken; es ist Dir gelungen, aber Dein Herz ist nicht kalt geblieben, sondern es brennt und lodert in derselben Gluth wie das seinige. Dies willst Du verschweigen und Deine Vajdzina betrügen. Deine Strafe dafür soll sein, daß Du den verdirbst, der Dir höher steht als meine Befehle. Du wirst heut zu ihm gehen, und wenn er Dich nicht wieder von sich lassen will, so komme ich und werde Dich zurückverlangen. Mache Dich schön und schmücke Dich fein, doch darf Niemand etwas davon merken!"

Sie wandte sich ab und Zarba befand sich nun mit ihrer eigenthümlichen Instruktion auf sich selbst angewiesen. In tiefes Sinnen und Grübeln versunken, streifte sie den ganzen Tag über im Forste umher, bis es Nacht wurde und die Stunde nahte, für welche sie bestellt worden war. Jetzt legte sie ihre beste Kleidung an und schlich sich, nur von der Vajdzina beobachtet, hinaus auf die Straße, auf welcher sie nach kurzer Wanderung auch wirklich einen Wagen halten sah, dessen Kutscher, als sie die Losung aussprach, ihr beim Einsteigen half und dann in Eile der Stadt entgegenfuhr. Am Flusse harrte ihrer ein Anderer, welcher sie in ein Boot geleitete und mit demselben nach dem Garten des Herzogs übersetzte. Hier führte er sie bis in die Nähe der Treppe, wo Raumburg ihrer bereits wartete.

"Du kannst gehen!" befahl er dem Diener, welcher sich auf diesen Befehl schleunigst entfernte. "Weiß der Vajda oder sonst Jemand, daß Du den Wald verlassen hast?" frug er dann Zarba.

"Die Vajdzina."

Er schien unangenehm überrascht zu sein.

"Wer hat es ihr gesagt?"

"Ich. Sie hat Alles errathen."

"So ist es nothwendig, daß auch ich Alles errathe. Komm!"

Er trat mit ihr an das Treppenfenster, öffnete dasselbe und stieg ein. Sie zögerte, ihm zu folgen.

"Komm ohne Sorgen, Zarba," meinte er. "Es ist hier ein geheimer Weg nach meiner Wohnung; ich darf Dich nicht durch den öffentlichen Eingang bringen, weil ich nicht will, daß Du gesehen wirst."

Sie stieg zu ihm herab. Jetzt zog er eine Blendlaterne hervor, so daß der Gang erleuchtet wurde, und führte sie durch die Bibliothek in sein Arbeitskabinet.

"Warte hier! Es wird Niemand Einlaß begehren, und ich werde in wenigen Minuten wohl schon wieder bei Dir sein."

Er kehrte durch den Gang in den Garten zurück und trat an die künstliche Umzäunung desselben. Über dieselbe hinwegblickend, gewahrte er einen Kahn, welcher geräuschlos längs des Ufers herabgetrieben kam und ihm gegenüber landete. Eine Frauengestalt stieg aus.

|90B "Dachte es mir!" murmelte er. "Doch sie soll sich verrechnet haben und mir statt hinderlich nur förderlich sein. Wenn sie den geheimen Eingang kennt, so muß sie sterben."

Das Weib war keine Andere, als die Vajdzina. Sie kam vorsichtig an die Umfassung des Gartens heran und schlich sich an derselben entlang bis zu einer Stelle, welche ihr zum Übersteigen am bequemsten schien. In der Nähe stand eine von dichtem Blätterwerke gebildete Laube, in welcher es sich beim Erscheinen der Zigeunerin leise regte. Wäre es heller gewesen, so hätte man einen Diener erkennen können, welcher mit einem Küchenmädchen die Einsamkeit des Gartens zu einem Stelldichein benutzt hatte.

"Wer ist das?" flüsterte das Mädchen erschreckt.

"Jemand, der jedenfalls nicht herein gehört," antwortete der junge Mann. "Ein Weib -! Sicher eine Obst- oder Gemüsediebin. Laß uns sie belauschen und dann auf der That ertappen!"

Sie traten aus der Laube und schlichen der Vajdzina nach, welche die Richtung nach der Verandatreppe einhielt. Dort angekommen, trat sie an das Fenster; noch aber hatte sie sich nicht zu demselben niedergebückt, so wurde sie beim Arme ergriffen.

