Sechstes Kapitel.

Der Beginn des Kampfes.

Es war am Abende. Der Herzog von Raumburg Excellenz saß an seinem Schreibtische. Zur Seite desselben hatte auf einem Sammtfauteuil sein Sohn, der Erbprinz von Raumburg, Platz genommen. Ihre Unterhaltung war eine lebhafte, aber nicht sehr freundliche.

"Und wie weit bist Du mit dieser famosen Prinzessin Asta?" frug der Vater.

Der Sohn zuckte die Achseln.

"Sie wissen ja, Papa, daß ich diese zarte Angelegenheit nicht als eine gewöhnliche Liaison zu behandeln habe. Ein Projekt von solch eminenter Wichtigkeit muß Zeit finden, sich langsam aus sich selbst heraus zu entwickeln."

"So! Das heißt doch mit anderen Worten, daß Du gerade noch auf dem Punkte stehst, von welchem auszugehen ich Dir befahl?"

"So ziemlich, chèr Papa. Unsere Dame scheint nicht den Willen zu besitzen, ihre Gefühle der Politik oder den Traditionen irgend eines Herrscherhauses zu opfern. Lassen wir also ihrem Herzchen Zeit, unseren Intentionen entgegen zu kommen, ohne eine Ahnung von ihnen zu haben!"

"Zeit? Heißt das sprechen wie ein Offizier, welcher gewohnt sein soll, jede und also auch diese Art von Eroberung im Fluge zu vollbringen?"

"Sie vergessen, Papa, daß es Festungen gibt, welche nicht durch einen kühnen Handstreich, sondern nur nach langwieriger Belagerung genommen werden können!"

"Ich glaube nicht, daß Prinzeß Asta zu dieser Art befestigter Plätze gehört, ganz abgesehen davon, daß wir nicht die Zeit zu einer langsamen Cernirung und Aushungerung besitzen. Ihre Vorzüge und die glücklichen Chancen einer solchen Allianz fallen nicht blos uns in das Auge, das weißt Du genau wie ich. Daher habe ich allen politischen Scharfsinn angestrengt und kein Opfer gescheut, diesen Besuch, welcher Dir alle möglichen Vortheile bietet, zu Stande zu bringen, und ich habe natürlich das Recht, zu erwarten, daß Du den Moment so viel wie möglich benutzest."

"Das thue ich ja, Papa, aber unsere Dame ist - ist - nun ja, sie ist, was ich bei einem Pferde obstinat oder maulhart nennen möchte. Es hilft weder Trense noch Schenkeldruck. Scheint sie nichts zu ahnen, oder will sie nichts ahnen, kurz und gut, sie zeigt nicht die mindeste Spur eines auch nur leisen Verständnisses für die liebenswürdigen Absichten, welche wir ihr entgegenbringen."

"So bist Du in dieser Angelegenheit zu zart, was doch sonst in ähnlichen Dingen ganz und gar nicht Deine Art und Weise ist. Ich erwarte von Dir, binnen wenigen Tagen einen positiven Erfolg verzeichnen zu können. Die Interessen beider Staaten sind bisher aus einander gegangen; ich habe mir Mühe gegeben, sie wenn auch nur scheinbar zu vereinigen, und darf erwarten, daß Du das Ziel aller meiner Bestrebungen kennst und mich auch nach Kräften unterstützest, es zu erreichen. Seine Majestät beginnt zu altern; das Übrige brauche ich wohl nicht näher zu dokumentiren."

Ein Diener trat ein und überreichte auf einem silbernen Teller eine Karte. Der Herzog ergriff sie mit den Spitzen zweier Finger und warf einen Blick darauf.

"Doktor Max Brandauer? Kenne den Namen nicht. Was will der Mensch zu so ungewöhnlicher Zeit? Es muß wohl etwas Wichtiges sein, was einen Unbekannten zu dem Wagnisse bestimmt, mich jetzt zu stören."

Durch die dargereichte Hand wurde der Prinz entlassen, während ein leises Neigen des Hauptes dem Diener sagte, daß die Audienz gewährt werde. Die eine Thür schloß sich hinter dem Prinzen, und die andere öffnete sich, um den Schmiedesohn einzulassen, welcher sich nach einer höflichen Verbeugung in aufrechte Stellung emporrichtete, um die Anrede des Herzogs zu erwarten.

