Karl May's dritter Münchmeyer-Roman


Der verlorene Sohn

oder

Der Fürst des Elends.

Roman aus der Criminal-Geschichte.

Fünfter Band


Lieferung 72.

- 1705 -


fahren will! Aber ich werde Ihr Gedächtniß doch noch auf die richtige Spur bringen. Ist Ihnen vielleicht der jüdische Althändler Salomon Levi bekannt, welcher in der Wasserstraße wohnt?«

Der Jude hielt es nicht für gerathen, diese Bekanntschaft abzuleugnen; daher antwortete er:

»Ja, den kenne ich.«

»Aber wohl nur oberflächlich?«

Der Fürst machte dabei ein Gesicht, welches verrieth, daß er seiner Sache ganz gewiß sei. Der Jude wagte also nicht zu leugnen, zumal ihm ja der Umstand, mit dem Juden bekannt zu sein, an und für sich keinen Schaden bringen konnte. Er antwortete:

»Nein. Ich kenne ihn vielmehr sehr gut. Ich habe oft für ihn gearbeitet. Er kauft zuweilen altes Geschmeide, welches ich ihm bearbeiten muß.«

»Wissen Sie, was mit ihm geschehen ist?«

»Nein.«

»Er ist gefänglich eingezogen worden.«

»Sapperment!«

»Ja. Er ist gewisser Dinge angeschuldigt, welche vermuthen lassen, daß er auch Mitschuldige besitzt.«

»Ich habe ihn stets für einen ehrlichen Menschen gehalten.«

»Sie scherzen!«

»O nein!«

»Nun, er war allgemein als ein Mann bekannt, welcher es mit dem Unterschiede zwischen Recht und Unrecht nicht sehr genau zu nehmen pflegte. Ich glaube, gehört zu haben, daß man auch Ihren Namen mit seiner Arretur in Verbindung bringt.«

»Unmöglich!«

»O, Derjenige, welcher es mir sagte, war ein Mann, der es genau wissen muß.«

»Ich habe nichts Unrechtes gethan!«

»Dann gut für Sie! Es handelt sich um Fälschungen.«

»Ich weiß von nichts!«

»Eben diese Kette hier soll gefälscht worden sein!«

»Von mir jedenfalls nicht!«

»Das wird die Untersuchung zeigen. Es ist eine ähnliche Kette mit einem ähnlichen Medaillon versehen worden, und die Buchstaben, welche hier stehen, hat man verändert.«

»Zu welchem Zwecke?«

»Das ist hier Nebensache. Ich weiß, daß man nach dem Goldarbeiter sucht, welcher das mittlere kleine v. in ein u. verändert hat. Ich habe Vermuthung, daß Sie es gewesen sind, und da die Angelegenheit mich persönlich angeht und ich doch nicht wünsche, Jemand einer solchen Kleinigkeit wegen unglücklich zu machen, so kam ich zu Ihnen, um mich vorher zu erkundigen, ob meine Vermuthung richtig ist.«

Jetzt wußte der Jude wirklich nicht, was besser sei: gestehen oder


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leugnen. Er beschloß, sich ein Hinterpförtchen offen zu halten, und dies konnte geschehen nur durch die Bemerkung:

»Ich habe für Salomon Levi so sehr viel gearbeitet, daß ich mich auf das Einzelne nicht mehr besinnen kann.«

»Aber Ihr Buch!«

»Habe ich leider nicht hier. Wenn Euer Durchlaucht mir gestatteten, nachzuschlagen und mir dann eine Audienz zu erbitten, könnte ich eine ganz bestimmte Antwort geben.«

»Nun gut! Kommen Sie punkt ein Uhr zu mir!«

Als der Fürst sich entfernt hatte, murmelte Jacob Simeon:

»Verdammt! Hier gerathe ich vielleicht in eine Patsche, die mir Schaden bringen kann. Aber ich kann doch unmöglich bestraft werden, wenn ich einen Auftrag ausführe, in Folge dessen ich eine Arbeit zu liefern habe, welche einer anderen ähnlich ist. Ich weiß ja gar nicht, wozu sie verwendet werden soll! Übrigens hat diese Angelegenheit auch ihre gute Seite: Ich muß zum Fürsten und finde dabei vielleicht Gelegenheit, mich nach der Baronin zu erkundigen.«

Der Fürst war an der nächsten Ecke mit dem Diener Anton zusammengetroffen, welcher dort auf ihn gewartet hatte. Sie gingen weiter und trafen ganz zufälliger Weise dann mit Adolf zusammen, welcher seit seiner Entfernung aus dem Bierkeller durch die Straßen geschlendert war.

»Gut, daß ich Dich treffe,« sagte der Fürst. »Du kannst uns helfen. Drei sind immer besser als Zwei.«

»Wobei?«

»Wir wollen den Versammlungsort der Bande untersuchen.«

»Jetzt? Am hellen Tage?«

»Ja.«

»Ist das nicht auffällig?«

»Gar nicht. Am Abend ist es unmöglich, da wir dann vielleicht von irgend einem Mitgliede beobachtet werden. Am Tage aber kann es gar nicht auffallen. Wo warst Du jetzt?«

»Beim Hauptmanne.«

»Dachte es mir. Giebt es etwas Neues?«

»Die Beiden ließen sich nichts merken; aber ich habe meine Bemerkung über meine Herrin gemacht.«

»Was hast Du gesagt?«

»Daß sie baldigst abreist.«

»Schön! Hast Du eine Zeit angegeben?«

»Nein. Ich muß mir doch die Möglichkeit offen halten, die Zeit nach unserem Gusto zu wählen.«

»Natürlich. Ich vermuthe, daß der Hauptmann Dich heute Abend in Versuchung bringen wird.«

»Die Tänzerin zu bestehlen?«

»Ja.«


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»So offen wird er es mir wohl nicht antragen. Er sagte vorhin, daß er die Sängerin gern bei ihrer Abreise sehen möchte. Ich soll die Zeit zu erfahren suchen.«

»So, so! Nun, wir werden ihm die geeignete Stunde schon mittheilen. Jetzt wollen wir uns trennen, damit wir nicht zu Dreien an den Platz kommen. Wir halten uns gar nicht im Freien auf, sondern begeben uns stracks nach dem Innern der Eisengießerei.«

Sie gingen auseinander. Der Fürst machte den bedeutenden Umweg. Als er die Eisengießerei erreichte, fand er die beiden Anderen bereits vor.

Es war vollständig tageshell im Innern des jetzt leeren Etablissements, so daß sie Alles genau sehen konnten.

»Die Hauptsache ist für uns die Grube, in welcher sich die Kessel befunden haben,« sagte der Fürst. »Steigen wir also einmal hinab.«

Die Vertiefung war ausgemauert. Um ihren Rand herum lagen ganze und zerbrochene Werkstücke. Auch unten in der Grube gab es mehrere große Sandsteine, welche während der nächtlichen Versammlungen wohl den Zweck hatten, als Sitze zu dienen. Sonst war nichts Besonderes zu bemerken.

»Man sieht es diesem nüchternen Loche gar nicht an, daß in demselben solche Sachen ausgeheckt werden,« sagte Anton. »Man sollte nur genau wissen, wann die nächste Versammlung stattfindet!«

»Warum?« fragte der Fürst.

