Karl May's dritter Münchmeyer-Roman


Der verlorene Sohn

oder

Der Fürst des Elends.

Roman aus der Criminal-Geschichte.

Zweiter Band


Lieferung 37.

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in meinen Obliegenheiten irre machen lasse. Wenn nur nicht, um die Sache noch schlimmer zu machen, auch der Todtengräber davon gelaufen wäre!«

Die Frau dieses Letzteren hörte das nicht. Es war ihr in der Nähe der Herren doch etwas schwül geworden, und darum hatte sie das Zimmer verlassen.

Der Amtmann freute sich darüber, jetzt Einen zu haben, auf den er den Zorn Arndt's leiten konnte. Er fragte:

»Fortgelaufen? Wohin?«

»Zum Schmiede.«

»Auch in die Schänke also? Warum?«

»Um seine Spitzhacke schärfen zu lassen.«

»Sie hätten ihn nicht fortlassen sollen.«

»Er ist gegangen, ohne mir von seinem Vorhaben ein Wort zu sagen. Übrigens habe ich ihm glücklicher Weise vorher die größte Verschwiegenheit eingeschärft.«

»Nun, so wird er hoffentlich wohl das Plaudern unterlassen.«

»Meinen Sie? Da kennen Sie die Bewohner solcher kleinen Orte nicht. Hier weiß ein Jeder ganz genau, was der Andere thut und treibt; man lebt, so zu sagen, in Familie; man kennt keine Geheimthuerei, und wenn ja einmal Jemand irgend Etwas verheimlichen will, so gelingt es ihm nicht. Sie Beide waren beim Schmiede; jetzt kommt auch der Todtengräber zu ihm; da ist die Klatschgevatterei sofort fertig. Und das Schlimmste dabei ist -«

Er hielt inne und blickte sich vorsichtig um.

»Wohin ist die Frau?« erkundigte er sich.

»Ich höre sie draußen Holz hacken,« antwortete der alte Wunderlich.

»Nun, so wird sie nichts hören. Das Schlimmste dabei ist, daß ich gerade den Schmied in Verdacht -«

Da ging die Thür auf, und der Todtengräber trat ein, ganz athemlos vom schnellen Laufen.

»Verzeihen Sie!« sagte er. »Es ging nicht so rasch, wie ich dachte. Das Feuer war fast ausgegangen.«

»Hinaus mit Ihnen!« herrschte ihn Arndt an.

Der erschrockene Mann machte sich schleunigst davon. Arndt aber wendete sich an den Amtmann:

»Sie saßen natürlich im Gastzimmer der Schänke?«

»Ja.«

»Waren Gäste da?«

»Nein.«

»Wer bediente Sie?«

»Die Wirthin, ich glaube, die Frau des Schmiedes junior

»Der Herr Senior kam nicht hinein?«

»O doch!«

»Kennt er Sie?«

»Ich glaube nicht. Aber diesen Herrn kennt er von der Gerichtsschreiber=


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stelle her, und aus dessem Verhalten mir gegenüber mag der Schmied wohl gemerkt haben, daß ich der Vorgesetzte bin.«

»Hat er ein Gespräch mit Ihnen begonnen?«

»Er machte den Versuch.«

»Worüber?«

»Über das gewöhnliche Thema: das Wetter. Aber ich hielt ihn fern von mir.«

»Nun, wollen sehen. Gehen wir nach dem Kirchhofe!«

Der Todtengräber hatte ganz und gar nicht daran gedacht, daß es seine Pflicht sei, vorher zu fragen, ob er sich entfernen dürfe. Er hatte, als Arndt hinausgegangen war, an die jetzige Frosthärte des Erdreiches und an die stumpfe Hacke gedacht, und war also in größter Eile zum Schmiede gegangen.

In der Werkstatt fand er nur den jungen Schmied, da dessen Vater in der Gaststube war und sich Mühe gab, von dem Amtmann Etwas über den Grund von dessen Anwesenheit zu hören. Als der Alte aber merkte, daß er nichts erfahren werde, kehrte er verdrießlich in die Schmiede zurück, wo er den Todtengräber antraf. Er sah die Hacke in dessen Hand und fragte:

»Was soll es mit dem Dinge?«

»Schärfen.«

»Es hat doch Zeit? Wir schlagen noch ein paar Nägel und lassen dann das Feuer ausgehen. Morgen ist auch noch ein Arbeitstag. Da kommt die Hacke daran.«

»Das geht nicht. Ich brauche sie augenblicklich.«

»Augenblicklich?« fragte der Schmied verwundert.

»Ja. Ich habe keine Minute zu viel Zeit.«

»Wozu denn?«

»Ein Grab zu öff- zu graben.«

»Es ist doch Niemand gestorben!«

»Ich muß doch und dennoch ein Loch aufmachen!«

Das war ungewöhnlich. Ungewöhnlich war auch die Anwesenheit des Amtmannes. Der Alte war ein Schlaukopf und hatte zudem ein böses Gewissen. Er brachte sofort Beides in Verbindung. Er beschloß, auf den Busch zu klopfen. Darum warf er dem Todtengräber einen überlegenen Blick zu, lachte höhnisch vor sich hin und sagte:

»Nur nicht so geheimnißvoll gethan!«

»Thue ich denn geheimnißvoll?«

»Ja. Aber ich weiß doch bereits, was es ist.«

»O, das glaube ich nicht!«

»Nicht? Der Amtmann sitzt drin bei mir!«

»Der Amtmann? Hm! Ja, der soll ja kommen!«

»Also! Und nicht er allein, sondern noch Einer. Nun, weiß ich es oder nicht?«

»Aber es soll ja geheim bleiben!«

»Dummkopf! Ich bin ja Mitglied beim Gemeindevorstand!«


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»Ach so! Das ist etwas Anderes! Na, ich bin wirklich förmlich erschrocken!«

»Erschrocken? Das ist kein Grund dazu! Die Sache ist ja so einfach wie nur möglich!«

»Ja, einfach ist sie, aber doch erstaunlich. Ich glaube, so lange Helfenstein existirt, ist so Etwas nicht passirt. Ein Grab zu öffnen, weil man sehen will, ob das Kind fehlt!«

Jetzt waren es die beiden Schmiede, welche erschraken, obgleich der Alte vorher gesagt hatte, daß die Sache gar nicht zum Erschrecken sei. Wären ihre Gesichter nicht so rußig gewesen, so hätte der Todtengräber bemerken müssen, wie blaß sie geworden waren. Aber der Alte hatte sich zu sehr in der Gewalt. Er warf seinem Sohne einen warnenden Blick zu, nickte mit dem Kopfe und fragte dann:

»Ja, ein Kind. Ist die Nummer eingeschrieben?«

»Einundfünfzig. Das Kind der Botenfrau.«

Jetzt wußten die Beiden, woran sie waren und daß es ihnen galt. Der Alte heuchelte die größte Gleichgültigkeit und sagte nur:

»Aber wie kannst Du es schon wissen? Der Amtmann ist ja vorhin erst gekommen?«

»Es ist Einer bei mir.«

»Wer?«

»Ich kenne ihn nicht.«

»Er ist jedenfalls vom Amte.«

»Nein. Von unserem Gerichtsamte ist er nicht. Ich sage Euch, der Kerl hat Augen, ja, Augen, denen man es anmerkt, daß sie durch zehn eiserne Thüren sehen können, so die echten, rechten Polizei= und Gensd'armerieaugen. Er hat gar nicht etwa feine Kleider an, muß aber dennoch, wie ich vermuthe, ein vornehmer Kerl sein.«

»Warum?«

»Weil er gar keinen Summs mit mir machte.«

»Na, denkst Du denn, die Herren von der Polizei sollen Dich mit gelben Glaceehandschuhen beim Barte zupfen?«

»Das nicht; aber ich bin doch auch, so zu sagen, Beamter.«

»Hm! Ja! Und was für einer!«

»Oho! Ein Todtengräber ist auch eine eingesetzte und verpflichtete Person! Wer zu mir kommt, um Etwas zu erfahren, hat sich in der richtigen Weise zu erkundigen.«

»Und das hat er wohl nicht gethan?«

»Ist ihm gar nicht eingefallen! Er hat mich ausgefragt, ungefähr so, wie der Schulmeister einen Jungen vernimmt!«

»Das ist freilich unhöflich!« meinte der Schmied ironisch.