"Halt! Was hast Du hier zu suchen?"

"Der Herzog!" flüsterte der Diener seinem Mädchen zu.

Sie standen mit einander hinter einem nahen Bosquet und konnten die beiden Andern ganz deutlich sehen und hören.

"Und was suchst Du hier?" antwortete die Zigeunerin. "Sind die Wege eines Herzogs so dunkel, daß Niemand sie sehen darf?"

"Ich suche Dich. Ich wußte, daß Du kommen würdest."

"So hat es Dir der Geist gesagt, den Ihr Gewissen nennt. Wo ist Zarba, die Tochter der Boinjaaren?"

"Sie ist bei mir."

"Schicke sie herab, daß ich mit ihr zurückkehre!"

"Sie wird bei mir bleiben, so lange es mir gefällt."

"Ich wußte, daß dies Dein Wille war, und bin deshalb gekommen, sie gegen Dich zu schützen. Wo ist Katombo, mein Sohn?"

"Er befindet sich in meinen Händen."

"Auch ihn gibst Du mir wieder. Dein Vater hat mich an dieser Stelle zu sich geholt, wie Du heut Zarba zu Dir geführt hast. Er knickte die Blume und warf sie dann fort; aber der Geist der Rache verwandelte die Rose in eine Löwin, welche nach Vergeltung lechzte. Du bist in meine Hand gegeben und wirst thun, was ich von Dir fordere."

Er lachte kurz und höhnisch auf.

"In Deine Hand? Weib, Du bist verrückt! Aber ich bin trotzdem begierig, zu erfahren, was Du von mir verlangen könntest."

"Daß Zarba Dein Weib werde, Dein rechtmäßiges, Dir öffentlich angetrautes Weib."

"Es ist wahrhaftig kein Zweifel, Du bist wahnsinnig. Eine Zigeunerin das Weib eines Herzogs!"

"Sie ist eine Fürstin unter den Kindern der Zingaaren und schöner als alle Mädchen der Christen. Sie soll Herzogin werden, oder ich nehme Dir Deine Krone und Alles, was Du hast. Dein Vater schwur mir, daß ich sein Weib, seine Gemahlin sein solle; er hat sein Wort gebrochen, und daher soll die Tochter der verrathenen und verstoßenen Zigeunerin das sein, was ihre Mutter nicht werden durfte."

"Ah - -!" dehnte er. "Das wird immer interessanter. Womit willst Du mich zwingen, Deinen Willen zu thun?"

"Mit Katombo. Er ist Dein ältester Bruder, welchen ich Deinem Vater stahl, um mich zu rächen."

"Beweise es!"

"Siehe das Wappen der Raumburge an seinem Arme; es ist ganz dasselbe, wie auch Du eins haben wirst. Auch seine Kleider habe ich aufbewahrt an einem Orte, wo sie sicher liegen, bis ich sie brauche."

"Weib, Du machst Dich ungeheuer lächerlich! Du bekennst Dich für des Kindesraubes schuldig und wirst für lebenslang in das Zuchthaus wandern, wenn Du Deinem Wahnsinn Folge gibst."

Seine Worte klangen außerordentlich ruhig und gelassen, obgleich die ihm gewordene Enthüllung von der größten Wichtigkeit für ihn sein mußte. Die Zigeunerin amtwortete:

"Du hast Recht; ich werde eine Zeit lang gefangen sein, aber Katombo, der neue Herzog, wird mich zu begnadigen wissen. Wähle zwischen Zarba und meiner Rache!"

"Ich habe gewählt."

"Wie?"

"So!"

Mit einem raschen Griffe schlug er ihr die beiden Hände um den Hals, den er in der Weise zusammenpreßte, daß es ihr unmöglich war, einen Laut von sich zu geben. Der Athem verging ihr; Die Besinnung schwand; sie schlug krampfhaft mit den Armen um |91A sich; dann sanken dieselben schlaff herab; ein letztes konvulsivisches Zucken flog über ihren Körper, dann stürzte sie, von ihm losgelassen, zur Erde. Er hatte sie erwürgt.

Die beiden Lauscher standen vor Entsetzen an allen Gliedern gelähmt. Sie hätten sich nicht bewegen können, selbst wenn es in ihrer Absicht gelegen hätte, gegen die finstere That ihres Gebieters einzuschreiten. Und überdies war dieselbe so rasch geschehen, daß für einen Entschluß die nöthige Zeit gar nicht vorhanden war.

