Lieferung 23

Deutscher Wanderer

23. Februar 1884

Die Liebe des Ulanen.

Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges von Karl May.


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Im Orte hörte man das Horn des Nachtwächters ertönen. Der Maire rief die streitbaren Helden zusammen, um mit ihnen zur Rettung des Kaisers auszuziehen.

Das Pferd des Wirthes war ein alter, halb steifer Gaul; aber unter der Leitung des gewandten Husarenofficiers und seinem mächtigen Schenkeldrucke flog er wie ein Araber auf der Straße dahin. In einer halben Minute hatte Königsau seinen Kutscher erreicht.

»Vorwärts, vorwärts!« rief er ihm zu.

»Herr, Sie werden den Hals brechen,« antwortete Florian.

»Ich nicht, sondern der Gaul.«

So stürmten die Beiden weiter. Florian gab sich alle Mühe, hart hinter dem Deutschen zu bleiben, aber der Abstand vergrößerte sich doch immer mehr.

Da hörte der Lieutenant Schüsse vor sich fallen. Er stieß seinem Pferde die Fersen in den Leib, daß es stöhnte, schärfer galoppieren konnte es aber nicht.

Da es dunkel war, konnte er die Schnelligkeit, mit welcher er vorwärts kam, nicht genau beurtheilen. Jetzt aber bog sein Pferd um eine kurze Krümmung, da erblickte er ganz vorn den Schein der Wagenlaterne, und von dem regelmäßigen Hufschlage seines Pferdes vermochte er den unregelmäßigen Lärm des Kampfes genau zu unterscheiden.

Er näherte sich, ohne daß man ihn bemerkte. Er beschloß ganz ebenso zu verfahren wie vorhin. Er zügelte sein Pferd, sprang ab und band es an. Dann sprang er eilig dem Kampfplatze näher. Er konnte bereits das Nöthige erkennen.

Grouchy war von Vieren umringt; er hatte sie bisher glücklich von sich abgehalten, aber sein Arm drohte zu erlahmen, Da sprang Königsau herbei.

Sein erster Schuß galt der Fackel; sie loderte augenblicklich hell empor, so daß er deutlich sehen, zielen und schießen konnte. Er sah Grouchy, Ney, den Kaiser und den Generaladiutant im Kampfe.

»Aushalten, Sire. Es kommt Hilfe.«

Mit diesen Worten jagte er Dem, welcher Grouchy am Meisten drängte, eine Kugel durch den Kopf. Dem Nächsten schlug er die nun abgeschossene Pistole so in das Gesicht, daß der Mann mit eingeschlagener Nase und heraushängendem Auge zusammenbrach.

»Teufel! Das ist Hilfe in der Noth.«

Mit diesen Worten schlug Grouchy den Dritten nieder und hatte nun Zeit, den Vierten mit Gemüthlichkeit abzuthun.

Königsau zog seine zweite Pistole und schaffte Ney Luft, indem er zwei von dessen Drängern niederschoß. Er warf die leere Pistole fort, riß eine dritte hervor und trat an die Seite des Kaisers. Zwei Schüsse krachten, und der Kaiser hatte keinen Gegner mehr.

»Haben Sie noch einen Schuß, Sie Braver?« rief Gourgaud.

»Ha, zwei.«

»Dann hierher, bitte.«

Es war, als sei Königsau prädestinirt gewesen, der Reihe nach alle Vier vom Untergange zu erretten. Er schoß die Zwei nieder, welche gegen den Generaladjutanten kämpfend, ihm am nächsten standen.

Da ertönte aus dem Busche die laute Stimme des Alten:

»Nun, wenn es so geht, so soll er wenigstens auch zum Teufel fahren.«

Ein Schuß blitzte auf. Er war auf den Kaiser gezielt. Als die Flamme aus dem Rohre sprühte, sah man den Schützen ganz deutlich stehen.

Königsau dachte nicht anders, als daß der Kaiser getroffen sei. Ein fürchterlicher Grimm überkam ihn. Noch am Schluß


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des Rettungswerkes der Kaiser ermordet, das mußte gerächt werden. Seine Fackel in der Hand, sonst keine Waffe, sprang er auf den Schützen ein. Dieser wendete sich zur Flucht.

»Halt, Bursche, Du wirst mein!« rief der Deutsche.

»Noch nicht,« antwortete der Fliehende, der im eiligsten Laufe zu entkommen suchte. Der Schein blendete ihn, während Königsau den Vortheil desselben hatte.

Er hörte den Verfolger immer näher hinter sich und beschloß, ihm Stand zu halten. Er blieb stehen, holte Athem und drehte sich um. Der Deutsche stand kaum drei Schritte vor ihm. Da sah der Vagabund, daß sein Gegner unbewaffnet war. Er warf seine Flinte weg, die er bis jetzt noch in der Hand behalten hatte, zog sein Messer und rief frohlockend:

»Ah! Komm her, daß ich Dich umarme!«

Er sprang auf Königsau ein; dieser aber war geistesgegenwärtig; er senkte seine Fackel und stieß den brennenden Schwalm, von welchem der glühende Talg tropfte, dem Gegner in das Gesicht und die Augen.

Der also Verwundete warf sein Messer weg und schlug beide Hände unter lautem Brüllen vor die Augen. Königsau packte ihn beim Kragen, drehte denselben in der Faust einmal um, so daß der Mann zum Stürzen kam, und kehrte im eiligsten Laufe, den Geblendeten nach sich schleppend, zu dem Kampfplatze zurück, auf welchem sich kein einziger Feind mehr befand.

»Hier,« rief er, »bringe ich den Mörder des Kaisers.«

Alle blickten auf ihn.

»Des Kaisers?« fragte Ney erstaunt.

»Ja, er hat ihn erschossen.«

Da deutete Ney lächelnd seitwärts. Dort stand im Schatten der brave Florian mit seinem blutigen Säbel und neben ihm - Napoleon.

