(|194|)D Sechzehntes Kapitel.

Kampf und Sieg.

Einige Tage vor den letzt erzählten Ereignissen breitete ein stürmischer regnerischer Abend seine dunklen Schwingen über die Residenz von Süderland aus. Der Schein der Straßenlaternen vermochte kaum die Fluth der herabströmenden Tropfen zu durchdringen, und wer nicht durch Noth oder Pflicht gezwungen war |195A die Straße zu betreten, der blieb sicherlich daheim in seiner geschützten Wohnung.

Dennoch gab es einen der äußeren Stadttheile, in welchem ein aufmerksamer Beobachter verschiedene Gestalten bemerkt hätte, die hier und da schnell über das falbe Laternenlicht zu huschen versuchten. Wer ihnen gefolgt wäre, der hätte jedenfalls bemerkt, daß sie alle nach einem und demselben Ziele steuerten, nämlich einem in schönen Tagen sehr viel besuchten Vergnügungsorte, welcher, ungefähr eine halbe Stunde von der Residenz entfernt, in beinahe ländlicher Einsamkeit zwischen den Anfängen eines Laubwaldes verborgen lag.

Hatten sich diese Leute nur wegen des niederströmenden Regens so sorgfältig verhüllt, oder gab es noch einen andern Grund der sie veranlaßte, sich und ihre Gesichter so wenig wie möglich bemerken zu lassen? Kam es je vor, daß einer in schnellerem Schritte den andern überholte, so geschah dies ohne Wort und Gruß, trotzdem sie sichtlich einen und denselben Zweck verfolgten, welcher auch vornehme Personen herbeizuziehen schien, denn es rollten auch öfters Kutschwagen und sogar feine Equipagen die Straße entlang, und es war sonderbar, daß dieselben nicht ganz bis zum bereits angegebenen Ziele fuhren, sondern immer in einiger Entfernung von demselben halten blieben, bis die Insassen ausgestiegen waren und dann in schnellem Tempo wieder zurückkehrten.

Unter all den einzelnen Fußgängern hätte man nur ein einziges Mal Zwei bemerken können, welche sich beständig neben einander hielten. Der eine von ihnen war hoch und breitschultrig gebaut; der andere war von kleiner schmächtiger Figur. Wäre es Tag oder heller gewesen, so hätte man noch Folgendes bemerken können:

Der von einem dichten Haarwuchse bewaldete Kopf des Großen zeigte ein vom Wetter hart mitgenommenes Gesicht, dessen scharfes und offenes Auge mit den derben gutmüthigen Zügen sehr glücklich harmonirte. Dieser Kopf war bedeckt von einem Hute, der so alt war, daß man den Stoff, aus welchem man ihn gefertigt hatte, und die ursprüngliche Farbe nur nach einer eingehenden chemischen Untersuchung hätte bestimmen können. Er war in unzählige Knillen und Falten gedrückt, und weil sein Besitzer jedenfalls eine freie Stirn liebte, so hatte er denjenigen Theil der breiten Krämpe, welcher bestimmt ist das Gesicht zu beschatten, sehr einfach mit dem Messer abgeschnitten. Der Oberleib stak in einem kurzen, weiten, seegrünen Rocke, dessen Ärmel so kurz waren, daß man den vorderen Theil der sauber gewaschenen Hemdärmel sah, aus denen ein paar braune riesige Hände hervorblickten, die einem vorsündfluthlichen Riesengeschöpfe anzugehören schienen. Unter dem breit über den Rock geschlagenen sauberen Hemdkragen blickte ein roth und weiß gestreiftes Halstuch hervor, dessen Zipfel weit über die Brust herab bis auf den Saum der blau und orange karirten Weste hingen. Die Beine staken in hochgelben Nankinghosen, welche in fett getheerten Seemannsstiefeln verliefen, in die zur Noth ein zweijähriger Elephant hätte steigen können. Sein Gang schlug herüber und hinüber, von Backbord nach Steuerbord und von Steuerbord wieder nach Backbord, gerade wie bei einem lang befahrenen Matrosen, der während der Dauer von vielen Jahren den festen sichern Erdboden nicht unter den Füßen gehabt hat.

Das große Frauentuch, in welches er des Regens wegen seinen Oberkörper jetzt geschlagen hatte, hätte am Tage sicher gerechtes Aufsehen erregt, denn es zeigte alle möglichen Blumen und Arabesken, die in den hellsten und schreiendsten Farben des Regenbogens erglänzten.

Der Andere trug eine rothe phrygische Mütze, unter welcher ein rabenschwarzes Haar in langen Locken hervorquoll. Sein hageres Gesicht war außerordentlich scharf geschnitten und zeigte jenen eigenthümlichen orientalischen Typus, welchen man in dieser Ausprägung nur bei den Zigeunern zu sehen pflegt. Sein schwarzes unruhiges Auge wanderte scharf und ruhelos von einem Gegenstande zum andern, und jeder Zollbreit des Mannes zeigte jene Beweglichkeit und Rastlosigkeit, die dem wandernden Volke der Gitani eigenthümlich ist. Seine Kleidung war einfach, bequem und nicht so auffallend in Form und Farbe wie diejenige seines gigantischen Reisegefährten, doch trug sein schwankender Gang ganz dieselben Spuren einer zurückgelegten längeren Seereise.

Auch er hatte sich in ein Frauentuch gehüllt, welches durchweg dunkelroth gefärbt war. Der Seemann liebt einmal die hellen Farben.

Die Umschlagetücher schienen nur zum Schutze der Kleidung vorhanden zu sein, denn Beide trugen die Köpfe hoch wie beim schönsten Wetter und ließen sich den Regen mit aller Gemüthlichkeit in das Gesicht schlagen; er schien sie auch nicht im mindesten in ihrer Unterhaltung zu stören.

|195B Wer sie früher einmal gesehen hätte, wäre jetzt trotz des Dunkels sicher nicht an ihnen vorübergegangen, ohne Beide zu erkennen: den Bootsmann Karavey und den Steuermann Schubert, den Bruder des Obergesellen Thomas.

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter," meinte der Riese, "ist das hier eine Zucht und Unordnung!"

"Was?"

"Daß diese Wagen vorübersegeln, ohne zu fragen, ob es noch andere Kreaturen gibt, die auf Erden wandeln. Dieser letzte hätte mich beinahe über den Haufen gerissen, und ich bin mit Koth bespritzt von der Mastspitze an bis zum Kiele herab."

"Geht wieder weg!"

"Aber mein schönes neues Tuch! Das Wasser thut nichts, aber dieser Dreck. Wer soll morgen noch die Blumen und Guirlanden erkennen! Aber weiter mit Deiner Insel!"

"Gut also! Diese Höhle zu finden, macht mir keiner nach, und auch ich hätte sie nicht entdeckt, wenn mich nicht dieser Zufall hingeführt hätte."

"Aber warum nahmst Du nicht alle Steine und das ganze Gold mit fort?"

"Das hätte mir sehr verhängnißvoll werden können. Ich hatte mir nur einige Proben des Schatzes mitgenommen, als ich in meine Hütte zurückkehrte, und bereits am andern Morgen kam das Schiff in Sicht, welches mich nachher aufnahm. Konnte ich mehr holen? Die Leute wären mir gefolgt und hätten meinen Schatz ganz sicherlich entdeckt."

"Das ist wahr. Aber ist er denn wirklich so bedeutend?"

"Ich verstehe mich nicht darauf ihn abzuschätzen, aber nach dem, was ich für den einen Rubinen nur erhalten habe, der mir gewiß nicht hoch genug bezahlt worden ist, sind viele Millionen vorhanden."

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, da wollte ich doch gleich, daß ich auch einmal über diese Juweleninsel hinwegstolperte!"

"Sind wir hier zu Lande fertig, so fahren wir hin, Steuermann, und holen die Steine."

"Aber wenn Dir etwas passirt? Die Zeiten sind so, daß man seine Schiffsbücher sehr in Ordnung halten sollte."

"Ist bereits geschehen. Im Rücken meiner Weste sind einige Papiere eingenäht, die Alles enthalten, was zu wissen nothwendig ist. Sollte mir etwas passiren, so bist Du der Vollstrecker meines Testamentes. Auch Zarba weiß davon; sie hat die Abschriften in der Tannenschlucht versteckt."

"Still, Bootsmann, vom Testamente! Ich mag nichts erben und habe auch gar nicht gemeint, daß gerade Dich ein Unglück ansegeln soll. Aber dort guckt ein Licht zwischen den Bäumen heraus. Sollte da der Hafen sein, in den wir einlaufen müssen?"

"Jedenfalls, wenn die Beschreibung stimmt."

"Also wie heißt der Kerl, an den wir uns zu wenden haben?"

"Karl Goldschmidt."

"Und was für ein Wort müssen wir sagen?"

"Es sind zwei. Vor der äußeren Thür "Vergeltung" und vor der zweiten "Rache." Bei zwei Stichworten hat man eine größere Sicherheit als bei nur einem."

"Natürlich. Hier scheint der Weg abzuzweigen. Also hinüber nach Steuerbord!"

Sie kamen an ein Gebäude, welches eine sehr breite Fronte hatte. Dennoch war nur ein einziges Fenster erleuchtet, aber so scharf, daß die Strahlen des Lichtes weit hinaus auf die Straße fielen. Die Thür war verschlossen. Karavey klopfte an. Nach einigen Sekunden ließen sich Schritte hören, welche sich von innen der Thür näherten.

"Wer klopft?"

"Gäste."

"Weshalb?"

"Zur Vergeltung."

Der Riegel wurde geöffnet.

"Eintreten."

Es war vollständig finster im Flur, so daß sie die Person nicht erkennen konnten.

"Wohin?" frug Karavey.

"Ah, Ihr seid noch nicht dagewesen?"

"Nein."

"So!" klang es zurückhaltend. "Geradeaus trefft Ihr den Eingang."

Sie tasteten sich im Dunkel vorwärts, bis sie an eine Thür kamen; dort klopften sie wieder an.

"Wer ist da?" klang es von Innen.

"Gäste."

"Ihr wollt herein?"

"Ja."

|196A "Wozu?"

"Zur Rache."

"Kommt!"

Die Thür wurde aufgemacht, und sie traten in ein kleines Gemach, in welchem eine bedeutende Zahl abgelegter Röcke, Mäntel, Hüte und Schirme errathen ließ, daß sehr viele Leute vorhanden seien. Der Mann, welcher ihnen geöffnet hatte, betrachtete sie verwundert und beinahe mißtrauisch.

"Wer seid Ihr?"

Diese Frage schien nicht nach dem Geschmacke des Steuermanns zu sein.

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, sehen wir etwa aus wie Verräther und Spitzbuben! Wir haben die Parole, und damit basta! Wo ist die Versammlung?"

Während dieser Worte hatte er sein Umschlagetuch abgenommen, so daß der Thürhüter seine Gestalt und seinen Habitus sehr eingehend mustern konnte. Er lächelte.

"Alle Teufel, seid Ihr ein forscher Kerl! Ihr waret Beide noch nie hier, und da wird man wohl fragen können, wer Ihr seid. Es ist dies sogar meine Pflicht."

"Schön. Ich heiße Balduin Schubert und bin Steuermann auf Seiner Norländischen Majestät Kriegsschiffe Neptun; dieser Mann ist mein Freund, der Bootsmann Karavey."

"Schön. Ihr seid Freunde und könnt durch jene Thür eintreten, Vorher aber möchte ich Euch fragen, ob Euch irgend ein besonderer Umstand herführt."

"Werdet es wohl noch erfahren!"

Er warf sich das nasse Tuch über die eine Achsel und schritt zu der bezeichneten Thür. Der Bootsmann folgte. Sie traten in einen hell erleuchteten saalähnlichen Raum, dessen sämmtliche Fenster so dicht verhangen waren, daß sicherlich von außen kein Lichtstrahl zu bemerken war. Auf den vorhandenen Bänken und Stühlen saßen wohl mehrere hundert Personen, welche den verschiedensten Ständen anzugehören schienen. Sogar Offiziere waren vorhanden, wie man, obgleich sie Civil trugen, an ihrem Äußeren erkennen konnte. Im Hintergrunde war eine Rednertribüne errichtet, auf welcher ein junger Mann stand, der soeben einen Vortrag beendigt zu haben schien, dessen Wirkung eine außerordentliche war, denn alle Hände klatschten und alle Stimmen vereinigten sich zu einem rauschenden Beifallssturme.

Kellner liefen geschäftig hin und her, um die geheimnißvollen Gäste zu bedienen, und das war ein Anblick, bei welchem sich die Miene des Steuermannes sichtlich erheiterte.

"Komm, Bootsmann! Hier ist noch Platz. Heut ist Grogwetter. Nimmst Du einen mit?"

"Ja."

"Kellner!"

Der laute Ruf dieser Stimme war bei der nach dem Applaus eingetretenen Stille über den ganzen Raum hin zu vernehmen, und Aller Augen wandten sich den zwei Männern zu, deren Eintritt man gar nicht bemerkt hatte. Das Äußere derselben erregte auch hier eine bemerkbare Verwunderung.

Der Kellner erschien.

"Sie wünschen?"

"Zwei Grogs und Auskunft."

"Auskunft worüber?"

"Ist ein Mann zugegen, welcher Karl Goldschmidt heißt?"

"Ja. Es ist der Herr, welcher soeben gesprochen hat."

"Wir haben mit ihm zu reden."

"Mit ihm? Dem Präsidenten?"

"Ja. Schicken Sie ihn her!"

Der Literat Goldschmidt, ganz derselbe, welcher jenes unglückliche Rencontre mit dem wilden Prinzen gehabt hatte, war vom Podium gestiegen und kam, als ihm der Kellner den Wunsch der Beiden gemeldet hatte, herbei. Sein Gesicht war noch sehr bleich, ganz wie das eines Mannes, der erst vor Kurzem von einer schweren Krankheit genesen ist und sich noch nicht vollständig erholt hat. Er reichte den Beiden freundlich die Hand.

"Sie sind Eingeweihte?"

"Ja."

"Aber keine Führer, denn sonst müßte ich Sie kennen. Hier verkehren nicht gewöhnliche Mitglieder, sondern nur die Führer, und daher vermuthe ich, daß Sie Boten irgend eines Bruders sind."

"Boten sind wir allerdings," antwortete Karavey, "aber nicht von einem Bruder, sondern von einer Schwester."

"Von einer Schwester?" frug Goldschmidt freudig überrascht. "Wir haben nur eine einzige Schwester, und erwarten von ihr allerdings wichtige Botschaften."

|196B "Zarba?"

"Ja. Ihr kommt von ihr?"

"Von ihr. Ich habe diesen Brief an Sie abzugeben."

Goldschmidt nahm ihn in Empfang, öffnete und las ihn. Seine Augen leuchteten auf; er eilte davon und betrat die Tribüne.

"Meine Brüder. Soeben ist mir ein Schreiben unserer geheimnißvollen Anführerin zugegangen, welches unserem Warten ein Ende macht und uns zum schleunigsten Handeln auffordert. Die Truppenbewegungen an der Grenze haben nicht den Zweck der Übung, sondern sie bedeuten eine Invasion nach Norland. Der Aufstand dort ist bis in das Kleinste eingeleitet, und das geringste unvorhergesehene Ereigniß kann den Schneeflocken bewegen, welcher zur Lawine wird. Halten wir uns daher bereit. Die Erhebung unseres Nachbarvolkes ist eine künstlich vorbereitete, nicht eine aus gerechtfertigten Ursachen sich natürlich entwickelnde wie die unsrige. Der Herzog von Raumburg trachtet nach dem Throne; er will ihn auf dem Wege der Revolution beschreiten. Er wird Tausende um Freiheit, Glück und Leben bringen, ohne seinen Zweck zu erreichen, denn die Regierung kennt seine Umtriebe und wird ihn mit seiner eigenen Waffe schlagen. Die beiden unter dem Prinzen Hugo stehenden Armeekorps sind bestimmt, auf den ersten Ruf Raumburgs in Norland einzurücken und ihn zu unterstützen, während unser übriges Militär bereit steht, nachzufolgen. Wir sind klüger und vorsichtiger gewesen als dieser Herzog, der sein Volk dem angestammten Könige entfremdete, um selbst zum Herrscher und Tyrann zu werden. Kein Uneingeweihter ahnt, daß im Innern Süderlands selbst das Feuer glimmt, welches da drüben mit Gewalt angefacht werden soll. Wenn der König von Norland sein Ohr dem richtigen Rathe zuwendet und seinen Unterthanen eine Konstitution verheißt, so wird ihm Alles entgegenjubeln und der Aufstand wird zu einer ungeheuren Beifallsbewegung werden. Dann stehen unsere Truppen drüben isolirt und beschämt. Diesen Affront müssen wir benutzen und vorher Alles aufbieten, ihn hervorbringen zu helfen."

Lebhafte Beifallsrufe belohnten diese Worte. Er fuhr weiter fort:

"Dies geschieht am Besten dadurch, daß wir unser Militär degeneriren, jeden strategischen und taktischen Zusammenhang zerstören und ganz besonders unsere Marine zerstreuen. Wir wissen, daß sich binnen jetzt und wenigen Tagen eine Kriegsflotte in Tremona sammeln wird, um Süderhafen zu nehmen und die norländischen Küsten zu blockiren. Dies muß verhindert werden. Es sind Brüder unter uns, welche zu den höchsten Angestellten der Marine und des Kriegsministeriums gehören. Ihnen wird es leicht, alle Fäden zu zerreißen, welche Norland und uns gefährlich werden können. Erlauben Sie mir, diesen Brief vorzulesen und dann zur Berathung zu schreiten!"

Er las das Schreiben Zarbas vor, welches ungetheilten Beifall fand und alle mit Bewunderung über die Allwissenheit der Zigeunerin erfüllte. Dann bildeten sich einzelne Gruppen zur lebhaftesten Diskussion, um welche sich aber weder Karavey noch der Steuermann viel bekümmerten.

Nach einiger Zeit trat Goldschmidt zu ihnen heran.

"Sie sind Seemänner, wie es scheint?"

"Ja," antwortete Schubert. "Ich bin Steuermann, und dieser ist Bootsmann, alle beide Norländer. Sie kennen also unsere Zarba?"

"O, sehr!"

"Da muß ich Ihnen sagen, daß mein Kamerad ihr Bruder ist."

"Ah! Ists möglich?"

"Ja. Er hat eine ganz bedeutende Rechnung mit diesem Raumburg quitt zu machen."

"Da könnte ich Ihnen ja mein vollstes Vertrauen schenken?"

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, das können Sie!"

"Ist Ihre Zeit sehr kurz bemessen?"

"Wir haben Urlaub so lange wir wollen."

"Darf ich Ihnen eine ähnliche Botschaft anvertrauen, wie diejenige ist, welche Sie uns gebracht haben?"

"Versteht sich!"

"Es ist nicht nothwendig, Ihnen zu erklären, weshalb ich gerade Ihnen diesen wichtigen Auftrag ertheile. Waren Sie bereits einmal in Tremona?"

"Früher oft."

"Kennen Sie dort das Schloß des Fürsten von Sternburg?"

"Ja."

"Sein Sohn, der Fregattenkapitän Arthur von Sternburg wohnt jetzt dort. Er ist mein Freund, und an ihn sollen Sie einen Brief abgeben, der keinem andern Menschen in die Hände kommen darf. Kennen Sie ihn?"

"Habe ihn gesehen, aber nur von weitem."

"Also, wollen Sie?"

|197A "Versteht sich!"

"So kommen Sie morgen Mittags wieder hierher. Der Wirth, welcher Ihnen vorhin den zweiten Eingang öffnete, wird Ihnen das Schreiben geben. Sie leisten diesen Dienst nicht nur uns, sondern ganz vorzüglich auch Ihrer Schwester Zarba."

"Ist die Sache nachher eilig?"