"Was wünschen Sie?" frug dieser stolz. "Ich erwarte natürlich, daß die Seltsamkeit Ihres Erscheinens durch die Natur Ihrer Angelegenheit entschuldigt werde. Es ist jetzt nicht die Zeit, in welcher ich unwichtige Besuche zu empfangen pflege."

|40B "Ich komme im Auftrage Seiner Majestät, Excellenz."

"Ah! Ich kannte Sie bisher nicht als einen Beamten meines königlichen Vetters!"

"Das bin ich auch gegenwärtig nicht. Ich bin der Sohn des Ihnen wohl wenigstens dem Namen nach bekannten Hofschmiedes Brandauer."

Die strengen Züge des Herzogs nahmen einen deutlichen Ausdruck ungewöhnlicher Spannung an.

"Ich kenne diesen Namen. Was kann der König mir durch den Sohn eines Schmiedes zu sagen haben. Jedenfalls sind Sie im Besitze irgend einer Legitimation, da Sie begreifen werden, daß ich nicht so ohne Weiteres jede obskure Persönlichkeit als Vermittler zwischen der Majestät und mir anerkennen kann."

"Hier, Durchlaucht!"

Er überreichte ein Billet, welches der Herzog überflog, um seinen Blick dann fragend wieder auf Max zu richten.

"Ich ersehe aus diesem Handschreiben nicht den Zweck Ihres Kommens."

"Dann haben Majestät jedenfalls gemeint, daß es zuweilen Schmiedesöhne und andere obskure Menschen gibt, welchen es nicht schwer fällt, sich einer Botschaft mündlich zu entledigen," antwortete der Doktor mit einer sehr leisen Verbeugung seines Hauptes.

Die Züge des Herzogs verfinsterten sich.

"Vergessen Sie nicht, vor wem Sie stehen, Herr Brandauer, und kommen Sie zur Sache!"

"Durchlaucht befehlen und ich gehorche. Es verlautete nämlich das Gerücht, daß ein gewisser Herr von Wallroth, Hauptmann der Artillerie, von gewisser Seite und aus gewissen Gründen für wahnsinnig erklärt worden sei und auf eine unverantwortliche, ja sogar geradezu verbrecherische und unmenschliche Weise im Irrenhause festgehalten und zu Tode gepeinigt werde." -

Der Herzog erhob sich. Sein Gesicht war um einen Schatten bleicher geworden.

"Wirklich ein höchst interessantes Gerücht, Herr Brandauer. Wer hat es erfunden und weiter kolportirt?"

"Dem Ursprunge und der Verbreitung eines Gerüchtes läßt sich gewöhnlich nur schwer nachforschen. Allerdings liegt hier eine Ausnahme vor, doch bin ich leider nicht ermächtigt, die Fragen Ew. Durchlaucht zu beantworten."

"So werde ich Sie zu zwingen wissen. Dieses Gerücht tangirt mich natürlich im höchsten Grade -"

"Ah -!" klang die halb ironische Unterbrechung.

"Was unterstehen Sie sich, Herr! Ich sage, dieses Gerücht tangire mich im höchsten Grade, da die Verwaltung der betreffenden Anstalt meiner obersten Leitung unterstellt ist, und ich wiederhole, daß ich Sie nöthigenfalls zwingen werde, mir das Vorhandensein und die Entstehung des Gerüchtes, von welchem Sie sprechen, ausführlich nachzuweisen."

"Eine solche Zwangsmaßregel dürfte wohl außerhalb des Machtbereiches Ew. Durchlaucht liegen, da Seine Majestät -"

"Wohl die Macht besitzen, zu begnadigen, nicht aber in den Lauf einer Klage oder Untersuchung einzugreifen. Was hindert mich, Sie festnehmen zu lassen?"

"Ich, der obskure Schmiedesohn, Excellenz!"

"Ah! Der Umstand, daß mein königlicher Vetter die seltsame Passion besitzt, sich zuweilen an dem Ambose Ihres Vaters zu erlustiren, ist für mich kein Grund zu irgend einer Nachsicht gegen Sie. Ich befehle Ihnen also, mir den Erfinder dieses Gerüchtes mitzutheilen!"

"Ich kenne keinen zwingenden Grund, diesem Befehle gehorsam zu sein, und wenn ich demselben trotzdem nachkomme, so geschieht es nur, um meinerseits einer unangenehmen Erledigung meines Auftrages überhoben zu werden. Ich könnte mich recht gut hinter andere Persönlichkeiten verbergen, doch gibt es auch obskure Leute, welche stolz genug sind, eine solche Feigheit zu verschmähen. Der Erfinder und Verbreiter des Gerüchtes steht vor Ihnen, Durchlaucht."