»Ah! Der Kaiser ist gerettet? Ist nicht todt?« rief Königsau.

Er hatte dem Alten beide Kniee auf die Brust gesetzt, hielt in der Linken die noch brennende Fackel und in der Rechten die Kehle seines Gegners.

Da kam der Kaiser herbei und sagte:

»Nein, mein Braver, ich bin nicht todt. Man hat die letzte Kugel auf mich gezielt, mich aber nicht getroffen.«

»Dieser Kerl war es, Sire.«

»Ah, Sie haben ihn geholt?«

»Ja.«

»Ohne Waffe?«

»Mit der Fackel.«

»Außerordentlich. Jan Hoorn, einen Riemen. Man binde diesen Mann. Er wird uns Aufschluß geben müssen.«

Jetzt erst richtete sich Königsau auf. Der Kaiser streckte ihm die Hand entgegen.

»Nehmen Sie meine Hand, Sie tapferer, junger Mann. Sie haben mich gerettet.«

»Mich auch,« sagte Ney näher tretend.

»Mich auch,« fügte Grouchy hinzu.

»Uns Alle!« machte Gourgaud den Beschluß.

Und auch diese drei Männer streckten ihm ihre Hände entgegen. Im Schlage des ersten Wagens, dessen Pferde bereits beruhigt waren, erschien ein schönes, bleiches Gesicht, in dessen Augen Freudenthränen schimmerten. Oder waren es Thränen des Schmerzes?

»Ich sprach schon diesen wackeren Kutscher dort,« fuhr Napoleon fort. »Er ist uns zu Hilfe gekommen, ehe wir es merkten, und hat zwei Feinde mit seinem langen Degen erstochen, eben als sie unter dem Wagen hindurchkriechen wollten, um uns von hinten zu nehmen. Wie ist es Ihnen denn gelungen, uns zu Hilfe zu kommen, Herr Capitän?«

Königsau erröthete. Sollte er sich der Vergeßlichkeit, der Nachlässigkeit zeihen? Er antwortete:

»Sire, ich belauschte zufälliger Weise heute zwei Männer, welche von Marschällen, von Geld und Ueberfall sprachen. Ich gab diesem Gespräche keinerlei Bedeutung, da ich dachte, sie erzählten sich irgend ein Ereigniß - - -«

»Ach, ich beginne zu begreifen.«

»Ich hatte dann das Glück, Euer Majestät zu sehen, und, erst später, als ich mich mit dem Kutscher allein auf dem Rückwege befand, brachte mich der Umstand, daß der Kaiser sich in Gesellschaft zweier Marschälle befunden hatte, auf den Gedanken, daß hier von keiner Erzählung, sondern von einem wirklichen Ueberfalle die Rede sei.«

»Ah, so. Sie eilten uns sofort zu Hilfe?«

»Ich spannte schleunigst aus, nahm für den braven Florian ein zweites Pferd und galoppirte nach. Das ist Alles, Sire.«

»Nein, das ist nicht Alles, mein Lieber; denn Ihr Werk begann nun erst. Wir waren hart bedrängt. Sie kamen im rechten Augenblicke. Man ist ja nicht mit einem Waffenarsenale versehen, wie es in einem solchen Falle von Nöthen wäre. Ich hatte nur meinen Degen. Aber, wie viele Feinde haben Sie getödtet, Capitän?«

»Ich glaube sieben.«

»Sieben und erst acht. Sie sind ein wahrer Bayard. Sie bleiben natürlich jetzt an meiner Seite. Ah, was ist das?«

In der Ferne ließ sich starkes Pferdegetrappel hören, und bald sah man auch eine Menge beweglicher Lichter funkeln.

»Verzeihung, Sire,« sagte Königsau; »das ist der Maire von Le Chêne.«

»Was will er?«

»Ich befahl ihm, sämmtliche Recken und Helden des Ortes zu versammeln, um seinem Kaiser zu Hilfe zu kommen; er solle erschossen werden, wenn er binnen einer Viertelstunde nicht auf dem Kampfplatze erschienen sei.«

Da lachte Napoleon laut auf, was bei ihm eine außerordentliche Seltenheit war. Auch die Officiere stimmten fröhlich ein; doch meinte der Kaiser dann ernst:

»Ich danke Ihnen, Capitän. Man sieht, wie umsichtig Sie verfahren. Ich bin überzeugt, daß Sie ein ausgezeichneter Officier sein würden. Diese Helden und Ritter würden uns von großem Nutzen sein, wenn der Kampf nicht bereits glücklich zu Ende wäre.«

»Sie werden uns auch jetzt noch von Vortheil sein, Sire,« meinte Ney.

»In wiefern?«

»Noch sind unsere Geschirre nicht in Ordnung; Todte und Verwundete liegen hier; ein Gefangener ist zu transportieren - - -«

»Ach ja; man lasse sie herbeikommen.«

Jetzt waren die Bürger auf Sprachweite herangekommen; sie konnten natürlich den Schein der Wagenlichter sehen. Da ertönte die Stimme des Maire:

»Halt! Im Namen des Gesetzes!«


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»Was giebt es?« antwortete Gourgaud, der als jüngster der Officiere es sich erlaubte, dem Kaiser ein Lächeln abzugewinnen.

»Seid Ihr etwa die Marodeurs?« fragte der Maire.