Der Herzog nahm die Leiche auf und trug sie davon.

"Er wird sie in das Wasser werfen," meinte der Domestike in einem Tone, aus welchem die ganze Größe seines Entsetzens klang. "Komm, um Gottes Willen, komm; wir dürfen von dieser Stunde nicht das Mindeste wissen!"

Er zog das zitternde Mädchen in größter Eile mit sich fort.

Seine Vermuthung war richtig. Der Herzog warf die Zigeunerin über die Umfassung, stieg nach und schleppte sie dann in den Fluß. Das Wasser desselben war hier so tief und reißend, daß es die Leiche sicher eine so weite Strecke mit sich fortnahm, daß eine Entdeckung nicht zu erwarten stand. Dann kehrte er durch den verborgenen Gang in sein Arbeitszimmer zurück.

Als er hier bei Zarba eintrat, zeigte sein Äußeres eine Ruhe, welche nicht das Geringste von dem verrieth, was soeben geschehen war.

"Ich mußte Dich warten lassen," meinte er. "Nun aber bleibe ich bei Dir."

"Ich dachte, Du holtest Katombo!"

"Katombo? Wie kommst Du auf diesen Gedanken?"

"Hast Du mir nicht versprochen, ihn frei zu geben, wenn ich Dir Deinen Willen thue, Dich hier zu besuchen."

"Versprochen habe ich es eigentlich nicht. Es ist sehr schwer, ihn der Hand des Richters zu entziehen."

|92A "Dir ist Alles möglich"

"Vielleicht."

"So gib ihn frei!"

"Unter einer Bedingung."

"Welche ist es?"

"Laßt erst sehen! Katombo ist kein geborener Zigeuner, wie ich nun sicher weiß. Wer sind seine Eltern?"

"Ich weiß es nicht. Die Vajdzina fand ihn im Walde."

"War der Vajda dabei, als sie ihn fand?"

"Nein, er war damals in Süderland."

"Der Vajda und die Vajdzina sind so offen mit einander, daß sie kein Geheimniß gegen einander haben?"

"Die Vajdzina ist die Königin des Stammes; sie braucht ihrem Manne nichts zu sagen, was er nicht wissen soll."

Sie ahnte nicht, daß sie mit diesem Ausspruche ihrem Vater das Leben rettete.

"Weißt Du, daß ich soeben mit der Vajdzina gesprochen habe?"

"Jetzt?"

"Ja. Sie hat Dir gesagt, daß sie kommen werde."

"Sie sagte es."

Er zog eine Schnur hervor, an welcher ein kleiner, lederner Wickel hing. Er hatte sie vorhin der Leiche vom Halse genommen, ehe er diese in das Wasser warf.

"Hier sendet sie Dir dies Zeichen. Du sollst bei mir bleiben, bis sie kommt, um Dich abzuholen."

"Bei Dir? Ich kam doch nur für eine Stunde!"

Er zog sie an sich und strich ihr mit der Hand liebkosend über das Haar.

"Hast Du mich wirklich lieb, Zarba?"

"Ja."

"Und mußt Du der Vajdzina in Allem gehorchen?"

"Ja."

"So wirst Du bei mir bleiben; sie befiehlt es Dir. Denn nur unter dieser Bedingung kann ich Katombo retten und den Andern, der ihm gegen mich beistand."

Sie blickte verwirrt vor sich nieder. Der Gehorsam gegen die Vajdzina und die Liebe stritten gegen das Gefühl mädchenhafter Scham und Zurückhaltung in ihrem Innern.

"Und was soll ich hier?"

|92B Er drückte sie noch inniger an sich und küßte sie wiederholt auf die schwellenden Lippen.

"Meine Gebieterin sollst Du sein, meine Braut, mein Weibchen."

Er sprach weiter zu ihr und immer weiter. Seine Stimme hatte jenen einschmeichelnden Klang, welcher selbst ein erfahreneres Mädchen, als Zarba war, zu bethören vermag. Er erzählte ihr von der Pracht und Herrlichkeit, die ihrer wartete und umstrickte sie mit so glanzvollen Schilderungen und Versprechungen, daß ihr Widerstand immer schwächer wurde, bis sie endlich frug:

"Hat die Vajdzina wirklich befohlen, daß ich bleibe?"

