Lieferung 11

Deutscher Wanderer

1. Dezember 1883

Die Liebe des Ulanen.

Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges von Karl May.


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Als Blücher und Königsau zum Tische traten, an welchem sich, wie es schien, die Hervorragendsten der Anwesenden befanden, nickte der Bankier dem Marschall zu. Dieser ging, wie im Kriege, auch hier gerade auf den Feind los und setzte fünfhundert Franken. Er verlor sie, gewann sie dann aber wieder. Man sah es seinem ferneren Spiele an, daß er sich von der Leidenschaft nicht hinreißen ließ, aber vom Glücke nicht sehr begünstigt wurde; er verlor mehr, als er gewann.

Jetzt wagte Königsau, zweihundert Franken auf Ungerade rechts zu setzen. Er gewann, und erhielt das Doppelte. Dann setzte er hundert Franken auf Nummer Zwölf. Er gewann und erhielt das Zweiunddreißigfache. Jetzt sah er sich ganz plötzlich im Besitze von über viertausend Franken und konnte mehr wagen. Er nahm sich vor, nur über die Hälfte dieser Summe zu disponiren, und hatte die Genugthuung, dieselbe nicht alle werden zu sehen. Er war offenbar vom Glücke begünstigt. Einmal wagte er tausend Franken auf einen Satz und gewann; da seine Nebenlinie besetzt war, erhielt er sechszehntausend Franken.

Jetzt begann sein Glück Aufsehen zu erregen. Er setzte zehntausend auf Eins bis Achtzehn und gewann das Doppelte. Bei kleineren Einsätzen verlor er einige Male. Nach Verlauf von anderthalber Stunde sah er sich im Besitze einer höchst bedeutenden Summe. Einige Spieler traten ab, und es begann, dem Bankier an baarem Gelde zu fehlen.

»Noch zehn Mal, dann halte ich auf, Messieurs!« sagte er. Da trat Blücher zu Königsau und flüsterte ihm zu:

»Benutze Dein Glück, mein Sohn; es ist Dir heute treu!«

»Haben Excellenz aufgehört?« fragte der Lieutenant.

»Ja, mein ganzes Geld ist zum Teufel.«

»Excellenz haben ja Credit.«

»Ich borge von keinem Franzosen!«

»Darf ich es nicht wagen, mich Ihnen zur Verfügung zu stellen?«

»Ich danke Dir, mein Junge! Ich würde es annehmen, aber der Spieler ist abergläubisch. Wer gewinnt, soll seinen Gewinn nicht angreifen. Ich bin überzeugt, daß Du von jetzt an verlieren würdest. Spiele weiter! Ich werde zusehen. Wieviel hast Du jetzt?«

»Gegen fünfzigtausend Franken.«

»Alle Teufel! Na, fahre fort, mein Sohn! Es wäre mir ein Gaudium, wenn es Dir gelänge, diese Franzmänner gehörig auszubeuteln!«

Das Spiel nahm für den Deutschen einen günstigen Verlauf. Da nahte die letzte Tour. Außer dem Bankier und Königsau betheiligte sich nur noch einer beim Spiele. Dieser setzte seine letzten hundert Franken auf ein Kreuz. Unter einer plötzlichen Eingebung deutete der Deutsche auf die daneben liegende Nummer und sagte:

»Zwanzigtausend auf diese!«

Der Bankier erschrak; das sah man ihm deutlich an.

»Wissen Sie, Monsieur,« sagte er, »daß ich Ihnen das Achtfache, also hundertundsechszigtausend Franken zu bezahlen habe, wenn Sie gewinnen?«

»Allerdings weiß ich das,« antwortete Königsau.

»Sie sehen aber, wie es mit meiner Casse steht. Creditiren Sie mir bis morgen Vormittag zehn Uhr, falls ich Unglück haben sollte?«

»Mit dem größten Vergnügen!«

»Nun wohl, so wollen wir sehen!«

Die Anwesenden waren höchst begierig, den Erfolg zu sehen. Der Bankier zog die Karte, drehte sie langsam um und erblaßte - es war die Nummer, welche Königsau ge-


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setzt hatte. Ein allgemeiner Ruf des Erstaunens ging durch das Zimmer; eine solche Summe war hier noch nie auf einen Satz verloren worden.

»Monsieur, ich bitte Sie, mir Ihre Wohnung anzugeben,« sagte der Bankier.

Königsau überreichte ihm seine Karte. Er befand sich jetzt im Besitze von über zweimalhunderttausend Franken. Er war während des Spieles innerlich vollständig ruhig geblieben, jetzt aber war es ihm, als ob er vor Freude laut sein Glück hinausrufen müsse. Diese Freude wurde von dem Marschall aufrichtig getheilt. Dieser klopfte ihm auf die Achsel und sagte:

»Himmelelement, war das ein Treffer! Du bist ein ganz und gar bevorzugter Glückspilz, mein Junge. Ich werde Dir tragen helfen, denn Du bist nicht im Stande, das viele Geld nach Hause zu schleppen. Vor allen Dingen aber wollen wir dieses Ereigniß mit einer Flasche Champagner begießen.«

Jetzt nun setzten sich die Anwesenden zusammen, um das Glück zu feiern, oder den Aerger über ihr Unglück in Wein zu ersäufen. Im Laufe der Unterhaltung erfuhr Königsau, in welch einem Hause er sich befand.

Es gab damals in Paris Hausbesitzer, welche ihre Räume vornehmen Spielern öffneten. Diese Letzteren kamen da des Abends zusammen, ohne direct mit dem Wirthe zu verkehren. Ein Entree wurde nicht bezahlt, aber Alles, was genossen wurde, war so theuer, daß der Besitzer sich sehr wohl dabei stand. In einem solchen Hause befand sich der Deutsche.

Es war in demselben für Alles gesorgt. Sogar starke Leinwandsäckchen hielt man vorräthig, damit ein glücklicher Gewinner im Stande sei, sein Geld bequem nach Hause zu bringen. Es kam öfters vor, daß dergleichen Säckchen gebraucht wurden, obgleich es noch keinen solchen Gewinn gegeben hatte, wie heute.