»So könnte man sich zuvor ein hübsches Plätzchen herrichten, um die Kerls gemüthlich zu belauschen.«

»Diesen Gedanken habe ich auch gehabt, und eben darum komme ich mit Euch her. Ich bin überzeugt, daß sich die Kerls bereits heute wieder zusammenfinden.«

»Sapperment!«

»Ja. Ich halte es zwar für ganz gewiß. Ich habe dem Baron nur drei Tage Zeit gegeben. Während dieser Zeit muß er handeln. Er kann keine Stunde versäumen und wird also die beiden Lichter schon heute Abend brennen lassen.«

»So gehen wir her!«

»Das beabsichtige ich. Ich glaube, errathen zu können, über welchen Gegenstand man heute verhandeln wird.«

»Ich auch.«

»Nun? Was?«

»Die Tänzerin ausrauben?«

»Das noch nicht. Nach Allem, was ich dem Baron gesagt habe, und nach der Art und Weise, wie ich seinen Charakter und seine Absichten kennen gelernt habe, möchte ich darauf schwören, daß es sich heute Abend um einige kleine Mordthaten handeln wird.«

»Alle Teufel!«

»Ganz gewiß. Eine dieser Mordthaten wird man wohl gelegentlich eines Einbruches begehen wollen.«


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»So ist es unsere Pflicht, die Augen und Ohren offen zu halten.«

»Natürlich! Habt ihr eine Ahnung, wer ermordet werden soll?«

»Ja,« antwortete Adolf.

»Nun, wer?«

»Vielleicht die beiden Schmiede.«

»Hm! An diese habe ich nicht gedacht. Aber, hm, Du könntest doch vielleicht Recht haben.«

»Die Sache klingt zwar wahnsinnig, da die Schmiede gefangen sind; aber der Riese ist doch auch, trotzdem er sich im Gefängnisse befand, vergiftet worden.«

»Deine Ansicht ist gar keine üble. Es kommt dem Hauptmann natürlich darauf an, innerhalb der Frist, welche ich ihm gegeben habe, also innerhalb dreier Tage, alle Personen, deren amtliche Aussagen er zu fürchten hat, unschädlich zu machen.«

»Das kann freilich nur durch Mord geschehen.«

»In dieser Beziehung sind ihm allerdings die beiden Schmiede sehr im Wege. Er hat sie befreien wollen, damit sie nicht gegen ihn aussagen können; das ist nicht gelungen. Aus dem Gefängnisse der Residenz sind sie noch schwerer zu bringen als aus demjenigen der kleinen Provinzialstadt; zudem ist ihm nur kurze Zeit gegeben; er wird also wohl auf den Gedanken kommen, sie durch Mord unschädlich zu machen.«

»Wie aber will er das anfangen?«

»Das müssen wir überlegen. In die Zelle kann er nicht. Er wird also seine Absicht von Außen in's Werk setzen wollen.«

»Das Gefängniß muß bewacht werden.«

»Natürlich. Man muß auch die Beamten instruiren. Er wird auf irgend eine Art und Weise versuchen, die Zellen zu erfahren, in welchen die Beiden stecken.«

»Vielleicht belauschen wir heute Abend etwas darauf Bezügliches, wenn wir einigermaßen Glück haben.«

»Ich hoffe es. Also die beiden Schmiede. Gegen wen wird sich seine Absicht wohl noch richten?«

»Hm! Vielleicht gegen seine Frau?«

»Jedenfalls. Gegen sie und mich.«

»Das soll er sich nicht einfallen lassen!«

»O, es wird ihm bereits eingefallen sein!«

»Nun, so werden wir ihn bei den Ohren nehmen!«

»Das versteht sich! Ich vermuthe, daß er einen Einbruch arrangirt, einen Einbruch bei mir, wobei er mich und die Baronin auf die Seite schaffen will. Ich werde Vorkehrungen treffen. Sodann vermuthe ich, daß er auch Robert Bertram, welcher bei mir wohnt, auf die Seite schaffen will.«

»Warum?«

»Wegen einer Privatangelegenheit, beziehentlich deren er sich auch in


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Gefahr befindet. Vielleicht richtet er sein Auge auch auf die Baronesse von Helfenstein.«

»Seine eigene Cousine! Der Kerl ist ein Satan!«

»O, er kennt seine Lage. Er hat nur die Wahl zwischen dem Tode seiner Feinde und dem seinigen. Und wie wir ihn kennen, ist es ihm sehr gleichgiltig, ob er sich noch Einiges auf das Gewissen ladet zu Dem, was er bereits auf demselben trägt. Ich hoffe, daß wir heute Abend klarer sehen als jetzt. Wir müssen uns ein Versteck herrichten, in welchem wir Alles sehen und hören können, ohne daß wir selbst uns in Gefahr befinden.«

»Das läßt sich sehr leicht herrichten,« sagte Anton.

»In welcher Weise denkst Du?«

»Nun, diese Kesselgrube ist mit Ziegeln ausgemauert. Man entfernt diese an einer Stelle und macht eine Öffnung, in welcher wir uns verstecken können.«

»Aber diese Öffnung darf doch nicht offen bleiben.«

»Nein. Das Loch wird mit Ziegeln wieder zugesetzt und dieses ist selbst von Innen leicht zu bewerkstelligen. Einige kleine Löcher zum Durchblicken werden sich leicht anbringen lassen.«

»Hm! Der Gedanke ist nicht übel.«

»Wollen Sie mir die Ausführung überlassen, gnädiger Herr?«

»Wenn Du mir versprichst, vorsichtig zu sein.«

»Das liegt in meinem eigenen Interesse!«

»Heute Abend dürfte keine Spur von Dem vorhanden sein, was unterdessen geschehen ist.«

»Was das betrifft, so garantire ich, daß nicht ein einziger Fingerhut voll Erde oder Ziegelmehl hier auf den Boden fallen soll. Ich werde das zu arrangiren wissen!«

»Aber wer soll die Arbeit unternehmen? Kann man dem ersten, besten Maurer trauen?«

»Ich nehme einige Polizisten dazu.«

»Schön, gut! Das ist das Sicherste!«

»Und damit wir bei der Arbeit nicht überrascht werden, lasse ich die Gegend durch Detectives bewachen. Am Liebsten wäre es mir, wenn ich sogleich beginnen könnte.«

»Thue es. Gehe auf die Hauptwache und melde dem Polizeidirector, um was es sich handelt!«

»Und ich?« fragte Adolf. »Soll ich helfen?«

»Nein. Dich brauche ich vielleicht anderweit.«

»Sie werden sich heute Abend vor Beginn der Versammlung in das Versteck zu begeben haben.«

»Natürlich.«

»Da werde ich um den Genuß kommen, dabei zu sein!«

»Weil Du mit dem Hauptmanne zusammen zu treffen hast? Ärgere Dich nicht darüber! Ich denke, daß Du auch genug Arbeit bekommen wirst.


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Jetzt muß ich nach dem Gerichtsgebäude. Adolf, gehe Du zu Robert Bertram und zur Baronesse von Helfenstein. Sage den Beiden von mir, daß sie ihre Wohnung bis auf Weiteres nicht verlassen und auch keinen fremden Menschen bei sich Zutritt gestatten sollen.«

Die beiden Polizisten entfernten sich einzeln, und erst nach einiger Zeit folgte ihnen der Fürst. Ehe er das öde Gebäude verließ, blickte er nach allen Seiten durch die fensterlosen Öffnungen hinaus, um zu erspähen, ob er vielleicht heimlich beobachtet werde. Er vermochte aber nicht das geringste Verdächtige zu erblicken.