"Wirklich! Ich habe Dir ja zur Beglaubigung ihr Zeichen gebracht."

"Es ist ihr Talisman, den sie noch niemals aus den Händen gegeben hat; ich glaube Dir und werde bleiben, bis sie kommt. Aber nun gibst Du auch Katombo frei?"

"Ja."

"Jetzt gleich?"

"Sofort. Ich werde den Befehl geben, ihn zu entlassen."

Er erhob sich. Sie hielt ihn zurück. Hatte trotz alledem der Zweifel seine warnenden Stimme in ihr erhoben?

"Ich muß dabei sein; ich muß mich überzeugen, daß er wirklich gehen darf!"

Er lächelte.

"Du lieber, kleiner Unglaube! Ich muß Dir Deinen Willen thun, um Dich ganz und gar zu beruhigen und zu überzeugen. Aber ist es Dir denn lieb, daß Katombo Dich sieht?"

"Nein, aber er soll erfahren, daß ich bei Dir bleibe, um ihn zu retten."

Der Herzog trat hinaus auf den Korridor und von da in ein Zimmer, in welchem zwei Männer auf sein Erscheinen gewartet zu haben schienen. Sie trugen seine Livrée und waren wohl seine Vertrauten.

"Holt den Zigeuner! Ich werde Euch befehlen, ihn sofort frei zu geben, dennoch aber nehmt ihr ihn unten wieder fest und bringt ihn in den Keller zurück. Sorgt dafür, daß der ganze Vorgang keine Zeugen findet!"

Er kehrte zu Zarba zurück, der man es ansah, daß sie dem Erscheinen ihres bisherigen Geliebten doch nicht ohne Bangen entgegen |93A sah. Nach einiger Zeit wurde die Thür geöffnet und einer der Männer trat ein.

"Befehlen Excellenz den Gefangenen?"

"Herein mit ihm!"

Katombo trat ein. Sein erster Blick fiel auf das Mädchen.

"Zarba!" Er fuhr zurück, als habe er ein Gespenst erblickt. "Was thust Du hier?"

"Ich habe um Gnade für Dich gebeten."

"Zu dieser Stunde! Ich brauche keine Gnade; ich will nur Gerechtigkeit."

"Nenne es wie Du willst, Gnade oder Gerechtigkeit," fiel der Herzog ein. "Ich will Dir Deinen Wunsch erfüllen, Du bist frei. Nehmt ihm die Fesseln und geht!"

Die Diener gehorchten dem Befehle und verließen das Zimmer. Katombo dehnte und reckte seine Arme, um das Blut in Umlauf zu bringen; dann wandte er sich an Zarba:

"Komm!"

Der Herzog legte den Arm um das Mädchen und zog sie an sich.

"Du gehst allein; Zarba bleibt bei mir."

"Was soll sie hier?"

"Mein Liebchen sein. Geh!"

"Ah!"

Er sprach nur diese eine Silbe aus, aber ihr Ton gab deutlich Zeugniß von den Gefühlen, welche jetzt auf ihn einstürmen mußten.

"Die Vajdzina hat es geboten," entschuldigte sich das Mädchen in sichtlicher Verlegenheit. "Ich konnte Dich nicht anders retten."

"Um diesen Preis will ich nicht frei sein," klang es verächtlich. "Du warst auch ohnedies für mich verloren, aber Du sollst Deine Untreue nicht mit einer angeblichen Großmuth bemänteln, die eine Lüge ist. Du erniedrigst Dich zur Buhlerin; ich habe keine Pflicht mehr, Dich zu retten; es würde auch vergebens sein; aber ich bitte Dich, kehre zur Vajdzina zurück, denn ich gehe wieder in meine Gefangenschaft."

"Das wird Dich nichts nützen, denn sie bleibt bei mir, auch wenn Du verschmähst frei zu sein."

Trotz des Schmerzes, der in seinem Innern wühlte, vermochte es Katombo, ein Lächeln fertig zu bringen; es war ein unendlich stolzes. Er reckte sich in die Höhe und trat einen Schritt näher.

"Glaubst Du wirklich, daß es meine Absicht war, gefangen zu bleiben? Ich wollte nur sehen und beweisen, daß meine Rettung nichts als eine eitle Vorspiegelung war. Ich gehe. Zarba bedaure ich; Dich aber verachte ich. Du hast mir das Liebste geraubt, was ich hatte; Du wirst mich wiedersehen, wenn ich komme, Abrechnung mit Dir zu halten!"