"Innerhalb von drei Tagen muß der Kapitän das Schreiben erhalten haben."

"So brauchen wir also nicht mit allen Segeln und voller Dampfkraft zu steuern?"

"Nein. Wir haben Vorbereitungen zu treffen, welche in dem Augenblicke, an welchem Sie den Brief übergeben, beendet sein müssen." -

Zwei Tage später stiegen mit dem Mittagszuge die beiden Seeleute in Tremona aus. Der Weg nach Schloß Sternburg führte eine Strecke längs des Hafens hin. Der Steuermann blieb bei jedem Schiffe stehen, um es mit Kennermiene zu betrachten.

"Hm," meinte er. "Hier geht etwas vor."

"Was?"

"Siehst Du nicht, daß alle Kriegsfahrzeuge zum in die See stechen rüsten?"

"Hat nicht den Anschein."

"Heimlich, alter Junge, heimlich. Es gibt eine Expedition, von welcher Niemand etwas wissen soll und bei der die alten Karthaunen wohl ein wenig brummen werden."

"Scheint wahrhaftig so!"

"Bemerkst es auch?"

"Ja. Dort die alte Brigantine hat mitten im Theeren und Kalfatern aufgehalten und macht sich das neue laufende Zeug an die Raaen."

"Paß auf, heut Abend ist kein einziges dieser Fahrzeuge mehr im Hafen."

"Auch dort das kleine Ding scheint zum Aufbruche zu rüsten. Was für eine Art von Kahn oder Boot ist es denn eigentlich?"

"Hm, sonderbar! Die Masten zum Niederlegen; habe das bei einer Yacht noch gar nicht gesehen. Muß ein Privatschiff sein und gehört vielleicht einem Englishman, der eine gute Portion Spleen und einige andere Mucken hat."

"Wollen es einmal betrachten!"

Sie schritten näher, konnten aber Beide nicht recht klug werden.

"Komm," meinte Karavey. "Erst hinauf zum Schlosse, und dann stauen wir uns in irgend eine kleine Koje, wo es einen guten Schluck zu haben gibt."

Der Steuermann blickte zur Höhe empor.

"So schlagen wir gleich diesen Fußweg ein, der wie eine Strickleiter zum Schlosse führt. Komm!"

Sie stiegen denselben Weg empor, auf welchem soeben Arthur herniederkam.

"Stopp!" meinte Karavey. "Siehe Dir doch einmal den Maate an, der da herabgesegelt kommt. Kennst Du ihn?"

"Ah!"

"Bill Willmers."

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, es ist wahr!"

"Was thut der da oben?"

"Hm, da kommt mir ein Gedanke. Sagte ich Dir nicht, als wir ihn da droben im Gebirge zuerst sahen, daß er ganz wie der Kapitän Sternburg sieht?"

"Das ist wahr."

"Ich lasse mich kielholen, wenn er es nicht ist."

"Aber warum soll er denn als Matrose gehen?"

"Um sich ein Späßchen zu machen, wie es so vornehme Leute manchmal thun."

"Er war doch damals als Bedienter droben!"

"Thut nichts. So eine hübsche kleine Feluke, wie das Mädchen war, würde ich auch bedienen, und wenn ich ein König wäre."

"Was wird er sagen, wenn er uns sieht?"

"Das wirst Du bald hören. Komm!"

Er faßte Karavey beim Arme und zog ihn hinter ein Kirschengesträuch, welches am Wege stand. Arthur kam heran, ohne sie zu bemerken. Kaum war er vorüber, so meinte der Steuermann mit halblauter Stimme:

"Herr Kapitän!"

Sofort drehte sich der Gerufene um. Die Beiden traten hinter dem Busche hervor, der Bootsmann halb verlegen, der Steuermann aber mit einem höchst pfiffigen Gesichte, welches seinen ehrlichen gutmüthigen Zügen außerordentlich interessant stand.

|198A "Verzeihung! Wen segeln wir da an, den Matrosen Bill oder den Herrn Fregattenkapitän von Sternburg?"

"Warum?"

"Weil wir da hinauf wollen, um den Herrn Kapitän zu suchen."

"Was wollt Ihr bei ihm?"

"Einen Brief abgeben."

"Von wem?"

"Braucht nur er selbst zu wissen."

Arthur warf einen Blick um sich. Er hatte keine Veranlassung, seinen Namen jetzt noch zu verschweigen.

"Ich bin es."

"Wer?"

"Der Kapitän."

"Kannst Du - können Sie das beweisen?"

Arthur lächelte und zog ein Papier aus der Tasche.

"Lest dies!"

"Eine Depesche an "Herrn Fregattenkapitän Arthur von Sternburg." Das stimmt."

"Glaubt Ihr es nun?"

"Hm, könnte auch in falsche Hände gekommen sein!"

"Ihr seid sehr vorsichtig. Ist der Brief denn von gar so großer Wichtigkeit?"

"Sehr!"

"So kommt mit mir! Ich werde Euch beweisen, daß ich die Wahrheit gesagt habe."

Der Steuermann wollte seine Sorgfältigkeit denn doch nicht bis zur Beleidigung eines so hohen Offiziers treiben und frug:

"Haben Sie einen Freund in der Residenz, der Bücher schreibt?"

"Ja."

"Wie heißt er?"

"Karl Goldschmidt."

"Das stimmt! Und kennen Sie eine sehr geringe Frau, welche doch von Vielen Königin genannt wird?"

Arthur stutzte.

"Ja."

"Wie heißt sie?"

"Zarba."

"Auch das stimmt! Herr Kapitän, verzeihen Sie mir. Der |198B Brief enthält Dinge, die sehr gefährlich sind, und weil wir Sie als Diener und Matrose gesehen haben, mußten wir uns überzeugen. Bootsmann, heraus mit dem Schreiben!"

Karavey nahm seine phrygische Mütze vom Kopfe, zog das Futter auf und brachte den Brief zum Vorschein. Der Kapitän sah sich noch einmal um und erbrach ihn dann, um ihn zu lesen. Sein Gesicht klärte sich auf, und er steckte das Schreiben mit einer Miene der höchsten Befriedigung zu sich.

"Ihr seid Norländer?"

"Ja."

"Auf Urlaub?"

"Ohne Heuer."

"Du warst Steuermann?"

"Ja, und dieser hier Bootsmann auf dem Neptun. Ich bin der Bruder des Obergesellen beim Hofschmied Brandauer -"

"Ah, ists wahr?"

"Ja. Und dieser da ist der Bruder von Zarba."

"Nicht möglich!"

"Aufs Wort, Herr Kapitän!"

"Gut. Was werdet Ihr jetzt thun?"

"Hm! Wir haben bemerkt, daß man sich hier zum Absegeln rüstet. Jedenfalls giebt es für einen braven Steuermann volle Arbeit. Ich möchte nach Süderhafen, um mich nach einer Stelle umzuthun."

"Und Du?" frug er den Bootsmann. "Du bist wohl Deiner Schwester nöthig?"

"Nein. Ich gehe mit nach Süderhafen."

"Mit welcher Gelegenheit?"

"Müssen uns eine suchen."

"Ich gehe auch dorthin in See, und zwar sofort. Wollt Ihr mit?"

"Wirklich?"

"Freilich!"

"Danke, Herr Kapitän, wir gehen mit!"

"Habt Ihr Gepäck mit?"

"Nein."

"So kommt gleich mit an Bord."

Er nahm zwischen ihnen Platz und führte sie nach der Yacht. Sein Vater, welcher einen andern Weg eingeschlagen hatte, schritt |199A eben über die Laufplanke. Der Arab-el-Bahr stand zum Empfange bereit.

"Du kennst mich noch?" frug der Fürst.

"Ja, Effendi!"

"Du weißt, daß Dein Herr mir die Yacht anvertraut?"

"Befiehl, und ich werde gehorchen."

"Hast Du den verborgenen Kessel geheizt?"

"Es ist Alles bereit. Ich kannte Deine Diener und habe gethan, was Du mir gebotest."

"Wir stechen sofort in See. Dieser Mann ist mein Sohn. Er wird das Kommando übernehmen."

In wenigen Minuten legte sich die Prise in die aufgenommenen Segel der Yacht, und der schlanke Leib derselben strebte erst langsam und dann in immer schnellerer Fahrt dem offenen Meere zu.

Arthur stand auf dem Quarterdecke und ließ sich das Fernrohr bringen. Er richtete es nach Schloß Sternburg hinauf. Dort auf dem hohen Altane stand der Kapudan-Pascha mit seiner Tochter. Der erstere hatte auch ein Fernrohr in der Hand, mit welchem er die Yacht zu finden suchte.

"Vater, her zu mir!" bat der Kapitän.

"Was ists?"

"Der Pascha hat bemerkt, daß sein Schiff in See geht. Hänge Dich hier an die Wanten und winke mit dem Tuche, damit er Dich erkennt."

"Du meinst um zu vermeiden, daß er uns verfolgen läßt?"

"Allerdings. Wenn er nicht erfährt, wer es ist, der ihm sein Schiff entführt, so gibt es eine Jagd."

"Werden uns nicht einholen."

"Das wohl, aber es ist besser wir vermeiden alles Aufsehen."

Der Fürst stieg auf die Wantensprossen, hielt sich mit der Linken fest und ließ mit der Rechten sein weißes Tuch wehen. Der Pascha mußte ihn erkannt haben, denn auch in seiner Hand schimmerte ein Tuch, und nun wußte Arthur, daß der Pascha nicht ganz unzufrieden mit der Art und Weise sei, in welcher es seinem Freunde geglückt war, zu entkommen.

Der Fürst stieg wieder herab und nahm neben seinem Sohne Platz.

"Wie kommst Du zu den beiden Männern, welche mit Dir an Bord kamen?"

"Du frugst mich in einem Deiner letzten Briefe nach der Zigeunerin Zarba?"

"Allerdings. Kennst Du ihren jetzigen Aufenthaltsort oder hast Du irgend ein Lebenszeichen von ihr?"

"Der Kleine dort ist ihr Bruder."

"Ah, ein Seemann?"

"Bootsmann. Und der Andere ist der Bruder eines Obergesellen beim Hofschmied Brandauer."

"Alle Wetter, so stehen sie jedenfalls unsern Absichten nicht sehr fern!"

"Nein. Sie haben mir einen Brief von Goldschmidt gebracht."

"Deinem Freunde?"

"Demselben. Du wirst erstaunen. In Süderland gibt es eine mächtige Agitation gegen die Regierung und die Politik des Herzogs von Raumburg. Zu ihr zählen die einflußreichsten Beamten des Königs, und ihre Sache ist so weit gediehen, daß sie vollständig schlagfertig sind. Die süderländische Flotte soll sich in Tremona sammeln; die geheime Verbrüderung aber hat durch einen der Ihrigen, der ein hoher Angestellter des Marineministeriums ist, einen Befehl ausfertigen lassen, in Folge dessen sämmtliche Fahrzeuge in ferne Meere stationirt werden und die Flotte also zerstreut und unschädlich wird. Das hat mir der Brief gesagt. Hier, lies ihn! Ich habe dort im Hafen bemerkt, daß man bereits zur Abfahrt rüstet. Und ehe der Pascha sein Kommando faktisch übernimmt, sind alle Schiffe fort."

"Das wäre wahrhaftig ein Streich, den wir uns nicht besser wünschen könnten!"

"Er wird ausgeführt; darauf können wir uns verlassen. Ich kenne meinen Goldschmidt. Der "tolle Prinz" hat ihm seine Braut abspenstig und unglücklich gemacht und ihm dazu den Degen in die Brust gerannt, so daß sein Leben an einem einzigen Haare hing. Er haßt ihn aus dem tiefsten Herzen und hat aus Rache jene Verbindung in das Leben gerufen, welche zwar nicht den Thron stürzen aber doch wenigstens Zustände schaffen will, welche auf menschlicher und rechtlicher Grundlage errichtet sind."

"Bist Du Mitglied?"

"Nein. Dazu hatte ich als Ausländer keine Veranlassung. Aber in Fühlung mit dem Leiter der Bewegung habe ich mich erhalten, und Du siehst, welchen Nutzen es mir gebracht hat. Wenn in Süderhafen eine genügende Flottille zusammengebracht und ich |199B den Oberbefehl über dieselbe erhalten könnte, so würde ich Tremona nehmen, und es könnte im Herzen des Feindes ein Heer gelandet werden, welches nicht nur nach alter guter Regel den Kampf auf das Gebiet des Gegners verlegte, sondern unserm Könige die Macht verlieh, einen sofortigen Frieden zu diktiren."

"Habe ich Gelegenheit mit der Majestät zu sprechen so erhältst Du diesen Oberbefehl; darauf gebe ich Dir mein Wort."

Während dieses Gespräches hatte die Yacht den Hafen hinter sich genommen und die offene See erreicht, so daß sie von der Küstenhöhe aus gar nicht mehr bemerkt werden konnte. Sie steuerte nach Norden zu und ihr Gang war, da Arthur die verborgene Dampfkraft spielen ließ, von solcher Schnelligkeit, daß sie außer dem berühmten "Tiger" des "schwarzen Kapitäns" sicher jedes Schiff überholt hätte, welches auf eine Wettfahrt mit ihr eingegangen wäre. - -

Der Tag nach der Gefangennahme der beiden Raumburgs war vergangen. Die andern Arrestanten waren auf eine solche Weise in Sicherheit gebracht worden, daß kein Mensch, nicht einmal die Ihrigen, gemerkt hatten, was eigentlich vorging. Der König hatte eine ganze Menge treuer Männer heimlich in seinen geheimsten Gemächern versammelt, welche unter seiner und Maxens Leitung die riesigen Arbeiten zu bewältigen suchten, welche von der Gegenwart geboten waren.

Es war Nacht geworden, und man meldete dem Könige zwei Männer, welche um eine Audienz bäten.

"Wer ist es?"

"Sie wollen ihre Namen Ew. Majestät selbst nennen."

"Welches Aussehen haben sie? Zu so später Stunde bittet man nur wegen einer ungewöhnlichen Veranlassung um eine Audienz."

"Es scheinen Männer gewöhnlichen Standes zu sein. Sie haben dichte lange Vollbärte und tragen die Kleidung von ordinären Arbeitern."

"Laß sie ein! Max!"

Der Gerufene trat aus dem Nebenzimmer.

"Zwei Männer bitten unter Verschweigung ihrer Namen um eine Audienz. Ich rufe Dich zu meiner Sicherheit."

Die Betreffenden traten ein. Ihre Verbeugung war nicht diejenige eines Arbeiters.

"Was wünschen Sie?" frug der König.

"Zunächst eine Unterredung mit dem Herrn Doktor Brandauer. Wir sind von ihm gerufen worden und hörten in seiner Wohnung, daß er sich hier bei Ew. Majestät befinde."

"Wer sind Sie?" frug Max. "Ich kenne Sie nicht und weiß auch nichts davon, daß ich zwei Fremde zu mir bestellt habe."

"Du kennst uns," antwortete der Jüngere, "und hast uns wirklich gerufen, und zwar telegraphisch sogar."

Er nahm Bart und Perücke ab, und sein Begleiter that dasselbe.

"Arthur!" rief Max, und

"Sternburg!" rief der König.

Beide eilten auf die Genannten zu, um sie herzlich zu begrüßen.

"Ihr kommt zur rechten Zeit und schneller als wir dachten. Aber in dieser Verkleidung?"

"Wir kannten den Stand der Dinge nicht," antwortete der Fürst, "und hielten es für gerathen unsere Ankunft keinen Menschen wissen zu lassen."

"Vortrefflich!" stimmte der König bei. "Die Details werdet Ihr kurz vernehmen, da uns keine Zeit zu längeren Auseinandersetzungen bleibt. Kapitän, Sie befanden sich längere Zeit in Tremona. Kennen Sie die Befestigungswerke dieses Hafens genau?"

"Ganz genau. Ich habe mir sogar einen sehr genauen Plan derselben ausgearbeitet."

"Brav! Ich höre, die süderländische Flotte hat gegenwärtig dort ein bedrohliches Rendez-vous?"

"Allerdings sollte sie es haben. In diesem Augenblicke aber befindet sich kein einziges Kriegsschiff mehr dort vor Anker."

"Ah! So segeln sie bereits gegen uns?"

"Nein. Die Flotte wurde zerstreut."

"Zerstreut? In wiefern?"

Arthur erklärte ihm die Umstände.

"Ausgezeichnet!" rief der Monarch erfreut. "Getrauen Sie sich einen Coup auf Tremona?"

"Wenn Majestät mir die dazu nöthigen Fahrzeuge anvertrauen, ja."

"Wir haben bereits die darauf bezüglichen Vorkehrungen getroffen. Der Herzog, welcher bereits eingezogen ist, beabsichtigte, unsere Marineschiffe so zu zerstreuen, wie es jene Verbrüderung mit den Süderländischen gethan hat; aber glücklicher Weise fand ich |200A noch Zeit, diesen Streich unschädlich zu machen. Wie lange Zeit brauchen Sie, um nach Insel Bartholome zu kommen?"

"Wenn ich sofort Extrazug nehme, bin ich in zwei Stunden in Süderhafen, und meine Yacht wird mich von da aus in sechs Stunden nach der Insel bringen."

"Ihre Yacht? Das muß ja ein ganz vortreffliches Fahrzeug sein."

"Das ist sie auch. Darf ich fragen, warum Majestät mich nach jener Insel dirigiren?"

"Weil dort der Sammelplatz unserer Flotte ist. Ich habe mich entschlossen, Ihnen nicht nur die Expedition gegen Tremona, sondern sogar den Oberbefehl über meine sämmtliche Marine anzuvertrauen. Die nöthigen Instruktionen werden Sie augenblicklich im Nebenzimmer erhalten."

"Danke, Majestät!"

"Sie sind zwar noch jung, aber Sie sind zugleich der Einzige, den ich für befähigt halte, es mit dem berühmten Nurwan-Pascha aufzunehmen. Eben jetzt sind meine Transportschiffe beschäftigt, an verschiedenen Küstenpunkten Truppen unter dem Schutze der Nacht aufzunehmen, welche zur Landung in Tremona bestimmt sind. Auf Bartholome werden Sie General Helbig finden, welcher sie kommandiren soll. Wir haben diese Insel gewählt, weil sie außer dem gewöhnlichen Kurse liegt und unser Vorhaben also nicht sofort entdeckt werden kann. Du, Sternburg, übernimmst die Leitung meiner kriegerischen Evolutionen im Lande selbst."

"Gern, Majestät, und ich hoffe es zu erreichen, daß mein König mit mir zufrieden ist."

"So kommt herein!"

Sie traten in das Nebenkabinet, welches gegenwärtig als Hauptarbeitsbureau diente.

Bereits nach einer Viertelstunde wurde es von dem Kapitän und nach eben derselben Zeit auch von seinem Vater wieder verlassen. Dann dauerte es eine Weile, bis Max auch erschien und gleichfalls fortging.

Sein Weg führte ihn nicht nach Hause, sondern hinaus vor die Stadt in die Richtung der Klosterruine. Zwar war der Major von Wallroth bestimmt gewesen, die Verschworenen gefangen zu nehmen, da er aber dann den Auftrag erhalten hatte, Zarba die erbetenen Geschütze zuzuführen, so hatte Max, trotzdem er ganz außerordentlich mit anderen Arbeiten beschäftigt war, es unternommen, diese hochwichtige Arretur zu leiten.

Er ging nicht direkt zur Ruine, sondern schlug, als er die Stadt hinter sich hatte, einen Weg ein, welcher nach einem seitwärts liegenden Walde führte. Kaum war er in denselben eingetreten, so hörte er das Knacken eines Gewehrhahnes.

"Werda!"

"Ein Freund. Bringen Sie mich zu Ihrem Kommandeur."

"Folgen Sie!"

Max wurde etwas tiefer zwischen die Bäume gebracht, wo sich die Offiziere der hier postirten Truppen befanden.