»Nein.«

»Sind Sie der Kaiser?«

»Nein.«

»Ah, so sind Sie der Herr Capitän de Sainte-Marie?«

»Auch nicht. Ich bin der Generaladjutant des Kaisers.«

»Oho! Wie heißen Sie?«

»General Gourgaud.«

»Das stimmt. Ist der Kaiser dort?«

»Ja. Er befiehlt Ihnen, sofort näher zu kommen!«

»Wird noch geschossen?«

»Nein.«

»Garantieren Sie dafür?«

»Ja.«

»Gut, so kommen wir. Vorwärts! Marsch! Trab, trab!«

Die Leute setzten ihre Pferde in Trab. Da nicht mehr geschossen wurde, hatte der brave Maire Muth bekommen. Er ritt voran. Er sah im Scheine von Königsaus nun bald ausgebrannter Fackel die Gestalt des Kaisers stehen. Er lenkte sein Pferd im Trabe auf denselben zu, um seine Meldung in möglichst militärisch exacter Weise zu machen. Die Rechte an dem Mützenschirme und in der Linken das Halfter, rief er:

»Sire, ich melde mich - - -«

Sein Pferd stolperte über eine grad hier im Wege liegende Leiche und brach auf die Kniee nieder. Da glitt der muthige Vater des Ortes über den Hals des Thieres herab, setzte sich auf den Theil seines Körpers, in welchem gewöhnlich die wenigste Geistesgegenwart zu finden ist, und fuhr in seiner Meldung fort:

»- - - eingetroffen mit zweiundzwanzig Mann.«

Seine Untergebenen hielten seine demüthige Bewegung für eine Nothwendigkeit der Etiquette und machten bereits Anstalt, in der gleichen Weise von den Pferden zu rutschen, obgleich sie im Stillen sich fragten, ob sie es so natürlich und exact fertig bringen würden wie ihr Bataillons-Chef; da aber winkte der Generaladjutant und rief, das laute Lachen verbeißend:

»Richtig absteigen, Messieurs, richtig absteigen!«

Diesem Befehle folgten sie natürlich lieber als dem Beispiele ihres Civilvorgesetzten, welcher sich soeben glorreich von der Erde erhob, seine herabgefallene Mütze wieder aufsetzte und dann sein Honneur wiederholte.

Der Kaiser hielt seine Augen lange auf ihn gerichtet, ohne eine Miene zu verziehen. Wer ihn kannte, der wußte, daß dieser Ernst nur das äußere Gewand war, unter welchem der Schalk lustig kicherte.

»Monsieur, Sie werden ein zweites Protokoll zu schreiben haben,« sagte er endlich.

»Ich stehe unterthänigst zu Diensten,« sagte der Maire.

»Sehen Sie, was hier geschehen ist?«

»Ich sehe es, Sire.«

Bei diesen Worten trat er einen Schritt zur Seite, denn ein Todter, dessen Gesicht nach oben gekehrt war, schien ihn drohend anzugrinsen.

»Man hat mich, den Kaiser, überfallen.«

»Ein todeswürdiges Verbrechen, Majestät.«

»Die Menschen sind getödtet worden. Nur Einer lebt. Dort bei meinem Kutscher liegt er gebunden. Man wird ihn verhören.«

»Ich lege ihn auf die Folter, Sire.«

»Man hat bereits heut beschlossen gehabt, meine Marschälle zu überfallen. Die Untersuchung muß erweisen, ob eine einfache Räuberei oder vielleicht ein tiefer gehendes Complott zu Grunde liegt.«

»Ich werde das Complott entdecken, Sire.«

»Sie? Sie werden Nichts entdecken. Sie sind weder ein Held des Geistes, noch des Schwertes. Ich werde die Untersuchung in andere Hände legen. Doch haben Sie morgen Vormittag acht Uhr auf dem Meierhofe Jeanette bei mir zu erscheinen, um das Protokoll in die Feder zu nehmen.«

»Ich werde bereits drei Viertel auf Acht dort sein, Majestät.«

»Uebrigens danke ich Ihnen, daß Sie so schnell auf dem Kampfplatze erschienen sind. Jeder Ihrer Leute hat eine Laterne mit - ah! Wer hat das angeordnet?«

»Ich selbst, Sire.«

Bei diesen Worten warf sich der Mann ganz gewaltig in die Brust.

»Weshalb?«

»Well man da besser sieht, wo man hin haut.«

»Ein sehr triftiger Grund, mein Guter.«

»Ja, Sire! Und weil man auch besser sieht, ob er wirklich todt ist.«

»Wer?«

»Der, mit dem man kämpft.«

Die Marschälle wandten sich ab. Sie mußten sich alle Mühe geben, um das Lachen zu verbeißen. Der Kaiser aber blieb ernst und sagte in freundlichem Tone:

»So recht! Ein Vorgesetzter muß seinen Untergebenen alle Pflichten erleichtern, besonders wenn sie so schwer und blutig sind wie diejenige, welche heute von Ihnen erfüllt werden sollte. Verstehen Sie, mit Wagen umzugehen?«

»Ausgezeichnet.«

»So setzen Sie vor allen Dingen unsere Wagen und Geschirre in Stand. Dann säubern Sie die Straße von den Leichen und nehmen den Gefangenen scharf in Obhut, den Sie mir morgen früh bringen müssen.«

Jetzt wendete sich der Kaiser ab. Er sah Königsau in der Nähe, bei dem die Officiere standen, um ihm abermals Worte des Dankes zu sagen.

»Sind Sie verwundet, Capitän?« fragte Napoleon.

»Nein, Majestät,« lautete die Antwort.

»Wunderbar! Ich glaube, daß Keiner von uns nur geritzt worden ist.«

»Keiner!« bestätigte Grouchy.

»So haben wir von einem großen Glück zu sagen. Lassen Sie uns nun vor allen Dingen nach unsern Damen sehen.«

Er trat zu seinem Wagen. Wie gern wäre Königsau an seine Stelle getreten! Dies ging aber nicht an. Und da die beiden Marschälle auch zu ihren Wagen zurückkehrten, so beschäftigte er sich damit, seine in der Hitze des Kampfes fortgeworfenen Pistolen wieder zu suchen.