»Im Buche hat er selber nachgeschlagen.«

»Auch noch!«


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»Ja. Und dann ist er ganz allein hinaus zum Grabe gegangen, gerade so, als ob ich gar nicht da wäre!«

»Es ist doch Dein Recht, ihm das Grab zu zeigen.«

»Ganz gewiß!«

»Hat er sich denn vor Dir ausgewiesen?«

»Ausgewiesen? Wieso denn?«

»Ich meine, legitimirt?«

»Legitimirt? Nein. Sapperment!«

»Dummkopf! Das hätte ich nicht sein dürfen! Da könnte ein Jeder kommen und in meine Bücher gucken!«

»Das ist wahr! Da hast Du Recht! Ich brauche eigentlich keinen Menschen auf den Kirchhof zu lassen.«

»Na, Du sagtest ja, daß Du auch ein Beamter bist, und Du scheinst stolz darauf zu sein. Verhalten hast Du Dich aber ganz und gar nicht darnach.«

»Nur keine Sorge! Ich werde es nachholen!«

»Schön! Laß Dir nur die Legitimation vorzeigen! Du mußt doch wissen, wer der Kerl ist!«

»Das werde ich thun! Ganz gewiß werde ich es thun!«

»Na, da gehe einstweilen in die Küche und laß Dir von meiner Frau einen Schnaps geben.«

»Warum nicht in die Gaststube?«

»Weil da der Amtmann sitzt, Dummkopf! In zehn Minuten ist die Hacke spitz!«

Der Todtengräber ging. Die beiden Schmiede blickten sich eine Weile dumm an, und dann fragte der junge:

»Warum schickst Du ihn hinein?«

»Du bist eben so dumm wie er! Soll er hören, was wir reden?«

»Es kann ihm aber auffallen! Was wir zu reden haben, kann ja nachher gesprochen werden!«

»Dann ist keine Zeit dazu. Wir müssen rasch handeln!«

»Was denn?«

»Das müssen wir eben berathen. Ich war wirklich ganz steif und starr vor Schreck.«

»Ich auch!«

»Ein Glück, daß er es uns nicht ansehen konnte! Ich denke, diese alte Geschichte ist längst vorüber.«

»Na, daß das Grab leer ist, mußte doch einmal bemerkt werden; das ist sicher und gewiß.«

»Aber man hätte sich gewundert und weiter nichts. Nun kommen die Herren vom Gerichte. Weißt Du, was das heißt?«

»Daß die Sache verrathen ist.«

»Natürlich! Aber wie ist sie verrathen worden? Ich kann die Mög=


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lichkeit gar nicht einsehen. Donnerwetter! Ich hoffe doch nicht, daß man an uns denken wird?«

»Ah, wie sollte man!«

»Aber der Amtmann steigt gerade hier bei uns aus!«

»Doch nur, weil hier die Schänke ist!«

»Er behandelte mich so kurz, so von oben herab. Ich hätte ihn gar nicht gekannt, aber Deine Frau hat ihn einmal gesehen. Und was das Unbegreiflichste ist: der alte Wunderlich macht den Kutscher.«

Der Sohn hatte die Spitze der Hacke in das Feuer gesteckt; sie war glühend geworden. Er zog sie heraus, legte sie auf den Ambos und sagte, mit dem Hammer einen wütenden Schlag auf dieselbe ausführend:

»Ich möchte in diese Geschichte hauen, gerade so wie hier auf das Eisen! Der Teufel hole sie!«

»Mit Fluchen erreichen wir hier nichts. Wir müssen gleich hinter dem Todtengräber her.«

»Wohin? Auch hinauf?«

»Ja. Wir müssen zusehen.«

»Donnerwetter! Daß sie uns gleich fassen können!«

»Unsinn! Ich muß den fremden Menschen sehen, ob ich ihn kenne. Und ich muß die Leute beim Graben beobachten, um vielleicht errathen zu können, wie die Sache steht.«

»Wie willst Du das bemerken?«

»Auf irgend eine Weise. Man braucht vielleicht gar nicht zu hören, was die Leute reden. Es läßt sich oft aus einer Bewegung oder einer Miene mehr schließen, als aus Worten. Und was ich nicht sehe, das siehst Du. Meine Augen sind nicht mehr so scharf wie früher.«

»Was, ich soll mit?«

»Natürlich! Zwei sehen mehr wie Einer.«

»Aber, man muß uns doch bemerken?«

»Nein, gar nicht. Wir gehen natürlich doch nicht etwa mit in den Kirchhof, sondern wir gucken über die Mauer.«

»Die ist zu hoch!«

»Aber hinten, wo der Gottesacker an den Wald stößt, ist eine Lücke. Weißt Du, da, wo innen die Hollundersträucher stehen. Die Jungens sind auf die Mauer gestiegen, um sich die Beeren zu holen, und da sind nach und nach einige Steine abhanden gekommen. Dort können wir stehen und, von dem Hollunder versteckt, Alles beobachten. Wenn das der Baron wüßte!«

»Sollte das etwa damit zusammenhängen, daß er heute hier angekommen ist und Dich zu sich bestellt hat?«

»Nein. Wo denkst Du hin? Er hat ja gar keine Ahnung. Und in seinem Interesse läge eine Öffnung des Grabes doch wohl am Allerwenigsten. Na, schlag zu, damit wir fertig werden! Horch! Da kommt er wieder!«

Der Todtengräber kehrte zurück und meldete, daß der Amtmann sich mit seinem Begleiter entfernt habe. Nach kurzer Zeit erhielt er seine Hacke und


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eilte heim. Er wurde in der beschriebenen Weise von Arndt empfangen und flüchtete sich zu seiner Frau, gegen welche er über die Grobheit des Fremden raisonnirte.

Bald kamen die vier Herren aus der Stube und forderten ihn auf, mit an das Grab zu kommen. Er erinnerte sich an Das, was ihm der Schmied gesagt hatte; darum nahm er allen seinen Muth zusammen und sagte:

»Das geht nicht so schnell, wie Sie denken!«

»Ah! Warum nicht?«

»Ich kenne Sie nicht. Wer sind Sie denn eigentlich?«

Arndt legte ihm die Hand auf die Achsel und antwortete:

»Wer ich bin, das wird Ihnen sehr gleichgiltig sein; aber, kennen Sie vielleicht diesen Herrn?«

Er deutete dabei auf den Amtmann, welcher ein gerichtliches Document aus der Tasche zog.

»Nein,« antwortete der Todtengräber.

»Nun, so lesen Sie die Schrift, die er in der Hand hat.«

Der Mann sah das Amtssiegel, buchstabirte die Zeilen zusammen und meinte dann:

»Ja, wenn das so ist, so muß ich gehorchen! Haben Sie die Güte, meine Herren; kommen Sie!«

Arndt hielt, während sie ihm folgten, sein Auge scharf auf ihn gerichtet. Draußen, als sie die ersten Gräber erreichten, hielt er ihn beim Arme und sagte:

»Halt, warten Sie einmal! Ehe wir beginnen, gestehen Sie zunächst Ihre Plauderhaftigkeit ein!«

Der Todtengräber warf einen erschrockenen Blick auf den strengen Sprecher und antwortete:

»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Herr?«

»Ah, Sie verstellen sich! Sie haben dem Schmiede erzählt, wozu Sie Ihre Hacke schärfen ließen?«

»Kein Wort?«

»Sie lügen!«

Der Mann stammelte in höchster Verlegenheit:

»Ich sage die Wahrheit.«

»Schön! Haben Sie einmal als Angeklagter vor Gericht gestanden?«

»Nein.«

»Nun, so wird es Ihnen jetzt passiren. Ich werde sogleich nach dem Schmiede senden, um sie mit ihm zu confrontiren. Lügen Sie, so stelle ich Sie wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses unter Anklage, und Sie werden nicht nur bestraft, sondern Sie verlieren auch Ihre Stelle!«

»Herrgott!« entfuhr es dem Manne, mit welchem es Arndt jedenfalls nicht so schlimm meinte, als es den Anschein hatte.

