(|168|)B Fünfzehntes Kapitel.

Am Vorabend.

Es war am Sieben-Bruder-Tag. Der Abend hatte sein Dunkel bereits über die Residenz gebreitet, und vor der Thür der Hofschmiede saßen die drei Gesellen nach vollbrachter Arbeit ihrer Gewohnheit gemäß bei der Unterhaltung.

"Also, nun endlich einmal heraus damit, Thomas! Wo warst Du?" frug Heinrich Feldmann, der ehemalige Artillerist.

"Fort," antwortete Schubert.

"Das brauchst Du uns nicht erst zu sagen. Den Ort wollen wir wissen!"

"Gut, mein Junge: Ich pin üper alle Perge gewesen."

"Mache keine dummen Witze. War denn diese Reise gar so geheimnißvoll, daß Du nichts sagen darfst?"

"Das nicht; aper Einer von der Artillerie praucht nicht Alles zu erfahren. Hat meine Parpara Seidenmüller nach mir gefragt?"

"Nach Dir? Ist ihr gar nicht eingefallen, nicht wahr, Baldrian?"

Der einstmalige Grenadier that einen langen Zug aus seiner Pfeife, blies den Rauch langsam von sich und meinte mit einem verweisenden Kopfschütteln:

"Das ist nicht am Den!"

"Siehst Du, altes Lügenmaul!" zürnte Thomas. "Der Paldrian ist doch ein ehrlicher Kerl, der immer pei der Wahrheit pleipt. Du aper pist ein Mensch, der - dem - von dessen - na mit einem Worte, der pei der Artillerie gestanden hat. Schäme Dich!"

"Still, alter Kavalleriereiter! Was hast Du denn bei der Kavallerie gelernt? Ein Bischen Häcksel schneiden und einen bockbeinigen Wallach striegeln, weiter nichts! Wir von der Artillerie dagegen sind Leute, die ihre Nasen in alle Wissenschaften gesteckt haben. Wir haben es mit der schwierigsten Waffe zu thun; wir brauchen zehnmal mehr Übungen und Kenntnisse als Ihr; wir entscheiden die Schlachten und - - -"

"Und machen Lügen und schneiden auf wie gedruckt," fiel ihm Thomas in die Rede. "Ist es nicht so, Paldrian?"

Der Gefragte nickte bedächtig:

"Das ist am Den."

"Nein, das ist nicht an Dem," antwortete Heinrich. "Ihr glaubt nur, ich schneide auf, weil Ihr zu dumm seid zu begreifen, was ein Artillerist Alles zu leisten vermag. Da war Dein Bruder, den Du von der Reise mitbrachtest, ein ganz anderer Kerl; der hat mit seinen Schiffskanonen manchen guten Schuß gethan, und wir haben uns stundenlang über die richtige Behandlung der Geschütze unterhalten. Schade nur, daß er so rasch fort mußte! Hat er noch nicht geschrieben?"

"Mein Pruder, der Palduin?"

"Ja, der Steuermann."

"Steuermann? Höre, wenn Du ihn noch einmal in dieser Weise peleidigst, so schlage ich Dir Deine ganze Artillerie mit allen Pompen und Haupitzen um den Kopf herum! Weißt Du nicht, daß er Kapitän zur See geworden ist, der Palduin?"

"Seit wenn denn?"

"Seit kürzlich. Er hat es mir heute geschrieben und mir gesagt, daß ich Euch alle grüßen soll. Nicht wahr, Paldrian?"

"Das ist am Den," stimmte der Grenadier bei.

"Danke," meinte Heinrich. "Der hat doch Verstand. Du aber warst so lange verreist, und hast uns nicht ein einziges Mal grüßen lassen! Aber wer kommt dort? Ist das nicht ein königlicher Lakai?"

"Ja; ich kenne ihn sehr genau, opgleich er heut in Civil geht. Es ist der Leipdiener der Majestät. Ich glaupe, der will zum Meister."

Es war so. Der Diener frug nach Brandauer, und als er hörte, daß dieser zu Hause sei, trat er in die Wohnstube der Schmiede, in welcher Max mit den Eltern saß und diesen Boten erwartet zu haben schien. Derselbe grüßte höflich, und richtete dann seinen Auftrag aus:

"Ich soll melden, daß die Majestät heut inkognito die Oper besuchen werden."

"Gut," antwortete Max. "Wann werden königliche Hoheit gehen?"

"Sie haben das Schloß bereits verlassen."

"Wann werden sie zurückkehren?"

"Spät, da sie noch eine Kahnfahrt zu machen beabsichtigen."

"Danke. Gute Nacht!"

"Gute Nacht!"

Der Diener entfernte sich und Max wandte sich zum Vater:

"Diese Vorsicht ist ganz am rechten Orte. Nicht einmal der Leibdiener braucht zu wissen, daß der König einen ganz anderen Weg vorhat. Du also gehst in den Garten des Herzoges und |169A bewachst den Eingang zu der geheimen Treppe, damit Du mich bei meiner Rückkehr unterrichten kannst. Ich gehe."

Die Meisterin trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.

"Max, sei nicht zu kühn! Du weißt, daß Dir Gefahr droht."

"Ich weiß es, Mutter. Aber gerade weil ich diese Gefahr kenne, ist sie für mich nicht vorhanden. Übrigens gehe ich nicht ohne Waffen und ohne Begleitung."

Er steckte ein Messer und einen Revolver zu sich und trat vor das Haus, wo die Gesellen saßen. Die Lehrjungen waren nicht zugegen.

"Habt Ihr Zeit?" frug er.

Sofort erhoben sich alle Drei.

"Das versteht sich ganz von selper," antwortete Thomas.

"Natürlich!" stimmte Heinrich bei.

"Das ist am Den," nickte auch Baldrian.

"Ihr sollt mich begleiten; aber kein Mensch darf erfahren, wohin wir gegangen sind, und was wir vielleicht zu sehen und zu hören bekommen."

Thomas machte sein bestes militärisches Honneur.

"Zu Pefehl, Herr Doktor!"

"Aber unser Spaziergang ist nicht ganz ungefährlich. Es ist möglich, daß wir in eine Schlägerei kommen."

"Damit pin ich ganz und gar zufrieden. Ich hape so seit langer Zeit nicht mehr gewußt, op ich noch einen guten Hiep zu führen vermag."

"Nehmt Eure Hämmer mit und einige Stricke."

"Zu Pefehl, Herr Doktor!"

In weniger als einer Minute standen sie bereit.

"Unser Weg geht durch die Stadt, hinaus nach der Klosterruine. Wir dürfen uns jetzt nicht zusammen sehen lassen. Darum theilen wir uns. Jeder schlägt einen andern Weg ein und hinter dem ersten Busch vor der Stadt treffen wir uns."

Er ging und die Andern folgten ihm in verschiedenen Intervallen.

Er hatte sich möglichst verhüllt, so daß er nicht erkannt werden konnte, falls er je einem Bekannten begegnete. Dabei vermied er die Hauptstraßen und gelangte nur durch entlegene Seitengassen in das Freie, wo zur Seite der Straße ein kleines Gesträuch die Ufer eines Wassers einfaßte. Darauf schritt er zu. Es war dunkel und er dämpfte seine Schritte bis zur Unhörbarkeit; dennoch aber hatte man sein Kommen bemerkt, denn kaum hatte er den Rand des Busches erreicht, so tönte ihm die leise Frage entgegen:

"Wer da?"

"Brandauer," antwortete er ebenso leise.

"Allein?"

"Es kommen noch die Gesellen."

"Bald?"

"Sie werden jedenfalls in wenigen Augenblicken hier sein."

"Das ist gut; denn wir müssen die Ruine doch eher erreichen als die Andern. Bist Du gehörig bewaffnet, Max?"

"Ja, Majestät. Du auch, Major?"

"Ja," antwortete der Major von Wallroth, welcher den König begleitet hatte.

In diesem Augenblicke vernahm man nahende Schritte. Max frug, den Schritt erkennend:

"Baldrian?"

"Das ist am Den."

"Tritt her."

Gleich darauf kamen auch Thomas und Heinrich, und dann setzten sich die sechs Männer der Ruine zu in Bewegung. Am Fuße des Berges angekommen, schlugen sie nicht den nach der Spitze desselben führenden Fahrweg ein, sondern Max glimmte, den Andern voran, den schmalen Steig empor, den er bereits bei früherer Gelegenheit eingeschlagen hatte. Dies war für den König eine Anstrengung, welche zur Folge hatte, daß sie die Ruine nur höchst langsam erreichten. Dennoch aber befand sich noch Niemand oben, wie sich Max durch eine sehr sorgfältige Rekognition überzeugte.

"Kommt Ihr mit mir!" gebot er, als er von derselben zurückgekehrt war, den Gesellen.

Er führte sie außerhalb der Ruinen hinter eine Mauer, deren eingefallene Theile eine Art von Höhle bildeten, welche sich sehr gut zu einem Verstecke eignete.

"Hier verbergt Ihr Euch und wartet. Passirt nichts, so hole ich Euch ab; brauchen wir aber Eure Hilfe, so ahme ich den Ruf einer Teichunke nach. Wenn Ihr diesen hört, so kommt Ihr schleunigst dahin, von wo Ihr ihn hörtet. Das Übrige wird sich dann finden."

|169B "Zu Pefehl, Herr Doktor!" meinte Thomas, und kroch in das Loch.

Die beiden Andern folgten ihm. Er kehrte zu dem König zurück.

"Wohin wirst Du uns postiren?" frug dieser.

"Zunächst hierher an den Aufgang, wo auch ich bleiben werde. Den Herrn Major aber werde ich so plaziren, daß er beobachten kann, ob sie Alle in den Brunnen steigen."

Dies geschah. Der Major legte sich hinter denselben Mauervorsprung, welcher Max einmal als Versteck gedient hatte, und dieser letztere nahm mit dem Könige zwischen den Sträuchern Platz, neben denen der Fahrweg auf das Plateau des Berges mündete. Sie sprachen kein Wort mit einander, denn der geringste Laut hätte ihre Anwesenheit verrathen können. Aber gerade diese Lautlosigkeit war ganz geeignet, allerlei Gedanken und Gefühlen Audienz zu geben, welche die Herzen der beiden Männer in noch nähere Verbindung brachten, als sie bereits bis zu dieser Stunde stattgefunden hatte.

Da erklangen Schritte. Das war nicht eine, sondern das waren zwei Personen. Sie blieben hart neben den Lauschern stehen.

"Noch Niemand hier," meinte der Kleinere von den Beiden.

"Das ist Penentrier!" flüsterte Max dem Könige zu.

"Weißt Du dies genau, Bruder?"

"Ja; sonst müßte der Posten bereits hier stehen. Er ist der Erste, der einzutreffen hat."

"So sollte er bereits hier sein!"

"Wir kommen zu früh."

"Kann sich nicht zufälliger Weise ein Fremder hier befinden?"

"Glaube das nicht. Wer hat um diese Stunde hier oben etwas zu suchen? Und überdies ist dieser Ort in der ganzen Umgebung verrufen. Bei Tage besucht man ihn seiner Romantik wegen; des Nachts aber wagt es kein Mensch ihn zu betreten, denn es geht die Sage, daß die Seelen der Mönche hier umgehen und Jedem, der ihnen zu nahe kommt, Tod und Verderben bringen."

"Diesen Aberglauben habt Ihr natürlich bedeutend unterstützt?"

"Versteht sich!" lachte der kleine Rentier. Er kommt uns ja ganz außerordentlich zu statten. Übrigens sind wir heut vielleicht zum letzten Male hier."

"Ah! Wie so?"

"Es sind Umstände eingetreten, welche uns zwingen, unser Werk außerordentlich zu beschleunigen."

"Welche Umstände könnten dies sein?"

"Du wirst nachher von ihnen hören. Ich habe sie natürlich der ganzen Versammlung vorzutragen."

"Der Herzog kommt auch?"

"Es war so bestimmt. Aber die erwähnten Umstände machen es ihm unmöglich. Ich werde ihn von unsern Beschlüssen benachrichtigen."

"Noch heute?"

"Sofort wenn wir beschlossen haben."

"In seiner Wohnung?"

"Ja. Es wird nur einer seiner vertrautesten Diener munter sein, so daß mein Kommen völlig unbeachtet bleibt. Doch horch; da kommt wer!"

"Allerdings kam jetzt Jemand langsam und leise den Weg daher.

"Woher?" frug Penentrier mit halblauter Stimme.

"Aus dem Kampfe," ertönte die ebenso gegebene Antwort.

"Wohin?"

"Zum Siege."

"Wodurch?"

"Durch die Lehre Loyola's."

"Der Bruder mag seinen Posten antreten. Wir gehen weiter."

Die beiden Ersten entfernten sich nach dem Brunnen zu, der zuletzt Gekommene aber blieb stehen, um die Wache zu übernehmen. Von Zeit zu Zeit kam ein Neuer dazu, der sich durch die Parole legitimirte und passiren durfte. Max und der König zählten über zwanzig Gestalten, während es damals, als der erstere sie allein beobachtete, nur vierzehn gewesen waren.

Jetzt schien die Reihe geschlossen zu sein; denn der Posten entfernte sich auf einige Schritte und legte sich in das Gras.

"Was werden wir thun?" frug der König flüsternd.

"Bestimmen Ew. Majestät."

"Den Posten überwältigen, so daß er keinen Laut zu geben vermag, und dann die Andern im Brunnen gefangen halten, bis wir Sukkurs haben sie abzuführen."

"Darf ich mir eine andere Meinung gestatten?"

"Sprich, Max!"

"Wäre der Herzog bei ihnen, und hätten wir die Überzeugung, daß sie alle ihre Skripturen mitgebracht haben, so wäre Ew. |170A Majestät Plan ganz vortrefflich, denn wir bekämen sämmtliche Leiter der Bewegung in unsere Hände und hätten jede nothwendige Unterlage, sie ihrer verbrecherischen Pläne vollständig zu überführen. Diese beiden Voraussetzungen sind aber nicht eingetroffen. Wenn wir diese Leute, die wir unmöglich belauschen können, arretiren, wissen wir nicht, ob wir ihnen jemals etwas beweisen können. Es ist sehr wahrscheinlich, daß keiner von ihnen ein Geständniß ablegen wird, und der Herzog als Hauptperson entgeht uns ganz und gar."

"Du hast Recht; doch, was schlägst Du vor?"

"Wir haben gehört, daß dieser Penentrier den Herzog sofort nach Schluß der geheimen Session besuchen wird. Sie dann zu belauschen ist kein Ding der Unmöglichkeit, und dann - - -"

"Dann," fiel der König eifrig ein, "nehme ich sie sofort Beide gefangen!"

"Entschuldigung, Majestät, das wäre gefährlich."

"Wie so?"

"Durch den geheimen Gang können sich höchstens zwei Personen, also nur wir Beide, in die Bibliothek des Herzogs wagen. So stehen also zwei gegen zwei, und wenn wir ihnen auch überlegen wären, so würde doch ein Ruf des Herzogs genügen, uns in seine Hände zu bringen. Er ist nur von treuen Kreaturen umgeben, und wenn wir spurlos verschwinden, wer will ihm beweisen, daß dies gerade bei ihm geschehen ist?"

"Dein Vater, welcher ja in seinem Garten Wache steht und auf unsere Rückkehr warten wird."

"Wenn Ew. Majestät verschwunden sind, fehlt ihm dem Herzog gegenüber alle hierzu nöthige Macht. Und wer weiß, wie weit der Einfluß dieser Menschen schon Platz gegriffen hat, so daß die Bemühungen aller Redlichen nicht allein vergeblich, sondern auch mit großer Gefahr für sie verbunden wären."

"Du siehst sehr schwarz. Sollten die Bemühungen eines Regenten, der nur an das Wohl seines Volkes denkt, so sehr verkannt werden und einen solchen Undank finden?"

"Majestät, ich möchte hier ein schweres Wort sprechen, aber ich darf es nicht."

"Du darfst!"

"Dem Manne, aber nicht der Majestät gegenüber."

"Die Majestät befiehlt Dir, es zu sprechen!"

"Majestät sprechen von einem Regenten. Wer ist und wer war dieser Regent? Ich weiß, diese Frage kann mir und den Meinen das Wohlwollen unseres geliebten Königs entziehen, kann mich verderben, aber ich wage sie dennoch. Warum ist die Schaar der Unzufriedenen in dieser Weise gewachsen? Gälte in Norland der Wille des Königs, so würde das ganze Land seinen Herrscher segnen. Majestät haben in letzter Zeit einen kleinen Blick in die Art und Weise thun dürfen, in welcher der Herzog das ihm geschenkte königliche Vertrauen mißbraucht. Ich bin der Sohn eines Schmiedes, ich liebe die Redlichkeit, die Offenheit, ich bin die ehrliche Kraft gewohnt. Den Hammer in die Hand, weg mit der Schlange, und drauf auf alles Gewürm, welches den besten Willen zu vergiften weiß!"

Er schwieg. Auch der König schwieg. Es war richtig, die Worte des jungen Mannes waren ein ungewöhnliches Wagniß, aber er hatte auf das Herz seines königlichen Freundes gebaut und - sich nicht verrechnet. Nach einigen Minuten fühlte er seine Hand von der des Königs ergriffen.

"Habe Dank!"

Das war Alles, was der Herrscher sagte. Wieder verging eine Weile, dann frug der letztere:

"So wollen wir sie Alle entkommen lassen?"

"Alle, bis auf Einen."

"Penentrier?"

"Nein; der würde uns nichts gestehen; vielmehr würden uns vielleicht alle Fäden verloren gehen, deren wir zur Enthüllung seiner Umtriebe bedürfen."

"Wen dann? Den Posten, welcher jedenfalls bis zuletzt hier am Orte bleiben wird und also ohne Aufsehen aufzuheben ist?"

"Auch nicht. Er darf nicht mit in den Brunnen hinab, und dieser Umstand beweist, daß er noch nicht zu den vollständig Eingeweihten gehört. Nein; ich meine, wir greifen den ersten Besten heraus."

"Der auch nichts gestehen wird. Du selbst hattest ja vorhin die Meinung, daß von Keinem etwas zu erfahren sein würde, falls wir sie Alle gefangen nehmen."

"Falls wir sie Alle gefangen nehmen, aber eben auch nur in diesem einen Falle. Es ist ein Unterschied zwischen einer regelrechten Untersuchung und der plötzlichen geheimnißvollen Aufhebung einer Person, die sich über mehr als Alles im Unklaren befindet und mit den Gedanken flattert wie ein gefangener Vogel, |170B der die durchsichtige Fensterscheibe für die freie Luft ansieht und sich die Schwingen zerschlägt und den Kopf einstößt."

"Diese Meinung hat allerdings etwas für sich, und ich gebe Dir die Erlaubniß, nach ihr Deine Vorkehrungen zu treffen."

"Vorkehrungen sind nicht nöthig. Thomas kennt ebenso wie ich jeden Schrittbreit des Bergpfades. Wenn die Versammlung auseinander geht, bleiben Majestät mit den Übrigen zurück, während ich mit ihm schnell hinunter eile und den auf dem Fahrweg Gehenden zuvorkomme. Das Übrige muß dann der Augenblick ergeben."

Das Gespräch war beendet und es verging eine lange Zeit, ehe sich wieder ein Laut oder eine Bewegung beobachten ließ. Da endlich erhob sich der Posten aus dem Gras und nahm an der Wegmündung Platz. Er hatte jedenfalls das Geräusch der im Brunnen Emporsteigenden gehört. Sie Alle kamen herauf und drängten sich oben noch einmal um den Rentier. Dieser erhob seine Arme wie zum Segen und meinte in salbungsvoller aber halblauter Stimme:

"So gehet denn nach Hause, ein Jeder an den Ort, wo er zu arbeiten hat am Weinberge des Herrn. Die Ernte ist groß; sie bringt uns reichen Segen. Darum nehmt die Sichel zur Hand, sobald der Ruf des Herrn erschallt. Bis dahin behüte er Euern Ausgang und Euern Eingang!"

"Jetzt und in Ewigkeit. Amen!" erklang es rundum als Antwort.

Dann schritten sie einzeln davon, leise und langsam, wie sie gekommen waren. Der Posten schloß den Zug.

Kaum war dieser verschwunden, so erhob sich Max.

Warten Majestät noch eine Viertelstunde, dann kommen Sie mit den Übrigen hier auf dem bequemen Wege nach. Ich werde mit Thomas unten sein."

Er eilte zu den Gesellen.

"Heraus."

Sie kamen aus ihrem Verstecke hervor.

"Thomas, getraust Du Dich, hier schnell mit hinunter zu klettern?"

"Zu Pefehl, wie eine Katze!"

"Dann schnell vorwärts, daß wir ihnen nicht begegnen! Ihr beiden Andern geht in die Ruine, wo man Euch erwartet."

So schnell es die Dunkelheit gestattete glitt er mit Thomas den steilen Pfad hinab, welcher den zweimal rund um den Berg führenden Fahrweg zweimal kreuzte. Sie kamen trotz der Beschwerlichkeit der Passage glücklich und unbemerkt unten an, Thomas keuchte doch ein wenig, als er festen Fuß gefaßt hatte.

"Alle Wetter, ist so ein Perg bei Nacht ein wunderpares Ding. Das geht ja schneller als auf der Eisenbahn. So einen Rutsch hätte meine Parpara Seidenmüller mitmachen sollen. Die wäre dapei ganz außer Rand und Pand gerathen!"

"Das ist möglich," lächelte Max. "Jetzt aber haben wir an andere Dinge als an die Barbara zu denken. Wir müssen Einen gefangen nehmen."

"Zu Pefehl!"

"Es werden mehrere Männer hier am Berge herab vorüberkommen. Ich bleibe hier hüben, und Du legst Dich drüben auf die Lauer. Sie kommen nicht zusammen, sondern in Zwischenräumen. Ich werde mir einen aussuchen und ihn von hinten an der Gurgel packen. Siehst Du dies, so springst Du sofort zu und hältst ihm die Arme und Beine so, daß er sich nicht bewegen kann, während die Übrigen vorbeikommen."

"Alle Wetter, Herr Doktor, das gipt doch endlich einmal ein Apenteuer. Ich werde den Purschen so fest bei der Parabel nehmen, daß er sich nicht im mindesten pewegen kann."

Sie verbargen sich hinter die Büsche, der Eine rechts und der Andere links von dem Wege. Bald kam allen voran der kleine Rentier, dreißig bis vierzig Schritte wieder ein anderer, dann ein Dritter. So passirten elf. Maxens Augen hatten sich nun so an die Dunkelheit gewöhnt, daß er Alles deutlich unterscheiden konnte. Der Zwölfte nahte; der Elfte war eben auf der Straße verschwunden, und der Dreizehnte wurde noch von einer Krümmung des Weges verborgen. Max erhob sich leise und ließ den Mann vorüber. Dann aber stand er mit einem raschen Schritte hinter ihm und legte ihm die Hände so um die Gurgel, daß der Überraschte keinen Laut von sich zu geben vermochte.

"Thomas!" flüsterte er.

"Pin schon da. Hape ihn pereits pei den Peinen!"

"Rasch hinein in die Büsche."

"Pin schon drin!"

Sie hatten den Mann, der sich unter den eisernen Griffen des Schmiedegesellen nicht zu rühren vermochte, hinter den Sträuchern, |171A noch ehe der Nächstfolgende in Sicht oder Hörweite gekommen war. Hier hielten sie ihn fest, bis Alle vorüber waren.

"Hast Du die Stricke?" frug jetzt Max.

"Ja; zu Pefehl!"

"So binde ihm die Hände auf den Rücken."

"Aper da muß ich ihn fahren lassen; er kann sich pewegen und wird am Ende gar versuchen, uns davon zu laufen."

"Das wird er bleiben lassen, denn bei der geringsten Bewegung, welche auf einen solchen Versuch schließen läßt, steche ich ihn nieder."

"Na, dann heraus mit der Pandage!"

Max hielt den Mann mit der Linken fest und zog mit der Rechten das Messer. Der Gefangene hatte natürlich jedes Wort vernommen und ergab sich wohlweislich und ohne allen Widerstand in sein Schicksal. Jetzt nun, nachdem er gebunden war, konnte Max ihm in das Gesicht sehen, dessen Züge er trotz der Dunkelheit erkannte.

"Ah, ists möglich! Hochwürden! Wie kommt das Lamm unter die Wölfe, der protestantische Oberhofprediger unter die Jesuiten?"

Der Entlarvte gab keine Antwort, aber der tiefe Zug seines Athems verrieth die Erregung, welche er mit aller Gewalt zu unterdrücken versuchte.

"Schweigen Sie immerhin! Sie werden schon wieder sprechen lernen!"

Nach zehn Minuten kam der König mit dem Major und den beiden Gesellen. Er erkannte Max, welcher hervortrat.

"Hast Du Einen?"

"Ja."