Ney traf die Baronin in ganz gefaßter Stimmung. Sie war zwar anfangs tödtlich erschrocken, hatte aber dann die Augen geschlossen und in Ergebenheit den Erfolg abgewartet, der glücklicher Weise ein guter war.


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Ebenso war es mit Frau Richemonte. Ihr Schreck war kein geringer gewesen; als Grouchy den Wagen verlassen hatte, war sie in Ohnmacht gesunken; aber das Getöse des Kampfes hatte sie wieder aufgeweckt. Königsau war ihr dann wie ein rettender Engel erschienen. Jetzt, da der Marschall sie nach ihrem Befinden fragte, gab sie nur den Wunsch zu erkennen, zu wissen, wie ihre Tochter die Gefahr überstanden habe.

Bei dieser war es anders. Als der Kaiser an den Wagen trat, fragte er:

»Mademoiselle, ich bedaure diesen Vorfall außerordentlich. Darf ich fragen, wie Sie sich befinden?«

»O, ich bin sehr schwach, Sire!« hauchte sie.

»Ah! Jan Hoorn, frage die Damen nach einem Flaçon!«

»Das wird nicht genügen, Majestät!« sagte Margot leise.

»Nicht? Warum, Mademoiselle?«

»Ich glaube, ich bin verwundet.«

»Mein Gott, ist's möglich! Jan Hoorn, eine Laterne! Schnell, schnell!«

Der Kutscher riß die Wagenlaterne herab. General Gourgaud nahm sie ihm ab und leuchtete von drüben in den Wagen, während Napoleon von hüben den Schlag öffnete, um nachzusehen, ob sie Recht habe.

Ja, da lag sie in der Ecke, bleich wie der Tod. Von ihrer Schulter floß ein Blutstrom über die Brust herab bis in den Schooß und von da dann weiter nieder auf den Boden des Wagens.

»Gott, sie hat einen Schuß erhalten!« rief der Kaiser. »Wann ist das gewesen?«

»Der letzte, Sire, welcher Sie treffen sollte,« hauchte sie.

»Er ging an mir vorüber und in den Wagen. Was thun wir, General?«

Napoleon war außer sich, ganz rathlos.

»Wäre es nicht rathsam - - -«

Das wollte der Generaladjutant antworten; Margot aber bat:

»Bitte, Mama her!«

Da lief der Kaiser selbst zu Grouchy's Wagen. Der Marschall wollte denselben eben verlassen, um sich nach Margot's Befinden zu erkundigen. Frau Richemonte sah den Kaiser kommen. Brachte er etwa eine schlimme Botschaft?

»Mein Gott, Sire, ist Etwas geschehen?« fragte sie.

»O, Madame, man muß noch nicht verzagen!« antwortete er.

Es ging ihm, wie so vielen großen Männern: In solchen Verhältnissen sind sie ungeschickt wie die Kinder. Anstatt die Mutter zu beruhigen, machte er die Sache noch schlimmer, als sie eigentlich war.

»Nicht verzagen? O, Sire, was ist mit Margot?« rief Frau Richemonte.

»Es ist ja nur die Kugel, welche mich treffen sollte -«

»Getroffen - geschossen ist mein Kind?«

»Ja, Madame. Zwar schwimmt der ganze Wagen von Blut, aber - - -«

»Mein Kind, meine Tochter! Ich komme!«

Sie sprang aus dem Wagen, schob den Kaiser einfach zur Seite und eilte davon.

Napoleon blickte Grouchy erstaunt an.


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»Haben Sie gesehen, Marschall?« fragte er ganz betroffen.

»Allerdings,« antwortete dieser lächelnd.

»Und ich habe es ihr doch so zart wie möglich beigebracht.«

»Zart zur Bewunderung, Sire!«

»Ich habe sie so vorsichtig darauf vorbereitet.«

»Höchst vorsichtig, Majestät.«

»Und doch war sie wie im Fieber! O, diese Frauen! Besonders die Mütter!«

»Ja. Die Töchter pflegen sanfter zu sein, Sire.«

»Gewiß, gewiß, lieber Marschall. Wie zart lag diese Margot im Wagen! Wie sanft sagte sie, daß sie verwundet sei! Aber diese Mütter! Sie sind gerade wie die Löwinnen! Sehen Sie, da bricht noch Eine aus dem Käfig.«

Er sah mit Schreck, daß jetzt auch die Baronin ihren Wagen verließ.

»Auch diese will nach ihr sehen!« sagte er. »Ein Arzt wäre besser als zehn Mütter, meinen Sie nicht auch, Marschall?«

Diese Frage war an Ney gerichtet, welcher bestürzt herbeitrat.

»Allerdings, Sire,« antwortete er. »Ist die Dame denn verwundet?«

»Ja, leider! Die letzte Kugel, welche auf mich gezielt war, hat sie getroffen.«

»Welch ein Unglück! Ist die Wunde schwer?«

»Mein Gott, der Wagen schwimmt!« antwortete der Kaiser.

»Da sollte man sofort aufbrechen - - -«

»Ja, sofort aufbrechen!« stimmte der Kaiser bei.

»Oder sofort einen Boten fortjagen nach dem Arzte,« meinte Grouchy.

»Ja, einen Boten schleunigst fort, nach dem Arzte,« sagte der Kaiser.

Die großen Kriegshelden wußten hier, den Kaiser selbst an der Spitze, keinen Rath, nur weil eine Dame die Verwundete war.

»Jan Hoorn, einen Eilboten nach dem Chirurgen!« befahl der Kaiser.

»Wohin, Sire?« fragte der treue Kutscher.

»Dahin, wo am schnellsten Einer zu finden ist!«

»Um Gotteswillen, Sire,« meinte Ney. »Ehe der Chirurg kommt, kann sie sich verblutet haben. Man muß sofort nach Jeanette aufbrechen.«

»Jan Hoorn, sofort aufbrechen, nach Jeanette!« gebot der Kaiser.