»Ja, nun erschrecken Sie! Ich würde vielleicht nachsichtig sein, wenn Sie aufrichtig sprechen wollten.«


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»Ich versichere, daß ich - habe - daß ich bin -«

»Unsinn! Schwatzen Sie nicht! Wir haben hier nicht Zeit, Ihre Unwahrheiten anzuhören. Soll ich Sie etwa arretiren lassen? Heraus mit der Wahrheit!«

Der Todtengräber befand sich in der schauderhaftesten Verlegenheit. Arretirt werden, bestraft werden, seine Stelle verlieren - das wollte er nicht. Er stammelte:

»Ich habe es nicht böse gemeint!«

»Ah! So! Also geschwatzt?«

»Er wußte es schon!«

»Das heißt, er schlug auf den Strauch?«

»Nein, er wußte es wirklich!«

»Pah! Er war gescheidter als Sie; das ist Alles. Was haben Sie ihm erzählt?«

»Daß ein Grab geöffnet werden soll.«

»Auch welches?«

»Ja.«

»War sein Sohn dabei?«

»Sie waren Beide in der Schmiede.«

»Sagten Sie nicht vorhin, daß das Feuer beinahe ausgegangen gewesen sei?«

»Ja; sie wollten aufhören.«

Über das Gesicht Arndt's blitzte es wie ein heller Gedanke. Er warf einen raschen, forschenden Blick über die vier Kirchhofsmauern. Dieser Blick blieb an der Lücke, von welcher die beiden Schmiede gesprochen hatten, haften. Dann wendete er sich an den Richter:

»Herr Amtmann, ich werde mich jetzt dort unter jene Lücke legen.«

»Ah, warum?«

»Das werde ich Ihnen später erklären. Jetzt giebt es keine Zeit dazu. Ich bitte Sie, die Arbeit beginnen zu lassen und während derselben keinen Blick nach der Stelle, an welcher ich mich befinde, zu werfen.«

»Aber ich frage dennoch, warum?«

»Ich kann es nicht sagen, ich habe keine Zeit dazu. Also, meine Herren, die Richtung, in welcher ich liege, lassen Sie ganz unbeachtet. Sie drehen ihr den Rücken zu. Davon hängt wahrscheinlich das Gelingen unseres Vorhabens ab!«

Während die Anderen sich sein Verhalten nicht zu erklären vermochten, entfernte er sich, aber keineswegs in der Richtung, welche er Ihnen angedeutet hatte, sondern er kehrte nach dem Wohnhause zurück.

»Das begreife, wer da will!« sagte der Amtmann, indem er den Kopf schüttelte. »Ich nicht!«

»Das ist auch nicht nothwendig!« sagte der alte Wunderlich. »Wenn nur er es begreift.«


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»Aber warum geht er denn nach dem Hause, wenn er sich nach einem ganz anderen Ort begeben will?«

»Sakkerment! Das ist seine Sache! Er ist zehnmal gescheidter als wir alle zusammen. Das können Sie glauben. Es sind Fehler gemacht worden, und ihm ist irgend eine Idee gekommen, wie diese Fehler ausgewetzt werden können. Darum - ah, siehe da! Dort schleicht er sich an der Mauer hin, nach den Hollundern zu! Ich glaube gar, daß er dort Jemand belauschen will, der die Absicht hat, uns zu belauschen! Meine Herren, ein Schuft, wer von jetzt an nach der Lücke blickt! Er hat es verboten, er hat seine guten Gründe dazu, und so dürfen wir ihm das Spiel nicht verderben. Vorwärts! Gehen wir endlich an die Arbeit!«

Wie der alte Förster gesagt hatte, war Arndt nur scheinbar nach dem Häuschen zurückgekehrt. Wie eine Erleuchtung war der Gedanke über ihn gekommen, daß der Schmied den Vorgang belauschen werde. Dies war nur an der Stelle möglich, wo einige der obersten Steine in der Mauer fehlten.

Vielleicht aber befand sich der Lauscher bereits dort. Darum machte Arndt den scheinbaren Umweg. Das Geräusch, welches seine schleichenden Schritte im Schnee hervorbrachten, wurde von dem Schalle der in das harte Erdreich nur schwer eindringenden Hacke übertönt. Er erreichte die Stelle und duckte sich hart an dem Stamme des Hollunders nieder.

So sehr er sein Gehör anstrengte, war doch zunächst nichts zu vernehmen. Schon glaubte er, daß seine Combination diesmal eine irrthümliche gewesen sei, da hörte er draußen an der Mauer den Schnee knirschen, und bald darauf erklang eine gedämpfte Stimme:

»Siehst Du! Sie haben bereits angefangen!«

»Ja, aber wohl erst seit Kurzem. Der Todtengräber ist noch beim Anfange. Verdammter Weg hier herauf durch den tiefen Schnee!«

»Es ging nicht anders. Den rechten Weg durften wir ja nicht gehen. Hol's der Teufel, sie haben das richtige Grab!«

»Hast Du es Dir gemerkt?«

»Und wie! Sooft ich auf dem Gottesacker war, hat es mir die Augen hingezogen. Es ist ein armseliges Gefühl, zu wissen, daß ein Grab leer ist.«

»Pah, Vater! Du wirst seit einiger Zeit von Grillen geplagt, die Du Dir vertreiben mußt!«

»Vertreibe sie, wenn Du kannst!«

»Gefährlich kann doch diese Geschichte für uns ja gar nicht werden.«

»Sehr gefährlich im Gegentheile.«

»Warum? Du hast, um einen Mord zu verhüten, den der Baron von Dir verlangte, eine Leiche verbrennen lassen. Das ist doch weiter nichts als das Zeichen eines guten Herzens!«

»Aber ein Leichenraub dabei!«

»Hm!«

»Und Unterschlagung eines Kindes oder so ähnlich!«


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»Es wird nicht entdeckt werden!«

»Das habe ich bisher auch gedacht. Aber wie kommen diese Menschen auf den Gedanken, daß hier ein Grab leer sei, und gerade dieses?«

»Das ist freilich ein Wunder.«

»Und zwar ein Wunder, welches wir vielleicht sehr theuer zu bezahlen haben werden.«

»Wie soll man auf uns kommen?«

»Das weiß nur der Teufel, der dabei jedenfalls sein Spiel hat. Sollte der alte Uhlig etwas gemerkt haben?«

»Gewiß nicht. Der hätte mit uns davon gesprochen.«

»Dann ist es mir ein Räthsel. Aber wenn es herauskommt, so steht noch mehr auf dem Spiele.«

»Du siehst zu schwarz!«

»Hm! Wer dieses todte Kind gestohlen hat, der hat auch das Feuer an das Schloß gelegt und den kleinen Baron fortgeschafft. Das wird man wohl herausfinden.«

»So schnell geht das nicht. Und da, da fällt mir ein höchst probates Mittel ein.«

»Welches?«

»Wir stehlen noch ein Kind.«

»Was fällt Dir ein?«

»Na, so dumm ist der Gedanke denn doch nicht. Weißt Du, ich denke, daß diese Herren sich zunächst nur überzeugen wollen, ob das Grab leer ist. Den Thäter wissen sie nicht.«

»Woraus willst Du das schließen?«

»Wäre er ihnen bekannt, so hätten sie ihn arretirt und mit hierher gebracht.«

»Sapperment, das ist wahr! Aber wenn sie einmal erst gesehen haben, daß die Leiche fehlt, dann werden sie weiter forschen. Anhaltspunkte haben sie jedenfalls.«

»Das ist sicher.«

»Ich ahne, daß sie zu uns kommen werden.«

»Ich glaube nicht daran. Aber man muß sich dennoch vorbereiten. Wenn sie uns arretirten, so würden sie uns auch hierher an das Grab führen.«

»Natürlich! Um uns zu beweisen, daß es leer ist.«

»Ja. Aber wie nun, wenn es nicht leer ist.«

»Es ist aber ja leer!«

»Jetzt! Verstehst Du?«

»Donner und Doria! Du sagtest vorhin, daß wir noch ein Kind stehlen sollten - ah!«