Der Herzog trat überrascht einen Schritt zurück.

"Und das - das wagen Sie zu sagen?"

"Ich sage es einfach; ein Wagniß ist dabei nicht zu erkennen, da jeder gegen mich gerichteten Gewaltmaßregel durch meinen königlichen Pathen vorgebeugt worden ist. Allerdings habe ich mich eines falschen Ausdruckes bedient, als ich sagte, daß ich der Erfinder des Gerüchtes sei; es wurde nicht erfunden, sondern es erzählte die lautere Wahrheit."

"Ich wäre begierig, den Beweis zu hören!"

"Die Einlieferungsakten des Hauptmanns befinden sich bereits in den Händen Seiner Majestät -"

"Unmöglich!"

"Nicht nur möglich, sondern sogar Thatsache. Diese Akten |41A bestehen außerordentlicher Weise nur in einem kurzen Befehle, dessen Unterschrift ich wohl nicht näher zu bezeichnen brauche."

"Wer hat das Schriftstück ausgehändigt?"

"Der Anstaltsvorstand natürlich. Er wurde sogar gezwungen, eine andere Akte auszuliefern, welche ihm durch einen Expressen übermittelt wurde, um der Mutter des Hauptmanns ganz dasselbe Schicksal zu bereiten, welches ihren Sohn in die Nacht des Wahnsinns oder des Todes stürzen sollte."

Der Herzog mußte sich sammeln. Er stützte sich mit der Hand auf den Schreibtisch und frug dann mit belegter Stimme:

"Die Mutter des Hauptmanns? Er ist mir bei meinen Besuchen in der Anstalt vollständig entgangen. Hat er eine Mutter?"

"Allerdings, und natürlich wohl auch einen Vater."

"Wie heißt sie?"

"Es ist eine Zigeunerin Namens Zarba, und der Vater, welcher auch noch lebt, ist ein -"

"Pah, wir haben es hier wohl nur mit der Mutter zu thun!"

"Ganz, wie Excellenz wünschen! Also das Gerücht fand bei mir seinen Ausgang und wurde -"

"Ich begreife nicht, wie Sie auf eine solche Absurdität fallen konnten!"

"Ich pflege weder absurd zu denken, noch abgeschmackt zu handeln, Excellenz. Also das Gerücht wurde von mir dem Könige mitgetheilt, welcher mich mit dem Auftrage beehrte, als Regierungskommissär die Anstalt zu besuchen. Ich fand die Bestätigung meiner Vermuthungen, befreite sofort den Hauptmann sammt seiner Mutter und erstattete meinem hohen Auftraggeber Bericht über den Sachverhalt. Die Folge davon ist eine gegen den Leiter des Irrenhauses und den Oberarzt einzuleitende Untersuchung. Sie können dem Schicksale, in Haft genommen zu werden, wohl nicht entgehen."

Die Züge des Herzogs wurden noch bleicher als vorher, doch seine Augen blitzten zornig, als er frug:

"Und dies Alles geschah ohne meine Genehmigung?"

"Ich habe noch nie gehört, daß ein unumschränkter Herrscher zu irgend einer Handlung der Genehmigung eines seiner Diener, und wenn es der erste und oberste derselben ist, bedarf. Auch blieb wohl keine Zeit übrig, Excellenz zu benachrichtigen. Leider scheint sich herauszustellen, daß eine sehr hochgestellte Person bei der bevorstehenden Untersuchung leicht kompromittirt werden könnte; Majestät haben die gnädige Absicht, dies zu vermeiden, und wünschen daher, eine Andeutung an die betreffende Adresse gelangen zu lassen. Außer dem Könige, den beiden aus der Anstalt Befreiten und mir ist bisher Niemand in die Angelegenheit eingeweiht, und ich erkenne es als eine Huld des Herrschers, daß er keine andere Persönlichkeit als mich beauftragte, diese Andeutung zu überbringen."

"Und welchen Zweck hat diese Andeutung?"

Der Doktor zuckte mit den Achseln.

"Keinen andern, als den bereits erwähnten. Es scheint mir nicht unmöglich, daß sich der Hauptmann nebst seiner Mutter dahin bringen lassen, von einer Untersuchung abzustehen. Ein Äquivalent für die ausgestandenen Leiden müßte allerdings geleistet werden."

