(|146|)A Vierzehntes Kapitel.

Der schwarze Kapitän.

Nach den zuletzt erzählten Ereignissen waren zehn Jahre vergangen.

Es war im März, dem heißesten Monat Egyptens. Die Sonne brannte glühend hernieder; der Sand der Wüste vermochte ihre Strahlen nicht mehr aufzunehmen; er warf sie wieder von sich, so daß sie sich wie ein wallendes Gluthmeer über die Ebene lagerten und dem nach einem grünen Punkte sich sehnenden Auge Schmerzen verursachten.

Eine kleine Karawane zog durch die Wüste. Voran ritten zwei Männer zu Pferde. Der eine war alt, sein Bart hatte das Grau des Silbers angenommen; dennoch aber machte er noch den Eindruck der Kraft und Ausdauer, welche zu einem Wüstenritte unbedingt erforderlich sind. der andere war bedeutend jünger. Seine Gestalt überragte die des ersten um Kopfeslänge.

Hinter ihnen kam ein kostbar aufgezäumtes Kameel mit einem Tachterwahn (Frauenkorb), in welchem eine verschleierte Frau saß, die ein ungefähr zweijähriges Mädchen in den Armen hielt, dessen kindliche Züge auf die Schönheit der Mutter schließen ließen.

Dann folgte eine Diener, welcher mehrere Lastkameele leitete, und den Zug beschlossen einige bewaffnete Männer, denen man es ansah, daß sie ihre krummen Säbel und langrohrigen Büchsen wohl zu gebrauchen wußten.

Die beiden Anführer unterhielten ein lebhaftes Gespräch.

"Weißt Du gewiß, daß wir uns in der rechten Richtung befinden, Katombo?" frug der Ältere.

"Ja, Vater," antwortete der Gefragte. "Ich weiß es ganz genau, daß wir am Abende, also in ungefähr drei Stunden, die Uah (Oase) erreichen werden."

"Dann Gott sei Dank! Wir fürchten uns natürlich vor einer |146B solchen Reise nicht; aber Ayescha und das Kind besitzen unsere Kräfte nicht und bedürfen es sehr, daß der Ritt zu Ende geht. Was wird Omar-Bathu sagen!"

"Und Sobeïde! Sie haben keine Ahnung, daß wir kommen, und ihre Überraschung wird ebenso groß sein wie die Freude, welche unser Besuch erregen wird."

"Zehn Jahre! Es ist eine lange, lange Zeit, daß wir sie nicht gesehen haben; für Dich war sie glücklich, für Omar nicht. Du wurdest Kapudan Pascha (Oberadmiral), und er wurde zum Tode verurtheilt, weil es ruchbar wurde, daß er der Tödtung des Mudellir von Assuan und unserer Flucht nicht fern gestanden hatte. Es gelang ihm zu entkommen, und nun muß er als ein Geächteter und Verfolgter in der Wüste leben, die ganz allein ihm Sicherheit gewährt."

"Das ist schlimm; doch ist sein Unglück nicht so groß, als wie es scheint. Er und Sobeïde lieben sich, und seine Mameluken sind ihm treu ergeben. Ich werde all meinen Einfluß aufbieten um zu erlangen, daß ihm der Khedive die Erlaubniß gibt zurückzukehren."

"Wird Dein Einfluß so weit reichen? Der Vizekönig ist beinahe selbstständiger Herrscher seines Landes, in Mesr (Egypten) gilt der Wille des Sultans jetzt so viel wie nichts, und außerdem mußt Du bedenken, daß Du in den Augen des Vizekönigs ja selbst der Strafbare bist."

"Es kommt darauf an, ob man in Nurwan-Pascha den Katombo erkennt, welcher den Mudellir überlistete und besiegte. Doch halt! Was sind das für Punkte?"

Er deutete mit der Hand vorwärts, wo am Horizonte einige weiße Punkte erschienen, welche sich näherten. Die Karawane hielt an, und die Männer griffen zu den Waffen.

"Sind es Feinde?" frug mit ängstlicher Stimme die Verschleierte.

"Das kann man nicht wissen, Ayescha," antwortete Katombo. "Jeder Wüstenbewohner ist mehr oder weniger ein Räuber oder Dieb."

"Es sind ihrer viele," meinte Manu-Remusat. "Kannst Du sie zählen, Katombo?"

|147A Dieser hielt die Hand über die Augen, um von der Sonne weniger geblendet zu werden.

"Fünf - zehn - zwölf - fünfzehn - zwanzig! Wenn es Feinde sind, so sind sie uns an Zahl überlegen."

"Dennoch werden wir uns wehren!"

Die Reiter kamen näher. Ihre weißen Haïks (Burnus mit Kaputze) schimmerten im Lichte der Sonne. Sie hatten die Reisenden bemerkt und hielten in einer breiten Front auf sie zu, deren Flügel sich nach und nach verschoben, so daß die Karawane umzingelt wurde.

Ayescha zitterte vor Angst und drückte ihr Töchterchen fest an sich.

"Kämpft nicht, sondern ergebt Euch lieber," bat sie.

"Beruhige Dich," sprach Katombo; "wir haben nichts zu fürchten. Ich kenne einen von ihnen. Er war mit Omar-Bathu, als dieser Sobeïde holte."

Die Reiter schwangen drohend ihre Lanzen und Flinten, und als der Kreis um die kleine Karawane geschlossen war, frug der Anführer:

"Wer seid Ihr?"

"Wir sind Reisende, die eine Uah suchen, und wünschen Frieden mit Euch."

"Wo kommt Ihr her?"

"Aus Mesr."

"Und wo wollt Ihr hin?"

"Du fragst, als ob Du ein Khawasse seist. Wer hat Dich zum Herrn der Wüste gemacht?"

"Ein Khawasse? Ich bin kein Sklave, sondern ein freier Mann. Ein Uëlad Arab ist kein Polizist."

"So verfolge Deinen Weg ebenso wie wir den unsrigen."

"Unser Weg ist der Eurige. Ihr kommt aus Mesr; das ist nicht gut für Euch, denn ich muß Euch zu unserem Scheik bringen."

"Wie lautet der Name desselben?"

"Du wirst ihn vielleicht erfahren!"

"Ich weiß ihn bereits. Dein Herr ist Omar-Bathu, den wir suchen."

"Du kennst ihn? Wer hat ihn Dir genannt?"

"Wir sind Freunde von ihm. Führe uns!"

"Bist Du sein Freund, so sorge Dich nicht; seid Ihr aber Feinde von ihm, so seid Ihr verloren. Kommt!"

Der Zug setzte sich in Bewegung.

Sie mochten wohl eine Stunde geritten sein, als am fernen Horizont ein Reiter auftauchte, welcher ein sehr gutes Hedjihn reiten mußte, denn der Lauf des Thieres war so schnell, daß er schon nach fünf Minuten auf Hörweite herangekommen war. Es war ein noch junger Mann, der ein ganzes Arsenal von Waffen an sich hängen hatte. Er schien sich vor der Truppe nicht im Geringsten zu fürchten, sondern kam getrost herbei und hielt sein Hedjihn erst dann an, als er die Beduinen erreicht hatte.

"Sallam aaleïkum!" grüßte er, die Hand nach de Stirn erhebend.

"Sallam aal'!" antwortete der Anführer kurz. Er mußte den Gruß erwidern, sprach ihn aber nicht vollständig aus, ein Zeichen, daß er sich erst entscheiden wolle, ob er dem Fremden freundlich begegnen werde. "Wo kommst Du her?"

"Aus Bildah."

"Das ist sehr weit. Und wo willst Du hin?"

"Nach Hefr."

"Auch das ist weit. Zu welchem Duar gehörst Du?"

"Ich bin ein Sohn des Beni Soliman und heiße Mehem al Olahad."

"Die Beni Soliman sind friedfertige Hirten, Du aber trägst der Waffen sehr viele bei Dir!"

"Weißt Du nicht, daß die Gum (Raubkarawane) in der Wüste wohnt und der "Herr mit dem dicken Kopfe" des Nachts seine Stimme erhebt? Auch Du hast Waffen, aber dennoch habe ich Dich als Freund begrüßt."

"Soll ich Dein Freund sein so folge uns. Du wirst in unserer Uah Wasser und Speise finden für Dich und Dein Thier."

"Wie heißt der Schech Deines Lagers?"

"Er wird Dir seinen Namen selbst sagen. Komm!"

Der Fremde schloß sich an.

Die Sonne senkte sich immer mehr zum Horizonte nieder, und es war nicht mehr weit bis zu der in jenen Gegenden so kurzen Dämmerung, als in der Ferne grüne Palmenwedel auftauchten, und bald wurde ein Wadi erreicht, welches in Folge eines rieselnden Quelles eine außerordentliche Fruchtbarkeit zeigte.

|147B Unter den schlanken Palmen, welche voll schwerer Datteltrauben hingen, standen wohl an sechzig Zelte, deren größtes gerade auf dem Mittelpunkte der Oase errichtet war. Vor demselben stand der Herr des Lagers - Omar-Bathu der Mamelukenfürst.

Die zehn Jahre der Ächtung und Verbannung hatten keinen ungünstigen Eindruck auf sein Äußeres gemacht. Sein Gesicht war tief gebräunt, seine Gestalt stärker, voller und kräftiger geworden. Er blickte hinaus nach Osten, von woher sich der Zug nahte. Da öffnete sich der Vorhang des Zeltes, und Sobeïde trat heraus. Sie hatte die Sitte der Beduinenweiber angenommen und war unverschleiert. Auch auf sie hatte die Zeit keinen ungünstigen Einfluß geäußert. Sie schien gar nicht gealtert zu haben und war vielmehr noch schöner als vorher geworden.

"Magst Du nicht hereinkommen, Lieber? Das Mahl ist bereitet."

"Ich möchte, aber dort nahen unsere Leute, welche eine Anzahl Fremder bringen."

"Wer mag es sein? Gefangene Feinde?"

"Ich weiß es nicht. Schau, es muß ein Weib dabei sein, denn das eine Djemmel (Kameel) trägt einen Tachterwahn."

Die Nahenden kamen schnell herbei, getragen von ihren Thieren, welche die Nähe des Wassers witterten. Omar-Bathu's Gesicht nahm immer mehr den Ausdruck der Spannung an, aber das Auge der Liebe sieht scharf. Sobeïde stieß plötzlich einen Schrei aus.

"Mein Vater!"

Die Arme ausbreitend, eilte sie ihm entgegen. Remusat sprang vom Pferde und zog sie an sich.

"Mein Kind, meine Tochter!"

Er küßte sie mit väterlicher Zärtlichkeit und begrüßte dann Omar, welcher mittlerweile Katombo die Hand geboten hatte. Der Letztere ließ das Kameel, welches den Tachterwahn trug, niederknien. Ayescha stieg aus. Jetzt verdoppelte sich der Jubel. Das ganze Lager gerieth in freudige Aufregung über den Besuch, welchen der Scheich erhalten hatte, und dem Beduinen vom Stamme Beni Soliman kam diese Freude zu gute, denn man nahm sich keine Zeit, weiter nach seinen Verhältnissen zu forschen, er durfte als Gast in der Oase bleiben.

Am Abende saßen die seit langer Zeit wieder einmal Vereinten unter den Palmen und erzählten sich gegenseitig ihre Erlebnisse. Auch Sobeïde hatte ihrem Manne ein Töchterchen geschenkt, welches bereits neun Jahre zählte und also sieben Jahre älter war als die Tochter Katombos.

Die beiden so weit auseinander gerissenen Familien hatten nur äußerst selten von einander Kunde erhalten können, da der Aufenthalt Omar-Bathus sehr oft wechselte und auch stets verborgen bleiben mußte. Desto ausführlicher wurde jetzt Alles behandelt.

Vom Wasser her erscholl der Ton der Rababa, zu welchem sich einige Mädchen im Tanze drehten. Alle Männer waren dort versammelt, und darum hatte auch Ayescha den Schleier zurückgeschlagen, so daß ihr schönes Angesicht im Strahle des Mondes und der Sterne zu erkennen war.

Und doch wurde sie von einem unberufenen Auge beobachtet. Der fremde Beduine hatte sich hinter den Stamm einer nahen Palme geschlichen und beobachtete die Gruppe mit der größten Aufmerksamkeit. Auch von dem Gespräche vernahm er den größten Theil und zog sich erst dann zurück, als er bemerkte, daß man sich anschickte, sich zur Ruhe zu begeben.

In kurzer Zeit lag die Oase in tiefster Ruhe. Auch die Wüste schwieg, und nur zuweilen erscholl von weitem das bellende "J-a-u" des Schakals oder das tiefe "Om-mu" der Hyäne.

Da erhob sich der Beduine von der Decke, auf welcher er gelegen hatte, und schlich sich zwischen zwei Zelten hindurch, um in das Freie zu gelangen. Er kam unbemerkt hinaus und eilte dann in der Richtung fort, aus welcher er am Tage gekommen war. Nach einer Viertelstunde ungefähr blieb er stehen und stieß den Schrei des Geiers aus, welcher sofort beantwortet wurde.

Er ging dem Tone nach und stand bald vor einem Manne, welcher sich von der Erde aufgerichtet hatte.

"Nun, Selim, ist es das richtige Duar (Zeltdorf) des Mameluken?"

"Ja, Sihdi."

"Endlich, endlich habe ich ihn und werde den Preis verdienen, den der Khedive auf seinen Kopf gesetzt hat! Ist er daheim?"

"Ja! ich habe ihn gesehen und mit ihm geredet."

"Wir sind Deiner Spur gefolgt, sie stieß mit vielen andern zusammen. Wen hast Du getroffen?"

|148A "Die Männer des Mameluken und eine kleine Kaffila (Kleine Karawane), welche zu ihm wollte."

"Wer war es?"

"Es waren zwei Männer, ein Weib und ein Kind. Die Männer wurden von ihm Katombo und Remusat genannt, und das Weib war die Schwester seines Weibes."

"Remusat? Das ist Manu-Remusat, der Schech el Reïsahn und der Reïs Katombo, welche vor zehn Jahren den Mudellir Hamd-el-Arek ermordeten und dann flohen! Hamdullillah, Preis sei Gott; ich habe sie Alle beisammen, die ich gesucht habe, und werde sie entweder gefangen nehmen oder tödten. Beschreibe mir die Uah!"

Selim, der also einen ganz anderen Namen trug, als er angegeben hatte, kam diesem Befehle nach.

"Wie viele streitbare Männer sind vorhanden?"

"Vielleicht siebenzig."

"Dann sind wir ihnen überlegen, auch abgesehen davon, daß sie schlafen und todt sein werden, ehe sie sich wehren können. Kehre jetzt zurück und wache, bis ich mit den Janitscharen komme. Der Schrei des Adler ist mein Zeichen, und wenn Alles in Ordnung ist, so antwortest Du mit dem Tone, den der Bülbül (Nachtigall) ausstößt wenn er träumt."

"Ich gehorche, Sihdi! Aber ist es nothwendig, daß ich allein zurückkehre?"

"Fürchtest Du Dich? Du mußt schnell zurück, denn wenn man Deine Abwesenheit bemerkt ehe wir kommen, so kann unser Plan verrathen sein."

Selim wandte sich und kehrte nach dem Duar zurück. Sein Verschwinden schien gar nicht bemerkt worden zu sein, aber als er dahin gelangte, wo neben seinem Kameele seine Decke lag, erhob sich neben dem Thiere die hohe Gestalt Katombos.

"Wo warest Du?" frug er ihn.

"Ich ging, die Hyänen zu vertreiben, deren Stimmen mich im Schlafe störten."

"Ich hörte die Hyänen dort zur Rechten; Du aber kamst von der Linken. Du redest nicht die Wahrheit!"

"Mein Mund spricht keine Lüge!"

"Er spricht sie! Wo hast Du die Pistolen her, welche hier in Deinem Gürtel stecken?"

"Glaubst Du, sie sind gestohlen oder geraubt? Ich habe sie gekauft."

"Wo?"

"In - in Siut."

"In Siut? Ah! Bei wem?"

"Bei dem Waffenhändler Omrah-el-Barat."

"Du bist sehr klug, aber Du weißt nicht, daß ich aus Siut bin und sehr wohl weiß, daß es dort keinen Waffenhändler gibt, welcher diesen Namen trägt. Deine Pistolen, welche ich heut genau betrachtete, haben das Zeichen des Khedive, Du bist ein Arnaut oder ein Janitschar."

"Ich bin ein Beni Soliman!"

"Und heißest Mehem al Olahad? In Mesr sagt man Olahad, bei den Beni Soliman aber Ulahad. Du verräthst Dich selbst und wirst die Wahrheit bekennen, sonst bist Du verloren!"

"Ich kann nicht mehr sagen, als was ich bereits gesprochen habe."

"So bist Du mein Gefangener!"

Er faßte nach dem Manne.

"Noch nicht!" antwortete dieser.

Er bückte sich, schnellte unter dem Arme Katombos hinweg und riß den Dolch aus der Scheide. Er zückte denselben zum Stoße, Katombo aber kam ihm zuvor und faßte den Arm.

"Mörder! Jetzt kostet es Dich das Leben!"

Er hielt ihn fest. Ein lauter Ruf machte alle Schläfer munter. Die Söhne der Wüste sind an Gefahren gewöhnt, und es gibt für sie keinen Schreck, die ihre Glieder lähmen, oder ihnen die Besinnung rauben könnte.

"Herbei, Ihr Männer! Dieser Fremde ist ein Verräther, der mich tödten wollte, weil ich ihn durchschaute."

Der Mann wurde sofort umringt, und Katombo erzählte das Vorgekommene. Natürlich waren auch Remusat und Omar herbeigekommen. Letzterer betrachtete die Waffen des Angeschuldigten genau.

"Er ist ein Janitschar und hat Verbündete in der Nähe. Gestehst Du es?"

"Ich kann nichts gestehen?"

|148B "So stirbst Du!"

"Und Du mit mir, Du und ihr Alle; das ist Euer Kismet!"

"Ah, jetzt verräthst Du Dich! Bindet ihn!"

Er wurde entwaffnet und gefesselt.