»Nun, ist der Gedanke gut oder nicht?«

»Sehr gut! Diese Herren würden aber Gesichter schneiden und lange Nasen machen!«


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»Und wir wären natürlich unschuldig.«

»Das muß aber bald geschehen.«

»Freilich, freilich! Heute noch. Heute ist hier das Erdreich noch locker und es wird auch ziemlich dunkel sein.«

»Aber wir haben doch den Brief vom Könige. Wir sollen mit unsern Paschern -«

»Das unterlassen wir. Jeder ist sich selbst der Nächste!«

»Gut! Woher aber das Kind nehmen? Von hier nicht, das geht unmöglich an. Man würde es bemerken.«

»Wo anders leider auch! Ja, wenn wir Sommer hätten! Der Schnee verräth Alles!«

Es trat eine Pause ein. Wie froh war Arndt, auf den kostbaren Gedanken gekommen zu sein, sich hier zu verstecken! Nach einiger Zeit sagte der alte Schmied:

»Sie sind schon ziemlich tief hinab. Der Alte arbeitet, daß ihm der Schweiß von der Stirn läuft. Aber, Du, wo ist denn der Fremde, von dem er redete?«

»Den sehe ich nicht.«

»Ich auch nicht. Da ist der Amtmann, der Schreiber und auch der Förster, dem ich schon noch Eins auswischen werde; aber der Fremde - hm!«

»Er wird noch in der Stube sein.«

»Möglich, daß es ihm hier zu kalt ist. Er wird warten wollen, bis sie auf den Sarg treffen. Dann kommt er, und es wird sich zeigen, ob wir ihn kennen.«

»Vielleicht zeigt es sich dann, ob wir Angst zu haben brauchen oder nicht. Aber, da kommt mir ein guter Gedanke, nämlich wegen des Kindes vorhin.«

»Heraus damit!«

»Wie wäre es denn mit dem alten Gottesacker vor der Stadt?«

»Alle Teufel! An den habe ich nicht gedacht! Dort wird ja kein Mensch mehr begraben, seit der neue angelegt wurde.«

»Wir könnten also ganz sicher arbeiten.«

»Und was die Hauptsache ist, die Leiche würde alt genug sein.«

»Und es käme kein Mensch, um am Tage zu bemerken, was da gemacht worden ist!«

»Gut, gut! Wir holen also heute eine Kindesleiche und legen sie hier herein. Was geschehen soll, muß gleich geschehen, denn wir können nicht wissen, ob wir morgen noch Zeit dazu haben.«

»Und noch Eins: Hacken nehmen wir nicht mit. Das macht zu viel Lärm. Wir nehmen spitze Eisenstangen, mit denen wir die gefrorene Erde leicht aufbrechen können. Das geht so ruhig ab, daß wir keine Gefahr laufen. Wenn Alles klappt, so können wir um Mitternacht fertig sein.«

»Ja, das war ein ausgezeichneter Gedanke! Geradeso, als wenn man


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dem Gegenspieler eine falsche Karte in die Hand spielt, so daß er verlieren muß. Donnerwetter, es war mir ziemlich angst geworden!«

»Gefährlich sieht es aus. Und je weniger wir wissen, was diese Leute im Schilde führen, desto vorsichtiger müssen wir sein und desto schneller müssen wir handeln. Jetzt wird man alt, und die vergangenen Zeiten kehren in den Kopf zurück. Man kann doch nicht Alles so recht verwinden und verdauen!«

»Besser ist's, man macht sich keine Gedanken.«

»Die braucht man sich gar nicht zu machen; sie kommen ganz von selbst. Wenn ich jetzt im Bett liege und nicht einschlafen kann, so sehe ich ihn daliegen in seinem Blute - verdammt!«

»Wen? Den Hauptmann?«

»Ja, den Hellenbach! Wie mir der arme Brandt leid gethan hat! Aber es ging nicht anders.«

»Wir bekamen den Baron in die Hand, und an dem Brandt hast Du es ja wieder gut gemacht!«

»Wo er nur stecken mag?«

»Der ist todt, sonst hätte man doch wohl wieder einmal etwas von ihm gehört.«

»Das ist's ja eben! Wenn wir damals mit der Wahrheit hervorgetreten wären, so wäre er gerettet gewesen und hätte nicht aus dem Lande gemußt.«

»Laß die alten Sachen ruhen! Schau, sie müssen auf den Sarg getroffen sein. Die Herren treten näher. Nun wird wohl auch der Fremde erscheinen.«

Dieses Gespräch war nicht etwa zusammenhängend geführt worden, sondern es hatte Zwischenpausen gegeben, in denen die Beiden sich ihre Bemerkungen über Das, was vor ihren Augen vorging, mittheilten. Es hatte eine lange Zeit bis jetzt gedauert, und der Todtengräber schien wirklich mit seiner Arbeit ziemlich zu Ende zu sein. Da hörte Arndt einen leisen Ruf des Schreckens. Nämlich der junge Schmied sagte:

»Donnerwetter! Schau, da drüben!«

Und nach einem kurzen Augenblicke antwortete sein Vater:

»Das ist verflucht! Kommen die Jungens Holz lesen bei diesem Schnee. Wenn sie uns sehen!«

»Wir müssen fort. Sie kommen gerade auf uns zu!«

»Höchst fatal! Gerade jetzt, wo wir den Fremden zu sehen bekommen! Aber die Buben haben wirklich die gerade Richtung auf uns zu, und sehen lassen dürfen wir uns nicht.«

»Jammerschade! Aber es geht nicht anders. Also fort! Da rechts zwischen die Büsche hindurch!«

Arndt hörte den Schnee knirschen. Er erhob sich, hielt das Auge vorsichtig, so daß sein Kopf von draußen nicht gesehen werden konnte, an die erwähnte Mauerbresche und erblickte auf der einen Seite die beiden sich fortschleichenden Männer und auf der anderen drei Knaben, Kinder armer Leute.


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Sie waren beschäftigt, sogenanntes Leseholz aus dem Schnee hervor zu suchen und zu sammeln, und es hatte wirklich den Anschein, daß sie näher kommen würden.

Jetzt war es genug. Er begab sich nach dem Grabe, jedoch nicht in gerader Richtung, sondern auf einem Umwege, so daß von der Mauer aus seine Fußtapfen nicht gesehen werden konnten. Er war ein vorsichtiger Mann und hielt es immerhin für möglich, daß die Schmiede nach der Entfernung der Knaben zurückkommen könnten.

»Jetzt aber nun erklären Sie mir, warum Sie sich versteckten!« empfing ihn der Amtmann.

»Später!« antwortete er. indem er auf den Todtengräber winkte. »Wir sind nicht unter uns.«

»Ah ja! Ich bin neugierig.«

»Wie weit sind wir hier?«

»Sogleich!« antwortete der Todtengräber. »Da kommt schon Holz. Es ist schneller gegangen, als ich dachte. Die Kindergräber sind glücklicher Weise nicht tief.«

Noch einige Spatenstiche, und dann war der kleine Sarg blosgelegt. Man konnte ihn zwischen den ausgebreiteten Beinen des Todtengräbers, welcher unten im Grabe stand, sehen.

Er deutete erstaunt auf den Sarg und sagte:

»Nicht verfault in dieser langen Zeit! Das Holz muß außerordentlich harzig gewesen sein.«

»Und es hat sich keine Leiche darin befunden, wie ich denke,« fügte Arndt hinzu. »Sonst wäre er dennoch schon in Moder verwandelt. Öffnen Sie!«

Das Holz war aber doch so morsch, daß es in der Hand des Todtengräbers zerbrach. Der Deckel wurde entfernt, und nun zeigte es sich, daß der Sarg wirklich leer war.

Ein Ruf des Erstaunens erscholl aus dem Munde des Amtmannes und des Schreibers.

»Ich dachte es!« bemerkte Arndt einfach.