Der Kutscher stand wirklich im Begriff, aufzusteigen und fortzufahren, ohne sich darum zu bekümmern, wie es im Wagen aussah, wer auf den Tritten desselben stand, und wo sein Kaiser blieb; da aber erschien ein Retter in der Noth.

Königsau war es. Er hatte seine Pistolen gesucht und war dann mit Florian in die Büsche gegangen, um die Flinte zu suchen, welche sein Gefangener weggeworfen hatte. Jetzt kehrte er zurück. Er hörte sich gerufen.

Als Frau Richemonte zu Margot gekommen war, hatte sie der Schreck bei dem Anblicke ihrer Tochter beinahe zu Boden gerissen. Aber sie faßte sich mit Gewalt, ergriff Margots Hand und sagte, die Thränen zurückdrängend:

»Kind, mein gutes Kind, ist es gefährlich?«

»Ich glaube nicht, liebe Mama,« lispelte das Mädchen.

»Nicht? Gott sei Dank! Wo bist Du getroffen?«

»Vorn an der Schulter oder Achsel; ich weiß es nicht, wie man es nennt.«


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»Thut es weh?«

»Nein, gar nicht. Aber ich bin sehr müde; ich möchte schlafen, liebe Mama.«

»Laß es mich sehen.«

Sie stieg in den Wagen, um die Wunde zu untersuchen. Da kam die Baronin hervor. Diese war gefaßter und also geschickter zur Hilfe. Aber das Blut floß so reichlich, daß die Wunde auf diese Weise nicht untersucht werden konnte.

»Um Gotteswillen, was thun wir?« fragte Frau Richemonte. »Hörst Du, liebe Cousine, man will fortfahren.«

»Wo ist Hugo?« flüsterte das Mädchen.

»Hugo? Ja! Willst Du ihn haben, Margot?«

»Ja, Mama. Er kennt die Wunden.«

»Aber Kind - ein Herr!« meinte die Baronin.

»Er ist mein Verlobter. Lieber soll er mich ansehen, als der Kaiser.«

Das wurde in zwar schwachem aber sehr bestimmtem Tone gesprochen. Darum trat die Baronin zurück und blickte sich um. Sie sah den Lieutenant eben näher treten und rief, ihrer Rolle als seine Verwandte treu bleibend:

»Lieber Cousin, bitte! Ihre Hilfe wird gebraucht.«

»Hilfe?« fragte der Kaiser den Marschall Ney. »Ist der Capitän auch Arzt?«

»Möglich, Sire! Ein Seemann muß oft sehr viel verstehen.«

»Meine Hilfe? Wozu?« fragte Königsau.

»Es giebt eine Verwundete.«

»Eine Verwundete? Mein Gott, doch nicht etwa -!«

Er hätte im ersten Schreck fast den Namen Margots genannt, doch nahm er sich zusammen und trat an den Wagen, wo ihm die Mutter Platz machte.

Es war den beiden Damen noch nicht eingefallen, den Ueberwurf zu entfernen, welcher um Margots Schultern lag. Königsau that dies sofort; die Baronin mußte leuchten. Als er die Heißgeliebte so bleich und schwach in den Kissen liegen sah, wurde es ihm angst und bange. Das Blut floß noch immer.

»Margot, meine Margot,« sagte er, Ihr schwaches Händchen ergreifend. »Hast Du Schmerzen?«

»Nein, lieber Hugo,« flüsterte sie mit einem himmlischen Lächeln und einem unendlich sanften, milden Aufschlage ihrer Augen.

»Es ist ein Schuß.«

»Ja, der Letzte.«

»Welcher den Kaiser treffen sollte?«

»Ja, Hugo.«

»So ist es noch nicht lange her, Gott sei Dank! Darf ich nachsehen?«

»Ich bitte Dich darum.«

Er betrachtete die Wunde sehr sorgfältig und sagte dann, um Vieles beruhigter:

»Bitte Ihre Taschentücher, meine Damen. Es ist nur ein Streifschuß, aber die heftige Blutung hat die Patientin sehr geschwächt. Ich werde einstweilen einen Nothverband anlegen, um das Blut möglichst zu stillen.«

»Es ist also nicht gefährlich?« fragte die Mutter.

»Nein,« antwortete er.

»Aber wohl sehr schmerzhaft?«

»Ihre Kräfte werden zureichen, es auszuhalten.«

»O, ich danke Ihnen, lieber Hu - - - lieber Herr Capitän.«

Sie wäre bald an dem Geheimnisse zum Verräther geworden.

Unterdessen hatten die Helden und Recken von Le Chêne die Wagen wieder in Stand gesetzt. Die zerbrochenen Deichseln waren verbunden, das zerrissene Riemwerk fürs Erste wieder haltbar gemacht und statt der verwundeten oder getödteten Pferde andere eingeschirrt worden. Man hatte auch die Seile entfernt und die Leichen zur Seite geschafft. Wäre die Verwundete nicht gewesen, so hätte man aufbrechen können.

Da endlich verließ Königsau den Wagen und kam auf den Kaiser zu.

»Ich sehe, daß Sie auch Arzt sind, Capitän?« fragte dieser.

»Nicht Arzt, Sire,« antwortete er bescheiden, »obgleich ich so leidlich verstehe, den ersten Verband an eine Wunde zu legen.«

»Wie ist's? Doch nicht gefährlich, hoffe ich.«

»Bis jetzt nicht, aber durch allzu starken Blutverlust kann Gefahr eintreten.«

»Ah! Was thun wir? Kommen wir bis Jeanette?«

»Sofort nicht. Es muß vorher ein sorgfältigerer Verband angelegt werden, als es im Wagen und unter den gegenwärtigen Umständen möglich war.«

»Aber, was rathen Sie uns da, Capitän?«

»Es befindet sich unweit von hier eine Schänke, Sire -«

»Gut. Sie meinen, daß wir dort Halt machen.«

»Ja.«

»Was für ein Mann ist der Wirth?«

»Es ist nur eine Wirthin mit ihrer Tochter dort, arme, aber brave Personen, wie es mir geschienen hat.«

»Sie kennen sie?«

»Nein. Ich war erst einmal dort, heut am Nachmittage.«

»So versuchen wir es, Capitän. Aber, wie fortkommen, meine Herren?«

»Ich borge mir von diesem guten Maire von Le Chêne ein Pferd,« meinte der Generaladjutant.