Er trat zur Thüre hinaus und schritt der Treppe zu. Unten standen die beiden Diener; er mußte an ihnen vorüber, wenn er zum Hauptportale gelangen wollte. Der Eine trat ihm entgegen.

"Hier ist bereits verschlossen. Komm hier nach hinten!"

Er schritt voran, einen langen Flurgang hinab. Katombo folgte, hinter ihm der zweite Domestike. Der Andere öffnete am Ende des Ganges eine Thür, hinter welcher eine Treppenöffnung sichtbar wurde.

"Hier hinab!"

Dem Zigeuner kam blitzschnell die Erkenntniß, was man mit ihm vorhabe. Rasch wandte er sich um, warf den hinter ihm Stehenden zu Boden und sprang den Gang zurück. Neben dem Portale befand sich eine Thür, in deren Schlosse der Schlüssel steckte. Mit der Geschwindigkeit des Gedankens riß er sie auf, trat ein und schob den Riegel vor. Die Diener waren ihm gefolgt.

"Er wird durch das Fenster fliehen wollen. Schnell das Thor auf und hinaus!" gebot der Eine.

Die Innenriegel flogen zurück; das Thor sprang auf, und die beiden Männer traten hinaus. Der kleine Raum, in welchen Katombo gerathen war, war das Zimmer des Portiers. Dieser befand sich nicht in demselben, da man ihn entfernt hatte, um nach dem Befehle des Herzogs jede unnöthige Zeugenschaft zu vermeiden. Auf dem Tische lag ein Messer. Katombo ergriff es, öffnete das Fenster, schwang sich hinauf und sprang nach außen. Seine Füße berührten in dem Augenblicke den Boden, in welchem seine Verfolger aus der Thür traten. Sie warfen sich sofort auf ihn, aber mit einem lauten Weheschrei stürzte der Vorderste zur Erde; Katombo hatte ihm das Messer in die Kehle gestoßen und flog in weiten Sätzen nach dem Wasser zu.

"Hilfe! Mörder! Haltet ihn!" rief der Unverletzte und eilte hinter ihm her.

Neben dem Portale stand ein Schilderhaus, in welchem ein Militärposten lehnte. Der Mann war Zeuge des ganzen Vorganges |93B gewesen; doch war Alles so schnell geschehen, daß er sich erst, als Katombo bereits den Fluß erreicht hatte, auf das besann, was ihm zu thun oblag.

"Steh oder ich schieße!" gebot er und erhob das Gewehr.

Der Zigeuner warf sich in das Wasser. Der Schuß krachte, und die Kugel pfiff hart über seinem Kopfe hinweg. Die Hilferufe des Dieners und der weithin dröhnende Schuß blieben nicht ohne für Katombo höchst bedenkliche Folgen. Die zahlreiche Dienerschaft des Herzogs eilte auf den Alarm aus dem Palaste und besetzte das diesseitige Ufer. Am jenseitigen sammelten sich Leute; es war dem Fliehenden unmöglich, hüben oder drüben zu landen. Ein Glück für ihn war es, daß gerade gegenwärtig nur ein einziges Boot auf dem Flusse sichtbar war. Es hielt sich in der Mitte und wurde stromauf gerudert. Ein einziger Mann saß in demselben. Konnte Katombo ihn überwältigen, so war er gerettet. Als ein ausgezeichneter Schwimmer strebte er schnell dem Kahne entgegen. Der Mann zog das Ruder ein und richtete sich empor.

"Wer da?"

Katombo antwortete nicht. Das Messer in der Rechten, stieß er mit den Füßen kräftig aus, so daß er fast über den Bord des Kahnes gehoben wurde. Sich mit der Linken festhaltend, holte er mit dem Messer aus. Der Mann im Kahne sah die Klinge blitzen; mit einem blitzschnellen Griffe faßte er die Rechte des Zigeuners, der unter dem furchtbaren Drucke, den er fühlte, das Messer fallen ließ, ergriff ihn dann an der Jacke und warf ihn mit einem riesenkräftigen Schwunge zu sich herein. Bei dieser Bewegung drohte das schwanke Fahrzeug umzukentern; es hob und senkte sich, und das Wasser spritzte von beiden Seiten herein. Den Mann schien das nicht im Mindesten zu berühren; er hielt mit eisernen Fäusten Katombo gepackt und meinte in beinahe gemüthlichem Tone:

"Heda, mein Bürschchen, da bist Du wohl an den Unrechten gekommen! Wer sind wir denn eigentlich?"