»Ja,« bemerkte der Förster, »es ist geradezu unbegreiflich: Was dieser Mensch sich denkt, das trifft stets zu. Und wenn er einmal sagen würde, daß mein Bärbchen seine Schwiegertochter sei, so verwettete ich meinen Kopf, daß sie es auch wirklich ist. Dieser Vetter ist rein allwissend!«

»Aber wie ist das zugegangen?« fragte der Richter. »Sie müssen gewisse Haltepunkte haben, Herr!«

»Die habe ich allerdings. Ich werde mir das Vergnügen machen, sie Ihnen später noch mitzutheilen. Für jetzt aber ist die Hauptsache: Meine Herren, haben Sie sich überzeugt, daß dieses Grab keine Leiche enthält?«

»Ja, vollständig, jawohl,« lautete die mehrstimmige Antwort rundum.

»Sind Sie bereit, das zu beschwören?«

Wieder ein lautes Ja.


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»So werden wir nachher drin in der Stube das Protocoll anfertigen. Vorher aber mag der Todtengräber das Grab wieder zuwerfen, doch auch den Deckel möglichst behutsam wieder auflegen.«

»Das kann er ganz allein thun,« meinte der Amtmann.

»Nein! Ich habe meine Gründe, Sie zu bitten, hier zu bleiben, bis er mit der Arbeit fertig ist.«

»Warum?«

»Weil ich überzeugt bin, daß man heute Nacht kommen wird, um uns einen Streich zu spielen, indem man eine Kindesleiche in das Grab escamotirt.«

Der Todtengräber hatte diese Worte auch gehört. Er riß den Mund auf, als hätte er den Kinnbackenkrampf. Auch die Anderen waren von demselben Erstaunen ergriffen.

»Herr, allen Respect vor Ihrem Scharfsinne,« sagte der Amtmann; »aber vor zwanzig Jahren eine Leiche hier fortgestohlen und heute eine wiederbringen - es scheint allerdings, daß Sie allwissend sind.«

»Das ist er, das ist er!« bestätigte der Förster. »Und wenn er jetzt sagt, daß wir da in dem nächsten Grabe einen Tragkorb voll Apfelsinen finden, so schwöre ich Stein und Bein, daß es so ist. Also zuschütten, mein Allerwerthester! Ich helfe mit.«

Bei der vereinigten Anstrengung der beiden Männer war die kleine Grube bald zugefüllt. Das Aufsetzen des Hügels wurde für später gelassen. Man begab sich in die warme Stube, wo das Protocoll aufgesetzt und unterschrieben wurde. Damit hielt der Amtmann die Angelegenheit für vorläufig beendet. Er wollte aufbrechen.

»Bitte, noch einen Augenblick!« sagte Arndt.

Und sich an den Todtengräber wendend, fragte er:

»Haben Sie bemerkt, daß ich an der Mauer gelauscht habe?«

»Ja,« lautete die Antwort des ahnungslosen Mannes.

»Und Sie wohl auch, obgleich Sie hier im Hause waren?«

Diese Frage war an die Frau gerichtet.

»Ja,« antwortete sie. »Ich stand da am Fenster und habe es deutlich gesehen.«

»Nun, Herr Amtsrichter, so bitte ich Sie, diese beiden Leute zu arretiren!«

»Arretiren?« fragte der Beamte.

»Arretiren!« jammerte das Ehepaar. »Wir haben doch nichts dafür gekonnt, daß wir es sahen!«

»Das ist sehr wahr,« antwortete Arndt in beruhigendem Tone; »aber Ihr seid selbst schuld daran; Ihr seid zu plauderhaft; das habe ich ja erfahren müssen!«

»Wir werden nichts erzählen!« gelobte der Mann, und seine Frau beeilte sich, diese Versicherung zu wiederholen.

Arndt schüttelte den Kopf und erklärte dem Amtmanne:


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»Es ist von der allerhöchsten Wichtigkeit, daß bis morgen kein Mensch erfährt, daß ich an der Mauer gelauscht habe. Die Herren werden als Beamte schweigen; dieser beiden Leute jedoch bin ich nicht sicher. Sie werden die Güte haben, sie mit sich zu nehmen, aber ohne sie als wirkliche Gefangene zu behandeln. Morgen früh werden sie wieder entlassen, und als Entschädigung für diese kurze Freiheitsentziehung werde ich ihnen hier diese zwei Goldstücke geben, die zugleich als Lohn für das Öffnen des Grabes angesehen werden mögen.«

Als die beiden Leute die Goldstücke erblickten, verwandelte ihr Schreck sich in Freude, und sie erklärten, gern mitgehen zu wollen. Sie wurden dem Schreiber anvertraut, der sich mit ihnen entfernte, um zu Fuße nach der Stadt zurückzukehren.

Als sich darauf der Amtmann mit Arndt und dem Förster allein sah, konnte er seine Wißbegierde nicht mehr beherrschen. Er sagte:

»Aber jetzt sind wir unter uns. Wollen Sie mich noch länger auf die Folter spannen?«

»Nein,« antwortete Arndt lächelnd. »Was Sie in scherzhafter Weise für Allwissenheit erklärten, war nichts als eine sehr leichte Berechnung. Die kleine Leiche wurde einst von dem Schmiede und seinem Sohne entfernt, und da -«

»Alle Wetter!« rief der Förster.

Der Amtmann sagte nichts, und Arndt fuhr fort:

»Sie gingen zum Schmied, und der Todtengräber ging auch zu ihm. Er ist ein schlauer Patron; es stand zu erwarten, daß er die Gefahr wittern und den Todtengräber ausfragen werde. Im Falle dieser plaudern sollte, vermuthete ich, daß der Schmied kommen werde, um uns zu beobachten. Und das war nur an der einen Stelle der Mauer möglich.«

»Das ist keine gewöhnliche Combination und klingt doch so einfach!« meinte der Beamte. »Kam er denn?«

»Ja, und zwar nicht allein, sondern sogar mit seinem Sohne.«

»Ah! Diese Beiden sprachen mit einander?«

»Natürlich!«

»Und Sie haben Alles gehört?«

»Jedes Wort.«

»Mein Herr, ich gestehe ihnen gern und willig, daß ich noch nie einen Mann gefunden habe, der in so horrenter Weise für das Polizeifach prädestinirt ist wie Sie!«

»Ja, ein Saukerl ist er!« fiel der Förster ein.» Nehmen Sie es mir nicht übel, Vetter, daß ich Sie so nenne, aber es ist wirklich nicht anders, Sie sind ein verfluchter Saukerl! Wenn ich ein Spitzbube wäre, so kriegte ich, sobald ich Sie nur erblickte, die Cholerine vor Angst und Bangigkeit!«

Die beiden Andern lachten herzlich über diese drastische Weise, seine Bewunderung auszudrücken, und der Amtmann erkundigte sich weiter:


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»Bitte, was haben Sie von ihnen gehört? Ich bin auf das Außerordentlichste gespannt darauf.«

»Ich auch,« meinte Wunderlich. »Diese beiden Kerls kennen mich nämlich. Da sie gesehen haben, daß ich mit dabei bin, so werden sie mich mit den lieblichsten Zärtlichkeiten bedacht haben. Hole sie der Kukuk!«

»Das ist richtig! Sie meinten, daß sie Ihnen schon noch etwas auswischen würden.«

»Sapperment! Da hat man sich also vorzusehen!«

»Keine Sorge! Diese beiden Menschen werden sehr bald unschädlich gemacht sein. Sie haben den Entschluß gefaßt, heute bis Mitternacht eine Leiche in das Grab zu legen.«

»Das also war es! Verwegene Menschen! Aber woher wollen sie die Leiche nehmen?«

»Aus dem alten Gottesacker in der Nähe der Stadt.«

»Wie klug! Dort verkehrt Niemand mehr; das würde unentdeckt bleiben. Aber ich werde sie dabei fassen lassen.«

»Bitte, dabei nicht! Mein Plan ist vielmehr, daß wir ihnen auf dem alten Gottesacker gar nichts in den Weg legen und sie vielmehr erst hier ergreifen. Man muß ihnen Gelegenheit geben, die That vollständig zu vollbringen, dann hat man sie am Festesten.«

»Ich muß Ihnen da allerdings beistimmen und bitte Sie nur, Ihre Verfügungen zu treffen.«

»Nicht hier. Es bleibt uns noch genugsam Zeit dazu. Gehen wir jetzt nach der Schänke.«

»Sie auch mit?«

»Ja. Der Wirth hat jedenfalls erfahren, daß noch Einer hier ist. Komme ich nicht mit, so könnte er Verdacht schöpfen. Übrigens war ich bereits vorhin bei ihm.«

»So kennt er Sie bereits?«

»Ja, doch in anderer Gestalt. Auch jetzt habe ich Ursache, mich ein klein Wenig zu verändern.«

An der Wand hing ein kleiner Spiegel. Arndt trat vor denselben hin und zog einen Bart und ein Fläschchen nebst Pinsel aus der Tasche. Als er sich wieder zu ihnen wendete, fuhr der Amtmann zurück.