"Hier ist ein Mann, der nach dem Herrn Major verlangt," meldete der Posten.

"Wer sind Sie?" frug der Genannte.

"Brandauer."

"Ah, der Herr Doktor! Ist es an der Zeit?"

"Wohl noch nicht ganz. Haben Sie das Terrain gehörig rekognoscirt?"

"Ja."

"Die andern Herren auch?"

"Ja."

"Und was haben Sie beschlossen?"

"Ich beschloß, Ihren Befehl abzuwarten."

"Schön! Die Zeit ist nahe, in welcher die Leute kommen werden. Natürlich fangen wir sie nicht bei ihrer Ankunft ab, sondern wir gehen sicherer, wenn wir sie die Ruine unangefochten betreten lassen."

"Auch meine Ansicht."

"Sie geben mir einige zuverlässige Leute mit, in deren Begleitung ich die Versammlung beobachte. Im geeigneten Augenblicke lasse ich Sie benachrichtigen, worauf Sie die Ruine einschließen. Sind Sie stark genug, wenn wir bewaffneten Widerstand finden?"

"Ich denke es. Wir haben nur einen Angriff zu befürchten, wenn er sich in Masse nach einem einzigen Punkte richtete."

"Sie werden Ihre Leute so postiren, daß sie in diesem Falle augenblicklich an die bedrohte Stelle gezogen werden können."

"Dann entblößen wir andere Punkte und ermöglichen das Durchbrechen Einzelner."

"Sollte es keine Vorkehrung geben, dies zu verhüten?"

|200B "Wir müßten einen doppelten Kordon ziehen, dessen äußere Glieder halten bleiben, wenn die inneren zusammengezogen werden."

"Ich stimme Ihnen bei. Sie haben scharf geladen?"

"Ja."

"Wer Widerstand leistet, wird einfach getödtet. Aber bitte, gebrauchen Sie nur im Nothfalle die Schußwaffen. Wir müssen jeden Lärm zu vermeiden suchen. Sollte es je Einem gelingen durchzubrechen, so folgen ihm die beiden Leute, zwischen denen er entkommt, sofort auf dem Fuße und versuchen, ihn entweder festzuhalten oder, wenn dies nicht gelingt, zu tödten, während die anderen Glieder die Kette gleich wieder schließen. In einer Stunde kommt der Mond, dessen Licht uns von großem Nutzen sein wird. Also einige Männer, Herr Major!"

"Wie viele?"

"Nur zwei, die ich, um allen Eventualitäten zu begegnen, Ihnen als Boten zurücksenden werde. Sie lassen die Gewehre einstweilen hier."

Er verließ, gefolgt von den Soldaten, den Wald und ging vorsichtig der Ruine zu. Er erreichte unbemerkt den Aufgang und postirte sich an derselben Stelle hinter die Büsche, an welcher er den Prediger gefangen hatte. Nach oben verklingende Schritte sagten ihm, daß bereits einer oder einige von den Erwarteten eingetroffen seien.

Es kamen bald Mehrere, und als eine Stunde vergangen war, durfte er sich, da er sie gezählt hatte, sagen, daß die durch ihn Bestellten nun alle beisammen seien. Der Brunnen war natürlich zu klein, um sie alle zu fassen, die Versammlung befand sich also im Freien zwischen dem Gemäuer der Ruine. Er schickte jetzt die beiden Soldaten zurück und wartete.

Nach kaum zehn Minuten kehrte der Eine wieder und brachte den Major mit.

"Fertig?" frug Max.

"Fertig!"

"Ich habe noch nicht gefragt, ob Sie mit dem nöthigen Fesselzeug versehen sind."

"Jeder Mann hat zwei Stricke bei sich."

"Gut. Nun mögen Sie kommen!"

Aber sie kamen noch nicht. Sie meinten sich von dem Abbé bestellt und warteten auf diesen. Endlich mußte ihnen doch die Zeit zu lange geworden sein, denn es kamen Zwei den Berg herab, jedenfalls um dem Jesuiten entgegen zu gehen und ihn zur Eile zu ermahnen.

"Habt Acht!" kommandirte der Major hinter sich. "Mund zugehalten und sofort knebeln und fesseln!"

Die Männer gingen vorüber. Einige Augenblicke später vernahm Max einen unterdrückten ängstlichen Seufzer; dann war es still.

"Fertig?" frug der Major.

"Fertig!" tönte die Antwort.

"So hübsch ruhig sollte es vom ersten bis zum letzten gehen," meinte der Offizier.

"Das wäre vielleicht zu ermöglichen, wenn man es wagen wollte hinaufzugehen."

"Um Gottes willen! Das hieße ja dem Tiger zwischen die Zähne laufen!"

"Nicht ganz. Ich bin im Besitze eines Talismans, welcher mir wohl Schutz gewähren würde. Ja, vielleicht geht es doch. Ziehen Sie hier einige Leute mehr zusammen!"

"Sie wollten wirklich - -?"

"Ja, ich will. Ich werde dafür sorgen, daß die Leute alle einzeln herunterkommen, Einer immer fünfzig bis sechzig Schritte hinter dem Andern. Sie hätten dann dafür zu sorgen, daß die Überrumpelung sofort und lautlos geschähe. Während der Eine gefesselt und fortgeschafft wird, müssen bereits wieder Leute zum Empfange des Nachfolgenden bereit sein. Die Wagen zum Transporte der Gefangenen werden eintreffen?"

"In einer halben Stunde. Sie sind an den Wald bestellt."

"Mit der nöthigen Vorsicht?"

"Keiner der Fuhrleute weiß, um was es sich handelt."

"Gut. Ich gehe und werde in einigen Minuten wieder bei Ihnen sein."

"Aber wenn Sie nicht kommen, stürme ich das Nest."

"Sie würden nur dann vorgehen, wenn Sie einen Schuß vernähmen. Dann bin ich in Gefahr."

Er stieg den Berg hinan. Droben, wo der Weg auf das Plateau mündete, wurde er angefragt:

"Woher?"

"Aus dem Kampfe."

"Wohin?"

|201A "Zum Siege."

"Wodurch?"

"Durch die Lehre Loyolas."

"Der Bruder kann passiren."

Er trat vor und gewahrte beim falben Scheine des aufgehenden Mondes die Versammlung, deren Glieder sich theils im weichen Gras gelagert hatten, theils zwischen dem Gemäuer hin- und hergingen, um einander aufzusuchen, oder auch in einzelnen Gruppen leise plaudernd bei einander standen. Man sah ihn kommen, und Einige traten ihm entgegen.

"Ein Bruder?"

"Ja."

"Woher?"

"Von unserem Meister."

"Ah! Warum kommt er noch nicht?"

"Er hatte wichtige Abhaltung und sandte mich herbei, dies zu melden."

"Er hat nicht einmal einen Posten gestellt."

"Er brauchte den Mann selbst und wußte ja, daß der Erste von Ihnen diesen Platz übernehmen würde."

"Dies ist auch geschehen. Er kommt also nicht selbst?"

"Hierher nicht. Bitte, lassen Sie die Herren eine solche Aufstellung nehmen, daß sie mich alle hören können!"

Dies geschah. Die Versammlung bildete einen Halbkreis, in dessen Mitte Max stand.

"Meine Brüder," begann er, "Sie sind telegraphisch zusammenberufen worden um zu vernehmen, daß Umstände eingetreten sind, welche es nöthig machen, den bereits erhobenen Hammer endlich und schleunigst fallen zu lassen - - -"

"Bravo!" wurde er von einer Stimme unterbrochen und

"Bravo!" fielen die Übrigen in unterdrücktem Tone ein.

Max fuhr fort:

"Es freut mich, diesen Ruf zu vernehmen, denn er versichert mich Ihrer ungetheilten und frohen Zustimmung. Der Mann, den Sie alle kennen, und den ich heute noch Penentrier nennen will, beabsichtigt eine große Generalberathung, bei welcher ein Jeder seine Rolle überkommen wird. Er wollte diese Berathung hier in der Ihnen bekannten Ruine abhalten und wäre schon längst hier erschienen, wenn nicht Umstände eingetreten wären, die ihm dies unmöglich machten. Der Zweck der heutigen Versammlung bringt es mit sich, daß wichtige schriftliche Arbeiten vorgenommen werden, wozu ein erleuchtetes Lokal erforderlich ist. Da Sie nun hier vereinigt sind, so ladet Sie Herr Penentrier ein, nach dem Saale des Tivoli zu kommen. Das Haus liegt hier an der Straße; Sie Alle kennen es; der Wirth ist ein verschwiegener Mann, und es ist in jeder Beziehung dafür gesorgt, daß wir dort nicht gesehen und überrascht werden können."

"Ist der Herr Abbé bereits dort?" frug einer.

"Natürlich! Er läßt Sie ersuchen, die Ruine einzeln zu verlassen, so daß immer der Eine zwischen sich und dem Andern eine Entfernung von fünfzig bis sechzig Schritten hält. Diese Maßregel ist unbedingt nöthig. Die Herren vom Militär werden ersucht, jetzt einmal vorzutreten!"

Die Aufgeforderten traten zwischen den Civilisten heraus.

"Ich weiß aus der Liste, daß Sie ihrer achtzehn sind, und ich sehe, daß Keiner fehlt. Ihnen habe ich die besondere Bitte auszusprechen, daß Sie sich nicht nach dem Tivoli begeben, sondern hier zurückbleiben sollen. Sie steigen hinab in den Brunnen, wo Seine Durchlaucht, dessen Namen ich nicht nenne, Sie aufsuchen und Ihnen seine strategischen und taktischen Weisungen übergeben wird. Darf ich ihm melden, daß Sie bereit sind?"

"Ja."

"So bin ich fertig. Also bitte, ja gehörig Distanz zu halten. Adieu für jetzt. Wir sehen uns nachher wieder!"

Er ging und stieg den Weg hinab.

"Werda?" klang es unten leise.

"Ich!"

"Ah, Herr Doktor, Gott sei Dank! Ist das Wagestück gelungen?"

"Vollständig. Die Leute vom Militär, welche am meisten zu fürchten und jedenfalls bewaffnet sind, habe ich unschädlich gemacht. Sie bleiben oben im Brunnen, wo sie uns sicher sind."

"Prächtig! Und die Andern?"

"Kommen einzeln und in dem erwähnten Abstande. Sind Ihre Vorbereitungen getroffen?"

"Der Empfang ist so organisirt, daß die Herren mit der Genauigkeit einer Maschine bearbeitet werden."

"Da kommt der Erste!"

Die Gestalt desselben kam langsam den Weg daher, ging vorüber und verschwand. Kein Laut ließ sich vernehmen. Der |201B Zweite, der Dritte, der Fünfte, der Zehnte, sie alle kamen, gingen vorüber und verschwanden mit derselben Lautlosigkeit. Es wurde Max doch ein wenig bange.

"Werden sie denn wirklich festgenommen, Herr Major?" frug er seinen Nachbar.

"Natürlich."

"Dann arbeitet Ihre Maschine allerdings unvergleichlich!"

"Nicht wahr? Ja, meine Jungens sind gut; aber es stehen auch ihrer sechs gegen jeden der Verschwörer; da können sie auch etwas leisten."

Nur ein einziges Mal ließ sich ein nicht ganz unterdrückter Schrei vernehmen, aber er war nicht so laut, daß er auf sechzig Schritte Entfernung gehört werden konnte.

Endlich war außer dem Posten der Letzte vorüber.

"Alle?" frug der Major.

"Ja. Nur der Wachtposten steht noch oben. Sind Sie überzeugt, daß bei Ihren Leuten Alles in Ordnung ist?"

"Ja. Im Gegenfalle hätte man mir Meldung gemacht."

"Geben Sie mir einen Offizier und zehn Soldaten mit."

"Hinauf?"

"Ja."

"Ich gehe selbst mit."

"Würde nicht gerathen sein. Ihre Gegenwart scheint mir hier dringender nothwendig als dort oben."

"Wie Sie wollen!"

Er ging einige Schritte rückwärts und ertheilte eine Weisung. Gleich darauf kam ein Lieutenant herbei, welchem zehn Mann Soldaten folgten.

"Herr Oberlieutenant, Sie halten sich an meiner Seite. Ihre Leute legen die Gewehre ab; sie sollen mir nur helfen, einen Brunnen zuzudecken."

Er stieg mit dem Offizier empor. Droben klang ihm die Parole wieder entgegen. Er gab die bekannte Antwort.

"Kommt Durchlaucht bald?" frug der Posten. "Ich muß doch auch nach dem Tivoli."

"Hier ist doch Durchlaucht!" antwortete Max, auf den in einen Capot gekleideten Lieutenant deutend. "Sie können gehen, denn ich werde die Wache übernehmen."

Er trat auf ihn zu.

"Sind die Herren bereits im Brunnen?"

"Ja, Alle."

"So können wir ja zugreifen!"

Bei diesen Worten faßte er ihn mit der Linken bei der Gurgel und gab ihm mit der rechten Faust einen Schlag an die Schläfe, daß er zusammenbrach.

"Binden und knebeln Sie ihn!" gebot er den hinterher kommenden Soldaten.

Dies geschah in kurzer Zeit; dann folgten sie ihm mit leisen Schritten nach dem Brunnen. Der Strick hing in denselben hinab. Max zog ihn empor.

"So, jetzt sind sie unser, denn sie können nicht herauf. Zu noch besserer Sicherheit jedoch wollen wir die Öffnung so zudecken, daß es ihnen ganz unmöglich wird zu entkommen. Hier liegen Steine. Greifen Sie zu!"

Einige Platten ähnliche Steine wurden auf den Brunnenmund gelegt; auf diese kamen noch andere, bis eine förmliche Pyramide entstand, welche man von innen unmöglich beseitigen konnte. Die Herren vom Militär, unter denen sich sogar Generale befanden, waren gefangen, ohne Gegenwehr leisten zu können. -

Während dies in der unmittelbaren Nähe der Residenz geschah, ging in größerer Entfernung etwas Anderes vor, dessen sich weder der König noch Max Brandauer versehen hätten.

In der Irrenanstalt saß der Schließer mit seinem Weibe beim Abendbrod; aber es schien, als ob sie sich mehr mit ihren Gedanken als mit dem Essen beschäftigten.

"Weißt Du es auch wirklich ganz genau?" frug sie.

"Ganz und gar."

"Schrecklich!"

"Ja, schrecklich. Ein Herzog in der Zwangsjacke!"

"Ohne daß man etwas sagen darf!"

"Er gab stets ein gutes Trinkgeld!"

"Dieser Brandauer aber gar nichts!"

"Und der König auch nicht!"

"Er würde viel, sehr viel geben, wenn er frei sein könnte."

"Natürlich!"

"Wir sind arm."

"Trotzdem ich so lange im Dienste bin. Zwanzig Jahre bereits spielen wir in der Lotterie, ohne jemals einen Pfennig gewonnen zu haben. Wer kein Glück haben soll!"

|202A "Es hat jeder Mensch einmal oder auch öfters Glück. Die Hauptsache aber ist, daß man es erkennt und sofort zugreift."

"Wo hätte ich denn zugreifen sollen?"

"Früher nicht, aber jetzt, heut!"

"Wenn und wo?"

"Dummrian!"

|202B "Pah! Ich verstehe Dich schon. Aber die Sache ist halsbrecherisch."

"Gar nicht. Du hast die Schlüssel."

"Das ist wahr. Ich kann überall hin."

"Na, also! Wie lange wird es dauern, kommt der Wärter des ersten Korridors und läßt sich zum Abendbrod ablösen. Da |202C könntest Du den Handel abmachen. Es kommt kein Mensch dazu."

"Man kann nicht wissen. Es ist in letzter Zeit so viel Ungewöhnliches passirt, daß man niemals sicher sein kann. Die beiden Ärzte sind stets auf den Beinen."

"Ich werde Wache stehen und Dich warnen, sobald ich etwas sehe."

"Das ginge. Wie viel soll ich verlangen?"

|202D "Fünftausend Thaler."

"Fünftausend? Bist Du gescheidt!"

"Weniger gar nicht."

"Auch noch weniger? Fällt mir gar nicht ein! Ich muß, wenn ich so etwas thue, gleich so viel bekommen, daß ich gemächlich von den Zinsen leben kann."

"Nun?"

"Zwanzigtausend."

|203A "O, das ist zuviel!"

"Nein. Der Herzog wird schon Ja sagen. Er ist unermeßlich reich und gibt gewiß lieber eine solche Summe, als daß er sich verrückt machen oder zu Tode martern läßt."

"So versuche es!"

"Aber die Gefahr!"

"Ich sehe keine. Wer will beweisen, daß Du es bist, der sie befreit hat?"

"Ich müßte ihnen die Seitenpforte öffnen und Alles so einrichten, daß auf mich kein Verdacht fallen kann."

"Natürlich."

"Wie aber will mich der Herzog bezahlen?"

"Das müßt Ihr besprechen."

"Will mir die Sache überlegen!"

Er lehnte sich zurück und grübelte über den verwegenen Plan nach, bis der vorhin erwähnte Wärter erschien.

"Schließer, nehmen Sie meinen Korridor auf ein halbes Stündchen!"

"Gut!"

Er stieg die Treppe empor. Als er sich überzeugt hatte, daß der Wärter sich entfernt habe und seine Frau auf ihrem Posten stehe, öffnete er die Zelle Nummer Eins, trat ein und löste die Riemen von dem Zwangsstuhle des Herzogs.

"Durchlaucht!"

Ein gurgelnder Laut war die Antwort.

"Durchlaucht!"

"Ah!"

"Kommen Sie zur Besinnung!"

Die Augen des Herzogs erhielten Ausdruck und Leben. Er war nicht barbarisch eingeschnallt gewesen, aber die Ungewohntheit der Lage hatte ihn fürchterlich ermattet.

"Wer - was ist?" frug er.

"Ich bin es, der Schließer."

"Ah, Du! Was willst Du?"

"Sie retten!"

Mit einem Sprunge stand der Herzog auf den Beinen. Das eine Wort "retten" hatte ihn zur vollständigen Besinnung gebracht. "Du willst? Wenn?"

"Heut in der Nacht."

"Ists wahr?"

"Es ist mein Ernst! Sie waren mir stets ein so guter und freigebiger Herr, daß ich es versuchen will, Sie zu befreien."

"Mensch, wenn Du die Wahrheit sagst, so werde ich Dich wahrhaftig königlich belohnen. Sage mir, wie viel Du verlangst!"

"Was wollen Durchlaucht geben?"

"Fünfundzwanzigtausend Thaler für mich, und noch zehntausend für diesen da, noch heut auf das Brett gezählt!"

"Ists wahr, gnädiger Herr?" frug der Schließer, freudig erschreckt von der Höhe dieser Ziffern.

"Ich gebe Dir mein heiliges Wort!"

"Wo und wie werde ich das Geld erhalten?"

"Baar in meinem Palais."

"In der Residenz?"

"Ja."

"Kann ich nicht! Ich müßte selbst mitgehen, und dann wäre es ja verrathen, wer Sie befreit hat."

"Schadet nichts! Ich werde für Deine Sicherheit Sorge tragen. Du besorgst ein Fuhrwerk für vier Personen und nimmst Deine Frau gleich mit. Sofort nach unserer Ankunft in der Residenz erhältst Du Dein Geld, und morgen wenn man meine Flucht entdeckt, bist Du bereits mit meinen Empfehlungen auf dem Wege nach Süderland."

"Ja, wenn das so ginge!"

"Es geht. Ich gebe Dir auch hierauf mein Ehrenwort!"

"So werde ich mit meiner Frau sprechen, Durchlaucht. Aber jetzt muß ich Sie wieder einschließen."

"Alle Teufel! Kannst Du mich nicht - -"

"Geht nicht, Durchlaucht. Man wird Ihre Zelle heut noch zweimal revidiren, und dann wäre Alles unmöglich."