Als man aufbrach, hielt der Marschall Wort. Er half Königsau seinen Gewinn tragen. Dieser Liebesdienst bereitete dem Alten ein großes Vergnügen. Einem anderen Manne seiner Stellung wäre es wohl nicht eingefallen, den Diener eines Lieutenants zu machen.

»Höre Junge, wie ist es Dir denn eigentlich zu Muthe?« fragte er, als sie sich auf der Straße befanden und von den Anderen Abschied genommen hatten.

»Ganz unbeschreiblich, Excellenz,« antwortete Königsau.

»Das glaube ich! Du bist mir zu Deinem Glücke begegnet, und ich denke, Du siehst ein, daß ein Spielchen doch etwas nicht so ganz und gar Unebenes ist.«

»Ich habe keine Veranlassung, sofistisch zu sein,« lachte der Lieutenant; »aber ich sage dennoch: Einmal gespielt, aber nicht wieder.«

»Ist dies wahr?«

»Ja, Excellenz, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nie wieder spielen werde. Es fällt mir gar nicht ein, das Glück in Versuchung zu führen, denn ich bin überzeugt, daß ich es bereuen würde. Ich will mich des heutigen Gewinnes freuen, ihn aber nicht anderen vor die Thüren tragen.«

»Daran thust Du recht, mein Sohn. Das Spiel ist ein Weib, dem man niemals trauen darf. Ich habe es erfahren, bin aber niemals so klug gewesen wie Du, mich darnach zu verhalten. In dieser Beziehung ist der alte Blücher ein fürchterlicher Esel, Du brauchst dies aber keinem Menschen zu sagen.«

»Am Meisten freue ich mich über meinen Gewinn, weil ich nun nicht nöthig habe, mein Gut zu verkaufen. Ich kann Margot die hundertundfünfzigtausend Franken geben und behalte dennoch eine bedeutende Summe übrig. Das macht mich so glücklich, wie ich im ganzen Leben noch nicht gewesen bin.«

»Ich gönne es Dir. Wann willst Du ihr das Geld geben?«

»Morgen gleich.«

»Schön. Laß Dir das Geld in Papier umwechseln, daß Du es bequem tragen kannst. Uebrigens wirst Du Wort halten, und mich halb drei Uhr abholen?«

»Das versteht sich, Excellenz!«

»Und Du denkst nicht, daß die Alte, ihre Mutter, Sperrenzien machen wird?«

»Ich glaube es nicht.«

»Ich wollte es ihr auch nicht gerathen haben. Einem Kerl, der vor lauter Liebe anderthalbmalhunderttausend Franken opfert, kann man seine Tochter schon geben. Also ein Vater ist nicht da?«

»Nein, aber ein Bruder, wie ich Eurer Excellenz ja bereits erzählt habe,« antwortete der Lieutenant. Und zögernd fügte er hinzu: »Sie kennen ihn bereits.«

»Ah! Wo hätte ich ihn denn gesehen?«

»Wir haben ihn unter für ihn allerdings nicht sehr günstigen Umständen kennen gelernt. Es ist derjenige, den ich geohrfeigt habe.«

»Donnerwetter! Und Du willst der Schwager dieses Kerls werden?«

»Der Stiefschwager,« verbesserte Königsau.

»Das ist egal. Schwager ist Schwager, und wenn der Hallunke zehnmal stief ist. Ja, diesem Kerl traue ich Alles zu, was Du mir von ihm erzählt hast. Ein Mensch, der einem die Genugthuung verweigert, ist auch fähig, sein Vermögen durchzubringen und seine Schwester zu verschachern. Na, ich hoffe, daß er uns morgen nicht in die Quere läuft, sonst würde ich ihn kurranzen, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Aber sage mir, mein Junge, wo ist denn die Bude, in der Du wohnst?«

»Ganz in der Nähe; das dritte Haus von hier.«

»So wohnst Du also nicht weit von mir. Na komme. Man hat mich heute im Biribi ganz gehörig gerupft; das will ich verschlafen.«

Vor der Wohnung des Lieutenants angekommen, gab er ihm das Geld, welches er getragen hatte, und verabschiedete sich in leutseliger Weise von ihm.

Als Königsau in seiner Stube Licht gemacht hatte, breitete er seinen Gewinn auf dem Tische aus, um ihn zu zählen. Er war mit einem Schlage zu einem Vermögen gekommen. Es war, als hätte Gott ihn heute mit dem Marschall zusammengeführt, um ihm das Opfer, welches er der Geliebten bringen wollte, zu erleichtern. Das ungeheure Glück, welches er gehabt hatte, dünkte ihm das Ja und Amen zu sein, welches die Vorsehung zu seiner Liebe sagte. Und als er sich schlafen legte, that er es in dem Bewußtsein, morgen ein Glück zu erlangen, an welches er noch vor ganz kurzer Zeit nicht gedacht hatte.

Als er am nächsten Morgen sich das Geld hatte umwechseln lassen, besaß er in seiner Brieftasche den Talisman, die Sorgen der Geliebten und ihrer Mutter zu beenden. Er konnte den Nachmittag kaum erwarten und machte bereits große Toilette lange bevor die Zeit gekommen war.


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Blücher empfing ihn in voller Uniform. Er hatte Wort gehalten und sich »in Wichs und Glanz geschmissen«. Die beiden Männer sahen aus, als ob sie bei der Königsparade zu erscheinen hätten.