"Ist er ein Arnaute oder Janitschar, so wird er gestehen müssen," meinte Katombo. "Mensch, hast Du vielleicht gehört, wie der Kapudan-Pascha des Großherrn heißt?"

"Nurwan-Pascha."

"Gut. Ich bin Nurwan-Pascha und befehle Dir, die Wahrheit zu gestehen!"

"Du lügest!"

"Bringt eine Fackel herbei!"

Sie wurde gebracht.

"Kannst Du lesen?" frug Katombo.

"Ja."

"Ah, ein Beni Soliman und lesen! Hier lies diesen Biulderi."

Er zog ein Pergament hervor und hielt es ihm vor die Augen. Der Gefangene warf einen Blick auf den großherrlichen Paß und erbleichte.

"Glaubst Du nun, daß ich Nurwan-Pascha bin?"

"Ja."

"Dann nieder auf die Knie mit Dir, Hund! Ich befehle Dir, die Wahrheit zu sagen. Lügst Du fort, so wirst Du todt gepeitscht."

Der Gefangene warf sich auf die Kniee.

"Frage, Herr! Dein Knecht wird antworten."

"Wie ist Dein wirklicher Name?"

"Selim."

"Was bist Du?"

"Janitschar."

"Was thust Du in der Wüste?"

"Ich suche den Mameluken Omar-Bathu."

"Du bist nicht allein. Wer ist bei Dir?"

"Der Aga mit hundertzwanzig Mann."

"Wo ist er?"

"In der Nähe. In einer Minute kann er bereits über Euch herfallen."

"Ah! Die Fackel aus. Nehmt Eure Waffen, Ihr Männer; versammelt die Frauen in der Mitte des Duar und verhaltet Euch still! Wer hat Dir diese Oase verrathen?"

"Der Aga weiß es, ich nicht."

"Das Leben sei Dir geschenkt, denn Du hast gehorchen müssen und mir jetzt die Wahrheit gesagt."

Er löste ihm die Fesseln und fuhr dann fort:

"Ich gebe Dir die Freiheit. Gehe zum Aga und sage ihm, daß Nurwan-Pascha hier gebietet. Er wird von seinem Vorhaben abstehen."

Selim eilte davon, so schnell als ihn seine Füße tragen wollten; an sein Kameel und die ihm abgenommenen Waffen dachte er gar nicht. In einiger Entfernung von der Oase traf er auf die herbeischleichenden Janitscharen. Der voranschreitende Aga verwunderte sich über sein Erscheinen.

"Du kehrst zurück! Warum?"

"Um Dir zu sagen, daß der Überfall nicht stattfinden darf."

"Warum?"

"Der Kapudan-Pascha ist im Duar."

"Nurwan-Pascha! Hat Dir der Scheïtan (Teufel) den Verstand genommen?"

"Sihdi, er ist es. Ich wollte es nicht glauben, und er hat mir seinen Biulderi gezeigt."

"Wann? Jetzt?"

"Jetzt. Er hatte mein Verschwinden bemerkt und meine Rückkehr erwartet. Er weckte alle Männer des Duar und ließ mich fesseln. Ich mußte ihm Alles gestehen, und nun sendet er mich, Dich zu warnen."

"Warnen? Was geht mich Nurwan-Pascha an! Er ist Offizier des Großherrn, und ich bin Offizier des Vizekönigs. Ich habe ihm nicht zu gehorchen. Der Vizekönig hat mir befohlen, Omar-Bathu zu fangen oder zu tödten, und das werde ich thun, obgleich es nun einen harten Kampf geben wird, weil sie gewarnt sind. Deine Strafe wirst Du morgen erhalten dafür, daß Du uns ihm verrathen hast!"

"Sei gnädig, Herr! Ich konnte nicht anders."

"Wer ist Dein Herr, er oder ich?"

"Du, Sihdi. Aber bedenke, daß Du dem Vizekönig viel Verlegenheit bereiten wirst, wenn Du den obersten Seeoffizier des Großherrn tödtest."

|149A "Ich werde ihn nicht tödten, wenn er mich in der Erfüllung meiner Pflichten nicht stört. Hast Du das Weib des Mameluken gesehen?"

"Ich habe ihr Angesicht geschaut, denn sie war nach Sitte der Beduinen nicht verschleiert."

"Ist sie wirklich so schön, wie man dem Vizekönig erzählt hat?"

"Ja. Sie ist herrlich wie eine Houri des Himmels."

"Sie soll das Harem des Vizekönigs zieren. Du kehrst jetzt zurück zu Nurwan-Pascha und sagst ihm, er solle mir den Mameluken mit seinem Weibe ausliefern; dann werde ich friedlich abziehen, ohne den Uah zu betreten."

"Er wird es nicht thun, denn sein Weib ist die Schwester von Omars Weib."

"Dann werden wir angreifen, und es ist seine Schuld, wenn auch er getödtet wird. Gehe! Vielleicht erlasse ich Dir Deine Strafe."

Der Untergebene gehorchte. Es dauerte eine ganze Weile ehe er zurückkehrte.

"Nun?" frug der Aga.

"Sihdi, er war sehr zornig und wollte mich tödten, weil ich es wagte, ihm einen solchen Antrag zu stellen."

"Wie lautete seine Antwort?"

"Du sollst kommen und Dir den Mameluken holen."

"Weiß er, wie viel wir sind?"

"Nein," log Selim, um seine Lage nicht zu verschlimmern.

"Er glaubt vielleicht, daß wir weniger zählen als die Seinen. Wir greifen an. Bringst Du mir die Schädel von fünf Feinden, die Du selbst getödtet hast, so werde ich Dir verzeihen. Vorwärts! Wir umzingeln die Uah, und wenn ich das Zeichen gebe, fallen wir ein und tödten Alles, was sich widersetzt. Alles, was wir finden, ist Euer Eigenthum."

Dieses letztere Versprechen war darauf berechnet, die Tapferkeit der Janitscharen anzuflammen, und erreichte auch ganz diesen Zweck. Sie theilten sich in zwei Haufen, um das Lager von allen Seiten zu nehmen. Tiefe Stille lagerte auf der Wüste; aber nach einiger Zeit erscholl der schrille Schrei des Adlers, und sofort wurde es laut im Duar.

Befehlende Stimmen ertönten, Flüche erschallten, Schüsse |149B krachten. Dann warf man die Flinten fort und arbeitete nur mit dem Messer. Nach und nach mischten sich auch weibliche Stimmen in den Lärm. Die Janitscharen waren zu übermächtig, sie siegten. Es war eine Scene, wie sie so wild, so schauerlich und unmenschlich nur in der Sahara vorkommen kann, wo in den Adern das Blut so glühend fließt, wie der Sonnenbrand über die Dünen des wandernden Sandes. Hier und da huschte die Gestalt eines fliehenden Mameluken zwischen den Zelten hervor und verschwand in der Wüste. Erst mit dem grauenden Tage war Alles beendet.

Der Aga stand, aus mehreren Wunden blutend, in der Mitte des Duar. Vor ihm lagen fünf Köpfe, welche Selim gebracht hatte.

"Es ist gut! Dir sei verziehen. Zähle die Todten!"

Während Selim diesen Auftrag ausführte, trat der Aga zu den Gefangenen. Es waren lauter Frauen; kein einziger Mann befand sich darunter; sie waren Alle, außer denen, die sich durch die Flucht gerettet hatten, getödtet worden.

Die Frauen bildeten eine erschütternde Gruppe; die meisten von ihnen hatten von den wilden Janitscharen die ärgsten Mißhandlungen zu erleiden gehabt. Unweit von ihnen saßen Sobeïde und Ayescha an der Erde; vor ihnen lagen Remusat, Omar und Katombo ausgestreckt. Die beiden ersteren waren todt; der letztere hatte eine schwere Hiebwunde über den Kopf erhalten und befand sich ohne Bewußtsein. Sobeïde weinte über der Leiche ihres Mannes, und Ayescha gab sich unter einer Fluth von Thränen Mühe, das Blut zu stillen, welches aus Katombos Wunde floß, und ihn in das Leben zurückzurufen.

Das kalte Auge des Aga überflog die Gruppe.

"Wie heißest Du?" frug er Ayescha.

Sie nannte ihren Namen.

"Und dieser Mann?"

"Es ist Nurwan-Pascha, der Großadmiral des Sultans," antwortete sie stolz und drohend. "Du hast ihn verwundet und die Seinen getödtet. Wehe Dir, wenn es der Großherr erfährt!"

Er lachte höhnisch auf.

"Ich bin der Aga des Vizekönigs. Dein Sultan kann mir nichts thun, denn ich habe nur meinem Herrn zu gehorchen."

Er wandte sich gegen Sobeïde.

"Wie heißest Du?"

|150A "Sobeïde."

"Du bist die Tochter von Manu-Remusat?"

"Ja."

"Und das Weib von Omar-Bathu?"

"Ja."

"Ist dieses Mädchen Dein Kind?"

"Ja."

"Weine nicht, denn Deine Traurigkeit soll in Herrlichkeit und Freude verwandelt werden. Du bist für das Harem des Vizekönigs bestimmt und Deine Tochter soll wie eine Prinzessin erzogen werden."

Ihr Auge leuchtete trotz der Thränen zornig auf.

"Eher werde ich mich tödten!"

Sie zog das Messer, welches im Gürtel des todten Omar stak; aber mit einer schnellen Bewegung ergriff der Aga ihre Hand.

"Selim!"

Der Janitschar trat herbei.

"Ich übergebe Dir dieses Weib und dieses Kind. Sie werden von den übrigen Gefangenen abgesondert, denn ihre Bestimmung ist eine vornehme; aber Du hast über sie zu wachen, daß ihnen kein Leid geschehe oder sie es sich selbst thun."

Sobeïde warf sich um den Hals ihrer Schwester, um sich nicht von ihr trennen zu lassen. Die Beiden umfingen sich mit aller Kraft, deren ihr zarter Körper fähig war, aber es half ihnen nichts; sie wurden auseinander gerissen. Selim führte Sobeïde und das Mädchen nach einem Kameele, dessen Tachterwahn sie besteigen mußte.

"Grausamer, tödte mich!" rief Ayescha im höchsten Schmerze.

"Das darf ich nicht. Du bist schöner als sie, und ich möchte Dich gern mit ihr dem Vizekönig zuführen, aber Du bist das Weib des Kapudan-Pascha, und ich darf Dich nicht anrühren und ihn nicht tödten. Du bleibst bei ihm zurück, um ihn zu pflegen."

"So laß mich Abschied nehmen von der Schwester!"

"Thue es!"

Es war ein kurzer herzzerreißender Augenblick, der die Schwestern noch vereinigte. Mittlerweile wurden auch die übrigen Frauen und Kinder auf die Kameele vertheilt; ihr Schicksal war, verkauft zu werden. Nachdem die verwundeten Janitscharen verbunden waren, rüstete man sich zum Aufbruche.

"Trennt Euch!" gebot der Aga den Schwestern, und zu Ayescha gewendet fuhr er fort: "Ich lasse Dir Alles da, was Nurwan-Pascha gehört, denn ich darf ihn nicht berauben. Sage ihm, daß ich ihn geschont und nur meine Pflicht gethan habe. Ihr werdet nicht lange allein sein, denn mehrere der Eurigen sind geflohen und werden wieder zurückkehren, sobald wir die Uah verlassen haben. Sallam aaleïkum, Friede und Heil sei mit Dir und denen, die Du liebst!"

Die Reiter stiegen auf, und die Karawane setzte sich unter dem Klagegeschrei der davongeführten Frauen und Kinder in Bewegung. Wie eine lange riesige Schlange wand sie sich nach Osten hin in die Wüste hinaus, und bald war ihr Kopf und dann auch ihr Schwanz verschwunden. Ayescha befand sich mit dem Verwundeten und ihrem Kinde allein in der weiten Einsamkeit.

Sie kniete nieder und betete, nicht wie eine Muhammedanerin, sondern wie eine Christin zu Isa Ben Marryam, dem Gottessohne, der in die Welt gekommen ist um zu rufen: "Kommet her, Alle, die Ihr mühselig und beladen seid; ich will Euch erquicken und erretten!"

Dann zog sie den Körper Katombos bis an den Quell, um die klaffende Wunde zu waschen. Bei dieser Bemühung kehrte ihm das Bewußtsein zurück. Er schlug die Augen auf und erkannte sein Weib.

"Ayescha!" hauchte er.

"Hier bin ich, mein Geliebter!"

"Wo ist Almah, unser Kind?"

"Hier, sie ist gerettet."

"Und die Andern?"

"Gefangen und fortgeführt."

"Und Sobeïde?"

"Ist mitgefangen."

"Omar und Dein Vater?"

"Todt! Hier liegen sie."

Er wandte langsam das verwundete Haupt. Sein Auge fiel auf die beiden Leichen; es sah auch die große Zahl der umherliegenden Todten; er schloß es wieder. Die Ohnmacht nahm ihn gefangen.

Die Frauen des Orientes werden nur für den zukünftigen Mann erzogen, und da der Orientale vorzugsweise Krieger ist und unter der Möglichkeit steht, öfters verwundet zu werden, so gibt es selten |150B ein Weib, welche nicht mit der Behandlung der Wunden bekannt ist. Auch Ayescha wußte sehr wohl, was für einen solchen Fall zu thun sei. Sie suchte unter dem Grün nach einer schmerzstillenden Pflanze und fand sie auch. Nachdem sie eine Menge davon gesammelt hatte, zerdrückte sie dieselben, ließ den Saft in die Wunde träufeln, legte die ausgedrückten Pflanzen auf und verband dann den Kopf.

Diese Behandlung schien dem Kranken wohlzuthun; er fiel in einen tiefen Schlaf, welcher ihn erst am nächsten Morgen wieder aus seinen wohlthätigen Armen entließ. Die Scene, welche gestern sein mattes Auge erblickt hatte, war noch dieselbe. Er mußte sich erst besinnen.

"Ist Alles todt?" frug er dann.

"Nur Einige sind entkommen."

"Warum verschonte man mich und Dich?"

"Deines Ranges wegen."

"Und Sobeïde - warum nahm man sie mit fort?"

"Sie ist für das Harem des Vizekönigs bestimmt."

"Allah inhal, Gott verdamme ihn! Pflege mich und gib mir fleißig Wasser und Pflanzensaft, damit ich gesund werde und sie Alle an ihm rächen kann."

"Da wirst Du viele Wochen warten können!"

"Gott ist groß und allmächtig. Er kann Alles. Und mein Körper ist stark. Fürchtest Du Dich allein zu sein?"

"ich fürchte mich vor den Todten, und in dieser Nacht waren die Hyänen und Schakals hier in der Nähe. Werden die Entflohenen zurückkehren?"

"Sie werden kommen wenn sie merken, daß sich die Mörder entfernt haben."

Er schlummerte wieder ein.

Ayescha suchte Kräuter für ihn und abgefallene Datteln für sich und ihre Tochter. So verging der Tag; der Abend brach herein, und ihm folgte die Nacht. Die Thiere, welche die Janitscharen zurückgelassen, hatten für sich selbst gesorgt. Wasser und Datteln nebst Strauchwerk gab es für sie genug.

Die Nähe der Todten, welche in Folge der Hitze bereits einen höchst widerwärtigen Geruch ausströmten, war auch in anderer Beziehung für Ayescha eine unheimliche, wenn nicht gefährliche. Der Geruch lockte die Hyänen, Schakale und Fenneks an, welche sicherlich heute Nacht ihr schauriges Mahl gehalten hätten, wenn das Weib mit dem Verwundeten allein geblieben wäre. Gegen Mitternacht aber huschte ein Schatten herbei, bei dessen Nahen Ayescha anfangs erschrak. Es war einer der entflohenen Mameluken.

Er suchte unter den Leichen herum und nahte sich auch der Stelle, an welcher sich die Lebenden befanden. Hier stutzte er, wurde aber durch den Zuruf Ayeschas beruhigt.

"Allah akbar, Gott ist groß! Hier sind noch Lebende? Hat Dich der Janitschar übersehen?"

"Nein. Er hat mir die Freiheit freiwillig gelassen."

"Und Katombo getödtet?"

"Er ist nur verwundet. Ich und mein Kind sind unbeschädigt."

"Wo sind die andern Frauen und Kinder?"

"Der Aga hat sie mitgenommen. Er wird die Frauen an Harems und die Kinder an Sklavenhändler verkaufen."

"Allah incharliek, Gott verbrenne ihn! Hätte ich ein Weib, so jagte ich ihm nach, denn hier sind noch Pferde und Kameele. Aber ich habe die Todten gezählt. Es fehlen drei der Unsrigen. Sind sie gefangen?"

"Nein."

"So sind sie auch entkommen und werden zurückkehren, sobald sie bemerken, daß er fort ist. Ich will sehen, ob sie in der Nähe sind, und ihnen ein Zeichen geben, welches sie kennen."

Er suchte eine Rhababa (ein musikalisches Instrument mit schmetternden Tönen) und fand sie. Sie an den Mund setzend, entlockte er ihr einige schrille, weithin schallende Töne. Dies wiederholte er einige Male, und bald zeigte sich der Erfolg: es kamen drei Gestalten herbei, welche in der Nähe herumgeschlichen waren, um zu sehen, ob die Oase wieder sicher sei.

Er unterrichtete sie von der Lage der Dinge. Sie stillten erst den empfindlichen Hunger und Durst, welchen sie empfanden, und beriethen dann, was zu beginnen sei. Alle vier waren noch Jünglinge. Sie hatten nicht für Weib und Kind zu kämpfen gehabt und also die Einzigen gewesen, welche geflohen waren. Ganz derselbe Umstand hielt sie auch ab, sich dadurch in neue Gefahr zu begeben, daß sie den Janitscharen nachjagten, was sie jedenfalls gethan hätten, wenn sich nähere Verwandte von ihnen unter den Gefangenen befunden hätten. Der Sohn der Wüste als geborener Räuber und Krieger fürchtet sich nicht, ganz allein einer großen |151A feindlichen Karawane zu folgen, um den Augenblick abzuwarten, welcher ihm für seine Pläne günstig erscheint. Und dann ist kein Fuchs so listig, kein Panther so blutdürstig und kein Löwe so todesmuthig wie er.