»Und ich ebenso,« sagte Marschall Ney. »So erhalten Majestät Platz in meinem Wagen.«

»Aber unser tapferer Arzt und Capitän?«

»Ich muß bei der Patientin bleiben, Sire.«

»Recht so. Immer am Platze seiner Pflicht. Und Madame Richemonte?«

»Darf ich nicht bei Margot sein?« wendete diese sich an Königsau.

»Madame, denken Sie an das Blut,« meinte dieser.

»Ich lade die beiden Damen zu mir ein,« sagte Marschall Grouchy.

Somit hatte ein jeder seinen Platz gefunden. Nur der brave Florian war nicht mit erwähnt worden. Er wußte sich aber selbst zu helfen. Er trat an den kaiserlichen Wagen und sagte zu Jan Hoorn:

»Nicht wahr, Kamerad, Sie haben sich brav mit gewehrt?«

»Ja, sogar mit der Peitsche.«

»Nun, so werden Sie einen wackeren Collegen nicht auf der Straße sitzen lassen.«

»Nein, steigen Sie auf. Wohin gehören Sie?«

»Nach Jeanette.«

»Ach, ja. Der Kaiser bleibt dort, folglich ich auch. Das wissen Sie bereits.«

»Ja, und so hoffe ich, daß Sie ein Glas Wein mit mir leeren werden.«


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»Gewiß, mit braven Kameraden trinkt man gern. Aber, hören Sie, der Kaiser wird soeben Abschied nehmen.«

Napoleon war zu den Helden von Le Chêne getreten. Sie bildeten eine lange Reihe, die Pferde in der Linken am Halfter hinter sich und in der Rechten die Laterne! so boten sie einen eigenthümlichen Anblick dar.

»Messieurs,« sagte der Kaiser, »Sie haben mir einen Dienst erwiesen. Ich danke Ihnen. Auf dieser Straße soll, so lange ich regiere, kein braver Bürger wieder angefallen werden. Gute Nacht.«

»Schreit vive l'Empereur!« befahl der Maire.

»Vive l'Empereur!« brüllten Alle.

»Schwingt die Laternen. Hoch aber!«

Sie schwangen die Laternen, daß diese zusammenklirrien.

»Er hat gute Nacht gesagt, schreit auch gute Nacht!«

»Gute Nacht!« riefen sie.

Und unter diesem Laternengeprassel, diesem vive l'Empereur- und gute Nacht-Schreien setzte sich der kurze Wagenzug in Bewegung, diesesmal aber langsam. Der Kaiser war mit seinen Marschällen der Gefahr entgangen, welche ihnen gedroht hatte. Eine einzige Seele hatte büßen müssen.

Sie lag drin im Wagen, matt und bleich. Aber sie lag nicht in den seidenen Kissen, sondern in den viel süßeren und weicheren Armen des Geliebten.

»Meine Seele, schläfst Du?« flüsterte er.

»Nein, mein Hugo.«

»Hast Du Schmerzen?«

»Gar nicht.«

»Gluth oder Frösteln?«

»Nein. Ich bin so glücklich.«

»Ja, ich kenne das. Es ist der Beginn jenes unendlichen Glückes, welches das entfliehende Leben uns empfinden läßt. Es ist, als habe man Schwingen, welche Einen in eine Unendlichkeit von seliger Lust und Wonne tragen. So fliegt man fort und immer weiter, mit den entschwindenden Lebensgeistern, bis der Körper zurückbleibt, starr, todt, verlassen von der Seele, welche den kühnen Flug unternommen hat hinein in die Ewigkeit.«

»Du denkst, ich sterbe, Hugo?«

»O nein. Du wirst leben, noch lange leben und glücklich sein.«

»Aber nur bei Dir und mit Dir.«

Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. Er strich leise, leise mit der Hand über ihre Wangen und über die Fülle ihres schönen Haares. Er saß neben ihr und achtete nicht darauf, daß er in ihrem Blute saß.

»So fahren wir im kaiserlichen Wagen, Hugo,« sagte sie leise.

»Aber einer besseren Zukunft entgegen als er.«

»Glaubst Du das?«

»Ja. Ich weiß, daß wir Deutsche siegen werden. Er ist zu schnell zurückgekehrt. Man wird den großen Adler wieder fangen, man wird seine Krallen in Ketten und seine Schwingen in Fesseln legen, welche er nicht wieder zerreißen kann. Der, welcher der Welt Jahrzehnte lang Gesetze gab, wird wie Prometheus angeschmiedet werden, ohne Hoffnung auf Erlösung.«

»Wie grausam. Er ist doch auch ein Mensch.«

»Ja, ein Mensch heut auch gegen Dich.«

»Hugo.«

»Margot!«

»Bist Du eifersüchtig, mein Lieber?«

»Nein. Ich weiß, daß ich Dir theurer bin als alle Kaiser der Welt.«

»Das weißt Du? Das glaubst Du?«

»Ja.«

»O, wie macht mich das glücklich. Denn was Du glaubst, das ist auch wahr.«

»So laß uns dieses Glück fest halten, so wie ich Dich fest in meinen Armen halte.«

Sie schmiegte sich, so fest es ihre geschwächten Kräfte erlaubten, an ihn, und ihre Lippen fanden sich zu einem leisen, aber desto innigeren Kusse.