Im Gerichtsgebäude angekommen, begab er sich zu dem Staatsanwalte. Dieser schien auf ihn gewartet zu haben, denn er empfing ihn mit einem:

»Endlich, Durchlaucht! Ich dachte, Sie würden früher kommen.«

»Ich wurde zurückgehalten. Sie haben die Schmiede noch nicht vorgehabt?«

»Nein. Ich erhielt Ihre Karte und sah aus dem Inhalte, daß Sie wünschten, dem Verhöre beizuwohnen. Darum habe ich bis jetzt gewartet.«

»Ich bin Ihnen für diese Gefälligkeit sehr verbunden.«

»O, was das betrifft, so bin und bleibe doch nur ich Ihr Schuldner. Sie haben uns seit einiger Zeit so unter die Arme gegriffen, daß von Gefälligkeiten unsererseits gar keine Rede sein kann. Soll ich also jetzt klingeln?«

»Welchen werden Sie zunächst vornehmen?«

»Den Alten. Denken Sie nicht?«

»Ja. Aber ich bitte Sie, noch einige Augenblicke zu warten. Ich habe Ihnen vorher eine Mittheilung zu machen.«

»Sprechen Sie, Durchlaucht!«

»Falls der Schmied nicht gestehen sollte, darf ihn da vielleicht ein Anderer vernehmen?«

»Hm! Sie wissen, daß ich als Staatsanwalt -«

»Ich weiß es!« fiel der Fürst ein. »Aber hier giebt es einen Fall, welcher eine Ausnahme erleidet.«

»Welchen Anderen meinen Sie?«

»Brandt.«

»Brandt? Ich kenne keinen Brandt.«

»Nicht? Sie waren doch mit bei mir, als von ihm so viel gesprochen wurde.«

»Ah! Sie meinen Gustav Brandt, den Flüchtling.?«

»Ja.«

»Dieser soll den Schmied vernehmen?«

»Ja.«

»Aber, da müßte er doch anwesend sein!«

»Das ist er auch.«

»Wo? Befindet er sich in der Residenz?«

»Allerdings.«

»Durchlaucht, in diesem Falle muß ich ihn arretiren lassen.«

»Doch nicht, Herr Staatsanwalt!« lächelte der Fürst.

»O doch! Ich bin zwar seit Neuestem überzeugt, daß er unschuldig ist;


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aber er ist verurtheilt, er ist Flüchtling, und ich habe mich als Vertreter des Gesetzes also seiner Person zu bemächtigen, bis seine Unschuld erwiesen ist.«

»Ich kann Ihnen allerdings nicht Unrecht geben.«

»Sie wissen, wo er sich befindet?«

»Ja.«

»Werden Sie mir den Ort mittheilen?«

»Gern, wenn Sie es wünschen.«

»Nun, bitte, wo hält er sich auf?«

»Bei Ihnen.«

»Meinen Sie, daß er in dem Hause, in welchem ich wohne, ein Unterkommen gefunden habe?«

»Nein. Er befindet sich in nächster Nähe Ihrer Person.«

Da trat der Staatsanwalt einen Schritt zurück, sah den Fürsten mit großen Augen an und fragte:

»Durchlaucht! meinen Sie das wörtlich?«

»Wörtlich!« nickte der Gefragte.

»Und Sie sprechen im Ernste?«

»Vollständig!«

»So können Sie nichts anderes meinen, als - «

Er stockte. Das, was er aussprechen wollte, war doch so unglaublich, daß er inne hielt.

»Bitte, als - -?«

»Daß Sie selbst dieser Brandt sind!« platzte er heraus.

»Ja, das ist's, was ich meine.«

»Aber - aber - Durchlaucht!«

»Mein lieber Staatsanwalt, Sie machen ja ein Gesicht, als ob ich das größte Weltwunder sei!«

»Es ist fast so!«

»Nun, es ist doch sehr erklärlich. Jetzt bin ich Fürst von Befour, früher aber hieß ich Brandt und war Beamter der hiesigen Polizei.«

»Und Sie scherzen wirklich nicht?«

»Die Sache ist mir so ernst, daß an Scherz dabei gar nicht zu denken ist. Also ich versichere Ihnen, daß ich der flüchtige Brandt bin. Glauben Sie es?«

»Ich muß es ja glauben, wenn Sie es sagen.«

»Nun bitte, mich zu arretiren.«

»Donnerwetter!«

Er machte dabei ein Gesicht, welches trotz allem Ernstes der Situation ein Lächeln des Fürsten hervorlockte.

»Ich denke, es ist Ihre Pflicht, mich festzunehmen.«

»Durchlaucht, da werde der Teufel klug. Sie haben die Karte des Ministers - -«

»Freilich!«

»Sie verkehren am Hofe - -«


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»Auch das!«

»Sie sind Fürst - -«

»Ganz gewiß!«

»Wie soll ich Sie da arretiren!«

»Nun, so lassen sie mich unarretirt!«

»Aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich vor Erstaunen ziemlich perplex bin!«

»Das glaube ich Ihnen gern, denn ich sehe es Ihnen an.«

»Wirklich? Muß mich doch mal selbst betrachten!«

Er zog das Schubfach des Tisches heraus, zog einen kleinen Spiegel hervor und blickte hinein.

»Na, es ist noch so leidlich,« lachte er. »Aber bitte, Durchlaucht, wundern Sie sich nicht, wenn ich Sie um eine kleine Aufklärung ersuche!«

»Das ist ja Ihre Pflicht. Ich will Ihnen in Kürze mittheilen, was nöthig ist, ersuche Sie aber, dies noch unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu halten. Also hören Sie!«

Es dauerte wohl eine Viertelstunde, bis der Staatsanwalt Das wußte, was er erfahren wollte und nun also die Überzeugung gewann, daß er nach dem Rathe des Fürsten verfahren könne.

»Sind Sie jetzt befriedigt, Herr Staatsanwalt?«

»Ja. Danke sehr!«

»Und darf Brandt den Schmied verhören, wenn der Alte Ihnen nichts gestehen will?«

»Ja. Werden Sie hier zugegen sein?«

»Nein. Aber ich werde Alles hören. Was befindet sich da im Nebenzimmer?«

»Das Actenrepositorium der Staatsanwaltschaft.«

»Giebt es einen Tisch dabei?«

»Ja, einen Tisch und Stühle.«

»So werde ich mich da niedersetzen. Wir lassen die Thüre offen, so daß ich Alles hören kann. Sollte Wolf hartnäckig leugnen, so werde ich am gegebenen Zeitpuncte husten; dann schicken Sie ihn mir heraus.«

»Schön! Sie werden aber Protocoll führen müssen.«

»Natürlich! Bitte um Papier und die anderen nothwendigen Requisiten.«

Er machte es sich draußen im Nebenzimmer bequem, und der Staatsanwalt klingelte und befahl, den Schmied vorzuführen.

»Aber, bitte, sind Sie bewaffnet?« fragte draußen der Fürst.

»Meinen Sie, daß dies nöthig ist?«

»Man muß vorsichtig sein. In seiner gegenwärtigen Lage ist diesem Menschen Alles gleich.«

»Nun, einen Revolver habe ich stets bei der Hand.«

»Legen Sie ihn so, daß Sie ihn augenblicklich ergreifen können, und lassen Sie den Schmied sich ja nicht zu sehr auf den Leib rücken!«


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Jetzt brachte der Gefängnißschließer den alten Wolf herein geführt und blieb neben ihm stehen.

»Sie können abtreten!« sagte der Beamte.

»Herr Staatsanwalt!« mahnte der Schließer, indem er eine warnende Pantomime machte.

»Gehen Sie nur! Mich wird dieser Mann nicht erstechen!«

Der Unterbeamte gehorchte.

Wolf war nicht gefesselt. Er stand hoch und stolz an der Thür; es war ihm weder Grimm noch Muthlosigkeit anzusehen.

»Treten Sie näher!« sagte der Staatsanwalt. »Aber nur bis zu dem Stuhle da. Thun Sie einen Schritt weiter, so schieße ich Sie nieder.«

Der Alte zog eine höhnische Grimasse und sagte:

»Aha! Alle fürchten sich vor uns!«

»Vorsicht ist kein Zeichen der Furcht oder der Angst! Zunächst habe ich Sie aufzufordern, mir die Fragen, welche ich Ihnen vorlege, genau nach der Wahrheit zu beantworten. Leugnen erschwert nur Ihre Lage.«

»Etwas schwerer oder nicht, das ist ganz gleich!«

»Antworten Sie! Sie sind gestern in Gesellschaft Ihres Sohnes entflohen?«

»Ja,« lachte er befriedigt.