Die Vier beschlossen also zu bleiben, sich der Pflege des Kranken und der Bewachung der Oase zu widmen und dann später zu sehen was zu thun sei.

Noch während der Nacht begruben sie die Todten - allerdings nur die Ihrigen, welche unter dem Sande der Wüste eine Ruhestätte fanden, während die gefallenen Janitscharen weit hinausgetragen und den wilden Thieren zum Fraße hingestellt wurden.

Einige Monate später zog eine kleine Kaffila ein in das große Karawanserei zu Bulakh, der Vorstadt von Kairo. Sie bestand aus einem Weibe mit einem Kinde und fünf Männern. Der Eine von den Letzteren sah sehr bleich aus, aber in seinem dunklen Auge loderte ein Feuer, welches verrieth, daß er zwar vielleicht krank gewesen sei, doch alle Kräfte seines hohen starken Körpers wieder besitze.

Er übergab Weib und Kind seinen vier Begleitern und schritt nach der Straße el Kantareb, wo er vor einem palastähnlichen Hause hielt, an dessen Thür ein wohlbewaffneter Neger als Schildwache stand.

"Wem gehört dieses Haus?" frug er ihn.

"Du mußt hier fremd sein, Sihdi, daß Du dieses nicht weißt. Es gehört dem Khedive, Gott erhalte ihn, und drin wohnt stets der Oberkadi, welchen der Großherr, Gott segne sein Antlitz, jährlich sendet, um Recht zu hegen zwischen ihm und dem Vizekönig."

"Der Tag des Wechsels ist vorüber. Wie heißt der neue Kadi?"

"Der neue Kadi-Baschi, willst Du sagen! Er hat einen Namen so lang wie der Nil; wir aber nennen ihn kurz Abu-Mossalem."

"Ist er daheim?"

"Er sitzt in seinem Divan, denn es ist die Stunde, in der jeder Gläubige mit ihm reden darf, um von ihm Recht zu erflehen. Willst Du zu ihm?"

"Ja."

"So gehe, und Allah gebe Deinem Worte Segen!"

Katombo trat ein und stieg eine Treppe empor, deren Stufen mit kostbaren Teppichen aus Smyrna belegt war. Droben stand ein Verschnittener, in ein reiches Gewand gekleidet. Sein Handjar glänzte von Gold und seine Pistolen waren reich mit Silber ausgelegt.

"Was willst Du?" herrschte er den Kommenden in den hohen Fallsettönen an, welche den Kastraten eigenthümlich sind.

"Ich will mit dem Kadi-Baschi reden."

"Wer bist Du?"

"Das werde ich ihm selbst sagen."

"Du hast es mir zu sagen, denn ohne meine Erlaubniß darfst Du nicht zu ihm."

"Wo ist sein Divan?"

"Dort!"

Er zeigte mit der Linken nach einer Thür, während er ihm die geöffnete Rechte entgegenhielt als deutlichen Beweis, daß er nur Diejenigen einlasse, welche bereit waren, diese Erlaubniß für ein Bakschisch zu erkaufen.

"Du willst ein Bakschisch?" frug Katombo.

"Weißt Du nicht, daß eine offene Hand auch eine offene Thür macht?"

"Und weißt Du nicht, daß der Prophet sagt: "Die gierige Hand eines Dieners schadet dem Herrn. Wehe dem, der die Gerechtigkeit gegen Gold und Silber verkauft!" Du wirst von mir nichts erhalten."

"So ist der Kadi-Baschi für Dich nicht zu sprechen."

"Er ist es; das werde ich Dir beweisen."

Er holte aus und versetzte dem Menschen einen so kräftigen Schlag in das Gesicht, daß dieser nach rückwärts taumelte und zur Erde stürzte. Im Nu aber sprang er wieder auf und zog den Handjar, um sich mit demselben auf Katombo zu werfen. Dieser aber faßte ihn mit der Linken bei der Faust, welche die Waffe umschlossen hielt, und wiederholte den Hieb in der Weise, daß der Verschnittene laut aufbrüllte.

Da öffnete sich die Thür zum Divan, und unter derselben erschien der Kadi selbst. Katombo drehte ihm den Rücken zu, so daß er sein Gesicht nicht sehen konnte.

"Hund, was wagst Du!" rief der Kadi und zog den krummen Säbel.

Katombo drehte sich um.

"Deine Frage ist richtig. Dieser Hund wagt es, ein Bakschisch |151B von mir zu verlangen, ohne welches Du nicht zu Hause bist, und die Waffe gegen mich zu zücken. Willst Du ihn niederschlagen, soll ich es thun, oder ziehst Du vor, ihn dem Djezzar (Henker) zu übergeben?"

"Mensch, bist Du von bösen Djinns (Geister) besessen? Die Bastonnade wird sie Dir austreiben! Wer bist Du?"

"Siehe es!"

Katombo warf die Kaputze vom Kopfe in den Nacken zurück. Der Kadi fuhr erschrocken zurück.

"Der Kapudan-Pascha!"

"Ja, der bin ich. Bist Du auch ohne Bakschisch für mich zu sprechen?"

""Sallam aaleïkum! Tritt ein, Herr!"

"Und dieser Mensch, der es wagt, die Gerechtigkeit und Deinen guten Namen zu verkaufen?"

"Er wird seiner Strafe nicht entgehen. Wende nur mir Dein Angesicht zu und komm herein!"

Der Verschnittene steckte zitternd seinen Handjar ein. Die beiden Männer traten in den Divan ein, wo mehrere Männer und verschleierte Frauen saßen.

"Geht hinaus und wartet, bis ich Euch rufen lasse!" gebot ihnen der Kadi.

Sie erhoben sich sofort und entfernten sich. Katombo mußte sich zur rechten Hand des Kadi auf der erhöhten Estrade niederlassen, welche mit einem schimmernden Teppich aus Kaschmir belegt war. Auf ein Händeklatschen erschienen schwarze Sklaven mit köstlichen Tschibuks und Kaffee, welchen sie den Herren präsentirten. Der Kadi begann die Unterhaltung.

"Weißt Du, daß ein Gesandter des Großherrn hier in Kairo war, um nach Dir zu suchen?"

"Ich glaube es."

"Du hast auf zwei Monate Urlaub erhalten und bist nicht zurückgekehrt. Der Großherr hat bei dem Khedive nach Dir fragen lassen."

"Und was hat der Khedive ihm geantwortet?"

"Er hat gesagt, daß Du nur ein einziges Mal bei ihm gewesen und dann verschwunden bist. Das Schiff, mit welchem Du kamst und das auf Dich warten sollte, ist längst wieder nach Stambul abgegangen. Darf ich Dich fragen, wo Du während dieser Zeit gewesen bist?"

Katombo nahm den Fez vom Kopfe.

"Sieh diese Wunde!"

Der Kadi erschrak.

"Maschallah! Du warst verwundet und krank! Wer hat es gewagt, Dir, dem Kapudan-Pascha, dem berühmtesten Admiral des Beherrschers der Gläubigen, dies zu thun?"

"Ich komme zu Dir, um Gerechtigkeit von Dir zu fordern. Wirst Du den Thäter bestrafen?"

"Allah akbar, Gott ist groß, und meine Hand ist stark. Der verwegene Hund soll es mit dem Tode büßen. Nenne mir seinen Namen!"

"Du wirst ihn nicht bestrafen," antwortete Katombo in zweifelhaftem Tone.

"Warum nicht? Ich schwöre Dir bei dem Barte des Propheten und aller seiner Kalifen, daß er seinen Lohn haben soll! Sage mir nur seinen Namen. Ich werde ihn greifen lassen, und wenn er im entferntesten Wadi (Thal, Schlucht) der Sahara wohnt."

"Du brauchst ihn nicht in der Sahara zu suchen, denn er befindet sich hier in Kahira. Es ist der Vizekönig."

Der Kadi erschrak.

"Allah schütze Deine Seele und die meinige! Wie ist es möglich, daß der Vizekönig den Kapudan-Pascha des Sultans überfallen kann?"

"Nicht er hat es gethan, sondern sein Janitscharenaga."

"Und wo ist es geschehen?"

"In einer Oase, nach welcher ich zog, um Freunde zu besuchen."

"Der Aga war vor drei Monaten längere Zeit von Kahira fort, ohne daß man wußte wohin. Sollte es zu jener Zeit gewesen sein?"

"Ja."

"Er hatte Euch überfallen und wußte, daß Du zugegen warst?"

"Er wußte es, denn ich habe es ihm sagen lassen und ihn gewarnt."

"So hat er im Auftrage des Khedive gehandelt, und Deine |152A Freunde müssen große Feinde des Vizekönigs sein. Wer war es?"

"Kennst Du Omar-Bathu?"

"Den reichen tapferen Mamelukenfürsten?"

"Ja. Sein Weib ist die Schwester meines Weibes. Und kennst Du Manu-Remusat."

"Den großen Schiffsführer? Er erschlug einst Hamd-el-Arek, den Mudellir von Assuan. Der Khedive wollte ihn tödten, aber er entkam mit einem jungen Reïs, der berühmt war wegen seines Muthes und die Tochter des Schiffsführers zum Weibe bekam."

"Dieser Reïs bin ich."

"Du?" frug der Kadi erstaunt.

"Ja, ich. Der Mudellir von Assuan hatte die Schwester meines Weibes geraubt; sie war die Verlobte des Mamelukenfürsten. Ich entführte sie ihm wieder, er verfolgte mich und fiel im Kampfe. Ich entfloh mit Remusat, und Omar-Bathu mußte sich in die Wüste verstecken, weil ihn der Vizekönig tödten wollte. Vor drei Monaten ging ich mit Remusat und meinem Weibe zu dem Mameluken. Wir wurden von dem Aga überfallen, der alle Männer tödtete und die Frauen und Kinder mit sich fortnahm."

"So sind Remusat und Omar-Bathu todt?"

"Sie sind todt," knirschte Katombo. "Aber ich werde sie rächen."

"An wem?"

"An ihrem Mörder. Du wirst mir helfen."

"Die That geschah auf Befehl des Vizekönigs. Sage selbst, ob ich über ihn richten kann."

"Du hast mir bei dem Barte des Propheten und aller seiner Kalifen Gerechtigkeit versprochen. Weißt Du nicht, daß ein Gläubiger diesen Schwur niemals übertreten kann!"

"Ich werde ihn halten, so weit es in meinen Kräften steht, denn Allah weiß, daß kein Mensch mehr thun kann, als ihm gegeben ist. Erzähle mir den Vorfall genau."

|153A Katombo berichtete von seinen egyptischen Erlebnissen so viel, als ihm nöthig erschien. Der Kadi blieb dann lange in tiefes Nachdenken versunken. Endlich erklärt er:

"Wer ist der eigentliche Mörder? Der Vizekönig nicht, denn er konnte die Verhältnisse nicht kennen, und der Aga auch nicht, denn er hat gethan, was er für seine Schuldigkeit hielt. Es gibt keinen Schuldigen, und darum ist es so gut, als hätte ich keinen Schwur gethan."

Katombo konnte ihm nicht ganz und gar Unrecht geben, zumal der ganze Überfall nur auf Omar-Bathu abgesehen gewesen war und der Aga erklärt hatte, daß er friedlich abziehen werde, wenn man ihm denselben ausliefere. Die ganze Angelegenheit erhielt von diesem Gesichtspunkte aus den Charakter eines Privatverhältnisses, dem nur durch den Akt einer Blutrache Rechnung getragen werden konnte.

"Du bist sehr weise, o Kadi, denn Du verstehst es, einen Schwur so zu wenden, daß ihn Allah nicht mehr hören kann. Doch sage, wirst Du mich schützen, wenn ich mir den Haß des Khedive zuziehe?"

"Ich werde es."

"Hat er das Recht, die Wittwe des Mameluken in sein Harem zu nehmen, wenn sie nicht einwilligt?"

"Er hat kein Recht dazu, denn sie ist keine Sklavin, welche verkauft werden kann."

"So ist unsere Unterredung beendet. Allah schütze Dich."

Er erhob sich. Der Kadi that dasselbe, hielt ihn aber noch zurück.

"Wo wohnest Du?"

"Ich habe meine Leute noch im Karawanserai."

"So bitte ich Dich, mein Haus als das Deinige zu betrachten!"

"Du willst es, und so werde ich es thun."

"Und bedenke in Dem, was Du vornimmst, das Eine, daß der Khedive nicht ein direkter Unterthan oder Beamter des Großherrn ist und daß die Macht des Sultans sich oft nicht so weit erstreckt, als es den Anschein hat. Daher ist hier mein Amt ein schlimmes und schwieriges. Bringe die Deinen zu mir, und ich werde Dir helfen, so weit meine Kräfte reichen!"

|153B Katombo begab sich nach dem Karawanserai zurück und brachte Ayescha mit den Dienern in das Haus des Kadi. Dann ging er nach dem Schlosse des Vizekönigs.

Dies war ein für seinen Rang ganz ungewöhnliches Unternehmen. In den Ländern der heißen Zone umgibt sich jeder gut situirte oder gar höherstehende Mann mit einer viel bedeutenderen Anzahl von Dienern, als dies bei uns der Fall zu sein pflegt. Für fast jede einzelne Verrichtung ist ein besonderer Diener da, und mit dieser Menge von Untergebenen wird, besonders beim Ausgehen, ein großer Pomp getrieben. Das Wort Ausgehen ist eigentlich eine unrichtige Bezeichnung, denn kein Herr wird auf einer öffentlichen Straße gehen, sondern entweder reiten, fahren oder sich tragen lassen. Daß Katombo trotz seiner hohen Stellung sich zu Fuße nach dem Schlosse begab, hatte seinen Grund in seinen abendländischen Anschauungen und dem Umstande, daß er keine Dienerschaft zur Verfügung hatte, war aber jedenfalls ein Verstoß gegen die Achtung, welche er dem Vizekönig auch dadurch zu erweisen hatte, daß er sich unter imponirender Begleitung zu ihm begab.

Der Khedive hatte soeben das Bad verlassen. Er saß rauchend auf einem weißseidenen Divan. Seine rothe Jacke funkelte von Brillanten; an seinem Turban flimmerte eine Agraffe, deren Werth nach Hunderttausenden zählte, und der Griff der neben ihm liegenden Damaszenerklinge hatte einen diamantenen Knauf und war mit den seltensten Edelsteinen ausgelegt.

Der Beherrscher Egyptens hatte schlechte Laune. Vor ihm stand sein Janitscharenaga, der oberste Leiter der vizeköniglichen Polizei, und stattete den täglichen Bericht ab, welcher Vieles enthalten mochte, was den Mißmuth und Zorn des hohen Herrn erregte.

Da nahte sich kriechend ein Sklave.

"Was willst Du, Hund?" frug ihn der Vizekönig.

"Herr, ein Mann, der sich Nurwan-Pascha nennt, will mit Dir, der Sonne der Weisheit und dem Vorbilde der Stärke, reden."

Im Gesichte des Vizekönigs zuckte es auf. Er warf einen grimmigen Blick auf den Aga.

"Siehst Du, daß er kommt und daß ihn die Wüste nicht verschlungen hat? Wäre er mit den Andern gestorben, so könnte er mich und Dich nicht belästigen."

Der Aga senkte den Blick beinahe bis zum Boden herab.

|154A "Herr, ich konnte nicht wissen, was Dein Wille ist!"

"Ein Diener muß stets den Willen seines Herrn kennen!" Dem Sklaven gebot er: "Laß ihn herein!"

Katombo trat ein. Er neigte nur ein wenig sein Haupt und legte nur die rechte Hand zum Zeichen der Ehrerbietung auf die Gegend seines Herzens.

Der Khedive empfing ihn mit einer leichten Handbewegung. In seinen kalten Zügen war weder ein Zeichen des Wohlwollens noch des Mißfallens zu erkennen.

"Sallam aaleïkum! Der Admiral des Sultans ist mir willkommen. Welche Angelegenheit führt Deinen Fuß hierher?"

"Ich komme nicht als Abgesandter meines hochmächtigen Herrn, sondern aus einem Antriebe von privater Natur."

Sein Auge traf mit einem finsteren Blicke den Aga und wandte sich dann fragend auf den Vizekönig. Dieser verstand die stumme Frage und antwortete:

"Dieser Mann ist meine rechte Hand. Du kannst vor ihm reden, als ob ich allein wäre."

"Dann gestatte mir, daß ich mich niederlasse!"

Er schob sich mit dem Fuße ein Kissen in die Nähe des Khedive und setzte sich darauf. Dieser Letztere hatte es unterlassen, dem Kapudan-Pascha einen Sitz anzubieten und war daher gezwungen, diese Zurechtweisung hinzunehmen.

"Setze Dich und beginne!" meinte er in ruhigem Tone, aber die Falte zwischen seinen Brauen war ein deutliches Zeichen, daß ihn das selbstbewußte Verfahren des Pascha erzürnt habe.

"Du sagst, dieser Mann sei Deine rechte Hand," meinte Katombo. "Warum, o König, hast Du diese Hand gegen mich gerichtet?"

"Gegen Dich?" frug der Khedive mit gutgeheucheltem Erstaunen. "Rede deutlicher!"

Katombo lüftete leise seinen Fez.

"Sieh die Wunde, welche mir Deine rechte Hand geschlagen hat."

"Du hast eine Wunde? Sie soll Dir von meinem Aga geschlagen worden sein?"

"So ist es, Herr, und Du weißt es längst."

"Ich weiß es nicht, werde es aber sogleich erfahren." Und zu dem Aga gewendet, frug er: "Hat Dein Schwert diese Wunde geschlagen?"

"Nein," antwortete der Gefragte.

Der Vizekönig blickte mit befriedigter Miene auf den Pascha.

"Du hörst es, und der Aga sagt mir nie die Unwahrheit, denn er weiß es, daß ich ihm dann sein Haupt vom Rumpfe trennen würde."

"Er lügt allerdings nicht und sagt dennoch die Unwahrheit, denn sein Befehl trägt die Schuld, daß ich dem Tode nahe war."

"Erzähle es! Deine Rede klingt wunderbar und geheimnißvoll, doch Du wirst mir das Räthsel lösen."