"In wessen Händen befinden sich die aus der Anstalt mitgenommenen Schriftstücke?"

"In denen des Königs."

"Sie bedurften einer Legitimation von Seiten des Ministers?"

"Allerdings, doch wurde diesem Herrn nicht die mindeste Mittheilung über den Zweck meiner Visitation gemacht."

Der Herzog wandte sich dem Fenster zu und blickte einige Minuten lang hinaus in die Nacht. Dann fuhr er plötzlich scharf auf dem Absatze herum.

"Sie sind nicht im Besitze einer amtlichen Stellung, Herr Doktor?"

"Nein."

"Aber ein Mann von Ihrem Wissen sollte sich doch unbedingt nützlich zu machen suchen. Ich würde bereit sein, Ihnen eine Bahn zu eröffnen, falls Sie gesonnen wären, irgend eine Art des staatlichen Dienstes zu betreten."

Max verbeugte sich so tief wie möglich.

"Ich danke, Excellenz! Noch habe ich diese Absicht nicht; sollte sie sich aber einst einstellen, was ich keineswegs bezweifele, so bin ich bereits an die Adresse meines Pathen gewiesen, der es übel vermerken würde, einen Mangel an unterthänigem Vertrauen bei mir zu entdecken. Darf ich erwarten, daß unsere gegenwärtige Konferenz beendet ist?"

"Gehen Sie!"

Die Thür schloß sich hinter dem Doktor; der Herzog blieb allein zurück.

|42A "Welch ein unvorhergesehenes Ereigniß!" murmelte er. "Dieser Brandauer ist ein höchst gefährlicher Mensch. Wie konnte er wissen, daß - hier stoße ich auf ein Räthsel, welches so bald wie möglich gelöst werden muß. Persönlich ergreifen darf ich ihn nicht; er ist ein Protégé des Königs, der ihn nachhaltig schützen würde. Aber die Andern? - Gütlich ausgleichen mit ihnen? Nun und nimmermehr!"

Er schritt erregt in dem Zimmer auf und ab, dann faßte er nach dem Glockenzuge.

"So wird es gehen. Sie müssen verschwinden; sie müssen stumm gemacht werden!"

Auf sein Zeichen kam ein Diener herbei.

"Eile in Civil nach dem Seidenmüllerschen Gasthofe. Dort wohnt ein Herr Aloys Penentrier, den Du schleunigst zu mir entbietest. Dann schickst Du mir den - den - ja, den Polizeikommissär Hartmann, und endlich gehst Du nach dem königlichen Schlosse und suchst ohne Aufsehen den Kammerlakaien Grunert zu finden. Ihn bringst Du nach meinem Garten, wo er auf der Terrasse auf mich zu warten hat!"

|42B "Zu Befehl, Excellenz!"

Der Diener entfernte sich, warf in seiner Wohnung einen Mantel über, setzte eine Civilmütze auf und verließ den Palast seines Gebieters. Am Flusse löste er einen Kahn von der Kette, stieg ein und ruderte sich aus allen Kräften stromauf, dem andern Ufer entgegen.

Als er dort ankam, stieg eben Max aus seiner Gondel. Er hatte keine Veranlassung zur Eile gehabt und war also von dem Diener, der ihm jetzt keine weitere Beachtung schenkte, eingeholt worden.

"Der Lakai des Herzogs, der mich eingelassen hat," murmelte er überrascht; "und in solcher Eile! Jedenfalls hat er Aufträge erhalten, welche die Folge meines Besuches sind. Ich muß ihn beobachten!"

In vorsichtiger Distanz folgte er dem Diener bis an den Gasthof der ehrsamen Wittfrau und Kartoffelhändlerin Barbara Seidenmüller. Unter einer Thür an der gegenüberliegenden Straßenseite stehend bemerkte er zwei Fenster des ersten Stockes erleuchtet und konnte zwischen den Gardinen hindurch deutlich den kleinen Rentier erkennen, welcher den Auftrag des |43A Dieners entgegennahm. Dieser Letztere verließ das Haus und schritt der nächsten Polizeiwache zu, aus welcher er bald mit dem Kommissär Hartmann trat, welcher dem Doktor nicht unbekannt war.