»Sie haben dabei den Untersuchungsrichter getödtet?«

Der Alte machte ein sehr erstauntes Gesicht und sagte:

»Ich? Getödtet?«

»Ja, freilich! Sie haben meine Frage natürlich verstanden, wie ich hoffe?«

»Ich glaube nicht, daß ich richtig verstanden habe.«

»Sie haben den Untersuchungsrichter getödtet?«

»Ist mir nicht eingefallen!«

»So ist Ihr Sohn es gewesen?«

»Der noch viel weniger.«

»Wer soll es denn sonst gewesen sein?«

»Ist denn der Mann todt?«

»Ah, Sie glauben, mit mir Comödie spielen zu können?«

»Nein. Ich bin gefangen; das ist keine Comödie!«

»So antworten Sie auch im Ernste!«

»Ich kann nur sagen, was wahr ist. Ich weiß kein Wort davon, daß der Untersuchungsrichter todt ist.«

»Sie leugnen also?«

»Ich habe dem Herrn nichts gethan und mein Sohn auch nicht.«

»Wie sind Sie denn entkommen?«

»Zum Fenster hinaus.«

»Das wäre doch ganz unmöglich, wenn Sie nicht vorher den Beamten getödtet hätten!«

»Warum unmöglich?«

»Er hätte Sie fest gehalten.«


- 1714 -


»Uns Zwei? Ah! Das sollte er bleiben lassen!«

»Oder er hätte gerufen.«

»Das wollte er ja. Aber er konnte nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich ihm den Hals zugehalten habe.«

»Und dann haben Sie ihm die Papierscheere in das Herz gestoßen.«

»Die Papierscheere! Ah, er hat eine Scheere im Herzen stecken gehabt?«

»Ja.«

»Der arme Teufel! Er dauert mich!«

»Mensch, lästern Sie nicht!«

»Ich sage die Wahrheit. Ich habe ihm die Gurgel ein Bischen fest zugehalten, und da ist er in Ohnmacht gefallen. Wir sind zum Fenster hinunter und fort.«

»Und wer soll ihn erstochen haben?«

Da machte der Alte ein sehr zutrauliches, freundliches Gesicht und fragte:

»Das können Sie sich nicht denken, Herr Staatsanwalt?«

»Nein, wenn Ihr es nicht gewesen seid.«

»Wir waren es nicht. Es ist aber sehr leicht, zu errathen, wer es gewesen ist.«

»Wer denn?«

»Na, er selbst!«

»Mensch!« fuhr der Beamte auf.

»Ja,« meinte der Alte ruhig, »er selbst hat sich ermordet. Er hat gesehen, daß wir fort sind; er hat sich vor der Strafe gefürchtet, und da ist ihm die Scheere in die Hand gekommen. Anders kann es gar nicht erklärt werden.«

»Nun, wir werden schon noch eine andere Erklärung finden. Wie aber ist es Euch möglich, so schnell in der Residenz zu sein?«

»Wir sind rasch gelaufen.«

»Ach so! Nicht gefahren!«

»Nein.«

»Ich werde Euch Euern Fuhrmann vorstellen.«

»Wir sind gelaufen!«

»Warum seid ihr denn nach der Hauptstadt und nicht nach einer anderen Richtung geflohen?«

»Weil wir glaubten, gerade hier am Sichersten zu sein.«

»Ach so! Was wolltet ihr hier beginnen?«

»Arbeiten.«

»Machen Sie sich nicht lächerlich! Sie hatten hier Jemanden, an den Sie sich wenden wollten.«

»Keinen Menschen!«

»Wo waren Sie denn gewesen, als Sie nach dem Gasthof zum goldenen Ring zurückkehrten?«

»Spazieren.«


- 1715 -


»Sie haben in Ihrer Haftzelle kein Geld gehabt, und gestern Abend hat man Geld bei Ihnen gefunden. Wer hat es Ihnen gegeben?«

»Wir haben es gefunden.«

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre kindischen Antworten Ihnen gar keinen Nutzen bringen. Leugnen Sie immerhin; man wird Sie überführen!«

»Was wir nicht gethan haben, kann uns Niemand beweisen, Herr Staatsanwalt!«

»Weshalb befanden Sie sich in Untersuchungshaft?«

»Ich weiß es nicht.«

»Sie haben doch erfahren, aus welchem Grunde man Sie in Haft genommen hat?«

»Na, wir sollen geschmuggelt haben.«

»Da sind Sie wohl unschuldig?«

»Ja.«

»Sollen Sie nicht auch noch Anderes gethan haben?«

»Nicht daß ich wüßte. Wir sind ehrliche Handwerksleute und haben niemals Etwas gethan, was verboten ist.«

»So, so! Ist Ihnen der Waldkönig bekannt?«

»Nein.«

»Sie haben wohl nie von ihm gehört.?«

»Sehr viele Male; aber gesehen haben wir ihn nie!«

»Kennen Sie den Baron Franz von Helfenstein?«

»Ja; er ist ja unser Schloßherr.«

»Sie haben ihn nur als Ihren Schloßherrn kennen gelernt?«

»Ja.«

»Haben Sie vielleicht eine Ahnung, wer der Waldkönig ist?«

»Nein. Was geht er uns überhaupt an?«

Da hustete der Fürst im Nebenzimmer. Der Staatsanwalt hörte es und sagte zu dem Schmiede:

»Ich sehe, daß Sie sich hier auf das Leugnen legen. Ich will mich gar nicht mit Ihnen herumärgern. Ich werde Sie von einem anderen Herrn vernehmen lassen, dem Sie wohl besser antworten werden als mir.«

»Machen Sie, was Sie wollen! Ich kann doch nur das sagen, was wahr ist.«

»Kommen Sie mit, hier in das Nebenzimmer!«

Er deutete nach der offenen Thür. Der Schmied gehorchte und ging hinaus. Der Staatsanwalt folgte ihm bis zum Eingange. Er erblickte zu seinem Erstaunen einen vollständig fremden, jungen Mann, welcher mit über das Papier gebeugtem Gesicht am Tische saß. An der Wand hingen Hut und Pelz. Beide gehörten dem Fürsten. Der Beamte stand bereits im Begriffe, eine Frage auszusprechen, da erhob der Fürst langsam sein Gesicht, welches jetzt weder Bart noch Narbe zeigte, und richtete die großen, dunklen Augen mit durchdringendem Blicke auf den vor ihm stehenden Schmied.


- 1716 -


»Guten Morgen, Meister Wolf!« sagte er. »Es ist sehr lange her, daß wir uns nicht gesehen haben.«

Da fuhr der Schmied zurück und rief aus:

»Brandt! Herr Brandt!«

»Sie kennen mich noch? Das ist hübsch von Ihnen.«

»Tod und Teufel! Was machen Sie denn hier?«

»Ich habe Sie zu verhören, wie Sie sehen.«

»Sie - -? Mich - -?«

»Ja.«

»Das ist doch unmöglich!«

»Warum?«

»Sie sind ja entflohen!«

»Nein, ich bin hier, wie Sie sehen!«

»Sie sind ja als Mörder - -«

»Unsinn! Gerade Sie wissen am Besten, daß ich nicht der Mörder bin!«

»Ich - -?«

»Ja, natürlich! Sie waren ja dabei!«

»Ich? Dabei? Wo denken Sie hin?«

»Machen Sie doch keine solchen Lügen! Wer eine Unwahrheit sagt, der muß sie wenigstens so vorbringen, daß man sie allenfalls glauben kann. Sie haben ja erst gestern Abend dem Baron Franz von Helfenstein erzählt, daß Sie ihn damals beobachtet haben!«

»Ich -? Ihm -? Wo soll ich mit ihm gesprochen haben, Herr Brandt?«

»In seinem Arbeitszimmer. Nicht?«

»Nein.«

Der Fürst schüttelte den Kopf und sagte in ernstem Tone:

»Wolf, Wolf! Ich habe Sie für weit klüger gehalten, als Sie sich jetzt zeigen. Sie wissen, daß Sie mir einst einen sehr großen Freundschaftsdienst erwiesen haben, von dem ich allerdings niemals sprechen werde; aber ich bin Ihnen dankbar dafür und will Ihnen meine Dankbarkeit dadurch beweisen, daß ich Ihnen den besten Rath gebe, den es gegenwärtig für Sie giebt: Legen Sie sich nicht auf das Leugnen. Sie verschlimmern sich Ihre Lage außerordentlich.«

Der Alte hatte seit dem Augenblicke, an welchem er Brandt erkannt hatte, eine ganz andere Haltung gezeigt als vorher. Seine Gestalt war zusammen gesunken, und sein Auge hatte den Glanz verloren. Er war wie niedergeschmettert, besaß aber genug Widerstandsfähigkeit, um nicht geradezu überrumpelt zu werden.