Da hörte man die Stimme Florians:

»Hier ist das Haus der Wittwe Marmont, wo wir halten sollen.«

Die Wagen hielten an, und Hugo stieg aus. Sofort kam der Kaiser heran.

»Wie geht es, Capitän?« fragte er.

»Der Verband hat bis hierher gehalten, Sire,« antwortete der Gefragte.

»Hier kann ein besserer aufgelegt werden.«

»Ja.«

»Dann können wir nach Jeanette fahren?«

»Ich hoffe, daß die Patientin es aushalten wird.«

»Hält sie es nicht aus, so bleibe ich mit hier.«

»Majestät!«

»Pah! Was?« fragte Napoleon kurz.

»Dieses Opfer!«

»Opfer? Was wollen Sie? Hat sie nicht die Kugel erhalten, welche mir gegolten hat? Bin ich ihr nicht Aufmerksamkeit schuldig? Uebrigens ist sie schön, unendlich schön. Ich sah noch nie so ein Weib. Da giebt es kein Opfer.«

»So erlauben Sie, Sire, sie in das Haus zu tragen.«

»Wer wird es thun?«

»Die beiden anderen Damen. Ich werde sie zu stützen versuchen.«

»Das werde ich selbst thun, Capitän,« meinte der Kaiser mit einer Art von Eifersucht im Tone. »Zunächst aber muß man mit der Wirthin sprechen.«

»Ich eile dies zu thun.«

»Ach, pah! Ich werde auch das selbst versorgen.«

Er schritt wirklich auf die Thür des Häuschens zu und trat in die Stube, wo die Mutter mit der Brille auf der Nase beim Scheine eines Lämpchens saß und die hübsche Tochter sich grad anschickte, hinauszugehen, um nach dem Begehr der Gäste zu fragen, deren Kommen man bemerkt hatte.

Als Napoleon eingetreten war, fuhr das Mädchen mit einem halblauten Schrei zurück. Die Mutter blickte vom Buche auf und erhob sich. Der Kaiser grüßte und fragte im milden Tone:

»Warum erschrickst Du vor mir, mein Kind? Fürchtest Du Dich?«

Sie antwortete nicht.

»Ich frug, warum Du erschrickst?« fragte er zum zweiten Male.

»O, Mutter,« antwortete sie, auf den Kaiser deutend.

»Kennst Du mich, mein Kind?« fragte er.

Da faßte sie sich ein Herz und antwortete.

»Ich weiß nicht ob ich mich irre.«


// 360 //

»Nun, wer denkst Du daß ich bin?«

Da zeigte sie an die Wand, wo das Bild des Generals Bonaparte hing, wie er die Brücke bei Lodi vertheidigt.

»Sind Sie das?« fragte sie.

»Ja, ich bin es.«

Da schlug sie die Hände zusammen und rief jubelnd aus:

»Mutter, o Mutter, der Kaiser!«

»Der Kaiser?« frug die Frau. »Nein, das ist nicht möglich, der Kaiser kommt nicht in dieses arme Haus, in diese kleine, armselige Stube.«

»Und doch bin ich es, Mutter,« sagte er; »ich bin Napoleon, Euer Kaiser.«

Da trat die Frau näher herbei, betrachtete ihn aufmerksam und sagte:

»Ja, Bertha, das ist er; das ist unser Kaiser! So hat Dein Vater ihn mir beschrieben.«

»Der Vater dieses Mädchens? Ihr Mann? Wer war er? Wie hieß er?«

Auf diese Frage antwortete die Frau:

»O, mein Kaiser, Sie kennen ihn; Sie müssen ihn kennen, Jaques Marmont.«

»Jaques Marmont? Es giebt der Marmonts viele.«

»Er war mit bei der Belagerung von Toulon, dann unter Defaix bei der Rheinarmee; er kämpfte bei Lodi, Castiglione, St. Georges, in Egypten, bei Marengo, Castelnovo und Ragusa, bei Wagram und in Spanien. Dann wurde er verwundet und kehrte zurück.«

»Ah, war es jener Marmont, welcher Soult bei Badajoz das Leben rettete?«

»Ja, ja, Sire, das war er!«

»Wie ging es ihm?«

»Nicht gut. Seine Narben brannten. Er kaufte dieses Haus, um hier auszuruhen. Er fand die Ruhe bald, denn er wurde ermordet.«

»Ermordet? Von wem?« fragte der Kaiser, die Brauen zusammenziehend.

»Von Marodeurs.«

»Wo?«

»Hier im Walde.«

»Ach. Wieder einer. Sie sollen das büßen. Ich werde für Euch sorgen. Auch ich bin soeben da vorn im Walde überfallen worden.«

»Sie, Sire?« rief die Frau erschrocken.

»Ja, ich! Von Marodeurs.«

»Gott! Sie wagen sich an den Kaiser!«

»Sie werden es nicht mehr wagen. Es sind viele gefallen, und die Uebrigen werde ich ausrotten bis auf den letzten Mann. Es ist eine Dame dabei verwundet worden. Sie soll hier bei Ihnen verbunden werden. Erlauben Sie, die Arme zu Ihnen zu bringen?«

»Mein Häuschen und Alles, was ich besitze, ist Ihr Eigenthum, Sire. Ich gehe selbst, die Dame mit hereinzubringen. Komm, Bertha.«

Sie schritt mit ihrer Tochter hinaus. Nun war die Hilfe des Kaisers nicht nöthig. Hugo hatte Margot bereits aus dem Wagen gehoben; sie wurde von den beiden Damen und der Wirthin nebst ihrer Tochter halb nach der Stube geführt, halb getragen. Napoleon trat zu Königsau und fragte ziemlich barsch:

»Die Kranke scheint sich erholt zu haben?«

Der Gefragte ahnte, was Napoleon wollte; er antwortete:

»Ich hoffe, nach einem besseren Verbande wird sie sich wohler befinden.«

»Sie ist selbst aus dem Wagen gestiegen?«

»Nein.«

»Man hat ihr geholfen? Man hat sie unterstützt?«

»Allerdings.«

»Wer ist das gewesen?«

»Ich, Sire.«

»Sie? Ich hatte Ihnen verboten, es zu thun.«

»Sie bat mich darum, Sire.«

»Mein Befehl pflegt zu gelten.«

Königsau verneigte sich, ohne zu antworten. Der Kaiser fuhr fort:

»Wer wird den jetzigen Verband anlegen?«

»Ich.«

»Gut, Capitän! Aber ich werde dabei sein.«

»Ich kann nicht widersprechen, Sire.«

»Kommen Sie.«

Er schritt voran, und Königsau folgte ihm. Die Officiere waren auch ausgestiegen, traten aber nicht mit in das Haus. Es war ganz so, als ob eine Souverainin in dem kleinen Häuschen weile, dessen Schwelle nun nicht überschritten werden dürfe.

Als Königsau eintrat, hellte sich der Blick Margots auf, als sie aber den Kaiser bemerkte, verdüsterte er sich augenblicklich wieder. Sie hatte während der kurzen Fahrt doch wohl zu viel mit dem Geliebten gesprochen; sie fühlte sich matter als vorher. Sie lag auf einem einfachen Ruhebette; ihre Mutter und die Baronin waren um sie beschäftigt. Die Wirthin stand mit ihrer Tochter von fern. Beide hielten ihre Blicke auf das wunderschöne Mädchen gerichtet.

Es war eigenthümlich, mit welchem Ausdrucke die Augen Bertha's auf Margot ruhten. Es spiegelte sich darin Bewunderung und Furcht, Mitleid und Haß.

Da trat der Kaiser näher, faßte die Hand der Verwundeten und sagte:

»Wie fühlen Sie sich jetzt, meine Theure?«

»Sehr, sehr matt, Sire.«

»Sollte man da nicht mit dem zweiten Verbande warten?«

Margot richtete den Blick fragend auf Königsau; darum antwortete dieser in seinem bescheidensten Tone:

»Der erste Verband war Nothverband, Sire; er ist ungenügend.«

Da wendete sich der Kaiser ihm zu. Aus seinem Auge leuchtete es wie eine tiefe Leidenschaft, und er sagte im kalten, abweisenden Tone:

»Ich sprach mit Mademoiselle. Ihre Antwort werde ich mir befehlen.«

Königsau verbeugte sich stumm. Der Kaiser wendete sich an die Mutter der Patientin, welche ganz erschrocken war, und sagte:

»Wünschen auch Sie, daß ein Verband angelegt werde?«

»Ich bitte darum, Sire,« antwortete sie fast furchtsam.

»So mag der Capitän beginnen; aber ich selbst werde dabei sein.«

Es lag klar, daß der Kaiser eifersüchtig war. Er kreuzte die Arme über die Brust, wie er es zu thun pflegte, wenn ihn irgend Etwas mehr als gewöhnlich bewegte, und stellte sich so, daß er die Prozedur genau betrachten konnte.


// 361 //

Königsau blieb an seiner Stelle stehen, ohne sich zu bewegen.

»Beginnen Sie, Capitän,« befahl Napoleon.

Königsau zuckte die Achseln und rührte sich nicht. Da leuchteten die Augen des Kaisers gebieterisch auf; er machte eine halbe Wendung und fragte:

»Haben Sie gehört?«

Da wandte sich Königsau mit der Frage an Margot:

»Mademoiselle, befehlen Sie, daß ich Sie in Gegenwart eines Dritten verbinde?«

»Eines Dritten!« braußte da der Kaiser auf. »Wer ist dieser Dritte?«

»Sie, Sire,« antwortete Königsau ruhig.

Er hielt den flammenden Blick des Kaisers standhaft aus, ohne mit den Wimpern zu zucken. Dieser verließ seinen Platz, stellte sich vor ihm hin und sagte:

»Monsieur, ich bin der Kaiser!«

Königsau verbeugte sich tief; aber er antwortete:

»Majestät, nur der Gemahl pflegt in solchen Fällen bei der Dame zu verweilen. Oder haben Sie die Absicht, Mademoiselle Richemonte zu jenen Damen zu rechnen, die man wohl betrachtet, von denen man aber nicht spricht?«

»Monsieur!« rief der Kaiser, mit dem Fuße auf den Boden stampfend.

Frau Richemonte und die Baronin waren erbleicht; sie waren keines Wortes fähig. Die Wirthin staunte ebenso wie ihre Tochter den jungen Mann an, der es wagte, dem gewaltigen Manne zu widerstehen. Margot lag mit geschlossenen Augen da, mehr einer Leiche als einer blos Verwundeten ähnlich.

Königsau antwortete auf das Fußstampfen abermals mit einer sehr tiefen Verneigung und fügte dann lächelnd hinzu:

»Sire, Keiner weiß so genau wie ich, daß ich eine Majestät vor mir habe. Die höchste Majestät eines reinen, keuschen und züchtigen Weibes. Und liebte ich eine Braut, ein Weib mit allen Gluthen meines Herzens, ich würde doch auf ihren Besitz verzichten, wenn ein fremdes Auge auf ihr geruht hätte zu einer Zeit, in welcher nur das Auge des Geliebten oder des Arztes zugegen sein darf. Ich würde verzichten selbst dann, wenn dieses fremde Auge dasjenige eines Kaisers wäre. Kein Bettler und kein Kaiser hat das Recht, einem reinen Wesen, weil es augenblicklich wehrlos ist, das hinwegzustehlen, was dieses Wesen, wenn es sich stärker fühlte, tapferer vertheidigen würde als ein Königreich.«


Ende der dreiundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Die Liebe des Ulanen

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