»Mein Gott! Ist das möglich?« fragte er.

»Ja, dieser Vetter hat den wahren Teufel!« lachte der Förster. »Jetzt ist er ein alter Knabe von über sechszig Jahren. Den Bart hinan und die Augenbrauen gefärbt. Und dazu hat der Mensch seine Züge, daß heißt seine Gesichtshaut, sein Physiognomieleder so in der Gewalt, daß er zwischen den Falten, die er zieht, Fliegen und Hornissen todt quetschen kann wie ein alter Markedenterschimmel.«

Der Beamte betrachtete Arndt noch eine ganze Weile mit nicht enden wollendem Kopfschütteln. Endlich beruhigte er sich und fragte:

»Und was wird mit diesem Hause?«


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»Sie nehmen den Schlüssel zu sich und geben ihn dem Todtengräber bei seiner Entlassung wieder. In der Schänke trinken wir einen Grog und fahren dann ab.«

Das Haus wurde zugeschlossen. Als sie nach der Schänke kamen, saß der Schmied mit seinem Sohne und ihren beiden Frauen in einem ernsten Gespräche am Tische. Sie erhoben sich, um die Herren zu bedienen. Der Alte flüsterte seinem Sohne gelegentlich zu:

»Sollte das der Fremde sein?«

»Jedenfalls.«

»Der sieht mir gar nicht so gefährlich aus, wie ihn der Todtengräber machte!«

»Nein. Und von den Polizei= und Gensd'armenaugen bemerkt man auch nichts. Er sieht ganz so aus wie ein alter Advokatenschreiber oder ein Schulmeister.«

»Na, vielleicht läuft Alles gut ab!«

Nach kurzer Zeit bezahlten die Gäste, und der Förster, welcher gethan hatte, als ob er den Schmied gar nicht kenne, fuhr vor. Sie stiegen ein, kutschirten zum Dorfe hinaus, gemeinschaftlich nach der Stadt, wie der Amtmann glaubte. Aber kaum hatten sie das Dorf im Rücken, so ließ Arndt halten. Er hob den Sitz in die Höhe, unter welchem sich ein hohler Raum befand, und zog einen anderen Bart nebst Rock, Shawl und Hut daraus hervor.

»Wie?« fragte der Amtmann. »Abermals eine Maskerade? Wozu denn?«

»Ich muß noch kurze Zeit hier bleiben, um meine Beobachtungen fortzusetzen. Fahren Sie weiter; ich werde Ihnen dann zu Fuße folgen.«

Er legte die Sachen an, nachdem er sich überzeugt hatte, daß kein Lauscher in der Nähe sei. Der Beamte begann sein Kopfschütteln von Neuem.

»Erstaunlich!« sagte er. »Sie sind ein vollständig Anderer! Sie sind außer allem Anderen auch ein Mimiker, der Vorstellungen geben könnte. Wenn es Ihre Absicht sein sollte, in die Schmiede zurückzukehren, so bin ich fest überzeugt, daß man Sie dort nicht erkennen wird.«

»Ja; es ist völlig gefährlich, einen solchen Verwandten zu haben,« lachte der Förster. »Es kann ja vorkommen, daß ich ihn für mich selbst halte. Und wer von Beiden soll dann meine alte Barbara beim Kopfe nehmen? Ich mag gar nichts mehr sehen!«

Er griff zur Peitsche und fuhr weiter. Arndt ging um das Dorf herum, so daß er von der anderen Seite die Schänke erreichte, vor deren Thür der Wirth stand. Dieser begrüßte den fremden Gast und fragte nach seinem Begehr, worauf dieser ein Glas Bier verlangte.

Der Schmied besorgte das Getränk und musterte den Neuangekommenen neugierig. Fremde waren in dem weit abgelegenen Dorfe selten. Er schien befriedigt zu sein, denn er setzte sich zu Arndt und fragte:

»Ist's recht, das Bier?«


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»Nicht übel!« lautete die Antwort, indem der Trinker mit der Zunge schnalzte.

»Ja, wir schänken hier noch direct aus dem Fasse; da läßt es sich eher trinken, als aus den Röhren und Gummischläuchen, durch die es anderwärts zu laufen hat, ehe es in die Kehle kommt. Sie sind hier fremd, wie es scheint? Wenigstens habe ich Sie noch nicht gesehen.«

»Möglich, obgleich ich weit umherkomme.«

»Was für ein Landsmann sind sie denn?«

»Aus der Hauptstadt.«

»So? Aus der Residenz? Das hätte ich nicht errathen.«

»Warum nicht?«

»Sie sehen mehr nach dem Lande aus.«

»Das ist sehr leicht möglich, denn mit was man umgeht, das pflegt Einem anzuhängen.«

Was sind Sie denn ? »Was sind Sie denn?«

»Holzhändler.«

»So, so! Da kommen Sie wohl in Geschäften in diese Gegend?«

»Ja. Die Gebirgswaldungen sind holzreich; da giebt es eher einmal einen guten Kauf als bei uns in der Nähe der großen Städte, wo die Wälder selten sind.«

»Es ist auch nicht mehr wie früher. Der Staat kauft nach und nach alle Privatwaldungen an sich, und die Regierung forstet anders, viel sparsamer als der Private.«

»Das ist wahr. Aber grad mit der Regierung habe ich sehr gern zu thun. Kauft man von ihr, so weiß man genau, was man bekommt. Da giebt es keinen Schwindel.«

»Möglich, obgleich es Viele giebt, die nicht an diese Solidität glauben wollen, zum Beispiel die Demokraten.«

»Meinetwegen! Ich lasse Jedem seine Meinung.«

»Das ist das Richtige. Da kommt man niemals in Conflict. Aber da muß ich sie einmal Etwas fragen. Wir leben hier so abgeschieden. Fremde kommen selten, und in unsern kleinen Zeitungsblättern steht auch nicht viel. Da ist man froh, wenn man einmal Einen trifft, der auch andere Gegenden gesehen hat.«

»Fragen Sie nur! Ich stehe zu Diensten!«

Die beiden Frauen hatten sich in die Küche zurückgezogen, der Sohn aber war geblieben. Er merkte, daß der Vater das Gespräch auf ein für sie Beide wichtiges Thema bringen wollte, und trat daher näher herbei.