"Kennst Du ihn?"

"Allerdings. Hier ist er. Sehen Majestät ihn selbst an."

Als der Gefangene aus diesen Worten hörte, wen er vor sich hatte, machte er einen plötzlichen Versuch, von Thomas loszukommen, dieser aber hatte ihn so fest, daß es ihm nicht gelang.

"Halt, Pursche! Das Davonlaufen will ich mir verpitten."

Der König trat näher und erkannte ihn.

"Hochwürden! Das ist ja - eine ganz unbeschreibliche Überraschung! Mein Beichtvater unter den Hochverräthern!"

Jetzt brach der Hofprediger sein Schweigen.

"Majestät, ich bin unschuldig. Die Verhältnisse sind scheinbar gegen mich, aber ich vermag mich zu rechtfertigen."

"So thun Sie es sofort!"

"Ich gehöre nicht zu den Hochverräthern."

"Beweisen Sie es!"

"Es wurden mir von ihrer Seite verschiedene Anträge gemacht, welche mit außerordentlich lockenden Versprechungen verbunden waren, und ich ging nur zum Scheine darauf ein, um ihre Absichten kennen zu lernen und Ihnen dann Alles mitzutheilen."

"Das klingt sehr vortheilhaft. Seid wann sind Sie Mitglied dieser sauberen Verbindung?"

"Seit vielleicht einem Monate."

"Und haben Sie ihre Absichten bereits kennen gelernt?"

"Noch nicht. Es gibt verschiedene Grade, und ich gehöre leider noch nicht zu den Wissenden."

"Ah, ich errathe! Sie wollen mir entkommen, ohne Auskunft geben zu müssen, dies aber wird Ihnen nicht gelingen. Auch einmal abgesehen davon, daß Ihre Betheiligung an den Intriguen dieser Menschen nicht mit der Würde Ihres Amtes zu vereinbaren ist, selbst wenn sie in der wohlgemeinten Absicht geschah von welcher Sie reden, habe ich die feste Überzeugung, daß Sie länger als einen Monat Mitglied sind und zu den Wissenden gehören. Nur einem solchen wird Zutritt zu Verhandlungen gewährt, wie sie heut da oben im Brunnen geführt worden sind. Bedenken Sie: noch weiß kein Mensch etwas von Ihrer jetzigen Lage, und nur ein offenes Geständniß kann Sie retten."

"Ich vermag es mit tausend Eiden zu beschwören, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Ich kann nichts verrathen oder mittheilen, weil ich noch nichts weiß."

"Lüge!" meinte Max. "Sie genießen das vollständige Vertrauen dieses Pater Valerius. Ich kenne seine eiserne Disziplin, welche selbst vor Mordthaten nicht zurückschreckt. Er hat jedes Mitglied unter der strengsten geheimen Kontrole, und wären Sie seiner Sache nicht aufrichtig ergeben, so lägen Sie wohl längst da oben in der Schlucht, welche seine Richtstätte bildet. Majestät, wir haben nicht länger Zeit hier nutzlos zu verhandeln. Was befehlen Sie über den Gefangenen?"

Der König wandte sich an Wallroth:

"Übernehmen Sie ihn, Her Major. Diese drei wackern Männer werden Sie unterstützen und dafür sorgen, daß er nicht entkommt. Sie führen ihn nach seiner Wohnung, aber in einer |171B Weise, welche nicht auffällt. Seine Verbündeten dürfen nicht ahnen, was mit ihm vorgegangen ist. Dort bewachen Sie ihn, bis ich weitere Verfügungen treffe. Er gilt als krank und darf das Lager nicht verlassen. Sie haben ihn unterwegs getroffen und nach Hause begleitet und werden dafür sorgen, daß er mit Niemand hinter Ihrem Rücken zu verhandeln vermag und daß alle seine Papiere bis auf weiteres unangetastet bleiben."

"Zu Befehl, Majestät! Vorwärts, mein Herr! Sie haben Alles vernommen. Widerstreben Sie diesen Verfügungen nur im Geringsten, so werde ich Sie tödten!"

Er schob seine Hand unter den Arm des Gefesselten und schritt mit ihm in einer Haltung davon, welche Beide als Spaziergänger erscheinen ließ. Die drei Gesellen folgten.

"Ein wunderschönes Apenteuer, nicht wahr, Paldrian?" flüsterte Thomas.

"Das ist am Den!" antwortete dieser leise zurück.

"Der Oberhofprediger!" meinte Heinrich. "Und gefangen! Was muß nur da oben vorgegangen sein? Es ist eigentlich niederträchtig, daß wir in dem Loche stecken mußten und gar nichts gesehen haben."

|172A "Halte den Schnapel, Artillerie! Daß wir in dem Loche staken, war Subordnung, verstanden! Und was da open passirt ist, das prauchen wir nicht zu wissen, sonst hätte der Herr Doktor dafür gesorgt, daß wir es auch mit peopachten konnten. Und jetzt hapen wir weiter nichts zu thun als aufzupassen, daß dieser Schlingel dem Herrn Major nicht durchprennt. Aper sopald wir in die Stadt kommen, nehmen wir etwas weitere Distanz, denn wer uns pegegnet, praucht nicht zu wissen, daß dieser hochwürdige Malefizius unser Gefangener ist."

Unterdessen schritt der König mit Max nach dem Flusse zu. Beide sprachen kein Wort. Der Umstand, den Hofprediger unter den Verschwörern zu finden, gab ihnen mehr zu empfinden als zu sprechen. Am Ufer lagen mehrere Boote frei. Sie lösten eines derselben und stiegen ein. Max ruderte, und der König führte das Steuer, indem er auf das gegenüberliegende Ufer zu hielt. Dort angekommen, stiegen sie aus und schritten nach dem Garten des Herzogs. Sie kamen am hintern Theil desselben leicht über die Mauer und schlichen sich vorwärts nach der Stelle, an welcher Max den Vater vermuthete.

Als sie sich der Treppe näherten raschelte es leise hinter den Orangeriebäumen, welche zu beiden Seiten auf den Stufen standen.

"Vater!"

"Max!"

Der Schmied trat hervor. Er erkannte den König und grüßte ihn ehrerbietig.

"Ist Jemand passirt, Vater?"

"Nein."

"Auch Niemand im Garten gewesen?"

"Nein; aber vor einiger Zeit ging ein Mann vorüber, der aus einem Boot stieg und in den Palast getreten zu sein scheint."

"Welche Gestalt hatte er?"

"Er war klein."

"Es ist Penentrier. Majestät, wir müssen uns sputen!"

"Also vorwärts! Brandauer, Du bleibst hier. Sind wir in einer Stunde noch nicht zurück, oder haben wir bis dahin nichts von uns hören lassen, so eilst Du nach der Wache und bringst dem Offizier meinen Befehl, ohne Verzug und womöglich ohne Aufsehen den herzoglichen Palast zu nehmen. Hier ist mein Ring zu Deiner |172B Legitimation. Durch diesen Gang hier sind wir jedenfalls am sichersten zu finden, wenn uns etwas geschehen sollte."

Max hatte bereits das Fenster ausgehoben und stieg ein; der König folgte ihm. Nachdem das Fenster wieder eingesetzt worden war, nahm der erstere den letzteren bei der Hand und führte ihn behutsam vorwärts. Sie erreichten die verborgene Thür. Max lauschte eine Weile, und als er sich überzeugt hatte, daß hinter derselben nicht gesprochen wurde, öffnete er sie vorsichtig.

Das Bibliothekzimmer war dunkel, doch drang durch die Fenster ein Schein, welcher genügend war, die größeren Gegenstände zu erkennen. Aus dem Arbeitszimmer klangen zwei Stimmen herüber.

"Er ist noch da," flüsterte Max. "Sollte einer von ihnen hier eintreten, so ist unser Versteck dort unter der Tafel, deren Decke uns verbirgt."

Sie schlichen bis an die Portière und zogen sie ganz behutsam ein wenig auseinander. Der Herzog saß auf dem Sopha und Penentrier ihm gegenüber auf einem Stuhle. Die beiden Lauscher vermochten jedes ihrer Worte zu hören.

"Abbé, Sie sind wahrhaftig allwissend!" meinte eben der Herzog.

Das Gesicht des Rentier legte sich in eine höchst selbstgefällige Miene.

"Nicht ganz, denn allwissend ist nur Gott, Excellenz; aber was mir nothwendig ist zu erfahren, das pflegt mir niemals unbekannt zu bleiben. Doch ich bin mit meinen Mittheilungen noch nicht zu Ende. Sie haben Briefe von Ihren beiden süderländischen Agenten bekommen?"

"Sie meinen den früheren Direktor und Oberarzt unserer Irrenanstalt?"

"Ja."

"Sie haben mir bereits öfters geschrieben."

"Vortheilhaft?"

"Sehr."

"Sie wissen, wo sich die Beiden befinden?"

"Natürlich, in der Hauptstadt."

"Oder nicht, Durchlaucht. Die Briefe, welche Sie erhielten, sind unächt, und alle Ihre Zuschriften sind in falsche Hände gekommen."

"Nicht möglich!" rief der Herzog aufspringend. "Wie so?"

|173A "Die beiden Ärzte sind gar nicht nach Süderland gekommen. Man hat sie unterwegs aufgegriffen und hält sie irgendwo gefangen. Jedenfalls hat man sich auch ihrer Papiere bemächtigt."

"Bei allen Teufeln, das wäre ja verdammt!"

"Es ist so. Man hat die Klugheit gehabt, auf unsere Taktik einzugehen, und zwei Beamte nach Süderland geschickt, welche dort für die beiden Ärzte gelten und mit Ihnen in der Weise in Verbindung stehen, daß sie von allen hin oder hergehenden Schriftstücken eine Abschrift nehmen und sie dem Könige einschicken."

"Können Sie dies beweisen?"

"Ja. Hier ist der darauf bezügliche Brief meines Agenten. Er muß aus irgend einem Umstande Verdacht gezogen und die Beiden dann genau beobachtet haben. Er ist ein guter Zeichner und legt ihre Bilder bei."

Der Herzog nahm den Brief und las ihn. Sein Gesicht wurde blaß.

"Ich muß es glauben!" knirschte er dann. "Wissen Sie, wo man die beiden Ärzte untergebracht hat?"

"Nein. Ich habe keine Nachforschungen anstellen können, weil ich diesen Brief erst heut erhielt."

"Hier vermag der Fuhrmann Auskunft zu ertheilen."

"Beyer? Bei ihm bin ich allerdings bereits gewesen. Er behauptet, sie richtig über die Grenze gebracht zu haben."

"Werde ihn strenger in das Verhör nehmen! Es ist allerdings ein Glück, daß ich nur Nebensächliches durch die Hände der falschen Agenten gehen ließ, und daß alles mit unserer Chifferschrift geschrieben war, zu welcher der Schlüssel unmöglich zu finden ist."

"So haben unsere schlauen Gegner also höchstens in Erfahrung gebracht, daß Sie in geheimen Verhandlungen mit dem süderländischen Hofe stehen. Wie weit sind Sie mit der Prinzessin Asta?"

Das Gesicht des Herzogs verfinsterte sich mehr.

"Nicht weiter als zuvor. Der Prinz ist abgereist, und die Prinzessin noch zurückzuhalten hat mich sehr viele Mühe gekostet. Sie scheint mehr zum Könige als zu mir zu inkliniren."

"Und Ihr Sohn?"

"Gibt sich alle Mühe, aber ohne Erfolg."

"Weiß sie von den geheimen Stipulationen?"

"Nein."

"Ist ihr freie Entscheidung gelassen?"

"Sie wird auf alle Fälle die Frau meines Sohnes, obgleich sie bisher nur ahnt, weshalb sie nach Norland dirigirt wurde. Übrigens hat sie nur noch auf drei Tage zugesagt."

"Mir lieb."

"Inwiefern?"

"Aus zwei Gründen. Erstens sind meine Vorbereitungen alle vollständig getroffen, und zweitens schließe ich aus mehreren Anzeichen, daß wir nicht mehr sicher sind. Irgend ein unbekanntes aber scharfes Auge bemüht sich, uns in die Karte zu sehen. Ich bin schon heut bereit, meine Minen spielen zu lassen. In der Bibliothek des Hofpredigers, wo man so etwas am wenigsten sucht, liegen die nöthigen Proklamationen und Flugblätter in vielen tausend Exemplaren; die ganze zivile Bevölkerung ist gewonnen, und ich hoffe, daß Sie sich auf die Armee ebenso verlassen können."

"Das kann ich. Die Garnisonen stehen scheinbar auf dem Friedensfuße; es bedarf aber nur meines telegraphischen Befehles, sie unter die Waffen und an meine Seite zu bringen. Diejenigen höheren Chargen, deren ich nicht sicher bin, werden im Nu arretirt und die unteren rücken vor. Dieses Avancement ist das beste Mittel, mir das Offizierskorps dienstbar zu machen. Meine Räthe arbeiten bereits seit Wochen angestrengt an der Organisation der Erhebung, und ich kann sagen, daß jedes Rädchen seine Pflicht thun wird, wenn ich den Schlüssel an die Uhr setze."

"Und die Marine?"

"Die Admiralität ist mir ergeben. Übrigens habe ich dafür Sorge getragen, daß die norländische Flotte im geeigneten Augenblick abwesend ist, das heißt, zerstreut in alle Meere. Die süderländischen Schiffe werden unsere Häfen nehmen, ohne den geringsten Widerstand zu finden."

"Unter dem Kommando von Nurwan-Pascha?"

"Ja. Die Süderländer konzentriren sich bereits heimlich hinter dem Gebirge. Wenn ich das Zeichen gebe, sind binnen drei Tagen achtzigtausend Feinde im Lande, denen ich mich mit unseren Truppen anschließe. Meine beiden gefährlichsten Feinde, der alte Sternburg zu Lande und der junge Sternburg zu Wasser, werden unschädlich gemacht. Der alte Fürst ist bei seinem Sohne in Tremona eingetroffen. Sie werden Beide auf einige Zeit verschwinden."

"Und wann werden Sie das Zeichen geben? Ich kann die Meinen wahrhaftig nicht mehr halten."

"Sofort nach der Abreise der Prinzessin."

|173B "Also nach drei Tagen?"

"Ungefähr."

"Den König lassen Sie leben?"

"Kann ich selbst ihn tödten? Ein abgesetzter Monarch ist gefährlich, so lange er lebt."

"Er könnte unter den Händen des aufgeregten Volkes fallen."

"Möglich."

"Diese Hände müßten dirigirt werden."

"Dürfte schwer sein!"

"Kommt auf die richtige Arbeit an; Arbeit aber bedarf stets des Lohnes."

"Sie kennen mich!"

"Gut! Durchlaucht werden sofort Gelegenheit haben, sich alle Hände, welche mir zur Verfügung stehen, zu verpflichten. Hier sind die Kontrakte, welche von mir zur Unterschrift bestellt wurden."

"Geben Sie her!"

Der Herzog nahm ein Papier nach dem andern, las es genau durch und versah es dann mit seiner Unterschrift. Dann zog er aus einem Etui ein schimmerndes und jedenfalls neues Petschaft und drückte mit demselben sein Siegel bei.

"So," meinte Penentrier lächelnd und mit einer tiefen Verneigung. "Bereits unterzeichnet und besiegelt von dem neuen Könige. Jetzt befehlen Sie, und ich lasse alle Federn springen!"

"Majestät," flüsterte Max. "Jetzt ist es Zeit zur Entfernung."

"Zurück also; ich weiß genug!" lautete die Antwort.

Sie traten ihren Rückzug an und gelangten in den Garten, wo Max das Fenster wieder einsetzte. Brandauer war sicher sehr besorgt gewesen und freute sich, die Beiden ohne Störung wiederzusehen.

"Schnell in den Kahn, ehe der Rentier kommt!" befahl der König.

Sie stiegen über die Mauer und dann in das Boot. Max setzte sich an das Steuer, und sein Vater nahm die Ruder.

"Wohin, Majestät?" frug der erstere.

"Nach der Wohnung Penentriers."

Max antwortete nicht. Nun die Sache der Verschworenen so weit gediehen war, hätte auch er nichts Anderes gethan, als sich der Person dieses Menschen und seiner Papiere zu bemächtigen.

Das Boot flog über den Fluß hinüber, und bald gelangten die Drei vor den Gasthof der guten Frau Barbara Seidenmüller. Es war noch nicht geschlossen. Max trat allein in die Gaststube. Es waren noch mehrere Tische besetzt, und in der vordersten Ecke saßen - die drei Gesellen, welche sich bei seiner Ankunft respektvoll erhoben.

"Wie ist es gegangen?" frug er.

"Zu Pefehl, Herr Doktor, gut!" antwortete Thomas.

"Laßt Euch Wein und Cigarren auf meine Rechnung geben!"

"Danke pestens, und zwar ganz pesonders für die Cigarren. Unsere Parpara hat ausgezeichnete Ampalema."

"Wo ist sie?"

"Dort kommt sie soepen aus der Küche."

Max nahm die Wirthin bei Seite.

"Herr Aloys Penentrier wohnt noch bei Ihnen?"

"Ja."

"Nimmt er seinen Schlüssel mit, wenn er ausgeht?"

"Ja."

"So können Sie nicht in seine Stube?"

"Ich habe einen Hauptschlüssel, bringe ihn aber nicht in Anwendung."

"Holen Sie ihn!"

"Sie wollen - - -"

"Fragen Sie nicht. Wir haben keine Zeit!"

Er ging mit ihr durch die Küche, in welcher sich der Schlüssel befand, nach der erleuchteten Hausflur.

"Ah, schönen guten Abend, Herr Brandauer," grüßte sie, als sie den Schmied erblickte. "Und auch Sie, mein - - - Herr, mein gütiger Heiland, ist es denn wahr? Das ist ja, das sind ja, das - - -"

"Still, Frau Seidenmüller!" unterbrach sie der von ihr erkannte König. "Schließen Sie schnell auf."

Sie eilte die Treppe empor und öffnete das Zimmer.

"Aber ich muß erst Licht - -"

"Brauchen wir nicht. Es darf kein Mensch erfahren, wer heut hier gewesen ist; verstehen Sie?"

"Sehr wohl, Majestät!"

"Penentrier wird gleich kommen. Sie erwarten ihn in der Hausflur und sagen ihm, daß einige Herren da sind, welche in der heutigen Angelegenheit mit ihm nothwendig zu sprechen haben. Jetzt gehen Sie!"

|174A Die Wirthin folgte diesem Befehle. Sie hatte kaum die Treppe hinter sich, so kam bereits der kleine Rentier.

"Guten Abend. Hat vielleicht Jemand nach mir gefragt?"

"Drei Herren."

"Wer war es?"

"Ich mußte sie in Ihre Wohnung bringen."

"Ah, ich hatte doch verschlossen!"

"Sie wünschten es, denn sie mochten gern vermeiden wollen unten einzutreten. Sie wollen in der heutigen Angelegenheit mit Ihnen reden."

"In welcher? Sagten sie ausdrücklich, in der heutigen?"

"Ja."

"Dann sind sie willkommen! Sie sind noch oben?"

"Ja. Ich habe sie soeben erst hinaufgebracht."

"Aber die Fenster sind unerleuchtet."

"Sie verbaten sich das Licht."

Jetzt dachte der Rentier ganz sicher, daß er es mit Verbündeten zu thun habe. Er stieg die Treppe empor und trat in das dunkle Zimmer.

"Guten Abend!"

"Guten Abend!" erscholl die dreifache Antwort.

"Woher?"

Er wollte sich also doch vergewissern, ob er es wirklich mit Freunden zu thun habe.

"Aus dem Kampfe," antwortete Max.

"Wohin?"

"Zum Siege."

"Wodurch?"

"Durch die Lehre Loyola's."

"So seid mir willkommen, Brüder in dem Herrn, und erlaubt, daß ich Licht anbrenne."

Während er sich noch mit der Lampe beschäftigte, huschte Max nach dem Eingange, den er besetzte, während sein Vater sich an die Thür stellte, welche zum Nebenzimmer führte. Der König blieb ruhig sitzen.

Penentrier hatte jetzt das Licht entzündet. Der Schein desselben fiel gerade und voll auf das Gesicht des Königs.

"Nun, meine Brüder, was führt - - -"

Er blieb, mehr als überrascht, ja, beinahe entsetzt, mitten in der Rede stecken, denn er hatte den Dasitzenden sofort erkannt. Ein Blick auf die beiden Anderen und ihre Stellungen belehrte ihn, daß die drei Männer nicht in freundlicher Absicht zu ihm gekommen seien.

"Sie erschrecken?" frug der König gelassen. "Worüber?"

Der Gefragte hatte sich schnell wieder gefaßt.

"Majestät, es ist nur der ausgezeichnete Rang meines Besuches, welcher mich überrascht."

"Was war das für eine Formel, mit welcher Sie uns grüßten?"

Er wußte die Verlegenheit, in welche ihn diese Frage bringen mußte, vortrefflich zu verbergen.

"Derjenige, welcher sie mir beantwortete, vermag jedenfalls bessere Auskunft zu ertheilen als ich, Majestät."

"Diese Formel hat große Ähnlichkeit mit einer Parole."

"Ich gebe es zu."

"Und zwar mit einer Parole unter Jesuiten."

"Allerdings."

"Wo hörten Sie dieselbe?"

"Im Leseklubb, wo sie die Pointe eines Romans bildete, welcher vorgelesen wurde. Seitdem war es unter einigen Freunden spaßhafter Usus, uns mit dieser Formel zu begrüßen."

"Befand sich in diesem Freundeskreise nicht auch ein gewisser Pater Valerius?"

"Ich kenne diesen Namen nicht."

"Diese Unkenntniß ist wohl auch nur spaßhafter Usus, da wohl ein jeder Mensch seinen eigenen Namen kennt!"

"Verzeihen Majestät, daß ich diese Worte nicht verstehe!"

"Pah! Lassen wir diese Kinderei; sie ist hier am unrechten Platze! Sie heißen?"

"Aloys Penentrier."

"Ein französischer Name. Sie sind?"

"Rentier."

"Sie können sich als solcher legitimiren?"

"Vollständig. Darf ich Majestät die betreffenden Dokumente präsentiren?"

"Ist nicht nöthig. Sie sind gefälscht, und wir werden ja erfahren, von wem dies geschehen ist. Ihr wahrer Name ist der vorhin genannte, nämlich Pater Valerius. Sie sind Jesuit. Wissen |174B Sie nicht, daß es Männern von Ihrer Kongregation bei Strafe des Stäupens verboten ist, Norland zu betreten?"

"Majestät, so wahr - -"

"Schurke, schwören Sie nicht! Ich werde Sie sofort überführen. Greifen Sie in Ihre Brusttasche, und händigen Sie mir die Dokumente aus, welche der Herzog von Raumburg soeben unterzeichnet hat, unterzeichnet bereits als "neuer König", wie Sie selbst zu sagen sich erkühnten!"

Der Abbé wurde leichenblaß.

"Majestät, ich bin nicht im Besitz von Dokumenten, welche -"

"Still! Heraus damit, oder ich lasse Sie fesseln!"

Jetzt langte Penentrier in die Brusttasche. Die Blässe wurde womöglich noch tiefer, aber seine dunklen Augen leuchteten. Er hatte den Rücken nach der Thür gewendet und merkte nicht, daß Max hart hinter ihn getreten war.

"Gut, heraus damit, und Alles gleich zu Ende! Es lebe die Gesellschaft Jesu; nieder mit den Unterdrückern!"

Statt der Dokumente brachte er einen Revolver hervor und streckte den Arm zum Schusse aus. Ein Schlag von Maxens Faust aber ließ den Arm sinken, und der Revolver fiel zu Boden. Der König blieb ruhig sitzen, aber Brandauer trat auch herbei, und in Zeit von einer Minute war der Jesuit so gefesselt, daß er nicht die geringste Bewegung ermöglichen konnte.

"Die Papiere!" befahl der König.

Max brachte sie hervor und überreichte sie ihm. Der König las sie durch.

"Ah, Königsmord, Revolution, Landesverrath und Thronschacher für die Erlaubniß, die Brut der Jesuiten aufzunehmen! Laßt den Menschen liegen und untersucht seine Effekten!"

Bei einer oberflächlichen Untersuchung wäre sicher nichts zu finden gewesen, aber Brandauer verstand sich als Schmied auf die Konstruktion geheimer Fächer. Die Möbels, welche der Wirthin gehörten, waren allerdings mit keinem dergleichen versehen, aber der Reisekoffer des Rentiers hatte einen Doppelboden, zwischen welchem ein ganzer Stoß von Papieren lag, die mit Chifferschrift beschrieben waren.

Der Gefangene war der Untersuchung mit ruhigem Auge gefolgt, ohne ein Wort zu reden. Jetzt aber lachte er höhnisch:

"Das sind die Akten einer ganzen Verschwörung, Majestät. Versucht es, sie zu lesen!"