»Herr Brandt, sagen Sie mir, wie Sie hierher kommen, hierher, in's Amtsgericht,« bat er.

»Das muß ich leider verschweigen!«

»Sie sind nicht mehr flüchtig?«

»Nein.«


- 1717 -


»Sind Sie begnadigt?«

»Auch nicht. Man weiß, daß ich unschuldig war.«

»Wie hat man dies bewiesen?«

»Der Beweis ist auf verschiedenen Wegen geführt worden. Ich habe auch Sie als Zeugen angegeben.«

»Mich?«

»Ja, Sie und Ihren Sohn.«

»Wir wissen ja von gar nichts!«

»Ich kann nichts dagegen haben, daß Sie auch jetzt noch das Geschehene in Abrede stellen; es ist das Ihre Sache. Aber die Baronin Ella von Helfenstein hat für mich gezeugt. Ich brauche Sie gar nicht. Um Ihretwillen wäre es mir lieb gewesen, wenn Sie der Wahrheit die Ehre gegeben hatten. Ich hätte Sie der Gnade des Königs empfohlen, und meine Bitte, meine Fürbitte hätte Ihnen Nutzen gebracht.«

Er sagte das in einem so eindringlichen, freundschaftlichen Tone, daß der Alte sichtlich gerührt wurde. Dennoch aber machte er eine abwehrende Handbewegung und sagte:

»Ich weiß gar nicht.«

»Desto mehr weiß ich, Wolf. Also erstens sind Sie dabeigewesen, als der Baron Franz den Obersten von Hellenbach im Walde erschoß.«

»Nein und abermals nein!«

»Ferner haben Sie den kleinen Robert mit der Leiche des Sohnes der Botenfrau verwechselt.«

»Nein, nein!«

»Sie haben den Knaben in das hiesige Findelhaus geschafft.«

»Das ist mir nicht eingefallen!«

»Und doch haben Sie es gestern dem Baron Franz von Helfenstein in seinem Zimmer eingestanden.«

»Das ist nicht wahr!«

»Sie haben ihm sogar gesagt, daß der kleine Robert jetzt Bertram heißt.«

Der Schmied erstaunte, leugnete aber doch.

»Sie haben dann stets im Dienste des Barons gestanden.«

»Das ist nicht wahr!«

»Sie haben an seiner Stelle den Waldkönig gemacht.«

»Niemals!«

»Sie und die beiden Seidelmann's, und auch der Wagner Hendschel in Obersberg.«

»Wer das sagt, der lügt!«

»O, Sie wissen sogar, daß der Baron Derjenige ist, den man hier mit dem Worte "Hauptmann" bezeichnet.«

»Herr Brandt, ich weiß gar nicht, wie Sie auf solche Vermuthungen kommen. Ich bin ein ehrlicher Mann.«

»Für einen Verbrecher im tiefsten Sinne des Wortes halte ich Sie auch nicht. Darum war es meine Absicht, Sie zu retten. Es thut mir leid, Sie


- 1718 -


anders zu finden, als ich gewünscht habe. Wenn Ihnen Alles gleichgiltig ist, so habe ich gemeint, daß Sie doch wenigstens Ihren Sohn nicht ganz und gar in's Verderben stürzen würden.«

Der Schmied hob rasch den Kopf empor und fragte:

»Wieso?«

»Man wird Ihnen Alles beweisen, Alles. Sie gestehen nicht, und so wird man zum härtesten Strafmaße greifen, während ein offenes Geständniß Ihrem Sohne großen Nutzen gebracht hätte. Sie sind alt; Ihre Strafe wird bald zu Ende gehen. Aber Ihr Sohn könnte, nachdem er Gnade findet, noch lange, lange das Leben haben und auch genießen.«

Das wirkte. Der Schmied blickte sinnend vor sich nieder, dann sagte er:

»Woher wissen Sie, was ich gestern mit dem Baron Franz gesprochen habe?«

»Sehen Sie, daß Sie jetzt zugeben, mit ihm gesprochen zu haben!«

»Ich gebe es nicht zu; ich frage blos.«

»So kann ich Ihnen auch Ihre Frage nicht beantworten.«

»Hat er es etwa selbst gesagt?«

»Das ist meine Sache. Sie legen sich auf das Leugnen, weil Sie hoffen, von ihm befreit zu werden. Aber wir wissen, daß er der Hauptmann ist. Er hat bereits die Schlinge um den Hals; sie wird sich in Kurzem zusammen ziehen. Und Sie, der Sie ihn schonen wollen, werden mit ihm untergehen.«

Der Alte antwortete nicht. Er hörte, daß man den Baron kannte; er sah ein, daß Brandt es gut mit ihm meinte; er wollte gegen diese Güte nicht unempfindlich sein; aber es lag auch nicht in seiner Absicht, durch ein umfassendes Geständniß Dinge zu erwähnen, die man ihm vielleicht niemals zu beweisen vermochte. Er beschloß wenigstens in Einem nachzugeben, und sagte:

»Na, Herr Brandt, Sie sollen nicht denken, daß ich ein ganz und gar schlechter Kerl bin. Was ich gethan habe, das will ich Ihnen gern gestehen.«

»Daran thun Sie recht. Also, was gestehen Sie?«

»Daß Sie damals an dem Morde des Hauptmannes von Hellenbach unschuldig waren.«

»Sie waren also Zeuge der That?«

»Ja.«

»Ihr Sohn auch?«

»Auch er.«

»Wer hat den Hauptmann erschossen?«

»Baron Franz.«

»Mit welcher Waffe?«

»Mit Ihrem Gewehre.«

»Das haben Sie deutlich gesehen?«

»Ganz und gar deutlich. Das war nämlich so!«

Er erzählte, wie es damals sich ereignet hatte. Als er mit seinem Berichte fertig war, fragte Brandt:


- 1719 -


»Was machten denn Sie Beide im Walde?«

»Wir suchten Pilze.«

»Ach so! Warum zeigten Sie den Baron nicht an?«

»Wir hatten Angst vor ihm.«

»Sie sind doch sonst nicht ängstlich!«

»Wir wußten, daß er ein rachsüchtiger und gewaltthätiger Mensch ist. Und sodann glaubten wir, daß Ihre Unschuld auch ohne uns an den Tag kommen werde.«

»Sie wissen jetzt, wie sehr Sie sich darin getäuscht haben. Warum aber sind Sie dann, als ich verurtheilt war, nicht mit der Wahrheit hervorgetreten?«

»Wir dachten, daß man uns nun bestrafen werde.«

»Damit haben Sie großes und schweres Elend über mich gebracht. Doch, ich verzeihe Ihnen. Werden Sie Ihr gegenwärtiges Bekenntniß zu Protocoll geben?«

»Ja.«

»Und es auch unterzeichnen?«

»Ja.«

»So kommen Sie wieder mit zurück in das Zimmer des Herrn Staatsanwalts, welcher Ihr Geständniß niederschreiben wird.«

Der Staatsanwalt war, unter der offenen Verbindungsthür stehend, Zeuge dieser Unterredung gewesen. Er trat jetzt zurück. Das benutzte der alte Schmied. Er trat hart an Brandt heran und raunte ihm zu:

»Schonen Sie meinen Sohn! Ich bitte!«

Dann folgte er ihm in das vordere Zimmer.