»Da bist Du ja, mein Sohn,« sagte der Marschall. »Es ist punkt halb drei Uhr, wir müssen aufbrechen, und ich weiß wahrhaftig noch nicht, was ich sagen soll. Eine Anrede an meine Soldaten fällt mir immer ein; sie ist sofort da, sobald ich sie brauche; aber mit einer Werbung ist es denn doch ein anderes Ding. Ich habe mir schon fast den Kopf zerbrochen, aber noch nicht ein einziges Wort gefunden. Das wird eine schöne Geschichte werden, wenn ich dastehe, wie Töffel vor dem Pfarrer und keine Silbe hervorbringe!«

»O,« sagte Königsau lächelnd, »Excellenz dürfen nur draufgehen wie auf den Feind.«

»Hat sich was mit draufgehen! Es ist mir angst und bange bei der Geschichte. Ich glaube, ich reiße aus, wenn es losgehen soll. Der Teufel hole die Heirathsanträge! Ja, wenn ich diese Margot für mich haben wollte, da müßte es nur so pfeifen; aber für einen Anderen die Kastanien aus dem Feuer holen, dabei kann man sich leicht die Hand verbrennen. Na, ich habe mich einmal mit dieser Geschichte eingelassen, und so muß sie auch ausgepatscht werden. Komm, Junge; wir wollen gehen!«

Sie machten sich auf den Weg. Als sie ihr Ziel erreichten, und von dem Mädchen eingelassen wurden, kam Margot ihnen entgegen geeilt. Ihr schönes Gesicht glänzte vor Freude, und sie hielt die Arme erhoben, um den Geliebten zu umfangen; als sie aber den Alten erblickte, ließ sie dieselben wieder fallen.

»Na na, nehmt Euch immer beim Kopfe!« sagte er. »Ich bin verschwiegen und rede es nicht aus!«

Sie wurde ob dieser gutmüthig derben Anrede sichtlich verlegen, und diese Verlegenheit steigerte sich, als Königsau ihr in seinem Begleiter den berühmten Feldmarschall vorstellte, von dessen Eigenheiten man sich so wunderbare Dinge erzählte.

Sie traten in den Salon. Blücher warf einen forschenden Blick umher, ließ diesen dann auf dem Mädchen ruhen, klopfte dem Lieutenant auf die Achsel und sagte:

»Junge, ich bin zufrieden mit Dir! Diese Margot ist ein verteufelt hübsches Kind. Weiß Gott, das Maul möchte einem wässerig werden, wenn man sie ansieht. Das wird eine Frau, mit der Du Dich nicht zu schämen brauchst.«

Königsau erfuhr, daß die Mutter sich leidlich wieder erholt habe und bald erscheinen werde. Als sie eintrat, sah sie allerdings noch angegriffen aus. Auch sie verwunderte sich, daß Königsau nicht allein gekommen war; als sie aber hörte, wer der andere Besucher sei, flog es doch wie eine stolze Genugthuung über ihr Gesicht.

Das Gespräch erstreckte sich zunächst auf Allgemeines und ging dann auf das gestrige Ereigniß über. Blücher freute sich, daß die beiden Damen Deutsch verstanden, und unterhielt sich in einer Weise mit ihnen, als ob sie alte Freundinnen von ihm seien. So verging über eine Stunde, ohne daß er des eigentlichen Grundes seiner Anwesenheit gedacht hätte; er schien den rechten Anfang noch nicht gefunden zu haben.

Da klingelte es draußen. Man hörte, daß das Mädchen den Vorsaal öffnete, und den Kommenden eintreten ließ. Es war der Baron de Reillac.

Er stutzte, als er die beiden Officiere erblickte. Er hatte Blücher gesehen und kannte ihn also. Als er den Namen Königsau nennen hörte, wußte er sogleich, daß dieser der Officier sei, welcher Albin Richemonte geohrfeigt hatte. Er fragte sich, was die beiden Herren hier wohl zu suchen hätten, und fand keine andere Erklärung, als die, daß sie eben dieser Angelegenheit wegen gekommen seien. Sie hatten den Capitän nicht gefunden, und waren deshalb bei dessen Mutter eingetreten. So dachte er.

Blücher hingegen wußte beim Nennen des Namens des Franzosen sofort, daß es jener Baron sei, welcher sich den Besitz Margot's erzwingen wollte; darum schenkte er ihm nicht die mindeste Beachtung und erwiderte nicht einmal seinen Gruß.

»Sie suchen den Capitän Richemonte?« fragte Reillac.

»Woraus schließen Sie das?« fragte Königsau kalt.

»Aus Ihrer Anwesenheit, Monsieur.«

»Dann irren Sie sich. Der Capitän hat sich nicht geneigt erklärt, sich mit meiner Person zu beschäftigen. Meine Anwesenheit gilt den Damen.«

»Ah!« rief der Franzose überrascht. »Sie kennen einander?«

»Wie sie sehen!«

Da kam dem Baron ein Gedanke. Die Anwesenheit des Lieutenants galt jedenfalls mehr der Tochter als der Mutter. Hatte er etwa Absichten auf Margot? Eine fürchterliche Eifersucht erfaßte den Baron. Er wollte Gewißheit haben und fragte daher:

»Kennen Sie einander schon längere Zeit?«

»Interessiren Sie sich für diese Frage?« lächelte der Deutsche.

»Allerdings. Ich zähle mich zu den Freunden dieser Damen und nehme also Theil an Allem, was sie betrifft.«

»Nun, dann will ich Ihnen mittheilen, daß wir uns zwar erst seit Kurzem kennen, daß ich aber die Ueberzeugung hege, daß unsere Bekanntschaft sehr lange dauern, ja, wie ich hoffe, nur mit dem Leben enden wird.«

Das war deutlich geantwortet. Der Deutsche hatte Absichten auf Margot, das wußte der Baron jetzt. Er nahm sich vor, ihm sofort alle Hoffnungen zu nehmen, und sagte darum:

»Welcher Umstand berechtigt Sie zu dieser Ueberzeugung?«

Königsau warf ihm einen erstaunten Blick zu, zuckte die Achsel und antwortete:

»Mir scheint, Sie wollen mich examiniren!«

Der Baron ließ sich durch diese abweisende Frage nicht irre machen.

»Ein Wenig!« antwortete er. »Das Wohl von Madame und Mademoiselle liegt mir zu sehr am Herzen, als daß es mir gleichgiltig sein sollte, welche neue Bekanntschaft sie machen. Es ist da sehr nothwendig, vorher zu prüfen.«

»Ah! Haben Sie etwa die Absicht, mich zu beleidigen?«

»Nicht im Geringsten!«

»Das wollte ich dem Kerl auch nicht gerathen haben!« rief da Blücher.

Er hatte, halb abgewendet, der Unterhaltung zugehört. Er ärgerte sich über die Zudringlichkeit des Franzosen und hielt es endlich für angemessen, auch ein Wort zu sagen.