Max warf einen Blick auf eines der Blätter.

"Wird man vermögen dies zu dechiffriren?" frug der König.

"Ich lese es."

"Wirklich?"

"Wirklich!"

"Pah!" lachte Penentrier. "Der Schmiedebursche mag sich die Zähne ausbeißen!"

Max drehte sich nach ihm um.

"Deine Frechheit, Schurke, kommt Deiner Bosheit und Gewissenlosigkeit vollständig gleich, aber ich muß Dir sagen, daß ich diese Schrift bereits kenne und ihren Schlüssel in der Tasche habe. Erinnerst Du Dich jenes Engländers, welcher einst in einem Coupee mit Dir fuhr, während Du auf allen Stationen einen Bericht entgegennahmst? Einen dieser Berichte eskamotirte er und ich habe ihn dechiffrirt. Hier ist er noch. Er beginnt: "Helmberg, den zweiten Juli. Lieber Bruder in Jesu," und schließt: "Bis dahin, verehrter Bruder, sei im Herrn gegrüßt von Deinem eifrigen und getreuen H. de M., J. de la Robe."

"Schuft!" knirschte der Jesuit.

"Der Herzog rühmte Deine Allwissenheit; wir wissen nicht weniger als Du. Ich selbst bin es, der den beiden Ärzten ihre Depeschen abnahm; ich bin in Eurem Brunnen gewesen, ich habe Euch heut Abend belauscht; ich weiß Alles, was in dem geheimen Kabinete des Herzogs gesprochen wird, ja, ich weiß sogar, daß Du die Ermordung Sr. Majestät auf Dich genommen hast, daß die beiden Sternburgs verschwinden werden und daß jedes Rädchen seine Schuldigkeit thun wird, wenn der Herzog den Schlüssel an die Uhr setzt, ich bin das verborgene Auge, von dem Du vorhin mit Raumburg sprachst. Deine Schriftzeichen verrathen nicht viel Scharfsinn. Soll ich diese Dokumente vorlesen, Majestät?"

"Nein. Ich habe viel zu thun. Du aber bleibst hier und vertrittst den Gefangenen gegen jeden Besuch, welcher vorsprechen sollte. Auf diese Weise werden wir noch Manches kennen lernen, was uns fremd geblieben ist. Dabei hast Du Zeit, diese Schreiben in ordentlicher Schrift zu Papiere zu bringen. Du aber, Brandauer, besorgst einen geschlossenen Wagen, den Du selbst fährst. Du ladest den Abbé heimlich auf und bringst ihn auf die Straße nach der Irrenanstalt, bei welcher Du Punkt Mittag einzutreffen hast. Du fragst nach mir. Ich werde dort sein. Es versteht sich |175A ganz von selbst, daß von allem Geschehenen kein Mensch etwas wissen darf. Gute Nacht!"

Er ging. Auch Brandauer entfernte sich, und Max blieb bei seinem Gefangenen allein zurück. Er steckte ihm einen Knebel in den Mund und zog ihn in eine Ecke, wo er ihn stets vor Augen haben konnte. Dann machte er sich an das Dechiffriren der in dem Koffer aufgefundenen Papiere. -

Am andern Morgen betrat ein königlicher Lakai das herzogliche Palais und überbrachte dem Herzoge ein eigenhändig geschriebenes Billet des Königs, in welchem der erstere von dem letzteren in den freundlichsten Ausdrücken zu einer Spazierfahrt eingeladen wurde.

"Sagen Sie Majestät, daß ich sofort erscheinen werde."

Er kleidete sich in große Uniform, ließ sich über den Fluß rudern und begab sich nach dem Schlosse, wo er bereits auf der Treppe von dem Könige empfangen wurde, dessen Mienen nichts als Wohlwollen verriethen.

"Guten Morgen, Durchlaucht! Störte ich Sie in wichtigen Geschäften?"

"Ich bin zu jeder Zeit zur Verfügung, Majestät!"

"Der Morgen ist schön, ich fühlte mich etwas angegriffen, und daher entschloß ich mich zu einem kleinen Ausfluge. Wollen Sie sich anschließen?"

"Die Erlaubniß dazu ist mir eine werthvolle Auszeichnung."

"Frühstückten Sie schon?"

"Ja."

"So können wir sofort fahren. Kommen Sie!"

Er nahm ihn beim Arme und schritt mit ihm nach dem Schloßhofe, wo bereits sechs Rappen vor der glänzenden Equipage ungeduldig mit den Hufen scharrten. Sie stiegen ein.

"Vorwärts!"

Der Kutscher erhob nur die Hand; die Pferde zogen an; der Wagen rollte im Schritte durch die Stadt und dann wie im Fluge die Landstraße dahin. Die beiden Männer verhielten sich längere Zeit schweigend; in dem Innern des Herzogs machte sich nach und nach ein gewisses Bedenken geltend. Diese Straße führte nach der Irrenanstalt, in welcher jene unliebsame Episode gespielt hatte, welche zwischen ihm und dem Könige noch nicht erledigt war. Sollte diese Erledigung heut vorgenommen werden? Er mußte sich Gewißheit verschaffen und brach darum das Schweigen:

"Darf ich fragen, Majestät, wie weit Sie die Spazierfahrt auszudehnen gedenken?"

"So weit, bis die Rappen ermüdet sind. Sie haben sehr lange im Stalle gestanden und sollen sich einmal ausgehen. Oder wünschen Sie bald umzukehren?"

"Ich habe noch am Vormittage wichtige Konferenzen."

"Die müssen Sie verschieben, Durchlaucht; denn auch ich habe Einiges auf dem Herzen, was gewiß von nicht geringerer Wichtigkeit ist. Ich bedarf Ihres Rathes."

"Meine schwachen Kräfte sind zur Disposition, Majestät."

"Sie kennen mein unbegrenztes Vertrauen zu Ihnen; es ist die Veranlassung, daß ich nicht überall selbst Einblick nahm und daher in einigen Punkten weniger au fait bin als Sie. Gerade jetzt wieder bietet sich Gelegenheit, Sie um Ihren Unterricht zu ersuchen. Wie ist unser Verhältniß zu Süderland?"

"Es ist ein in jeder Beziehung freundschaftliches."

"In Wirklichkeit?"

"In Wirklichkeit!"

"Aber man hört doch von heimlichen Truppenzusammenziehungen, welche an der Grenze stattfinden sollen?"

|175B "Manöverübungen, Majestät."

"Ah, so! Sind Sie unterrichtet über die Intention, welche Nurwan-Pascha nach Süderland geführt hat?"

"Gesundheitsrücksichten."

"Man sagt, daß er eine Marinecharge übernehmen soll?"

"Der? Ein Türke, ein Muselmann?"

"Er soll ein Christ sein."

"Der Sultan gibt seinen Kapudan-Pascha nicht her."

"Und wenn er dies doch und dennoch thut?"

"Unmöglich! Aber ich werde mich sofort erkundigen."

"Prinzeß Asta sagte mir, daß sie binnen drei Tagen Norland verlassen will."

"Leider!"

"Diese ebenso geistreiche wie gemüthvolle junge Dame ist mir lieb geworden; ich werde mich ein wenig einsam fühlen und den Fürsten von Sternburg zurückrufen. Ich bemerke, daß ich mich zu sehr zurückgezogen habe, und bedarf der Gesellschaft. Wie lange hat sein Sohn, der Kapitän, Urlaub?"

"Auf unbestimmt."

"Auch ihn wünsche ich zu sehen. Rufen Sie ihn telegraphisch zurück!"

Die Miene des Herzogs blieb glatt, aber sein Inneres war nicht so ruhig. Was sollte diese eigenthümliche Unterhaltung? Warum sprach der König nur von Dingen, welche unter den gegenwärtigen Umständen am liebsten unerwähnt blieben?

Wieder trat ein längeres Schweigen ein, bis sie einen verdeckten Wagen passirten, auf dessen Bock der Hofschmied saß.

"Kennen Sie diesen Mann, Durchlaucht?" frug der König.

"Natürlich! Der Schmied Brandauer."

"Ein sehr braver und treuer Charakter! Es gibt nicht viel von dieser Sorte. Sein Sohn ist von gleichem Schrot und Korn; ich habe ihn unter meine ganz besondere Protektion genommen und bin überzeugt, daß er Karriere machen wird."

Das war wieder ein scharfer Stoß für den Herzog. Er fühlte ihn sehr wohl, aber er mußte schweigen. Nach einiger Zeit sah man über dem Städtchen die Dächer, Thürme und Zinnen der Anstalt erscheinen.

"Ist Ihnen hier ein Lohnfuhrmann Namens Beyer bekannt, Durchlaucht?" frug der schonungslose König.

"Nein," klang es schroff und beinahe heiser. "Ich bin überhaupt nie in der Lage gewesen, mich eines Miethfuhrwerkes bedienen zu müssen."

"Der Mann ist ein außerordentlicher Kenner aller Gebirgswege; er macht sehr interessante Fuhren nach der Grenze. Aber, da liegt die Anstalt. Fast möchte ich es unternehmen, die Verwaltung einmal zu überraschen. Ist Ihnen dies genehm?"

"Vollständig."

"Man kann die Leitung eines solchen Hauses nie scharf genug unter Aufsicht nehmen, wie Sie ja wohl auch wissen. Übrigens ist die Direktion hier nur eine provisorische, ein Zustand, den wir heut beseitigen können."

Die Equipage hielt vor dem Thore der Anstalt. Man hatte sie kommen sehen und ihre Insassen erkannt. Die beiden Ärzte standen zum Empfange bereit und leiteten die beiden hohen Herren nach dem Direktionszimmer. Es wurden ihnen die Bücher vorgelegt, in denen eine musterhafte Ordnung herrschte.

"Nun zur Besichtigung, meine Herren," meinte der König; "vorher aber eine Bemerkung. Der Hofschmied Brandauer nämlich wird in einigen Minuten hier eintreffen, um einen wie es scheint |176A unheilbar Kranken, den Sie mit der größten Strenge behandeln müssen, einzuliefern. Halten Sie Alles zum Empfange eines Tobsüchtigen schlimmsten Grades bereit. Er wird sofort nach seinem Eintreffen nach Nummer Eins gebracht und in die Zwangsjacke gesteckt."

"Wie Majestät befehlen!" meinte der eine Arzt. "Doch gestatte ich mir die sehr gehorsame Bemerkung, daß Nummer Eins eine der größeren Zellen ist, welche für zwei Kranke eingerichtet sind."

"Ich weiß es. Es wird bald auch ein zweiter Patient eintreffen, der dem ersten Gesellschaft zu leisten hat. Also vorwärts jetzt!"

Ein Wink des Arztes genügte, einige Wärter zum Empfange des zu erwartenden Patienten in das Sprechzimmer zu dirigiren; dann wurde die Inspektion der Räume begonnen. Durch die Thür einer der größeren Zellen hörte man ein dumpfes zweistimmiges Stöhnen. Der König wandte sich an den Herzog:

"Sie werden hier zwei Patienten finden, welche am Allerwenigsten geglaubt haben, einst in eine solche Lage zu kommen. Treten wir ein?"

Der Schließer öffnete. Der Herzog prallte gleich bei dem ersten Blicke wieder zurück. Er hatte den ehemaligen Direktor und den Oberarzt erkannt. Beide saßen einander gegenüber, mit so fest zusammengeschienten Gliedern, daß ihnen der Schaum vor dem Munde stand und sie außer jenem Stöhnen keinen Laut von sich zu geben vermochten.

"Durchlaucht, hier sehen Sie den Beweis, daß das Urtheil eines unumschränkten Herrschers gerechter sein kann als die richterliche Folgerung aus todten Paragraphen. Diese Menschen haben geistig vollständig Gesunde als wahnsinnig behandelt; die göttliche und weltliche Gerechtigkeit verlangt, daß ganz dasselbe auch mit ihnen geschehe. Sie werden ganz die Qualen ihrer einstigen Opfer zu erleiden haben, bis - bis ich Veranlassung finde, Gnade walten zu lassen."

"Entsetzlich!" konnte der Herzog sich nicht enthalten auszurufen.

"Nein, gerecht! Entsetzlich war nur das, was sie einst thaten, sie und Diejenigen, welche ihnen die Veranlassung dazu gaben." Und mit einem feinen Lächeln setzte er hinzu: "Nun ist wohl auch Ihre gestrige Frage beantwortet, Durchlaucht?"

"Welche Frage, Majestät?"

"Die Frage nach dem Aufenthaltsorte dieser Beiden."

"Ich besinne mich nicht, sie ausgesprochen zu haben."

"Dann erlaube ich mir, Ihrem Gedächtnisse zu Hilfe zu kommen."

"Ich bitte darum!"

"Sie sprachen diese Frage in Ihrem Arbeitszimmer gegen Aloys Penentrier aus, als dieser von der Ruine kam."

Es war als habe den Herzog der Schlag getroffen, so zuckte er zusammen; doch faßte er sich augenblicklich wieder.

"Majestät, ich kenne keinen Penentrier!"

"Aber einen Pater Valerius?"

"Auch nicht."

Da klingelte es am Eingange.

"Ich werde Ihnen denselben vorstellen, Durchlaucht. Vielleicht erinnern Sie sich dann seiner und der interessanten Verhandlungen, welche mit ihm gepflogen worden sind."

Bei diesen Worten zog er sein Taschenbuch, notirte einige Zeilen, riß das Blatt heraus und reichte es den beiden Ärzten hin.

|176B "Meine Herren, dieser Befehl ist streng und wörtlich auszuführen?"

Sie lasen die Worte, und man sah es ihnen an, daß sie beinahe entsetzt von denselben waren.

"Ist es möglich, Majestät?" frug der Eine fast zitternd.

"Es ist nicht nur möglich, sondern ich befehle, ich gebiete es Ihnen."

"Wir gehorchen, Majestät. Aber man klingelte. Der erwartete Patient muß angekommen sein."

"So begeben wir uns nach Nummer Eins."

Als sie den Korridor betraten, in welchem diese Nummer lag, tönte ihnen ein lautes Geheul entgegen.

"Schon eingeschnallt?" frug der König.

"Ja. Die Wärter haben Ew. Majestät Befehl vernommen und darnach gehandelt."

"So kommen Sie!"

Die Thür der Zelle stand offen. Vier starke robuste Wärter standen vor dem Zwangsstuhle, auf welchem der Angekommene festgeschnallt war. Ihm gegenüber stand ein zweiter Stuhl. Beide waren mit eisernen Klammern an die Mauer befestigt. Sobald die Wärter die Herren kommen sahen, traten sie zurück, um Platz für dieselben zu machen.

"Durchlaucht, kennen Sie diesen Mann?"

"Pen - - ah - - nein, Majestät; er ist mir vollständig unbekannt."

"Es ist jener Penentrier, dessen Namen Sie soeben aussprechen wollten und den ich Ihnen vorzustellen versprach."

"Was hat er gethan, Majestät?"

Der Herzog hatte seine Selbstbeherrschung wieder erlangt. Er erkannte, daß der König Alles erfahren habe und daß die Entscheidung zwischen sich selbst und dem Monarchen nicht in offener Feldschlacht falle, sondern daß ihre Stunde jetzt, hier zwischen den düstern Mauern des Irrenhauses hereingebrochen sei. Für seine eigene Person fürchtete er nichts; er wähnte sich erhaben über die menschliche Gerechtigkeit und hatte weder bemerkt noch gehört, was die Ärzte hinter seinem Rücken den vier Wärtern heimlich zuflüsterten. Er trat, als er seine letzte Frage that, in beinahe herausfordernder Haltung einen Schritt zurück und sah dem König fest in die Augen. Dieser lächelte gleichmüthig.

"Dieser arme Mensch leidet an der unglücklichen Manie, Könige entthronen und Herzoge an ihre Stelle setzen zu wollen."

"Ist dies bewiesen, Majestät?"

"Allerdings."

"Durch die nöthigen und untrüglichen ärztlichen und amtlichen Zeugnisse!"

"Ganz durch dieselben untrüglichen Dokumente wie zum Beispiel einst bei dem Herrn von Wallroth und der Zigeunerin Zarba."

"Majestät, die Oberleitung dieser Anstalt liegt für jetzt in keiner andern als in meiner Hand!"

"Und wer steht wieder über Ihnen?"

"Niemand!"

"Ah! Sollte ich vielleicht in die glückliche Lage kommen, auch an Ihnen die Spur einer unglücklichen Geistesstörung wahrzunehmen?"

"Das ist niemals zu befürchten. Meine nüchterne Denk -"

"Nüchtern? Ich möchte behaupten, daß Sie in letzter Zeit sich in einem ganz bedeutenden Delirium befunden haben!"

"Ah! Majestät sprechen in dieser Weise und zwar vor diesen |177A Leuten hier. Nun wohl, so will ich Ihnen sagen, daß dieses Delirium um sich greifen wird, bis es sich über das ganze Land erstreckt; es wird zu einer Krisis führen, welche es offenbar macht, daß der Wahnsinn dieses vermeintlichen Kranken nichts Anderes ist, als das gesunde und sehr wohl begründete Bestreben, Norland glücklich zu machen."

"Schön! Welches Glück meinen Sie? Wohl dieses hier?"

Er griff in die Tasche und zog die Dokumente hervor, welche der Herzog gestern dem Pater unterschrieben hatte. Er hielt sie ihm entgegen. Der Herzog erkannte sie und that einen hastigen Griff darnach. Der König zog sie zurück. Da packte ihn der Andere beim Arme.

"Diese Papiere gehören mir. Her damit!"

"Durchlaucht, bedenken Sie, wer es ist, der vor Ihnen steht!"

"In diesem Augenblicke nur ein Dieb, welcher sich mein Eigenthum angemaßt hat. Her damit, oder -!"

"Oder! Was? Durchlaucht, die Spur, von der ich vorhin sprach, wird immer deutlicher. Soll ich Sie wirklich für geisteskrank halten?"

"Herrraus!"

Er faßte den König bei der Brust. Dieser blieb ruhig.

"Meine Herren, Sie sehen, daß dieser Mann allen Ernstes geistig gestört ist; er nennt die Majestät einen Dieb und vergreift sich sogar an ihr. Thun Sie Ihre Pflicht: ich gebe ihn in Ihre Behandlung!"

Im Nu wurde der Herzog von den vier Wärtern gepackt. Er wehrte sich mit allen Kräften gegen sie, aber all sein Zorn und all seine Körperkraft halfen ihm nichts. Er wurde überwältigt und auf den leeren Zwangsstuhl gebunden, so daß er seinem jesuitischen Verbündeten Auge in Auge gegenüber saß. Ein Knebel verhinderte ihn am Sprechen.

Auf einen Wink des Königs traten die Andern aus der Zelle, so daß er sich allein mit den beiden Internirten befand.

|178A "Jetzt, Durchlaucht, werden Sie mich anhören müssen, ohne mich mit Ihrem Wahnsinne zu belästigen. Sie wurden geboren auf der höchsten Stufe unserer gesellschaftlichen Ordnung, aber ich habe erkennen müssen, daß Ihr moralischer Werth Sie berechtigt, Mitglied der allerniedrigsten Stufe zu sein. Es graut mir und ekelt mich, Ihnen alle Ihre Gebrechen und Verbrechen aufzuzählen, und ich kann Ihnen nur sagen, daß ich mich Ihnen und überhaupt meinem ganzen Volke gegenüber als den Stellvertreter eines Gottes fühle, dessen Liebe, Gnade und Barmherzigkeit das ganze All durchdringt, dessen Heiligkeit und Gerechtigkeit aber auch einen Jeden gerade mit dem zu bestrafen weiß, womit er sündigt. Daß ich diese Gerechtigkeit übe, haben Sie an den beiden Ärzten, Ihren Werkzeugen, gesehen und werden es auch an sich selbst erkennen. Dieses der Humanität geweihte Haus mußte Ihnen als Marterhalle für Ihre Opfer dienen, die Sie peinigen ließen, bis der Wahnsinn wirklich kam; es wird nun die Stätte Ihrer Sühne sein, wo Sie einen Blick thun sollen in die Qualen, welche Ihr entmenschtes Herz den Unschuldigen bereitete. Denken Sie nicht, daß Sie meiner Hand entkommen werden. Die jetzigen Beamten dieser Anstalt sind mir treu ergeben, denn ich habe Ihre Kreaturen entfernt. Und wie Sie selbst nicht erfuhren, wo Ihre beiden Werkzeuge hingekommen sind, so wird auch kein Mensch ahnen, wo Sie sich befinden. Ihre politischen Machinationen sind durchschaut; Sie haben aufgehört eine Person zu sein; Sie sind eine Nummer, bis ich Ihnen vielleicht einst erlaube, wieder als menschliche Individualität zu erscheinen."

Er verließ die Zelle, welche hinter ihm fest verschlossen wurde, und begab sich mit den Ärzten nach dem Direktorialzimmer.

"Meine Herren," befahl er, "ich freue mich Ihnen sagen zu können, daß ich Ihnen meine Anerkennung und Zufriedenheit schenken darf. Ich sehe mich in der Lage, dieser Anstalt einen neuen Direktor geben zu müssen. Einer von Ihnen Beiden soll es sein, und da ich Sie meines Vertrauens für gleich würdig halte, so will ich die Entscheidung nicht selbst treffen, sondern sie Ihnen allein überlassen. Besprechen und einigen Sie sich über diesen Gegenstand, es wird dies nicht schwierig sein, da ich entschlossen bin, Ihre beiderseitigen |178B Gehalte nach gleicher Höhe zu bemessen und Sie auch in sonstiger Beziehung einander völlig gleich zu stellen. Ich erwarte baldigst Ihre Entscheidung, welcher ich meine Zustimmung geben werde. Was das heutige Ereigniß betrifft, so bleibt dasselbe in das tiefste Geheimniß gehüllt. Der Herzog hat sich verschiedener Verbrechen schuldig gemacht, von denen Sie später hören werden, er bleibt als Wahnsinniger internirt, in einer Zelle mit seinem jetzigen Gefährten, und Beide werden gleich scharf gehalten. Derjenige von Ihrem Personale, welcher den gegenwärtigen Aufenthalt des Herzogs verräth, wird als Hochverräther mit dem Tode bestraft. Weitere Befehle werden Ihnen direkt durch mich oder den Herrn Doktor Max Brandauer zugehen, den Sie als Ihren Vorgesetzten zu betrachten haben. Sie kenne ihn von seinen Besuchen her. Adieu!"

Er verließ die Anstalt, bestieg seine Equipage und fuhr im Karrière der Stadt entgegen, in deren Nähe er den Schmied überholte. Er ließ halten und stieg in den Wagen des bürgerlichen Freundes. Während die Karosse leer davonrollte, befahl er dem Schmied nach dem Gasthofe der Wittwe Barbara Seidenmüller zu fahren. Er hatte sich unter das Lederverdeck des Wagens zurückgezogen, so daß ihn kein Begegnender bemerken konnte, und als er an dem Gasthofe ausstieg, war augenblicklich Niemand zugegen.

Sie stiegen die Treppe empor und fanden Max eben dabei, das letzte Papier zur Seite zu legen. Er erhob sich und grüßte ehrfurchtsvoll.

"Fertig?" frug der König.

"Soeben, Majestät."

"Ist Alles dechiffrirt?"

"Ja."

"Jemand zugegen gewesen?"

"Der Prinz von Raumburg."

"Ah, unangenehm! Kann üble Folgen haben. Was wollte er?"

"Konnte es nicht erfahren. Er öffnete die Thür, sah mich bei der Arbeit sitzen und schloß sie sofort wieder."

"War Penentrier bereits abgeholt worden?"

"Allerdings. Ich sah den Prinzen wohl eine Viertelstunde später erst fortgehen und ahnte, daß er unten Erkundigungen eingezogen |179A habe. Ich ging zur Wirthin und erfuhr allerdings, daß ich richtig vermuthet hatte."

"Hat er etwas erfahren?"

"Ich hatte die Wirthin für einen solchen Fall vorher instruirt. Er erfuhr, daß ich sehr oft bei Penentrier sei und mit ihm zusammen arbeite; der Rentier müsse zu Hause sein und sich, als der Prinz öffnete, zufälliger Weise im Nebenzimmer befunden haben."

"Gut. Er wird dennoch mißtrauisch geworden sein. Wir müssen ihn unschädlich machen, ehe ihm das Ausbleiben seines Vaters auffällig wird."

"Er ist Mitverschworener, Majestät."

"Aktiv oder passiv?"

"Sehr aktiv."

"Du siehst dies aus diesen Skripturen?"

"Sie beweisen es bis zur Evidenz."

"Was enthalten sie überhaupt?"

"Glücklicher Weise Alles, was wir wissen müssen, und vor allen Dingen eine genaue und sehr ausführliche Liste aller Verschworenen, denen bei dem Aufstande eine bedeutendere Aufgabe zufallen soll. Es befinden sich sehr distinkte Namen von Militär und Civil darunter."