"Gut, aber nicht so streng wie vorher!"

"Kann nicht anders. Man würde es sofort bemerken."

Der Herzog sah ein, daß er gehorchen müsse. Der Schließer schnallte ihn ein, und begab sich dann in den Korridor zurück, wo er wartete, bis er wieder abgelöst wurde.

Dann stellte er seiner Frau vor, welches Anerbieten ihm von dem Herzoge gemacht worden war. Diese war vollständig entzückt, als sie hörte, welche Summe sie erhalten sollte, und machte sich sofort an die Vorbereitung zu einer heimlichen Abreise. -

Mitternacht war nahe, da öffnete sich ein Seitenpförtchen der |203B Anstaltsmauer, um eine Frau und drei Männer auszulassen. Es waren die Flüchtlinge, welche unbemerkt entkommen waren.

"Wo ist der Wagen?" frug der Herzog.

"Dort auf der Straße hält er bereits."

"Wer ist der Kutscher?"

"Ein entfernter Verwandter von mir."

"Weiß er, um was es sich handelt?"

"Nein."

"Gut. Er darf auch nichts erfahren. Nur wer ich bin muß er wissen."

"Er kennt Sie, denn er hat Sie öfters gesehen."

Als sie den Wagen erreichten, stand der Fuhrmann bei seinen Pferden. Der Herzog trat nahe zu ihm heran.

"Kennst Du mich?"

Der Gefragte konnte im Scheine des Mondes die Züge des Herzogs deutlich sehen.

"Durchlaucht!"

"Gut! Weißt Du mein Palais in der Residenz?"

"Ich weiß es."

"Du fährst an demselben vorüber und hältst am Ende des Gartens!"

"Zu Befehl, Durchlaucht!"

Sie stiegen ein und der Wagen rollte davon.

Die beiden Oberärzte saßen noch bei einer wichtigen Berathung beisammen. Diese betraf die Entscheidung, welcher von ihnen die Leitung der Anstalt übernehmen sollte. Sie waren Freunde, und Jeder wollte die Stelle dem Andern gönnen, bis sie sich endlich entschlossen, das Loos zu werfen. Als dieses gefallen war, betrachteten sie die Angelegenheit als beendigt. Sie fühlten sich aber noch zu munter, als daß sie hätten schlafen gehen sollen, und beschlossen, die Zellen noch einmal zu revidiren.

Sie begannen bei Nummer Eins, erschraken aber Beide nicht wenig, als sie bemerkten, daß der Raum leer sei.

Es wurden sofort sämmtliche Beamte herbeigerufen. Keiner wußte etwas, aber es stellte sich heraus, daß der Schließer fehle. Es wurde bei ihm ohne Erfolg geklopft, bis man sich entschloß, seine Thüre aufzubrechen. Nun fand man in der verlassenen Wohnung den deutlichsten Beweis, daß man sich hier auf eine schleunige Abreise vorbereitet habe, und weitere Forschungen ergaben auch, daß die Flüchtigen ihren Weg durch die Seitenpforte genommen hatten.

"Um Gotteswillen was thun?" frug der eine Arzt.

"Wie viele Lohnkutscher gibt es hier?"

"Vier."

"Schnell vier Leute fort zu ihnen. Wenn wir wissen, mit wem sie gefahren sind, werden wir auch den Weg erfahren, den sie eingeschlagen haben. Ich bereite mich vor, augenblicklich nach der Residenz zu gehen. Bestelle mir einen Wagen durch einen der vier. Vorher aber müssen wir telegraphiren."

"An wen?"

"An den König und Doktor Brandauer. Es läßt sich vermuthen, daß der Herzog zunächst nach der Residenz gegangen ist, und wenn wir telegraphiren, ist es möglich, daß er dort gleich empfangen wird, wenn er die Anstalt noch nicht längst erst verlassen haben sollte."

Der Sprecher suchte sein Zimmer und war noch nicht mit dem Anlegen der Reisekleider fertig, als er einen der Boten bei sich eintreten sah.

"Schon zurück?"

"Ja. Ich konnte dem Herrn Doktor keinen Wagen besorgen."

"Warum?"

"Der Fuhrmann, zu welchem ich geschickt wurde, ist nicht da. Sein Geschirr ist am Abende von dem Schließer bestellt worden."

"Wohin?"

"Nach der Residenz."

"Ah! Tragen Sie diese beiden Depeschen sofort auf das Bureau!"

Er warf einige Worte auf zwei Formulare, mit denen sich der Beamte entfernte. Ein Anderer brachte die Meldung, daß in einigen Minuten ein Wagen vor dem Thore halten werde. Mit diesem fuhr er ab, während sein Kollege nach weiteren Spuren der Flucht forschte. -

In der Hofschmiede des Meisters Brandauer hatte man sich trotz der späten Stunde noch nicht zur Ruhe begeben. Brandauer wußte, was Max vorhatte, und hätte vor Erwartung unmöglich schlafen können. Die Gesellen aber waren soeben von Mutter Barbara Seidenmüller zurückgekommen, und da auch sie eine gewisse Ahnung hatten, daß irgend ein wichtiges Ereigniß in der Luft |204A schwebe, so saßen sie vor der Thür und erzählten sich zum tausendsten Male ihre Erlebnisse und Abenteuer.

"Aper solche Apenteuer wie dieser Karavey und mein Pruder Palduin hat doch keiner von uns Dreien erlept!" meinte Thomas. "Denkt nur einmal, kaum kommen sie heut an, um mich zu besuchen, so kommt dieser andere Kerl mit dem großen Parte, und holt sie wieder ap. Der Palduin hat mir gesagt, daß er zu Schiffe geht um Krieg zu machen."

"Ja, ein tüchtiger Kerl ist Dein Bruder," sagte Heinrich. "Er raucht einen prachtvollen Tabak und hat so viel Raison, uns Jedem ein Pfund mitzubringen. Der Kerl ist nobel, nicht wahr, Baldrian?"

Der Gefragte nickte, eine fürchterlicher Wolke von sich stoßend.

"Das ist am Den!"

"Natürlich!" bekräftigte Thomas in stolzem Tone. "Ein Schupert ist immer nopel, zum Peispiel ich und mein Palduin erst recht. Der Tapak ist ausgezeichnet, und die Ampalema, die er mir mitgebracht hat, sind über allen Zweifel hoch erhapen! Aper sagt mir doch einmal, wer das ist, der hier auf die Schmiede zugelaufen kommt?"

"Ein Briefträger!"

"Ein Priefpote? Pist Du pei Sinnen, alte Artillerie! So spät nach Mitternacht ein Prief! Das ist sicher eine Depesche! Nicht wahr, Paldrian?"

"Das ist am Den!"

Wirklich war es der Telegraphenbote, welcher herbeitrat.

"Herr Doktor Brandauer zu Hause?"

"Nein, aper sein Vater."

"Wo?"

"In der Stupe drin!"

Der Beamte ging hinein, um die Depesche abzugeben. Brandauer nahm sie in Empfang; er bemerkte auf der Adresse die Worte "sofort öffnen!" und erbrach in Folge dessen das Couvert. Es enthielt die Worte:

"Zelle Nummer eins entflohen. Wagen nach der Residenz. Komme selbst gleich nach."

Er hatte die Worte kaum gelesen, so eilte er hinaus zu den Gesellen.

"Thomas!"

"Herr Meister!"

"Du weißt die Klosterruine?"

"Ja."

"Dort findest Du Militär, bei welchem Max sich befindet. Springe so schnell wie möglich hinaus und gib ihm diese Depesche!"

"Werde meine Peine schon auseinander werfen, Herr Meister."

Mit diesen Worten eilte er von dannen. Er brauchte doch über eine halbe Stunde, ehe er durch die Stadt kam und die freie Straße erreichte. Dort kamen ihm mehrere Wagen unter militärischer Bedeckung entgegen. Er bemerkte im Mondscheine den Offizier, welcher den Zug befehligte, und trat zu ihm heran.

"Entschuldigung, Herr Lieutenant! Kommen Sie von der Klosterruine?"

"Warum fragen Sie?"

"Ich suche den Herrn Doktor Prandauer."

"Ah! Wer sind Sie?"

"Ich pin Opergeselle pei seinem Vater."

"So! Er ist noch dort. Fragen Sie nach dem Herrn Major, auf diese Weise finden Sie ihn am schnellsten."

"Danke pestens!"

Er eilte weiter, traf ferneres Militär und ließ sich zu dem Major bringen. Auf eine kurze Erkundigung hin wies ihn dieser hinauf zur Ruine, wo er den Gesuchten noch bei dem Zudecken des Brunnens beschäftigt fand.

"Herr Doktor, ich hape ein Telegramm zu üpergepen!"

"Du, Thomas?"

"Ja, ich!"

"War es so nothwendig?"

"Es muß wohl so sein, sonst hätte mich der Herr Meister nicht apgeschickt."

Max machte mit einem Zündholz Feuer und las die Worte. Er wandte sich sofort an den Lieutenant:

"Herr Lieutenant, ich muß Sie verlassen. Holen Sie sich Ihre Weisungen bei dem Herrn Major. Komm, Thomas!"

"Sogleich!"

Sie schritten hinab.

"Nun, Herr Doktor?" frug der Major.

"Ich werde abgerufen und bitte um ungefähr zehn Ihrer Leute, um einen der Betheiligten zu fangen, welcher entkommen ist."

"Sie sind Ihnen zur Verfügung. Aber hier?"

|204B "Sie haben von Majestät eingehende Instruktion erhalten?"

"Allerdings."

"So ist meine Gegenwart ja ferner auch nicht nothwendig. Sind die Wagen bereits abgegangen?"

"Einige. Die andern folgen nach."

"So bleibt nichts übrig, als droben am Brunnen einen genügenden Posten zurückzulassen. Gehen Sie zum Könige, um ihm das Gelingen unserer Aufgabe zu melden, und geben Sie ihm dabei diese Depesche, die ich erhalten habe, mit der Weisung, daß ich bereits die geeigneten Schritte thue. Gute Nacht, Her Major!"

"Gute Nacht, Herr Doktor!"

Max eilte an der Seite von Thomas, und gefolgt von zehn Soldaten, in eiligen Schritten auf der Straße dahin. Bei der Stadt angekommen, bog er nach dem Flusse ein, um die nächstliegende Landestelle zu erreichen. Dort lagen mehrere Kähne am Ufer. Sie schoben zwei von ihnen in das Wasser, stiegen ein und setzten auf das andere Ufer über, wo sie unterhalb des herzoglichen Gartens landeten. Unweit dieser Stelle hielt eine zweispännige Kutsche. Max schritt auf dieselbe zu. Sie war leer, aber der Kutscher stand am Schlage.

"Wem gehört dieser Wagen?" frug Max.

"Mir."

"Woher sind Sie?"

"Warum?"

"Sie sehen, in welcher Begleitung ich bin. Ich frage, und Sie haben mir die Wahrheit zu sagen. Also, woher kommen Sie?"

Der Mann nannte den Ort, an welchem sich die Irrenanstalt befand.

"Wen haben Sie gefahren?"

Er zögerte.

"Sie wünschen jedenfalls, daß ich Sie arretire!"

"Ich habe den Anstaltsschließer mit seiner Frau gefahren."

"Ah! bis hierher? Und wen noch?"

"Zwei Herren."

"Die Sie kannten?"

"Nur den Einen."

"Den Herzog?"

"Ja. Sie wissen - -?"

"Ich weiß. Sie bleiben hier nicht halten." Er wandte sich an einen der Soldaten: "Sie setzen sich zu diesem Manne auf den Bock und bringen ihn auf die Schloßwache. Gehorcht er nicht, so machen Sie Gebrauch von Ihren Waffen!"

"Zu Befehl!"

|205A Der Kutscher mußte aufsteigen; der Soldat folgte ihm und der Wagen lenkte um, um die vorgeschriebene Richtung einzuhalten.

Jetzt gab Max den andern Begleitern seine Weisung:

"Sie Zwei folgen uns in den Garten; Sie zwei nehmen Posto vor dem Hauptportale des Herzogs und lassen keinen Menschen passiren, selbst den Herzog nicht. Im Weigerungsfalle, Ihnen zu gehorchen, gebrauchen Sie die Waffen. Verstanden?"

"Ja."

"Die andern Fünf patroulliren um das Gebäude und den Garten. Es darf beide Niemand verlassen; wer es erzwingen will, wird gefangen genommen oder mit der Waffe behandelt. Jetzt vorwärts!"

Er stieg mit Thomas über die Mauer. Die beiden Soldaten folgten ihnen. Unter der Gartentreppe nahm er das Fenster heraus und stieg ein, um durch den Gang in die Bibliothek zu gelangen. Droben hinter der Thür mußte er warten, bis ihm die Andern gefolgt waren, dann öffnete er behutsam. Es brannte kein Licht, aber in dem Arbeitszimmer war es hell, und Stimmen tönten durch die Portière. Er trat an diese heran und blickte hindurch. Der Herzog stand am Schreibtische und zählte Banknoten auf; neben ihm hielt ein Mann und eine Frau, in denen Max den Schließer und sein Weib erkannte, und auf einem Fauteuil hatte sich der Abbé niedergelassen, welcher außerordentlich angegriffen aussah.

"Kommen Sie heran!" flüsterte Max. "Ich werde eintreten, und sobald Sie mich in Gefahr sehen, folgen Sie mir!"

|205B Die sämmtlichen vier Personen kehrten ihm den Rücken zu. Er lüftete die Portière, schob sich hindurch und setzte sich auf das Sopha, ohne daß es bemerkt wurde.

"Hier," meinte der Herzog. "Zählen Sie nach: Fünfunddreißig Tausend!"

Der Schließer zählte mit zitternden Händen die Banknoten, und die Augen seines Weibes glühten vor Begierde, diese Summe in die Hände zu bekommen.

"Richtig?" frug der Herzog.

"Richtig!" antwortete der Mann. "Durchlaucht, ich danke von ganzem Herzen für - -"

"Schon gut! Sie haben mir einen Gefallen erwiesen, und ich habe Sie dafür bezahlt. Wir sind quitt."

"Aber die Empfehlungen?"

"Kommen jetzt noch nicht in Ihre Hände. Sie könnten doch den Fehler begehen, sich ergreifen zu lassen, noch ehe Sie die Grenze überschritten haben, und dann wäre ich blamirt. Hier ist die Adresse eines Mannes, an den Sie sich wenden mögen, sobald Sie Süderland glücklich erreicht haben; dieser wird sich in meinem Namen möglichst um Sie bemühen."

Er warf einige Worte auf ein Blatt Papier und gab dies dem Schließer.

"Ihr Wagen steht noch unten, und ich werde Sie jetzt auf demselben Wege, den wir - -"

Er wandte sich um, um unwillkürlich auf den verborgenen Gang zu deuten und erblickte Max. Ein furchtbarer Schreck zuckte über sein Gesicht, und der begonnene Satz blieb ihm in der Kehle stecken.

|206A Max erhob sich.

"Guten Abend, meine Herren! Ich komme, wie es scheint, hier zu einem sehr eigenthümlichen Handel."

Der betroffene Schließer, welcher Max natürlich kannte, blickte wie Rettung suchend auf den Herzog. Dieser faßte sich zuerst.

"Was thun Sie hier? Wie kommen Sie herein?"

"Ganz auf Ihrem eigenen Wege, Durchlaucht."

"Welchen Weg meinen Sie?"

"Die verborgene Treppe."

"Alle Donner!"

"Bitte, ereifern Sie sich nicht! Es ist nicht das erste Mal, daß ich diesen Weg betrete. Auf ihm kam ich, als ich hinter dieser Portière Ihre Unterredung mit diesem Herrn, dem Pater Valerius, belauschte; auf ihm kam ich, als ich mich des Schlüssels zu Ihrer geheimen Chifferschrift bemächtigte, auf ihm - -"

"Hund!" unterbrach ihn der Herzog brüllend. "Also Du bist es, dem ich Alles zu danken habe, was ich jetzt - Alles - - Alles - - Alles - -!"

Die Wuth übermannte seine Sprache, und er machte Miene, sich auf Max zu stürzen. Doch dieser hob seine Fäuste ruhig empor und meinte:

"Kommen Sie heran, Durchlaucht!"

"Nein, ich will meine Hand nicht besudeln durch die Berührung eines Spiones. Es gibt andere Mittel, solche Kreaturen unschädlich zu machen."

Er that einen Schritt nach dem Waffenschranke zu, welcher sich seitwärts des Schreibtisches befand.

"Halt!" gebot Max, einen Revolver aus der Tasche ziehend. "Heben Sie die Hand nach dem Schlosse des Schrankes, so sind Sie eine Leiche, das schwöre ich Ihnen bei meiner Seligkeit!"

Der Ton dieser Stimme klang so drohend, daß der Herzog zurücktrat.

"Also auch morden können Sie!" rief er, mit den Zähnen knirschend.

"Bleiben Sie ruhig! Es ist besser, wir vergegenwärtigen uns ohne Aufregung die Lage, in welcher wir uns gegenseitig und gegenwärtig befinden. Bitte, nehmen Sie Platz, Durchlaucht, und gestatten Sie mir eine kurze Darstellung der Verhältnisse!"

Noch immer den Revolver in der Hand setzte er sich wieder auf das Sopha nieder. Der Abbé war durch die Haft so angegriffen, daß er ziemlich unschädlich genannt werden mußte; der Schließer und seine Frau kamen gar nicht in Betracht, und der Herzog sah trotz seiner Aufregung ein, daß es besser sei, scheinbar sich in ein Gespräch einzulassen, während er während desselben auf ein Mittel kommen konnte, sich zu retten.

"Reden sie!"

Mit diesen Worten nahm auch er Platz. Max begann:

"Sie erinnern sich wohl noch des Tages, an welchem Sie mir den Fehdehandschuh hinwarfen und mir verkündigten, daß Sie mich zermalmen würden. Ich gab mir damals die Erlaubniß, Ihnen Dinge vorherzusagen, welche theilweise bereits eingetroffen sind. Ich bin Ihrer Verschwörung auf die Spur gekommen, wir haben diese Spur verfolgt und stehen nicht nur kampfgerüstet, sondern auch siegesgewiß den Feinden gegenüber; ja, wir haben wohl bereits gesiegt. Dort der Herr Abbé weiß es, daß ich seine Listen entziffert habe, wir kennen also die Namen aller Ihrer Verbündeten. Ich habe dieselben auf telegraphischem Wege im Namen des Abbé für heut Abend zu einer Zusammenkunft in die Klosterruine berufen; sie sind gekommen, und wir haben sie mit Hilfe des Militärs gefangen genommen. Ich komme soeben von der Ruine, es ist kein Einziger entkommen. Dort, in der Ruine, erhielt ich auch die Botschaft, daß es Ihnen gelungen ist, Ihren letzten Aufenthaltsort zu verlassen. Ich ahnte natürlich, daß Sie hier zu finden seien und begab mich unverweilt auf dem mir bekannten Wege zu Ihnen, um Sie hier zu empfangen und Ihnen denjenigen Rath zu ertheilen, welcher unter den gegenwärtigen Verhältnissen der allerbeste für Sie ist."

"Ah, Sie - Sie wollen mir einen Rath geben?"

"Ja, ich, ich, der Schmiedejunge, wie mich Ihr Sohn zu nennen beliebte, der leider seine Erziehung nun hinter dem Eisengitter zu büßen hat."

"Was? Mein Sohn auch gefangen!"

"Ja, Durchlaucht!"

"Er hat nichts gethan, was - -!"

"Er hat weiter nichts begangen, als die unverzeihliche Unvorsichtigkeit, gewisse Aktenstücke von mir in seiner Verwahrung auffinden zu lassen und den König da draußen in dem Gang zwischen den beiden Fallschirmen gefangen zu halten, bis es mir gelang, die Majestät aus dieser Lage zu befreien. Die beiden Raumburgs |206B sind unmöglich, wenn sie sich nicht in die Verhältnisse zu finden wissen!"