Madame Richemonte blickte den Alten erschrocken an. Es wurde ihr Angst. Sie befand sich in den Händen des Barons. Wurde dieser hier beleidigt, so ließ er es ihr ganz sicher entgelten, ohne alle Rücksicht darauf, ob sie daran schuld sei oder nicht.


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Auch der Baron warf einen raschen, aber mehr erstaunten, als erschrockenen Blick auf den Marschall. Er war reich, und der Reichthum pflegt einem jeden ein gewisses Gefühl der Sicherheit, des Selbstvertrauens zu geben.

»Was meinen Excellenz mit diesen Worten?« fragte er rasch.

»Ich meine, daß Ihnen ein heiliges Donnerwetter auf den Hals fahren soll, wenn Sie fortfahren, solche unverschämte Fragen auszusprechen,« antwortete der Alte.

»Monsieur, ich bin ein Edelmann!« rief der Franzose in fast drohendem Tone.

»Wie? Was?« fragte Blücher, indem er sich erhob. »Moßieh nennen Sie mich? Moßieh! Donnerwetter, ich will Sie bei Moßieh! Ich bin der Feldmarschall von Blücher, Fürst von Wahlstatt, verstanden? Sie haben mich Excellenz oder Durchlaucht zu nennen; mit Ihrem Moßieh aber bleiben Sie mir ergebenst vom Leibe! Moßieh, nein, da hört denn doch Alles und Verschiedenes auf! Sie selbst mögen Moßieh sein; die Franzosen mögen Moßieh's sein, ich aber nicht! Und einen Edelmann nennen Sie sich? Ich sehe nichts davon, gar nichts. Wenn Sie Edelleute sehen wollen, so nehmen Sie doch gefälligst einmal das Fernrohr, stecken Sie es sich in das Gesicht und gucken Sie uns Beide an! Blücher's hat es gegeben schon zu Karl's des Großen Zeit, und die Königsau sind auch nicht jünger; Sie aber sind erst von Ihrem Napoleon adelig gequetscht worden; Sie sind noch warm und neubacken, daß die Butter davon herunter läuft. Geben Sie sich um Gotteswillen nicht eher für einen Edelmann aus, als bis Sie gelernt haben, sich als ein solcher zu betragen! Ihre Meriten kennt man. Bei mir kommen Sie an den Rechten. Ihren ganzen Adel blase ich in die Luft; er ist keinen Dreier werth!«

Das kam Alles so schnell und gewaltig unter dem grauen Schnurrbarte des Alten hervor, daß an eine Unterbrechung oder gar Entgegnung nicht zu denken war.

Königsau lächelte still vor sich hin; auch Margot blieb ruhig. Frau Richemonte aber fürchtete den Baron, und daher schlug sie unwillkürlich die Hände zusammen. Sie befürchtete das Schlimmste. Der Baron war zunächst wie vom Donner gerührt. Die Wortfluth des Marschalls drang so kräftig und mächtig auf ihn ein, daß an einen augenblicklichen Widerstand nicht zu denken war; als sie aber ihr Ende erreicht hatte, da fuhr er von seinem Sitz empor und sagte:

»Gut, ich will Sie Excellenz nennen! Aber sagen Sie gefälligst, was Sie mit meinen Meriten meinen und mit den Worten, daß Sie mich kennen! Sie haben mich gegenwärtig auf die eclatanteste Weise beleidigt, und ich hoffe, daß Sie sich nicht weigern werden, mir volle Genugthuung zu geben!«

»Genugthuung?« fragte Blücher mit blitzenden Augen. »Sind Sie verrückt? Sie sind Armeelieferant gewesen; das heißt, Sie haben der Armee das Schlachtvieh, die Ochsen und Schafe geliefert, und weil diese Ochsen mehr Knochen hatten als Fleisch, sind Sie ein reicher Mann geworden. Und weil diese Schafe Ihnen Ihre academische Bildung mitgetheilt haben, hat Sie Napoleon mit dem Adelsbriefe versehen. Nun machen Sie Familien unglücklich, weil Sie auf die Töchter speculiren. Sie verführen die Väter und Brüder; Sie turbiren die Mütter und Töchter; Sie drohen mit Schuldhaft und anderem Elend, um eine Frau zu erhalten. Pfui Teufel! Und das nennt sich einen Edelmann! Das will Genugthuung von mir haben! Hören Sie, Moßieh, ja, Moßieh, und abermals Moßieh, ich werde Ihnen Ge-


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nugthuung geben oder geben lassen, aber nicht mit dem Säbel, sondern mit der Peitsche oder dem Stallbesen!«

Das war eine Scene, wie sie die Damen noch nicht erlebt hatten. Sie waren aufgesprungen, denn Beide hielten es für unvermeidlich, daß die beiden Männer thätlich gegen einander werden würden. Auch Königsau hatte sich langsam erhoben und an die Seite des Marschalls gestellt, um nöthigen Falles augenblicklich bei der Hand zu sein.

Der Baron war bleich wie der Tod geworden. Er erzitterte vor Grimm. Er hätte sich am liebsten auf Blücher stürzen mögen, aber die gewaltige Erscheinung des alten Kriegshelden machte doch einen solchen Eindruck auf ihn, daß es nicht dazu kam. Er fühlte sich nicht im Stande, den Sprecher Lügen zu strafen; das verdoppelte seine Wuth; er wagte nicht, dieselbe an den beiden Deutschen auszulassen, und darum wendete er sich als echter Feigling an die beiden Damen:

»Ah, Sie haben geplaudert!« stieß er knirrschend hervor.

»Ich nicht,« antwortete die Mutter ängstlich.

»Aber ich,« sagte Margot muthig.

»Zu wem?«

»Zu Herrn von Königsau.«

»Wann?«

»Gestern.«

»Ah! Sind Sie so vertraut mit ihm, daß Sie ihm bereits solche Geheimnisse mittheilen?«

»Darnach hat der Kerl zwar den Teufel zu fragen,« fiel hier Blücher ein; »aber er soll dennoch eine Antwort haben, damit er nur sieht, daß er ganz umsonst im Trüben gefischt hat.« Und sich an den Franzosen wendend, fuhr er fort: »Ja, diese beiden Leutchen sind allerdings bereits sehr vertraut mit einander, nämlich so vertraut, daß ich gekommen bin, Madame Richemonte um ihr Jawort zu bitten.«

»Ah!«

Dieser Ruf des Erstaunens wurde von Zweien ausgesprochen, nämlich von dem Baron und auch von Margot's Mutter, welche von ihrer Tochter noch nicht erfahren hatte, was gestern Abend zwischen ihr und Königsau vorgekommen war.