"Du kennst die Lösung bereits, " antwortete Katombo ruhig, "und ich darf es nicht wagen, Dir unnöthig Deine kostbare Zeit zu rauben. Dein Aga tödtete meine Freunde in der Wüste. Sage, ob dies auf Deinen Befehl geschah."

"Wie hießen Deine Freunde?"

"Manu-Remusat und Omar-Bathu."

"Das klingt nicht gut für Dich. Hast Du keine besseren Freunde?"

"Es waren Freunde, wie ich sie besser niemals finden kann."

"Mörder waren es! Sie haben Hamd-el-Arek, den Mudellir von Assuan, erschlagen und mußten sterben. Weißt Du nicht, daß der Kuran sagt. "eddem ed beddem, Blut um Blut, Auge um Auge!"

"Sie haben ihn nicht erschlagen, sondern im ehrlichen Kampfe besiegt. Er raubte die Tochter Remusats und erhob gegen ihn die Waffen, obgleich Remusat ihm verzeihen wollte. Und was thaten Dir die Mameluken, die Du mit Omar-Bathu und Remusat ermorden ließest?"

Des Khedive Augen blitzten den Sprecher grimmig an.

"Hund, wie wagst Du mit mir zu reden!"

"Hund? Wagst Du Nurwan-Pascha, den Admiral des Großherrn einen Hund zu nennen?"

"Ich wage nichts, denn ein Wink von mir kann Dich verderben!"

"Du bist nicht mein Herr und nicht mein Vorgesetzter. Ich fürchte weder Deinen Wink noch Deine Drohung. Remusat ist nicht der Mörder des Mudellir, und Omar-Bathu war nicht zugegen, als der Mudellir starb."

"Beweise es!"

"Mein Wort ist Beweis genug!" antwortete Katombo stolz.

|154B "Dein Wort? Woher weißt Du denn, daß Du die Wahrheit redest?"

"Weil ich bei jenem Kampfe gegenwärtig war."

"Du?"

"Ich. Ich bin der Mann der Tochter Remusats und heiße eigentlich Katombo."

"Katombo!" rief der Khedive, indem er sich halb von seinem Sitze erhob. "So bist Du der Mörder, der uns entronnen ist?"

"Du irrst. Ich bin weder ein Mörder noch bin ich Euch entronnen, denn nur ein Verbrecher kann entrinnen."

"Und Du warst ein Verbrecher, denn Du hast Den überlistet und getödtet, an welchem meine Seele hing. Du bist der Verbrecher, und ich bin Dein Richter."

"Du irrst wieder. Ich bin Nurwan-Pascha, der Kapudan-Pascha des Beherrschers der Gläubigen, und wer es wagt mich zu beleidigen, der beleidigt den Großherrn."

"Du bist Nurwan-Pascha, aber Du bist vor allen Dingen auch mein Unterthan, denn Du bist in Egypten geboren und warst Reïs auf dem heiligen Strome."

"Ich war Reïs, aber geboren bin ich in einem andern fernen Lande. Dein Unterthan bin ich nicht, und ich stehe jetzt vor Dir um der Ermordeten willen. Wo ist Sobeïde, das Weib Omar-Bathus?"

"Weißt Du, daß ein Gläubiger nie von seinem Weibe spricht?"

"So bist du kein Gläubiger, denn Du hast von Sobeïde zu dem Aga gesprochen. Die Todten kannst Du nicht wieder lebendig machen, aber gib mir Sobeïde, die Schwester meines Weibes, und ihr Kind heraus?!"

Er hatte sich erhoben und stand in stolzer, gebieterischer Haltung vor dem Manne, dem sämmtliche Bewohner Egyptens als Sklaven gehörten. Auch der Vizekönig hatte sich erhoben und nach seinem Schwerte gegriffen.

"Du wirst Sobeïde niemals wieder sehen!"

"Ich fordere sie von Dir, und auch alle Schätze, welche der Aga dem Mamelukenfürsten raubte."

"Du forderst? Ha! Ein Wink von mir, und Du liegst vor mir im Staube. Du stehst vor mir nicht als der Offizier des Großherrn, sondern als der Mörder des Mudellir, und wenn ich Dich richte, wer wird erfahren, wo Du geblieben bist? Warum kommst Du zu mir wie ein schleichender Derwisch und nicht mit der Begleitung, welche dem Kapudan-Pascha ziemt? Den Kopf kann ich Dir abschlagen lassen, ohne daß Jemand ahnt, wo Du geblieben bist?"

"Du irrst. Der Kadi-Baschi weiß, daß ich zu Dir gegangen bin; er wartet meiner Rückkehr und würde sofort den Großherrn benachrichtigen, wenn diese nicht erfolgte."

"Meinst Du? Denkst Du, der Beherrscher von Egypten habe einen Kadi zu fürchten? Wer bist Du? Ein Pilger oder ein Bettler, der allein zu mir kommt. Der Kapudan-Pascha ist nicht bei mir gewesen. Aga ergreife ihn!"

Katombo legte die Hand an den Griff seines Säbels.

"Meinst Du, der Kapudan-Pascha habe den Statthalter von Egypten zu fürchten? Nimm Deinen Befehl zurück, sonst zwingt er mich, selbst Rache zu nehmen an dem Mörder der Meinigen!"

"Du wagst es, dem Könige von Egypten in seinem eigenen Palaste zu drohen? Sofort ergreifst Du ihn, Aga!"

Der Aga streckte die Arme aus; in demselben Augenblicke aber blitzte der Säbel Katombos, und das Haupt des Janitscharen fiel, vom Rumpfe getrennt, zur Erde. Der kopflose Körper wankte einige Sekunden lang, dann stürzte er auf den kostbaren Teppich nieder, während ein Strom rauchenden Blutes sich über den Boden ergoß.

"So weiß Nurwan-Pascha seinen Degen zu führen, wenn er gezwungen wird, den Frieden des Hauses zu verletzen."

Er wischte die blutige Klinge an dem Kissen ab, auf welchem er gesessen hatte, und steckte sie in die Scheide. Der Vizekönig hatte bis jetzt dagestanden, starr vor Schreck und Entsetzen. Jetzt kam wieder Leben in ihn.

"Mörder!" brüllte er beinahe heulend und stürzte sich mit hoch geschwungenem Säbel auf Katombo.

Dieser parirte den Stoß blos mit der Faust, doch so, daß der Degen weithin an die Wand flog. Da griff der Khedive in seinen Shawl, der ihm als Gürtel diente, riß eine Pistole hervor und drückte ab. Katombo machte eine blitzschnelle Wendung, und die Kugel pfiff an seinem Kopfe vorüber. Der Schuß lockte im Nu sämmtliche Diener herbei, welche sich in der Nähe des Divans befunden hatten.

"Haltet den Mörder und bindet ihn!" gebot der Khedive, schäumend vor Wuth.

Katombo zog den Säbel wieder.

"Halt!" rief er streng. "Ich bin Nurwan-Pascha, der Kapudan-Pascha |155A des Großherrn. Ich habe mich nur gewehrt, und wer mich anrührt, der ist ein Kind des Todes!"

Diese Worte und seine drohende Haltung bewirkten einige Augenblicke der Unentschlossenheit unter den Dienern, welche meist feige entmannte Verschnittene waren. Katombo benutzte die wenigen Sekunden und schritt davon. Der Khedive wüthete vor Grimm, aber ehe sich die Kastraten ernstlich an die Verfolgung machten, war Katombo bereits in der Menge der Passanten verschwunden, welche sich vor dem Palaste bewegten.

Der Vizekönig schoß ein zweites Pistol auf die Dienerschaft ab und hieb einige von ihnen nieder; dann befahl er, den Kadi-Baschi sofort zu ihm zu bringen.

Dieser hatte unterdessen auf die Zurückkunft Katombos gewartet.

"Wie ging es?" redete er ihn an, als er erschien. "Deine Augen blicken zornig und Deine Mienen verkünden Unheil."

"Dieser Säbel ist noch warm vom Blute des Mörders," antwortete der Gefragte finster.

"Was hast Du gethan? Wen hast Du getödtet?"

"Den Janitscharenaga."

"Allah akbar, Gott ist groß, aber Deine Verwegenheit ist noch viel größer. Wo hast Du ihn niedergeschlagen?"

"Im Palaste, vor den Augen des Vizekönigs."

Der Kadi erbleichte.

"So bist Du verloren!"

"Verloren? Der Kapudan-Pascha?"

"Ja, denn weder ich noch der Großherr kann Dich retten. Du hast den Frieden des königlichen Palastes verletzt und den obersten Polizeiverweser des Reiches getödtet. Du bist der Rache und der Gerichtsbarkeit des Vizekönigs verfallen."

"Ich bin dieser Gerichtsbarkeit nicht unterworfen!"

"Du bist es!"

"Ich unterwerfe mich nicht."

"Man wird Dich zwingen."

"Du wirst mich schützen. Kein Khawasse des Vizekönigs darf Dein Haus betreten."

"Maschallah, das ist wahr, und Du wirst bei mir wohnen. Aber sobald Du Deinen Fuß über meine Schwelle setzest, wird man Dich festnehmen."

"Ich werde vorsichtig sein. Ich schreibe sofort einen wahrheitsgetreuen Bericht an den Großherrn, und dieser mag bestimmen was zu geschehen hat."

"Ich werde das Meinige hinzufügen, kann Dir aber meine Befürchtungen nicht verhehlen. Der Großherr hat Rücksicht auf den Khedive zu nehmen."

"Nicht auch auf seinen obersten Seeoffizier?"

"Ja; doch ist die letztere nicht so sehr geboten wie die erstere."

Jetzt kam der Bote, welcher den Kadi zum Vizekönig beschied. Er folgte dem Rufe und begab sich unter einer zahlreichen Begleitung nach dem vizeköniglichen Palast.

Es dauerte eine sehr lange Zeit, ehe er wiederkehrte. Sein Gesicht machte keinen Hoffnung erweckenden Eindruck.

"Es wird wie ich Dir sagte. Der Khedive verlangte Deine sofortige Auslieferung."

"Du verweigertest sie ihm?"

"Ja."

"Was that er?"

"Er muß das Völkerrecht respektiren, welches mein Haus zu Deiner Freistätte macht, aber er wird dieses Haus eng umstellen lassen. Die dazu bestimmten Khawassen sind bereits unterwegs."

"Das macht mir nicht bange, denn ich werde Dein Haus nicht eher verlassen, als bis die Entscheidung des Großherrn angekommen ist."

"Der Khedive wird sie eher in der Hand haben als Du."

"Inwiefern?"

"Weil noch ehe ich ihn verließ ein Bote von ihm nach Stambul gegangen ist, welcher sich im Namen des Vizekönigs mündlich über Dich beschweren und Deine Auslieferung oder Bestrafung fordern soll."

"Wen sandte er?"

"Einen Mann, dessen Rang bei dem Großherrn sehr in das Gewicht fallen wird - -"

"Wohl gar seinen Wessir?"

"Du erräthts es. Es ist sehr leicht zu denken, daß die mündliche Darstellung dieses hohen Beamten, der ein gewandter Diplomat ist, mehr Erfolg haben wird als Dein schriftlicher Bericht."

Katombo neigte zustimmend den Kopf.

"Du hast Recht. Der Großherr hat kein starkes Herz. Hast Du gehört von dem norländischen Herzog von Raumburg, den ich einst mit seinem ganzen Schiffe gefangen nahm?"

|155B "Jeder Türke kennt diese Deine Heldenthat, durch welche Du Kapitän eines der besten Kriegsschiffe wurdest."

"Die Gefangennahme dieses Mannes und die Befreiung des Großveziers Malek-Pascha, der sich damals als Gefangener auf dem "Drachen" befand, gaben dem Kriege eine solche Wendung, daß der Großherr den Frieden hätte diktiren können. Dieser Herzog aber wußte ihm die Sachlage so darzustellen, daß er ihn freigab und mit dem Auftrage betraute, mit dem Könige von Norland empfehlend über den Sultan zu reden, damit der Letztere den Frieden nicht so theuer zu erkaufen habe. Ich fürchte, daß diese Schwäche auch mir jetzt gefährlich werden kann."

"Ich theile Deine Befürchtung, werde Dir aber beistehen, so viel es in meine Kräfte gegeben ist. Natürlich denkt es sich der Khedive, daß auch von Deiner Seite ein Bote nach Stambul gehen wird. Es ist beinahe zu erwarten, daß man diesem Boten Hindernisse in den Weg legen wird."

"Das ist wahrscheinlich. Gibt es kein Mittel dies zu verhüten?"

"Ich habe einen treuen Diener, auf den wir uns verlassen können. Natürlich aber darf er nicht der Überbringer Deiner Botschaft sein. Wem soll er sie übergeben?"

"Dem Großvezier, der mein Freund ist."

"So schreibe schnell; das Andere werde ich besorgen, und Allah möge unsere Schritte segnen?"

"Erwähntest Du Sobeïde bei dem Vizekönige?"

"Ja."

"Und was antwortete er?"

"Er sagte, daß wir noch heut Abend erfahren würden, was er über sie beschlossen habe."

"Er wird sie in seinem Harem behalten, und ich kann nichts thun sie zu erlösen."

|156A "Seine Worte klangen doch so, als ob er vielleicht gesonnen sei, sie noch heut auszuliefern. Warte den Abend ab; der wird Dir die Entscheidung bringen!"

Der Kadi hatte Recht; der Abend brachte die Entscheidung.

Es war nach Mitternacht, und die Bewohner von Kairo lagen im Schlafe. Nur hier und da saß noch eine weiß verhüllte Gestalt auf der Plattform eines Hauses, um die erquickende Kühle der Nacht zu trinken. Da trabten vier Träger einer Sänfte durch die stillen Gassen, angeführt von einem Janitscharenoffizier. Vor dem Thore des Palastes, in welchem der Kadi-Baschi wohnte, gebot er Halt und klopfte an.

Ein kleines Guckloch wurde geöffnet, und das Gesicht eines Mohren erschien in demselben.

"Leïlka saaïde(Gesegnete Nacht)!" grüßte der Janitschar. "Du bist der Wächter dieses Hauses?"

"Ja. Was wünschest Du, o Herr?"

"Ist Dein Gebieter, der Kadi-Baschi noch wach?"

"Er sitzt im Erker und arbeitet."

"Ein Herr namens Nurwan-Pascha wohnt bei ihm?"

"Ja."

"Auch er ist noch wach?"

"Ich weiß es nicht."

"So wecke ihn und öffne!"

"Zu dieser späten Stunde? Das darf ich nicht. Mein Gebieter würde mir zürnen."

"Ich will nicht eintreten, sondern Dir nur diese Sänfte übergeben."

"Wer sitzt darin?"

"Eine Person, welche der Pascha erwartet."

"Wer sendet sie?"

"Der Vizekönig."

"So werde ich öffnen. Du aber trittst nicht ein, sondern nur die Träger, die sich dann sofort entfernen!"

"Ich werde meinen Fuß nicht über Deine Schwelle setzen, und Du darfst die Sänfte nicht eher öffnen, als bis Nurwan-Pascha |156B selbst zugegen ist. Sage ihm nur, daß der Vizekönig ihm das schickt, was er von ihm gefordert hat."

Das Thor öffnete sich; die vier Männer trugen die Sänfte in den Hof und entfernten sich schweigend, wobei ihnen der Janitschar wieder voranschritt.

Der Neger wagte nicht sich der Sänfte zu nahen. Er trat vielmehr in den Palast und begab sich nach dem Erker, in welchem sich der Kadi-Baschi befand. Dieser saß wirklich zwischen allerlei Büchern und schrieb emsig. Er hörte den Eintretenden und wandte sich ihm unwillig zu:

"Was willst Du? Weißt Du nicht, daß ich jetzt nicht mehr gestört werden darf!"

Der Neger lag auf dem Boden; er wagte den Kopf nur ein klein wenig von der Erde zu erheben.

"Ich weiß es, Herr, und dennoch mußte ich Dich stören, denn der Vizekönig hat eine Sänfte geschickt."

"Eine Sänfte? Eine leere? Für wen?"

"Für Nurwan-Pascha. Sie ist nicht leer."

"Wer ist darin?"

"Ich weiß es nicht. Ein Janitscharenoffizier brachte sie und gebot mir, nicht nachzusehen, wer sich in ihr befindet. Ich soll sagen, daß der Vizekönig das schickt, was Nurwan-Pascha von ihm gefordert hat."

Der Kadi stand überrascht auf.

"So gehe hinab und warte Deines Amtes weiter!"

Der Neger kroch rückwärts zur Thür hinaus, und der Kadi begab sich unverweilt nach den Räumen, in denen sich Katombo befand. Dieser saß noch neben seinem Weibe und sprach mit ihr über die Ereignisse der letzten Tage. Er hörte die Schritte, welche im Vorzimmer anhielten und trat hinaus.

"Du bist es?" frug er erstaunt, als er den Kadi erkannte.

"Ich bin es. Ich sehe, daß die Ruhe Deine Seele noch nicht umfangen hält. Komm mit mir in den Hof!"

"Was soll ich dort?"

"Eine Sänfte sehen, welche Dir der Vizekönig sendet."

"Wer sitzt darin?"

"Das müssen wir erst sehen."

Eine schwere Ahnung fiel auf Katombos Seele. Die beiden Männer begaben sich nach dem Hofe und öffneten den Tragsessel. |157A Der Strahl des Mondes fiel in das Innere desselben, und sie sahen ein blasses, geisterbleiches Frauenangesicht, dessen weit geöffnete glanzlose Augen ihnen gespenstisch entgegenstarrten.

"Sobeïde!" rief Katombo, völlig starr vor Schreck.

"Sobeïde, die Tochter Remusats und das Weib von Omar-Bathu?" frug der Kadi.

"Ja. Der Vizekönig hat sie ermorden lassen!"

Der Kadi faßte sich zuerst.

"Das darfst Du noch nicht behaupten. Sie kann gestorben sein; sie kann sich selbst den Tod gegeben haben; sie kann auch noch leben. Wir müssen sie untersuchen. Lasse sie hinauf zu Deinem Weibe schaffen!"

"Nein, denn Ayescha würde vor Entsetzen sterben. Gib mir ein stilles Zimmer, in welches ich sie tragen kann!"