"Wirklich?" hohnlächelte der Herzog.

"Wirklich!"

"Und wenn sie sich nicht darein finden, so gibt es einen Raumburg, welcher würdig ist, diesen Namen zu tragen."

"Ah, Sie überraschen mich! Wer ist dieser Wundermann?"

"Der gegenwärtige Major von Wallroth."

"Der Major von - - Mensch, ich zermalme Sie!"

Er sprang auf und ballte die Fäuste.

"Pah, die Brandauers sind nicht von einem Stoffe, der sich so leicht zermalmen läßt."

"Und der Rath, welchen Sie mir ertheilen?"

"Dieses pflichttreue Ehepaar wird festgenommen, auch der Herr Abbé ist mein Gefangener, und Sie selbst können nichts Besseres thun, als sich meiner Führung anzuvertrauen."

"Und wohin werden Sie mich führen?"

"Zu dem Könige, der über Sie bestimmen wird."

"Sehr liebenswürdig und loyal! Und wenn ich mich nicht füge?"

"So haben Sie die Folgen zu tragen."

"Ich werde sie tragen!"

Mit einem schnellen Satze war er bei Max. Dieser wollte die Schußwaffe nicht gebrauchen. Auch der Abbé packte ihn, und der Schließer, welcher die ihm aufgezählte Summe in Gefahr sah, half den Beiden.

"Zurück, Ihr Spitzpupen!" klang es da hinter ihnen.

Thomas war mit den Soldaten eingetreten, faßte den Abbé und warf ihn zu Boden, daß es krachte. Der Herzog überblickte die Scene, riß sich von Max los und stürzte sich durch die Portière. Max folgte ihm und sah, daß er die verborgene Thür aufriß und hinter derselben verschwand. Er selbst hatte nicht so schnell von dem Schließer loskommen können, um dies zu verhindern. Die Fallthür herabzulassen, wäre jetzt zu spät gewesen, darum sprang er in den dunklen Gang hinein, um den Fliehenden zu erreichen.

Als er an das Fenster kam und durch dasselbe sprang, sah er ihn zwischen den Bäumen verschwinden.

"Posten, aufgepaßt!" rief er.

"Halt, wer da!" klang es draußen.

"Brandauer!" ertönte die Antwort.

"Das ist Lüge. Haltet ihn!" gebot Max und eilte nach dem Punkte der Mauer, wo die Worte gesprochen worden waren.

Draußen stand einer der Soldaten; die andern kamen auch herbei.

"Wo ist er?" frug Max.

"Fort!"

"Sie sollen ihn doch halten?"

"Er sagte doch er wäre Sie!"

"Fort, ihm nach! Hundert Thaler wer ihn fängt!"

Im Nu waren die Gewehre zusammengestellt, und die Leute rannten davon. Max konnte ihnen unmöglich folgen, da seine Gegenwart droben nothwendig war. Der Hauptgefangene war ihm höchst wahrscheinlich entgangen, aber der Abbé hatte die Fäden der Verschwörung in seinen Händen, er mußte für alle Fälle unschädlich gemacht werden.

Als er in das Arbeitszimmer des Herzogs zurückkam, war der Obergeselle beschäftigt den Schließer zu binden.

"Alle Teufel, Herr Doktor, das ist ein kräftiger Vagapundus! Ich hape Mühe gehapt, ihn unter die Pandage zu pringen."

"Soll ich helfen?"

"Pin jetzt soepen fertig!"

Der Abbé und die Frau des Schließers waren von den beiden Soldaten in Schach gehalten worden. Durch den Lärm herbeigelockt, versuchte jetzt die Dienerschaft einzudringen, Max aber wies sie zurück. Er verschloß den geheimen Gang und ließ die Gefangenen auf dem gewöhnlichen Wege nach unten transportiren.

Dort fand er die beiden Thorposten im Gespräch mit einem Manne, in dessen Nähe eine Kutsche hielt.

"Der Herr Doktor Brandauer ist wirklich hier?"

"Ja."

"Aber warum verweigern Sie mir mit ihm zu sprechen?"

"Es darf Niemand passiren."

"So lassen Sie mich ihm melden. Ich bin - -"

"Was Sie sind ist ganz gleichgiltig. Es darf Niemand ein- und auspassiren."

"Aber Sie sehen doch, daß man wenigstens auspassirt!"

Er zeigte nach dem Portale, unter welchem jetzt Thomas und die beiden Soldaten mit den Gefangenen erschienen. Hinter diesen trat Max hervor.

"Ah, da ist er!"

|207A Max erkannte ihn. Es war der Irrenarzt, der es für gerathen befunden hatte, zunächst nach dem Palaste des Herzogs zu fahren, um zu sehen, ob dieser vielleicht seinen Weg dorthin genommen habe.

"Herr Doktor!"

"Ah, Herr Doktor!"

So begrüßten sie sich, und Max fügte hinzu:

"Ich habe Ihre Depesche erhalten und danke Ihnen für die schleunige Benachrichtigung. Sie sehen, daß sie gefruchtet hat. Ich stelle Ihnen hiermit drei Ihrer Flüchtlinge wieder zur Verfügung."

"Wirklich?"

"Wie Sie sehen!"

"Sie haben sie also wieder ergriffen! Aber der - - der Vierte?"

"Ist uns vielleicht einstweilen entkommen. Da, wir werden es sogleich erfahren."

Die Soldaten kehrten von ihrer Verfolgung zurück. Der Herzog war nicht zu sehen.

"Nun?"

"Zu Befehl, Herr Doktor, er war spurlos verschwunden," meldete Einer von ihnen.

"Und da sagen die Schlingels noch "zu Pefehl!" raisonirte Thomas. "Zu Pefehl wars, daß sie ihn fangen und herpringen sollten. Aper das Volk hat weder Talent noch Geschick, noch Arme und Peine. Mir wäre er nicht davongelaufen."

Max war auch unzufrieden mit diesem Resultate, aber er maß sich selbst einen Theil der Schuld bei. Hätte er nicht mit dem Herzoge gesprochen, sondern diesen sofort festgenommen, so wäre es diesem unmöglich gewesen zu entkommen. Dennoch aber hatte er die Überzeugung, daß er nicht entkommen könne, und in diesem Sinne lautete auch seine Äußerung dem Arzte gegenüber.

"Herr Doktor, wir haben jetzt keine Zeit, auf nähere Details einzugehen. Lassen Sie morgen einen ausführlichen Bericht an Seine Majestät oder mich eingehen und nehmen Sie für jetzt die Gefangenen mit sich. Der Abbé kommt wieder in seine Nummer, und die Schließersleute detiniren Sie in eine sichere Zelle, bis Sie genaue Weisungen über sie erhalten."

"Das werde ich thun. Aber ich befürchte, daß durch dieses von uns sehr unverschuldete Ereigniß Seine Majestät und auch Sie, Herr Doktor, über uns -"

"Beruhigen Sie sich," unterbrach ihn Max. "Ich bin überzeugt, daß Sie Ihre Pflicht streng und treu gethan haben. Das Vertrauen auf Sie und Ihren Herrn Kollegen ist bis jetzt in keiner Weise erschüttert worden."

"Aber, ich bin allein, und diese Drei?" -

"Sind gefesselt. Überdies werde ich Ihnen diesen Mann mitgeben, der Ihnen helfen wird sie zu bewachen."

Er deutete auf Thomas.

"Ja, ich werde sie pewachen, und peopachten, daß es ihnen nicht wieder peikommen soll davonzulaufen," antwortete dieser.

Die Gefangenen wurden in den Wagen des Arztes plazirt. Dieser selbst nahm mit dem Obergesellen bei ihnen Platz, und dann ging es fort.

Max wandte sich jetzt zu dem Unteroffizier der ihm mitgegebenen Soldaten:

"Ich übergebe Ihnen für kurze Zeit dieses Palais zur Bewachung. Es darf Niemand ein- oder auspassiren, und ich werde dafür sorgen, daß Sie baldigst abgelöst werden."

Er verließ den Platz, um zum Könige zu gehen, ihm über das Vorgekommene zu referiren und mit ihm die Mittel zur Ergreifung des Herzogs zu berathen. Es braucht natürlich gar nicht erwähnt zu werden, daß er die auf dem Tische aufgezählten und in der Kasse des Herzogs außerdem noch vorgefundenen Gelder konfiszirt und mit sich genommen hatte. -

Es war in derselben Nacht. Einer der wenigen Pässe, welche das Gebirge quer durchschneiden und die Verbindung zwischen Norland und Süderland vermitteln, wird oberhalb des Städtchens Waldenberg durch die nahe zusammentretenden, hoch zum Himmel strebenden Berge so eingeengt, daß er im wahren Sinne des Wortes ein Engpaß genannt werden muß und man ihn recht gut mit den berühmten Termopylen vergleichen könnte.

Die Straße, welche er bildet, steigt steil und in mannigfaltigen Windungen empor, stürzt sich dann auf der andern Seite des Gebirgszuges ebenso steil wieder ab, und die über zwei Stunden lange Enge bildet einen so natürlichen Vertheidigungspunkt, daß im Falle eines Krieges zwischen den beiden Ländern jede der beiden Mächte darnach trachten muß, sie zuerst in ihren Besitz zu bekommen.

Es war um die Zeit des Mondaufganges. Das silberne Licht des Trabanten unserer Erde beleuchtete eine sehr kriegerische Scene. |207B Auf dem höchsten Punkte des Passes brannten mehrere Feuer, um welche sich wilde Gestalten gelagert hatten. Sie trugen keine militärischen Uniformen, sondern nur die Tracht ärmerer Gebirgsbewohner, aber die Messer, welche in ihren Gürteln staken, die kurzen Gebirgsstutzen, die sie in ihren Fäusten hielten oder neben sich liegen hatten, die gewaltigen Bärte, von denen ihre scharf und kühn geschnittenen Gesichter beschattet wurden, verriethen deutlich, daß sie nicht eines friedlichen Zweckes wegen hier zusammengekommen seien.

Im Scheine des Mondes und der Feuer konnte man mehrere riesige Verhaue erkennen, welche dadurch gebildet worden waren, daß man auf den beiden hochaufstrebenden Seiten des Passes mächtige Fichten und Tannen gefällt und heruntergestürzt hatte, die nun so über- und durcheinander lagen, daß sie Hindernisse bildeten, die nur mit großer Mühe und Anstrengung zu beseitigen waren. Gewaltige Steinblöcke, welche man dazwischen gewälzt hatte, gaben diesen Barrikaden eine noch erhöhte Festigkeit.

An einem der Feuer saß der Wirth von der Waldenberger Oberschenke. Die Männer an seiner Seite verhielten sich so ruhig, daß diese Gruppe von den andern, welche sich laut und lebhaft unterhielten, sehr abstach. Diese Schweigsamkeit hatte einen guten Grund: Seitwärts von dem Feuer lag nämlich auf einem duftigen Lager von Heu und mit einem Mantel sorgfältig zugedeckt eine weibliche Gestalt, deren Schlaf man durch lautes Reden nicht stören wollte. Es war Zarba.

"Weißt Du es gewiß?" flüsterte ein Nachbar dem Wirthe zu. "Man sollte es gar nicht glauben."

"Ich habe es von ihr selbst, daß die Süderländer heut Nacht noch kommen werden, und sie weiß Alles."

"Aber welchen Grund sollte es geben Krieg zu führen?"

"Da mußt Du die großen Herren fragen, die Krieg und Frieden machen. Wir haben nichts zu thun, als Steuern zu bezahlen."

"Aber werden wir stark genug sein, eine ganze Armee hier aufzuhalten?"

"Dummkopf! Wer kann denn durch solche Verhaue kommen? Und wir haben ihrer fünf. Übrigens werden wir ja Kanonen erhalten."

"Wenn es wahr ist."

"Auch das ist wahr. Sie selbst hat es mir gesagt, und sie weiß Alles."

Da hörte man von der Nordseite des Passes her eilige Schritte. Die Männer wandten sich um und erkannten Horgy, den Zigeuner.

"Schläft sie noch?" frug er den Wirth.

"Ja. Störe sie nicht; sie hat zwei Nächte nicht geschlafen."

Aber die Schritte des Nahenden hatten ihren Schlaf dennoch unterbrochen. Sie warf den Mantel halb von sich und richtete sich in eine halb sitzende, halb liegende Stellung auf.

"Du kommst endlich, Horgy!" redete sie ihn an.

"Es ging nicht anders, Vajdzina. Sie behielten mich bei sich, um einen sichern Wegweiser zu haben."

"Sie kommen also?"

"Ja."

"Wie viele?"

"Acht Kanonen. Acht andere sind hinüber nach dem Eisenbahnpasse; ein Hauptmann kommandirt diese."

"Und wer die Unsrigen?"

"Auch ein Hauptmann; aber bei ihm ist der Oberkommandirende, ein junger Major. Ich erfuhr seinen Namen."

"Wie heißt er?"

"Von Wallroth."

"Ah!"

Sie sprang auf, und die Männer sahen, daß sie über diese Nachricht die größte Freude empfand. Der Zigeuner fuhr fort:

"Er hat den Zug verlassen um voranzureiten. Er wird gleich hier sein."

"Wirklich?"

"Ich bin nur rasch vorangesprungen, um es Dir zu melden."

Wirklich ließ sich in diesem Augenblicke nahendes Pferdegetrappel vernehmen und ein Trupp Reiter erschien, an dessen Spitze sich der Major befand. Er sprengte heran, sprang vom Pferde und trat zu Zarba.

"Mutter!" rief er, sie umarmend und küssend.

"Mein Sohn!" antwortete sie, ihn mit stolzen Blicken musternd. "So hat also unser guter König meinen Wunsch erfüllt?"

"Wie Du siehst!"

"Es ist auch hohe Zeit, daß Du kommst. Ich weiß genau, daß die Süderländer in einer Stunde hier sein werden."

"Habt Ihr schon ein Rencontre mit ihnen gehabt?"

|208A "Nein. Ihre Spione kamen nicht bis ganz herauf, und so weit sie kamen, haben wir uns nicht blicken lassen."

"Sehr gut! Die Überraschung wird sehr viel thun."

Er musterte mit Kennermiene den Verhau.

"Wie viele Verhaue hast Du anlegen lassen?"

"Fünf."

"Ah! Aber auch richtig?"

"Wie?"

"Der Feind darf nicht durch; wir aber müssen sie passiren können. Wie könnten wir sonst mit den Geschützen hinunter zur ersten Barrikade kommen. Dort, bei der ersten und zweiten, je nachdem das Terrain es gebietet, werde ich sie auffahren lassen."

"Keine Sorge! Der Bergwirth hier ist ein alter Artillerist, der noch nichts vergessen hat. Er hat den Baumeister gemacht und die Verhaue so eingerichtet, wie Du es haben willst."

"Gut; ich muß sie besichtigen. Gieb mir einen Mann mit!"

"Ich führe Dich selbst."

Sie führte ihn durch eine schräg gelegene Lücke des Verhaues und verschwand mit ihm hinter demselben. Die Männer hatten sich beim Erscheinen des Majors verwundert angesehen.

"Ihr Sohn!" flüsterte der Nachbar des Bergwirthes.

"Du hasts ja gehört und gesehen!"

"Ein prächtiger Kerl!"

"Und gar nicht stolz. Ein Anderer hätte sich gehütet, sie vor uns in dieser Weise zu begrüßen."

"Wer muß der Vater sein?"

"Geht uns nichts an!"

Nach einiger Zeit kehrte der Major mit Zarba zurück und ließ das Verhau zum Durchgange der Geschütze öffnen.

"Gibt es vielleicht hier nahe einen Weg, der noch über das Gebirge führt?" frug er.

"Ja; aber er ist beschwerlich, nicht leicht zu finden und nur den Paschern bekannt."

"Dennoch fatal! Er kann drüben auch bekannt sein."

"Ich glaube es nicht. Übrigens habe ich ihn besetzen lassen."

"Das ist klug. Du bist ja ein ganz richtiger Feldherr, Mutter!"

Ein dumpfes Rollen und Knarren ertönte. Die Geschütze nahten. Wallroth dirigirte sie vorwärts, bat Zarba zurückzubleiben und folgte ihnen nach.

Die Verhaue waren mit wirklicher Sachkenntniß an den geeignetsten Punkten angelegt. Der unterste derselben lag an einer Stelle, von welcher die unten im Thale sich halbkreisförmig windende Straße ganz ausgezeichnet beherrscht und bestrichen werden konnte, obgleich es von unten aus unmöglich war die Befestigung zu bemerken. Und zugleich war er so fest angelegt, daß Wallroth kein Bedenken trug, sämmtliche Geschütze hier zu plaziren.

Noch war man bei dieser Beschäftigung, als ein Mann sehr eilig die Straße heraufgelaufen kam.

"Wer da?" frug der auf dem Verhaue stehende Posten.

"Tschemba!"

Es war also jener Zigeuner, welcher mit Horgy und dem Bergwirthe damals die beiden Irrenärzte gefangen genommen hatte.

"Unser Späher, Herr Major," berichtete der Posten.

Tschemba stieg über das Verhau und erblickte die Artillerie.

"Ah, gut, daß die Kanonen da sind. Sie kommen."

"Wer?" frug Wallroth.

"Die Süderländer."

"Viel?"

"Ein ganzes Heer, so breit wie es die Straße erlaubt. Sie haben jedenfalls Pascher von drüben als Führer bei sich."

"Wie nahe sind sie?"

"In zehn Minuten füllen sie unten das Thal."

"Freiwillige Schützen vor?"

Auf diesen Ruf kamen wohl fünfzig Pascher herbei.

"Hört, Männer, ich muß eine Anzahl von Euch unter der Führung des Herrn Hauptmanns vorschicken, denn ich darf keine Feindseligkeiten beginnen, ehe ich nicht das Recht dazu habe. Wer geht mit?"

"Wir Alle!" rief es.

"Brav! Macht Eure Sache gut. Vorwärts!"

Sie rückten ab, der Hauptmann an ihrer Spitze. Er hatte Degen, Waffenrock und Helm abgelegt und sich den Hut und die Joppe sammt dem Stutzen eines Paschers geborgt. Er ging so weit vor, bis der Paß eine scharfe Krümmung machte, und dieser Punkt schien ihm für sein Vorhaben der geeignetste zu sein, zumal der wirklich scharfsinnige Bergwirth ungefähr fünfzig Schritte unter demselben eine der größten Tannen quer über den Weg hatte fällen lassen.

|209A Von hier aus sah man im Mondscheine bereits die Helme der Anrückenden blinken, und der leicht zu vernehmende Hufschlag verrieth, daß Kavallerie an der Spitze sei.

"Bleibt hier und haltet Euch schußbereit!" gebot er; dann schritt er weiter, bis er die Tanne erreichte.

Hinter derselben versteckt erkannte er bald mehrere Offiziere, welche, von zwei Männern geführt, voranritten.

"Halt!" rief er, als sie ihm nahe genug schienen. "Wer da?"

Man hielt und schien sich kurz zu berathen. Dann ertönte es:

"Gut Freund! Wer bist Du?"

"Ein guter Norländer. Seit wann rückt man in ein fremdes Gebiet ohne vorherige Verhandlung und Kriegserklärung ein?"

"Kecker Bursche! Mache Dich fort, sonst wirst Du weggeputzt!"

"Ich stehe hier als Beauftragter meines Königs. Euer Vordringen ist gegen das Völkerrecht. Geht zurück, sonst könnt Ihr erfahren, wer weggeputzt wird! Das ists, was ich Euch zu sagen habe. Dieses Land, diese Straße gehört unser. Wir werden Beide zu behalten wissen. Gute Nacht!"