Der Baron blickte den Sprecher erstaunt an, so erstaunt, als ob er es gar nicht für möglich halte, daß er die Wahrheit gehört habe. Er fragte, zu Margot gewendet:

»Sie werden eiligst zugeben, daß ich jetzt falsch gehört habe?«

»Papperlapapp!« rief da Blücher. »Nichts wird zugegeben! Wer kann denn wissen, was der Mann gehört hat? Wissen wir denn, ob sich seine Ohren in Ordnung befinden? Aber sehen soll er doch, daß es mein Ernst ist. Komm, mein Sohn; nimm Dein Mädchen bei der Hand und höre, was ich Eurer Mama sagen werde!«

Blücher faßte dabei Königsau und Margot an, legte ihre Hände in einander, schob Beide zur Mutter hin, stellte sich kerzengerade vor die Letztere auf, machte ein Honneur, als ob er vor einem Landesherrn stehe und sagte:

»Madame - erstens haben sich diese Beiden lieb; zweitens wollen sie sich heirathen, und drittens bitte ich um Ihr Jawort dazu. Wer Etwas dawider hat, der mag es mir sagen; ich werde ihn bei der Parabel nehmen, daß er die lieben Engel im Himmel geigen und pfeifen hören soll!«

Diese Werbung kam Frau Richemonte so unerwartet, daß sie für den Augenblick gar keine Antwort fand. Sie hätte jedoch auch gar keine Zeit dazu gehabt, sie zu geben, denn ehe sie nur sprechen konnte, trat der Baron näher und sagte:

»Ich sehe, daß man hier Comödie spielen will; da ich meine Rolle nicht erst auswendig zu lernen brauche, so halte ich es nicht für nöthig, den stummen Zuschauer abzugeben. Madame, ich ersuche Sie, Ihre Entscheidung zurückzuhalten, bis auch ich gesprochen habe!«


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Er griff in die Tasche, zog ein Portefeuille hervor, öffnete dasselbe, nahm einige Papiere heraus und hielt sie Frau Richemonte entgegen. Dann fuhr er höhnisch fort:

»Madame, ich gebe mir die Ehre, Ihnen diese Wechsel zur Zahlung zu präsentiren. Wird die Summe nicht augenblicklich entrichtet, so wandern Sie in's Schuldgefängniß.«

»Mein Gott!« rief die geängstete Frau. »Das kommt Alles so plötzlich über mich; ich weiß ja gar nicht, was ich thun oder sagen soll!«

»Sie brauchen gar nichts zu sagen oder zu thun, als nur zu zahlen,« sagte der Baron.

»Schurke!« meinte der Marschall.

»Gilt dies etwa mir?« fragte der Baron.

»Ja, Moßieh, wem sonst?« antwortete Blücher. »Es befindet sich außer Ihnen ja kein Schurke hier.«

»Darüber werden wir später sprechen,« lachte der Franzose überlegen. »Jetzt aber will ich Zahlung haben.«

»Die werden Sie erhalten,« antwortete Königsau.

Er streckte die Hand nach den Papieren aus, der Baron zog sie jedoch schnell zurück, blickte ihn höhnisch an und fragte:

»Wollen Sie vielleicht für Madame zahlen?«

»Ich hoffe, daß Madame mir gestattet, ihr den Betrag zur Verfügung zu stellen!«

Der Baron stieß ein lautes Lachen aus und rief:

»Das ist lustig! Ahnen Sie, wie hoch sich die Summe beläuft?«

»Hundertundfünfzigtausend Franken,« antwortete der Deutsche gleichmüthig.

»Allerdings. Sie scheinen von Mademoiselle sehr genau unterrichtet worden zu sein. Aber wissen Sie auch, daß der Betrag augenblicklich gezahlt werden muß?«

»Er steht zur Verfügung!«

Bei diesen Worten griff Königsau in die Tasche, zog sein Portefeuille hervor, entnahm demselben ein Packet Banknoten und legte es auf den Tisch. Der Baron trat hinzu, öffnete dasselbe und zählte. Sein Gesicht verfinsterte sich. Er hatte geglaubt, einen Haupttreffer zu machen, und fühlte sich jetzt so ganz und gar unerwartet aus seiner bisher für so vortheilhaft gehaltenen Position herausgedrängt.

»Einmalhundertundfünfzigtausend Franken,« sagte er langsam; »es stimmt!«

»Nun also, so nehmen Sie das Geld und verduften Sie sich!« sagte Blücher.

Diese Worte riefen den ganzen Widerstand des Barons wach.

»Verduften?« meinte er. »Excellenz gebrauchen Ausdrücke, welche unter gebildeten Leuten sonst nicht gebräuchlich sind!«

»Da haben Sie Recht,« meinte der Marschall ruhig; »aber glauben Sie etwa, daß es mir einfällt, Sie unter die Gebildeten zu rechnen? Sie stehen zu mir in einem solchen Range, wie zum Beispiel früher Ihre Schafe und Ochsen zu Ihnen gestanden haben, und ich glaube nicht, daß Sie Ihr Rindvieh mit Hochwohlgeboren angeredet haben. Für Sie paßt kein Wort besser als verduften, und ich hoffe, daß Sie es sofort befolgen!«

»Sie werden mir doch erlauben müssen, noch etwas länger zu bleiben. Ich habe nämlich dieser Dame zu sagen, daß ich noch Papiere ihres Sohnes in den Händen habe, und daß ich sie ihm präsentiren werde. Kann er nicht zahlen, so -«

»So thun Sie mit ihm, was Ihnen beliebt. Nicht wahr, Mama?« fiel Margot ein.

»Ich habe keine Veranlassung, ihn zu bedauern,« antwortete die Gefragte.