"Wir gehen in das Nebenzimmer, und Du liest Alles vor."

"Würden Majestät nicht vorziehen, im Schlosse - -"

"Hier ist keine Zeit zu verlieren, sondern jede einzelne Minute von Werth. Und übrigens weiß ich ja noch nicht, ob ich mich von hier aus direkt nach dem Schlosse begeben kann, oder ob mich die Pflicht nicht vorher an andere Orte ruft. Auch mußt Du jetzt zugegen sein, um etwaige Besuche des Jesuiten zu empfangen."

"Was habe ich zu thun, wenn einer der Verschworenen kommt?"

"Ihn gefangen zu nehmen und hier geheim zu halten."

Sie begaben sich in den Nebenraum, wo Max die Vorlesung begann. Der Abbé hatte im Vertrauen auf seine Chifferschrift über die ganze Entwicklung des Aufstandes, der bereits seit langen Jahren vorbereitet worden war, bis auf den heutigen Tag sehr ausführliche Bemerkungen angesammelt, jedenfalls um später dieselben seinen Vorgesetzten einzusenden und auf diese Weise seine Verdienste in das gehörige Licht zu stellen. Es fehlte nichts als die diplomatischen Aktenstücke, welche im Geheimen zwischen dem Herzoge von Raumburg und den verschiedenen Mächten gewechselt worden waren. Diese konnten allerdings nicht in dem Besitze des Jesuiten sein.

"Hätte ich diese in den Händen," zürnte der König, " so würde ich sie veröffentlichen und damit alle Kabinete brandmarken, welche sich mit dem Verräther in solche Unterhandlungen eingelassen haben."

"Ein Theil davon wird sich jedenfalls in dem geheimen Archive des Herzogs befinden, und ein großer Theil der andern befindet sich vielleicht in einem Besitze, der mir zur Verfügung steht."

"Ah! Wie heißt der Besitzer?"

"Nurwan-Pascha, Majestät."

"Der Kapudan-Pascha des Großherrn? Wie sollte ein türkischer Offizier in den Besitz von Urkunden gelangen, welche die Diplomatie alle Ursache hat zu verbergen?"

"Erstens, Majestät, ist er kein Türke, sondern ein Christ."

"Ah!"

"Er kennt Norland sogar ganz ausgezeichnet und hat hier seine Jugendzeit verlebt."

"Interessant!"

"Zweitens ist er ein Todfeind des Herzogs."

"Könntest Du dies beweisen?"

"Sehr leicht. Majestät kennen die Zigeunerin Zarba, zu welcher er einst in einer Beziehung stand, die ich nicht näher bezeichne."

"Nun?"

"Nurwan-Pascha hieß einst Katombo und war Zigeuner. Zarba war seine Braut. Der Herzog, damals noch Prinz, raubte sie ihm und nahm ihn sogar widerrechtlich gefangen. Katombo floh, kam nach Egypten, ward Seemann und stieg zweimal bis zum Kapudan-Pascha. Majestät erinnern sich noch des Umstandes, daß der Herzog einst zur See gefangen genommen und nach Konstantinopel geschafft wurde?"

"Allerdings. Dieser Streich warf die damaligen Errungenschaften Norlands für einige Jahre über den Haufen."

"Er wurde eben von diesem Katombo ausgeführt, und zwar mit einem kleinen Nilsandal gegen ein dreimastiges und wohlbewaffnetes Orlogschiff. Erst in Folge dieses Abenteuers wurde der Sultan auf seinen späteren Großadmiral aufmerksam."

"Das sind ja ganz romantische Komplikationen!"

"Ebenso bemerkenswerth ist der Umstand, daß die Mutter dieser Zarba einst die Geliebte des alten verstorbenen Herzogs von |179B Raumburg war, also zwei Herzöge, Vater und Sohn, und zwei Zigeunerinnen, Mutter und Tochter."

"Wo befindet sich Zarba jetzt?"

"Ich weiß es nicht. Sie war mit in den Bergen und ist nicht zurückgekehrt, doch gab sie mir den Bescheid, daß sie kommen werde, wenn ihre Stunde geschlagen habe."

"Woher soll Nurwan-Pascha diese Papiere haben?"

"Das theilte er mir nicht mit. Übrigens konnte ich aus seinen flüchtig hingeworfenen Bemerkungen eben nur ahnen, daß er Depeschen in den Händen habe, welche sich auf die verrätherische Politik des Herzogs beziehen."

"Und Du stehst in Verbindung mit ihm? Ich höre doch, daß er bestimmt ist, den Oberbefehl über die süderländische Flotte zu übernehmen."

"Er hat sich hierüber mit keinem Worte geäußert. Wenn er das Kommando wirklich übernimmt, so ist es jedenfalls eine uns feindselige Politik des Sultans, welche ihm die dazu nöthige Dispensation und Erlaubniß ertheilt hat. Dennoch scheint er mehr geneigt zu sein seine eigenen Wege zu gehen, wie ich ihn überhaupt für einen so selbstständigen und stolzen Charakter halte, daß ich annehme, er sei auch als Kapudan-Pascha des Sultans stets gewohnt, nur nach eigenen Intentionen zu handeln."

"Und es war wirklich Kapitän Sternburg, welchen Du bei ihm trafst?"

"Ja."

"Inkognito?"

"Als sein Diener."

"Sprachst Du bei dieser Gelegenheit nicht von einer Tochter?"

"Ich habe nicht die Erlaubniß erhalten, die Herzensangelegenheiten meines Freundes zum Gegenstande einer Mittheilung zu machen, aber ich bin Ew. Majestät die Bemerkung schuldig, daß es von Seiten des jungen Sternburg nur die Liebe ist, welche ihn in solche Nähe zu diesem Vater und dieser Tochter brachte, welche allerdings ein Engel, ein fast unvergleichliches Wesen genannt werden muß. Bei dem alten Fürsten von Sternburg aber scheint es anders zu sein. Er hat Nurwan-Pascha schon in Konstantinopel kennen gelernt und vielleicht auf irgend einem Wege Kenntniß von dessen Absichten zu Süderland erhalten. Dies mag der Grund sein, daß er ihm seine Gastfreundschaft anbot, die Ursache, weshalb Nurwan-Pascha nach Tremona ging und Schloß Sternburg bezog."

"Das sieht meinem alten ehrlichen Sternburg ähnlich. Immer bereit, für mich mit dem Säbel drein zu schlagen, hat er auch stets und überall ein wachsames Auge für meine und Norlands Interessen. Wie gut, daß du mir den Rath gabst, ihn schleunigst zurückzurufen. Ich stelle ihn an die Spitze meiner Truppen, die ihm ja ihre treffliche Organisation verdanken und treu zu mir halten werden, wenn erst die Böcke von den Schafen gesondert sind."

"Und Arthur von Sternburg, Majestät?"

"Auch an ihn ist mein Befehl bereits abgegangen. Auf Deinen Rath habe ich unsern Schiffen, welche der Herzog zerstreuen wollte, Kontreordre gegeben. Ich finde in der Liste des Abbé's fast die ganze Admiralität an der Seite des Herzogs. Ich ziehe die Betreffenden ein und gebe Arthur von Sternburg trotz seiner Jugend den Oberbefehl. Er ist der tüchtigste meiner Marineoffiziere, und was ihm an Erfahrung abgeht, das wird er durch seinen besonnenen Muth und seine Gesinnungstüchtigkeit reichlich zu ersetzen wissen."

"Das wäre geordnet, und wir könnten nun, mit Ew. Majestät Erlaubniß, an das augenblicklich Nöthigste denken. Was beschließen Majestät in Beziehung dieser Dokumente zu thun?"

"Ich werde sämmtliche Verschworene sofort gefangen nehmen und nach hier transportiren lassen. Dann hat die Hyder ihre Köpfe verloren und fällt in meine Hände."

"Könnte nicht bei der beträchtlichen Zahl dieser Leute irgend eine Unvorsichtigkeit, eine Nachlässigkeit vorkommen oder ein Verrath geschehen?"

"Ich werde mit der Arretur nur treue Beamte betrauen?"

"Und dennoch kann sich Einer unter denselben befinden, in dem Ew. Majestät sich täuschen. Mißglückt die Arretur auch nur eines einzigen, so ist es sehr leicht möglich, daß er, um sich zu retten, die Flamme an das Pulverfaß legt, welches ja bereits bis an den Rand gefüllt ist, wie wir leider überzeugt sein müssen."

"So soll ich die Leute frei lassen?"

"Nein, Majestät. Sie müssen unbedingt schleunigst unschädlich gemacht werden, aber in einer Weise, welche uns vollständige Sicherheit bietet, daß nicht ein Einziger entkommt."

"Kennst Du eine solche Weise?"

"Ich denke es."

"Nun?"

|180A "Wir arretiren sie selbst, und zwar Alle gleich mit einem Schlage."

"Ah! Dann müßten wir sie auf irgend einen bestimmten Punkt zu vereinigen suchen?"

"Allerdings."

"Wo?"

"An ihrem gewöhnlichen Versammlungsort, der Klosterruine."

"Das wäre allerdings ein ganz vortrefflicher Plan, wenn er ausgeführt werden könnte."

"Seine Ausführung ist sehr leicht möglich. Dieser Abbé hat ja die Unvorsichtigkeit begangen, ein Konzept seiner ganzen Korrespondenz aufzubewahren. Erstens kenne ich aus demselben seinen Stil und zweitens habe ich ersehen, daß alle Aufgezeichneten bereits einmal oder öfters die Ruine besucht haben müssen. Wir telegraphiren ihnen und bestellen sie, da es für heut zu spät ist, für morgen um Mitternacht zur Ruine. Sie kommen sicher. Der Ort wird von Militär umzingelt, welches ja der treue Wallroth, der das Terrain bereits kennt, besorgen kann, und so haben wir die Überzeugung, daß uns keiner entkommt."

"Und die hiesigen?"

"Das sind Fünf, deren Arretur ich selbst und der Vater besorgen können."

"Gut; so sei es. Schreibe die Depeschen sofort; aber sorge dafür, daß uns Niemand in die Karte zu sehen vermag! Die Arretur des Prinzen werde ich selbst, und zwar gleich, übernehmen. Du, Brandauer, gehst zu Wallroth und siehst, wie es mit dem Hofprediger steht. Sobald Ihr mit diesen Obliegenheiten zu Ende seid, erwarte ich Euch im Schlosse."

Er verließ den Gasthof und begab sich über den Fluß hinüber nach dem herzoglichen Palais. Dort frug er nach dem Prinzen, welcher einen Theil des Gebäudes bewohnte, erfuhr, daß derselbe anwesend sei, und ließ sich bei ihm melden. Natürlich wurde er sofort empfangen. Der Prinz, welcher seine volle Generalsuniform trug und augenscheinlich zum Ausgehen bereit gewesen war, kam ihm mit gut gegebener Ehrfurcht entgegen.

"Majestät! Welch hohe und unerwartete Ehre! Ich vernahm daß Ew. Königliche Hoheit geruht hätten, mit Papa auszufahren?"

"Ich bin bereits wieder zurück, wie Sie sehen, General."

"Und der Vater?"

"Es sind sehr wichtige Angelegenheiten, welche ihn veranlaßt haben, sich meiner Wiederkehr nicht anzuschließen. Ich kam, um Sie davon zu benachrichtigen und Ihnen bei dieser Gelegenheit einige Mittheilungen zu machen."

"Ich höre, Majestät!" antwortete der Prinz.

Er schob dem Könige ein Fauteuil entgegen und wartete, von ihm ebenso zum Platz nehmen eingeladen zu werden, was aber zu seiner Verwunderung nicht geschah. Er mußte stehen bleiben, während der König sich setzte und sogleich begann:

"Zunächst einige private Fragen: Sie hatten auf Veranlassung Ihres Vaters eine gewisse Intention in Betreff der hier anwesenden Prinzessin Asta von Süderland?"

Der Prinz erschrak recht sichtlich.

"Majestät!" war die einzige Antwort, welche er zögernd hervorbrachte.

"Sie dürfen mir offen antworten, denn Sie sehen, daß ich nicht so ununterrichtet bin, wie Sie bisher wohl angenommen haben. Ich weiß sehr genau, daß die Anwesenheit der süderländischen Herrschaften nur allein mit dieser Intention in Beziehung stand."

"Hat Vater Ihnen die betreffende Mittheilung gemacht?"

"Leider nein, doch bin ich natürlich von anderer Seite unterrichtet worden. Wie weit ist diese Angelegenheit gediehen?"

Die Verlegenheit des Prinzen wuchs.

"Ich muß Ew. Majestät ersuchen, sich mit dieser Frage an den Vater zu wenden, da nur er kompetent ist."

"Das ist bereits geschehen. Er sieht von dieser Spekulation vollständig ab."

"Ah! Aus welchem Grunde?"

"Weil es die Überzeugung eines jeden guten Unterthanen ist, daß in solchen Angelegenheiten nur der Monarch allein zu bestimmen hat, zumal wenn mit denselben politische Berechnungen verbunden werden, welche die bestehende Ordnung in Gefahr bringen."

"Majestät erschrecken mich! Ich war allerdings angewiesen, mich Prinzeß Asta zu nähern, habe aber nicht die mindeste Ahnung, was mit diesen politischen Umtrieben gemeint sein könne."

"So? Auch hier dürfen Sie offen sprechen, denn ich bin in diesem Punkte ganz ebenso au fait wie in dem vorigen."

"Ich ersuche Ew. Hoheit, mich gütigst zu informiren!"

"Gern! Ich werde es thun, um Ihnen den Beweis zu liefern, daß ich nicht unwissend bin. Ihre projektirte Vermählung mit der |180B Prinzeß sollte den Hof von Süderland bewegen, Ihnen behilflich zu sein, der Thronerbe von Norland zu werden. Meine Absetzung, ja, mein Tod war eine ebenso beschlossene Sache, wie die Krönung Ihres lieben Herrn Vaters. Eine Erhebung des Volkes ist eingeleitet und, wie ich gestehe, mit sehr vieler Gewandtheit und Raffinerie. Diese Revolution sollte Süderland die Veranlassung geben, seine Heere, welche sich bereits hinter der Grenze konzentriren, marschiren zu lassen."

"Majestät, das ist ja eine ganz wahnsinnige Idee!"

"Allerdings so wahnsinnig, daß Ihre Stimme zittert und Sie vor Erregung erbleichen. Leider sind mir sämmtliche Aktenstücke der Verräther in die Hände gefallen, und ich bin in der Lage, die Schlange, welche mir drohte, unschädlich zu machen."

Der Prinz war wirklich bis zum Tode erbleicht und mußte alle Kraft aufbieten, um seine Fassung zu bewahren.

"Majestät dürfen vollständig überzeugt sein, daß sowohl ich als auch Papa einer solchen Bewegung, wenn sie in Wirklichkeit existiren sollte, vollständig fern stehen."

"Von Ihrem Vater bin ich allerdings überzeugt, daß er derselben jetzt ganz und gar ferne steht," antwortete der König mit Bedeutung. "Und ich wünschte sehr, diese Überzeugung ebenso auch von Ihnen haben zu können!"

"Das dürfen Sie, bei meiner Ehre!"

"Bei Ihrer Ehre? Prinz, bedenken Sie dieses Wort!"

"Ich werde Majestät sofort überzeugen."

"Wodurch?"

"ich bitte um die Erlaubniß, Ihnen bei Unterdrückung des Aufstandes mit allen Kräften dienlich sein zu dürfen."

"Diese Erlaubniß gebe ich Ihnen vollständig, denn ich habe die Meinung, daß Sie mir sehr dienlich sein können."

"Bestimmen Majestät die Art und Weise!"

"Sie wird nicht eine aktive, sondern eine passive sein, ganz wie bei Ihrem Herrn Papa. Sie werden sich von Allem vollständig fern zu halten haben."

"Majestät!"

Dem Prinzen schien zu ahnen, welche Passivität der König meinte.

"Ihr Vater ist nämlich Gefangener. Sie sind ganz in demselben Grade kompromittirt wie er. Geben Sie mir die Erlaubniß, Ihre Papiere einer Durchsicht zu unterwerfen?"

"Ew. Hoheit befehlen, und ich gehorche, protestire aber gegen jede Gewaltmaßregel, welche gegen den Vater oder mich angewandt worden ist oder noch angewandt werden könnte!"

"Ich pflege nur solche Maßregeln zu ergreifen, zu denen ich mich befugt oder genöthigt sehe."

"Dabei wäre wohl zu bedenken, daß der hohe Rang der Familie Raumburg in jeder, ich sage, in jeder Lage unbedingt zu berücksichtigen ist!"

"Ich stimme bei. Sowohl die bürgerliche Stellung als auch der Bildungsgrad und das genossene Vertrauen sind Faktoren, mit denen man ebenso zu rechnen hat, wie mit der Größe der Pflichten, welche eigentlich zu erfüllen waren. Wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel gefordert, und der wird auch strenger bestraft, sobald er mit seinem Pfunde sündigte. Kommen Sie in Ihr Arbeitskabinet!"

"Ich gebe mein Ehrenwort, daß nichts zu finden ist, was Veranlassung geben könnte, mich unter eine Anklage zu stellen!"

"Sie gaben bereits vorhin einmal Ihr Ehrenwort und ich war überzeugt, daß Sie die Unwahrheit sprachen."

"Wie? Majestät nennen mich einen Lügner? Es ist zu bedenken, daß ich mich im Hause Raumburg und inmitten einer Dienerschaft befinde, deren Treue mir die Mittel bietet, jeder Gewalt kräftig entgegen zu treten!"

"Sie wagen es, Ihrem Könige zu drohen? Pah! Ich bin nicht so isolirt, wie Sie meinen dürften. Versuchen Sie den geringsten Widerstand, so sind Sie unrettbar und für immer verloren. Ich kenne allerdings die Gewaltthätigkeiten, welche von jeher im Hause Raumburg verübt worden sind, und habe meine Vorkehrungen so getroffen, daß wenigstens die Majestät hier sicher ist!"

Der Prinz wurde durch diese Worte sichtlich eingeschüchtert; er zögerte, sein Arbeitszimmer zu betreten.

"Wenn Vater sich in Prisson befindet, so muß ich fragen, welcher Ort sein unfreiwilliger Aufenthalt ist?"

"Es wird auf Ihr Verhalten ankommen, ob Ihnen darüber eine Mittheilung gemacht werden kann. Ich ersuche Sie zum letzten Male um Vorlegung Ihrer Korrespondenz. Oder wünschen Sie, daß ich Ihre Wohnung polizeilich durchsuchen lasse? Sie sehen, daß ich allerdings geneigt bin, Ihren Rang zu berücksichtigen, indem ich amtliche Hände von Ihnen fern zu halten suche."

|181A "Ich füge mich!"

Sie traten in das Studierzimmer des Generals.

"Setzen Sie sich in diese Ecke, Prinz!" befahl der König. "Sie erheben sich nicht eher, als bis ich Ihnen die Erlaubniß dazu ertheile. Im Gegenfalle muß ich die in Bereitschaft stehende Hilfe rufen und kann dann keine Rücksicht mehr walten lassen."

Der Monarch begann die Untersuchung in der Erwartung, daß er nichts Bedeutendes finden werde, fühlte sich aber sehr bald enttäuscht, denn bereits nach kurzer Zeit kam ihm ein Päckchen Briefe und Aufzeichnungen in die Hand, aus denen die sehr eingehende Betheiligung des Prinzen leicht zu beweisen war.

"Wie steht es nun mit Ihrem Ehrenworte?" frug er. "Nur der jugendliche Leichtsinn und das Einwiegen in vollständige Sicherheit konnten diesen offenen Ort zum Aufbewahrungsorte so wichtiger Skripturen wählen. Ein Anderer hätte sie wenigstens in ein verborgenes Fach gelegt, ungefähr wie dieses, welches ich jetzt öffne."

In demselben fanden sich neue Belege; die vorigen waren jedenfalls vor kurzer Zeit gebraucht und nicht wieder zurückgelegt worden. Der Prinz mußte einsehen, daß ein Leugnen jetzt vollständig unmöglich war. Er schwieg, aber seine Hand lag am Degen, und sein Blick suchte die geladenen Reiterpistolen, welche nebst anderen Waffen an der Wand hingen. Der König bemerkte dies, schien es aber gar nicht zu beachten.

"Sie werden jetzt die Güte haben, mich in das Arbeitszimmer Ihres Vaters zu geleiten. Man muß sehen, ob dort vielleicht ein ähnlicher Fund zu machen ist!"

Die Augen des Prinzen leuchteten auf. Der Befehl des Königs mußte in ihm einen Gedanken erweckt haben, welcher vortheilhaft für ihn war. Er nahm eine kleinmüthige Miene an.

"Majestät, kann ein offenes Geständniß jene Rücksicht erwecken, um welche ich vorhin bat?"

"Allerdings. Doch muß ich bemerken, daß Sie nicht um dieselbe gebeten, sondern sie streng gefordert haben."

"So bemühen sich Ew. Hoheit mit mir nach den Räumen meines Vaters. Ich werde Ihnen Alles ausantworten, was auf diese unglückselige Angelegenheit Bezug hat."

Der König hatte den Blick gesehen. Er trat zur Wand und nahm die beiden Pistolen herab.

"Erlauben Sie vorher, diese Waffen zu mir zu stecken!"

"Sie stehen zur Verfügung," meinte der Prinz, und dieses Mal bemerkte der König das höhnische Lächeln nicht, welches über die Züge seines Gegners glitt.

Beide schritten den Korridor entlang nach den Appartements des Herzogs. Die ihnen begegnenden Diener verbeugten sich so tief, daß keiner von ihnen eine Spur des Vorgefallenen in ihren Gesichtern bemerken konnte. Im Arbeitszimmer seines Vaters angekommen, meinte der Prinz:

"Hier ist nichts zu finden, Majestät. Vater pflegt Alles in seinem geheimen Kabinete aufzubewahren."

"Wo befindet sich dasselbe?"

"Hinter der Bibliothek."

"So kommen Sie!"

In der Bibliothek angelangt, trat der Prinz an die Wand, nahm ein Buch von seinem Orte und drückte an einem dahinter befindlichen Knopfe. Ein leises Rollen ließ sich vernehmen.

"Was thun Sie?"

"Ich öffne die geheime Thür."

Er stellte das Buch wieder an seinen Platz und zog das Büchergestell da, wo sich die Thür befand, zur Seite. Die Treppenöffnung wurde sichtbar.

"Bitte, Majestät!"

"Nein, gehen Sie voran!"

"Ganz wie Ew. Hoheit befehlen!"

Er stieg langsam einige Stufen hinab, hart hinter sich den König. Da plötzlich wandte er sich zurück, faßte den letzteren, der sich einen solchen Angriff nicht vermuthet hatte, um die Arme, riß ihn an sich vorüber und schleuderte ihn die Treppe hinab. Er selbst war mit einigen Sprüngen wieder in der Bibliothek, zog in fieberhafter Eile ein zweites Buch hervor, drückte an einem ebenso dahinter befindlichen Knopf und lauschte. Ein ähnliches Rollen ließ sich vernehmen. Seine gespannten Züge legten sich in ein befriedigtes Lächeln.

"Gefangen! Wie gut war es, daß Vater kürzlich die eisernen Fallschieber anbrachte. Ihre ungeheure Nützlichkeit bei einem Falle wie der gegenwärtige hat sich jetzt gezeigt. Selbst wer den verborgenen Gang kennt, ist rettungslos verloren, wenn er zwischen diese Schieber kommt."

Er schob die Thür wieder zu, verließ die Bibliothek und trat an den Schreibtisch seines Vaters.

|181B "Fort mit den Papieren! Und dann muß ich zunächst sehen, welches der Sukkurs ist, von dem der König sprach."

Er öffnete ein Fach des Tisches und steckte einen Pakt Schriften zu sich. Dann trat er hinaus auf den Korridor und stieg eine Treppe empor, welche auf das platte, mit einer hohen Steinbalustrade eingefaßte Dach des Palastes führte. Ein Gang um dasselbe genügte, ihm zu zeigen, daß in der ganzen Gegend nicht eine einzige polizeiliche oder ähnliche Person postirt sei.

"Ah, bloße Einschüchterung! Schadet aber nichts; er ist ja gefangen. Aber das ist sicher, daß wir verrathen sind. Es ist kein Augenblick Zeit zu verlieren, und nicht einmal nach dem Aufenthaltsorte des Vaters darf ich forschen. Geld her; dann zur Prinzessin und nachher fort, schleunigst fort und noch heut den Aufstand wach gerufen. Um Mitternacht befindet sich die Residenz bereits in den Händen der Aufständischen und dann kehre ich zurück. Vater wird dann leicht gefunden sein."