"Rette mich; ich bin unschuldig!" stieß der Zigeuner hervor.

"Unschuldig? Und dabei schießt man hinter Dir her und schreit nach Mördern? Wer bist Du?"

"Ich bin ein Zigeuner und dem Herzoge von Raumburg entsprungen, der mich in seinen Keller sperrte, um mir meine Braut nehmen zu können."

"Der Raumburger? Hm! Ich bin dem Kerl keineswegs gewogen; aber Du greifst mich mit dem Messer an."

"Aus Verzweiflung!"

"Möglich!" Der Sprecher blickte aufmerksam nach den beiden Ufern und meinte dann gelassen: "Höre, Bursche, ich will Dir einmal Etwas sagen: Ich kenne den Herzog, und was Du mir da sagst, klingt allerdings wahrscheinlich. Bist Du unschuldig, so werde ich mich Deiner annehmen; im andern Falle aber übergebe ich Dich der Polizei. Erzähle mir Alles aufrichtig und versuche nicht, mir zu entkommen. Bis Du fertig bist werden wir trotz den Schreihälsen da drüben ein wenig spazieren fahren."

Er nahm die Hände von Katombo weg, so daß sich dieser aufrichten konnte, und griff nach den Rudern. Jetzt erst erkannte der Zigeuner, daß er einen Mann von ganz ungewöhnlich kräftigen Körperformen vor sich hatte, der sich allerdings vor Niemand zu fürchten brauchte. Von zwei starken Armen getrieben, flog der Kahn jetzt wieder stromabwärts, so daß die Verfolger ein lautes Geschrei erhoben, welches aber der Besitzer des Kahnes nicht im Geringsten beachtete.

"Also erzähle!" gebot er zum zweiten Male.

Sein Gesicht war so ehrlich und Vertrauen erweckend, daß Katombo Muth faßte. Er stattete einen ausführlichen Bericht über das Erlebte ab, und war mit demselben erst zu Ende, als die Residenz längst hinter ihnen lag. Der Andere zog die Ruder ein und ließ den Kahn nur noch mit dem Wasser treiben.

"Hm! Ich glaube Dir Alles, was Du mir da gesagt hast; aber eine verteufelte Geschichte ist es dennoch, da Du das Messer gebraucht hast. Hätte der Lärm nicht stattgefunden, so glaube ich, ließe der Herzog die Sache am liebsten auf sich beruhen. Am Besten ist es, Du machst Dich so schnell wie möglich aus dem Staube."

"So willst Du mich freigeben?"

"Allerdings; man hat mich nicht erkannt, und Du scheinst mir ein ganz braver Kerl zu sein."

"So bitte ich Dich, mich an das Land zu setzen. Ich muß sofort nach dem Gehege."

"Was fällt Dir ein! Du kannst Dir leicht denken, daß bereits Boten unterwegs sind, um Dich dort abzufangen."

"Aber ich muß zur Vajdzina!"

"Jetzt nicht, mein Junge! Es ist keineswegs meine Absicht, Dir zu helfen, damit sie Dich wieder erwischen. Willst Du den |94A Deinen Nachricht geben, so werde ich selbst nach dem Gehege gehen."

"Wirklich?"

"Ja, und zwar noch heut in der Nacht, wenn Du es verlangst."

"Und wo bleibe ich?"

"In meiner Wohnung; da bist Du sicher."

"Wer bist Du?"

"Ich heiße Brandauer und bin der Kurschmied seiner Majestät des Königs."

"Ich verstehe mich auch auf die Schmiederei."

"Ich habe davon gehört, daß die Zigeuner oft die besten Pferdeschmiede sind. Das freut mich! Jetzt gehen wir an das Land."

"Und dann in die Stadt zurück?"

"Ja. Doch habe keine Sorge; Du bist bei mir vollständig sicher."

"Und der Kahn? Er kann Dich verrathen."

"Er gehört einem Fischer; er mag ihn morgen holen."

Sie stießen an und zogen das Boot an das Land. Dann schritten sie in einem weiten Bogen nach der Stadt zu. Jede Begegnung sorgfältig vermeidend und sich stets im Dunkel haltend, gelangten sie glücklich an die Hofschmiede, deren Fenster alle dunkel waren.