"So komm!"

Katombo nahm die Leiche, welche ihre vollständigen Kleidungsstücke trug, auf den Arm. Der Kadi gebot dem Neger, zu schweigen und die Sänfte einstweilen zu entfernen. Dann gingen die Beiden nach einem abgelegenen Raume, den der Kadi mit eigener Hand erhellte und in welchem sie ungestört waren. Katombo legte die Todte auf einen Teppich.

"Sie lebt nicht mehr, ihre Glieder sind vollständig kalt und steif."

Der Kadi ergriff eines der herabhängenden Händchen.

"Todt. Aber diese Steife ist unnatürlich. Sie ist nicht zufällig gestorben!"

Katombo brachte das Licht näher und betrachtete das Gesicht aufmerksam. Ein plötzlicher Gedanke schien ihn zu durchzucken.

"Sieh diese Nase und - hier diesen Ring an ihrem Finger!"

Die Nasenöffnungen waren ungewöhnlich weit geöffnet und sehr dunkel gefärbt.

"Was meinst Du?" frug der Kadi.

"Das ist der Ring des Mameluken. Er trug ihn stets und gab ihn niemals von sich. Er erzählte mir einst, daß der Ring ein feines Pulver enthalte, welches ihm ein weiser Magier angefertigt habe. Wer daran riecht, der muß sterben, bald oder später, je nachdem er viel oder wenig von dem tödtlichen Dufte eingeathmet hat. Ein Gegenmittel und also auch eine Rettung gibt es nicht."

"Wo soll das Pulver sein?"

Katombo zog den Ring von dem Finger der Todten.

"Sieh, er enthält nicht einen Stein, sondern das goldene Siegel des Mameluken, und unter demselben befindet sich eine hohle Kapsel, welche das Pulver verbirgt."

"Öffne sie!"

"Das ist gefährlich. Verschließe Mund und Nase!"

Sie banden sich Beide ein Tuch vor, und nun versuchte Katombo, die Kapsel zu öffnen. Es gelang. Sie enthielt ein feines bläuliches Pulver, und auf demselben lag, so klein auch die winzige Höhlung war, ein Stückchen Papier, auf welches deutlich das Wort "Haar" gekritzelt war.

"Was soll das heißen?" frug der Kadi.

"Sie hat den Ring von Omars Hand genommen, als er todt neben ihr lag, das ist sicher. Sie wußte, daß ich das Geheimniß von diesem Gifte kenne und daß ich sofort die Art ihres Todes errathe, wenn ich den Ring an ihrem Finger sehe. Sie hat geahnt, daß ich ihn öffnen werde und den Zettel finden muß. Vielleicht hat sie vor ihrem Tode im Haar etwas verborgen, was uns Aufklärung geben kann. Laß uns suchen!"

Sie lösten die Knoten des reichen Haares und fanden Katombos Vermuthung bestätigt: ein zusammengefaltetes Stück Papyros war zwischen den Locken verborgen. Katombo öffnete es und las:

"An Katombo.

Ich soll heut Abend das Weib des Mörders sein, und dann will er mich an Dich ausliefern. Aber mein Kind will er behalten, um es für seinen Harem zu erziehen. Ich kann ohne mein Kind und meine Ehre nicht leben und werde sterben. Er wird Dir meine Leiche senden, und Du wirst diese Worte finden. Küsse Ayescha; lebt wohl, und rächt meinen Tod und den meines Omar. Sobeïde."

Die Faust Katombos ballte sich, und seine Mienen zuckten in wildem Grimme.

"Ich werde zu ihm gehen und ihn tödten!"

"Aus Deinem Munde spricht der Zorn. Du vergissest, daß Du dieses Haus nicht verlassen darfst und daß ein Khedive nicht so leicht zu tödten ist wie ein Fellah oder ein Araber aus der Wüste!"

"Warum nicht? Hat er mehrere Leben? Besitzt er ein Herz, in welches keine Kugel zu dringen vermag?"

|157B "Er ist so sterblich wie jeder Andere; aber die Rache wird auch Dir das Leben kosten. Denke an Dein Weib und an Dein Kind!"

Die drohend erhobenen Arme Katombos sanken nieder.

"Du hast Recht; aber dennoch wird er sterben, nicht an der Kugel, nicht an dem Schwerte oder meinem Dolche. Er soll desselben Todes sterben, den er der Tochter Remusats bereitet hat!"

Er steckte den gefährlichen Ring an seinen Finger. Der Kadi legte ihm die Hand warnend auf den Arm.

"Der Prophet sagt: "Ehe Du ein Wort sagst, denke drei Stunden nach; ehe Du aber eine That beginnst, denke dreimal drei Jahre nach! Du wirst nichts thun, ehe Deine Seele ihre Ruhe und Dein Auge seine Schärfe wieder gewonnen hat! Das Leben eines Herrschers ist heilig und unantastbar."

"Nicht heiliger und unantastbarer als jedes andere Leben. Aber sorge Dich nicht um mich. Nurwan-Pascha wird nichts thun, was er sich nicht zuvor reiflich überlegt hat. Aber wie kann ich das Kind erhalten?"

"Sie wird es mit getödtet haben."

"Nein; eine Mutter tödtet nicht so leicht das einzige Wesen, dem sie erst das Leben gegeben hat. Hätte sie dies dennoch gethan, so würde die Leiche des Kindes mit in der Sänfte gelegen haben."

"Ich gebe Dir Recht. Ich gebe zu, daß ihm das Kind nicht gehört; aber wie willst Du ihn zwingen es Dir auszuliefern? Wenn es so schön ist wie Deine Tochter, so wird es nach wenigen Jahren die Zierde seines Harems werden."

"Es ist so schön. Ich muß warten, bis der Bescheid des Sultans eingetroffen ist."

"Dann wirst Du Gelegenheit haben, Dich in Geduld zu üben. Wirst Du Deinem Weibe sagen, daß ihre Schwester gestorben ist?"

"Ja."

"Ist es nicht besser, wenn Du es noch verschweigest?"

"Nein. Die Todte hat ein Recht auf das Beileid der Ihrigen und ich weiß, daß Ayescha ihre Schwester lieber todt als in den Armen dessen weiß, der ihren Vater tödtete. Komm, laß mich zu ihr gehen! Leïlka saaïde; Allah segne Deine Nacht!"

Mit schwerem Herzen verließ er die Todte, um die Lebende auf den Schmerz vorzubereiten, der ihrer bei der Nachricht von dem Geschehenen wartete.

Eine lange Zeit verging, ohne daß die Einsamkeit Katombo's durch ein neues Ereigniß unterbrochen worden wäre, und erst nach einigen Monaten ließ sich das Ergebniß der Botschaft erfahren, welche sowohl er als auch der Vizekönig nach Konstantinopel gesandt hatte. Er saß eben beim Kef (beschauliche Mittagsruhe), als einer der Diener eintrat und eine Meldung machte:

"Effendina, es ist ein Mann draußen, der mit Dir reden will."

"Wer ist es?"

"Ein Kapudan (Kapitän) aus Istambul."

"Wie heißt er?"

"Fezzar Achmed."

Das Gesicht Katombo's verdüsterte sich. Fezzar Achmed war ein renitenter Untergebener gewesen, den er einige Male die Schärfe einer strengen Gerechtigkeit hatte fühlen lassen. Es war jedenfalls kein gutes Zeichen, daß der Sultan grad diesen Mann ausersehen hatte, den großherrlichen Bescheid zu überbringen.

"Laß ihn hereintreten!"

Der Diener folgte dem Gebote, und es erschien ein Mann, dessen wildes, von einem dichten Barte eingerahmtes Gesicht nicht eben ein Vertrauen erweckendes war. Statt der tiefen Verbeugung, welche er dem Range eines Kapudan-Pascha schuldig war, hob er einfach die Rechte bis in die Gegend des Herzens, trat einige Schritte vor und blieb dann in gerader, beinahe herausfordernder Haltung stehen.

"Fezzar Achmed, wer sendet Dich?" frug Katombo.

"Beide, der Großherr, den Allah seinen Liebling nennt, und der Kapudan-Pascha, der ein Held ist, wie Keiner je zuvor."

"Der Kapudan-Pascha? Dieser bin ich!"

"Dieser warst Du, jetzt aber ist es Rumid-Pascha, der um Deinetwillen nach Smyrna verbannt wurde."

"Ah! Allah ist groß, aber Du und der Sultan sind noch größer. welches sind die Botschaften, die Du mir zu bringen hast?"

Der Kapudan langte in die Tasche und zog ein kleines Etui hervor, welches mit dem feinsten Saffianleder überzogen und an den Ecken mit Gold beschlagen war.

"Der Beherrscher aller Gläubigen sendet Dir durch mich für Deine früheren Verdienste und das, was er jetzt von Dir vernommen, diesen Schmuck. Er läßt Dir gebieten, ihn in meiner Gegenwart |158A anzulegen, damit ich bestätigen kann, daß Du ihn wirklich getragen hast."

Katombo nahm das Etui und öffnete es. Dasselbe enthielt den gefährlichen Schmuck, welchen zu vergeben das alleinige Recht des Sultans ist - die gelbseidene Schnur, an der sich Jeder aufzuhängen hat, der sie bekommt. Katombo ließ sein Auge lange auf ihr verweilen und meinte dann ruhig:

"Zeige mir Deinen Biuruldu!"

"Du glaubst mir nicht?"

"Soll ich mich tödten auf das Wort eines Mannes, der mein Vertrauen nicht besitzt? Legitimire Dich!"

Ein Lächeln des Hohnes ging über das Gesicht des Kapudan. Er zog ein Pergament hervor und zeigte es dem Kapudan-Pascha.

"Hier hast Du die Vollmacht des Großherrn!"

"Sie ist ächt. Der Beherrscher aller Moslemin besitzt eine wunderbare und wahrhaft königliche Dankbarkeit. Allah möge ihn segnen! Welche Botschaft hast Du mir von dem neuen Kapudan-Pascha zu überbringen?"

"Ich habe Dir zu sagen, daß drei Männer sich Mühe gegeben haben, Dir dieses kostbare Geschenk auszuwirken."

"Wer sind sie?"

"Der Kapudan-Pascha selbst, der Bote des Khedive und ein Franke, ein Christ, der sich jetzt einer großen Zuneigung des Sultans zu erfreuen hat."

"Wer ist es?"

"Ein Norländer Fürst, der Herzog von Raumburg. Auch er läßt Dich grüßen und Dir sagen, es sei für damals. Weiter weiß ich Nichts."

"Was wirst Du thun, wenn ich die Schnur nicht nehme?"

"Du mußt sie nehmen!"

"Und wenn ich es dennoch nicht thue?"

"Der Sultan hat die Gnade gehabt, sie Dir zu übersenden, damit Du enden kannst ohne wie ein gemeiner Verbrecher verurtheilt und hingerichtet zu werden. Als einen solchen muß ich Dich behandeln, wenn Du nicht gehorchst."

"Worin wird diese Behandlung bestehen?"

"Ich habe Dir dann einfach den Kopf abzuschlagen und ihn dem Großherrn zu bringen."

"Das wirst Du nicht nöthig haben, denn ich werde den Befehl des Sultans ganz genau und wörtlich so erfüllen, wie Du mir ihn überbracht hast. Du sagtest, der Beherrscher aller Gläubigen gebiete mir, den Schmuck in Deiner Gegenwart anzulegen, damit Du bestätigen kannst, daß ich ihn wirklich getragen habe?"

"So ist es!"

"So schau her! Ich gehorche."

Er nahm die Schnur und legte sie sich wie ein Halsband um den Hals.

"Halt! So ist es nicht gemeint. Dort ist das Fenstergitter. Du hängst Dich daran, und ich warte bei Dir, bis ich mich überzeugt habe, daß Du todt bist!"

"Meinst Du? Ich habe Dir wörtlich gehorcht; mehr darfst Du nicht verlangen. Kehre nach Stambul zurück und melde Deinem Herrn, daß ich die Schnur getragen habe! Mein Leben gehört Gott, aber nicht dem Sultan, und wenn ich gegen die Gesetze versündigt haben soll, so mag nicht eine Selbsttödtung oder ein Meuchelmord, sondern eine offene Untersuchung entscheiden."

"Du weigerst Dich?"

"Ich weigere mich!"

"So nehme ich Deinen Kopf!"

Er zog den krummen Türkensäbel und trat drohend näher.

"Du?" rief Katombo geringschätzend.

"Ja ich! Deine Gegenwehr nützt Dir nichts, denn ich bin so stark und geschickt wie Du, und Du hast keine Waffe."

"Wurm! Verlasse augenblicklich dieses Haus, sonst vollziehe ich Deinen Auftrag an Dir selbst; Dir selbst werde ich den Kopf nehmen und ihn dem Sultan senden, damit er sich überzeugen kann, daß Du bei mir gewesen bist!"

"So stirb!"

Der Kapudan holte zum schnellen, gewaltigen Hiebe aus, Katombo aber kam ihm zuvor. Er unterlief ihn, entriß ihm das Schwert und faßte mit der Linken seine Hand. Mit einem mächtigen Rucke riß er ihn im Kreise um sich herum - die Klinge blitzte, und im nächsten Augenblicke war mit einem einzigen wuchtigen Hiebe der Kopf vom Rumpfe getrennt. Der erstere flog zur Erde, und der letztere wurde über den ganzen Raum hinweg geschleudert und stürzte erst an der gegenüberliegenden Wand zu Boden.

Jetzt untersuchte Katombo die Taschen des Todten. Er fand darin ein Schreiben des Sultans, worin dieser den Vizekönig benachrichtigte, |158B daß bei Überreichung desselben Nurwan-Pascha bereits an der seidenen Schnur gestorben sei. Wie es schien, wußte also in Kairo noch Niemand von dem Auftrage, welchen Fezzar Achmed auszurichten gehabt hatte. Nurwan entschloß sich kurz. Er hatte Zeit gehabt, sich zur Flucht vollständig vorzubereiten.

Zunächst verschloß er seine Räumlichkeiten, damit Niemand Zutritt finden und das Geschehene bemerken könne. Dann schickte er Ayescha mit der kleinen Almah in einer Sänfte fort. Ein bewährter Diener begleitete sie. Die draußen aufgestellten Khawassen hatten ihr Augenmerk nur auf ihn gerichtet und ließen sie jedenfalls ungehindert passiren. Nun begab er sich zu dem Kadi, welcher nicht die mindeste Ahnung von dem Geschehenen hatte.

"Ich komme, um Dir Lebewohl zu sagen!"

Der Angeredete blickte ihn überrascht an.

"Hast Du Nachricht von dem Sultan?"

"Ja."

"Wie lautet sie?"

Katombo erzählte ihm aufrichtig Alles. Der Kadi machte ein höchst ernsthaftes Gesicht.

"Weißt Du, daß ich Dich dem Großherrn ausliefern muß?"

"Wirst Du es thun?"

"Du bist hoch gestiegen und tief gestürzt, aber Du wirst dieselbe Höhe wieder erreichen. Der Sultan hat einen Nachfolger, und dieser, das will ich Dir nun gestehen, hat mir besondere Weisungen in Beziehung auf Dich ertheilt. Du sollst frei sein!"

"Du bist mein wahrer Freund. Ja, ich weiß es, daß ich wieder zur Höhe kommen werde, und dann will ich Deiner gedenken wie ein Bruder des andern."

"Wo hast Du die Deinen?"

"Sie sind bereits fort. Ich werde sie an einem sicheren Orte treffen."

"Und wie willst Du die Khawassen täuschen?"

"Ich werde das Haus als Derwisch verlassen."

"Sie werden Verdacht schöpfen, denn sie wissen, daß kein Derwisch hereingekommen ist. Kennen sie Dein Gesicht?"

"Das ist nicht leicht zu denken."

"So werde ich Dir die Kleidung eines Läufers besorgen. Ich reite aus, und Du begleitest mich."

"Dann bitte ich Dich, lieber eine Sänfte zu nehmen, damit ich einiges mit fortbringen kann."

"Wie Du willst. Deine Wohnung werde ich reinigen und die Leiche fortbringen lassen."

"Den Kopf nehme ich mit mir."

"Thue, was Dir gefällt!"

Eine halbe Stunde später wurde das Thor geöffnet, und die hinzutretenden Khawassen erblickten vier Sänftenträger und zwei Läufer. Die letzteren Beiden hatten Nilpeitschen in der Hand, um ihrem Herrn nöthigenfalls damit den Weg durch die engen, belebten Gassen zu bahnen.

|159A Da trat der Kadi-Baschi in den Hof; ein Sklave trug ihm die Pfeife nach. Es war deutlich zu sehen, daß sich noch Niemand in der Sänfte befand. Der Kadi stieg ein, und die Träger griffen zu den Tragstangen. Im raschen Schritte ging es zum Thor hinaus. Die Khawassen waren nicht schnell genug zurückgetreten; die beiden vorantrabenden Läufer warteten sofort ihres Amtes. "Remalek (Rechts)!" rief der Eine und "Schimalek (Links)!" der Andere, indem sie ihre Peitschen erhoben. Die trotz ihres Amtes in dieser Weise bedrohten Polizisten wichen schleunigst zurück, und die Sänfte verschwand im Gewühle der Straße. Katombo war entkommen.

Am andern Tage nahm im vizeköniglichen Palais ein Fellah Zutritt, welcher den Khedive zu sprechen verlangte. Auf die Frage der Palastbeamten, was er vorzubringen habe, gab er an, ein wichtiges Schreiben überbringen zu müssen, welches in keine andere Hände als in diejenigen des Vizekönigs kommen dürfe. Da er nur ein gewöhnlicher Fellah war, wurde er nicht zugelassen; man nahm ihm vielmehr das Schreiben ab, worauf er sich schleunigst entfernte. Der Brief ging aus einer Hand in die andere, bis er endlich an seine hohe richtige Adresse kam.

Der Beherrscher Egyptens empfing das fest versiegelte, aus sehr starkem Papier gefertigte Couvert und öffnete es. Es enthielt einen eng beschriebenen Bogen, dessen Schriftzüge so fein und klein waren, daß er ihn sehr nahe an das Gesicht halten mußte und lange Zeit brauchte, ehe er den Inhalt zu enträthseln vermochte. Dieser lautete folgendermaßen:

"An den Tyrannen und Mörder.