Er stieg hinab in seine Studirstube und schrieb eiligst einige Billets, welche er in Couverts wohl verschloß, und eine Depesche. Diese war an den König von Süderland gerichtet und lautete nur: "Gleich nach Empfang. Raumburg."

Jetzt klingelte er. Ein Diener erschien.

"Hat der König mit Jemand gesprochen, als er jetzt ging?" frug er diesen.

"Ich habe die Entfernung der Majestät nicht bemerkt, Durchlaucht," lautete die Antwort.

"Aufpassen! Einen König bemerkt man allemal, und Ihr wußtet ja, daß er bei mir war. Diese Billets besorgt Heinrich eiligst an ihre Adresse, und Du nimmst ein Pferd, reitest augenblicklich nach dem ersten Anhaltepunkte der Südbahn und gibst diese Depesche auf. Franz schirrt schnell an; ich fahre zur Prinzessin von Süderland. Du haftest mit Deiner Stellung für die schleunigste Erfüllung dieser Befehle!"

Der Diener entfernte sich. Der Prinz legte seine Uniform ab und kleidete sich in Civil. Ein kleines Handköfferchen nahm die geheimen Papiere und die vorhandenen Gelder auf, dann begab er sich hinab in den Hof.

Der Kutscher schwang sich soeben auf den Bock, und Franz, der Diener öffnete den Schlag, um seinen Herrn einsteigen zu lassen. Der Wagen, welcher natürlich nicht per Kahn übergesetzt werden konnte, rollte der Brücke zu, welche weit oberhalb des herzoglichen Palais über den Fluß führte.

Unterdessen hatte Max seine Depeschen geschrieben und sie aufgegeben. Dann schritt er der Schmiede zu. Die drei Gesellen standen bei der Arbeit; sie mußten fleißig sein, um den fehlenden Meister mit zu ersetzen.

"Was muß nur seit gestern los sein?" meinte Heinrich, der Artillerist, indem er ein mit der Zange gefaßtes Eisen in die Gluth schob und dann den Blasebalg in Bewegung setzte.

"Halte den Schnapel!" antwortete Thomas. "Hape etwa ich oder der Paldrian darnach gefragt?"

"Na, man wird doch wohl fragen können, ob -"

"Still, alte Wißpegierde! Du hast gar nichts zu fragen op! Wir hapen Ordre zu pariren, den Pefehlen zu gehorchen und uns um weiter nichts zu pekümmern. Üprigens kommt da drüpen der junge Herr. Frage nur ihn selper, wenn Du apgedonnert werden willst!"

Max trat ein.

"Habt Ihr sehr nothwendig?" frug er.

"Es gipt viel zu thun," antwortete der Obergeselle. "Aper wenn uns der Herr Doktor prauchen sollte, so sind wir sehr pereit."

"So legt die Arbeit weg und zieht Euch an. Ihr sollt mir helfen."

"Was?"

"Einige Leute heimlich arretiren."

"Ah, wieder Spitzpupen! Gleich fertig, Herr Doktor!"

"Wer zuerst fertig ist, holt den Kutschwagen, mit dem der Meister heut gefahren ist. Er steht bei Eurer Barbara vor der Thür und wird schnell hierher gebracht. Übrigens muß Alles so geheim geschehen, daß kein Mensch eine Ahnung von dem hat, was wir thun."

"Zu Pefehl, Herr Doktor!"

Max besann sich.

"Halt, noch besser! Ich brauche nur Thomas. Ihr Andern arbeitet fort. Ich werde mehrere einzelne Herren bringen. Sobald sie die Werkstatt betreten haben, faßt und bindet Ihr sie und schafft sie in die Eisenkammer, wie damals den Helbig. Sie werden auf das Strengste bewacht, bis ich weiter über sie bestimme! Es versteht sich von selbst, daß Ihr dafür sorgt, daß jetzt Niemand, der uns stören könnte, die Schmiede betritt."

|182A Er ging in die Stube zur Mutter. Baldrian und Heinrich arbeiteten mit den Lehrjungen fort. Nach kaum zwei Minuten kam Thomas aus seiner Kammer herab.

"Freue mich wie ein Schneekönig auf dieses neue Apenteuer. Euch aper, Ihr Lehrpupen, sage ich, daß Ihr Euch wacker haltet und den Schnapel nicht aufthut, pis Ihr die Erlaubniß pekommt zu reden. Adio!"

Er stieg mit großen Schritten die Straße hinab zu seiner Barbara, die er aber nicht zu sehen bekam, weil er gar nicht eintrat, sondern das Sattelpferd wieder einsträngte, auf den Bock |182B stieg und zur Schmiede zurückkehrte. Max trat heraus und stieg ein.

"Wohin?" frug Thomas.

"Kriegsminister."

"Hm!" machte der Geselle.

Es mochte ihm doch etwas zu ungewöhnlich erscheinen, einen Kriegsminister in die Eisenkammer zu stecken. Er zog an, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Kurze Zeit nachher hielt er vor dem Hotel des Ministers, von dem Max wußte, daß er jetzt nicht im Ministerium beschäftigt, sondern zu Hause anzutreffen sei. Er ließ sich melden und wurde vorgelassen. Der hohe Beamte wußte |182C wie Jedermann, daß der König mit der Familie Brandauer in engem Verkehre stehe, und vermuthete in Folge dessen, daß die Anwesenheit des Schmiedesohnes mit einer nicht unwichtigen Angelegenheit in Verbindung stehe. Daher seine Bereitschaft ihn zu empfangen.

Als Max eintrat befand er sich ganz allein in seinem Gemache.

"Sie sind der Herr Doktor Brandauer?"

"Aufzuwarten, Excellenz."

"Was bringen oder was wünschen Sie?"

"Ich komme als Beauftragter Sr. Majestät."

"Ah!"

|182D "Excellenz wissen vielleicht, daß Seine Majestät sich beinahe täglich in unserer Behausung befinden -"

"Allerdings."

"Majestät wünschen Sie gegenwärtig bei uns zu sehen."

"Bei Ihnen? Jetzt?"

"Ja."

"In welcher Angelegenheit?"

"Ob diese Angelegenheit den Kavalleriebeschlag oder Ähnliches betrifft, weiß ich nicht. Mir wurde nur bedeutet, zu Ihnen zu fahren, um Sie zu einer augenblicklichen Konferenz einzuladen."

"Mich allein?"

|183A "Es werden noch einige sehr hoch gestellte Herren gegenwärtig sein."

"Sonderbar. Eine Konferenz in der Schmiede! Dürfen Andere davon wissen?"

"Majestät hat mich beauftragt, Ihnen die tiefste Verschwiegenheit zu empfehlen."

"Sie haben selbst einen Wagen?"

"Ja; er steht Excellenz zu Diensten."

"Ich komme sofort. Warten Sie hier!"

Der Minister trat in das Nebengemach und kehrte bald in einem wenig auffälligen Anzuge zurück. Er folgte Max nach dem Wagen, und nachdem Beide denselben bestiegen hatten, fuhr Thomas im Trabe nach der Schmiede. Vor derselben angekommen, stieg er ab und öffnete den Schlag; dann trat er hinter Max und dem Minister in das Haus.

"Wo befinden sich Majestät?" frug der letztere.

"Er wird pald kommen," antwortete Thomas. "Warten Sie nur noch ein Pischen!"

Bei diesen Worten faßte er den Minister von hinten. Max griff mit den Gesellen ebenfalls zu; die Lehrjungen brachten die Stricke herbei, und ehe der Gefangene nur zum rechten Bewußtsein seiner so unerwarteten Lage gekommen war, lag er gebunden und geknebelt in der Eisenkammer, deren schwere Thür sich hinter ihm schloß.

Auf diese Weise währte es kaum eine Stunde, so hatte Max die in der Residenz wohnenden und auf der Liste angegebenen Verschworenen beisammen, ausgenommen den Hofprediger, zu dem er sich auch noch begab. Eben stieg er aus dem Wagen, als er seinen Vater daherkommen sah. Dieser beschleunigte seine Schritte und frug, als er mit ihm in den Flur trat:

"Wie weit bist Du?"

"Fertig, bis auf diesen Einen. Die Depeschen sind besorgt und die Männer gefangen. Und Du?"

"Ich habe bisher vergebens auf den König gewartet. Er wollte Prinz Raumburg gefangen nehmen; es wird ihm doch nicht ein Unglück passirt sein? Es ließ mir keine Ruhe; ich mußte Wallroth und Dich suchen."

"Wenn er noch nicht da ist, muß allerdings irgend eine Störung oder etwas Ähnliches zu Grunde liegen, und -"

Er wurde durch den Eintritt eines Mannes unterbrochen, welcher schnell an ihnen vorüber wollte. Er trug Raumburgische Livree.

"Wo wollen Sie hin?" frug Max.

Der Mann besah sich den Frager, und da derselbe anständige Kleidung trug, würdigte er ihn einer Antwort:

"Zum Herrn Hofprediger."

"Was wünschen Sie bei demselben?"

"Gehören Sie zu ihm?"

"Ich habe Alles Eingehende zu empfangen."

"Hier ist ein Billet abzugeben."

"Müssen Sie es eigenhändig überreichen?"

"Das ist mir nicht ausdrücklich anbefohlen."

"Von wem ist es?"

"Von Seiner Durchlaucht, General von Raumburg."

"Ah; kommen Sie mit."

Sie nahmen den Diener mit in das Zimmer, in welchem sich der Major befand.

"Ein Billet des Prinzen Raumburg an den Hofprediger," meldete Max an Wallroth. "Ich werde es erbrechen."

Er las es und reichte es dann dem Major und dem Vater entgegen. Es enthielt folgende Zeilen:

"Wir sind verrathen, doch ist noch nichts verloren. Zwar hat der König auf unbegreifliche Weise Alles erfahren, aber ich halte ihn in unserem Palais gefangen, eile jetzt zur Prinzessin, um deren Person in Sicherheit zu bringen, und verlasse die Stadt. Lassen Sie gegen Abend Ihre Leute los. Um Mitternacht werden die Süderländer die Grenze überschreiten, wie ich telegraphisch befohlen habe. Und meine weiteren Depeschen werden bis morgen den Aufstand über das ganze Land verbreiten. R."

Max wandte sich an den Diener:

"Sie hatten mehrere Karten abzugeben?"

"Ja."

"An wen?"

"Sie sehen ein, daß ich dies verschweigen muß. Ich bin Diener. Warum lasen Sie dieses Billet, ehe es in die Hände des Herrn Hofpredigers gekommen ist?"

"Meine Anstellung gibt mir das Recht dazu. Sie hatten auch ein Billet an den Herrn Kriegsminister?"

|183B "Allerdings."

Max nannte auch die Namen der Übrigen her, welche er gefangen genommen hatte, und erhielt dieselbe Antwort.

"Welche haben Sie bereits abgegeben?"

"Erst das Ihrige. Ich habe meinen Gang erst begonnen."

"Der Herr General befindet sich bei der Prinzessin von Süderland?"

"Er fuhr soeben zu ihr."

"Sie haben also die andern Billets noch bei sich?"

"Ja."

"Zeigen Sie her! Ich werde sie selbst besorgen."

"Darf ich dies?"

"Sie dürfen. Hier haben Sie."

Er griff in die Tasche und reichte dem Lakaien ein Geldstück hin, gegen welches dieser die Billets aushändigte. Er war froh, des weiteren Weges überhoben zu sein, und entfernte sich.

"Also gefangen!" rief jetzt der Schmied. "Wie bringen wir ihn los?"

"Er steckt vielleicht in dem Gange," meinte Max.

"Unmöglich. Er würde unbedingt das Fenster finden."

"Wenn sich nicht eine Vorrichtung da befindet, durch welche dieser Weg versperrt wird."

"Wir müssen hin."

"Nicht sofort. Sein Leben scheint mir nicht bedroht. Die Hauptsache ist, daß wir den Prinzen in unsere Hand bekommen, damit er nicht noch größeres Unheil anstiftet. Major, Du bleibst hier. Du, Vater eilst zur Schmiede, um die Gefangenen zu bewachen und - - -"

"Welche Gefangenen?"

"Den Kriegsminister und so weiter. Ich habe sie in der Eisenkammer untergebracht, weil auf diese Weise Alles geheim abgemacht werden konnte. Schicke sofort alle drei Gesellen nach dem Palais der Prinzessin, vor welchem ich mit ihnen zusammenkommen werde. Aber schnell!"

Der Schmied eilte nach Hause, und Max begab sich nach dem Flusse, an welchen der Garten des Palais stieß. Er rekognoscirte zunächst die Vorderfronte des Hauses und bemerkte den herzoglichen Wagen vor dem Portale; der Prinz mußte also noch anwesend sein. Dann schritt er um das Gebäude herum und längs der Gartenmauer hin.

Diese bestand aus durchbrochener Ziegelarbeit, welche von Zeit zu Zeit von hohen Eisengittern unterbrochen war. Man konnte also von außen in den Garten sehen, doch war die Freiheit des Blickes sehr durch viele und dichte Baumgruppen beeinträchtigt. Er hatte keine Hoffnung, etwas auf sein Vorhaben Bezügliches zu bemerken, da aber vernahm er hinter der Mauer eines Gartenhäuschens eine Stimme, welche er als diejenige des Prinzen erkannte, und zu gleicher Zeit erblickte er weiter oben die drei Gesellen, welche wie unbefangene Spaziergänger herbeigeschlendert kamen.

Er gab ihnen einen Wink und wußte, daß sie ihn verstehen würden. Ein Blick rund umher belehrte ihn, daß er nicht beobachtet werde. Er streckte also die Arme aus - ein Aufschwung, ein leiser Absprung, und er stand im Garten, hart neben dem Häuschen. Die Worte, welche in demselben gesprochen wurden, konnte er sehr deutlich vernehmen, obgleich sich die beiden Personen einer halblauten Sprache befleißigten. Es war eine weibliche und eine männliche Stimme. Die letztere sprach soeben:

"Nun wohl, Königliche Hoheit, so muß ich aufrichtig sein! Sie müssen unverzüglich mit mir die Stadt und dann auch vielleicht das Land verlassen, denn noch heute Abend wird der Belagerungszustand über unsere Residenz verhängt sein."

"Sie sprechen wie ein Träumender, Prinz!"

"Meine Worte mögen so klingen, aber ich wache dennoch und bin noch nie so nüchtern gewesen wie im gegenwärtigen Augenblicke. Heute um Mitternacht werden die Truppen Ihres königlichen Vaters die Grenze unseres Landes überschreiten - -"

"Unmöglich!"

"Und dennoch sehr wahr!"

"Was könnte meinen Vater bewegen - -"

"Es gibt sehr triftige Gründe."

"Dann würde er mich zurückgerufen haben, um meine Freiheit nicht in Gefahr zu bringen."

"So war es auch vorher berechnet. Aber es sind die Umstände so plötzlich und so zwingend hereingebrochen, daß Ihre zeitige Zurückberufung unmöglich ist. Heut Abend wird sich das norländische Volk erheben, um den Herzog von Raumburg als seinen König zu erklären - - -"

|184A "Ah!" klang es erschrocken.

"Ihr Vater läßt marschiren, um die Chancen des Herzogs zu unterstützen - - -"

"Ah! Also - - oh, ich errathe!"

"Der bisherige König befindet sich bereits in meiner Gefangenschaft und wird - - -"

"Prinz!" rief sie.

"Was?"

"Ich sehe jetzt klar. Antworten Sie mir! Ihre politischen Berechnungen bezogen sich auch ein wenig auf meine Person?"

"Ein wenig? Ja, die politischen, desto mehr aber die Berechnungen meines Herzens, und ich - -"

"Bitte, hören Sie mich! Ich bin die Tochter eines Königs und habe bei der Wahl meines Gatten mehr zu berücksichtigen, als eine Dame anderen Standes; aber das steht fest: meine Hand wird nie einem Manne gehören, der nicht meine vollste Hochachtung, mein vollstes Vertrauen, und die ganze Liebe meines Herzens besitzt. Finde ich eine Person, der ich Alles dies zu widmen vermag, so will ich sogar auf meine angestammten Hoheitsrechte verzichten, wenn er einem sogenannten niederen Stande angehört, und nur ihm allein und seinem Glücke leben. Sie haben nicht den geringsten Grad meiner Zuneigung besessen; Ihre Stellung forderte mich zur Achtung auf, jetzt aber erkenne ich in Ihnen den niedrigsten Charakter, der mir nur begegnen konnte; Sie sind ein Hochverräther, Sie werfen sogar auf mich den Schmutz, der Ihnen anhaftet, denn während ich hier die höchste Gastfreundschaft genieße, wird dieselbe auf Ihre Veranlassung hin von den Meinigen mit dem schnödesten schwärzesten Undank belohnt. Hören Sie was ich Ihnen zu sagen habe: Ich hasse, nein, ich verachte Sie! Gehen Sie sofort aus meinen Augen, sonst rufe ich meine Dienerschaft und lasse Sie wie einen Vagabunden auf die Straße bringen!"

Auf diese geharnischte Antwort blieb es einige Augenblicke ruhig, dann erklang die Stimme des Prinzen in jenem heiseren Tone, der die Folge einer Anstrengung der ganzen Selbstbeherrschung ist:

"Dies ist Ihre letzte, Ihre einzige Entscheidung, Prinzeß?"

"Meine einzige!"

"So will auch ich meine Entscheidung sagen! Ich liebe Sie; ich bete Sie an, und Sie werden meine Frau, ganz gleich, ob Sie wollen oder nicht. Wir müssen und wir werden siegen, und für diesen |184B Fall habe ich das mündliche und schriftliche Versprechen Ihres hohen Vaters, daß Sie meine Gemahlin werden. Sie werden sich unter der Strenge der Politik zu beugen haben wie schon hundert andere Frauen königlichen Geschlechtes, die dann immer noch Befriedigung ihres Herzens fanden."

"Unmöglich. Bei der ersten Ihrer Berührungen würde ich mich tödten."

"Lassen wir dies dahingestellt sein! Ich habe Sie jetzt nur endgiltig zu fragen, ob Sie die Stadt augenblicklich verlassen wollen."

"Nein; ich bleibe!"

"Sie setzen sich der größesten Gefahr aus."

"Das will ich. Ich habe zu beweisen, daß ich mit Ihrem Verrathe nicht in der mindesten Gemeinschaft stehe."

"So werde ich dafür sorgen, daß man Ihnen eine Sauvegarde vor die Thür stellt."

"Ich würde dieselbe fortweisen und mich nur von Denen beschützen lassen, welche für Den kämpfen, dessen Gastfreundin ich bin. Jetzt gehen Sie. Ich habe keinen Augenblick mehr für Sie übrig!"

"Wirklich?" klang es halb erregt und halb in kaltem Hohne. "Hassen und verachten Sie mich in Wahrheit so sehr? Würden Sie wirklich bei der ersten meiner Berührungen sterben?"

"Ich würde mich tödten!"

"So will ich Ihnen das Gegentheil beweisen und Ihnen jetzt einmal im Voraus zeigen, welche Rechte mir später zur Verfügung stehen werden. Ich bitte um einen Kuß, Hoheit!"

"Frecher! Gehen Sie!"

"Einen Kuß!"

"Ich rufe um Hilfe!"

"Das wird Ihnen nichts nützen, denn ehe eine dieser dienstbaren Kreaturen kommt, wird der Kuß bereits mein geworden sein. Also!"

Max vernahm ein Geräusch, als ob der Prinz sich von seinem Sitze erhebe und sich der Prinzessin nahe. Im Nu stand er unter dem Eingange des Gartenhäuschens. Mit einer tiefen stummen Verbeugung die vor Erregung überglühte Dame grüßend, wandte er sich direkt an den Prinzen:

"Excellenz, verzeihen Sie, daß die "dienstbare Kreatur" bereits da ist, noch ehe Sie Ihren frechen Raub ausgeführt haben!"

|185A "Ah, der Schmiedejunge!" entfuhr es den Lippen des Angeredeten, der überrascht einen Schritt zurückfuhr.

"Allerdings, mein Herr; doch habe ich mich dieser Abstammung augenscheinlich weniger zu schämen als Sie sich der Ihren, da ich von mir sagen darf, daß ich mir Mühe gegeben habe, ihr Ehre zu machen, während bei Ihnen ganz das Gegentheil stattfindet."

"Mensch! Hund!"

"Ganz nach Belieben! Aber der Schmiedejunge wagt es doch, Platz zu nehmen bei zwei Personen so hoher Distinktion, weil er weiß, daß ein Junge zuweilen achtbarer ist als ein Prinz."

"Hinaus mit Dir, Schurke!"

"Ich habe ganz im Gegentheile sehr mit Ihnen zu sprechen, ersuche Sie aber, sich einer anständigeren Ausdrucksweise zu bedienen, da dies ganz in Ihrem eigenen Interesse liegt, weil ich, hören Sie wohl, Prinz, weil ich Ihr Schicksal in meinen Händen halte!"

"Du - Sie, in Ihren Händen?"

"Ja. Hören Sie! Sie sagten, die Armee Süderlands werde heut noch marschiren, und ich sage, daß sie geschlagen wird. Sie sagen, daß der König Ihr Gefangener sei, und ich sage, daß ich sein Gefängniß kenne; es ist der Gang, welcher aus der Bibliothek Ihres sehr erlauchten Vaters bis unter die Gartentreppe führt. Ich werde ihn befreien."

Bei diesen Worten beobachtete er den Prinzen und sah aus dem Zucken der Augen desselben, daß er sich nicht geirrt habe. Er fuhr fort:

"Sie sagen, daß sich noch heut das Volk erheben werde, und ich verneine dies, denn die Befehle zu dieser Erhebung sind von mir aufgefangen worden. Sie befinden sich in meinen Händen."

"Lügner!"

Max griff ruhig in die Tasche.

"Hier sind Ihre Billets. Sie werden Ihre Handschrift kennen, wie sich vermuthen läßt. Die Herren Adressaten befinden sich bereits in meiner Gefangenschaft. Nicht wahr, es ist sehr zu verwundern, daß ein "Hund", ein "Mensch", ein "Schmiedejunge" es wagt, zum Beispiel einen Kriegsminister zu arretiren. Der fromme Herr Hofprediger und dieser Herr Penentrier wurden bereits gestern Abend von dem Könige selbst arretirt. Ich habe alle Ihre Depeschen und Aktenstücke dechiffrirt und vermuthe, daß dieser kleine Koffer, welcher jedenfalls Ihnen gehört, noch mehr Beweisstücke in meine Hand liefern wird."

Der Prinz zitterte vor Überraschung.

"Und wenn dies Alles wahr ist, was Sie sagen, so sind dennoch alle Ihre Mühen und Entdeckungen fruchtlos. Den König werden Sie nicht finden; das Volk wird doch aufstehen, und nun, da es so steht, werde ich die Stadt nicht verlassen, sondern jetzt gleich, unverweilt die Meinigen zu den Waffen rufen!"

"Das werden Sie nicht, denn Sie sind mein Gefangener!"

"Ich? Ihr Gefangener? Mensch, Sie sind wahnsinnig!"

"Dies zu denken steht Ihnen ja frei. Aber Sie dürfen mir glauben, daß sich das Volk wirklich nicht erheben wird, denn alle Häupter des Aufstandes, welche wir in der Liste des Pater Valerius verzeichnet fanden, gehen in diesem Augenblicke einer strengen Bestrafung und wenigstens einer lebenslänglichen Gefangenschaft entgegen. Auch darüber, daß Sie mein Gefangener sind, kann kein Zweifel herrschen. Ihrem Aufstande hat nur der Schmiedejunge mit einem seiner Gesellen gegenüber gestanden; aber er ist bisher Sieger gewesen und wird auch ferner Sieger bleiben. Ich verhafte Sie im Namen des Königs!"

"Wirklich eine ganz ergötzliche Komödie. Wollen Sie heut vielleicht die Prophezeiung jener alten Zigeunerin, welche wir einst trafen, in Scene setzen? Es war da wohl von Königskronen, von einer wunderherrlichen Königin und von einem Hammer die Rede, mit welchem Sie sich ein Scepter erringen würden!"

"Sie trachten nach einem Scepter; den Hammer habe ich in der Hand. Vielleicht schlage ich Ihnen mit demselben das Scepter aus der Faust."

"Wohlan, versuchen Sie es! Übrigens wissen Sie zuviel von uns, als daß ich mich Ihres Schweigens nicht versichern sollte. Sie zwingen uns, schneller zu beginnen als wir wollten, und so soll der Anfang auch gerade bei Ihnen gemacht werden!"

Er riß ein Terzerol aus der Tasche - zwei Schreie erklangen. Der eine kam von den Lippen der erschrockenen Prinzessin, welche eine Bewegung machte, sich zwischen die Feinde zu werfen, dieselbe aber nicht auszuführen vermochte. Der andere erklang vom Munde des Prinzen selbst, es war ein Schmerzensschrei: denn noch ehe er loszudrücken vermochte, hatte Max die Hand sammt der Waffe mit solcher Stärke gepackt, daß sie wie in einem eisernen Schraubstocke lag.

|185B "Bitte, königliche Hoheit, haben Sie keine Sorge, es soll vor Ihren Augen kein Tropfen Blut fließen!"