»Da hören Sie!« sagte Blücher zum Baron. »Geben Sie die Wechsel her!«

»Nur dann, wenn ich das Geld von Madame selbst erhalte,« antwortete dieser. »Noch weiß ich ja nicht, ob sie gewillt ist, diese Summe von dem Herrn Lieutenant anzunehmen.«

Er spielte jetzt seine letzte Karte aus, obwohl er recht gut einsah, daß sein Spiel verloren sei. Die Mutter wendete sich an Königsau:

»Sie sehen mich von Allem, was ich heute höre und erfahre, im höchsten Grade überrascht, Herr Lieutenant,« sagte sie. »Seine Excellenz bittet mich um die Hand meiner Tochter für Sie. Ich hätte das für unmöglich gehalten, denn ich weiß ja, welch eine kurze Zeit Sie sich erst kennen.«

Da legte Königsau den Arm um Margot und sagte:

»Madame, die Liebe fragt nie nach der Zeit; sie kommt, sie ist da, plötzlich, vollständig und allmächtig; man kann ihr nicht widerstehen. Ich habe erkannt, daß Margot mein Herz, mein ganzes Leben gehört. Sie ist Ihr bestes, Ihr einziges Gut, Madame; ich komme nicht, es Ihnen zu rauben, sondern es soll Ihnen gehören für immerdar; nur sollen Sie zu der Tochter noch einen Sohn nehmen, dessen größte Aufgabe es sein wird, Sie Beide glücklich zu machen.«

»Und Du, Margot, Du liebst ihn wirklich?« fragte die Mutter ihre Tochter.

»O, wie sehr, Mama,« antwortete diese, indem sie den Geliebten innig umarmte. »Er hat sein ganzes Vermögen geopfert, um uns zu retten!«

»Dann kann ich die Summe nicht annehmen,« sagte die Mutter.

»Du irrst, Margot,« fiel Königsau ein. »Ich habe kein Opfer zu bringen; ich brauche meine Besitzung nicht zu verkaufen, wie ich es noch gestern für nöthig hielt. Ich werde Dir später erzählen, wie ich in den Besitz dieser Summe gekommen bin; aber Excellenz wird mir beistimmen, daß Mama Alles nehmen kann, ohne mir den mindesten Schaden oder Verlust zuzufügen.«

»Ja, das bestätige ich,« sagte der Fürst. »Dieser verteufelte Junge ist zu dem Gelde gekommen wie Adam zur Eva, nämlich geradezu im Schlafe. Er kann es verschenken, oder zum Fenster hinauswerfen, ganz wie es ihm gefällig ist und ohne daß er sich dann eine Entbehrung aufzulegen braucht.«

»Aber eine solche Summe, Herr Lieutenant!« sagte sie. »Ich muß Ihnen sagen, daß es mir unmöglich sein wird, sie Ihnen zurückzuerstatten.«

»Diese Summe hat für mich ja nicht den Werth, welchen ich auf Ihre Freundschaft lege,« antwortete Königsau. »Wenn Sie die Güte haben wollen, unsere Liebe zu billigen, so erhalte ich von Ihnen ein Glück, welches ich für Millionen nicht verkaufen möchte. Ich bleibe also Ihr Schuldner und bitte Sie von ganzem Herzen, mit Dem, was ich Ihnen so herzlich gern biete, Ihren Gläubiger zu befriedigen und sich von der Sorge zu befreien, welche Ihnen bisher das Leben in so arger Weise verbittert hat.«

Da reichte sie ihm die Hand und sagte, mit Thränen der Rührung und Freude in den Augen:

»Sie sind ein edler Mann, Herr von Königsau, und es


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wäre eine große Undankbarkeit von mir, Sie dadurch zu betrüben, daß ich Ihre Großmuth zurückweise. Ich nehme sie also an und lege Ihnen dafür mein liebes, mein einziges Kind an das Herz. Gott segne Sie und lasse Ihnen das Glück finden, welches ich täglich für Sie von ihm erbitten werde. Ich werde Ihnen, da Sie keine Eltern mehr haben, eine treue Mutter sein, und mich reich fühlen, neben der Tochter einen Sohn zu besitzen, wie Sie es sind.«

Sie legte die Hände der Beiden zusammen und segnete sie. Margot umschlang sie innig und vergoß Thränen des Glückes. Königsau fühlte, daß er heute eine Seligkeit erobert habe, wie sie größer auf Erden nicht geboten werden kann; Blücher aber sagte:

»Kinder, nehmt auch meinen Segen; er wird vielleicht nicht viel werth sein, aber Schaden kann er Euch wohl auch nicht bringen. Sie aber, Moßieh Edelmann, haben nun gesehen, wie Ihre Angelegenheit steht. Sie sind überflüssig. Nehmen Sie das Geld, geben Sie die Wechsel heraus, und dann verschwinden Sie hinter den Coulissen, sonst passirt Ihnen etwas, was Ihnen schon längst hätte passiren sollen.«

Die Augen des Barons funkelten vor Grimm. Er steckte das Geld zu sich und sagte:

»Ah! Sie glauben, gesiegt zu haben? Sehen Sie sich vor, daß Sie sich nicht irren. Was ich einmal erlangen will, das pflege ich nicht so leicht aufzugeben. Noch ist Margot nicht die Frau eines Deutschen. Man wird sehen, was die Zukunft bringt!«

»Was, Du willst noch drohen!« rief Blücher, indem er auf ihn zutrat. »Trappe schleunigst ab, sonst zeige ich Dir das Loch, Moßieh Schurke!«

Der Franzose warf die Wechsel wüthend in die Stube und ging. Er sah ein, daß gegenwärtig nichts mehr zu thun sei, aber er nahm sich vor, das Spiel noch nicht aufzugeben. Als er die Treppe hinabstieg, kam ein Anderer dieselbe herauf. Es war der Capitän, Margot's Stiefbruder.

»Ah, Sie hier, Baron?« fragte der Letztere. »Wollten Sie zu mir?«

»Ich war bei Ihrer Mutter,« lautete die Antwort.