"Wir gehen durch die Hinterthür," meinte der Schmied und sprang über den Zaun.

Katombo folgte ihm. Als sie in die Werkstatt traten, machte Brandauer Licht. Das Erste, was den beiden Männern in die Augen fiel, war eine weiße Gestalt, die sich hinter den Blasebalg niedergekauert hatte, um sich dort zu verstecken. Jedenfalls war es ein Lehrjunge, der hier auf verbotenen Wegen von dem Meister überrascht wurde, den er wohl bereits zu Hause gewähnt hatte. Der Schmied zog ihn hervor, und nun zeigte es sich, daß der Bursche nur mit Hemd und Unterhose bekleidet war.

"Was thust Du hier, Thomas?"

"Ich - ich - ich weiß es selper nicht, Meister Prandauer."

"So!" Er leuchtete in den Winkel, wo der Bursche gesteckt hatte, und brachte eine noch glimmende Cigarre zum Vorschein. "Was ist das?"

""Das? Hm, das ist vielleicht gar eine Ampalema!"

"Du hast geraucht?"

"Nur ein ganz kleines Pischen, Herr Meister."

"Und warum hier?"

"Dropen kann ich nicht in der Kammer; da könnte ich pei dem Opergesellen schöne Ohrfeigen pesehen!"

"Verdient hättest Du sie!" lachte Brandauer, der dem Lehrjungen nicht ungewogen zu sein schien. "Aber da sie einmal brennt, so magst Du sie fortrauchen. Dabei aber sorgst Du für diesen Mann, den ich Dir übergebe, bis ich nachher wiederkomme."

"Ganz zu Pefehl, mein pester Meister Prandauer!" schmunzelte der Junge und folgte den beiden Leuten in die Stube, wo der Schmied einen Kleiderschrank öffnete.

"Hier, ziehe Dich um, und laß Dir dann von Thomas zu essen und zu trinken geben. Er mag so vorsichtig wie möglich sein, daß Niemand aufgeweckt wird. Jetzt gehe ich nach dem Gehege."

Nach einigen weiteren Bemerkungen verließ er das Haus. Katombo sah sich von dem Lehrburschen aus das Beste bedient, der, als sich der Zigeuner umgekleidet hatte und mit Essen fertig war, hinaus in die Werkstatt ging und mit einer Cigarre zurückkehrte.

"Willst Du Dir auch eine anprennen?" frug er.

"Ja."

"Da hast Du sie; aper rauche sie mit Verstand; es ist nicht etwa plos Cupa oder Hapanna, sondern die peste Ampalema. Ich hape sie von meinem Pruder Palduin, der ist Kenner, zwei Stück für drei Pfennige!"

Damit hatte die Unterhaltung ein Ende, denn der Lehrling hatte keine Lust, sich den Hochgenuß seiner Ambalema durch unnützes Reden zu beeinträchtigen, und Katombo war zu sehr mit seinen Gedanken und Gefühlen beschäftigt, als daß er ein Bedürfniß nach einem Gespräche empfunden hätte.

So vergingen beinahe zwei Stunden, ehe Brandauer zurückkehrte. Er schickte den Jungen zur Ruhe und gab dann kurzen Bericht.

"Ich habe sie nicht getroffen."

"Warum? Der Ort ist auch bei Nacht leicht zu finden."

"Weil sie überhaupt nicht mehr da sind. Ich traf ganz unerwartet auf einen Militärposten, der mich anrief. Ich gab an, daß ich mich verirrt hätte, und frug nach dem Grunde, daß Posten ausgestellt seien. Er erzählte mir, daß einer der Zigeuner einen Mann erstochen habe und entflohen sei; nun ist das ganze Gehege |94B besetzt, um ihn zu fangen, sobald er zurückkehrt. Die andern Zigeuner aber sind sofort unter militärischer Bedeckung transportirt worden, wohin, das wußte er nicht."

"So werde ich morgen nachforschen!"

"Das überlaß nur mir. Für jetzt bist Du bei mir in Sicherheit. Ich übergebe Dir ein Zimmer, welches kein Mensch betreten darf als der Lehrling, der Dich bedienen wird. Er ist treu und verschwiegen. Das Übrige wird sich später finden."


Einführung "Scepter und Hammer"

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