Er blieb bei seinem Geständnisse, welches er auch unterschrieb, leugnete aber dann alles Andere. - Er wurde abgeführt.

Jetzt, da sie nun wieder allein waren, wendete sich der Anwalt zu Brandt:

»Aber, Durchlaucht, ich begreife nicht, daß ein Mensch zwei so verschiedene Gesichter haben kann!«

»Aber Sie begreifen, daß ich als verfolgter Flüchtling mein Gesicht verändern mußte?«

»Allerdings! Weiß der Minister, daß Sie Brandt sind?«

»Ja, und Mehrere wissen es. Sie sind von meiner Unschuld überzeugt, und da ich versprach, mit der Beweisführung derselben zugleich auch den Pascherkönig und den Hauptmann dem Richter zu überliefern, so gab man mir eine carte blanche

»Das ist ein außerordentlicher, ja unerhörter Fall! Wünschen Sie, daß jetzt der junge Wolf vorgeführt werde.«

»Ich bitte darum.«

»Soll es wieder so geschehen wie beim Vater«.

»Ja.«

Der Fürst zog sich zurück, und der jüngere Schmied wurde gebracht. Auch er leugnete Alles; auch er wußte von dem Tode des Untersuchungsrichters nichts. War die Gleichheit ihrer beiderseitigen Aussagen nur Zufall oder hatten


- 1720 -


sie sich unterwegs besprochen, was sie sagen wollten, im Falle man sie wieder ergreifen werde, kurz und gut, die Aussage des Sohnes war genau dieselbe, wie beim Vater.

Als auch er alle Bekanntschaft mit dem Waldkönig und dem Hauptmann leugnete, sagte der Staatsanwalt:

»Nun, so will ich Sie von einem Anderen vernehmen lassen, der Sie so genau kennt, daß Sie bei ihm vielleicht weniger zurückhaltend sein werden. Gehen Sie da in dieses Nebenzimmer!«

Der Schmied gehorchte. Kaum hatte er die Schwelle überschritten, so stieß er einen lauten Ruf aus.

»Brandt! Gustav! Donnerwetter!«

Der Genannte hatte dieses mal nicht am Tische gesessen, sondern gerade gegenüber der Thüre gestanden.

»Du erkennst mich?« sagte er. »Du hast mich also nicht ganz und gar vergessen?«

»Ich bin ganz erstaunt und ganz erschrocken!«

»Erschrocken? Also fürchtest Du Dich vor mir?«

»Nein. Warum sollte ich mich fürchten? Ich habe Dir ja nie Etwas gethan?«

»Wirklich nicht?«

»Nein.«

»Aber unschuldig verurtheilen ließest Du mich.«

»Ich verstehe Dich nicht!«

»Nun, Du wußtest, daß ich unschuldig war.«

»Wir Alle hielten Dich dafür.«

»Hielten? Du hieltest mich nicht nur für unschuldig, sondern Du warst überzeugt, daß ich es wirklich war.«

»Wieso?«

»Du hattest gesehen, wer den Hauptmann erschoß!«

»Nein. Ich weiß nichts davon.«

»Du warst mit Deinem Vater im Walde?«

»Das ist nicht wahr.«

»Ich werde es Dir beweisen.«

Er holte das Protocoll über die Aussage des Alten, zeigte ihm die Unterschrift und fragte:

»Wer hat dies geschrieben?«

»Ah! Mein Vater!«

»Ja, er hat dieses Protocoll unterzeichnet. Ich werde es Dir einmal vorlesen.«

Er las es vor. Als er fertig war, fragte er:

»Nun, was sagst Du dazu?«

»Das hat mein Vater ausgesagt?«

»Ja.«

»Warst Du dabei?«


- 1721 -


»Ja.«

»Hat er mit Dir gesprochen?«

»Längere Zeit. Du mußt seine Handschrift genau kennen und siehst also, daß ich die Wahrheit sage.«

»Das hätte ich nicht geglaubt!«

»Was?«

»Daß er dies gestehen werde.«

»Es ist besser für Euch, Ihr seid aufrichtig. Willst Du nun noch weiter leugnen?«

»Was mein Vater thut, kann ich auch thun.«

»So stimmst Du seiner Aussage bei!«

»Ja.«

»Und wirst sie unterschreiben?«

»Wenn es verlangt wird.«

»So brauchen wir nur einen Nachsatz zu machen, unter den Du Deinen Namen schreibst.«

Dies geschah. Aber zu Weiterem war auch der Sohn nicht zu bringen. Er wurde abgeführt wie der Alte. Während der letzten Zeit hatte der Fürst am Fenster gestanden. Jetzt zeigte er hinaus und sagte:

»Bitte, sehen Sie einmal hinab! Bemerken Sie den Menschen, welcher drüben unter der Thür jener Restauration steht?«

»Ja. Er blickt scharf hinüber.«

»Er mustert die vordere Front des Gefängnisses. Er will die Zellen der beiden Schmiede entdecken.«

»Ah! Wer ist er?«

»Der Vertraute des Hauptmanns.«

»Wirklich?«

»Ganz gewiß.«

»Kennen Sie ihn?«

»Ja. Er war gestern mit in Brückenau, um die Schmiede befreien zu helfen.«

»So nehmen wir ihn sofort fest!«

»O bitte, nein! Geben wir ihm noch Zeit. Haben Sie eine Zellenliste des Gefängnisses hier?«

»Natürlich. Ich muß doch wissen, in welcher Nummer ein jeder Gefan=fangene sich befindet.«

»Wollen Sie sie mir anvertrauen?«

»Gern. Aber wozu?«

»Ich will sie diesem Manne da unten zeigen.«

»Unmöglich! Sie scherzen!«

»Ich sage die Wahrheit.«

»Das ist ja verboten!«

»Ich verantworte es.«

»Wozu sie ihm aber zeigen?«

»Damit er erfährt, wo die Schmiede sich befinden. Entweder will er sie


- 1722 -


befreien, oder er hat noch Schlimmeres vor. Auf alle Fälle werden wir ihn dabei ergreifen. Das ist besser, als wenn wir ihn jetzt fassen und dann gar kein Material gegen ihn in den Händen haben.«

»Sie sind kühn! Sie wagen - - -«

»O bitte, bitte!« unterbrach ihn der Fürst. »Wenn wir noch länger verhandeln, geht mir der Mann unterdessen davon. Also vertrauen Sie mir die Liste an?«

»Sie verantworten es?«

»Ja.«

»So steht sie zu Ihrer Verfügung.«

»Danke!«

Er brach die Liste zusammen, steckte sie in die Tasche und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen. Da aber ergriff ihn der Staatsanwalt am Arme und sagte:

»Halt! Sie werden doch nicht so gehen!«

»Warum nicht?«

»Ohne Hut und als - als Gustav Brandt!«

»Warum nicht? Als Fürst von Befour darf ich keinesfalls hinab. Da würde mich dieser Mensch jedenfalls kennen, und ich könnte ihn nicht übertölpeln.«

Er ging.

Als er unten aus dem Thore trat, sah er, daß der Agent noch immer drüben an der Thür stand. Er blieb eine kurze Zeit lang stehen, um merken zu lassen, daß er aus dem Gerichtsgebäude komme, ging dann langsamen Schrittes über die Straße hinüber, grüßte kurz, trat in die Restauration und ließ sich etwas zu trinken geben.