Du hast Manu-Remusat und Omar-Bathu gemordet, Du wolltest mich verderben und bist auch Schuld an Sobeïdens Tode. Auge um Auge, Zahn um Zahn: Du wirst desselben Todes sterben, den auch sie gestorben ist. Sie besaß einen Ring ihres hingeschlachteten Gatten, welcher ein feines, sicher wirkendes Gift enthielt. Sie nahm von demselben und starb, um Deiner Umarmung zu entgehen. Ich erhielt von Dir ihre Leiche und den Ring. Ich tränkte dieses Papier mit dem Gifte und schrieb so klein, daß Du es einathmen mußt. Mörder, Deine Tage sind gezählt, denn kein Arzt |159B oder Zauberer vermag es, Dir Hilfe zu bringen. Du wirst langsam hinsiechen und elend sterben. Denke in Deiner letzten Stunde an Deine Thaten und an mich, der die Seinen zu rächen weiß!

Nurwan-Pascha."

Einige Zeit später erhielt der neue Kapudan-Pascha eine Kiste von unbekannter Herkunft zugesandt. Sie enthielt den Kopf des Kapudan und das Etui mit der seidenen Schnur, welche für Katombo bestimmt gewesen war.

Längst vorher schon war dieser nach Rosette entkommen. Mittel standen ihm genug zu Gebote für Alles, was er für sich und die Seinigen gebrauchte. Er brachte sie an einem sicheren Orte unter und begab sich verkleidet nach dem Hafen, in welchem Schiffe aller Nationalitäten vor Anker lagen.

Zwischen zwei schweren hochbordig gebauten Abendländern lag eine schlanke, scharf auf dem Kiele gebaute Feluke wie eine feine gelenkige Bajadere zwischen zwei unbeholfenen Chinesinnen. Eben stieß ein Boot von ihr ab und brachte zwei Männer an das Land, welche sehr aussahen wie vornehme Türken oder Araber. Sie gingen landeinwärts, während der Matrose, welcher sie gerudert hatte, in dem Fahrzeuge sitzen blieb. Katombo schlenderte noch einige Augenblicke herum und trat dann zu ihm.

"Sallam aaleïkum!"

"Aaleïkum!" antwortete der Mann, welcher ganz so aussah, als ob mit ihm nicht gut zu scherzen sei. Er trug kurze weite Hosen, aus welchen die Unterbeine nackt hervor blickten, eine sehr verschossene rothe Jacke und einen alten Fez ohne Trottel, aber das Messer und die beiden Pistolen, welche in seinem beinahe zerfetzten Gürtel staken, waren von so vorzüglicher Arbeit, daß ihr Käufer gewiß keinen gewöhnlichen Preis für sie bezahlt hatte.

"Gehörst Du zu diesem Schiffe?" frug Katombo.

"Ja."

"Es muß ein ganz vorzüglicher Segler sein."

"Meinst Du?"

Diese kurze Frage war von einem beinahe geringschätzenden Blicke begleitet. Dieser Mann schien die Worte Katombos mehr für eine Höflichkeit oder allgemeine Phrase, als für das Ergebniß eines Kennerblickes zu halten.

"Ja, ich meine es. Wo kommt Ihr her?"

"Allah weiß es."

|160A "Wie lange bleibt Ihr hier vor Anker?"

"Allah weiß es."

"Und wo geht Ihr hin?"

"Hast Du nicht gehört, daß es Allah weiß?"

"Mann, Du gefällst mir!"

"Du mir aber nicht."

"Warum?"

"Weil Du nicht weißt, wie schön es ist, wenn die Zunge ruhen darf."

"Ich weiß es: Schweigen ist Gold, aber Reden bringt Gold!"

Er griff in die Tasche und hielt ihm ein Goldstück entgegen. Der Matrose griff schnell zu und steckte es ein.

"Ich habe mich geirrt; Du gefällst mir sehr, denn Allah hat Dir Weisheit und Verstand gegeben."

"Also, wo kommt Ihr her?"

"Von Falez."

"Wo geht Ihr hin?"

"Nach Tunis."

"Wie lange bleibt Ihr hier?"

"Bis morgen."

"Auch ich will nach Tunis. Führt Ihr Passagiere?"

"Nein."

"Was habt Ihr geladen?"

"Uns."

"Ich sehe, daß Allah auch Dir Weisheit und Verstand gegeben hat. Ich werde mit Deinem Kapitän sprechen. Wo ist er?"

"An Bord."

"Kannst Du mich hinüber bringen?"

"Komm!"

"Wer waren die beiden Männer, welche Du an das Land brachtest?"

"Der Steuermann und der Segelmeister."

Katombo nickte leicht mit dem Kopfe; er schien eine leise Vermuthung so ziemlich bestätigt zu finden. Ein Steuermann und ein Segelmeister in so reicher Kleidung. Wozu brauchte überhaupt eine Feluke einen Segelmeister?

Das Boot stieß ab und legte an dem Schiffe an.

"Winke mir, wenn ich Dich wieder holen soll," meinte der Ruderer und kehrte an das Land zurück. Jedenfalls hatte er dort die beiden Vorgesetzten zu erwarten.

Katombo stieg das herabgelassenen Fallreep wie ein Mann hinan, welcher sich noch sehr wenig zur See befunden hat. Droben wurde er auf seine Frage nach der Kajüte gewiesen. Ehe er dort eintrat, warf er über das Deck einen forschenden Blick, welcher die erwähnte Vermuthung zur Gewißheit zu erheben schien.

Der Kapitän war ein wohlbeleibter Muselmann, welcher auf seinem Teppiche ruhend die Wasserpfeife rauchte. Es war ihm anzusehen, daß ihm die Störung und der Anblick eines Mannes, der nicht zu der Equipage des Schiffes gehörte, nicht angenehm sei.

"Wer bist Du?" frug er barsch.

Katombo schaute sich erst in der Kajüte um und antwortete dann:

"Ein Mann, der Deine Hilfe sucht."

"Wozu?"

"Aus diesem Lande fort zu kommen."

"Willst Du fort, oder mußt Du fort?"

"Ich muß."

"Maschallah, Du bist aufrichtig! Wie heißest Du?"

"Allah weiß es."

"Wo kommst Du her?"

"Allah weiß es."

"Gott ist groß, und Deine Zunge ist gelähmt. Weißt Du nicht, daß ich keinen Mann mitnehmen darf, welcher mir nicht sagen kann, wer er ist?"

"Ich weiß es; aber Du wirst mich dennoch mitnehmen."

"Nein."

"Und doch - mich, mein Weib und mein Kind."

"Allah kerihm, Gott ist gnädig; er möge Dir Deinen finstern Verstand erleuchten. Ich brauche weder Weiber noch Kinder an Bord."

"Das weiß ich; aber dennoch wirst Du mich mitnehmen, denn ich kann Dir zahlen, was Du verlangst."

Diese Rede schien nicht ohne einen günstigen Eindruck zu sein. Der Kapitän sann eine Weile nach und meinte dann:

"Seid Ihr schon einmal zur See gewesen?"

"Oft."

"So fürchtet Ihr Euch nicht vor Wind und Wasser?"

"Nein."

"Auch nicht vor andern Dingen?"

"Welche meinst Du?"

|160B "Es gibt deren viele, zu Beispiel die Piraten, deren es in diesen Wassern viele gibt."

"Wir fürchten sie nicht."

"Ah, Dein Mund ist groß! Wenn nun der "Tiger" käme! Hast Du von ihm gehört?"

Katombo lächelte.

"Sehr viel. Er wird uns nichts thun."

Bei dem Tone, in welchem diese Worte gesprochen wurden, blickte der Kapitän aufmerksam empor.

"Warum denkst Du dies?"

"Weil Du gerade ebenso bewaffnet bist wie er. Auch er ist nur eine Feluke, die allerdings gerade ganz so vortrefflich gebaut sein soll wie die Deinige."

In dem Auge des Kapitäns leuchtete eine Art von Verständniß auf. Er blickte eine Weile vor sich hin und meinte dann:

"Wo willst Du hin?"

"Nach Tunis oder Algier; vielleicht sage ich es Dir unter der Fahrt."

"Du wirst viel zahlen müssen!"

"Vielleicht auch nichts. Ich will fort von hier, und sollte ich mit diesem "Tiger" selber fahren."

"Gibst Du fünfhundert Maria-Theresien-Thaler?"

"Ja."

"Die Sonne dieses Landes scheint Dir sehr heiß zu werden! Ich werde Euch Plätze geben. Wir stechen morgen zur Zeit des Gebetes in See. Wann willst Du an Bord kommen?"

"Heut Abend, wenn es dunkel ist."

"Bringst Du Waffen mit?"

"Sie sind besser als die Deinen hier."

"Maschallah! Wir werden uns kennen lernen. Allah sei mit Dir!"

Katombo war somit entlassen und fand bei seiner Rückkehr am Abende Alles zu seiner Aufnahme bereit. Ayescha und Almah wurden in einem Raume untergebracht, wo sie von dem Schiffsvolke nicht belästigt werden konnten, und am frühen Morgen lag das Land bereits weit hinter der Feluke, die mit voller Leinwand nach Westen strebte und sich als eine ausgezeichnete Seglerin erwies.

Katombo hatte Zeit, während der Fahrt alle Vorgänge an Bord zu beobachten. Der Kapitän hatte sich bisher nicht um das Mindeste bekümmert und war in der Kajüte geblieben, trotzdem das Auslaufen aus dem Hafen eigentlich seine Gegenwart an Deck erfordert hätte. Entweder hatte er ein ungewöhnliches Phlegma oder er wußte, daß er sich auf seine Leute vollständig verlassen konnte. Allerdings erwies sich der Steuermann als ein ganzer Mann in seinem Fache, und Derjenige, welchen der Matrose "Segelmeister" genannt hatte, hätte wohl recht gut Kapitän der Feluke sein können. Er kommandirte das Fahrzeug in einer Weise, welche ihn als einen umsichtigen, erfahrenen und energischen Mann erkennen ließ. Katombo fiel es auf, daß er nicht die Gesichtszüge eines Orientalen hatte, Physiognomie und blondes Haar wiesen vielmehr auf eine nordische Abstammung hin, und ganz dasselbe war auch mit dem Steuermannsgehilfen der Fall, der sich noch in einem sehr jugendlichen Alter befand und dem Segelmeister so ähnlich sah, daß man auf eine zwischen Beiden stattfindende enge Verwandtschaft schließen mußte.

Der Segelmeister hatte auf dem Hinterdecke gestanden; jetzt trat er zum Maste, an welchem Katombo lehnte. Jedenfalls hatte er die Absicht ein Gespräch anzuknüpfen, und er führte sein Vorhaben in jener vorsichtigen Weitschweifigkeit aus, welche dem Seemanne eigenthümlich zu sein pflegt. Er begann:

"Gut Wetter, heut!"

"Sehr!"

"Schöne Prise!"

"Ausgezeichnet!"

"Kann nicht besser sein für unsern Kurs!"

"Allerdings."

"Auch gut für Dich."

"Warum?"

"Wirst nicht seekrank werden."

"Pah!"

"Ah! wirsts wohl nie?"

"Nie."

"Dann warst Du wohl oft zur See?"

"Oft."

"Wo?"

"Da und dort."

"Hm! Scheinst kein Freund von langen Predigten zu sein."

"Zuweilen."

"Wie gefällt es Dir bei uns?"

"Sehr gut, hier oben nämlich."

|161A "Hier oben? Nicht auch unten?"

"Möchte nicht mitmachen."

"Was, warum?"

"Weil es zu schwül und dumpf im Raume ist. Wäre ich Kapitän, so ließe ich die Leute endlich einmal an die Luft gehen."

Der Segelmeister blickte ihn überrascht an.

"Welche Leute? Du hast spionirt."

"Nein, aber ich bin ein Seemann, und ein solcher pflegt einen Tiger von einem Hasen unterscheiden zu können."

"Du redest ja recht klug! Ein Seemann willst Du sein? Matrose?"

"Nein."

"Was sonst?"

"Ist Nebensache."

"Oder auch Hauptsache. Woher vermuthest Du, daß wir mehr Menschenfleisch an Bord haben, als wir sehen lassen können?"

"Aus dem Bau und der Takelung dieses guten Fahrzeuges."

"Und wenn Du Recht hättest, was würdest Du thun?"

"Nichts. Ich bin als Passagier von Euch aufgenommen worden und weiß ganz genau, welche Verpflichtungen wir gegen einander haben."

"Dann gut. Wir sind übrigens auch weit genug vom Lande ab und können die Farbe zeigen."

Zwei kurze Befehle, welche er gab, wurden augenblicklich befolgt. Das Ziehen an einer starken Leine genügte, um das riesige Halbmondbild, welches sich unter dem Spriete befand, zu wenden; auf der andern Seite desselben erschien das Konterfei eines Piraten, welcher mit gezücktem Messer über einem Gefangenen kniete; darunter stand in großen Zügen das Wort "Tiger" geschrieben, und zu gleicher Zeit öffnete sich eine der Vorderluken, aus welcher wohl über zwanzig wohlbewaffnete Männer stiegen, deren Physiognomien es sehr leicht anzusehen war, daß sie in einem kampfesreichen Leben geschult worden seien.

"Prächtige Kerls!" meinet Katombo.

"Du erschrickst nicht?"

"Wie sollte ich!"

"Dann klettere hinaus auf den Steven und sieh Dir unsere Firma an!"

"Ist nicht nöthig! Schon ehe ich an Bord kam wußte ich, daß ich mit dem Tiger fahren würde."

"Alle Teufel! Das wußtest Du und kamst dennoch an Bord?"

"Wie Du siehst!"

"Welchen Grund hattest Du? Willst Du einer der Unsrigen werden?"

"Möglich."

"Oder auch wahrscheinlich. Wir lassen Keinen an Bord, ohne daß er unser wird. Deine Gestalt hat dem Kapitän gefallen, und daher hat er gethan, als ob er Dir Passage gibt. Ich rathe Dir, Dich gutwillig zu fügen!"

"Pah! Es hat mich noch kein Mensch zu irgend etwas zwingen können, was ich nicht selbst und freiwillig thun wollte."

"So kamst Du an Bord gleich in der Absicht, bei uns zu bleiben?"

"Wenn es mir gefällt."

"Du sprichst sehr stolz. Wir würden Dich zwingen."

"Pah! Beantworte mir einmal meine Fragen! Der Tiger hat es, wie man sich erzählt, nur auf norländische und süderländische Schiffe abgesehen?"

"Allerdings."

"Aus welchem Grunde?"

"Hm, das darf ich ja wohl sagen: In Norland gibt es einen gewissen Herzog von Raumburg, der den König und mit ihm das ganze Land zu beherrschen weiß. Er ist Schuld, daß ich hier den Tiger kommandire."

"Wieso?"

"Es ist ihm einst ein Gefangener entsprungen, ein Zigeuner, wie man sagte. Ich war Seeoffizier und hatte einen Freund mit in See genommen, welcher diesem Zigeuner ähnlich sehen mochte. Ich kam in Untersuchung und wurde gegen Recht und Gerechtigkeit zu einer langjährigen Festungsstrafe verurtheilt."

"Was hatte dieser Zigeuner verbrochen?"

"Er hatte den Herzog tödten wollen."

"Weshalb?"

"Einer schönen Zigeunerin wegen, welche dann der Herzog ganz öffentlich als Geliebte zu sich nahm."

"Weißt Du, wie sie hieß?"

"Zarba, glaube ich."

"Du entkamst?"

"Ich entfloh aus der Festung und kam nach Süderland, wurde |161B aber von dort wieder ausgeliefert, obgleich kein Kartell abgeschlossen war. Ich entsprang zum zweiten Male, und wehe dem süder- oder norländischen Schiffe, welches in meine Hände kommt. Zwar gebe ich die Mannschaften frei, denn ich bin kein Mörder, aber Hab und Gut ist mein, und das Schiff wird angebohrt und versenkt."

"Das ist also Dein Rachewerk. Aber Dein Kapitän?"

Der Segelmeister warf den Kopf stolz in den Nacken.

"Hat nur den Namen. Das Schiff ist sein Eigenthum und wurde einst allerdings von ihm kommandirt; seit er mich aber kennen gelernt hat, führe ich den Befehl und er pflegt sich."

"Weißt Du, wie der Zigeuner hieß?"

"Ich wußte es, habe aber den Namen wieder vergessen."

"Katombo."

Der Segelmeister trat erstaunt einen Schritt zurück.

"Wahrhaftig! Du hast ihn gekannt?"

"Ich bin es selbst."

"Du? Ein Zigeuner und bist Seemann geworden?"

"Ja."

"Dann, ja - Du bist unschuldig die Ursache meines damaligen Unglücks; ich darf Dir nicht zürnen. Vielmehr bist Du mein Mann, denn Du hassest diesen Herzog."

"Ich hasse ihn nicht, aber ich verachte ihn."

"Das ist ebenso, wenn nicht noch schlimmer. Willst Du freiwillig bei uns bleiben?"

"Als was?"

"Das wird sich nach Deiner Geschicklichkeit richten. Welche Stelle hattest Du auf Deinem letzten Schiffe?"

Katombo lächelte.

"Ich war Segelmeister."

"Was? Segelmeister? Wirklich? Welcher Nationalität dientest Du?"

"Dem Sultan."

"Unter Nurwan-Pascha?"

"Ja."

"Welches Schiff?"

"Ali Hamed."

"Sein Flaggenschiff! Und da warst Du Segelmeister?"

"Ja."

"Dann mußt Du ein braver Seebär sein. Wie kamst Du von ihm fort und zu der Frau und dem Kinde?"

"Ich bin ein Christ und verheirathet. Wie ich von Nurwan-Pascha fortkam, werde ich Dir einmal später erzählen; nur das will ich Dir einstweilen versichern, daß ich den Ali Hamed ehrenvoll verlassen habe."