»Da war vor einiger Zeit,« sagte der Schmied, »ein Handelsmann bei uns, auch aus der Residenz, er erzählte von einem - einem - - na, wie nannte er ihn nur? Von einem Manne, der ein wahrer Schinderhans sein soll.«

»In der Hauptstadt?«

»Ja. Sie wollten ihn fangen, kriegten ihn aber nicht.«


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»Also ein Spitzbube? Ein Räuber?«

»Ja.«

»Er wird den Riesen Bormann gemeint haben.«

»Nein. Der Name war anders.«

»So hat er am Ende gar von dem Hauptmanne gesprochen.«

»Hauptmann? Hauptmann? Ja, so hat er ihn genannt, wie ich glaube. Nicht? Du hast's doch auch gehört.«

»Ja,« nickte der Sohn. »Hauptmann nannte er ihn.«

»Nun, was ist denn das eigentlich für ein Kerl?«

»Hm! Wer das wüßte!« antwortete Arndt. »Aber kein Mensch weiß es ja!«

»Ist er denn wirklich so ein verwegener Kerl?«

»Ja. Er scheint eine sehr zahlreiche Bande zu besitzen, denn es vergeht fast kein Tag, an welchem nicht irgendeine Schlechtigkeit von ihm begangen wird.«

»So mag man ihn doch fassen!«

»Wo denn? Die Polizei mag sich alle ihre vielen Beine weglaufen und alle ihre Augen und Ohren aussehen und aushorchen - er ist eben nicht zu kriegen.«

»Ich wollte es nicht glauben; ich hielt es für unmöglich, in so einer Stadt. Aber der Handelsmann erzählte doch, daß dieser Hauptmann jetzt einen Feind erhalten habe?«

»Einen? Unsinn! Der Hauptmann hat tausend Feinde. Jeder ehrliche Mann muß sein Feind sein.«

»So meinte ich es nicht. Es soll ein Mann aufgetaucht sein, der ebenso geheimnißvoll ist, wie der Hauptmann selbst. Er hatte einen so sonderbaren Namen.«

»Ach so! Sie meinen wohl den Fürsten des Elendes?«

»Ja, ja. Das wird der eigenthümliche Name gewesen sein. Ist es denn wahr, daß es einen solchen giebt?«

»Ja, gewiß!«

»Wer ist es denn?«

»Da fragen Sie mich zu viel,« antwortete Arndt lachend. »Kein Mensch weiß, wer der Fürst des Elendes ist.«

»Er soll gerade das Gegentheil von dem Hauptmanne sein?«

»Das ist wahr. Er thut nur Gutes.«

»Er soll Alles wissen und erfahren?«

»Das hört man so. Für Einen, der das nicht versteht, ist es fast unbegreiflich, daß dieser Fürst des Elendes gerade Alles erfährt, was er wissen will.«

»Für Einen, der es nicht versteht, sagen Sie? Das klingt ja gerade so, als ob Sie es verständen?«

Arndt machte eine geheimnißvolle Miene, nickte nachdenklich mit dem Kopfe und antwortete:


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»Na, es giebt so Vieles unter der Sonne, was Tausende nicht begreifen, obgleich es sehr einfach ist. Wenn der Fürst des Elendes so ziemlich allwissend genannt werden kann, so klingt das wunderbar; für mich aber ist es kein Wunder.«

»Da machen Sie mich höchst neugierig.«

»Na, sehr einfach: Der Fürst des Elendes ist Spiritist.«

Bis jetzt hatte sich der Schmied verstellt; nun aber sagte er die Wahrheit, als er fragte:

»Spiritist? Was ist das? Das weiß ich gar nicht.«

»Sie haben noch nichts vom Spiritismus gehört?«

»Nein.«

»Von Leuten, welche Spiritisten genannt werden?«

»Nie.«

»Sie werden Spiritus trinken,« bemerkte da sein Sohn außerordentlich geistreich.

»Da irren Sie sich, mein Lieber!« lachte Arndt. »Spiritus ist ein fremdes Wort und bedeutet eigentlich Geist oder Seele. Spiritisten sind Leute, welche mit Geistern Umgang pflegen. Es giebt jetzt Solcher sehr Viele!«

»Sie wollen uns foppen!«

»Nein. Was hätte ich denn davon?«

»Es giebt keine Geister. Es kommt kein Verstorbener wieder. Noch Niemand hat einen gesehen.«

»Da irren Sie sich ganz bedeutend. Es ist freilich nicht ein jeder Mensch geeignet, mit Geistern zu verkehren. Wer aber diese Gabe hat, für den ist es sehr leicht. So Einen nennt man ein Medium. Das heißt nämlich Mittelsperson, weil durch ihn jeder Andere auch mit den Geistern verkehren kann. Ein jedes Medium hat einen bestimmten Geist; dieser Geist beantwortet ihm alle Fragen. Und weil der Geist Alles weiß, so ist es kein Wunder, wenn auch das Medium Alles erfährt, was es wissen will. Der Fürst des Elendes ist ein solches Medium.«

Die beiden Schmiede blickten einander mit großen Augen an. Sie wußten nicht, ob sie schimpfen oder lachen sollten.

»Das glauben Sie nicht?« fragte Arndt.

»Nicht eher, als bis ich ein solches Medium sehe!«

»Hm! Ah! Na, da könnte Rath geschaffen werden!«

Er blickte sich sehr vorsichtig um, ob er außer von den Zweien auch von Anderen noch gehört werde.

»Wollen Sie etwa sagen, daß auch Sie ein Medium sind?« fragte der Alte höchst gespannt.

»Ja, obgleich es noch nicht lange her ist, daß ich zu den Spiritisten gehörte. Ich glaubte erst auch nicht daran, bin aber sehr bald überzeugt worden, daß es kein Schwindel ist.«

»Und von einem solchen Medium kann man Alles erfahren?«


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»Alles, geradezu alles, denn der Geist sagt es ihm.«

»Ist man dabei?«

»Natürlich, denn nur Anwesende können Fragen stellen.«

»Sieht man den Geist?«

»Nein, das ist ja unmöglich.«

»Aber man hört ihn?«

»Nur das Medium hört ihn, die Anderen hören ihn aber nicht, sondern nur die Antwort des Mediums. Man muß nämlich fragen; der Geist antwortet dem Medium und dieses giebt die Antworten laut wieder.«

»O, Sakkerlot, muß das schön sein! Ich möchte da doch einmal mitmachen! Ist das schwer?«

»Nein, sondern sogar sehr leicht. Es müssen nämlich drei Personen sein, drei, sechs, neun, zwölf. Die Zahl muß sich durch die Drei theilen lassen, weil diese die heilige Zahl ist.«

»Weiter ist nichts von Nöthen?«

»Nur noch Etwas, nämlich die Beschwörungsformel aus Faust's dreifachem Höllenzwang.«

»Wer die doch wüßte.«

»Ich kenne sie.«

»Also wirklich, Sie sind ein Medium? Sie haben einen Geist, der Ihnen antwortet?«

»Ja. Der Geist muß verwandt mit Einem sein. Der meinige ist meinem Oheim seinem Vater und seiner Frau ihrem einzigen Enkelsohne sein Geist. Diese Verwandtschaft ist zwar etwas sehr weitläufig, doch das thut nichts.«

Der Schmied rechnete gar nicht nach, daß es da nur Arndt's eigener Geist war. Er befand sich in einer Lage, welche ihm die Bekanntschaft eines Mediums sehr wünschenswerth machte, und darum fragte er:

»Wieviel hat man für so Etwas zu bezahlen?«

»Gar nichts. Der Geist antwortet nur, wenn man keine Bezahlung nimmt. Schon hieraus müssen Sie erkennen, daß die Sache weder Betrug noch Schwindel ist.«

»Ah! Wenn Sie einmal so gut sein wollten -«

»Hm! Die Sache hat dennoch ihre Bedenken!«

»Welche?«

»Die Nerven, die Nerven! Ich weiß nicht, ob sie eine jede Antwort vertragen können.«

»O, was das anbelangt, so brauchen Sie gar nicht bange zu sein! Geht es am Tage oder nur des Nachts?«

»Auch am Tage, wenn man nämlich die Laden zumacht. Licht muß brennen, aber auch nur duster.«

Er sagte das, um den Beiden eine scharfe Beobachtung seines Gesichtes möglichst zu erschweren.