Es war kein Gast anwesend außer dem Agenten, welcher baldigst auch in die Stube trat.

Der Fürst hatte sich an den Tisch gesetzt, auf welchem das Glas dieses einen Gastes stand. Als dieser nun herbei kam, sagte er im Tone höflicher Entschuldigung:

»Ah, das ist Ihr Tisch! Verzeihung, daß ich hier Platz genommen habe! Wenn es Ihnen unlieb ist, werde ich - - -«

»O nein nein! Bleiben Sie immerhin!« fiel der Agent ein. »Wir haben ja Beide Platz.«

Er hatte bemerkt, daß der Fürst aus dem Gerichtsgebäude getreten war. Dies war ihm höchst willkommen. Er nahm sich vor, wenigstens den Versuch zu machen, eine Unterredung anzuknüpfen. Vielleicht gelang es ihm, das zu erfahren, was er so gern wissen wollte.

»Irre ich mich nicht, so kamen Sie drüben aus dem Gericht?« fragte er.

»Ja, mein Herr.«

»So sind Sie wohl Beamter des Bezirksgerichtes?«

»Ja und nein; wie man es nimmt.«

»Das klingt ja eigenthümlich!«

»Ist es aber nicht. Ich bin nämlich jetzt Schreiber bei einem Rechts=


- 1723 -


anwalte gewesen und soll nun beim Gericht angestellt werden. So ist die Sache.«

»Da sind Sie wohl einstweilen zur Probe da?«

»So ist es.«

»Lassen Sie sich Glück wünschen!«

»Danke ergebenst. Es ist ein saures Brod, die Bogenschreiberei. Ein Amtscopist verdient nicht viel.«

»Erhalten Sie nicht Fixum?«

»Vorerst nicht. Ich werde nach dem Bogen bezahlt.«

»So, so! Ich interessiere mich für diese Sache. Ich bin nämlich Privatsecretär.«

»Ah, so sind wir Collegen!«

»Gewiß!«

»Aber Sie sind besser gestellt!«

»Hm! Es fragt sich, wieviel Sie verdienen.«

»Ich erhalte pro Bogen zehn Kreuzer.«

»O weh! Wie viele Bogen können Sie täglich füllen?«

»Vielleicht acht, im höchsten Falle zehn.«

»Da thun Sie mir allerdings leid. Ich stehe mich auf vier Gulden täglich.«

»Dann beneide ich Sie!«

»Und bin nicht so an die Zeit gebunden. Erlauben Sie mir, Ihre Zeche zu übernehmen?«

»Sie sind sehr gütig; aber ich bin nicht in der Lage, so Etwas abzuschlagen, wenn es mir auch wohl nicht möglich sein wird, Ihnen dankbar zu sein.«

»Darauf ist es ja gar nicht angefangen. Wir sind ja Collegen. Wie lange Zeit arbeiten Sie beim Gericht?«

»Seit drei Wochen.«

»So müssen Sie doch bald wissen, ob Ihre Probezeit von Erfolg sein wird?«

»Nächster Tage werde ich es erfahren.«

»Wäre Ihnen eine andere Stelle nicht lieber?«

»Warum nicht, wenn ich besser bezahlt werde!«

»Hm! Ich habe Connexionen!«

»Ah, wirklich!«

»Ja. Ich habe erst vorgestern einem armen Collegen eine Anstellung als Expedient verschafft. Wenn er sich Mühe giebt, kann er vielleicht in zwei Jahren Bureauchef sein.«

»Sapperment! Welches Glück! Wüßten Sie nicht vielleicht auch Etwas für mich?«

»Will einmal sehen. Wie heißen Sie?«

»Richter. Meine Zeugnisse sind gut.«

»Und wo sind Sie zu treffen?«

»Hier in dieser Restauration, täglich um die jetzige Zeit.«


- 1724 -


»Schön. Ich werde im Kreise meiner Bekanntschaft einmal Umschau halten und hoffe, daß es mir gelingt, für Sie etwas Besseres und Interessanteres zu finden.«

»Nun, besser wohl, interessanter kaum.«

»Meinen Sie?«

»Ja. Man bekommt da Rechtsfälle in die Hand, welche interessanter gar nicht sein können!«

»Das läßt sich denken.«

»Da ist zum Beispiel heute der neue Fall Wolf - - -«

»Fall Wolf? Was ist das?«

»Wie? Sie wissen noch nicht?«

»Was?«

»Daß die beiden Schmiede, welche gestern früh in Brückenau nach Verübung eines Mordes entsprangen, bereits am Abende hier wieder ergriffen wurden?«

»Nein.«

»Und daß sie sogar vom Fürsten des Elendes arretirt worden sind?«

»Kein Wort! Das ist allerdings hochinteressant!«

»Freilich, freilich! Nun sollten Sie aber heute diese Zugeständnisse lesen!«

»Sie sind bereits verhört worden?«

»Natürlich!«

»Und haben Geständnisse abgelegt?«

»Unerhörte sogar!«

»Was Sie sagen? Wenn man da Mäuschen sein könnte.«

»Nun, Unsereiner kann das sein, muß es sogar sein.«

»Haben Sie in diesem Falle zu thun?«

»Ja. Ich habe die Reinschrift der Acten zu fertigen.«

»Bereits heute?«

»Ja. Ihre Aussage muß ja hinauf nach Brückenau geschickt werden, wo die Untersuchung eigentlich zu führen ist.«

»Kommen die Gefangenen auch wieder hinauf?«

»Schwerlich!«

»Warum nicht? Sie müssen doch unbedingt an dem Orte sein, an welchem die Untersuchung vor sich geht.«

»Ja, das ist wahr: Aber sie haben Sachen gestanden, welche es nothwendig machen, daß die Untersuchung hier in der Hauptstadt geführt wird.«

»Also Begebenheiten, welche hier geschehen sind?«

»Ja.«

»Von Personen, welche hier wohnen?«

»Gewiß!«

»Sapperment! Sie machen mich neugierig!«

»Das glaube ich!«

»Könnte man da nicht ein Weniges erfahren?«

»Das geht nicht.«


- 1725 -


»Warum nicht?«

»Hm! Amtsgeheimniß!«

»Weiß, weiß! Aber wir sind doch Collegen!«

»Dennoch - -! Ah, es ist gefährlich!«

»Und ich verschaffe Ihnen eine Stelle!«

Der Fürst machte sein dümmstes Gesicht, welches ihm möglich war. Er schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich habe wirklich versprechen müssen, niemals ein Wort auszuplaudern.«

»Das glaube ich gern. Aber mit solchen Versprechen ist es nicht so sehr ernst gemeint. Übrigens sind Sie ja auch noch gar nicht wirklich angestellt.«

»Das ist allerdings richtig.«

»Und ich interessire mich für den Fall.«

»Warum?«

»Nun, die Schmiede sind aus Tannenstein, nicht wahr?«

»Ja.«

»Ich bin eben da her. Mein Vater ist der dortige Lehrer. Sie sehen also ein, daß ich nicht gleichgiltig sein kann. Bitte, stoßen Sie an und trinken Sie aus. Wir lassen wieder einschänken! Sie haben doch Zeit?«

»Noch eine halbe Stunde.«

»Das ist schön! Heda, Wirth! Wieder füllen!«

Der Wirth gehorchte diesem Rufe und zog sich dann wieder in seine Ecke zurück. Da neigte sich der Agent über den Tisch herüber und fragte im vertraulichen Tone:

»Was haben die Beiden denn eigentlich verbrochen?«

»Gepascht haben sie.«

»Ah, weiter nichts? Das macht da oben Jedermann.«

»Aber wie? Sie haben mit dem Pascherkönig in Verbindung gestanden.«

»Sapperment!«

»Und auch sogar mit dem Hauptmann hier.«

»Was Sie sagen?«

»Sie haben gesagt, wer der Pascherkönig ist.«

»Ach, Sie scherzen! Das verräth Keiner!«

Aber während er sich Mühe gab, ein sorgloses Lächeln zu zeigen, fühlte er sich außerordentlich beunruhigt.