Er ging mit lautem langsamen Schritte zurück. Nach einiger Zeit, während welcher jedenfalls Meldung abgegangen und der betreffende Befehl zurückgekommen war, hörte man, daß die Tanne weggeräumt werden sollte.

"Könnt Ihr genug sehen?" frug der Hauptmann.

|209B "Besser als Sie," klang die Antwort. "Unsereiner ist die Nacht gewohnt."

"So gebt Feuer, aber immer zehn und zehn!"

Die ersten Schüsse krachten. Drüben ertönte ein wüthiger Schrei. Dann wieder zehn und noch zehn. Als die Letzten Feuer gaben, hatten die Ersten bereits wieder geladen. Einen solchen Empfang hatte der Feind nicht erwartet; er wußte nicht, wen er vor sich hatte und beschloß, das Morgengrauen zu erwarten. Gefährlich konnte diese Zögerung nicht werden, da man nach seiner Meinung in Norland nicht kriegsbereit war und genug mit der Unterdrückung des Aufstandes zu thun hatte.

Nur eine Stunde später hellten sich bereits die Höhen auf, während das Thal noch im Dunkel lag. Der Major stand hinter einem Baume und blickte hinab. Die Nebel wirbelten und wallten unten wie eine unruhige See, und es war bereits genug Licht vorhanden, um ein sicheres Ziel zu nehmen. Er konnte die Straße unten auf eine ganze Viertelstunde ihrer Länge bestreichen. Sein Feuer mußte dem Feinde geradezu fürchterlich werden, und wer zwischen dem Thale und der Schanze war, konnte unmöglich wieder zurück. Er ließ sechs Geschütze hinunter und die übrigen zwei gegen die letzte Krümmung der Straße richten.

Da ertönte von den Vorposten her lebhaftes Gewehrfeuer. Der Hauptmann war angegriffen worden. Der Feind hatte in den Gegnern nur Gebirgsbewohner erkannt und einen so scharfen Vorstoß unternommen, daß sich der Hauptmann, allerdings ohne Verlust, zurückziehen mußte. Kaum hatte er sich mit seinen Leuten hinter die Schanze geflüchtet, so erschien der Feind, jetzt Schützen an der Spitze. Er stutzte beim Anblicke des Verhaues einen Augenblick, |210A rückte dann aber zum Angriffe vor. Wallroth ließ ihn so nahe wie möglich herankommen; dann flogen die Masken von den Geschützen und der Adler Norlands erhob sich über der Schanze.

"Feuer!" kommandirte er.

Die acht Geschütze krachten zu gleicher Zeit. Ein Hagel von Kartätschen riß die Jäger, so weit sie um die letzte Biegung erschienen waren, förmlich nieder, und unten vom Thale empor schallte ein Geheul, welches nur zu sehr bewies, daß die Kugeln ihre Schuldigkeit gethan hatten.

Der Krieg hatte begonnen! -

Am andern Morgen tönte Glockengeläute durch ganz Norland. Wie durch einen Zauberschlag hatte sich selbst bis in das kleinste Dorf die Nachricht verbreitet, daß der König die bisherige Regierungsform aufgegeben, die verhaßten Räthe und Minister entfernt habe und seinem Volke eine Konstitution geben werde. Dieses Volk solle seine selbstgewählten Vertreter an den Hof schicken, um die Konstitution zu berathen. Und bereits wurde überall Max Brandauer genannt, dem diese hohe Errungenschaft zu verdanken sei. Die Proklamationen des Königs waren an allen Ecken angeschlagen und unter dem Namen desselben mit "Max Brandauer, Geheimerath," unterzeichnet. Der König selbst hatte es so befohlen.

Im ganzen Lande war keine einzige Stimme zu hören, welche eine feindselige Äußerung hätte thun mögen oder dürfen, und als man nun auch erfuhr, welche Gefahr dem Staate gedroht habe und mit welchen Mitteln dieselbe abgewendet worden sei, war an allen Ecken und Enden eine Entrüstung zu spüren, in welche selbst Diejenigen mit einstimmen mußten, welche geheimen Antheil an den revolutionären Umtrieben gehabt hatten.

Am Nachmittage erschien eine zweite Proklamation des Königs, in welcher er den Einfall der Süderländer bekannt machte und seine Streiter zu den Waffen rief. Dies fachte den Patriotismus zu doppelter Höhe an. Alles eilte freudig zu den Fahnen und noch im Laufe des Tages liefen von verschiedenen Orten telegraphische Petitionen ein, in denen um die Erlaubniß zur Bildung von Freiwilligenregimentern gebeten wurde. Der König und sein "Geheimerath" hatten ganz gewiß eine außerordentliche Menge von Arbeiten zu überwältigen. - -

Der Tag, an dem die beiden Sternburgs Tremona verlassen hatten, war vergangen, und der andere Morgen brach an. Ganz in der Frühe hielt ein Reiter auf Schloß Sternburg zu. Es war ein Offizier. Er mußte am Thore klopfen, da dasselbe noch gar nicht geöffnet war.

Der Kastellan erschien und ließ ihn ein.

"Nurwan-Pascha?" frug der Ankommende.

"Ist da, schläft aber noch."

"Wecken Sie ihn und melden Sie mich. Hier ist meine Karte. Ich gehe einstweilen in den Garten."

Nach zehn Minuten erschien Horn dort, um ihn zum Pascha zu führen. Dieser stand im Empfangszimmer.

"Ich komme direkt von Sr. Majestät, dem Könige," meinte der Offizier nach der ersten Begrüßung, "und habe Ihnen dieses Couvert zu übergeben."

Der Pascha runzelte die Stirn.

"Es enthält jedenfalls meine Instruktionen. Sie sind Flügeladjutant des Königs und kennen jedenfalls den Inhalt dieses Schreibens, nicht?"

"Ja. Es ist mir in die Feder diktirt worden."

Katombo erbrach das Couvert und überflog den Inhalt.

"Es ist so, wie ich dachte, aber bitte, Herr Generalmajor, kommen Sie!"

Er führte ihn hinaus auf den Balkon, von welchem aus man den Hafen überblicken konnte.

"In diesem Schreiben werden meine gestrigen Bedingungen acceptirt; Seine Majestät sind so gütig, mir den Oberbefehl über die im Hafen von Tremona liegende Flotte zu übertragen; aber nun frage ich Sie, wo diese Flotte ist. Bemerken Sie vielleicht eine einzige Spur von derselben?"

"Ah! Wie kommt das?"

"Noch gestern Abend lagen vierzehn Kriegsschiffe hier; über Nacht sind sie verschwunden. Kehren Sie zurück, melden Sie es dem Könige und ersuchen Sie ihn in meinem Namen um Aufklärung!"

"Ich verstehe, ich begreife das nicht!"

"Ich noch weniger. Es ist nicht nur hier im Reiche, sondern auch in Norland bekannt, daß ich den Oberbefehl über Ihre Marine übernehmen soll; ich trete in Verhandlung; ich sage zu; ich erhalte die Instruktion sofort, noch heute Morgen auszulaufen, Süderhafen zu nehmen und die norländische Küste zu blockiren, und gerade in |210B diesem Augenblicke erhalten die Fahrzeuge den Befehl, zu verschwinden."

"Ich weiß von keinem Befehle, Excellenz!"

"Können die Kapitäns ohne einen solchen handeln?"

"Allerdings, nein!"

"Sie gestehen dies selbst zu. Fragen Sie den König; ich kann nichts thun, als die Antwort abwarten."

"Wäre es nicht besser, Excellenz, Sie begleiteten mich?"

Der Pascha schüttelte stolz den Kopf.

"Ich habe die Weisung auszulaufen, nicht aber, bei Hofe anzulaufen oder den König zu überlaufen. Ich habe mich nicht um das Kommando beworben, sondern ich wurde hierher gerufen und folgte zugleich dem Willen des Großherrn, meines Gebieters. Erhalte ich nicht bis heut Abend Aufklärung, so reise ich ab. Leben Sie wohl, Herr Generalmajor!"

Er machte eine Verbeugung und wandte sich ab. Der höchst betretene Offizier verließ das Schloß.

Einige Stunden später saß Almah wieder in ihrer Laube und gedachte des sonderbaren Abschiedes, welchen der Matrose Bill Willmers von ihr genommen hatte. Da kam die Kastellanin in höchster Eile daher, schlug bereits längst vor der Laube die Hände zusammen und rief:

"Herrjesses, mein Kind, ist das ein Unglück, ist das ein Jammer, ein Elend, ein Herzeleid und ein Malheur!"

Almah erschrak im höchsten Grade.

"Was ist es denn, Mutter Horn?"

"Was es ist? O, das Schlimmste, was es gibt, oh, oh!"

"Aber bitte, Sie machen mir ja Angst. So sagen Sie es doch!"

"Was es ist? Ja, das sollen Sie gleich erfahren! Wissen Sie, was ein gewisser Schiller sagt, der so viele schöne Gedichte geschrieben hat?"

"Was sagt er denn?"

"Da werden Weiber zu Hyänen!"

"Ah, die Weiber?"

"Ja."

"Zu Hyänen?"

"Ja, da werden die Weiber zu Hyänen und zerreißen in Fetzen den Scherz! so sagt dieser Schiller!"

"Das ist ja fürchterlich!"

"Ach, sogar schrecklich und entsetzlich!"

"Aber warum werden denn Hyänen aus den Weibern?"

"Weil - weil - nun, weil Revolution ist!"

"Revolution?"

"Ja, Revolution, Empörung, Revolte, Rebellion und Aufruhr, Hochverrath, Landesverrath, Blutvergießen, dreifacher Mord und zehnfacher Todtschlag!"

"Nicht möglich! Wo denn?"

"Wo? Herrjesses, hier in Süderland, hier bei uns ist sie, die Revolution. Aber Sie können sich darauf verlassen, Kindchen, ich werde keine Hyäne, ich leide es nicht, daß sie mich zu einem solchen Viehzeuge machen; diesen Kummer thue ich schon meinem Alten nicht an!"

"Aber erklären Sie mir doch deutlicher!"

"Noch deutlicher? Herrjesses, Kind, rede ich denn nicht deutlich genug? Die Rebellion ist ausgebrochen in der Hauptstadt, und das ganze Land macht mit, sogar das Militär. Der König hat fliehen müssen; die Königin muß fliehen, und der Kronprinz ist auch schon fort!"

"Wenn denn?"

"Heut Morgen!"

"Wohin?"

"Hinauf an die Grenze, wo der tolle Prinz mit der Armee steht. Diese soll Alles retten."

"Woher wissen Sie es denn?"

"Es ist telegraphirt worden und, da sehen Sie einmal hinab in die Stadt nach den rothen Flaggen, welche man aufgesteckt hat. Das ist ja auch bei uns die helle Empörung!"

"Was sagt denn Vater Horn dazu?"

"Der jammert reinweg zum Verzweifeln."

"Weiß es mein Papa auch?"

"Natürlich!"

"Und was meint er?"

"Der nickt und lächelt und lächelt und nickt, aber sagen, nein, sagen thut er nichts."

"Da muß ich gleich zu ihm. Sagen muß er doch etwas?"

"Freilich! Und dann kommen Sie ja gleich herab zu mir, Kindchen, und sagen mir wieder, was er gesagt hat, damit ich es |211A meinem Alten auch sagen kann. Herrjesses, ich will nur sehen, ob so etwas zu überleben ist!"

Sie eilten Beide davon, Almah zu ihrem Vater. Dieser beruhigte sie und führte sie hinaus auf den Balkon, auf welchem er vorher mit dem Generalmajor gestanden hatte.

"Uns ist dieser Aufstand nicht gefährlich, mein Kind. Die Führer desselben sind edel denkende Leute und werden keine Korruption aufkommen lassen. Dennoch aber verlassen wir Tremona morgen mit dem Frühesten."

"Ah! Wohin gehen wir?"

"Nach Norland."

"Mit der Bahn?"

"Nein, zu Schiffe."

"Mit welchem Fahrzeuge? Unsere Yacht ist doch fort!"

"Die erhalten wir wieder. Wir suchen Freund Sternburg auf, der sie uns so geschickter Weise entwendet hat."

"Ists wahr, Papa?"

Sie mußte daran denken, daß es ein Sternburg sei, der sie aus den Fluthen des Niles gerettet hatte.

"Natürlich! Blicke einmal da hinüber!"

"Nach dem weißen Segel?"

"Ja. Rathe, welches Fahrzeug es ist!"

"Doch nicht etwa unser Segeldampfer?"

"Er ist es. Er erhielt von mir Ordre, heut das Land anzusegeln, weil ich wußte, daß ich ihn brauchen würde. Dies ist nun auch der Fall, freilich in anderer Weise."

"Kommt er in den Hafen?"

"Nein. Er kreuzt vor der Küste; wir fahren mit einem Boote hinaus. Packe zusammen!"

"Schon jetzt?"

"Sogleich!"

"O, was wird meine gute Mutter Horn sagen, wenn sie erfährt, daß wir fortgehen!"

"Wir werden wiederkommen, mein Kind, und vielleicht recht bald."

Eben wollte Almah das Zimmer verlassen, da klopfte es draußen an und die Kastellanin trat ein.

"Herrjesses, ist das eine Freude, ein Glück und ein Vergnügen! Sie verzeihen, Excellenz, aber ich kann nicht anders, ich muß gleich heraufkommen und es Ihnen sagen!"

"Was?"

"Daß eine neue Depesche da ist."

"Aus der Residenz?"

"Ja, aber aus der von Norland."

"Ich denke, die Leitung wurde zerstört?"

"Ja, aber die Rebellion hat die Drähte wieder zusammengeknüpft. Der König von Norland hat nämlich heute Nacht eine ungeheure Revolution besiegt und gibt seinen Unterthanen eine Konstitution. Was das ist, das weiß ich nicht, aber durch ganz Norland läuten sie mit den Glocken, und da muß es doch wohl etwas Gutes sein."

Der Pascha nickte und lächelte auch jetzt; dann meinte er:

"Ich danke für die Nachricht. Nehmen Sie Almah jetzt mit; sie hat Ihnen auch etwas mitzutheilen." - -

An demselben Vormittage lichtete im Hafen von Bartholome eine norländische Flotte von sechzehn Segeln die Anker, um nach Süd zu halten. Ein sehr eigenthümlicher Umstand mußte auffallen. Der Kommandeur dieser Flotte befand sich nämlich nicht auf einem Linienschiffe, sondern auf einer Fregatte, die einen ganz ungewöhnlich schlanken Bau besaß. Sie mußte ein ganz ausgezeichneter Segler sein, und vielleicht war der Kommandeur ein Freund von solchen Fahrzeugen, weil er diese sich gewählt hatte.

Die Kapitäne der einzelnen Schiffe mußten ganz besondere Instruktionen erhalten haben, da die Fregatte stets voraus war, so daß ein Signalisiren unmöglich wurde. Endlich verschwand sie gar am Horizonte, und nun nahmen auch die andern Schiffe solche Zwischenräume, daß sie eine wohl zwölf englische Meilen weite Linie bildeten. Jetzt hätte ein feindliches Schiff sicher nicht entschlüpfen können.

Die Fregatte hatte sich weit von dem rechten Flügelschiffe der Flotte entfernt; sie hatte sich jedenfalls die Aufgabe gestellt zu rekognosciren.

An ihrem Steuer stand ein starker breitschultriger Kerl, der vor Freude über die gute Fahrt am ganzen Gesichte lachte, und neben ihm lehnte eine kleinere hagere Gestalt mit einer rothen phrygischen Mütze. Ihr Gespräch war im besten Zuge.

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, ist das ein Gaudium, auf einem solchen Schiffe zu stehen! Nicht, Karavey?"

"Ja. Bin nur neugierig, was der Kommodore will!"

|211B "Das weiß ich ganz genau."

"Nun?"

"Schau, er ist in einer einzigen Nacht vom Kapitän zum Kommodore avancirt, und das will er sich verdienen. Paß auf, Bootsmann, den ersten Süderländer, dem er begegnet, nimmt er auf sich; er gönnt ihn keinem Andern von der Flotte!"

"Sollte mich freuen!"

Da erscholl vom Quarterdecke der Ruf:

"Mann am Steuer, vier Striche nach West!"

"Ay, ay, Kommodor; geht schon herum!" antwortete Schubert, indem er sich mit Gewalt in das Rad legte, und als er sah, daß der Kommodor nichts mehr zu sagen hatte, hielt er die Linke über die Augen und schaute in das Lee hinüber.

"Vier Striche nach West, also noch weiter ab von der Flotte. Er muß da drüben etwas entdeckt haben."

"Denke es auch. Siehst Du das Segel nicht?"

"Wahrhaftig! Ich glaube, er weiß es bereits, mit wem er es zu thun hat."

"Natürlich. Er hat das beste Fernrohr der ganzen Marine; das ist bekannt. Doch, ich will mich nach einer guten Handspeiche umsehen, denn es liegt wie Pulverdampf und Prügelei in der Luft."

Arthur beobachtete das Segel unausgesetzt. Dann wandte er sich mit einem raschen Rucke zu dem Kapitän der Fregatte.

"Kapitän, wollen Sie sich diese Prise holen?"

"Wenn wir dabei nicht von der Flotte abkommen -"

"Wir holen sie gut wieder ein."

"Was ist es?"

"Ein Linienschiff, Süderländer. Kenne ihn sehr genau; heißt Poseidon, ist sehr alt und nicht gut beweglich."

"Sonst aber ist er uns überlegen, Kommodore!"

"Etwas größer und etwas mehr Mannschaft und Kanonen; werden aber rasch mit ihm fertig werden."

"Poseidon, war der nicht drüben an den Antillen stationirt?"

"Ja. Er kommt zur unglücklichen Zeit nach Hause. Ahoi, Mann am Steuer, noch zwei Striche mehr!"

"Aye, aye, Kommodore!"

"So, Kapitän; das soll mein letztes Kommando gewesen sein. Jetzt befehlen Sie!"

Die Fregatte hielt scharf auf den Kurs des Linienschiffes. In einer Viertelstunde mußte dieses erreicht sein.

"Seid bereit, Jungens. Es wird heiß?" rief der Kapitän.

Dann setzte er das Rohr an und suchte den Horizont noch einmal ab.

"Alle Teufel, Kommodore, dort ist ja noch ein Segel, und, wahrhaftig, noch eins."

"Wo? Die hätte ich doch sehen müssen!"

"Sie steuern in gerader Linie hinter dem Poseidon; daher können wir sie erst jetzt bemerken."

Arthur nahm das Perspektiv auf.

"Auch ein Süderländer, Dreimaster, stark gebaut. Hoffe, daß der Dritte nicht auch dasselbe ist!"

"Wäre es nicht besser zu wenden, Kommodore?"

"Und uns auslachen zu lassen, nicht wahr? Der Poseidon wird unser, und das Übrige wird sich finden."

Zehn Minuten später waren sie auf Sprechweite an das Linienschiff herangekommen und sahen zu gleicher Zeit, daß das zweite Fahrzeug ebenfalls ein Linienschiff, das dritte aber eine Fregatte war, beide süderländische Nationalität.

Da hißte der Poseidon die Flagge.

"Kommodore," meinte der Kapitän, "wir wagen das Unmögliche!"

"Wollen Sie mir das Kommando geben?"

"Gern!"

Der brave Mann war jedenfalls froh, die Verantwortung von sich abgewälzt zu haben.

"Fregatte ahoi!" klang es jetzt von drüben. "Was für ein Schiff?"

"Fregatte Sperber, Kommodore von Sternburg."

"Ah, Arthur von Sternburg."

"Ja."

"Wohin?"

"An den Poseidon!"

"Oho! Ist Krieg zwischen Nor- und Süderland?"

"Ja. Süderland hat uns überfallen. Ergebt Euch!"

"Oho, das werden wir uns erst überlegen! Haltet mehr ab von uns!"

"Fällt uns nicht ein. Hallo da unten, gebt ihm die Breitseite!"