Die Worte wurden wie athemlos und in einem Tone gesprochen, welcher dem Capitän auffallen mußte; darum fragte er:

»Was haben Sie? Ist Ihnen etwas Unangenehmes begegnet?«

»Nein, o nein, sondern im Gegentheile etwas sehr Angenehmes!«

»Was? Sie sind ja ganz und gar echauffirt.«

»Ihre Mutter hat mich bezahlt.«

»Bezahlt?« meinte Richemonte erstaunt. »Unmöglich!«

»Nicht unmöglich, sondern wirklich. Ich habe soeben mein Geld erhalten.«

»Alles?«

»Alles!«

»Sie foppen mich! Woher will Mutter hundertundfünfzigtausend Franken nehmen!«

»Von dem Liebhaber ihrer Tochter.«

»Unsinn! Margot hat keinen Liebhaber!«

»Gehen Sie hinein, wenn Sie Lust haben, ihre Verlobung mit zu feiern!«

Der Capitän blickte den Anderen forschend an.

»Wie kommen Sie mir vor, Baron,« sagte er. »Verlobung? Sie kommen mir doch nicht wie ein Kranker oder ein Verrückter vor, sonst würde ich denken, daß Sie entweder im Fieber oder im Wahnsinn sprechen!«

»Ich bin auch im Fieber, aber im Fieber des Grimmes und der Wuth. Ich phantasire trotzdem nicht, denn es ist die volle Wahrheit, daß Margot soeben verlobt worden ist.«

»Ah! Welch eine Nachricht! Verlobt, ohne mich! Mit wem denn?«

»Sie werden sich unendlich freuen, wenn Sie es hören. Rathen Sie, Capitän!«

»Pah, treiben wir keine Narrenspossen! Wer ist der Kerl?«

»Ein guter Bekannter von Ihnen.«

»Den Namen! Rasch!«

»Den kennen Sie bereits. Der Mann steht Ihnen sehr nahe, denn seine Hand ist bereits mit Ihren Wangen in eine sehr intime Berührung gekommen!«

Da stutzte der Capitän.

»Sie wollen doch nicht sagen -« meinte er. »Sprechen Sie von jenem Deutschen?«

»Ja.«

»Von dem Lieutenant von Königsau?«

»Ja.«

»Dieser Mensch ist bei meiner Mutter?«

»Versteht sich!«

»Er kennt Margot?«

»Er hat soeben um ihre Hand angehalten, und Ihre Mutter hat ihm das Jawort gegeben.«

Da fuhr der Capitän zurück, als ob er ein Gespenst gesehen habe.

»Baron, Sie befinden sich dennoch im Delirium!« rief er.

»O, ich bin im Gegentheile sehr bei Verstande. Sehen Sie sich die Scene doch selbst an!«

»Donnerwetter, Sie reden also doch die Wahrheit? Da muß ich allerdings schleunigst dazwischenplatzen wie eine Bombe. Ein Jeder soll meine Schwester bekommen, nur dieser Mensch nicht! Er soll mir Rechenschaft geben, auf welche Weise er sie überlistet hat!«

»Sehr einfach! Er hat ihr das Geld gegeben, mich zu bezahlen.«

»Ah, von ihm ist es?«

»Von ihm.«

»So gehe ich gleich zu Mama. Hier ist mein Schlüssel, Baron. Treten Sie einstweilen bei mir ein; warten Sie auf mich. Ich bin überzeugt, daß ich Ihnen die Nachricht bringen werde, diesen Deutschen zur Treppe hinabgeworfen zu haben.«

Er sprang die Stufen hinauf und riß stürmisch an der Klingel der Vorsaalthür seiner Mutter, während der Baron sich die gegenüberliegende Wohnung öffnete. Das Dienstmädchen kam und schloß auf. Als sie den Sohn ihrer Herrin erblickte, wagte sie nicht, ihn zurückzuweisen.

»Wo ist Mama?«

»Im Salon.«

»Gut!«

Er stürmte an ihr vorüber, riß die Thür auf und blieb erstaunt stehen. An dem einen Fenster stand Königsau in inniger Umschlingung mit Margot, und auf dem Sopha saß die Mutter mit - dem Feldmarschall Blücher. Das hatte der Capitän nicht erwartet. Die Anwesenheit dieses Mannes legte einen Dämpfer auf seinen Vorsatz, als Herr der Situation aufzutreten. Er grüßte mit einer Verbeugung und sagte:


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»Ah, Besuch, Mama!«

»Allerdings Besuch, mein Sohn,« antwortete sie so unbefangen wie möglich; »und zwar höchst lieben und ehrenvollen Besuch. Feldmarschall von Blücher, Excellenz, und der Herr Lieutenant von Königsau - mein Sohn.«

Mit diesen Worten stellte sie die drei Herren einander vor. Blücher zog mit einem eigenthümlichen Lächeln die Spitzen seines Schnurrbarts aus, und Königsau nahm von der Vorstellung nur mit einem kurzen, stolzen Kopfnicken Notiz. Dieser Mangel an Höflichkeit gab dem Zorne des Capitäns neue Nahrung. Er sagte:

»Ich habe nicht gewußt, daß Deutsche bei Dir Zutritt haben!«

»Die Herren haben mich überrascht, und zwar in freudigster Weise. Du siehst in Herrn von Königsau nicht nur den Mann, welcher Deine Wohnung vertheidigte, sondern auch den Bräutigam Deiner Schwester.«

»Du sagst mir da etwas ganz Unbegreifliches. Ich entsinne mich nicht, irgend Jemand mit der Vertheidigung meiner Wohnung beauftragt zu haben, und bin also keinem Menschen einen Dank schuldig. Und was den anderen Punkt betrifft, so darf ich doch wohl annehmen, eine giltige Stimme zu besitzen, falls es sich um eine Lebensgestaltung meiner Schwester handelt!«

Das klang herausfordernd; dennoch sagte die Mutter in mildem Tone:

»Ich will Dir nicht widersprechen, zumal ich vollständig überzeugt bin, daß Du nicht anstehen wirst, Margot's Wahl zu billigen.«

»Und wenn ich sie nun nicht billige, Mama?« fragte er mit Nachdruck.