»O ja; sie haben es gesagt. Sie haben sogar verrathen, wer der Hauptmann ist.«

»Das ist - das ist - - ist - - höchst wichtig, höchst wichtig!« stieß der Agent hervor.

Er war förmlich in Angst gerathen. Der Fürst that, als ob er das nicht bemerke und sagte:

»Ja, wichtig, sehr wichtig ist das! Und der Hauptmann ist selbst schuld, daß er verrathen worden ist.«

»Wieso?«

»Es wäre ihnen gar nicht eingefallen, seinen Namen zu nennen. Aber


- 1726 -


er ist schuld, daß sie wieder gefangen worden sind. Darum haben sie so große Wuth auf ihn.«

»Was? Er ist schuld?«

»Ja, ja.«

»In wiefern denn?«

Da neigte der Fürst sich vertraulich zu ihm über den Tisch hinüber und flüsterte ihm geheimnißvoll zu:

»Er ist bei ihm gewesen.«

»Er? Wer?«

»Der Alte; der alte Schmied.«

»Bei wem?«

»Nun, eben beim Hauptmanne.«

»Wann?«

»Gestern am Abende.«

»Was Sie sagen!«

»Ja. Er hat Reisegeld von ihm verlangt; aber der Hauptmann hat ihm keines gegeben. Also haben die Beiden nicht fortgekonnt und mußten im Gasthofe bleiben. Hätten sie Geld gehabt, so hätten sie die Stadt sofort verlassen und wären nicht wieder in Gefangenschaft gerathen.«

»Ah, so also!«

»Ja, so! Nun üben sie Rache und verrathen ihn.«

»Sie haben also seinen Namen genannt?«

»Ja.«

»Wer ist er denn?«

»Ein sehr vornehmer Herr.«

»Sapperment! Welchen Titel hat er denn?«

»Baron.«

»Alle Teufel!« rief der Agent aus.

Er selbst hätte nie geglaubt, daß der emeritirte Cantor ein Baron sein könne.

»Ja, ein Baron ist er, ein Freiherr.«

»Und wie ist der Name?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wie kommt das?«

»Der Staatsanwalt hat an der betreffenden Stelle ein Stück der Zeile frei gelassen.«

»Warum das?«

»Jedenfalls aus dem Grunde, daß ich den Namen nicht erfahren soll. Er selbst wird ihn dann hineinsetzen.«

»Das ist schade, jammerschade!«

»Gewiß! Ich hätte ihn gar zu gern erfahren.«

»Ist es Ihnen denn nicht trotzdem möglich, ihn zu erfahren?«

»Auf keinen Fall. Ich werde am Nachmittage fertig. Dann setzt der Staatsanwalt den Namen an seine Stelle, und die Acten werden fortgeschickt.«


- 1727 -


»Da werden wohl die beiden Schmiede recht streng behandelt?«

»Ich glaube nicht.«

»Nicht? Solche Verbrecher?«

»Sie haben ja gestanden! Mit solchen Leuten wird freundlicher verfahren als mit Menschen, welche zu keinem Geständnisse zu bringen sind.«

»Wo stecken sie denn?«

»Im Loche.«

»Natürlich! Wo denn anders! Ich meine, in welcher Gegend sie sich befinden.«

»Da drüben im Bezirksgefängniß.«

»Sie verstehen mich wieder nicht. Es versteht sich ganz von selbst, daß sie da drüben sein müssen. Ich meine, in was für einer Zelle sie sind, ob hinten oder vorn, ob unten oder oben.«

»In was für einer Zelle? Sie meinen wohl, daß die Beiden mit ein=einander in einer Zelle stecken?«

»Nicht?« fragte der Agent, sich dumm stellend.

»O, man wird sie doch nicht in eine Zelle stecken,« sagte der Fürst, indem er eine sehr wichtige Miene machte. »Das wäre ein sehr großer staatsanwaltschaftlicher Fehler.«

»Wieso?«

»Da könnten sie sich ja doch miteinander besprechen, was sie gestehen wollen und was nicht!«

»Ach so! Sie stecken also in verschiedenen Zellen?«

»Natürlich.«

»Wissen Sie, in welchen?«

»Nein. Das steht aber auf der - Sapperment!«

»Was?«

»Das steht auf der Zellenliste geschrieben. Ach, wenn ich sie mit herübergebracht hätte.«

»Sie hatten sie wohl?«

»Freilich! Ich soll sie abschreiben.«

»Haben Sie denn nicht draufgeguckt?«

»Nein. Ich habe sie zusammengelegt und auf meinen Tisch gelegt, an welchem ich -- «

Er hielt inne, griff an seine Brusttasche und stieß ein halblautes, lustiges Pfeifen aus.

»Was giebt's?« fragte der Agent.

»Wissen Sie etwas Neues?«

»Nein.«

»Aber ich weiß Etwas!«

»Nun?«

»Ich habe sie mit. Ich habe sie noch gar nicht auf den Tisch gelegt. Soeben ist es mir eingefallen.«

»Das wäre gut, sehr gut!«


- 1728 -


»Ja, ja, ich habe sie mit!«

»Zeigen sie einmal her!«

»Oho! Nicht so rasch! Eine Zellenliste zeigt man nicht her! Das wäre Verrath am Amtsgeheimnisse!«

»Ah pah! Amtsgeheimniß! Wir sind ja Collegen!«

»Gilt nichts!«

»Glauben sie etwa, daß ich die Schmiede befreien will?«

»Es ist Alles möglich! Es ist Alles schon dagewesen!«

»Machen Sie sich nicht lächerlich! Wir trinken noch Eins, und Sie zeigen mir die Liste!«

»Zum Trinken habe ich keine Lust mehr.«

»Wozu denn?«

»Ich habe keinen Durst; aber eine Cigarre würde ich rauchen, eine gute Cigarre.«

»Gut! Wollen Sie eine?«

»Haben Sie eine gute?«

»Fein! Exquisit!«

»Nun, dann denke ich, daß Sie mir eine schenken werden.«

»Wenn ich mir die Zellenliste ansehen darf.«

»Das ist verboten - jedoch -«

»Gehen Sie mit Ihrem Verboten! Ich interessire mich einmal für die beiden Gefangenen, und da möchte ich auch gerne erfahren, wo sie stecken. Hier ist die Cigarre, und dort haben Sie die Liste. Wollen Sie?«

Er hielt ihm die Cigarre in verführerische Nähe. Der Fürst that, als ob er sich noch besinne; dann sagte er:

»Na, so mag es meinetwegen sein! Wenn ich etwas Gutes zu rauchen bekomme, so bin ich leicht zu erweichen. Aber das sage ich Ihnen, daß ich die Liste nicht aus der Hand gebe!«

»Ist auch gar nicht nöthig. Also zeigen Sie!«

»Hier!«

Er breitete sie auf den Tisch aus, hielt sie mit der Linken fest und fuhr mit dem Zeigefinger der Rechten über die Nummern und Namen hin.

»Da ist ein Wolf!« sagte der Agent, nach dem Namen deutend, den er gefunden hatte.

»Ja, das ist der Alte. Erste Etage, Zelle Nummer Zwölf.«

»Weiter!«

Sie suchten weiter, bis der Fürst sagte:

»Hier, der Sohn! Auch erste Etage, aber Nummer Einundzwanzig.«

»Da weiß man aber so viel wie gar nichts!«

»Wieso?«

»Wo liegen denn nun diese beiden Zellen? Vorn oder hinten? Fängt die Reihe rechts an oder links?«

»Hm! Hören Sie, Sie wollen das aber doch sehr genau wissen! Das ist auffällig!«


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