Die beiden Schiffe fuhren jetzt parallel neben einander. Die Fregatte öffnete ihre zwei Lukenreihen und krachte los. Der Poseidon |212A erbebte unter dem Drucke der Kugeln, welche über und unter seiner Wasserlinie einschlugen. Er war nicht auf diesen Kampf vorbereitet, doch flogen auch seine Luken auf.

"Hallo, Kapitän," meinte Arthur, "der Leib ist gut getroffen. Springt hinunter und sagt den Jungens, auf das Deck zu halten! Ahoi, Schubert, fall schnell ab nach Lee! Nieder mit dem Segel!"

Dieses Kommando hatte zur Folge, daß die Fregatte eine scharfe Wendung machte und den Kugeln des Linienschiffes nur den Stern bot. Die Salve flog in das Wasser.

"Bravo! Herum wieder, Schubert, herum! Herauf mit der Leinwand da vorn! Feuer!"

Ein lautes Hallo erschallte auf die zweite Breitseite. Der Hauptmast stürzte, und während man drüben beschäftigt war zu kappen, erhielt der Poseidon noch eine volle Lage, die das schwere Schiff unlenkbar machte. Dennoch ließ es die Flagge nicht fallen, da bereits in den beiden andern Schiffen die Hilfe nahe war.

"Laßt den Methusalem jetzt schwimmen; er bleibt doch unser!" rief Arthur. "Lieutenant, da vorn, herum, dem Zweiten entgegen! Schubert, leg um!"

Der Steuermann warf sich in das Rad, und der Segelmeister that seine Schuldigkeit so gut, daß sich die Fregatte in einem kurzen Bogen herumdrehte und dem zweiten Linienschiffe entgegenging.

"Kommodore," meinte der Kapitän, "haben wir nicht genug gethan? Wenn wir Diesen angreifen, nimmt uns die Fregatte dort den Wind."

"Werden ihn schon wieder bekommen. Heda, Martin!"

"Aye, Kommodore!" antwortete der Stückmeister.

"Fünfzig Thaler, wenn Du ihm das Steuer nimmst!"

"Werde sie verdienen!"

Der Mann kniete vor seinem Geschütz nieder und machte eine Miene, der man es ansah, daß sein nächster Schuß ein Meisterschuß werden solle.

"Hollah!" rief da der Mann auf dem Masthead. "Dort was für ein Ding?"

Arthur sah in der Richtung der ausgestreckten Hand des Mannes, und was er erblickte, war allerdings wunderbar genug. Höchstens anderthalb englische Meilen entfernt kam ein Schiff heran, welches tiefschwarze Segel trug und wegen dieser Farbe bisher nicht bemerkt worden war. Obgleich seine Masten sich unter der Last der Leinwand förmlich bogen, mußte seine Fahrt eine staunenswerth schnelle genannt werden. Es war, als würde das Fahrzeug von einer unsichtbaren Macht herbeigeschnellt. Auch der Steuermann bemerkte es, legte die Hand an den Mund und rief:

"Ahoi, Kommodore, der schwarze Kapitän!"

Auch drüben auf dem Linienschiffe ertönte derselbe Ruf.

"Ist gleich!" rief Arthur. "Drauf auf den Süderländer! Martin, aufgepaßt!"

Die Fregatte strich dicht an dem Linienschiff vorüber, und der Stückmeister drückte los. Seine Kugel krachte in den Steuerhebel und zersplitterte ihn.

"Bravo. Feuer auf Steuerbord!"

Die Breitseite der Fregatte sprühte ihre Kugeln; drüben aber war der Kommandeur entweder über die Erscheinung des "Tigers" oder über die Zerstörung seines Steuers so betroffen, daß er den rechten Zeitpunkt versäumte; der Donner seiner Breitseite erscholl, als die Fregatte bereits vorüber war.

"Halte aus im Kurs, Schubert!" gebot Arthur.

"Aye, Kommodore!" antwortete der Steuermann, sehr befriedigt über diesen Entschluß Sternburgs.

Dieser wollte vor allen Dingen sehen, was den schwarzen Kapitän herbeiführe. Auch die süderländische Fregatte war so nahe herbeigekommen, daß alle vier Schiffe den "Tiger" genau beobachten konnten. Es schien ein ungeheures Wagniß des Piraten, die Nähe von vier solchen Orlogschiffen geradezu zu suchen.

Er beachtete den "Sperber" gar nicht, sondern hielt gerade auf das Linienschiff zu, welchem Arthur soeben seine Salve gegeben hatte. Schon war er demselben ziemlich nahe, da fielen wie durch einen Zauberschlag seine sämmtlichen Segel, und dennoch kam er in ungeminderter Schnelligkeit heran. Man sah seine nackten Masten, seine Raaen, man sah jede seiner Stangen und Spieren, aber man konnte sich nicht erklären, durch welche Kraft er getrieben wurde. Kein Mann stand am Steuer, keine Luke, kein Mensch an Deck war zu sehen, und nur da vorn, draußen auf dem Klüverbaume stand Einer, völlig schwarz gekleidet und schwarz im Gesichte, eine wahre Riesenfigur, in der Rechten den krummen türkischen Säbel und die Linke an den Pistolen im Gürtel. Er hielt sich nicht an und stand doch so fest und sicher wie in der Mitte eines Zimmers.

Es waren auf den vier Schiffen gewiß Wenige, denen nicht |212B das Herz klopfte. Er ging zwischen dem Sperber und dem Linienschiffe durch. In diesem Augenblicke erhob der Schwarze den Säbel, das schwarze Schiff erbebte dreimal; drei fürchterliche Salven donnerten aus seinem Rumpfe in den des Linienschiffes, dann war er vorüber. Aber er ging nicht weiter, sondern schlug, ohne daß das Steuerrad bewegt wurde, einen Bogen auf die süderländische Fregatte ein. Jetzt nun sah man deutlich, daß das Wasser unter seinem Kiele verschlungen wurde, wie von einem unsichtbaren Ungeheuer, und da, da schwebte auch eine Flagge empor, scheinbar ganz ohne Zuthun einer menschlichen Kraft - es war die norländische.

"Hurrah, Hurrah!" ertönte es aus allen Kehlen, die es auf dem Sperber gab.

Sogar Arthur stimmte mit ein. Einen solchen Verbündeten hatte er nicht vermuthen können.

"Leg um, Schubert, ans Steuerbord der Fregatte!" gebot er donnernd. "Sie muß auf den Grund!"

Der Sperber flog herum. In diesem Augenblicke senkte aber die Fregatte die süderländische Flagge und zog die weiße auf. Sie ergab sich ohne Gegenwehr, und das war sehr richtig, denn sie wäre verloren gewesen, da die beiden Linienschiffe so zugerichtet waren, daß sie ihr nicht den mindesten Beistand leisten konnten. Auch sie ließen ihre Flaggen fallen.

Da drehte der "Tiger" herüber und hielt auf den Sperber zu. Dabei flogen seine Signale empor, welche zum Beidrehen aufforderten.

"Kapitän, folgen Sie ihm, und übernehmen Sie jetzt das Kommando wieder," meinte Arthur. "Ich möchte ihn nur beobachten."

Er trat hinter die Schanzverkleidung, so daß er vom "Tiger" aus nicht gesehen werden konnte. Die Windsegel fielen, und auch das schwarze Schiff stellte seine Fahrt ein, von ganz derselben unsichtbaren Macht festgehalten. Die beiden Schiffe lagen sich schaukelnd einander gegenüber.

"Sperber ahoi! Welcher Kapitän?" rief der Schwarze, der den Namen der Fregatte gelesen hatte, herüber.

"Kapitän Baldauf mit Kommodor Sternburg an Bord!"

"Kommodore? Arthur von Sternburg?"

"Ja."

"Bitten Sie ihn sofort zu mir an Bord!"

"Oho! An Bord eines Kapers?"

"Nicht Kaper, sondern norländisches Orlogschiff!"

"Auf Ehre?"

"Auf Ehre!" antwortete der Schwarze in überzeugendem Tone, indem er die Rechte auf das Herz legte.

"Was werden Sie thun, Kommodore?" frug der Kapitän halblaut.

"Ich werde hinüber gehen."

"Wie viel Mann Begleitung?"

"Zwei Ruderer im kleinen Boote."

"Ein großes Wagniß!"

"Werden sehen!"

Das Boot wurde ausgesetzt, und in zwei Minuten schwang sich Arthur an einem herabfallenden Seile, an welches die Ruderer das Boot befestigten, an Bord des "Tigers".

Es war kein Mensch da zu sehen. Der Schwarze stieg vom Klüver auf das Spriet, von da auf das Deck herab und kam auf ihn zu, blieb aber plötzlich erstaunt halten.

"Bill! Bill Willmers!"

"Ah, woher kennen Sie diesen Namen?"

"Wer sind Sie?"

"Ich heiße von Sternburg und bin seit gestern Kommodore."

"Ah, daher diese Ähnlichkeit mit Ihrem Vater! Aber warum dieses Inkognito?"

"Welches?"

"Pah! Kommen Sie!"

Er schritt ihm voran nach hinten und öffnete.

"Treten Sie einstweilen hier in die Kajüte. Ich habe unten einige Befehle zu ertheilen und komme dann nach!"

Arthur folgte dem Gebote. Die Thür schloß sich hinter ihm und er stand vor einer jungen Dame, welche in orientalische Tracht gekleidet war.

"Almah!"

Sie hatte sich bei seinem Eintritte erhoben.

"Bill - Willmers!" rief sie erstaunt, bemerkte aber dann die Uniform mit den Abzeichen seines Ranges. "Was ist das? Ein - ein Kommodore!"

"Ja, der nicht mehr Bill Willmers, sondern Arthur von Sternburg heißt."

Sie legte erstaunt die Hände in einander.

"Ists möglich! Mein - mein Retter!"

|213A "Den Ihnen dieser Bill Willmers zuführen wollte. Verzeihen Sie mir den kleinen Scherz?"

Sie stand vor ihm da wie mit Blut übergossen, und ihre Stimme zitterte leise, als sie frug:

"Aber warum dieses häßliche Inkognito?"

"Weil ich die Seligkeit genießen wollte, Ihnen dienen zu dürfen mit jedem Gedanken meines Herzens und jeder Bewegung meiner Hände, Almah." Ihre Schönheit und die Überraschung wirkten fast berauschend auf ihn, und er fuhr fort, ihre beiden Hände ergreifend: "Almah, jetzt bin ich ein Prinz, wie Sie es gegen Mutter Horn gewünscht haben. Zürnen Sie mir, daß ich dies erfahren habe?"

Sie erglühte noch tiefer. Er konnte sich nicht halten; er zog sie an sein Herz und küßte sie auf die rosigen Lippen.

"Almah, ich habe Dein gedacht mit heißer Sehnsucht, seit ich Dich damals aus dem Wasser trug. Sag, o sag, darf ich, nun ich Dich gefunden habe, Dich festhalten für das ganze Leben?"

Sie neigte ihr Köpfchen an seine Brust.

"Arthur, Du darfst!"

"Habe Dank, Du liebes, Du süßes, Du herrliches Wesen!"

Er zog sie fester an sich und küßte sie wieder und immer wieder.

"Ah, Kommodore," rief es da hinter ihm, "Sie langweilen sich nicht, wie ich sehe!"

Er fuhr herum. Der Schwarze war leise eingetreten.

"Excellenz!"

"So erkennen Sie mich? Nun, dann herab mit dem Dinge!" Er nahm die dünne Gazelarve ab, welche sein Gesicht verhüllte. "Willkommen auf dem Tiger!"

"Dem fürchterlichen Piratenschiffe!" lächelte Arthur.

"Sind Sie nicht selbst Pirat geworden, der kommt, sieht und siegt? Doch davon später! Wir haben keine Zeit zu langen Verhandlungen übrig. Sie gehen nach Tremona?"

"Ja. Meine Flotte ist bereits voraus."

"Darf ich mich anschließen?"

"Als was?"

"Als einer Ihrer Kapitäne einstweilen. Ich gebe Ihnen den "Tiger" als Flaggenschiff."

"Topp!" rief Arthur erfreut. "Eine solche Aquisition ist eine ganze Flotte werth. Aber Ihr Verhältniß zu Süderland?"

"Gibt es nicht. Aber, Kommodore, Sie sind ja ein ganz verwogener Teufel. Wagen sich da an die drei Orlogschiffe! Sie nehmen doch die Prisen mit?"

"Natürlich!"

"Werde Ihnen behilflich sein; kann eine oder zwei von ihnen ins Schlepptau nehmen."

"Per Dampf!"

"Sie errathen?"

"Natürlich. Sie haben statt Rad oder Schraube eine Pumpe und dabei einen Kessel, der den Rauch verzehrt."

"Richtig. Und das Andere ist auch keine Hexerei. Wenn wir in Ordnung sind, können Sie sich alles ansehen. Jetzt kommen Sie an Deck!"

Als sie wieder in das Freie kamen, fand Arthur das Deck ganz mit orientalisch gekleideten Leuten bemannt. Einer derselben kam ihnen entgegen. Nurwan-Pascha stellte ihn vor:

"Mein erster Lieutenant Ali-el-Hakemi-Ebn-er-Rumi-Ben-Hafis-Omar-en-Nasafi, der den "Tiger" führt, wenn ich nicht an Bord bin. Er wird dies auch jetzt thun, denn ich begleite Sie natürlich an Bord der drei Prisen, um Ihnen an die Hand zu gehen, wenn Sie erlauben."

"O, ich bitte darum. Kommen Sie!" - -

Es war eine Woche später. In dieser Woche war viel, sehr viel geschehen. Die Vertreter der Wahlbezirke saßen in der Residenz bei der Berathung der Konstitutionsvorlage; Tremona befand sich in den Händen Norlands, und General Helbig stand mit seiner daselbst gelandeten Armee in der durch einen Handstreich genommenen Residenz von Süderland. Der Norden dieses Landes war von den Schaaren der Aufständischen und den Truppen, welche mit diesen gemeinschaftliche Sache machten, besetzt, und zwischen diesen und der Armee des Fürsten Sternburg lagen die Truppen des tollen Prinzen eingeschlossen, bei denen die Familie des Königs Schutz gesucht hatte. Nur von dem Herzoge von Raumburg war keine Spur aufgefunden worden.

Der König von Norland saß an seinem Schreibtische und hatte einen geöffneten Brief in der Hand. Unweit von ihm hatte Max Platz genommen.

"Also Prinzeß Asta läßt mich durch Dich um die Erlaubniß bitten, das Unglück ihres Vaters theilen zu dürfen?"

|213B "Darf ich diese Bitte unterstützen, Majestät?"

"Einer solchen Befürwortung kann ich unmöglich widerstreben. Max, ich habe Dir viel, sehr viel, vielleicht Alles zu danken, und ein König hat die Macht, dankbar zu sein. Willst Du mir eine Frage offen beantworten?"

"Ich werde es," antwortete er einfach.

"Du liebst die Prinzessin?"

"Majestät!"

"Sei offen!"

"Ich kann nicht gegen die Stimme meines Herzens; dieses aber muß ich dem Verstande unterordnen. Ich werde es besiegen."

"Vielleicht brauchst Du es nicht. Wie denkt oder fühlt Asta?"

"ich habe mich ihr gegenüber nicht verrathen, aber ich weiß, daß sie leidet."

"Gut. Willst Du sie zu ihrem Vater bringen?"

"Ich?"

"Ja, Du und ich, wir Beide. Dein Plan, welchen ich meinen Weisungen an Sternburg zu Grunde legte, hat sich bewährt. Während wir dem tollen Prinzen nur eine einzige Gardebrigade in den Pässen entgegenstellten und er nicht Acht auf seinen Rücken hatte, ist er von Sternburg auf beiden Seiten umgangen. Wir haben nicht nur ihn, sondern auch die aufständischen Süderländer eingeschlossen und sind Herren der Situation. Hier in diesem Briefe zeigt mir Sternburg an, daß der König bereit sei, Verhandlungen anzuknüpfen; die Grundlagen des abzuschließenden Friedens habe ich mit Dir bereits eingehend beschlossen, und so bin ich bereit, mich in Deiner Begleitung zur Armee zu verfügen. Asta wird uns begleiten. Es wäre wünschenswerth, den jungen Sternburg und auch diesen verteufelten Nurwan-Pascha im Hauptquartier des Fürsten vorzufinden. Wenn Du Beiden sofort nach Tremona telegraphirst, so können sie binnen zwei Tagen dort eintreffen."

"Ich werde das sofort besorgen."

"Und dann wirst Du vielleicht noch Zeit zu einer weiteren Besorgung finden?"

"Welche?"

"Ich höre, daß Du jetzt täglich die Prinzessin Asta besuchest?"

"Allerdings."

"Sie soll sogar öfters bei Deinen Eltern absteigen?"

"Zuweilen. Sie sitzt mit Mutter stundenlang in Unterhaltung."

"Dann wirst Du vielleicht Gelegenheit haben, ihr bei Euch oder in ihrer gegenwärtigen Wohnung diese Zuschrift zu überreichen. Sie enthält eine Überraschung für sie."

"Danke, Majestät! Dieses ebenso liebliche wie edle Wesen bedarf wirklich einmal einer Botschaft, welche ihr einige Freude macht."

"Das sollen diese Zeilen. Was nun das Arrangement für unsere Reise betrifft, so fahren wir nicht per Bahn, sondern per Wagen, zwei Wagen werden genügen; der eine für mich und Deinen Vater, der andere für Asta, Dich und Deine Mutter."

"Wie, Majestät befehlen, daß die Eltern - -"

"Natürlich! Dein Vater ist mein bester und treuester Freund; er muß unbedingt an meinem Siege persönlich theilnehmen. Und da Du mir erzählst, welche Theilnahme Asta für Deine Mutter empfindet, so soll sie ihr Gesellschaft leisten, da ich doch einmal für eine Begleiterin Sorge tragen müßte. Was die Bedienung anbelangt, so bin ich versehen, Du aber noch nicht. Wie wäre es mit Eurem Thomas?"

"O, der ginge mit Freuden mit!"

"So sind wir fertig. Adieu, mein Junge!"

"Adieu, Majestät!"

Sie drückten sich die Hände wie zwei einfache, biedere Männer durch die Bande des Blutes in Liebe zusammengehören, und es lief dem Doktor dabei aus lauter Rührung und Dankbarkeit feucht in die Augen. Der König bemerkte es, legte den Arm um seine Schulter, zog ihn an sich und küßte ihn.

"Max, Gott hat mir Kinder versagt, aber wenn ich mir einen Sohn wählen dürfte, so müßtest Du es sein. Bleibe mir treu und lieb, wie Du es immer gewesen bist. Adieu!"

Er wandte sich ab. Auch in seinem Auge glänzte etwas, was er nicht sehen lassen wollte.

Max versorgte zunächst die Depeschen und ging dann - nicht zu seinen Eltern, sondern zur Prinzessin.

Er fand sie in derselben Laube, in welcher er sie damals in Gesellschaft des Generals von Raumburg getroffen hatte.

"Willkommen, Herr Doktor!" empfing sie ihn. "Darf ich behaupten, daß Sie sehr Erfreuliches erfahren haben?"

"Warum?"

"Ich lese die Kunde davon in Ihren Zügen."

|214A "Sind dieselben so redselig, Hoheit?"

"Redselig nicht, aber offen und ehrlich, gar nicht, wie man es bei einem solchen Diplomaten sucht, als der Sie sich ja erwiesen haben."

"Danke. Allerdings habe ich Erfreuliches erfahren, aber nicht in direkter Beziehung auf mich, sondern indirekt, indem es sich auf Ew. Hoheit bezieht."

"Ah!"

"Majestät beauftragte mich Ihnen mitzutheilen, daß er sich entschlossen hat, die Reise zu Ihrem Königlichen Herrn Vater in meiner und Ihrer Begleitung anzutreten. Er fährt in Gesellschaft meines Vaters und stellt die Frage an Sie, ob Sie ihm erlauben, während dieser Fahrt meine Mutter bei sich zu sehen."