Er packte auch den andern Arm des Prinzen.

"Geben Sie sich freiwillig gefangen?"

"Nein und tausendmal nein. Ich werde um Hilfe rufen, wenn Sie nicht loslassen!"

"Rufen Sie!"

"Hil - - -!"

Er hielt mitten im Rufe inne, weil er sich bereits gerettet fühlte, da er deutlich hörte, daß sich mehrere Personen über die Mauer schwangen. Die drei Gesellen erschienen am Eingange, und Thomas war der erste, welcher eintrat.

"Was gipt es denn zu schreien, da hier? Ah, der Herr General von der Artillerie! Sollen wir ihn zusammenwickeln, Herr Doktor?"

"Ja."

"Zu Pefehl! Komm mein Söhnchen und laß Dich umärmeln!"

"Fort von hier!" gebot der Prinz. "Ich rufe die Schiffer herbei, Ihr Mörder!"

"Soll ich ihm eins gepen, Herr Doktor?"

"Ja."

"Zu Pefehl! hier, wohl pekomms!"

Er traf mit seiner Faust den Prinzen so vor die Stirn, daß dieser bewußtlos zusammenfiel.

"Was nun, Herr Doktor?"

Max wandte sich an die Prinzessin:

"Verzeihung, königliche Hoheit, daß mir die Umstände nicht gestatteten, dem Auge eines Engels eine solche Scene zu verhüllen. Ich fühle die Verpflichtung, Ihnen vollständige Aufklärung zu geben und bitte nur um die Erlaubniß, meinen Arrestanten, noch ehe ihm das Bewußtsein wiederkehrt, fortzuschaffen."

"Thun Sie es!"

"Bindet ihn fest; gebt ihm einen Knebel, daß er nicht sprechen kann, und tragt ihn zum Meister, der ihn zu den Andern stecken mag!"

"Aper wie sollen wir ihn fortpringen?" frug Thomas. "Es darf ihn doch Niemand zu sehen pekommen."

"Dort am Gewächshause lehnt eine Trage, und hier bei den Frühbeeten liegt Stroh. Wickelt ihn so ein, daß seine Glieder vollständig verhüllt sind; dann wird es gehen."

Jetzt erhob sich die Prinzessin von dem Sitze, auf welchen sie niedergesunken war.

"Mein Herr, ich sehe noch nicht klar, aber ich fühle, daß Sie das Richtige thun und werde Ihnen behilflich sein. Hier ist der Schlüssel zum Gartenthore, welches nach dem Flusse führt."

"Danke, Hoheit!"

Er nahm den Schlüssel und übergab ihn Thomas.

"Sucht zuvor einmal die Taschen des Gefangenen durch nach Papieren und dem Schlüsselchen zu diesem Koffer."

"Hape ihn pereits, Herr Doktor. Hier ist er."

"Und hier ist eine Brieftasche."

"Weiter nichts?"

"Nein."

"Dann fort mit ihm! Werdet Ihr es fertig bringen, ohne daß es auffällig wird, Baldrian?"

Dieser nickte bedächtig.

"Das ist am Den!"

Sie entfernten sich mit dem Prinzen, wickelten ihn in das Stroh, banden ihn auf die Tragbahre und trugen ihn davon.

Jetzt befand sich Max mit Derjenigen allein, deren Bild sich ihm bis in die tiefste Tiefe seines Herzens und Lebens eingeprägt hatte. Er stand vor ihr so schön und stolz und doch so bescheiden und ergeben; sie sah es und fühlte, ohne es sich zu gestehen, daß Ihr Auge noch keinen Mann gesehen habe, den sie mit ihm vergleichen könne.

"Hoheit - -!"

"Bitte, nehmen Sie Platz!"

"Ich gehorche!"

"Ihr Name ist Brandauer?"

"Ja."

"Seine Majestät, der König, verkehren viel und freundlich in Ihrer Familie?"

"Ich bin so glücklich, dies behaupten zu können."

"Ich beneide Sie, denn der Vater Ihres Landes ist ein Mann, dem ich meine vollste Hochachtung und Theilnahme zolle. Sie handelten jedenfalls gegenwärtig in seinem Auftrage?"

"So ist es. Königliche Hoheit gestatten mir eine kurze Darstellung der Lage. Zwar marschiren die Truppen Süderlands bereits gegen uns, aber ich weiß, daß ich mit Vertrauen sprechen darf."

|186A "Sie dürfen es. Ich werde Norland nicht eher verlassen, als bis dieser unglückselige Zwist beseitigt ist."

"Ich war in der Lage, den letzten Theil Ihrer Unterredung mit dem General anzuhören, und kann nicht umhin, Ihnen meine Bewunderung der edlen Gesinnungen auszudrücken, welche aus Ihren Worten sprach. Sie dürfen versichert sein, daß weder feindselige politische noch kriegerische Verhältnisse auf Ihre gegenwärtige Situation oder das Vertrauen meines Königs für Sie von Einfluß sein werden. Er fühlt sich hoch beglückt durch Ihre Gegenwart, bedauerte herzlich Ihre projektirte baldige Abreise und wird Ihrem jetzigen Aufenthaltsort unter allen Umständen die Eigenschaft eines Sanktuarium ertheilen, dessen Frieden nicht gestört werden darf. Doch, ich beginne."

Er begann eine Auseinandersetzung der Verhältnisse, deren Opfer sie hatte werden sollen. Zwar verschwieg er Manches, dessen Erwähnung ihm nicht geboten zu sein schien, aber sie erhielt doch ein lebendiges Bild von dem, was sie wissen sollte, und ihr Ohr lauschte auf den wohlklingenden Ton seiner Stimme, während ihr Auge an seinen männlich schönen Zügen hing, auf denen der Einfluß der ihn beherrschenden Empfindungen deutlich zu lesen war.

"Ich danke Ihnen," meinte sie, als er geendet hatte. "Ohne es zu wollen, haben Sie mir einen Einblick in Ihr Herz gegeben, welches warm und treu für die Sache des Rechtes und für den König schlägt, der Ihnen nicht blos Herrscher, sondern auch Freund und Vater ist. Erlauben Sie mir die Erwiderung der Hochachtung, von welcher Sie vorhin sprachen, und geben Sie mir die angenehme Hoffnung, daß es mir ermöglicht sein werde, Sie gegenwärtig nicht zum letzten Male bei mir zu sehen."

Eine leichte flüchtige Röthe glitt bei den letzten Worten über ihre Wangen, und ihr kleines warmes Händchen, welches sie ihm entgegenreichte, ruhte einen Augenblick länger, als es nöthig gewesen war, in seiner Rechten. Ihn durchzuckte diese Berührung mit einer noch nie empfundenen Seligkeit. Er hätte sich zu ihren Füßen niederwerfen und ihr gestehen mögen, daß jeder Pulsschlag seines Herzens ihr gehöre, aber er drängte die aufwallenden Gefühle, welche ja nicht die mindeste Hoffnung auf Erwiderung haben konnten, zurück und antwortete:

"Wenn Hoheit den "Schmiedejungen" mit dem Befehle vor Ihnen zu erscheinen begnadigen, so wird er glücklich sein gehorchen zu dürfen."

Er hatte doch etwas wärmer gesprochen, als es seine Absicht war. Sie lächelte.

"Ich befehle nicht, sondern ich bitte, Herr Doktor, und gestehe zugleich, daß diesem "Schmiedejungen" hier nicht die Idiosynkrasie begegnen wird, welche der herzogliche Prinz gefunden hat. Ich wünsche natürlich sehr, mit den Ereignissen des Tages bekannt erhalten zu werden, und da Sie in so naher Beziehung zu Ihrem Könige stehen, sehe ich in Ihnen die geeignetste Person, mir diese Bekanntschaft zu ermöglichen. Kommen Sie also, so oft es Ihnen nöthig oder genehm erscheint. Sie sind zu jeder Zeit willkommen. Doch, sagten Sie vorhin nicht, daß Sie wüßten, wo der König zurückgehalten wird?"

"Allerdings. Ich ahnte es zwar nur, habe aber aus der Miene des Prinzen gelesen, daß meine Vermuthung richtig ist."

"Sie sprachen von einem verborgenen Gange?"

"Welcher wirklich existirt. Ich kenne ihn genau. Ich entdeckte ihn einst zufälliger Weise und benutzte ihn, den Herzog in seinen verrätherischen Machinationen zu belauschen. Es muß sich aber doch eine Vorrichtung dort befinden, welche ich nicht bemerkt habe, sonst könnte der König nicht eingeschlossen werden."

"Sie werden ihn befreien?"

"Gewiß."

"Nehmen Sie Militär oder Polizei zu Hilfe?"

"Keines von beiden. Was wir bisher gesehen haben, ist so geheim und unbemerkt geschehen, daß Niemand eine Ahnung von der entsetzlichen Gefahr hat, welche über Norland schwebt, und wir stehen unter Umständen, welche mir gebieten, diese Vorsicht festzuhalten."

"Aber Sie allein - werden Sie es fertig bringen?"

"Nein. Ich bedarf der Hilfe, weiß aber nicht, ob sie mir von der Seite, wo ich sie zu erbitten habe, gewährt wird oder vielmehr gewährt werden darf."

"Ganz gewiß. Jeder rechtlich Denkende muß und wird Ihnen beistehen. Darf ich fragen, an wen Sie sich wenden werden?"

"An Sie allein, Hoheit."

"An mich?" frug sie verwundert. "Wie könnte ich Ihnen bei der Befreiung des Königs von Nutzen sein? Ich bin kein Mann und hier übrigens ohne allen Einfluß."

"Es kommt mir nur darauf an, Zutritt in die Bibliothek des |186B Herzogs zu erhalten und mich dort eine kurze Zeit lang ungestört verweilen zu dürfen."

"Ah, ich errathe! Aber ist meine Lage nicht eigentlich interessant? Wir sind überzeugt, daß Süderland soeben begonnen hat, seine Feindseligkeiten gegen Norland zu eröffnen, und ich, eine Tochter des Königshauses von Süderland, soll den König von Norland aus einer Lage befreien helfen, welche den Meinen die beste Aussicht auf Sieg gewährt! Was würden Sie an meiner Stelle thun?"

"Sicher ganz dasselbe, was Sie zu thun bereits fest entschlossen sind."

Ihre beiderseitigen Blicke trafen sich mit einem Verständnisse, welches die Prinzessin abermals leicht erröthen ließ. Sie reichte ihm zum zweiten Male ihre Hand entgegen, die er an seine Lippen zu ziehen wagte.

"Ich sehe, wir verstehen uns! Der Herzog von Raumburg hat mir jüngst erlaubt, einige Bücher von ihm zu entnehmen, Her Doktor; ich möchte mir dieselben holen. Da ich aber keine sehr bedeutenden literarischen Kenntnisse besitze, so bedarf ich eines Mannes, der mir bei der Auswahl behilflich ist. Ich lasse anspannen. Wollen Sie mich begleiten?"

"Ich gehorche gern," lächelte er.

"So kommen Sie."

Sie verließen den Pavillon um sich nach dem Hause zu begeben, gerade zur rechten Zeit, um Thomas zu bemerken, welcher durch das Thor in den Garten trat. Er hatte die Tragbahre auf der Schulter und kam mit langen Schritten auf die Beiden zu.

"Ists gelungen?" frug Max.

"Zu Pefehl, Herr Doktor."

"Und Niemand hat unterwegs etwas bemerkt?"

"Kein Mensch, Herr Doktor. Der Prinz steckt pei den andern Spitzpupen."

"Schön. Ist sonst etwas Neues vorgekommen?"

"Nichts pesonderes weiter, als daß ich dem Fritz eine Packpfeife gegepen hape, weil er mir üper meine Tapakspüchse gerathen ist. Mamsell Prinzessin, hier hapen Sie Ihren Schlüssel wieder!"

"Danke, mein Lieber, Sie gehen wieder durch das Thor, und ich werde hinter Ihnen verschließen."

"Zu Pefehl, meine peste Fräulein Prinzessin! Hapen Sie mir sonst noch etwas zu pemerken, Herr Doktor?"

"Ja. Du gehst schnell nach Hause und holst den kleinen Dietrichring und ein kleines aber festes Stemmeisen. Ich gebrauche Beides vielleicht. Beides legst Du in dieses Köfferchen, aus welchem der Meister die Papiere nimmt, und bringst es mir hier vor das Portal. Doch gehe schnell!"

"Pin schon pereits darüper. Empfehle mich!"

Er stieg eiligst davon.

Kaum eine halbe Stunde später fuhr die Equipage der Prinzessin am Palaste des Herzogs vor und wurde von einigen Dienern empfangen, unter denen sich auch derjenige befand, welcher die Billets seines Herrn so pflichtgetreu besorgt hatte. Er erkannte Max wieder.

"Ihre Billets sind ausgehändigt worden," benachrichtigte ihn der letztere. "Ist Durchlaucht der Herzog zu sprechen?"

"Er ist ausgefahren und noch nicht zurückgekehrt."

"Aber der Haushofmeister?"

"Ist zugegen."

"Führen Sie uns nach dem Salon, und rufen Sie ihn!"

Sie wurden nach dem Empfangssaale gebracht, in welchem augenblicklich der Genannte erschien. Prinzeß Asta brachte ihren Wunsch vor, welcher dem Hausbeamten natürlich als ein Befehl galt. Er erklärte sich bereit, die Herrschaften zur Bibliothek zu geleiten.

"Wo liegt diese?" frug Asta.

"Gerade gegenüber, neben dem Arbeitskabinete Seiner Durchlaucht."

"So können Sie sich ja nicht irren, Herr Doktor," meinte sie zu Max und fügte, zu dem Hausbeamten gewendet, hinzu: "Gestatten Sie diesem Herrn auszuwählen; denn ich hoffe nicht, daß Sie mich hier zur Einsamkeit verdammen werden!"

Der Mann war ganz entzückt, von der Prinzessin in dieser Weise ausgezeichnet und zu einer Unterhaltung eingeladen zu werden. Er geleitete Max zur Bibliothek und ließ ihn dann, zur Prinzessin zurückkehrend, allein.

Zunächst versicherte sich Max daß er wirklich unbeobachtet sei; dann öffnete er die geheime Thür zu dem Gange und zog sie aus Vorsicht wieder hinter sich zu. Einige Stufen abwärts vernahm er ein Geräusch, als ob Jemand an einem eisernen Gegenstande arbeite. Er stieg hinab und tastete an den Fallschirm, von dessen Dasein er |187A bisher nichts gewußt hatte. Sofort hörte das Geräusch hinter demselben auf.

"Majestät, sind Sie es?"

"Ja. Wer ist da?"

"Max Brandauer."

"Ah, Gott sei Dank! Ich hatte auf Dich gerechnet. Kannst Du mich befreien, aber ohne Aufsehen?"

"ich hoffe es."

"Kennst Du diese beiden Eisenwände bereits?"

"Nein. Also zwei sind es?"

"Ja; eine vor mir und eine hinter mir."

"In welcher Entfernung von einander?"

"Zwölf Schritte ungefähr."

"Aus welcher Richtung sind sie vorgeschoben?"

"Von oben herabgefallen."

"Sie stehen jedenfalls mit einem Mechanismus in Verbindung. Welche fiel zuerst nieder?"

"Die nach dem Garten zu war schon nieder, als ich den Gang betrat. Ich ließ den Prinzen vor mir gehen; er faßte mich aber plötzlich, warf mich die Stufen hinab und sprang in die Bibliothek zurück. Noch ehe ich mich aufraffen und ihm folgen konnte fiel die andere herab, und ich war eingeschlossen."

"Jedenfalls hat er die erstere herabgelassen, noch ehe der Gang betreten wurde. Haben Sie nichts bemerkt, Majestät? Um den Gang zu öffnen, brauchte er nur ein Büchergestell abzurücken. Hat er noch eine andere Bewegung vorgenommen, einen anderen Griff gethan?"

"Ja. Links an diesem Gestell, welches sich nachher bewegte, zog er ein Buch aus dem Fache und drückte an einem Knopfe, worauf ein Rasseln zu hören war."

"Ganz so, wie ich vermuthe. Dies war vor dem Eintritte in den Gang, den er dadurch nach außen hin abgeschlossen hat. Dann hat er Ihnen jedenfalls durch einen zweiten Knopf den Weg nach rückwärts abgeschnitten. Bitte, verhalten Sie sich ruhig. Ich werde nachsehen."

"Wie kommst Du hierher? Du mußt Dich doch jedenfalls allein in der Bibliothek befinden?"

"Allerdings. Ich habe den Prinzen gefangen genommen."

"Ah! Tüchtiger Kerl! Weiter!"

"Ich stellte Prinzeß Asta Ihre Lage vor, Majestät. Sie stimmte bei mir zu helfen. Während ich versuche, diese Wände zu beseitigen, hält sie den Haushofmeister im Salon zurück. Doch haben wir jetzt keine Zeit zu verlieren, es kann jeden Augenblick ein Diener in die Bibliothek treten."

Er kehrte in die letztere zurück und nahm seine Untersuchung vor. Bald war links von der Thür ein Knopf und rechts in gleicher Entfernung von derselben ein zweiter gefunden, doch konnten beide nicht bewegt werden. Er suchte in derselben Linie nach oben und unten und fand endlich tief am Boden hinter den Büchern zwei gleiche Knöpfe, welche auf sein Drücken nachgaben. Ein zweimaliges unterirdisches Rasseln war die Folge.

Schnell brachte er die Bücher wieder an ihre Stelle und öffnete die Thür. Hinter derselben stand bereits der König.

"Frei!" jubelte er mit unterdrückter Stimme. "Die Wände sind emporgestiegen."

"Sehr gut. So brauche ich meine Werkzeuge nicht anzuwenden, die uns durch das dabei unvermeidliche Geräusch leicht verrathen konnten."

"Was aber nun? Wie komme ich hinaus?"

"Majestät können ja unbemerkt den Palast betreten haben und den Herzog sprechen wollen."

"Dies möchte ich denn doch nicht thun. Jedenfalls ist die Dienerschaft in der Meinung, daß ich dieses Haus vorhin unbemerkt verlassen habe. Sollte ich es jetzt wieder betreten haben, ohne bemerkt worden zu sein, so könnte dies auffallen, und wir haben bis morgen Abend alles dergleichen zu vermeiden."

"So gibt es nur den Weg durch das Treppenfenster. Blicken Sie hinab in den Garten, Majestät. Es befindet sich kein Mensch in demselben, und auch die Passage zwischen der Mauer und dem Flusse ist ziemlich leer. Durch die hintere Pforte werden Sie leicht den Garten verlassen können."

"Ist sie offen?"

"Ich weiß es nicht. Für alle Fälle haben Sie hier dieses Kofferchen. Es enthält einen Meißel und einen Dietrich."

"Komme ich gut durch das Fenster?"

"Es ist breit genug. Nur bitte ich es wieder einzusetzen, damit die geheime Passage von keinem Unberufenen bemerkt wird."

"Und nachher?"

"Sie passiren an dem Palais vorüber. Ich werde in den |187B Salon zurückkehren und Sie bemerken. Wir verlassen sofort das Haus und holen Sie schnell ein. Die Equipage der Prinzessin steht Ihnen dann zur Verfügung."

"Gut. Also vorwärts!"

Er trat in den Gang zurück, welchen Max verschloß. Der letztere nahm sich darauf einige Bücher aus den Regalen und kehrte damit mit unbefangener Miene in den Salon zurück, an dessen Fenster er leicht Platz nehmen konnte, weil die Prinzessin seine Absicht errieth und den Haushofmeister mit lebhafter Unterhaltung vollständig beschäftigte.

Nach einiger Zeit schritt der König langsam vorüber, hart am Ufer des Wassers und das Gesicht dem Flusse zugekehrt, damit er nicht erkannt werde, wenn je das Auge eines Bewohners des Palais auf ihn falle. Max ergriff die Bücher und näherte sich Asta. Sie verstand ihn und erhob sich.

"Nun, Sie haben ausgewählt?"

"Dieselben, welche Sie befahlen, Hoheit."

"Geben Sie dem Herrn Hofmeister die Nummern, damit er sie sich aufzeichnen kann."

"O bitte, Hoheit, das ist nicht nöthig," meinte der Genannte. "Ich bin ja glücklich Ihnen an Stelle Seiner Durchlaucht dienen zu können."

Er geleitete Beide bis an den Wagenschlag. Eine Strecke weit aufwärts erreichten sie den König, welcher einstieg. Es wurde kein Wort gesprochen, bis man das Schloß erreichte. Hier ergriff der König zu ersten Male das Wort:

"Bitte, königliche Hoheit, belieben Sie bei mir mit einzutreten!"

Sie antwortete durch eine zustimmende Verneigung. Max folgte ihnen. Im Vorzimmer erhob sich der süderländische Gesandte von dem Sitze, auf welchem er bereits seit einiger Zeit auf den Monarchen gewartet hatte.

"Sie wünschen zu mir, Herr Baron?" frug ihn der König.

"Allerdings, Majestät."

"Treten Sie mit ein."

Der König führte die Prinzessin nach einer Ottomane und wandte sich dann an den Gesandten:

"Sprechen Sie!"

"Ich habe im Auftrag meines Monarchen dieses Couvert zu übergeben, Majestät."

Der König nahm das einigermaßen große Volumen und öffnete es. Sein Gesicht nahm beim Lesen einen ganz eigenthümlichen Ausdruck an. Als er geendet hatte, blickte er dem Gesandten scharf entgegen.

"Der Inhalt dieses Königlichen Handschreibens ist Ihnen bekannt?"

"Nein."

"Sie können dies bei Ihrer Ehre versichern?"

"Bei meiner Ehre, Majestät."

"Darf ich fragen, mit welchen Bemerkungen Sie es für mich empfingen?"

"Es liegt bereits seit längerer Zeit bei mir. Ich hatte die Weisung, es Ew. Majestät erst nach besonderem Befehle zu überreichen. Dieser traf vor einer Stunde ein."

"Telegraphisch?"

"Ja."

"Haben Sie Ursache, den Wortlaut dieser Depesche als Geheimniß zu betrachten?"

"Nein. Das Telegramm befindet sich noch in meiner Tasche. Wenn Ew. Majestät befehlen - -"

"Ich bitte nur!"

"Hier!"

Er überreichte die Depesche. Sie enthielt nur folgende Weisung:

"Betreffendes Schriftstück sofort eigenhändig übergeben und abwarten, ob der König Urlaub ertheilt. Im Gegenfalle aber bleiben."

Es war der Miene und dem ganzen Verhalten des Gesandten anzusehen, daß er über die geheimen Evolutionen seines Königs sich in vollständiger Unwissenheit befand. Er erhielt in Folge dessen einen überaus gnädigen Bescheid.

"Ich danke Ihnen sehr, Herr Baron! Der Inhalt dieses Dokumentes ist ein solcher, daß ich mir die Frage erlaube, ob Ihnen in Beziehung auf dasselbe und überhaupt vielleicht gewisse Instruktionen ertheilt worden sind, welche eine Änderung unseres bisherigen Usus bezwecken könnten."

"Ich muß es verneinen."

"Ehrlich?" frug der König in halb scherzendem Tone.

"Ehrlich!"

"So will ich Ihnen bemerken, daß ich mit der Art und Weise, |188A in welcher Sie die Interessen Ihres Landes bisher bei mir vertraten, recht sehr zufrieden bin. Ich wünsche, daß Sie noch lange Zeit auf Ihrem gegenwärtigen Posten bleiben, und werde dahin zu wirken suchen, daß auch von Seiten Ihres Königs Ihre Verdienste die richtige Anerkennung finden. Da ich in nächster Zeit Ihrer Gegenwart öfters und dringend bedarf, so wünsche ich sehr, daß Sie die Residenz nicht verlassen und mir mit dem ganzen Gesandtschaftspersonale stets zur Verfügung stehen. Adieu, Herr Baron!"

Der beglückte Mann machte vor dem Könige die tiefste und vor der Prinzessin die eleganteste seiner Verbeugungen; sogar vor Max verneigte er sich beinahe ehrerbietig; dann trat er rückwärts aus dem Zimmer.

Der König reichte das Dokument, welches er noch immer in der Hand hielt, Max entgegen.

"Lies, Doktor, und erstaune!"

Der Angeredete überflog die Zeilen und konnte sich eines kurzen Lachens nicht erwehren. Der König trat der Prinzessin näher:

"Königliche Hoheit, Sie haben vielleicht eine telegraphische und schleunige Abberufung von hier erhalten?"

"Nein, Majestät?"