"Der Jesuit und der Polizist?" frug sich Max. "Da ist irgend eine Teufelei im Werke. Sie trennen sich. Der Kommissär geht nach dem Flusse und der Diener in der Richtung des Schlosses. Folge ich dem Einen oder dem Anderen? Ich kehre zum Herzoge zurück und wage es, durch den verborgenen Weg seine Bibliothek zu erreichen. Dort kann ich Alles hören und brauche, selbst wenn ich ertappt werden sollte, keine ernstliche Gefahr zu befürchten."

Max führte diesen Entschluß sofort aus. Sich des Fährmannes von Neuem bedienend gelangte er kurze Zeit nach dem Polizisten an das jenseitige Ufer, passirte das Palais an der hinteren Fronte desselben, versicherte sich, daß er unbeobachtet sei, und stieg dann in den Garten. Sich zu der Terrassentreppe schleichend stieg er durch das Fenster, welches er sofort wieder in die Öffnung befestigte, hinab und verfolgte langsam den Gang, mit dessen Einzelnheiten er noch vollständig vertraut war. Die nothwendige Vorsicht war Schuld, daß er nur langsam vorwärts kam; doch gelang es ihm, geräuschlos die Bibliothek zu erreichen, in welcher heute kein Licht brannte. Im Arbeitszimmer vernahm er Stimmen. Er näherte sich der Portière und kam gerade noch zur rechten Zeit, um den sich verabschiedenden Penentrier zu bemerken.

Dieser hatte sich schleunigst zum Herzoge begeben, welcher ihn mit Ungeduld erwartete.

"Ich bin erstaunt, Excellenz," begann er -

"Schon gut!" fiel ihm der Herzog in die Rede. "Wir geriethen letzthin in einige kleine Differenzen, welche aber wohl nicht der Rede werth sind. Nehmen Sie Platz, mein lieber Pater. Ich habe in Betreff der Irrenanstalt mit Ihnen zu sprechen."

Die Brauen des Jesuiten zogen sich erwartungsvoll empor.

"Gibt es vielleicht einen neuen Aspiranten, der so geistig angegriffen ist, daß er es verschmäht, auf unsere Intentionen einzugehen?"

"Das nicht; vielmehr findet das gerade Gegentheil statt: die geistig Irren stehen im Begriffe, ihre Ketten zu zerbrechen, um uns damit zu fesseln."

"Ah!"

"Es soll auf höchsteigene Veranlassung der Majestät eine Untersuchung gegen den Direktor und Oberarzt der Anstalt eingeleitet werden, weil -"

"Jesus, Maria und Joseph, das müssen Excellenz unbedingt verhüten! Es würden da Thatsachen blosgelegt werden, welche unsere ebenso geistreiche wie geheimnißvolle Mechanik enthüllen müßten."

"Leider habe ich nicht die Macht dazu, diese Angelegenheit rückgängig zu machen. So schleunigst wie möglich die Spuren verwischen, das ist Alles, was wir thun können. Es hat bereits ein königlicher Kommissär die Anstalt revidirt und zwei Detinirte befreit, welche glücklicher Weise unsern Plänen nicht nahe gestanden haben. Morgen wird der Direktor sammt dem Oberarzte in Haft genommen."

"Wer ist der Verräther?"

"Ich weiß es noch nicht, habe aber alle Hoffnung, ihn baldigst ermitteln zu können. Die beiden Beamten müssen fliehen!"

"Oder sterben!"

"Sie nicht; es ist nicht unbedingt nöthig. Sie sind mir ergeben und können mir noch nützen. Ich verlange andere Opfer."

"Welche?"

Der Herzog nahm ein Papier vom Schreibtische und überreichte es dem Pater.

"Hier ein kleines Verzeichniß derjenigen Irren, welche unter einer anderen Behandlung vielleicht versucht sein würden, verständig zu sprechen und unsere Absichten in Gefahr zu bringen. Sie bekommen Gift."

"So viele Leichen an einem Tage! Das würde auffallen."

"So gebe man ihnen verschiedene Gifte oder verschiedene Dosen, doch so, daß binnen drei Tagen der Letzte stumm ist."

"Das ist etwas mehr acceptabel."

"Wollen Sie mein Bote sein?"

"Wie immer. Angelegenheiten von so zarter Natur dürfen keinem untergeordneten Wesen anvertraut werden. Wohin beabsichtigen Sie die beiden Beamten zu dirigiren?"