"Hoffe es! Wenn Du bei mir bleiben willst, so soll es mich freuen. Eine Stelle hätte ich einstweilen für Dich. Mein Junge nämlich soll etwas weiter hinaus in die Welt; er wird den Tiger verlassen, und so könntest Du als Gehilfe an den Steuermann treten. Habe ich Dich zu meiner Zufriedenheit geprüft, so wirst Du steigen. Deine Frau mit dem Kinde kannst Du an einem Hafenorte plaziren."

"Wer ist Dein Sohn?"

"Der dort beim Steuermanne steht."

"Hat der Tiger einen sichern Ort, welchen er zu jeder Zeit unerkannt anlaufen kann?"

"Nein."

"Ich bleibe bei Dir, doch nur unter der Bedingung, daß Du einen solchen Ort suchst."

|162A "Er ist schwer zu finden."

"Ich weiß einen: Eine kleine, einsame Insel, die zum Verbergen und Unsichtbarmachen einer Feluke wie geschaffen ist."

"Wo?"

"Ganz in der Nähe. Sie ist auf keiner Karte verzeichnet, aber ich könnte Dir ihre Lage ganz genau notiren."

"So komm mit in meine Kabine, wo ich die Karten habe!"

Sie stiegen hinab. Die Kabine war ein kleiner Raum, nicht größer als die Steuermannskajüten auf einer Orlogfregatte, aber sie war glänzend eingerichtet und enthielt alle möglichen nautischen Instrumente und sonstigen Requisiten, denen Katombo auf den ersten Blick ansah, daß sie von ausgezeichneter Güte seien. Der Segelmeister nahm die Seekarten zur Hand und suchte die betreffende heraus, auf welche Katombo durch einen Punkt die Insel verzeichnete.

Noch waren sie bei dieser Beschäftigung, als einer der Matrosen eintrat.

"Was gibt es?" frug ihn der Segelmeister.

"Ein Segel in Sicht."

"Wo?"

"Nord bei Ost."

"ich komme."

Als sie auf das Deck traten, bemerkten sie in der angegebenen Richtung einen kleinen weißen Punkt. Der Segelmeister griff nach seinem Rohre, und auch Katombo zog das seinige hervor. Seine Miene nahm nach einigen Augenblicken einen gespannten Ausdruck an.

"Was ist es?" frug der Segelmeister.

Jedenfalls wollte er die Befähigung des Gefragten auf die Probe stellen.

"Kein Kriegsschiff," antwortete Katombo.

"Du siehst sehr scharf. Was ist es dann?"

"Ein Dreimaster, feiner Segler, wie es scheint."

"Das kannst Du noch nicht erkennen."

"O, doch!"

"Dann bist Du geschickter als ich, oder Dein Rohr ist besser als das meinige. Räthst Du, unsern Kurs beizubehalten?"

|162B "Nein. Das Schiff ist uns selbst als Handelsfahrzeug überlegen. Wie viele Geschütze haben wir?"

"Unten vier und auf Deck diese drei."

"Dann rathe ich Dir, nach Ost bei Süd umzulegen, um vom Lande drüben im West abzukommen und vor diesem Segel einen Bogen zu schneiden, der uns in seinen Ost bringt, wo wir dann freie See haben."

"Fällt mir nicht ein!"

"Warum?"

"Weil wir uns vor keinem Kauffahrer zu fürchten brauchen und er uns auch für den andern Fall nichts anhaben kann, denn er hat jedenfalls mehr Tiefgang als wir und würde sich sehr hüten, uns nach West zu folgen, wo er leicht auf die gefährlichen Sandküsten gerathen könnte."

"Thue, was Du willst!" antwortete Katombo, indem er leicht mit der Achsel zuckte.

Er begab sich langsam nach dem Raume, in welchem Ayescha mit Almah untergebracht worden war. Der Tiger behielt seinen Kurs bei. Das fremde Segel näherte sich immer mehr, und es zeigte sich gar bald, daß Katombo Recht gehabt hatte. Es war ein lang und schmal gebauter Dreimaster, welcher außerordentlich gut, ja beinahe fast beispiellos segelte und seine Nationalität weder durch eine Flagge noch die Farbe eines Wimpels kund gab.

Der Segelmeister machte je länger ein desto bedenklicheres Gesicht und ließ plötzlich hart nach Nord bei West umlegen. Katombo hatte dieses Manöver unten im Raume durch das Sey (Rauschen des Kielwassers) bemerken müssen. Er kam wieder empor, musterte ringsum den Horizont und trat dann zum Segelmeister.

"Siehst Du, daß ich mich nicht täuschte? Warum willst Du ihm ausweichen?"

"Es hißt die Flagge nicht auf, und das kommt mir natürlich verdächtig vor. Dieses Schiff hat Fregattenbau und dennoch Klippertakelage; es ist der beste Segler, den ich jemals gesehen habe. Wenn es gut bemannt ist und auch nur vier Geschütze hat, können wir es unmöglich angreifen."

|163A "Wir können es nicht nur nicht angreifen, sondern wir sind geradezu verloren."

"Ah! Warum?"

"Es ist der "Selim," dem kein anderes Fahrzeug der Welt gleichkommt."

"Der Selim, dieses Wunderschiff, welches der berühmte Nurwan-Pascha ganz und bis in das Einzelnste nach seinem eigenen Plane hat erbauen lassen?"

"Und welches theils als Depeschen- und theils als Transportschiff für solche Fälle verwendet wird, in denen es sich um die größte Schnelligkeit handelt. Es führt vierzehn der besten Geschütze, welche stets maskirt sind und hat gerade so viele Mannen an Bord wie eine Kriegskorvette."

"Woher weißt Du dies?"

"Weil ich auf ihm gedient habe," antwortete Katombo nach einigem Zögern.

"Du?" frug der Andere erstaunt. "Als was?"

"Als Segelmeister. Ich sagte es Dir ja bereits."

"Wahrhaftig? Wenn dies wirklich wahr ist, so mußt Du ein verteufelt brauchbarer Kerl sein. Was würdest Du thun, ihm zu entkommen?"

"Ihm zu entkommen ist unmöglich. Hättest Du vorhin meinen Rath beachtet."

"Pah; er soll uns doch nicht haben! Ich werde mich so nahe an die Küste halten, daß er es gar nicht wagen kann uns zu folgen."

"Hm," lächelte Katombo, "das ist ein unnützes Unternehmen. Er hat nicht viel mehr Tiefgang als wir, denn er ist zillig gebaut und wird uns übrigens übersegelt haben, ehe wir die Küste nur in Sicht bekommen."

"Du scheinst diese Breiten und den "Selim" außerordentlich gut zu kennen!"

"Allerdings. Wähle! Es gibt nur zwei Fälle: Entweder Du kämpfest mit ihm und gehst unter, oder Du übergibst Dich ihm auf Gnade und Ungnade, ohne vorher mit ihm anzubinden."

"Alle Teufel, Du bist verflucht kurz! Ich werde kämpfen. Was wirst Du thun? Dich vielleicht neutral verhalten?"

"Ich kämpfe, wenn sich nicht vorher ein anderer Ausweg findet."

"Welcher sollte dies sein?"

"Weiß es nicht. Eine Kleinigkeit, welche man gar nicht beachtet hat, kann oft die schwierigste Lage in eine günstige verwandeln."

"Du bist muthig und bedächtig zu gleicher Zeit; ich werde Dich sehr gut gebrauchen können. Willst Du als Volontär fechten, oder soll ich Dir eine Stellung anweisen?"

"Ich ziehe das erstere vor."

"Gut; so halte Dich in meiner Nähe!"

Auf dem Dreimaster mußte man bereits bemerkt haben, daß die Feluke zu entkommen suchte, und die Folge davon war, daß plötzlich eine ganze Wolke von Leinwand sich entfaltete, unter welcher der Selim stolz und mit unübertrefflicher Schnelligkeit dahinflog wie ein Albatros, der König der Ozeane. Er kam mit jeder Minute dem Tiger näher, und die Sonne hatte den Horizont noch lange nicht erreicht, so sah sich der letztere überflogen und wandte sich in einem Bogen nach Ost, um den Versuch zu machen, bis zum Hereinbruche der Nacht zu manövriren und dann im Dunkel zu entkommen.

Dies aber sollte ihm nicht gelingen. Auch der Selim wandte und zog jetzt die türkische Flagge auf. Zu gleicher Zeit öffnete er seine Stückpforten, von denen bisher nicht das Mindeste zu erkennen gewesen war, und gab durch einen blinden Schuß das Zeichen, daß der Tiger beilegen solle.

Dieser jedoch gehorchte nicht, setzte vielmehr noch die kleinen Topsegel bei, so daß sich seine Masten unter der Wucht der Leinwand förmlich bogen, und strich nun mit einer Geschwindigkeit dahin, daß es außer dem "Selim" sicher keinem andern Schiff gelungen wäre, ihn einzuholen oder auch nur gleichen Schritt mit ihm zu halten. Der Dreimaster aber kam immer näher und sandte jetzt einen scharfen Schuß herüber. Man sah die Kugel deutlich auf den Wogen ricochettiren und dann kurz vor dem Steuerborde des "Tiger" in der Fluth verschwinden.

Der Knall des Schusses hatte zur Folge, daß der Kapitän aus seiner Kajüte trat. Sein dickes verschwommenes Gesicht sah leichenfahl, und sein Gang war schwankend wie der eines Betrunkenen. In seiner zitternden Rechten hielt er den krummen Säbel und in seiner Linken eine gespannte Pistole. Ob er die Situation richtig zu erfassen vermochte, konnte man nicht sagen; aber er erhob dennoch den Arm zu einem Kommando:

"Die rothe Flagge auf!" lallte er. "Öffnet die Stückpforten!"

"Werden uns hüten!" meinte der Segelmeister. "Mit der Flagge können wir Den da drüben nicht in den Grund bohren, und einem überlegenen Fahrzeuge zeigt man nicht sogleich, wer man ist."

|163B "Was wirst Du jetzt thun?" frug Katombo.

"Mich so hart an seine Seite halten, daß uns seine Kugeln nichts anhaben können. Dann erhält er die unsrigen aus solcher Nähe, daß er unbedingt auf den Grund gehen muß."

"Und wir mit ihm."

"Wieso?"

"Er hat Stückpforten auch zugleich über der Wasserlinie."

"Ich sehe sie nicht."

"Sie sind maskirt wie die unsrigen."

"Und dennoch kann ich nicht anders manövriren, denn dies ist der einzige Weg, welcher uns einigen Erfolg verheißt."

"Der Kapitän ist damit einverstanden?"

"Pah! Der wird nicht gefragt. Er hat wieder einmal seinen Opiumrausch und ist vollständig impotent. Siehst Du, dort ist er niedergesunken und wird nicht eher aufstehen, als bis er seinen Rausch gehörig ausgeschlafen hat."

In diesem Augenblicke krachte abermals ein Schuß herüber. Er war so gut gezielt, daß er in die Schanzverkleidung einschlug und eine Menge Holzsplitter über das Deck hinstreute. Zu gleicher Zeit sanken die Masken von den Stückpforten des Selim, und es zeigte sich nun allerdings, daß Katombo Recht gehabt hatte.

"Alle Teufel, der Kerl schießt gut!" fluchte der Segelmeister. "Aber in zwei Minuten werden wir Seite an Seite mit ihm sein, und dann wollen wir ihm zeigen, daß auch wir einige Kugeln übrig haben!"

"Wird uns nichts helfen! Willst Du, daß wir nicht an die große Raa zu hängen kommen, so lege bei und kapitulire!

"Kapituliren? Uns übergeben? Bist Du wahnsinnig!"

"Nein; ich weiß vielmehr sehr gut, was ich Dir rathe."

"Aber das weißt Du nicht, daß ein Pirat sich lieber in den Grund schießen als aufhängen läßt."

"Auch dies weiß ich. Aber wenn Du es mir übergibst, mit Denen da drüben zu verhandeln, so sollst Du mich erdolchen, wenn sie uns nicht unbehelligt segeln lassen."

"Du bist allerdings verrückt, und jetzt ist keine Zeit zum Sprechen mehr. Suche Dir einen Platz zum Fechten oder zum Verstecken, ganz wie Du willst!"

Er wandte sich ab. Der "Selim" hatte den "Tiger" um einige Schiffslängen überholt und gab nochmals das Zeichen zum Beilegen. Statt diesem Gebote zu folgen, hielt die Feluke jetzt scharf zu ihm hinüber, um unter seinen Bord zu kommen. Der Befehlshaber des "Selim" merkte dies und suchte es zu vereiteln; sein stattliches Fahrzeug schwankte unter dem Drucke einer vollen Breitseite, welche herüber donnerte und so gut gezielt war, daß die Vollkugeln krachend in das Plankenwerk der Feluke schlugen und die Kartätschen längs ihres Decks hinfegten. Diese gefährlichen Geschosse und die von ihnen abgerissenen Mastensplitter richteten eine schreckliche Verheerung an. Dieser eine Augenblick hatte genügt, die meisten der auf Deck Befindlichen zu tödten oder zu verwunden, und an Bord des "Selim" erscholl ein vieltöniges Jubelgeschrei.

Eine Kartätschenkugel hatte auch den Segelmeister getroffen; er stürzte todt zu den Füßen Katombos nieder. Dieser hatte keine Zeit, sich um ihn zu bekümmern; er sprang zum Flaggenstocke und zog das weiße Zeichen empor. In diesem Augenblicke kamen Diejenigen, welche sich noch unter Deck befunden hatten, herauf. Sie sahen, was Katombo machte, sahen den Segelmeister getödtet und den besinnungslosen Kapitän schwer verwundet am Boden liegen und drangen sofort nach dem Flaggenstocke vor.

"Was thust Du, Hund!" brüllte ein langer Araber, indem er den Handschar erhob. "Du sollst Deinen Verrath mit dem Tode büßen!"

Katombo blickte ihnen ruhig entgegen.

"Zurück!" donnerte er, "sonst seid Ihr Alle verloren. Der "Selim" wird Euch in fünf Minuten schwimmen lassen, wenn Ihr Euch nicht ergebt!"

"Und wenn wir uns ergeben, so werden wir gefangen!"

"Nein. Ich kenne den "Selim", seinen Kapitän und seine Mannen. Man wird Euch nicht das Geringste zu Leide thun; das schwöre ich Euch bei dem Barte des Propheten und bei Allah, den Ihr anbetet."

"Sagst Du die Wahrheit?"

"Die vollständige."

"So schwöre es bei Deinem Barte und denjenigen Deiner Väter!"

"Ich schwöre es!"

"So glauben wir Dir. Der Steuermann mag das Kommando übernehmen."

"Nein, das werde ich selbst führen, wenn ich Euch wirklich von dem schmachvollen Tode erretten soll."

|164A "So thue es; aber merke Dir, daß wir Dich tödten werden, wenn Du nicht im Stande bist, Dein Versprechen zu halten."

"Gut. Geht an die Brassen. Herab mit den Leinen. Wir legen bei!"

Seine Befehle erklangen voll und hell über Deck und wurden mit Schnelligkeit ausgeführt. Die Leute blickten jetzt doch ein wenig verwundert zu ihm hin, denn die Art und Weise, wie er die Segel zum Beilegen fallen ließ, war so kühn, wie es vor ihm auf dem "Tiger" noch keiner gewagt hatte.

Die Schüsse hatten natürlich auch Ayescha aufgeschreckt; die Angst trieb sie, mit Almah an Deck zu kommen. Katombo erblickte die tief Verschleierte, und da ihr keine Salve mehr Gefahr bringen konnte, winkte er sie zu sich.

"Katombo, werden wir getödtet oder gefangen?" frug sie in höchster Angst.

"Keines von beiden, mein liebes Weib."

"Wer ist dieser Feind? Ist das nicht die türkische Flagge?"

"Ja. Siehe Dir das Schiff einmal genauer an! Kennst Du es vielleicht noch?"

Sie hatte vor lauter Angst das Fahrzeug noch gar nicht genau betrachtet; jetzt aber warf sie einen schärferen Blick hinüber.

"Ist es möglich? Dein Selim!"

"Ja. Und dort oben steht Kapudan Masur-Bei, der beste meiner Schüler. Er ist mir treu ergeben und ein so tüchtiger Mann, daß ihm der neue Kapudan-Pascha den Befehl über den "Selim" gelassen hat."

"Und wer ist der Offizier, welcher jetzt zu ihm tritt?"

Katombo machte eine Bewegung der höchsten Überraschung und legte die Hand über die Augen, um besser sehen zu können.

"Bei Gott, das ist er, das ist er ja selbst."

"Wer?"

"Der Kapudan-Pascha, der mich verdrängt hat und sich Mühe gab, daß ich die seidene Schnur erhielt. Er ist an Bord des "Selim", folglich muß das Schiff eine sehr wichtige Fahrt vor sich haben."

"So sind wir dennoch verloren!"

"Nein. Das Schiff legt bei wie wir, und ich kann alle Männer erkennen, welche sich an Deck befinden. Sie werden alle zu mir halten, wenn sie zwischen ihm und mir wählen sollen. Paß auf; die Entscheidung naht bereits!"

Die beiden Schiffe wiegten sich einander gegenüber auf den Wogen, und vom "Selim" wurde das große Boot herabgelassen und mit Leuten bemannt, welche bis an die Zähne bewaffnet waren. Es stieß ab und legte nach einigen Augenblicken bei der Feluke an. Der erste Lieutenant kommandirte es.

Er schwang sich mit seinen Leuten an Bord. Sie blieben mit bereitgehaltenen Waffen stehen, während er sich sofort nach dem Hinterdecke begab, wo Katombo mit herabgezogener Kapuze seiner wartete.

"Bist Du der Führer dieses Fahrzeugs?" frug er ihn.

"Jetzt, ja."

"Welches Schiff?"

Er hatte Bild und Namen bereits am Steven erblickt, mußte aber dennoch diese vorgeschriebene Frage thun.

"Der Tiger."

"Woher?"

"Von überall."

"Ah! Welche Art Fahrzeug?"

"Pirat!" antwortete Katombo ruhig.

"Du hast viel Muth, mir dies sofort zu gestehen. Warum legtest Du nicht bei, als wir Dich aufforderten es zu thun?"

"Ich hätte sofort beigelegt, aber ich war es nicht, der dazu aufgefordert wurde."

"Wer sonst?"