"Sonderbar. Man ist da drüben jedenfalls auf eine so beschleunigte Entwicklung der Verhältnisse gar nicht gefaßt und vorbereitet gewesen. Ich kenne den Standpunkt noch nicht, auf welchen Sie sich gestellt sehen, aber meine persönliche Sympathie für Ew. Königliche Hoheit verbietet mir, Ihnen den Inhalt dieses Schreibens zu verschweigen. Seine Majestät, Ihr königlicher Herr Papa, sagt mir darin ungefähr Folgendes: Er habe zu seinem lebhaftesten Bedauern und Entsetzen vernommen, daß der Aufruhr an allen Punkten meines Landes wüthe, daß mein Thron und meine Herrschaft, daß sogar ich selbst in der ärgsten Gefahr schwebe. In dieser Lage halte er es für seine Pflicht, mir nachbarlich und hilfreich beizustehen, und da sich gerade einige Korps zum Zwecke der Manöverübungen in der Nähe der Grenze befänden, habe er den augenblicklichen Befehl ertheilt, dieselben über die Grenze zu werfen, um den Aufstand mit Gewalt der Waffen niederstrecken zu helfen. Prinzeß, darf ich um Ihre Meinung bitten?"

Asta war bis unter die Schläfe erröthet, und in ihren Augen glänzte jene Feuchtigkeit, welche nur der Zorn zu erzeugen pflegt.

"Majestät, ich bin eine Tochter meines Vaters, aber ich nenne dennoch das richtige Wort: Blamage. Eine Blamage, eine ungeheure Blamage ist es, mit welcher dieser verhaßte Raumburg das ehrwürdige Haupt meines königlichen Vaters besudelt. Ich fordere Rache und Strafe für den Missethäter, Majestät!"

"Ihre Forderung hat bereits Gewährung gefunden. Aber bedenken Sie, daß dieser Raumburg nicht allein schuldig ist!"

"Ich fühle, was Sie sagen wollen, Majestät, und ersuche Sie, mich als Geißel festzunehmen, mein Herz aber mit Vorwürfen, die mich zwar nur indirekt aber desto stärker treffen, nicht noch härter zu belasten!"

Er trat nahe an sie heran und ergriff ihre Hand. Seine Stimme klang mild und freundlich, als er bat:

"Mein liebes, gutes Kind, Sie darf nicht der lindeste Hauch eines Verweises treffen. Sie sind frei, und wollen Sie in Ihre Heimath zurückkehren, so werde ich dafür sorgen, daß dies sofort und mit der Ihnen gebührenden Würde und Sicherheit geschehen kann. Nur dann, wenn mir Gott einen Thronfolger geschenkt hätte, würde ich Sie festzuhalten suchen, aber nicht durch Gewalt, sondern mit der liebenden Bitte, nach mir die Beherrscherin meines Reiches zu werden. Also ziehen Sie in Gottes Namen von dannen, wenn Sie dies dem andern vorziehen. Wollen Sie sich aber meinen Dank, den Dank meines Volkes und auch des Ihrigen erwerben, so bleiben Sie, nicht als Geißel, sondern als freundliche Vermittlerin zwischen mir und Ihrem Vater, zwischen meinen Interessen und den seinigen, zwischen meinen Unterthanen und den Kindern Ihres Landes!"

"Majestät, ich bleibe! Was soll ich thun?"

"Senden Sie augenblicklich zwei Depeschen ab, die eine an Ihren Herrn Vater und die andere an den Kommandeur jener beiden Armeekorps, welche sich bereits über unsere Grenzen bewegen."

"Wer ist dies?"

"Prinz Hugo, Ihr Bruder."

"Ah! Das soll und muß sofort geschehen. Bitte, Majestät, diktiren Sie!"

"Ich kann es nicht. Max mag schreiben. Diese Depeschen könnten ja von jedem Andern auch abgefaßt sein und werden keinen Glauben finden. Max aber kennt die Fassung, in welcher die geheimen Telegramme gehalten werden; diese wird unbedingt Glauben erwecken. Mein Entschluß ist gefaßt, und meine Dispositionen |188B sind getroffen. Auch ich habe gefehlt, gefehlt an meinem Volke dadurch, daß ich die Macht, welche mir gegeben war, in Hände gab die ihrer unwürdig waren, dadurch, daß ich meinte, diese Macht nur von Gott erhalten zu haben, ohne der Zustimmung meiner Unterthanen zu bedürfen. Sie telegraphiren jetzt, daß nicht die mindeste Spur einer Volkserhebung zu bemerken sei und in Folge dessen den Truppen Halt geboten werden müsse, wenn man sich nicht lächerlich machen wolle. Morgen Abend nehmen wir sämmtliche Häupter der Verschwörung, so weit sie sich noch nicht in unsern Händen befinden, gefangen; am nächsten Tage proklamire ich die Konstitution, deren Entwurf Max längst gefertigt hat, ohne daß ich eine Ahnung davon hatte, und zu gleicher Zeit marschire ich mit meinen Garden, welche mir treu ergeben sind, gegen die Grenze, um einem etwaigen Widerstreben des Prinzen Hugo den ersten Stand zu halten, während hinter mir die andern Armeekörper nur des Befehles harren, sich schlagfertig zu machen und - -"

Ein eintretender Lakai unterbrach ihn.

"Im Vorzimmer steht ein Mann, welcher den Herrn Doktor Brandauer zu sprechen wünscht."

"Wie heißt er?" frug Max.

"Thomas Schubert, der Obergeselle."

"Ich komme - Majestät gestatten - -?"

"Du bleibst, Max. Thomas bringt jedenfalls etwas Wichtiges. Er mag eintreten."

Der Diener entfernte sich und Thomas schritt durch die hinter ihm sich schließende Thür. Er machte den drei Personen eine Verbeugung, daß sein breiter Rücken mit den langen Beinen einen rechten Winkel bildete und richtete sich dann in stramme militärische Haltung empor.

"Majestät, erlaupen Sie mir, mit meinem jungen Herrn zu reden ?"

"Sprich!"

"Mein pester Herr Doktor, der Lehrpupe Fritz hat in der Schloßstraße eine Parthie Pandeisen geholt und gesehen, daß Sie hier mit den hohen Herrschaften apgestiegen sind. Daher hapen wir erfahren, daß Sie hier zu finden sind. Es ist eine Depesche an Sie apgegepen worden."

"Hast Du sie mit?"

"Hier ist sie. Der Meister wollte sie nicht öffnen, weil sie nicht an ihn adressirt war."

Max öffnete und las das Telegramm.

"Es ist gut. Du kannst gehen. Sage dem Vater, daß ich vielleicht bald selbst komme!"

"Zu Pefehl, mein lieper Herr Doktor!"

Mit einer zweiten Winkelreferenz verschwand er aus dem Zimmer. Max drehte sich dem Könige wieder zu.

"Erlauben mir Majestät, diese Depesche vorzulesen?"

"Bitte, lies!"

"Sie ist überraschend und lautet:

Oberschenke Waldenberg.

An Herrn Max Brandauer.

Der Feind kommt. Die Pässe sind von meinen Leuten besetzt; er kann nicht durch. Hätten wir bis morgen einige Geschütze hier, so könnten wir ihn vier Tage lang beschäftigen. Mein Sohn mag sie uns zuführen. Sprechen Sie schnell mit dem Könige.

Zarba."

"Ist das nicht merkwürdig, Majestät?"

"In hohem Grade. Hast Du eine Erklärung?"

"Vielleicht. Majestät wissen vielleicht, daß längs der Landesgrenze die lebhafteste Schmuggelei betrieben wird; aber welche Ausdehnung dieselbe besitzt, und welche bedeutende Anzahl derselben obliegen, das könnte nur der Eingeweihte sagen. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich mehrere tausend Mann annehme, welche alle in der Führung der Waffen Meister und trotz ihres verbotenen Gewerbes ihrem Könige treu ergeben sind. Sie hassen die Süderländer und liefern ihnen sogar von Zeit zu Zeit sehr ernste und blutige Gefechte. Zarba scheint in Folge ihrer nomadischen Lebensweise in einer gewissen Bekanntschaft mit ihnen gestanden zu haben und vielleicht auch noch zu stehen. Sie hat, wohl vielleicht nur als Wahrsagerin und Heilkünstlerin, einen nicht unbedeutenden Einfluß auf sie, in Folge dessen es ihr gelungen sein kann, sie gegen die anrückenden Feinde aufzurufen. Ich halte es bei der Unwegbarkeit der Grenze und des Gebirges allerdings für sehr leicht möglich, daß einige hundert tapfere Männer, zumal wenn sie sich im Besitze einiger gut bedienter Geschütze befinden, den Feind aufzuhalten vermögen. Überhaupt muß ich bemerken, daß wir es beinahe nur dieser Zarba zu verdanken haben, daß wir auf die Spur des Aufstandes gekommen sind und ihr in so erfolgreicher Weise zu folgen vermochten. Ich glaube sogar, daß ihr mehr Kenntniß geheimer politischer Zustände |189A und Intentionen zuzutrauen ist als manchem Staatsmanne, und nehme daher sehr gerne an, daß sie auch jetzt genau gewußt hat, was sie thut. Ich fühle mich sehr geneigt, Majestät, die Erfüllung ihres Wunsches kräftig zu befürworten."

"Welchen Sohn meint sie?"

"Sie hat nur diesen einen, den ja auch Majestät kennen."

"Major von Wallroth?"

"Ja, den Sohn des Herzogs."

"Eigenthümliche Verhältnisse? Was würde die Meinung Deines Vaters sein?"

"Ich gebe mein Wort, daß er sich meiner Befürwortung mit voller Überzeugung anschließen würde."

"Also Waldenberg."

"Oberschenke, ganz derselbe Ort, wo die Schmuggler auf Zarbas Befehl den früheren Irrenhausdirektor mit seinem Oberarzte gefangen nahmen. Auch die beiden treuen Männer, welche die Rollen dieser zwei abgesetzten Beamten drüben so vortrefflich weiter zu spielen wußten, habe ich Ew. Majestät nur auf Rath der Zigeunerin vorgeschlagen."

"Wirklich? Du sprichst allerdings sehr warm für sie, und so sehe ich mich doch genöthigt, ihren Wunsch zu erfüllen. Aber darf ich meine Militärs an die Seite von Schmugglern stellen?"

"Majestät, es brauchen die Soldaten nicht zu wissen, mit welchen Gefährten sie kämpfen. Es ist überhaupt noch nicht erwiesen, daß wir es wirklich mit Paschern zu thun haben. Hat sich nicht auch die spanische Regierung der Briganti und Kontrebandisti gegen Napoleon bedient? Und, verzeihen Majestät, wer macht den Mann zum Schmuggler?"

"Du willst sagen, das Gesetz oder die falsche wirthschaftliche Politik? Ein kühner Vorwurf, Max, der ganz mit der Ansicht Deines Vaters stimmt. Doch, ich zürne Dir nicht und bin ja bereits entschlossen, die Landesgrenzzölle fallen zu lassen."

"Ich bin wenigstens davon überzeugt, daß Major von Wallroth sich nicht schämen wird da zu kommandiren, wo Zarba thätig ist."

"Nun wohl. Ich werde meinen Privatsekretär schicken, ihn bei dem Hofprediger abzulösen. Wir können unsere Gefangenen nicht eher als bis es Nacht wird, in die Anstalten unterbringen. Die Artillerie soll noch heute Abend ausrücken und Waldenberg im Geschwindmarsch zu erreichen suchen. Dich aber kann ich nicht entbehren, denn wir haben eine solche Menge von komplizirten Vorkehrungen zu unserer Sicherheit zu treffen, daß mir Deine Arbeitskraft ganz unbedingt nothwendig ist." - -

Es war zu Tremona. Ein herrlicher Tag lag über Land und See ausgebreitet. Die Sonnenstrahlen brillirten über die Wogen hin und färbten die Fluth in goldenen, silbernen und purpurnen Tinten, aus denen, wenn ein Ruder in sie tauchte oder ein Fisch aus ihnen emporschnellte, schimmernde Diamanten, Rubinen und Perlen zu springen schienen. Und vom hohen Ufer herab winkte eine Vegetation, deren tiefes saftiges Grün das Auge erquickte, wenn es von der herrlichen Scenerie der See sich ermüdet und angegriffen fühlte.

Droben im Garten von Schloß Sternburg gab es eine Laube, in der ein Menschenkind saß, welches die Schönheit der Umgebung genoß und den Balsam der würzigen Lüfte in vollen Zügen einathmete - Almah.

Neben ihr saß Mutter Horn, die Kastellanin, eine mächtige Klemmbrille auf der Nase und einen Strumpf zum Ausbessern in den Händen. Sie hatte zu ihrer großen Freude erfahren gelernt, daß sie sich dieser etwas gewöhnlichen aber doch so nothwendigen Arbeiten vor ihrer lieben süßen Türkin gar nicht zu schämen brauchte; im Gegentheile, die kleinen zarten Händchen derselben hatten ihr schon sehr oft bei solchen Dingen fleißig mitgeholfen, ein Umstand, der die Liebe der Kastellanin zu Almah noch gesteigert hätte, wenn eine solche Steigerung überhaupt möglich gewesen wäre.

Die beiden Frauen waren trotz des Naturgenusses in einer sehr lebhaften Unterhaltung begriffen.

"Und diese große Reise hat Ihnen also gar nicht geschadet?" frug Mutter Horn.

"Nicht im Geringsten; ich fühle mich sogar ganz außerordentlich gekräftigt. Und, Mütterchen, sehen Sie denn nicht, daß ich schön geworden bin? Dieses braune Gesicht gegen die bleichen Wangen, welche ich vorher hatte, nicht wahr?"

"Ja, Kindchen, Sie sehen jetzt ungeheuer kräftig aus. Aber es gibt sehr viele Männer, welche bleiche Wangen mehr lieben als braune."

"So? Gibt es solche? Papa sagt, daß er braune Wangen gern habe, weil das ein Zeichen von Gesundheit sei. Kranke Personen sollen ja niemals braune Wangen bekommen."

|189B "Aber bei Hofe ist braun eine gemiedene und bleich eine recht gesuchte Farbe."

"Ich bin ja gar nicht bei Hofe und will lieber braun als bleich aussehen. Denken Sie nur, wie das sonderbar schauen möchte, wenn unser Matrose bleiche Wangen hätte!"

"Unser Matrose? Wer?"

"Nun dieser Bill Willmers!"

"Ach ja, der ist ja "unser" Matrose! Und der hat sich wirklich so gut gehalten während der Reise?"

"Sehr gut. Und trotzdem habe ich ihn sehr oft und viel ausgezankt. Er sorgte nur für Papa und mich. Er hätte mir jedes Steinchen und Hölzchen unter den Füßen wegnehmen mögen, während er alle Anstrengungen trug und nur immer darauf sann, wie er uns das Reisen angenehm und leicht machen könne. Ich wünschte sehr, er wäre kein Matrose und kein Diener."

"Nicht? Was denn?"

"Ein - ein - ein Kapudan-Pascha oder ein General oder ein - ein - ja, ein Prinz!"

"Ein Kapudan-Pascha, ein General oder ein Prinz! Und warum denn das, Kindchen?"

"Weil - weil - ja, ich weiß es auch nicht genau; vielleicht weil er sich dann auch so schön bedienen lassen könnte, wie er uns jetzt bedient, und weil ich ihm so etwas von Herzen gönnen würde."

"Sie können ihn also wohl sehr gut leiden?"

"Ja, denn er ist im Übrigen gar nicht wie ein Matrose oder Diener. Wenn man ihm einen Befehl gibt, so sieht er grad so aus, als ob er diesen nicht aus Unterwürfigkeit, sondern aus Liebe und Herablassung ausführe. Übrigens befiehlt ihm nur Papa; ich bitte ihn stets, und wenn ich so freundlich spreche, so sieht er mich an mit ein paar Augen, mit denen ich mich von einem Andern gar nicht ansehen lassen würde."

"Warum, Kindchen?"

"Weil - weil solche Augen nur Der haben darf, den man lieb hat."

"Ich denke, Sie können ihn gut leiden? Und das ist doch ganz dasselbe, als ob Sie ihn lieb haben!"

"Ja, das verstehe ich nicht, und darum wollte ich eben gern, daß er ein Kapudan-Pascha oder ein Prinz oder ein General wäre. Er hätte ganz gewiß das Geschick dazu, das können Sie mir glauben. Ich habe es gesehen, als wir da droben in den Bergen von den Schmugglern angefallen wurden."

"Angefallen sind Sie worden? Und gar noch von Schmugglern? Herrjesses, Kind, das ist ja ganz fürchterlich gefährlich!"

"Allerdings. Sie dachten, wir wären Süderländer, und verlangten uns Alles ab, was wir bei uns hatten. Aber da kamen sie bei Papa und dem Willmers an die Unrechten. Die sprangen mitten unter sie hinein und schlugen gar gewaltig um sich. Ich schrie laut vor Angst, denn ich sah, daß wir dennoch besiegt werden würden. Da rief der Willmers:

"Seid Ihr Norländer oder Süderländer?"

"Warum?" frug der Anführer.

"Antwortet nur!"

Das klang so streng und befehlshaberisch, daß der Mann sofort sagte:

"Norländer."

Da sagte Willmers nur ein einziges Wort, und sofort ließen sie von uns ab.

"Welches Wort?"

"Einen Namen, nämlich Zarba."

"Wunderbar! Zarba hieß doch die Zigeunerin, deren Mutter damals der Herzog von Raumburg ermordete, wie ich Ihnen und dem Herrn Pascha erzählt habe!"

"Allerdings. Ich weiß auch nicht, wie das zusammenhängt. Ich habe Papa darüber gefragt, aber er konnte mir auch keine Auskunft geben. Aber sehen Sie den Dampfer, der jetzt in den Hafen läuft?"

"Dort? Ja. Es sind gar viele Passagiere an Bord."

"Vielleicht ist Ihr Prinz, der Fregattenkapitän dabei."

"Möchten Sie ihn sehen, Kind?"

"Ja, weil ich so sehr viel von ihm gehört habe. Er soll doch der beste und tapferste Seeoffizier in der ganzen norländischen Marine sein, wie mir Papa sagte."

"Ja, das ist wahr. Und unser alter Herr, sein Vater, ist der beste und tapferste Landoffizier von Norland. Sehen Sie, jetzt hat der Dampfer angelegt, und die Passagiere steigen aus."

"Es sind sehr viele, lauter Herren; das Schiff scheint sehr weit herzukommen. Sehen Sie den einen Herrn mit grauem Haar? Der muß sehr vornehm sein, denn er hat mehrere Diener bei sich."

|190A "Der? Ja, meine alten Augen sind nicht so scharf wie die Ihrigen. Ich sehe zwar - was? Herrjesses, Kindchen, das ist ja - das ist mein gnädiger Herr!"

"Der alte oder der junge?"

"Der alte natürlich, denn der junge wird doch nicht schon einen solchen grauen Kopf haben. Kindchen, Herzchen, ist das eine Freude! Ich muß fort, sogleich hinein in das Haus und dafür sorgen, daß er empfangen wird. Kommen Sie!"

"Ich, o nein!"

"Nicht? Warum nicht?"

"Empfangen Sie ihn nur einstweilen. Er ist ein so vornehmer Herr, und da fürchte ich mich. Er hat mich bereits in Konstantinopel einmal gesehen und mich dabei mit Augen angeblickt, so groß, wie ich noch gar keine gesehen habe."

"So bleiben Sie hier oben oder gehen Sie heimlich in das Haus. Ich eile, ich fliege davon!"

Die alte treue Kastellanin sprang förmlich über die Kieswege dahin. Bill Willmers war der Erste, dem sie begegnete.

"Durchl - wollte sagen - o, wissen Sie, wer soeben mit dem Schiffe angekommen ist?"

"Nun?"

"Seine Durchlaucht, der gnädige Herr Papa."

"Ah, wirklich?"

"Ja; er wird sogleich den Berg heraufkommen. Wir müssen ihn mit lautem Jubel empfangen."

"Halt, das unterbleibt!"

"Was? Warum?"

"Ich habe meine Gründe. Sie sagen blos Ihrem Manne, daß der Vater kommt, und verhalten sich im Übrigen ganz still. Ich werde ihm entgegen gehen."

Er trat zur kleinen Pforte und bemerkte den Fürsten, welcher den Fußpfad eingeschlagen hatte und also gerade auf ihn zukam. Auch dieser erblickte ihn und machte eine freudige Bewegung des Erkennens. Arthur aber legte die Hand an den Mund. Der Fürst verstand ihn sofort und legte die übrige Strecke des Weges in ruhiger Haltung zurück, obgleich er den Grund nicht errieth, |190B wegen dessen er beim Wiedersehen seines Sohnes sich Zwang auferlegen sollte.

Arthur empfing ihn mit einer kalten höflichen Verneigung.

"Zu wem wünscht der Herr?"

"Zum Prinzen von Sternburg."

"Der ist verreist."

"Ah! Wer sind Sie?"

"Ich heiße Bill Willmers, bin eigentlich Matrose und jetzt der Diener von Nurwan-Pascha, welcher gegenwärtig auf Schloß Sternburg zugegen ist."

"So!" lächelte mit Verständniß der alte Fürst. "Da weiß ich also schon, wen ich vor mir habe. Nun rathen Sie, wer ich bin!"

"Weiß es nicht."

"Ich bin der Besitzer dieses Schlosses."

"Wirklich? Durchlaucht von Sternburg, Excellenz?"

"Ja."

"Dann Verzeihung! Ich hatte nicht die ausgezeichnete Ehre, Sie zu kennen. Das sind die Diener des gnädigen Herrn?"

"Allerdings."

Hinter dem Fürsten standen drei Livreemänner, welche er erst in der Fremde engagirt hatte. Sie kannten also Arthur nicht, und ihretwegen hatte dieser dem Empfange seines Vaters einen so fremden Anstrich gegeben.

"Sie tragen die Effekten Ew. Durchlaucht?"

"Ja."

"Gestatten Sie mir ein Arrangement!"

Er trat zu dem vordersten der Domestiken und erhob die Hand, um hinab nach dem Hafen zu zeigen.

"Sehen Sie dort die kleine Yacht, welche neben dem dicken Holländer liegt?"

"Ja."

"Sie kehren sofort um und tragen diese Sachen an Bord der Yacht. Man wird Sie fragen, und Sie antworten, der Kapudan-Pascha habe es so befohlen. Der Arab-el-Bahr solle den Kessel heizen und sich die Papiere zum Auslaufen einhändigen lassen. Die Yacht wird heute zu jeder Minute segelfertig gehalten, und Sie bleiben dort und kleiden sich in Civil. Niemand darf wissen, daß Durchlaucht angekommen ist."

|191A Die Diener blickten ihren Herrn fragend an.

Dieser nickte ihnen zu.

"Thut dies, und verlaßt die Yacht nicht eher, als bis ich es Euch befehle!"

Sie gingen zurück, und jetzt waren Vater und Sohn allein.

"Warum diesen Empfang, Arthur?"

"Nicht hier. Komme herein, Vater. Der Pascha schreibt und wird Dich noch nicht bemerkt haben. Außer unter vier Augen behandelst Du mich als Domestiken."

"Wo wohnt Nurwan?"

"In Deinen Räumen."

"Und Almah?"

"Du kennst sie?"

"Ja," lächelte er. "Ich sah sie in Konstantinopel und erkannte in ihr das Original jenes Porträts, welches Dir so werth zu sein scheint. Ist sie es?"

Arthur war erröthet.

"Sie ist es. Sie bewohnt die Thurmzimmer."

"Und Du?"

"Die Stube neben der Küche."

"So nehme ich diejenigen des Fregattenkapitäns Sternberg. Du aber begleitest mich vorher nach Deiner Stube."

Sie gingen in schnellem Schritte über den Garten und Hof. Unter der Küchenthür stand der Kastellan mit seiner Frau.

"Still!" gebot Arthur. "Wo sind die Lohndiener?"

"Oben."

"Sie dürfen nicht wissen, daß Vater angekommen ist!"

"Fräulein Almah weiß es bereits."

"Wo ist sie?"

"Im Garten. Wir sahen den gnädigen Herrn kommen, und ich sagte ihr wer Sie sind, Excellenz."

"Sie eilen sofort zu ihr und sagen, daß Sie sich geirrt haben; der Herr, welcher gekommen ist, war ein Fremder, der sich in dem Hause geirrt hat und mit seinen Dienern bereits wieder zurückgekehrt ist. Sie wird die Diener bereits gesehen haben; ich habe sie zurückgeschickt; der Herr selbst hat nicht den Bergpfad, sondern die Straße benützt."

"Ich gehe sofort."

"So darf also auch der Kapudan-Pascha nicht wissen, daß der gnädige Herr angekommen sind?" frug der Kastellan.

"Jetzt noch nicht. Komm, Vater!"

Er trat mit ihm in die Stube, welche er als Bedienter sich hatte anweisen lassen. Hier erst umarmte und küßte er ihn herzlich.