"Zunächst über die Grenze nach Süderland. Ich habe, während ich Sie erwartete, eine Marschroute und andere Weisungen schriftlich niedergelegt und auch die nöthigen Summen beigefügt. Die Flüchtlinge werden nicht die Bahn benutzen, sondern die Reise in das Gebirge per Privatwagen zurücklegen. Drüben sind sie an |43B eine einflußreiche Person adressirt, welche sie vor jeder Verfolgung sicherstellen wird. Jetzt darf ich Ihre Zeit nicht länger kürzen. Es thut Eile noth, und Sie sind entlassen."

"Ich fliege, Excellenz; doch hoffe ich, daß meine stete Bereitwilligkeit, auf Ihre Intentionen einzugehen, später den Erfolg hat, der mir versprochen worden ist!"

"Sie haben mein Wort. Die Gesellschaft Jesu fördert mich bei der Erreichung meiner Ziele; sobald ich dazu die Macht in den Händen habe, werde ich ihr eine öffentliche Heimath in Norland gewähren."

"Ich danke, Excellenz, und stelle mich zu jeder Zeit zur vollständigen Verfügung."

Diese letzten Worte waren es blos, welche Max gehört hatte, als er die Portière um ein Lückchen öffnete. Dann entfernte sich der Pater.

Kaum hatte er das Zimmer verlassen, so trat der Polizeikommissarius ein und blieb in respektvoller Haltung an der Thür stehen.

"Herr Kommissär -"

"Excellenz!"

"Ich kenne Sie als einen unserer tüchtigsten Beamten -"

Der Polizist verneigte sich so tief wie möglich.

"Und habe mir vorgenommen, Sie bei der nächsten Vakanz mit der Stelle eines Polizeirathes zu bedenken."

"Excellenz -!"

"Schon gut! Ich weiß, wie Ergebenheit zu behandeln ist, und will Ihnen eine Gelegenheit bieten, mir Ihre Anhänglichkeit auf das Glänzendste zu beweisen. Außer Ihrer baldigen Beförderung stehen Ihnen diese fünfhundert Thaler als Extragratifikation zur Verfügung."

"Ich höre, Excellenz!"

"Sie haben vorgestern einen Menschen arretirt, welcher des Mordes verdächtig ist?"

"Allerdings."

"Er heißt Helbig?"

"So ist es. Er hat bereits dreimal wegen Körperverletzung das Zuchthaus frequentirt."

"Halten Sie ihn für schuldig?"

"Ich halte ihn des Mordes fähig; ob er in dem vorliegenden Falle schuldig ist, muß die Untersuchung beweisen."

"Er ist noch nicht in das Gerichtsamtsgefängniß abgeliefert, sondern befindet sich noch in den Händen der Polizei."

"Ich mußte ihn zurückbehalten, um ihn bei den nöthigen Recherchen stets bei der Hand zu haben."

"Ich interessire mich für diesen Fall und möchte ihn einmal sprechen. Ist es Ihnen möglich, mir diesen Helbig nach Verlauf einer halben Stunde einmal in dieses Zimmer zu bringen, ohne daß es ein Dritter bemerkt, wenn ich dafür sorge, daß hier in meinem Palais der Weg frei ist?"

Der Kommissär war klug genug, sein Erstaunen vollständig zu verbergen. Er besann sich einen Augenblick und entschied dann:

"Ich übernehme damit kein geringes Risiko, doch denke ich, daß es möglich sein werde."

"Gut! Sie sind für jetzt entlassen. In genau einer halben Stunde nehmen Sie mit dem Subjekte hier unangemeldet Zutritt. Es wird kein Diener zugegen sein, der Sie melden könnte."

Der Kommissär trat ab. Max hatte jedes Wort vernommen und wußte nicht, was er aus dem seltsamen Vorgange machen solle.

"So; nun hinab zur Terrasse!" hörte er jetzt den Herzog halblaut sagen.

Was war das wieder? Sollte der Diener, welcher den Weg nach dem Schlosse eingeschlagen hatte, einen Dritten nach der Terrasse bestellt haben? Auch das mußte untersucht werden, besonders da es jetzt möglich war, daß der Herzog in das Bibliothekzimmer treten konnte.