"Natürlich von ganzem Herzen gern, Herr Doktor, oder vielmehr, Herr Geheimerath."

"Danke! Ich darf annehmen, daß die Grundlagen unserer Verhandlung mit Ihrem Herrn Vater aus den humansten Rücksichten erwachsen. Vielleicht finden Sie einige darauf bezügliche Andeutungen in diesem eigenhändigen Schreiben des Königs, welches er mich beauftragte, Ihnen zu überreichen."

Sie nahm es in Empfang, öffnete das Couvert und las den Inhalt durch. Ihre schönen Züge nahmen einen eigenthümlichen Ausdruck an.

"Dieses Couvert, Herr Geheimerath, enthält einige an mich gerichtete Zeilen, in denen mich Majestät ersucht, Ihnen die beiden beigelegten Dokumente zu übergeben. Ich habe sie gelesen. Bitte, hier sind sie."

Er war überrascht und griff zu. Er las und las; sein Auge umflorte sich, und seine Lippen zitterten vor innerer Bewegung.

"Nun, Erlaucht?" frug Asta, und auch ihre Stimme bebte.

"Das kann ich nicht annehmen! Solche Liebe und Güte habe ich nicht verdient!"

"O doch! Und ich fühle mich glücklich die Erste zu sein, welche Ihnen gratuliren darf."

Sie reichte ihm ihre Hand entgegen, die er fast bewußtlos fest in der seinigen hielt. Der König hatte ihn in dem einen Dokumente zum "Grafen von Brandau" erhoben und ihm in dem andern den von der Prinzessin jetzt bewohnten Palast sammt der ganzen Ausstattung desselben und außerdem eines der größten Rittergüter des Landes als Ehrengeschenk zugewiesen.

|215A So saßen sie lange Hand in Hand bis die Prinzessin die Stille, in welcher nur die Herzen gesprochen hatten, unterbrach.

"Darf ich Sie auf ein Wort meines Briefes aufmerksam machen, Graf."

"Bitte."

"Seine Majestät haben das Wörtchen "einstweilen" unterstrichen. Sie dürfen also wohl hoffen, daß die Güte des Königs auch weiter für Sie thätig sein wird. Glauben Sie fest, daß Ihnen dieselbe Niemand so von ganzem Herzen gönnt, wie ich!" -

Sie stand, von ihrer inneren Bewegung beherrscht, auf und trat an das Fenster. Er blieb sitzen, lange, lange, bis es ihn hin zu ihr zog.

"Prinzeß!"

Sie antwortete nicht.

"Asta!"

Sie drehte sich jetzt um. Ihre Augen leuchteten im feuchten Glanze.

"Max!"

Sie lagen einander in den Armen, wortlos; aber der warme Busen, der an seiner Brust wogte, sagte ihm, wie schwer es ihr bisher geworden war die Gefühle zu beherrschen, von denen sie jetzt beim bloßen Klange ihres Namens übermannt worden war. - -

Auf der Waldwiese vor der Hütte Tirbans war das hohe Gras abgemäht, um Platz zu machen für eine Reihe von kostbaren Zelten, die man hier für die beiden Könige von Nor- und Süderland |215B und ihre Begleitung errichtet hatte. Der tolle Prinz war mit seinem ganzen Heere gefangen genommen worden, eine Schlappe, die ihm fürchterlich erschien, ebenso wie der Umstand, daß Karl Goldschmidt, der Insurgentenführer, herbeigerufen worden war, um im Namen seiner Genossen Antheil an den Verhandlungen zu nehmen.

Diese Verhandlungen waren im vollen Gange und näherten sich sehr schnell ihrem friedlichen Ende. Die Hauptforderung der Aufständischen nach einer ähnlichen Konstitution, wie sie der König von Norland jetzt eben ausarbeiten ließ, war bereits gewährt, und die übrigen Fragen betrafen nur Punkte, deren Lösung nach diesem Zugeständniß nicht schwer werden konnte.

An einem der letzten Abende war der Platz von hundert Fackeln hell erleuchtet, und die Herrschaften saßen bei einem munteren Pickenick beisammen. Am Rande der Blöße hatten sich die niedriger Stehenden versammelt, unter denen sich auch die beiden Schuberte befanden. Zwischen ihnen saß Karavey, der Zigeuner.

"Siehst Du wohl, Bootsmann," meinte der Steuermann, "daß ich Recht hatte, als ich hier den Willmers für den Sternburg und den Türken für den schwarzen Kapitän hielt?"

"Pah! Ich könnte Dir ganz Ähnliches sagen, worüber Du noch mehr lachen würdest als damals."

"Nun, zum Beispiel!"

"Was sagst Du dazu, wenn ich den Brandauer für den Prinzen, den Sternburg für den Brandauer und den Türken für den Raumburg halte?"

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, Du bist verrückt, Kerl!"

"Das ist am Den! würde mein Paldrian sagen, wenn er hier pei uns wäre und dieses verwechselte Zeug gehört hätte," meinte |216A Thomas. "Pei meiner armen Seele, Du pist verrückt, mein Kind, verrückter noch als der Heinrich und der Paldrian!"

"Die? Inwiefern sind denn die verrückt?"

"Weil sie sich meine Parpara eingebildet haben; aper ich pekomme sie doch!"

"Ah! Wirklich?"

"Wirklich. Am Apend vor meiner Apreise sind wir Peide richtig und einig geworden. Wir heirathen uns; ich werde ein Gasthofspesitzer und errichte mir im Nebengebäude eine Schmiedewerkstatt, wo der Thomas von früh pis zum Apend fleißig hämmern wird, um nachher sein Pier aus der eigenen Puteille zu trinken und seinen Tapak oder seine Ampalema aus der eigenen Püchse und Kiste zu rauchen. Pasta, apgemacht!"

"Gratulire!"

"Ich auch!"

"Danke! Werdet Peide eingeladen. Macht den Hausrath fertig. Amen!"

Gegenüber am Buschrande kam eine Frauengestalt geschlichen, welche zögernd vorwärts schritt, um die Gesellschaft zu rekognosziren. Der Major von Wallroth erkannte sie und sprang auf.

"Mutter!"

Er schämte sich vor all den Herrschaften nicht, die alte Zigeunerin seine Mutter zu nennen.

"Ihre Mutter?" rief der alte Sternburg. "Ist dies wahr?"

Auch der König war aufgestanden.

"Zarba!"

Sie nahte sich demüthig.

"Majestät, zürnt der Tochter der Brinjaaren nicht, daß sie es wagt - -"

Er unterbrach sie mit einer raschen Handbewegung.

"Zarba, Du wagst nichts, sondern Du gehörst zu uns, denn alles was geschehen ist, das ist zum größten Theile Dein Werk. Setze Dich zu uns!"

"Erlaubt, daß Zarba stehen bleibe, bis sie das Werk vollendet hat, an dem sie arbeitete so lange Zeit!"

"Nun?"

"Bhowannie ist die Göttin der Rache, sie sprach einst zu mir, daß ich Vergeltung üben solle, und ich gehorchte ihr. Ich habe Gericht gehalten und bin nun gekommen, mein Haupt zu beugen unter dem Urtheile, welches Ihr über mich sprecht."

Das waren räthselhafte Worte. Niemand antwortete, und sie fuhr fort.

"Hoher Herr, seid Ihr bereit mich anzuhören?"

"Sprich!"

"So erlaubt vorher, daß ich Einen bringen lasse, der hierher gehört und der bald vor einem höheren Gerichte erscheinen wird!"

Sie winkte nach dem Busche hin. Aus demselben traten Horgy, Tschemba und Tirban hervor. Die ersteren trugen eine aus Ästen verfertigte Bahre, und der letztere sorgte dafür, daß der auf derselben liegende Gegenstand nicht herabfiel. Sie setzten die Trage mitten in den Kreis der hohen Herrschaften hinein und entfernten sich dann wieder. Zarba trat hinzu und nahm das Tuch hinweg. Ein Schrei ertönte in der Runde. Auf der Bahre lag mit blutigem Gesichte und gräßlich zugerichtet der Herzog von Raumburg. Zarba beugte sich lange über ihn; dann richtete sie sich wieder empor, nachdem sie ein Paket hervorgezogen und auf die Brust des mühsam Athmenden gelegt hatte. Er stöhnte laut auf, als ob die Papiere eine Last von mehreren Zentnern bildeten. Sie begann:

"Bhowannie hat ihn ereilt und gestürzt. Wer mag ihn ansehen? Und einst war er so schön, so vornehm, und seine Worte klangen so süß und so lieblich, daß die Tochter der Brinjaaren sich bethören ließ und ihm folgte. Sie brach ihrem Bräutigam die Treue, der doch besser war als er und edler, und ihm gleich an allen Würden, denn er war sein älterer Bruder."

"Zarba!" rief Nurwan-Pascha.

"Katombo, ich sage die Wahrheit. Wie ich mich von ihm bethören ließ, so bethörte sein Vater unsere Mutter. Du bist mein Bruder und der seinige, Bhowannie wollte nicht, daß Bruder und Schwester Mann und Weib sein sollten, und darum lenkte sie mein Herz zur Untreue. Vergib mir! Hier hast Du die Schriften, welche sein und Dein Vater unserer Mutter gab, um sie zu verführen. Sie werden beweisen, daß Du ein Raumburg bist."

"Ist es möglich?"

"Schweige jetzt. Bhowannie hat ihm seine Minuten gezählt, und ich muß schnell machen, ehe er stirbt. Herzog von Raumburg hast Du Deine volle Besinnung und hörst Du jedes Wort, welches ich rede?"

"Ja," antwortete er mit hörbarer Anstrengung.

|216B "Du hast gewußt, daß Katombo Dein Bruder ist und erkennst ihn an?"

"Ja!"

"Weiter! Ich zog zu ihm und lebte bei ihm, ich erfuhr alle seine Geheimnisse. Aber er brach mir seine Schwüre, und ich wollte mich an ihm rächen. Er trachtete nach der Krone von Norland. Die Königin und die Fürstin von Sternburg waren Freundinnen. Sie hatten einander lieb und wohnten im Schlosse beisammen, die eine rechts und die andere links. Die Göttin der Vorsehung fügte es, daß beide gleiche Hoffnung bekamen und fast zu gleicher Stunde gebaren, die Königin einen Sohn und die Fürstin eine Tochter, die Fürstin starb bei der Geburt, und der Fürst war im Auslande."

"Das stimmt!" rief Sternburg. "Weiter, rasch!"

"Der Herzog durfte nicht leiden, daß der König einen Thronfolger habe, er bestach die Hebamme, und diese wechselte die Kinder gegenseitig aus. Die Königin bekam das Mädchen und der Knabe kam zu einer Amme, welche die Tochter der Hebamme war, aber von dem Tausche nichts wußte."

Jetzt kam die Reihe zu erschrecken an den König.

"Weib, weißt Du auch, was Du sagst? Kannst Du Alles beweisen? Dann wäre ja hier der Kommodore von Sternburg mein Sohn!"

"Majestät hören Sie weiter! In der Eile wurde die Wäsche der Kinder nicht mit umgewechselt, und so erhielt die Amme lauter solche, welche mit dem königlichen Wappen versehen war. Sie lebt noch. Sie ist die Frau des Lohnkutschers Beyer bei der Irrenanstalt, und wenn die Herrschaften hingehen, werden sie dort mein Bild finden, welches ihr Sohn gezeichnet hat."

"Das ist so," stimmte Max bei. "Ich war einmal dort und erinnere mich ganz genau, daß die Frau mir von diesen Dingen erzählt hat. Weiter, Zarba!"

"Das Mädchen starb und später auch die Königin. Der Herzog wußte, daß ich alles kannte; er traute mir nicht mehr und glaubte, ich würde ihn verrathen, darum trachtete er dem Knaben nach dem Leben. Ich rächte mich an ihm, indem ich das Kind rettete. Ich ging sehr oft zu der Frau des Hofschmiedes Brandauer. Sie wußte, daß die Göttin mir die Gabe verliehen hatte, in die Zukunft zu blicken, und als sie eines Knäbleins genas, bat sie mich, ihm zu weissagen. Die Amme, welche den königlichen Prinzen säugte, wohnte damals neben der Schmiede -"

"Das stimmt!" rief Brandauer.

"Ich brachte sie so weit, daß ich auch ihrem Pflegekind die Zukunft vorhersagen sollte. Ich sagte zu ihr und der Frau des Schmiedes, daß ich mit dem Kinde eine halbe Stunde ganz allein im Garten sein müsse. Sie vertrauten mir, ohne dies von einander zu wissen, die Kinder an, ich nahm sie mit einander in den Garten, kleidete sie um und verwechselte sie. Die Amme erhielt den Schmiedesohn, und die Frau des Schmiedes erhielt den Sohn des Königs. Ich sagte dem Herzoge, daß ich den Prinzen wieder verwechselt hatte, das war meine Rache, aber wohin ich ihn gethan hatte, das hat er nie erfahren."

"Weib, Zarba, sprich, lügest Du nicht?" frug der König fast außer sich vor Erregung.

"Fragt ihn selbst! Die Schmerzen haben ihn gebrochen; er will Alles gestehen. Herzog von Raumburg, habe ich gelogen?"

"Nein!" röchelte er.

"Beschwörst Du dies bei Deinem Gotte, vor dem Du in einer Viertelstunde erscheinen wirst?"

"Ja!"

"Majestät, Sie hören es! Max Brandauer ist Ihr Sohn. Meister Brandauer, der Prinz von Sternburg ist Ihr Sohn!"

"Brandauer, höre mich!" rief der Pascha. "Frage den Prinzen, ob es nicht wahr ist. Als er auf meine Yacht sprang und ich ihn zum ersten Male erblickte, habe ich ihn bei Deinem Namen gerufen. Er sieht ganz so, wie Du sahst, als Du in seinem Alter warst."

Es war eine ungeheure Erregung und Bewegung, welche diese Enthüllungen hervorbrachten. Max und der König lagen sich ebenso in den Armen wie Arthur und Brandauer, dann flog Max wieder an das Herz des Schmiedes und Arthur an dasjenige des Fürsten.

"Und ich habe nun kein Kind!" klagte dieser.

"Vater, Du behältst mich!" rief Arthur. "Ihr seid Beide meine Väter!"

Als sich der Sturm einigermaßen gelegt hatte, fuhr Zarba fort:

"Auch mein Kind, meinen Knaben verfolgte er bis in das Irrenhaus; der Herr Doktor Brandauer, der Sohn des Königs, |217A rettete ihn. Hier steht er. Herzog von Raumburg, ist der Major von Wallroth Dein Sohn?"

"Ja."

"Und sind wir nicht heimlich durch einen Priester verbunden worden, gerade so wie Dein Vater mit meiner Mutter?"

"Ja."

Sie nahm den Rest des Päckchens auf und legte es dem Könige in die Hand.

"Hier, Majestät, sind die Beweise, daß Katombo und Wallroth ehelich geborene Raumburgs sind. Nun bin ich zu Ende und werde das Urtheil tragen, welches über mich gesprochen wird."

Der König blickte im Kreise umher.

"Wer wünscht, daß sie bestraft werde?"

Niemand gab eine Antwort.

"So werde ich die Urtheile sprechen, welche zu fällen sind." Er nahm Max bei der Hand und trat zum Könige und der Königin von Süderland.

"Königliche Majestäten, erkennen Sie den Herrn Grafen von Brandau als meinen Sohn und Nachfolger an?"

Ein zweistimmiges "Ja!" ertönte.

"So gebe ich mir die Ehre, für ihn um die Hand meines werthen Gastes, der Prinzessin Asta, Ihrer königlichen Tochter anzuhalten. Ihre Herzen haben sich gewählt. Ihre Einstimmung, Hoheiten wird auch alle politischen Konflikte augenblicklich beseitigen."

Die Eltern sahen ihre Tochter an dem Herzen des Königssohnes liegen. Sie stimmten freudig ein. Da ergriff Katombo Almahs und Arthurs Hand.

"Majestät, gestatten Sie mir, für den Verlust, welchen Sternburg und Brandauer erleiden, Beiden eine Tochter zu geben!"

"Ah! lauter Überraschungen, mein lieber Pascha! Ich muß Sie dafür belohnen. Sie sind Herzog von Raumburg und erhalten alle Titel, Würden, Ehren und Güter dieses Hauses, wenn Sie den Major von Wallroth als Ihren Sohn und Nachfolger anerkennen."

"Majestät!" riefen Beide wie mit einer Stimme, und Katombo fügte hinzu:

"Noch ist die Familie Raumburg nicht ausgestorben!"

"Doch! Dieser liegt hier auf dem Tode. Gott vergebe ihm seine Sünden, wie ich sie ihm vergebe! Und sein Sohn ist kein Raumburg mehr. Sollte er einst Gnade finden, so thun Sie an ihm, was Ihr Herz Ihnen gebietet. Und nun zu Dir, Zarba. Wie ist der Herzog in Deine Hände gekommen?"

"Horgy und Tschemba sahen und verfolgten ihn."

"Sie sollen belohnt werden!"

"Er wollte unsere Linie durchbrechen, verfehlte aber bei Nacht den Weg, den er nicht kannte, stürzte und zerschmetterte sich in der Tiefe. Sie brachten ihn mir, und die Schmerzen trieben ihn zum Geständniß."

"Du bist die Schwester und die Mutter zweier Herzöge. Ich übergebe Dich ihnen. Bedarfst Du trotzdem meiner, so darfst Du zu jeder Zeit kommen."

"Ich danke, Majestät! Die Tochter der Brinjaaren hat keine bleibende Stätte, sie wandert, bis ihre Seele zu Bhowannie geht!"

Während dieser aufgeregten Verhandlungen waren auch die Untergebenen näher getreten. Einige von ihnen mußten den Leichnam Raumburgs, da dieser inzwischen verschieden war, von der Stelle bringen, und Jeder erhielt eine Anerkennung oder ein freundliches Wort von dem Könige, so daß die ganze Blöße von Freude und Jubel erschallte.

Zwei Paare aber waren es, welche die Einsamkeit suchten. Arthur mit Almah und Max mit Asta.

Die letzteren Beiden standen unter einer breitästigen Tanne und hatten sich sehr, sehr viel zu sagen. Da trat Zarba herbei.

"Wissen Sie noch, Prinz, und auch Sie, Prinzessin, als ich Ihnen vor der Schmiede weissagte?"

"Jedes Wort!" antwortete Max.

"Sie schwangen damals mit Macht den schweren Hammer. Sie werden ebenso leicht das noch schwerere Scepter tragen. Aus dem Hammer ist ein Scepter geworden. Führen Sie es einst mit Milde, aber vergessen Sie nicht, daß es zuweilen auch mit Kraft und Ernst geschwungen werden muß. Folgen Sie Zarba, der Tochter der Brinjaaren, die noch heut wieder verschwinden wird, und lassen Sie "Scepter und Hammer" den Wahlspruch Ihres Lebens sein!"

Und hinter der Tanne kroch Einer hinweg, der dort bereits heimlich bei seiner Ambalema gesessen und Alles mit angehört hatte. Jetzt hielt er es für gerathen sich zurückzuziehen.

"Die hat gut reden, diese Zarpa!" brummte er vergnügt. "Dieser einstige Prandauer und jetzige Prinz kann diesen Wahlspruch |217B annehmen, denn er hat das Scepter, ich aper, Thomas Schupert, aus dem kein Prinz geworden ist, pehalte den Hammer. Aper, einen Wahlspruch kann ich auch an meine Stupenthüre schreiben. Und welchen denn? Ich hape es! Ampalema und Parpara, das ist mein Wahlspruch, und ich will den sehen, der einen schöneren pesitzt als den meinigen!" - - -


Einführung "Scepter und Hammer"

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