"Willkommen, mein lieber bester Papa! Du wirst Dich allerdings sehr wundern, daß -"

"Natürlich, mein Junge. Es müssen sehr eigenthümliche Umstände sein, die Dich veranlassen, die Rolle eines Bedienten zu spielen und mich in so geheimnißvoller Weise zu empfangen."

"Freilich, Papa!"

Er erzählte ihm sein erstes Zusammentreffen mit dem Kapudan-Pascha und nahm dann ein Papier aus der Tasche.

"Lies einmal diese Depesche, welche ich heut erhielt!"

Der Fürst las:

"Sofort nach hier abreisen; auch Deinem Vater dasselbe telegraphiren; sein Aufenthalt mir unbekannt. Vorsicht! Sollt Beide noch heut von Süderland gefangen werden.

Max."

"Ah! Welcher Max ist dies?"

"Brandauer."

"So ist dieses Telegramm jedenfalls im Auftrage von dem Könige aufgegeben worden. Aber welche Unvorsichtigkeit! Der Telegraphenbeamte, welcher es expedirte, hatte als Süderländer wohl die Pflicht, es zurückzuhalten und Anzeige darüber zu erstatten."

Arthur lächelte.

"Wir haben Ähnliches vorausgesehen und unsere Vorkehrungen getroffen. Einer der Beamten ist uns ergeben. Max hat vorher angefragt, ob er am Apparate sitzt. Und ebenso ergeben ist auch derjenige Telegraphist, bei welchem die Depesche aufgegeben worden ist."

"Also man will uns fangen. Weshalb und wie? Man hat doch kein Recht zu einer solchen Maßregel."

"Du hast meine Mittheilungen über die Politik des Herzogs von Raumburg erhalten?"

"Natürlich."

"Er muß zum Losschlagen bereit sein. Der König hat wohl in einem solchen Falle die Absicht, Dir den Oberbefehl über das Landheer zu geben, während ich bei der Marine ein Kommando zu erwarten habe. Es liegt also im Interesse des Herzogs und Süderlands, uns Beide unschädlich zu machen."

|191B "Hast Du geantwortet?"

"Ja."

"Was?"

"Daß ich sofort nach Süderhafen abgehen werde."

"Aber Du wußtest von meinem Kommen nichts!"

"Ich telegraphirte Dir."

"Das kann uns verrathen, wenn diese Depesche als unbestellbar zurückkommt."

"Sie enthielt nichts als die Worte. "Sofort nach Süderhafen! Arthur." Es kann sie also ein Jeder lesen."

"Wenn hast Du die Deinige erhalten?"

"Vor kaum einer Stunde."

"Du reisest also ab?"

"Natürlich mit Dir."

"Mit welchem Schiffe?"

"Diese Frage würde mir Schwierigkeiten machen. Glücklicher Weise aber liegt die Yacht des Pascha im Hafen."

"Ah! Würde er sie Dir geben, selbst wenn er wüßte, wer Du bist?"

"Nein. Erstens braucht er sie selbst, und zweitens stehen wir uns ja feindlich gegenüber. Er wird ganz sicher den Oberbefehl über die süderländische Marine übernehmen und darf mir also nicht den geringsten Vorschub leisten, selbst wenn er es aus persönlichen Rücksichten gern thäte."

"So willst Du Dich ihrer ohne sein Wissen bemächtigen?"

"Ja. Die paar Matrosen kennen mich als seinen Diener und werden wohl zu überlisten sein."

"Ist nicht nothwendig. Ich kenne diese Leute von Konstantinopel her. Der Pascha hat mir die Yacht einige Male zu kleinen Ausflügen zur Verfügung gestellt. Wenn ich komme, werden sie ganz dasselbe auch hier annehmen und mir gehorchen."

"Das ist gut. Es ist kein anderes Fahrzeug so sehr geeignet, uns schnell nach Süderhafen zu bringen, wo unserer jedenfalls neue Depeschen und Weisungen harren. Doch, wer kommt da?"

"Offiziere! Gewiß, um Dich zu besuchen! Wissen Sie, daß Du anwesend bist?"

"Gewiß. Es ist der Platzkommandant mit drei Lieutenants, welche mich vor Ankunft des Pascha fast täglich hier beehrten. Er macht eine höchst amtsmäßige Miene."

"Aber Dein Inkognito?"

"Sie wissen nichts davon. Ich lasse mich nicht sehen."

Auch der Kastellan hatte die Kommenden bemerkt. Er trat ihnen im Flure entgegen, so daß die Beiden jedes Wort, welches draußen gesprochen wurde, vernehmen konnten:

"Sie sind der Kastellan von Schloß Sternburg?"

"Zu dienen, Herr Oberst!"

"Ist der Pascha zu sprechen?"

"Ja."

"Auch der Herr Kapitän von Sternburg?"

"Nein."

"Warum?"

"Er ist verreist."

"Ah!" klang es in einem Tone, der eine hörbare Erleichterung verrieth. "Wohin?"

"Ist unbestimmt. Durchlaucht beabsichtigen eine kurze Spaziertour, bei welcher sich der Ort nie sicher angeben läßt."

"Wann kommt er zurück?"

"Das kann heut, morgen, übermorgen sein, vielleicht auch später; ich weiß es nicht."

"Hm! Sobald er kommt, melden Sie es. Ich habe eine so dringende Unterredung mit ihm, daß ich ihn sofort sehen muß, wenn er angekommen ist."

"Werde es melden, Herr Oberst."

"Wissen Sie, wo sich sein Vater, Excellenz von Sternburg, gegenwärtig befindet?"

"In Konstantinopel."

"Ich hörte, daß er seine baldige Ankunft nach hier gemeldet hat. Haben Sie davon gehört?"

"Ja."

"Wann wird er kommen? Sie müssen dies ja wissen, da seine Anwesenheit doch gewisser Vorbereitungen Ihrerseits bedarf."

"In vierzehn Tagen."

"Schön." Er schien sich an seine Begleiter zu wenden: "Meine Herren, wir sind also für heut dieser Pflicht enthoben. Bitte, kehren Sie zurück!"

Arthur und sein Vater sahen, daß sich die Lieutenants über den Hof entfernten.

"Melden Sie mich bei dem Pascha!" hörten sie jetzt wieder die Stimme des Obersten, worauf dieser hinter dem Kastellan die |192A Treppe emporstieg. Der letztere kam bald wieder herab und trat in die Stube.

"Haben die Herrschaften gehört?" frug er.

"Ja," antwortet der Fürst. "Du hast Deine Sache gut gemacht. Hast Du oben nichts vernommen?"

"Ich horche nicht, wie Excellenz ja wissen; aber ich sah, daß der Oberst ein sehr großes Schreiben hervorzog, ehe er beim Pascha eintrat. Es hatte das Königliche Siegel."

"Das genügt. Ahnst Du, weshalb der Oberst nach uns frug?"

"Nein."

"Er hat den Auftrag, uns gefangen zu nehmen."

"Nicht möglich!" rief der treue Mann ganz erschrocken.

"Und doch!"

"Ja, Sie dürfen es glauben," fügte Arthur bei. "Wir werden schleunigst abreisen. Lassen Sie Ihre Frau meine sämmtliche Wäsche und Kleidung rasch einpacken; in einer Viertelstunde gehen wir."

"Wohin soll der Koffer?"

"Hinunter zur Yacht des Pascha. Zwei der Lohndiener mögen ihn besorgen. Also schnell!"

Der Kastellan entfernte sich, noch immer bestürzt; gleich darauf trat Mutter Horn ein. Ihre ganze Erscheinung zeugte von der größten Aufregung.

"Herrjesses, meine lieben guten Herrschaften, ist denn so etwas möglich! Der gnädige Herr sind vor einer Minute erst angekommen und müssen bereits wieder fort? Das ist ja - o, und da stehe ich und plaudere. Ich muß ja gleich einpacken! In zehn Minuten bin ich mit Allem fertig!"

Sie verschwand ebenso schnell und eilig, wie sie gekommen war. Arthur zog ein Papier aus einem Fache.

"Dies wird von großem Vortheil sein, Vater."

"Was ist es?"

"Ein Plan von Tremona, den ich heimlich zeichnete. Siehe ihn an!"

Der Fürst that es.

"Vortrefflich!"

"Wenn mir der König das nöthige Vertrauen schenkte und die dazu nothwendigen Fahrzeuge vorhanden sind, nehme ich Hafen und Stadt trotz aller Befestigungen und Torpedo's binnen drei Stunden."

"Dies Vertrauen besitzest Du."

"Aber die Schiffe! Der Herzog, den ich jetzt ganz durchschaue, hat sie zerstreut. Die Küste Norlands ist vollständig unbedeckt, so daß an eine Offensive zur See erst recht nicht zu denken ist."

"Es scheint doch, daß ein Gegenbefehl gegeben worden sei. Auf meiner Fahrt nach hier bemerkten wir mehrere norländische Kriegsschiffe, welche mit voller Dampf- oder Segelkraft nach der Heimath zu hielten."

"Das wäre ein Glück!"

"Das eine der Schiffe sprachen wir an. Es ging nach Süderhafen. Doch horch! Ich glaube, der Oberst geht bereits wieder."

"Ja, er ist es, und der Pascha begleitet ihn. Ich kenne seinen Schritt."

Nurwan-Pascha begleitete den Offizier bis vor das Thor und kam dann wieder zurück. Sein Gesicht war sehr ernst. Der Besuch des Obersten mußte von großer Wichtigkeit gewesen sein. Statt aber vorüberzugehen, öffnete er die Thür und trat ein. Er bemerkte den Fürsten nicht sogleich, da dieser seitwärts im Hintergrunde stand.

"Bill, mache Dich zu einem Parforceritt fertig."

"Wohin, Excellenz?"

"Nach der Residenz. Es geht jetzt kein Zug ab, und wenn Du so reitest wie jüngst, so kommst Du vor dem nächsten noch hin."

"Zu wem soll ich, Excellenz?"

"Direkt zu Könige, dem Du ein Schreiben - -"

Er stockte. Sein Auge hatte den Fürsten erblickt, den er sofort erkannte. Man sah, daß er sich außerordentlich betreten fühlte.

"Durchlaucht - - Excellenz - -! Sie hier?"

Der Fürst trat vor.

"Wie Sie sehen. Darf ich Sie begrüßen, oder -?"

"Ja freilich dürfen Sie!" antwortete er mit Herzlichkeit, indem er ihm beide Hände entgegenstreckte. "Aber, wann sind Sie angekommen?"

"Soeben. Ich suchte Ihren Diener auf, um ihn zu fragen, ob Sie zu sprechen sind, da ich mich natürlich sofort vorstellen wollte, hörte aber, daß der Oberst bei Ihnen sei."

"Er ging soeben. Doch das erinnert mich - - ah, Durchlaucht, |192B ich befinde mich Ihnen gegenüber in einer höchst mißlichen Lage!"

"Wie so?"

"Die Freundschaft gebietet mir, Ihnen eine wichtige Mittheilung zu machen, während - -"

Er stockte, sichtlich verlegen. Der Fürst setzte den unterbrochenen Satz fort:

"Während die Pflicht Ihnen dies nicht gestattet, nicht wahr? Ich bin jedoch in der glücklichen Lage, diesen Zwiespalt aufzulösen. Der Oberst hat Ihnen mitgetheilt, daß man sich meiner Person und derjenigen meines Sohnes bemächtigen will."

"So sind Sie also bereits unterrichtet?"

"Nicht blos über diesen Punkt, Excellenz. Es fragt sich nur, ob Sie es für Ihre Pflicht halten müssen, hierbei thätig zu sein."

"Nicht im mindesten. Zwar darf ich in direkter Weise nichts thun, was den Interessen, welche ich von dieser Stunde an vertrete, nachtheilig werden könnte, aber selbst wenn mich Ihre ausgedehnte Gastfreundschaft nicht zum lebhaftesten Dank verpflichtete, hätte ich keine Veranlassung, den Polizisten, den Häscher zu machen."

"Ich danke Ihnen."

"Was werden Sie thun?"

"Sofort abreisen."

"Mit welcher Gelegenheit?"

"Mit einer sicheren, die ich aber nicht nennen darf, da ich Ihr Pflichtgefühl zu berücksichtigen habe."

"Ist sie wirklich sicher?"

"Ja."

"Ich würde Ihnen meine Yacht zur Verfügung stellen, allein ich muß Ihnen sagen, daß ich soeben den Oberbefehl über die süderländische Seemacht überkommen habe, eine Mittheilung, welche Sie zwar nicht überraschen aber lebhaft interessiren wird, und da muß ich leider - - -"

"Ich begreife dies vollständig, Excellenz. Sie werden bereits in einer Viertelstunde wissen, welcher Gelegenheit ich mich bediene, und dann selbst sagen, daß sie sehr sicher ist."

"Und Ihr Sohn, der Herr Kapitän? Man sucht auch ihn."

"Er hat Alles geahnt und befindet sich bereits so ziemlich in Sicherheit."

"So wird er gar nicht nach hier kommen?"

"Wohl nicht. Übrigens bitte ich herzlich, Schloß Sternburg als das Ihrige zu betrachten, so lange es Ihnen gefällig ist."

"So wollen wir scheiden!"

Sie reichten einander die Hände, und als der Pascha dem Freunde noch einmal alle nöthige Vorsicht angerathen hatte, verließ er das Gemach. Kurz nachher trat die Kastellanin ein.

"Es ist eingepackt, gnädiger Herr!"

"Gut. Hören Sie, Mutter Horn, weder der Pascha noch seine Tochter dürfen wissen, wer ich bin. Ich bleibe für sie Bill Willmers. Das Übrige wird Ihnen Vater anbefehlen für die Zeit, die wir hier abwesend sind. Ist der Koffer fort?"

"Ja."

"So werde ich gehen. Ich steige den Fußpfad hinab, während Vater einen anderen Weg einschlägt, da es für eine Person leichter ist, unbemerkt zu bleiben als Zweien. Adieu, Mutter Horn!"

Die gute Frau zog die Schürze an die Augen.

"Herrjesses, ist das ein Elend. Ich vergehe vor Kummer, und mein Mann weiß auch nicht, wo ihm der Kopf steht. Und endlich, was wird Fräulein Almah sagen, die so sehr große Stücke auf Sie hält!"

"Wirklich?"

"Ja wohl! Erst vorhin hat sie gemeint, sie wünsche, daß Sie ein Kapudan-Pascha, ein General oder ein Prinz wären."

"Ach? Warum?"

"Nun, dann - - dann könnte sie ja Ihre Frau werden," platzte sie in ihrer Betrübniß weinend heraus.

"Hat sie das so gesagt?"

"Nein, das nicht. Sie gab ein paar andere Gründe an, aber ich merke doch, wie es steht. Ach, mein lieber gnädiger junger Herr, das wäre eine Frau Prinzessin, wie es keine zweite wieder gibt!"

"Möglich! Also adieu!"

Sie lehnte sich an die Wand und weinte; er ging und nahm auch von dem Kastellan Abschied. Dann verließ er das Schloß, das Gebäude wenigstens, denn als er in den Garten trat und sich durch einen Blick überzeugt hatte, daß die Lohndiener mit dem Koffer bereits mehr als die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, wandte er sich rechts nach der Gegend, in welcher die Laube stand, die Almah sich als ihren Lieblingsplatz erwählt hatte, wie er recht wohl wußte.

|193A Sie saß noch in derselben und sah ihn kommen.

"Bill, suchen Sie mich?"

"Ja."

"Papa läßt mich wohl suchen?"

"Nein; nur ich bin es, der Sie sucht. Ich wollte Ihnen Lebewohl sagen."

"Lebewohl? Sie wollen gehen?"

"Ja."

"Fort?"

"Ja."

"Ganz fort?"

"Ja."

"Nicht möglich! Warum wollen Sie gehen? Hat Vater es Ihnen geboten?"

"Nein," antwortete er, entzückt über die sichtliche Aufregung, in welche sie von seinen Worten gebracht wurde.

"Hat Vater Sie beleidigt?"

"Nein."

"Oder ich?"

"Auch nicht."

"Aber warum denn? So sprechen Sie doch!"

"Ich bin ein Seemann und diene dem Könige von Norland, dem ich meinen Eid geleistet habe. Der Herr Pascha dient dem Könige von Süderland, der unser Feind ist. Ich muß gehen."

"Das ist allerdings ein Grund. Aber warum so plötzlich?"

"Das werden Sie von dem Herrn Pascha erfahren. Doch gehe ich nicht für immer."

"So wollen Sie also wiederkommen?"

"Ja, wenn wir uns nicht vorher treffen." Er trat näher an sie heran. "Leben Sie wohl!"

Er streckte ihr seine Hand entgegen, und sie zögerte nicht einen Augenblick, ihr Händchen hineinzulegen.

"Leben Sie wohl, Bill. Ich danke Ihnen für Alles, was Sie mir und Papa Liebes und Treues erwiesen haben. Ich wollte Sie hätten immer bei uns sein können!"

Ihre Stimme klang gar nicht so, wie sie bei dem Abschiede von einem Diener hätte klingen sollen. Seine Augen glänzten feucht.

"Ich gehe in den Kampf, Fräulein. Sie werden wohl von dem Herrn Pascha Einiges gehört haben, um zu wissen, was bevorsteht. Wenn ich falle, so sterbe ich, indem ich an Schloß Sternburg denke und an den Stern, der über demselben aufgegangen ist. Falle ich aber nicht, so sehen wir uns wieder, und ich wage es, Ihnen einen Mann zuzuführen, der sich Jahre lang vergebens sehnte, Ihr Angesicht noch einmal so nahe zu sehen wie in jener Nacht am Nile."

Sie war während des letzten Theiles seiner Rede erglüht, jetzt erhob sie schnell die Augen.

"Am Nile? Ah! Wen meinen Sie?"

"Jenen Mann, dem die Seligkeit beschieden war, Sie aus den Fluthen an das Land zu tragen."

"Ihn? O, ist es möglich? Sie kennen ihn?"

Sie reichte ihm auch das andere Händchen entgegen. Er drückte beide an seine Lippen.

"Ja."

"Wer ist es? Wie heißt er?"

"Sternburg."

"Sternburg? In wiefern? Was für ein Sternburg ist er?"

"Arthur von Sternburg, Fregattenkapitän, Sohn des Fürsten Viktor von Sternburg, dem dieses Schloß gehört."

"Nicht möglich!"

"Doch!"

"Woher wissen Sie es?"

"Ich befand mich damals bei ihm und werde auch jetzt zu ihm gehen. Leben Sie wohl!"

Noch ehe Sie ihn halten konnte, war er fort. Die Nachricht hatte sie übrigens in der Weise überrascht, daß sie gar nicht daran dachte, ihn zu rufen. Sie sank auf ihren Sessel zurück und überließ sich den Gefühlen, welche diese unerwartete Nachricht in ihr wachgerufen hatte, bis sie durch nahende Schritte aus ihrem Nachdenken gerissen wurde. Es war die Kastellanin, welche kam.

"Kommen Sie schnell, sehr schnell herbei, Mutter Horn! Ich habe Ihnen etwas höchst Wichtiges mitzutheilen."

"Was denn, mein Kind?"

Sie bemerkte gar nicht, daß die Augen der Kastellanin noch die Spuren vergossener Thränen zeigten, und antwortete mit der allergrößten Lebhaftigkeit:

"Ich weiß nun, wer es war!"

"Wer denn?"

|193B "Der - - oh, Mutter Horn, ich habe eine Nachricht erhalten, eine so freudige Nachricht erhalten, daß ich mich gar nicht zu fassen vermag."

"Darf ich sie auch hören?"

"Das versteht sich. Rathen Sie einmal, wen ich entdeckt habe!"

"Kind, das rathe ich nicht."

"Nun, Einen, den Sie auch kennen."

Die Kastellanin erschrak auf das Lebhafteste.

"Doch nicht etwa den Bill Willmers!"

"O nein, den brauche ich ja gar nicht zu entdecken."

"Nun, wen denn?"

"Den Mann, der mich damals aus dem Nile gezogen und mir das Leben gerettet hat. Wissen Sie, ich habe Ihnen doch bereits diese Geschichte erzählt."

"Ja ja. Den haben Sie entdeckt? O, das ist ja wunderschön! Wer ist es denn?"

"So rathen Sie doch nur!"

"Es gibt auf der Erde viele Millionen Menschen. Wie kann ich also gerade den treffen, der es gewesen ist!"

"Allerdings, aber es ist ein Bekannter von Ihnen."

"Von mir?"

"Ja, ein sehr, sehr naher Bekannter."

"Etwa gar mein Mann? Aber der hat mir ja niemals erzählt, daß er am Nil gewesen ist!"

"Nein, der nicht. Aber beinahe ebenso nahe."

"Hm, ich treffe es nicht. Was ist er denn? Wenn ich das weiß, so errathe ich es vielleicht."

"Er ist Seemann."

"Seemann? Was für einer?"

"Norländischer."

"Matrose oder Offizier?"

"Kapitän."

"Kapitän? Vielleicht gar Fregattenkapitän?"

"Freilich!"

Da schlug die Kastellanin verwundert die Hände zusammen.

"Am Ende gar mein lieber junger Herr?"

"Ja dieser. Denken Sie sich, der, gerade der hat mir das Leben gerettet! Sein Vater ist ein Freund von Papa, und ich wohne hier in seinem Hause, ohne das Geringste davon nur zu wissen oder zu ahnen!"

"Merkwürdig! Auch ich habe nichts gewußt."

"Das versteht sich ja ganz von selber. Wenn ich nichts weiß, konnten Sie ja erst recht nichts wissen."

"O nein, das versteht sich nicht von selber. Mein junger Herr pflegt mir Alles zu erzählen, was ihm passirt, und er hätte mir wenigsten jetzt doch - - ach so, ich wollte Sie doch fragen, Kindchen, von wem Sie es erfahren haben."

"Das müssen Sie auch errathen."

"Ich errathe es nicht."

"Von unserem Matrosen?"

"Bill Willmers."

"Ah, von dem? Sehen Sie, Kindchen, daß ich Recht hatte, als ich Ihnen damals sagte, daß Sie es von ihm am ersten erfahren könnten! Erinnern Sie sich noch?"

"Von Bill? Nein, Sie sagten doch, daß es von Arthur von Sternburg vielleicht zu erfahren sei."

"Nun - ach ja!"

"Und denken Sie sich, dieser Bill ist damals bei dem Kapitän gewesen und hat Alles mit angesehen."

"Das glaube ich."

"Sie glauben es? Warum?"

"Nun - - er hat es Ihnen gesagt."

"Ach, so meinen Sie! Aber weiter konnte ich nicht das Geringste mehr erfahren."

"Warum?"

"Weil er fort ist. Wissen Sie es bereits?"

"Ja. Aber Sie konnten ihn doch vorher ausfragen!"

"Er ging so schnell fort, daß ich ihn gar nicht fragen konnte. Aber er kommt wieder wenn er nicht fällt, er hat es mir versprochen."

"Wenn er nicht fällt? Wo sollte er denn fallen?"

"Im Kampfe."

"Im Kampfe? Herrjesses, soll es denn Kampf geben?"

"Freilich, aber das ist noch Geheimniß, und Sie dürfen es bei Leibe nicht verrathen."

"O, ich verrathe nichts. Und da soll Bill Willmers mitkämpfen."

"Ja. Und Ihr Herr Kapitän auch. Er geht zu ihm."

|194A "Herrjesses, ist das eine Noth, ein Jammer, eine Sorge, ein Kummer und ein Elend!"

"Allerdings. Aber sehen Sie doch schnell einmal da hinunter nach unserer Yacht. Ich glaube gar, man hat den Anker gewunden."

"Ja, das sieht gerade so aus."

"Was muß denn der Arab-el-Bahr vorhaben? ich weiß doch nichts davon, daß ihm Vater befohlen hätte in See zu stechen."

"Wer ist denn der Mann, der da hinten steht?"

|194B "Auf dem Quarterdecke? Das ist, ja wirklich, das ist Bill Willmers! Man sieht es an seinen Bewegungen, daß er kommandirt. Aber er ist ja bloßer Matrose!"

"Kann ein Matrose keine Yacht kommandiren?"

"Nein, und die unsrige erst recht nicht."

"O, der wird es schon fertig bringen. Ich wußte, daß er nach der Yacht gegangen ist, denn er ließ seine Sachen hinunterschaffen."

|194C "Hat es Papa ihm denn befohlen?"

"Nein, der weiß ja noch gar nicht, daß Bill fortgeht."

"Nicht? Dann muß ich sehr schnell laufen, um es ihm zu sagen. Er wird noch gar nicht bemerkt haben, daß die Yacht in See gehen will. Kommen Sie, Mama Horn. Das ist ja ein ganz unerklärliches Ereigniß, welches ich ihm schleunigst mittheilen muß!" - -


Einführung "Scepter und Hammer"

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