Er schlich sich durch die Bücherthür nach dem Gang zurück und gelangte nach wenigen Augenblicken an das Treppenfenster, welches er geräuschlos aushob. Da die Stufenseiten der Terrasse mit dichten Orangerie- und Blumengewächsen eingefaßt waren, so konnte er es wagen, hervorzusteigen. Er nahm zwischen Palmen und Oleandern Platz und gewahrte einen Mann, welcher unweit von ihm im Dunkeln auf einer der Stufen saß.

Da knarrte leise die Thür und der Herzog trat hervor.

"Grunert!" rief er mit gedämpfter Stimme.

"Hier, Excellenz!"

"Bleib sitzen, damit, wenn uns ja Jemand überraschen sollte, er denke, daß ich mich allein hier befinde. Hast Du Jemand im Garten bemerkt?"

"Nein."

|44A "Dann sind wir wohl sicher. Hier hast Du diese Rolle; es sind Dukaten."

"Danke, Excellenz."

"Ich muß heute Nacht unbedingt das Arbeitskabinet des Königs betreten."

"O, das ist nicht möglich, Durchlaucht!"

"Ich denke, diesen Dukaten ist Alles möglich, besonders wenn ich sie im günstigen Falle verdoppele. Oder willst Du meine Protektion verlieren?"

"Excellenz sind die Güte selbst - aber die Wachen - ?"

"Das überlaß mir! Punkt zwei Uhr ist das Kabinet offen!"

"Zu Befehl!"

"Du befindest Dich darin!"

"Zu Befehl!"

"Mit einer Blendlaterne!"

"Ich werde da sein!"

"Und sorgst dafür, daß die Fenster dicht verhangen sind. Kennst Du den Sohn des Schmiedes Brandauer?"

"Ja. Er war heute bei der Majestät."

"Weißt Du nicht, ob er Papiere überreicht hat?"

"Ich glaube, daß dies der Fall gewesen ist; wenigstens schlossen Majestät einige Dokumente in ein Fach des Schreibtisches, als der Doktor sich entfernt hatte."

"Kannst Du Dich des Faches erinnern?"

"Ja."

"Dann genug für jetzt. Suche das Freie ungesehen wieder zu gewinnen!"

Er trat zurück und verschloß die Thür. Der Lakai erhob sich und schlich sich leise davon. Max war fast erstarrt über das, was er vernommen hatte. Der König war in seiner nächsten Nähe von Verräthern umgeben, und diese Menschen standen im Solde des Herzogs. Wie oft schon mochten sich Vorkommnisse von der Art des soeben Besprochenen begeben haben, ohne daß der König eine Ahnung hatte, auf welche schändliche Weise man sich seiner Pläne und Geheimnisse bemächtigte! Das durfte nun und nimmer wieder geschehen. Zwar stand der Herzog über jeder Strafe erhaben, aber eine Blamage mußte er erleben, wie sie ihm wohl noch nicht vorgekommen war.

Jetzt aber galt es noch zu wissen, was er mit dem Mörder vorhabe. Max kehrte also in die Bibliothek zurück, doch trat er nicht vollständig ein, sondern blieb unter der halb geöffneten Thür stehen, um beim etwaigen Eintritte des Herzogs zum sofortigen Rückzuge bereit zu sein.

Endlich hörte er die Thür öffnen und vernahm eine Stimme. Schnell stand er an der Portière und blickte hindurch. Der Kommissär war mit dem Verbrecher eingetreten. Der Letztere war ein Mann in den mittleren Dreißigern, von untersetzter, kräftiger Figur und einem Gesichtsausdrucke, der nichts Angenehmes an sich hatte.

"Treten Sie einstweilen ab, Herr Kommissär!" befahl der Herzog.

Diesem Gebote wurde augenblicklich Folge geleistet.

"Helbig!"

"Excellenz!"

"Du spannst wohl keine Seide, seit Du aus meinen Diensten bist?"

"Nein."

"Und hättest es bei mir so gut haben können, wenn Du damals dem Weibe nicht nachgelaufen wärst!"

"Hole sie der Teufel, Durchlaucht! Ich wollte, sie stände jetzt da und ich hätte eine gute Klinge in der Hand. Ich will gehängt sein, wenn die Weiber nicht an allem Unheile schuld sind, welches die Männer zu leiden haben! Sie gab sich mit einem Andern ab, und das paßte mir natürlich nicht. Ich ertappte sie, wurde teufelsmäßig wild, und - na, da hat man mich als Mörder eingezogen!"

"Ich bin überzeugt, daß Du unschuldig bist!"

"Natürlich!"