»Ah, wollen Sie uns den Gefallen thun? Haben Sie Zeit?«


- 885 -


»Zeit hätte ich; aber -«

»Was, aber?«

»Man muß allein und ungestört sein.«

»Wir haben oben ein Stübchen, wohin Niemand kommt.«

»Wird man nicht lauschen?«

»Nein.«

»Das ist gut, denn sonst würde der Geist nicht antworten. Aber es gehören Drei dazu. Sie und ich, wir sind nur Zwei.«

»Mein Sohn macht mit.«

»Ist der auch fest und muthig?«

»Gerade so wie ich.«

»Na, da könnten wir es ja versuchen. Ich thue es nicht mit einem Jeden; aber Sie sind brave und wißbegierige Leute; da will ich doch einmal eine Ausnahme machen. Es wäre da nur noch ein Bogen Papier nöthig.«

»Papier habe ich oben.«

»Schön! So ist Alles beisammen.«

»Wollen wir hinaufgehen?«

»Ja. Doch vorher will ich austrinken und bezahlen.«

»Lassen Sie doch diese Kleinigkeit!«

»Nein; ich darf nichts geschenkt nehmen, sonst würde ich doch keine Antwort bekommen.«

Die zwei Schmiede waren fast fieberhaft erregt. Wenn dieser Fremde die Wahrheit sagte, so waren sie jetzt im Stande, Dinge zu erfahren, die ihnen von der allergrößten Wichtigkeit sein mußten. Sie führten ihn in ein kleines Oberstübchen, welches nur ein Fenster hatte. Der Laden wurde verschlossen und die Lampe angebrannt, deren Docht Arndt so weit zurückschraubte, daß Alles nur im Duster lag.

»Kennen Sie das Tischrücken?« fragte er.

»Ja,« antworteten Beide.

»Haben Sie es selbst mitgemacht?«

Auch das wurde bejaht.

»Nun, so ganz ähnlich haben wir die Hände zu legen. Es muß eine Kette geschlossen werden, so daß unsere Finger rundum sich berühren. Jetzt das Papier!«

Es wurde gebracht. Er zog seinen Bleistift hervor und malte seltsame Charactere darauf, ganz ohne Bedeutung, so wie sie ihm gerade einfielen. Als er damit fertig war, legte er es auf die Mitte des Tisches und bemerkte:

»Jetzt legen wir die Hände an einander! So! Wenn ich die Nähe des Geistes fühle, können Sie fragen, was Sie wollen; er wird mir leise antworten, und ich sage es Ihnen laut.«

»Wer soll fragen? Ich oder mein Sohn?«

»Das ist ganz gleichgiltig, Sie oder er.«


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»Da werde doch lieber ich fragen.«

»Schön! Also jetzt still!«

Die nun eintretende Stille, das Düstere der Beleuchtung, die fremden Zeichen auf dem Papiere, das Abenteuerliche der ganzen Scene, wirkte so sehr auf die beiden Schmiede, daß es ihnen wirklich ganz geister=, ganz gespensterhaft zu Muthe wurde.

Erst nach längerer Zeit gab Arndt das Zeichen, und mit stockender Stimme gab der Alte eine Frage, welche sich auf seine Familienverhältnisse bezog. Arndt hatte seine Jugend hier verlebt; er kannte diese Verhältnisse ganz genau, und so fiel die Antwort zur größten Überraschung der Beiden vollständig treffend aus.

Arndt gebrauchte die Vorsicht, nach der Frage einige Augenblicke nach der Seite hinzulauschen, als ob da ein unsichtbares Wesen stehe, von welchem er die Auskunft zugeflüstert erhalte. Es folgten mehrere ähnliche Fragen, und jedes Mal fiel die Antwort streng nach der Wahrheit aus. Nach und nach entfernte sich der Fragende von den Familienverhältnissen, kam auf Weiteres und Verschiedenes und endlich auch - scheinbar unbemerkt - auf das Thema, welches für ihn die Hauptsache war. Er hatte keine Ahnung, daß er von dem fremden Holzhändler aus der fernen Residenz vollständig durchschaut werden könnte.

»Giebt es wirklich einen Hauptmann in der Hauptstadt?« fragte er.

»Ja, es giebt einen.«

»Wer ist es?«

»Ein großer Herr, ein Baron.«

Der Alte erschrak; er hütete sich, diese Erkundigung fortzusetzen. Er fragte lieber:

»Kennst Du den Waldkönig?«

»Ich kenne mehrere.«

»Wo wohnen sie?«

»Hier, in Obersberg, bei Schacht Gottes=Segen und an anderen Orten.«

Es fiel ihm gar nicht ein, nach den Namen zu fragen. Es wurde ihm angst und bange. Es war schwer, zu fragen, da ja der Fremde die Antworten auch bekam. Aber es mußte gewagt werden:

»Wird hier an der Grenze geschmuggelt?«

»Ja.«

»Wann wieder?«

»Heute.«

»Zu welcher Zeit?«

»Zwei Uhr nach Mitternacht.«

Vater und Sohn blickten sich betroffen an. Eine solche Genauigkeit war großartig. Es gab keinen Zweifel: nur ein Geist konnte so antworten.

»Wird es gelingen?«

»Bei Verbrechen darf kein Geist so antworten; auch ist es ihm da verboten, einen Namen zu nennen.«


- 887 -


Das war dem Alten außerordentlich lieb. Wenn bei Verbrechen kein Name genannt wurde, so konnte er ja ohne alle Sorge seine Fragen aussprechen.

»Was ist heute auf dem Kirchhofe geschehen?«

»Es wurde ein Grab geöffnet.«

»Wer lag darin?«

»Niemand.«

»Wo ist die Leiche hin?«

»Gestohlen worden.«

»Von wem?«

»Von einem Vater und seinem Sohne.«

»Wohin wurde sie geschafft?«

»In ein brennendes Schloß.«

»Warum?«

»Um sie mit einem lebenden Kinde zu vertauschen.«

Der Sohn hustete, um seinen Vater zu warnen; ihm schienen diese Fragen gefährlich zu sein. Doch der Alte fuhr fort:

»Lebt der Besitzer dieses Schlosses?«

»Ja, und auch der Eigenthümer.«

»Wer ist der Besitzer?«

»Ein Baron.«

»Und der Eigenthümer?«

»Jenes vertauschte Kind.«

Es läßt sich gar nicht beschreiben, welchen Eindruck diese Antworten machten. Es wurde zwar kein Name genannt, doch waren sie so exact, daß es dem Frager eigentlich hätte bange werden sollen. Dennoch fragte er jetzt weiter:

»Lebt der Vater dieses Kindes noch?«

»Nein.«

»Woran ist er gestorben?«

»An einem Rasirmesser. Er wurde ermordet.«

»Wer war der Mörder?«

»Ein Baron.«

»Lebt dieser Baron noch?«

»Ja.«

»Wo?«

»Heute hier, sonst in der Hauptstadt.«

Es überlief den Frager und seinen Sohn eiseskalt. Das war wirkliche Allwissenheit! Aber da keine Namen genannt wurden, so konnte man es weiter wagen:

»Wann geschah dieser Mord?«

»Vor zwanzig Jahren.«

»Wo?«

»Ganz in der Nähe.«


- 888 -


»Gab es Mitwisser?«

»Ja.«

»Wen?«

»Eine Zofe.«

Es dauerte doch jetzt eine gute Weile, ehe die nächste Frage ausgesprochen wurde.

»War das der einzige Mord an jenem Tage?«

»Nein.«

»Wer wurde noch ermordet?«

»Ein Offizier.«

»Von wem?«

»Von einem Baron.«

»Wo?«

»Im Walde.«

»Gab es auch hier Mitwisser?«

»Ja.«

»Wer sind sie?«

»Ein Vater und sein Sohn.«

»Giebt es Leute, die das wissen?«

»Einen.«

»Hm! Ah! Oh!« hustete der Alte. »Wer ist dieser?«

»Ein Försterssohn.«

»War er mit in den Mord verflochten?«

»Er wurde unschuldig verurtheilt.«

»Und er weiß von den beiden Mitwissern?«

»Ja.«

»So lebt er noch?«

»Ja.«

»Wo lebt er?«

»Jetzt in einer Schänkwirthschaft.«

»In welchem Lande?«

»Namen dürfen nicht genannt werden.«

»Warum zeigt er den Schuldigen nicht an?«

»Er hat seine Gründe.«

»Warum nennt er diese beiden Zeugen seiner Unschuld nicht?«

»Sie haben ihm Gutes gethan.«

»Haben sie noch Böses von ihm zu erwarten?«

»Er will sie beschützen.«

»Werden sie ihn wiedersehen?«

»Sie sehen ihn.«

»Wo?«

»In dem Hause, in welchem er sich jetzt befindet.«

»Was haben diese Beiden heute vor?«

»Eine böse That.«


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