»Das würde uns zwar betrüben, doch aber Nichts an der Thatsache ändern.«

Da trat er einen Schritt vor und sagte im zornigsten Tone:

»Es gilt doch den Versuch, ob wirklich nichts zu ändern wäre. Hast Du gewußt, daß ich diese beide Herren kenne?«

»Ja.«

»Und daß sie mich beleidigt haben?«

»Nein, sondern daß Du sie beleidigt hast.«

»Streiten wir uns nicht über Ansichten! Ich höre, daß Du unser Zerwürfniß kennst und dennoch meine Gegner nicht nur bei Dir empfängst, sondern in ihrem Interesse sogar über die Hand Margot's verfügst. Ich lege mein Veto ein und erkläre die Verlobung für Null und nichtig!«

Da trat Margot auf ihn zu und sagte in zwar milder, aber doch fester Weise:

»Du scheinst die Verhältnisse nicht richtig zu beurtheilen, Albin. Es mag sein, daß Dir eine mitberathende Stimme zusteht, wenn es sich um eine Neugestaltung meines Schicksales handelt; aber höre wohl, nur eine mitberathende, und auch nur so weit, als ich es in schwesterlicher Rücksicht Dir gestatte. Zu befehlen hast Du mir jedenfalls gerade so wenig, als ich Dir zu gehorchen habe -«

»Ah, ich werde Dich vom Gegentheile überzeugen!« unterbrach er sie.

»Versuche es,« antwortete sie; »ich werde dies sehr ruhig abwarten. Ueber meine Hand habe nur ich allein zu bestimmen. Du hast sie zum Gegenstande eines niedrigen Schachers machen wollen und Mutter und mich als Deine Sclavinnen betrachtet, welche Du verkaufen kannst. Es ist Dir nicht gelungen; wir sind frei, und es ist für Dich am Klügsten, die bestehenden Thatsachen einfach anzuerkennen.«

»Meinst Du?« hohnlächelte er. »Sage mir zunächst, wem diese Wohnung gehört?«

»Doch uns!«

»Nein. Wer hat sie gemiethet?«

»Du.«

»Gut, ich bin also der Besitzer. Es hat also kein Mensch das Recht, ohne meine Erlaubniß Zutritt zu nehmen. Meine Herren, ich ersuche Sie, dieses Local zu verlassen. Setzen Sie sich nicht der Gefahr aus, wegen Hausfriedensbruches belangt zu werden!«

Da stieß Blücher ein lautschallendes, herzliches Gelächter aus.

»Alle Teufel, das klingt gefährlich! Der alte Blücher vor Gericht als Hausfriedensbrecher! Wie er sich da wohl ausnehmen würde! Hören Sie, machen Sie sich doch um Gotteswillen nicht so unendlich lächerlich, sondern vernehmen Sie, was ich Ihnen in aller Güte zu sagen habe!«

»Ich mag nichts hören!« klang die Antwort.

»So werden Sie fühlen müssen!«

»Ah! Was?«

»Das ist es eben, was ich Ihnen sagen will, und was Sie doch wohl anhören werden müssen. Ihre häuslichen Verhältnisse gehen mich nichts an; ob Sie Herr Ihrer Schwester und Herr dieser Wohnung sind, das ist mir auch ganz egal; nicht egal aber ist es mir, wenn Sie fortfahren, mich zu beschimpfen und zu beleidigen. Sie verlangen von mir, dieses Local zu verlassen, und ich stelle als Antwort das gleiche Verlangen an Sie. Sie haben mich öffentlich beschimpft; Sie haben ebenso öffentlich die deutsche Nation beleidigt; es kostet mich ein einziges Wort, einen einzigen Wink, Sie in Untersuchungshaft zu bringen und verurtheilen zu lassen. Sie haben diesem Herrn die Genugthuung verweigert und sind in Folge dessen von ihm beohrfeigt worden. Ein Wort von mir darüber an Ihr Generalcommando, so werden Sie ausgestoßen und infam cassirt. Sie sind mir gegenüber ein Zwerg; ich habe es verschmäht, mich mit Ihnen herumzuhudeln; nun Sie aber selbst hier nicht Verstand zeigen, so muß ich zur Peitsche greifen. Verlassen Sie dieses Zimmer sofort, sonst gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß Sie in einer Stunde sich in Untersuchungshaft befinden und in einigen Tagen aus der Armee gestoßen werden. Noch sind wir Deutschen Herr von Paris, und ich habe ganz und gar nicht die Absicht, einem kleinen Capitän glauben zu lassen, daß wir uns vor ihm fürchten müssen!«

Eine solche Zurechtweisung hatte der Capitän nicht erwartet. Er zögerte einige Augenblicke, zu antworten, da er sich aber nicht sofort ergeben wollte, sagte er dann:

»Welcher von uns Beiden Feldmarschall ist und welcher Capitän, das ist gleichgiltig. Wir stehen uns Mann gegen Mann gegenüber, und da fürchte ich Sie nicht!«

»Gehen Sie!« gebot Blücher, indem er mit der Hand nach der Thür zeigte.

»Ich wiederhole, daß ich als Bruder -«

»Hinaus!« unterbrach ihn der Alte.

»Daß ich als Bruder das Recht habe, über meine Schwester zu -«

»Hinaus!«

Dieses letzte »Hinaus« war in einem Tone gerufen, gegen


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welchen es absolut keinen Widerstand gab. Diese zwei Silben waren nicht etwa überlaut gebrüllt, aber sie drangen durch Mark und Bein; sie hatten einen so entschiedenen, schneidigen Ton, daß es dem Franzosen war, als ob er mit Fäusten ergriffen und aus dem Zimmer gestoßen werde. Er öffnete die Thür und ging. Er hatte, nur von dem Eindrucke, welchen der Befehl des Marschalls machte, die furchtsamen Bewegungen eines Wesens, welches mit Füßen aus der Thür gestoßen wird. Aber draußen auf dem Vorsaale angekommen, ballte er die Hand, erhob sie drohend rückwärts und knirrschte:

»Das will ich Euch eintränken; das sollt Ihr mir büßen! Diese Blamage sollt Ihr mir so theuer bezahlen, daß Euch Hören und Sehen vergehen wird.«


Ende der elften Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Die Liebe des Ulanen

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