"Und dennoch wird man kurzen Prozeß mit Dir machen."

"Das beginne ich auch zu ahnen. Dieser Kommissär da draußen gibt sich alle Mühe, mich um den Kopf zu bringen."

"Er hält das für seine Pflicht. Man wird Dich aufhängen."

"Das ist allerdings wahrscheinlich. Aber ich habe Ew. Durchlaucht so viele treue Dienste geleistet, von denen Niemand Etwas erfahren darf, und als ich hörte, daß ich hierher geführt werden sollte, da kam mir die Vermuthung, daß Excellenz etwas für mich thun wollten."

"Das bin ich auch in Anbetracht Deiner Dienste entschlossen. Aber weißt Du, das Leben hat einen höheren Werth als Deine |44B bisherigen Leistungen. Wenn ich Dich errette, so meine ich, daß ich von Dir auch etwas verlangen kann."

"Verlangt nur! Ich werde Alles thun, es mag heißen wie es will."

"Schön! Aber bedenke vorher, daß ich Dich ebenso gut verderben wie erretten kann. Es darf von dem, was wir hier besprechen, kein Mensch ein Wort erfahren!"

"Habe ich jemals geschwatzt, Excellenz?"

"Das allerdings nie, und darum eben schenke ich Dir mein vollstes Vertrauen. Weißt Du, wie viele Menschen es auf der Erde gibt?"

"Ich habe sie noch nicht gezählt."

"Es sind ein gut Theil über tausend Millionen, aber unter ihnen leben Drei zu viel. Verstehst Du mich?"

"Ich verstehe. Mein Leben gegen drei Leben!"

"Nun?"

"Mein Leben ist mir natürlich lieber als das Leben dieser ganzen tausend Millionen. Wer sind die Drei?"

"Ein Schmiedesohn, eine Zigeunerin und ein verrückter Hauptmann."

"Ich werde mit ihnen fertig werden."

"In einer Nacht?"

"In einer Stunde, wenn sie hier wohnen und nicht weit auseinander zu treffen sind."

"Das muß ich erst noch erfahren, doch vermuthe ich, daß sie beisammen in der Schmiede zu treffen sind."

"Desto besser. Aber wie ihnen beikommen? Ich bin gefangen!"

"Nichts leichter als das. Komm her und siehe Dir das Polizeigebäude an! Es ist vom Monde beleuchtet. Unter meinem Schutze wird sich jede Schwierigkeit heben lassen."

Max konnte nun nur noch die Gesten der beiden Männer bemerken. Der Herzog gab seine Bemerkungen im leisesten Flüstertone, und der Andere antwortete ebenso unhörbar. Endlich wandten sie sich wieder dem Innern des Zimmers zu, und der Herzog trat zur Thür, um dieselbe zu öffnen.

"Herr Kommissär!"

"Excellenz!"

"Ich habe die Überzeugung gewonnen, daß dieser Mann vielleicht unschuldig oder wenigstens nicht so sehr schuldig ist, wie es den Anschein haben mag. Er ist ein langjähriger treuer Diener von mir, dessen ich mich unter allen Umständen annehmen werde. In den Lauf der Untersuchung kann und will ich allerdings nicht eingreifen, doch erinnere ich Sie an den Gegenstand unseres vorigen Gespräches. Bringen Sie den Gefangenen zurück. Sie werden weiter von mir hören!"

Die beiden Männer traten ab, und nun mußte sich auch Max entfernen. Er gelangte unbemerkt in das Freie.

Er hatte die wichtigsten Entdeckungen gemacht und saß so gedankenvoll in dem Kahne, daß er fast erschrak, als dieser am jenseitigen Ufer anstieß. Seine Aufgabe war jetzt eine dreifache: den Einbruch im königlichen Schlosse zu verhüten, die Flucht der beiden Beamten der Irrenanstalt unmöglich zu machen und endlich die Gefahr zu vermeiden, welche ihm, dem Hauptmanne und Zarba durch den gedungenen Mörder drohte. Das Erstere war jedenfalls das Nöthigste. Daher begab er sich zunächst nach Hause. Der Vater besaß eine Karte des Königs, welche ihm die Erlaubniß bescheinigte, zu jeder Zeit des Tages und des Nachts das königliche Schloß zu betreten. Nur durch sie war es möglich, die Dokumente den Händen des Herzogs zu entreißen und zugleich den verrätherischen Lakaien zu entlarven.


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