"Der Kapitän dort und der Segelmeister hier. Der letztere ist todt, und der erstere wird noch heut auch sterben, wie es scheint."

"Und was bist Du auf dem Schiffe?"

Ich war nur Passagier mit meinem Weibe und Kinde."

"Pah! Und hast dennoch den Befehl erhalten, trotzdem der Steuermann dort auf seinem Platze steht? Deine Worte sind Lüge, denn einem Passagier wird nicht das Kommando übergeben, zumal in der Lage, in welcher Ihr Euch befindet."

"Lüge? Ich rede die Wahrheit und sage Dir sogar, daß ich auch das Kommando des "Selim" übernehmen werde."

"Du?"

"Ja ich."

"Allah hat Dir das Gehirn genommen, oder Du willst den |164B Wahnsinnigen spielen, um nicht getödtet zu werden. Ich aber sage Dir, daß Ihr Alle hängen werdet, so wahr ich - - -"

"So wahr Du Moab-Ben-Osman heißest, nicht wahr?" unterbrach Katombo seine Rede.

"Wie, Du kennst meinen Namen? Wie ist der Deinige?"

"Sage ihn selbst!"

Bei diesen Worten warf Katombo die Kapuze nach hinten. Der Lieutenant blickte ihm jetzt in das volle Gesicht und wich erschrocken einige Schritte zurück.

"Allah akbar, Gott ist groß; er nimmt das Leben und läßt die Todten wieder auferstehen!"

"So kennst Du mich noch?"

Der Lieutenant verbeugte sich beinahe bis zur Erde und erfaßte die Hand des Fragenden, um sie zu küssen.

"Mein Herr und Wohlthäter! Du bist also nicht gestorben?"

"Ich lebe, wie Du siehst. Und nun glaubst Du wohl auch, daß ich Dich nicht belogen habe?"

"Herr, ich glaube es!"

"Was solltest Du mit uns thun?"

"Euch Alle an Bord des "Selim" bringen und den "Tiger" mit meinen Leuten einstweilen bemannen."

"Und was wirst Du nun aber thun?"

"Was Du mir befiehlst, Herr."

"So kann ich auf Dich rechnen?"

"Auf mich und meine Männer, die dort stehen."

"Wie sind die Andern an Eurem Bord gesinnt?"

"Grad so wie wir."

"So liebt Ihr den Kapudan-Pascha nicht?"

"Nein. Allah hat ihm nicht die Gabe der Liebe und Milde in das Herz gelegt, er ist streng und grausam, und wir meinen, daß er einst eines unnatürlichen Todes sterben werde."

"Denkt Kapudan Masur-Bei, Euer Kapitän noch an mich?"

"Er denkt an Dich und liebt Dich wie zuvor. Der "Selim" ist Dein eigenes Werk; Du hast ihn bemannt nach Deinem Wohlgefallen mit lauter Männern, welche Dir ihr Glück verdanken; sie haben getrauert, als sie die Kunde von Deinem Tode erhielten; sie haben geknirscht, als Dein Nachfolger sie wie Sklaven und Giaurs behandeln ließ, und nun werden sie jubeln, wenn sie hören, daß Du noch lebst und zu ihnen an Bord kommen willst."

"Aber der Kapudan-Pascha wird nicht jubeln. Er hat mich um die Gnade des Großherrn betrogen und es sogar so weit gebracht, daß ich die seidene Schnur erhielt."

"Maschallah, ist dies wahr?"

"Ja."

"So thue mit ihm, was Dir beliebt. Wir werden zu Dir halten und nicht zu ihm."

"Weshalb ist er auf dem Selim?"

"Ich weiß es nicht."

"Wohin geht Eure Fahrt?"

"Auch dies weiß ich nicht; denn er hält Alles im Geheimniß. Wir vermuthen jedoch, daß wir nach Tremona segeln, wo er für den König von Süderland wichtige Depeschen abzugeben haben wird."

"Wir werden es erfahren. Wer übernimmt das Kommando Deiner Bootsleute, Du oder ich?"

"Du, Herr."

"Ich lasse es Dir; ja, ich übergebe Dir noch mehr, denn ich weiß, daß ich Dir vollständig vertrauen kann."

"Bei allen Himmeln Mohammeds, das kannst Du."

"So höre was ich Dir sage: Ich werde jetzt ganz allein nach dem "Selim" rudern. Finde ich Freunde, so ist es gut; finde ich aber Feinde, so springe ich über Bord und schwimme zum "Tiger" zurück. Was würdest Du für diesen letzteren Fall thun?"

"Ich bleibe bei Dir und werde Pirat."

"Aber weißt Du, was Du mir dann Alles opferst?"

"Ich opfere nichts, denn Alles, was ich habe und was ich bin, das habe ich nur Dir zu danken."

"Aber Deine Zukunft?"

"Kann dies nicht auch die seidene Schnur sein? Und übrigens weiß ich, daß Du nicht lange im Verborgenen leben wirst. Der Großherr braucht Männer wie Du, und wenn dann Deine Zeit gekommen ist, so wissen wir, daß die unsrige auch nicht entfernt bleibt."

"Wohlan, so vertheile Deine Leute und lasse das kleine Boot hinab!"

Diesem Befehle wurde Gehorsam geleistet. Ayescha zitterte vor Angst und wollte ihren Gatten nicht von sich lassen; er gab sich alle Mühe sie zu beruhigen, geleitete sie nach ihrem Raume |165A und stieg dann in das Boot hinab, in welchem er ganz allein hinüber zu dem "Selim" ruderte.

Die Offiziere und Mannen an Bord desselben wunderten sich nicht wenig, statt der erwarteten Gefangenen nur einen einzelnen Mann zu Deck steigen zu sehen, einen Mann, dessen Gesichtszüge |165B man nicht einmal genau sehen konnte, weil es von der Kapuze fast ganz verhüllt wurde.

Ein Bootsmann empfing ihn und führte ihn nach dem hohen Quarterdecke, wo der Kapitän an der Seite eines Mannes stand, welcher eine sehr reiche Marineuniform trug, auf deren Brustseite mehrere |165C Ordensbänder befestigt waren. Dieser Mann war der Kapudan-Pascha, der Nachfolger und Feind Katombos.

Als er den Verhüllten kommen sah, meinte er zu dem Kapitän:

"Das ist eigenthümlich, so eigenthümlich, daß ich die Unterhandlung selbst führen werde."

Der Kapitän verbeugte sich tief, zum Zeichen, daß er den Befehl verstanden habe und demselben nachkommen werde. Jetzt war Katombo herangekommen und blieb in stolzer kerzengerader Haltung |165D vor dem Pascha stehen, während er nur dem Kapitän mit der gesenkten Rechten ein Zeichen des Grußes gab. Alle Offiziere außer dem Deckhabenden traten herbei.

"Grüße, Du Hund!" donnerte der Pascha.

"Ich habe gegrüßt!" erklang die stolze Antwort.

"Diesen, aber nicht mich und die Andern!"

"So grüße ich hiermit diese Andern, nicht aber Dich!"

"Ah? Warum?"

|166A "Ich habe nur die Offiziere des Schiffes zu grüßen, welches ich betrete, sonst keinen Andern."

"So! Weißt Du, wer ich bin?"

"Ich kenne Dich."

|166B "Und dennoch verweigerst Du mir die Demuth, welche der Schakal dem Löwen schuldet?"

"Du bist kein Löwe, sondern eine feige Hyäne, welche sich an Leichen mästet. Aber zuweilen erwachen die Todten, um die Leichenräuberin zu erwürgen."

|166C "Hund, was wagst Du! Du bist ein Pirat und mußt mit den Andern sterben, aber Dein Tod soll ein hundertfacher sein, langsamer und grausamer als der ihrige. Was bringst Du, und warum kommst Du so allein an Bord?"

"Ich bringe Rache und Strafe und komme allein an Bord, weil ich keinen Menschen zu fürchten habe."

"Auch mich nicht?" frug der Pascha mit einem Lächeln, welches dem Zähnefletschen des Tigers glich.

|166D "Dich noch weniger als jeden Andern, denn Du bist wie eine faule Melone, welche der Knabe in der Hand zerdrückt!"

Da zog der Pascha den Degen.

"Nieder mit Dir in den Staub, oder ich nehme Dir in der nächsten Sekunde den Kopf und das Leben!"

"Dazu gehört ein ganz Anderer als Du!" klang es verächtlich zurück.

|167A Zu gleicher Zeit warf Katombo die Kapuze nach hinten, so daß sein Gesicht deutlich zu sehen war, und zog den Degen. Der Kapudan-Pascha fuhr zurück.

"Nurwan-Pascha!"

"Ja, Nurwan-Pascha bin ich! Nurwan-Pascha erscheint auf seinem guten "Selim", um seine braven Mannen zu begrüßen und sie und das Reich von einem Verräther zu befreien, der sie wie Hunde behandelte und seinen Rang doch nur dem Verrathe, der Heimtücke und der Lüge zu verdanken hat."

Der Pascha hatte sich bereits wieder gefaßt.

"Ergreift ihn und bindet ihn!" gebot er.

Katombo wandte sich gegen die Offiziere.

"Werdet Ihr ihm gehorchen und Euern besten Freund, Euern Vater und Wohlthäter gefangen nehmen?"

Ein einziger Blick, welchen sie unter einander wechselten, genügte zur vollkommenen Verständigung. Sie zogen die Waffe und traten auf Katombos Seite. Dieser wandte sich an den Pascha:

"Siehe, Du Hund, welchen Werth Dein Wort noch hat! Du meintest, daß ich eines hundertfachen Todes sterben sollte, ich aber habe nicht das Herz eines Tigers wie Du: Dein Tod soll ein schneller und schmerzloser sein."

Da zückte der Pascha den Degen zu einem fürchterlichen Hiebe.

"Stirb, Hund! Und dann kommt Ihr Andern daran!"

Der Säbel schnitt durch die Luft, flog aber in demselben Augenblicke ihm aus der Hand und über Bord ins Wasser. Katombo hatte den Hieb mit Meisterschaft parirt.

"Warte noch ein wenig, bis ich mit Dir gesprochen habe! Du raubtest mir die Ehre und das Amt; Du strengtest all Deinen Einfluß an, damit mir der Großherr die seidene Schnur senden sollte. Er schickte sie mir, aber ich verachtete sie. Deinem Boten nahm ich den Kopf, und der Khedive erwartet den Tod, der in seinem Fleische wühlt. Und was ich Deinem Boten gethan, das wirst Du auch erleiden. Mörder und Verräther, fahre zum Scheitan in die Hölle!"

Ganz wie er es damals in Kairo gethan hatte, ergriff er die Hand des Pascha, riß ihn in einem Kreise um sich herum und schwang die scharfe Klinge; ein schneller, zuckender Blitz derselben, |167B das Haupt des Pascha rollte herab und sein Körper flog eine Strecke weit fort, wo er zu Boden fiel.

Da trat der Kapitän zu ihm.

"Allah il Allah, Gott ist Gott, und sein Gericht ist gerecht. Sei willkommen, o Herr, und thue mit uns nach Deinem Wohlgefallen!"

Katombo reichte ihm und Allen die Hand.

"Willkommen, Masur-Bei! Ich kannte Deine Treue und wußte, daß ich mich auf Dich verlassen kann. Willkommen auch Ihr Andern. Wollt Ihr mich wieder als Euren Führer anerkennen?"

"Wir wollen!" riefen sie im Vereine.

"Aber wißt Ihr auch, daß der Tod Eurer wartet, wenn der Großherr diese That erfährt?"

"Herr, wir wissen es, aber wir fürchten uns nicht," antwortete der Kapitän. "Du bist weise und tapfer; wir übergeben Dir den "Selim" mit unserm Schicksale und unserer Zukunft!"

"Ich danke Euch! Niemand wird erfahren, was heut geschehen ist. Der "Selim" wird verschwinden und erst dann wieder zum Vorscheine kommen, wenn Nurwan-Pascha wieder Kapudan-Pascha ist. Und dann werde ich Eurer Treue gedenken und Euch dankbar sein. Bis dahin aber werde ich Euch dahin führen, wo Kampf und Sieg zu finden ist, damit Männer und Helden aus Euch werden für die Zeiten, in denen solche gebraucht werden. Näht den Todten ein und werft ihn über Bord! Seine Kajüte nehme ich für mich, und vor mir darf Niemand in dieselbe treten!"

Auf die Kunde an Vorderdeck, daß Nurwan-Pascha an Bord gekommen sei und den Befehl übernehmen werde, verbreitete sich auch unter den übrigen Mannschaften ein großer Jubel, und alle Hände regten sich in doppelter Eile, als der Kapitän Masur-Bei den Befehl gab, alle Flaggen und Wimpel zu hissen und das Schiff in Parade zu setzen zur Feier des ebenso unerwarteten wie freudigen Ereignisses.

Unterdessen ruderte Katombo wieder an Bord des "Tiger", um Weib und Kind und Anderes nach dem "Selim" zu bringen. Trotz seiner vorhergehenden Beruhigung hatte Ayescha große Angst um ihn ausgestanden; er konnte sofort zu ihr gehen, ohne dem Oberlieutenant erst Auskunft erteilen zu müssen, da dieser ja bereits gesehen und gehört hatte, welche Freude das Erscheinen des vormaligen Kapudan-Pascha auf dem "Selim" hervorgerufen hatte.

|168A Nachdem er ihr in Kürze Alles erzählt hatte, nahm er eine genaue Untersuchung der Ladung des "Tiger" vor. Die Feluke barg einen großen Reichthum an Geld und Gütern, und eigentlich hätte er jetzt das Recht oder die Gewalt gehabt, sich Alles anzueignen. Statt dies aber zu thun, ließ er den Steuermann und den Sohn des gefallenen Segelmeisters zu sich kommen. Beide wußten nicht, wen sie vor sich hatten.

"Wie ist Eure Meinung darüber, wem jetzt das Schiff gehört?" frug er sie.

"Es gehört dem Selim," antwortete der Steuermann finster. "Was wird nun mit uns, und was war das für ein Jubel, den es da drüben gibt?"

"Ich habe Euch vorhin geschworen, daß man Euch nichts thun werde, und ich pflege mein Wort zu halten. Der "Tiger" gehörte dem Kapitän und wird als Prise mit dem "Selim" gehen. Die Ladung aber soll Euer Eigenthum bleiben. Der Oberlieutenant, welcher hier an Bord ist, wird Euch und Alles bis in den nächsten Hafen bringen. Theilt das Gut dann nach Belieben unter Euch, aber beeilt Euch damit, daß der "Selim" nicht zu lange auf die Feluke zu warten hat."

Beide Männer waren von diesem großmüthigen Verfahren überrascht und gaben ihm ihre Dankbarkeit zu erkennen.

"Die Schiffspapiere sind in der Kajüte?" frug er dann.

"Ja," antwortete der Sohn des Segelmeisters. "Wir haben verschiedene Papiere für verschiedene Fälle, und da Du großmüthig an uns handelst, sollst Du sie alle haben. Komm mit herab!"

Er folgte ihm. In dem kleinen Raume, in welchem Katombo mit dem Kapitän gesprochen hatte, rollte der junge Mann den Teppich vom Boden.

"Hier ist das geheime Versteck, welches Alles enthält, was keine Behörde zu wissen braucht. Der Vater ist todt, ich selbst wollte längst eine andere Fahrt antreten und brauche nichts von den Papieren, welche da verborgen sind. Du sollst sie haben."

Er schob ein Fach des Bodens in die Wand hinein, und es kam eine Vertiefung zum Vorschein, welche außer mehreren vollen Beuteln auch einige Papierpakete enthielt.

"Das Geld ist Euer," meinte Katombo. "Was sind dies für Papiere?"

"Es sind theils falsche Legitimationen der Feluke und theils Schriftstücke, welche wir den Süder- und Nordländern abnahmen. Du weißt, daß wir nur solche Schiffe kaperten, und mein Vater pflegte alle da vorgefundenen Schriftstücke sorgfältig aufzubewahren. Er war besonders auf geheime Depeschen ganz versessen. Mir können sie keinen Nutzen bringen; vielleicht ist es Dir möglich, einen Vortheil daraus zu ziehen."

Katombo nahm die Papiere zu sich und begab sich dann an Deck, um den Oberlieutenant über sein Verhalten zur Feluke und deren Besatzung zu instruiren. Hernach ließ er sich mit Weib und Kind nach dem "Selim" bringen, während der "Tiger" seine Segel hißte und sich der nächsten Küste zuwandte. Der "Selim" mußte kreuzen, um auf ihn zu warten.

Es war am späten Abende, als Katombo in seiner Kajüte saß, welche vor ihm der Kapudan-Pascha inne gehabt hatte. Es war ihm von höchster Wichtigkeit gewesen zu erfahren, welchen Zweck die Fahrt des letzteren verfolgt habe, und er hatte vollständige Aufklärung erhalten durch ein kleines Kästchen, in welchem allerlei geheime Instruktionen lagen, die er natürlich gelesen hatte.

Jetzt nun ging er die Papiere durch, welche auf der Feluke verborgen gewesen waren. Manche von ihnen legte er bereits nach einem kurzen Blicke wieder zur Seite, andere aber las er desto aufmerksamer durch.

Eben hatte er das Letzte wieder zusammengefaltet, als sich die Nebenthür öffnete und Ayescha eintrat.

"Bist Du fertig? Darf ich nun kommen?" frug sie.

"Ja."

Sie schlang die Arme um seinen Nacken und küßte ihn.

"Hast Du Wichtiges gefunden? Ich sehe es Deiner Miene an."

"Allerdings. Ich habe einen tiefen Blick gethan in die Politik und die Zukunft derjenigen zwei Staaten, mit denen der "Selim", den ich "Tiger" nennen werde, auf eigene Faust und Rechnung Krieg führen wird. Es wird die Zeit kommen, in welcher der Sultan meiner Dienste wieder bedarf, und dann wird der arme Zigeuner über das Loos ganzer Länder und Völker zu entscheiden haben. Der heutige Tag ist nach langem Unglücke wieder ein glücklicher für mich gewesen. Laß uns nun zur Ruhe gehen. Leïlkum saaïde, gesegnete Nacht!"


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